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Der Tod ritt ein weißes Pferd


Der Tod ritt ein weißes Pferd

Tim Mullen - Kopfgeldjäger - Band 1
Tim Mullen - Kopfgeldjäger, Band 1 1. Auflage

von: Alex Mann

2,99 €

Verlag: Novo Books
Format: EPUB, PDF
Veröffentl.: 30.03.2024
ISBN/EAN: 9783961273713
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 182

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Jim Donagan ist auf Rache aus. Er jagt die Mörder seiner Frau und seines Kindes bis in die Rocky Mountains. Donagans Problem: Er ist schwarz und immer, wenn er einen der Mörder zur Strecke bringt, hat er sofort einen aufgebrachten Mob am Hals. Im verschneiten Minenstädtchen Snow Hill trifft er auf den Kopfgeldjäger Tim Mullen, der ihm helfen will. Doch Donagan ist bereits viel zu sehr vom Hass auf die Weißen zerfressen: Als er den letzten Mörder zur Strecke gebracht hat, vermag er das Töten nicht mehr zu beenden. Und jetzt heftet sich Tim Mullen an seine Fersen...
sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit nach Westen auszudehnen. Siedlertrecks überwanden die weiten Prärien jenseits des Mississippi und erreichten die Ausläufer der Rocky Mountains. Das Gebirge selbst war für Familien eher unattraktiv. Der Winter dauerte hier sehr lang und der Schnee sperrte die ohnehin schwierigen Passwege oft für Monate.
Trotzdem gab es kleine Bergbausiedlungen, Städtchen an Eisenbahnlinien, wo Händler die Bärenjäger der Umgebung mit Waren des täglichen Bedarfs versorgten und ein paar Familien einige wenige Hektar des kargen Felsbodens zu beackern versuchten. Und es gab hier und da an den steinigen Wegen, die die Postreiter und Kaufleute benutzten, ein paar Tavernen die von jenen Pionieren betrieben wurden, die kein Interesse an der Zivilisation besaßen.
In den Rockys fällt der Schnee oft innerhalb weniger Stunden mehrere Fuß hoch.

Ein weißes Pferd mit einem schwarzen Reiter kämpfte sich durch solch einen heftigen Schneesturm. Der Wind drückte die dicken Flocken nach unten und die Pellerine des schwarzen Reitermantels war bereits mit einer dicken Schicht Schnee bedeckt, ebenso wie die Krempe des schwarzen Hutes. Alles an diesem Reiter war schwarz. Seine Stiefel waren schwarz, seine Hose, sein Mantel, sein Hut, ja sogar er selbst. Er war ein Neger.
Jim Donagan kam aus Kentucky, war aber bereits vor dem Krieg ein freier Mann gewesen, denn er war der Sohn eines Sklaven, dem sein Besitzer, ein kleiner Maisbauer, einst seine Papiere ausgehändigt hatte. Die Donagans waren sehr stolz auf ihre Freiheit.
Mühsam kämpfte sich Jim Donagans Pferd durch die hohen Schneewehen. Seine Beine versanken vollständig darin und sein Bauch schleifte bereits über die kühlen weißen Massen. Das Pferd schnaubte müde, aber Jim Donagan konnte ihm nicht erlauben, still zu stehen oder selbst abzusteigen, denn er hätte es keine hundert Meter weit geschafft.
Sein schwarzes Gesicht war hinter einem weinroten Schal verborgen, der durch seinen feuchten Atem bereits steif gefroren war. Der Schimmel schnaubte und sein Atem zeichnete sich in Form kleiner weiß-blauer Wölkchen ab. Mit ein paar kräftigen Schritten kämpfte er sich vorwärts um die Kurve eines kleinen Weges, der sich an einem steilen, felsigen Abhang entlang schlängelte.
Hinter der Kurve waren die Schneewehen niedriger und sie kamen besser vorwärts. Und noch vor der nächsten Biegung, an einer Stelle wo der Weg etwas breiter wurde, konnte Jim eine kleine Blockhütte erkennen, die sich eng an die Felswand schmiegte. Mit letzter Kraft erreichte sein Schimmel diese Hütte.
Jim stieg ab und führte das Pferd in einen kleinen Holzverschlag an der Seite, in dem noch ein halbes Dutzend anderer Tiere untergebracht war. Mit ihren dicht gedrängten Leibern wärmten sie sich gegenseitig, während ein eisiger Wind durch die Öffnungen des Verschlages pfiff.
Jim Donagan band sein Pferd an und überprüfte die anderen Tiere. Sofort war ihm ein kleiner Fuchs aufgefallen, dessen einer Lauf bis zum Knie von einem schmutzigen Weiß war, während alle anderen in kräftigem Rotbraun schimmerten. Jim kontrollierte den Sattel des Tieres. Auf eine Seite waren die Initialen J.S. eingebrannt. Er wusste, wofür sie standen: Jake Shelby. Es war der Mann, hinter dem er her war.
Er hatte eine grobe Erinnerung an Shelby. Ein kleiner lauter Mann mit schwarzen Locken, dem ein Stück des rechten Ohres fehlte. Keine Ahnung, wo er es verloren hatte. Aber er saß ganz sicher in der Hütte.
Jim Donagan verließ den kleinen Stall. Aus dem Dach der Hütte ragten zwei kleine rauchende Eisenschornsteine, also schienen zwei kleine Öfen darin in Betrieb zu sein. Statt ordentlicher Fenster hatte der Bau nur ein paar Öffnungen die jetzt aber mit Holzklappen verschlossen waren.
Donagan knöpfte seinen Mantel auf und seine Hand glitt entlang des Revolvergurts zu seiner Pistole, einem Starr Revolver. Er zog ihn heraus und prüfte den Mechanismus. Funktionierte er noch, nach dem langen Ritt durch eisige Kälte? Sein Daumen spannte den Hahn und mit der linken Hand drehte er die Trommel. Mit leichtem Klicken bewegte sie sich. Die Waffe war in Ordnung und Jim Donagan packte sie wieder in das Holster.
Dann ging er auf den Eingang der kleinen Taverne zu und öffnete die Tür. Der dunkle Innenraum war von einem halben Dutzend Kerzen und Laternen erleuchtet, die wild hin und her flackerten, als der kalte Wind in den Raum fuhr. Er selbst genoss die warme Luft, die ihm von den beiden heiß bollernden Eisenöfen entgegen strömte.
An der grob gezimmerten Holztheke stand lediglich der Besitzer der Taverne, der seine Hände um einen dampfenden Zinnboiler gelegt hatte, der vermutlich Kaffee enthielt. Seine Gäste hatten sich um einen der großen Öfen geschaart, der an der rechten Außenwand stand. Auf einem Tisch standen halbleere Whiskyflaschen. Trotz der Wärme in diesem Raum hatten die Kerle ihre dicken Jacken nicht abgelegt.
Jim Donagan bemerkte sofort den kleinen Lockenkopf, der mit dem Rücken zu ihm vor dem Ofen saß. Ohne das beschädigte Ohr erkennen zu können, wusste er, dass es sich um Jake Shelby handelte.
Obwohl alle in der Taverne mit zornigen Blicken den Gast musterten, der in der immer noch weit offenen Tür stand, war es Shelby, der als erster sagte: „Hej, verfluchte Scheiße es zieht. Komm rein und mach die gottverfluchte Tür zu.“
Jim Donagan blieb einfach stehen und hatte Shelby fest im Blick. Dieser drehte sich plötzlich zornig herum, sodass er sein kaputtes Ohr sehen konnte. Als Shelby sah, dass er mit einem Schwarzen sprach, riss er überrascht seine Augen auf. „Ehj, Boy, mach die Scheißtür zu, hab´ ich gesagt.“
Doch Jim Donagan blieb ungerührt stehen.
„Komm rein Mann und schließ die Tür. Es wird kalt und mein Holz geht aus“, sagte der Tavernenbesitzer mit deutlich freundlicherer Stimme.
„Nigger, zieh das dämliche Brett ran, oder du sollst mich kennen lernen!“ Shelbys Augen funkelten wütend, doch Jim Donagan sah ihn weiterhin mit starrem Blick an, ohne sich zu rühren.
„Verficktes Affenkind, du hast es so gewollt“, schrie Shelby, fuhr nach oben und griff zu dem Coltrevolver an seinem Gürtel. Doch darauf hatte Jim Donagan nur gewartet. Er stand aufrecht, die Rechte direkt neben dem Holster und er war viel schneller am Griff seiner Pistole, als der wütende Shelby. Der Starr-Revolver fuhr mit einem schnellen Zug aus dem geölten Leder und knallte los. Eine gewaltige weiße Wolke breitete sich in dem Raum aus. Shelby wurde in die Brust getroffen und auf den Ofen geschleudert. Seine Jacke fing sofort Feuer und er stieß entsetzte Schreie aus. Der Schuss war lebensbedrohlich, aber nicht tödlich. Die brennende Jacke bereitete ihm viel größere Schmerzen, als die Schusswunde.
Mit einem Mal waren die anderen Kerle aufgesprungen und versuchten, das kleine Feuer zu löschen, während der Tavernenbesitzer zu der Schrottflinte griff, die unter der Bar lag.
Jim Donagan spannte den Hahn seiner Waffe und das Klicken reichte aus, um alle Weißen in dem Raum aufhorchen zu lassen.
„Ich will nicht eine Hand sehen, die zum Revolver greift“, sagte Donagan kalt. „Ich habe noch fünf Schuss und die sitzen, wenn ihr es versucht.“
„Verdammt, was willst du, Nigger“, fragte der Tavernenbesitzer.
„Was ich wollte habe ich schon bekommen. Diesen Mann.“ Er griff mit der linken in die Tasche seines Mantels und holte einen Steckbrief hervor, auf der neben einer Summe von 80 $ der Name Jake Shelby und eine genaue Beschreibung stand, die natürlich die kurzgelockten Haare und das kaputte Ohr beinhalteten. Shelby war ein gesuchter Räuber und Frauenmörder.
„Ich hatte meine eigenen Gründe, den Mann umzulegen, aber wenn ihr wollt, könnt ihr das Kopfgeld haben.“
Er schleuderte den Steckbrief auf den Boden vor Shelby.
„Alles schön und gut. Aber du verschwindest jetzt besser von hier, Boy“, erwiderte der Tavernenbesitzer jetzt deutlich unfreundlicher als vorher.
„Ich hatte nicht vor, zu bleiben. Aber sollte ich einen von euch in der nächsten Stunde hinter mir her reiten sehen, so sage ich euch, an meinem Sattel hängt ein Sharpskarabiner und der hat schon fünf Kerben im Schaft.“
Ohne seinen Revolver wegzustecken, trat Jim Donagan rückwärts in die Kälte hinaus und schloss die Tür. Sofort konnte er hören, wie die Kerle drinnen darüber stritten, ob sie ihn nicht gleich noch über den Haufen schießen sollten.
„Wegen dem kleinen Hurensohn? Auch wenn´s ein Scheiß-Nigger ist, der ´nen Weißen abgeknallt hat, verdammt, wegen dem geh ich nicht raus in die Kälte“, meinte schließlich einer der Kerle und erntete zustimmendes Murmeln.
Jim Donagan ging in den kleinen Stall und tätschelte seinen Schimmel.
„Es muss sein. Noch drei Meilen mein Guter, dann kommen wir nach Snow Hill, dort kannst du dich endlich ausruhen.“ Dann griff er auch zu den Zügeln des kleinen Fuchses, der bisher Shelby gehört hatte. Das Pferd war ausgeruht, also beschloss er, auf ihm nach Snow Hill zu reiten und den Schimmel für diese drei Meilen von seiner Last zu befreien.
Als die beiden Pferde den Stall verließen, trugen zwei Männer Shelbys Leiche nach draußen und lehnten sie an die Wand des Saloons. Wahrscheinlich wollten sie nicht, dass der Tote in der Hütte zu stinken anfing.
Sie beobachteten Jim Donagan kurz, der in einem Schleier des immer dichter fallenden Schnees verschwand, ehe sie wieder in die mollig warme Taverne zurückkehrten.

2
Snow Hill war ein kleines verträumtes Nest in einem fast verlassenen Seitental der Rockys. Kein Mensch von klarem Verstand würde gern freiwillig hier leben, wo die Wintermonate fast länger waren, als der kalte Sommer. Das Tal lag so hoch, dass die wenigen Nadelbäume hier nur noch mannshoch wuchsen. Snow Hill wirkte wie eine Stadt der Riesen in diesem Zwergenwald.
Was den Ort so attraktiv für Menschen gemacht hatte, waren die nahe gelegenen Kupferminen. Ein einzelner Eremit war auf der Suche nach Gold auf die Vorkommen gestoßen und als er sein Geheimnis nach einer Flasche Whisky im nächst größeren Ort ausgeplaudert hatte, dauerte es nicht lang, und die ersten hundert Siedler hatten ihre Zelte in dem Tal aufgeschlagen.
Die Häuser von Snow Hill zu bauen hatte einiges an Kraft gekostet, denn das nötige Bauholz musste von einer tieferen Stelle des Tals heraufgebracht werden. Ein Reiter, der sich die Mühe machte, zu dem Städtchen zu reisen, konnte noch immer die abgenagten Skelette der Pferde erkennen, die beim Bau qualvoll verendet waren.
Snow Hill bestand dennoch nur aus ein paar niedrigen Bergarbeiterhütten. Einige waren kaum mehr als Blockholzwände mit einem Zeltplanendach und einem Ofen, dass sich ein halbes Dutzend Bergarbeiter als Behausung teilten. Nur fünf Häuser waren größer und stabiler, das Büro der Bergbaugesellschaft, die schnell das Zepter an sich gerissen hatte, das Warenhaus und Büro der Transportgesellschaft, die zwei Mal im Monat das geschürfte Kupfer in langen Wagentrecks nach Falling Waters brachte, wo es dann auf einen Zug verladen wurde, ein Eisenwarenladen und zwei konkurrierende Hotel-Saloon-Puffs.
Normalerweise kam niemand nach Snow Hill, der nichts mit dem Bergbau zu tun hatte. Es sei denn er begleitete unverbrauchte Nutten für die Saloons. Doch an diesem klirrend kalten Tag stapften zwei Pferde durch die immer mehr im Schnee versinkende Straße. Auf dem vorderen saß ein aufrechter Reiter, der die Pellerine seines Mantels über den Kopf gezogen und dann seinen Hut drüber gestülpt hatte. Sein Pferd wirkte noch kräftig und frisch. Ganz anders der Grauschimmel, den der Mann an seinen Zügeln hinter sich her führte. Auf ihm lag ein in Büffelfelle gewickeltes blutendes Stück Fleisch, dass kaum noch als Mensch zu erkennen war.
Timothy Mullen war Kopfgeldjäger und er brachte seine Beute nach Sow Hill. In Gedanken verfluchte er den Tag, als er den Steckbrief für Jack Elam gesehen hatte, der von der Murphy&Scott Mining Coorporation wegen Diebstahls gesucht wurde. Timothy hatte den Täter wenig später in der Nähe des Indianerterritoriums gefangen und brachte ihn jetzt nach Snow Hill. Doch als er den Pass überquerte, der zu dem Städtchen hinaufführte und dabei den Schneefall beobachtete, war ihm klar, dass er wohl für ein paar Tage, wenn nicht Wochen und hoffentlich ja keine Monate in dem Kaff festsitzen würde.
Als Tim die kleine Straße erreichte, die die Hütten von Snow Hill bildeten, sah er keinen Menschen. Doch aus den Fenstern der Hotels und Bürohäuser schien Licht und auch die hell beleuchteten Zeltplanen der einfacheren Arbeiterhütten zeigten an, dass die Arbeit in den Minen für heute eingestellt war.
Tim hielt sein Pferd und betrachtete die beiden Saloons, die sich direkt gegenüberstanden, Pollicuts und Trigero.
„Was für seltsame Namen“, murmelte er zu dem Bündel Fleisch, das auf dem zweiten Pferd saß.
„Gibt’s hier einen Arzt“, stöhnte das Bündel zurück.
„Werden wir sehen.“
Aus der Tür des Pollicuts löste sich eine dunkle schemenhafte Figur. Ein Mann um die vierzig in einem eleganten dunklen Anzug aus dickem Wollstoff mit blassblauer Weste. Er hatte eine kurze, abgesägte Schrottflinte in der Hand, deren Mündung auf den Boden zeigte.
„Wer sind sie Fremder, dass sie bei diesem Scheißwetter durch die Gegend reiten“, fragte eine raue Stimme.
„Naja ich dachte, bei diesem Scheißwetter suche ich mir lieber ein warmes Hotel, als mich am Pass einschneien zu lassen und zu erfrieren.“
„Tim? Tim Mullen?“
„Wer will das wissen?“
Der Mann im Anzug trat auf die Straße heraus und kam auf Tim zu, der eine Hand am Griff seines Revolvers hatte. Doch als er den frierenden Anzugträger auf sich zukommen sah, entspannten sich die Züge des Kopfgeldjägers.
„Tom Webster! Was machst du denn hier?“
„Ich bin jetzt Marshal in diesem Nest. Sieht es wirklich schon so schlimm am Pass aus?“
„Der Schnee liegt bestimmt sechs Fuß hoch. Es können jetzt aber auch längst acht oder neun sein.“
„Scheiße“, fluchte Tom Webster und schüttelte sich vor Kälte. „Wen hast´n da hinten drauf?“
„Jack Elam.“
„Jack Elam? Verflucht noch eins!“
„Ich denke, den sucht ihr?“
„Die Minengesellschaft sucht ihn, mir wäre es lieber gewesen, du hättest ihn nicht gefunden.“
„Ist jetzt ein schlechter Zeitpunkt um umzukehren.“
„Hmmm.“ Webster zitterte immer heftiger vor Kälte. „Komm erst mal in mein Büro, da sehen wir weiter. Ich frier mir hier meinen Arsch ab.“
Tim folgte dem Marshal zum Lagerhaus der Murphy&Scott Mining Cooperation. Er stieg vom Pferd ab und band es mit dem Grauschimmel an einem Zaunpfosten an.
„Habt ihr einen Mietstall, oder so etwas?“
„Das Pollicuts hat einen kleinen Stall. Es kommen nicht viele Gäste hierher.“
„Okay, hilf mir den Kerl runterzuheben.“
Der Kopfgeldjäger schnitt mit seinem Bowiemesser ein paar Stricke durch, mit denen er Jack Elam auf sein Pferd gebunden hatte und als das stöhnende in Büffelfelle gewickelte Bündel vom Pferd glitt, fingen er und der Marshal ihn auf.
„Verflucht, was ist denn mit dem los?“
„Erklär ich dir drin.“
Die beiden schleiften Elam durch eine kleine Seitentür der Lagerhalle in einen dunklen Raum. Der Marshal zündete zwei Öllaternen an, die ihr blasses Licht auf zwei Zellen und einen Schreibtisch warfen.
„Ich wollte ursprünglich selber eine Postlinie eröffnen“, erklärte Webster. „Aber dann kam Stewart, der hier in der Gegend schon ´ne große Nummer ist. Und als Larry Cooper von der Minengesellschaft rausbekommen hatte, dass ich schon mal Sheriff war, da haben sie mir gleich wieder den Stern angeheftet und zumindest das kleine Büro hier gegeben.“
„Was zahlen sie dir?“
„Fünfundvierzig Dollar den Monat, dazu kleine Sonderzahlungen, wenn mal was passiert, falls ich einen ihrer Arbeiter festnehmen soll, oder wenn es zwischen den Kupferschürfern und so ´ner Nutte zu Gewaltakten kommt.“
„Klingt nach einem ruhigen Job“, meinte Tim Mullen.
„Ich überarbeite mich nicht.“ Der Marshal fing an, Jack Elam von seinen Fellen zu befreien, während der Kopfgeldjäger seinen Mantel ablegte. „Scheiße, was ist denn mit dem passiert“, fragte Webster schockiert, als Elam ihm den blutigen Verband an seinem rechten Unterarm entgegenhielt. Da wo einst eine Hand gewesen war, waren jetzt nur schwarze Baumwollfetzen.
„Ich habe ihn in einer Holzfällersiedlung ausgehoben. Er ist mit einer Axt auf mich losgegangen und mein Revolver hat gestreikt. Also haben wir gekämpft. Ich hab ihm die Axt aus den Händen gewunden und da will er zu einem Stein greifen, der neben ihm lag. Und schon war die Hand ab.“
„Mit einem Hieb?“
„Naja, war eben eine richtige Holzfälleraxt. Habt ihr so was wie einen Arzt in diesem Kaff?“
Webster kratzte sich am Kopf.
„Naja eigentlich nur einen Mösendoktor, der Salben und Pillen verschreiben kann. Ob er das hinbekommt... Wie lang warst du mit ihm unterwegs?“
„Drei Tage.“
„Verdammt, dann hat sich die Wunde bestimmt infiziert.“
Tim zuckte mitleidslos mit den Schultern.
„Ich schließ ihn erst einmal ein.“
Die beiden schleiften Elam in eine der Zellen und gingen dann nach draußen. Tim Mullen nahm die beiden Pferde.
„Wo ist der Stall?“
„Hinter dem Pollicuts.“
Webster zeigte Tim den Weg. Unterwegs fragte er: „Du weißt, weswegen sie Elam suchen?“
„Diebstahl“, meinte Tim teilnahmslos.
„Ja, er ist mit zwei Säcken Kupfererz im Wert von vielleicht vier-, fünfhundert Dollar geflohen, weil die Gesellschaft ihm drei Monatslöhne schuldete.“
„Nur ihm?“
„Allen. Sie haben es damit begründet, dass die Männer wegen der Kälte nicht ihre vollen Stunden in den Minen bringen würden und haben die Löhne einfach einbehalten.“
„Und du hast nichts dagegen unternommen?“
„Ich soll die Hand beißen, die mir meine fünfundvierzig Dollar zahlt?“
„Verstehe.“
„Jedenfalls hatte ich gehofft, dass Elam es schafft und einfach verschwindet. Jetzt werden sie ihn sicher hängen wollen und wenn der Pass zu ist und kein Richter kommen kann, dann habe ich bald einen Lynchmob am Hals.“
„Tut mir ehrlich leid“, antwortete Tim.
Sie brachten die beiden Pferde in den kleinen Mietstahl, in dem es kaum Stroh gab. Tim sattelte die Tiere ab und folgte dem Marshal durch einen keinen Verschlag ins Innere des Saloons.
Der große Schankraum war durch dutzende Kerzen und Laternen hell erleuchtet. Drei Öfen spendeten eine angenehme Wärme. An den sieben Tischen saßen Arbeiter in abgerissenen Sack Coats, tranken, spielten und scherzten. Ein paar Huren in schäbigen Kleidern waren auf der Suche nach Freiern.
„Hej Süßer“, wurde Tim auch sogleich von der Seite angemacht. „Ein neues Gesicht in der Stadt. Und was für ein Süßes. Hej Marshal, wer ist ihr Freund?“
Tim betrachtete das schlanke Mädchen mit den blauen Augen und den lockigen blonden Haaren. „Ich mag erst mal was trinken. Vielleicht hast du ja in einer halben Stunde noch Zeit für mich.“
„Auch noch in einer ganzen“, antwortete das Mädchen, drückte sich an ihn und legte die Hand für einen Moment in seinen Schritt.
Tim und der Marshal gingen an die Bar, hinter der ein kleiner Mann mit elegantem Schnautzbart und glatt an den Kopf gelegten schwarzen Haaren genüsslich an einer Zigarre paffte.
„Hej Rob. Ist der Doc da?“
„Beschaut sich gerade oben Laylas Muschi. Die ist entzündet.“
„Ich brauch ihn jetzt.“
„Wollen sie mir nicht den jungen Mann vorstellen, Marshal?“
„Ich hätte gern einen doppelten Whisky“, schaltete sich Tim in das Gespräch ein und legte einen Dollar auf den Tresen. Es war der Preis für ein Glas Whisky, so wie er mit Kohle auf die Holzbohlen hinter „Rob“ gekritzelt worden war.
„Sehr gern“, meinte der Saloonbesitzer mit gespielter überschwänglicher Höflichkeit und schenkte dem Kopfgeldjäger ein Glas voll. „Sonst noch etwas?“
„Jup“, antwortete Tim und leerte erst einmal das Glas in einem Zug. „Noch einen.“
Rob ließ die Flasche aus seiner Hand nach vorn kippen und schon war das Glas wieder voll.
„Hätten sie ein Zimmer für mich“, fragte Tim, bevor er trank.
„Wenn sie noch Geld genug haben, um wenigstens ihren Whisky zu bezahlen.“
Tim Mullen griff in seine Jackentasche, holte seine Schweinsledergeldbörse hervor und legte eine zerknitterte Fünf-Dollarnote auf den Tisch.
„Das reicht für den Whisky und vier Übernachtungen“, meinte Rob.
„Nein, das reicht für diesen Whisky und noch vier, die ich vorhabe zu trinken. Einen Dollar das Zimmer?“
„Jup. Eins zwanzig mit Frühstück. Und Mary, mit deren gewandter Hand ihre Eier schon Bekanntschaft gemacht haben, kriegen sie für vier Dollar die Stunde, oder zwanzig für die ganze Nacht, reicher Mann.“
„Also sechs Dollar für den Rest der Woche?“ Tim zählte sechs Ein-Dollarscheine auf den Tresen.
„Willkommen im Pollicuts. Robert Jenkins, mein Name.“ Der Saloonbesitzer reichte Tim seine Hand.
„Timothy Mullen.“
„Ich gehe den Doc holen“, sagte Tom Webster, der das Gespräch belauscht hatte.

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