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Osanna Vaughn

Das Erbe der Runen

Band 3:
Das Vermächtnis des Falken

Roman

hockebooks

Alle Blicke richteten sich auf die Zeichnung und jeder Betrachter erfreute sich an der Eleganz der Linien, dem glatten Bug und dem großzügigen Segel, aber auch an der detaillierten Darstellung der Bauanleitung.

»Es ist wundervoll«, flüsterte Bretta. »Weshalb haben die Elben dieses Wissen vorher nie mit uns geteilt?«

»Celeberin erklärte mir, dass die Elben nicht weiter in unser Leben eingreifen wollten, nachdem sie zwischen den Uzoma und den Stämmen die Nebelwand geschaffen hatten. Sie ließen uns von da an unsere eigenen Entdeckungen machen, unsere eigenen Schwerpunkte wählen. Dieses Volk gab uns die Chance, in Frieden und Reichtum zu leben. Doch wie wir unser Schicksal gestalten, lag in unserer Verantwortung«, erzählte Alduin.

»Aber jetzt gibt er dir das?«, fragte Bardelph.

»Die Elben erkennen Moreya als ein Kind an, das eine besondere Aufgabe zu erfüllen hat. Wahrscheinlich beschränkt sich dies nicht nur auf Nymath. Sie sind davon überzeugt, dass wir diese Reise unternehmen sollten, und tatsächlich ist es so, dass Celeberin uns begleiten wird.«

»Welche Erleichterung!«, rief Calborth aus. »Dies ist die erste gute Nachricht, die ich heute höre!«

»So, dann sag, wie viele Leute auf diesem Schiff Platz haben?«, fragte Bardelph nachdenklich.

»Ungefähr zwanzig«, erwiderte Alduin.

»Zwanzig Seelen?«, rief Bardelph aus. »Wer kommt denn alles mit dir?«

»Also, wir brauchen einen Kapitän und eine Besatzung. Ich rechne da mit einigen Seeleuten, die nach einem Abenteuer suchen.«

Bardelph sah hinüber zu Aranthia, die fragend ihre Augenbrauen hob, aber kein Wort sagte.

Er schaute wieder auf die Pläne.

»Interessant.«

»Wo wirst du dieses Schiff bauen?«, fragte Calborth.

»Hier.«

Alduin zeigte auf die mittlere der drei Buchteninseln.

»Celeberin war da unbeugsam. Das Schiff muss außerhalb des Festlandes gebaut werden und diese Insel hat alle notwendigen Voraussetzungen. Kaum bevölkert, viel Nutzwald, frisches Wasser und Wild. Wir können dort jagen und uns um Proviant für die Reise kümmern.«

»Und du vertraust darauf, dass einige Bootsbauer mit dir dorthin gehen werden?«, wollte Rael noch wissen.

»Ja«, antwortete Alduin überzeugt. »Celeberin wird den Bau anleiten und die Pläne sicher verwahren, sodass keiner sie kopieren kann. Die Bootsbauer werden dennoch einige brauchbare Arbeitsweisen erlernen, die ihnen in der Zukunft helfen werden. Die Elben sind bereit, diesen Kompromiss einzugehen.«

»Hört sich an, als hättet ihr einen interessanten Sommer vor euch.«

Bardelph schmunzelte.

»Vielleicht könntet ihr während der Vorbereitungen einen Jäger und eine Heilerin gebrauchen?«

Alduin und Erilea sahen ihn überrascht an und warfen einen fragenden Blick zu Aranthia, die lächelte und nickte.

»Ein Ortswechsel wäre sehr schön«, meinte sie. »Ich bin sicher, dass es dort interessante Pflanzen gibt, deren Heilkräfte erst noch entdeckt werden müssen.«

»Ihr wollt wirklich mit uns kommen?«, fragte Erilea erfreut. »Das wäre wunderbar.«

»Über den Sommer. Warum nicht? Natürlich nur, wenn Meister Calborth auf mich verzichten kann«, setzte Bardelph schnell dazu. »Die Schüler werden alle fort sein«, schnaubte Calborth. »Die paar Aufgaben, die in den Sommerferien bleiben, schaffe ich auch alleine.«

»Ich helfe dir gerne, Meister«, bot sich Rael an. »Ich habe derzeit nicht die Absicht, die Stadt zu verlassen.«

Nur Erilea fiel es auf, dass Alduin bei der Endgültigkeit von Raels Worten kurz zusammenzuckte. Sie erkannte, dass er für einen Moment gehofft hatte, seine Freunde würden ihn wenigstens den Sommer über begleiten. Erilea lehnte sich hinüber und drückte seine Hand.

Er sah sie kurz dankbar an und ergriff wieder das Wort.

»Ich wollte meinen Vater … Cal … und Marla fragen, ob sie uns auf die Insel begleiten wollen. Sie sind ohnehin schon auf dem Weg in die Stadt und werden in einigen Tagen hier sein. Ich möchte, dass er die Gelegenheit hat, seine Enkelin näher kennenzulernen.«

»Das ist eine schöne Idee«, bemerkte Aranthia.

Auch Bardelph nickte zustimmend.

»Also, wann planst du, Sanforan zu verlas…«

Mitten im Satz wurde Rael von der Ankunft Triels, Lambriths und Galdans unterbrochen, die aufgeregt und vor Freude strahlend hereinkamen.

»Wir kommen mit dir«, platzte Triel heraus. »Wir haben es mit den anderen besprochen. Wir sind mit dabei!«

»Jetzt aber mal Halt für einen Moment«, bremste ihn Rael. »Du kannst nicht einfach … einfach … eine solche Entscheidung treffen, ohne sonst irgendjemanden zu fragen. Was ist mit deiner Mutter? Und, ganz nebenbei, mit mir? Oder mit euren Eltern?«, fügte er hinzu und schaute Triels Kameraden an.

»Bei allem schuldigen Respekt, Falkner Rael«, sagte Galdan ruhig. »Wir sind vollwertige Falkner. Wir gehen unseren eigenen Weg und wir treffen unsere eigenen Entscheidungen.«

Bretta schnappte nach Luft, denn in diesem Moment wurde ihr klar, dass er damit recht hatte. Durch den Bund mit ihren Falken nabelten sich die jungen Männer von der Familie ab, die nun auf den zweiten Platz rücken würde. Von nun an würden die jungen Falkner ihr eigenes Leben führen. So war es schon immer gewesen und auch, wenn es ihr das Herz brach. Sie wusste, dass sie es akzeptieren musste.

»Sie haben recht«, flüsterte sie und beugte sich zu Rael. »Du weißt es.«

Für einige bedrückende Momente sprach keiner. Die Wahrheit, die in Galdans Worten lag, musste schweren Herzens anerkannt werden.

Es war Meister Calborth, der endlich das Schweigen brach.

»Und was werdet ihr dem Gilden-Rat mitteilen?«

»Wir neun hatten eine lange Diskussion«, erklärte Lambrith. »Es wurde sehr schnell deutlich, dass keiner von uns sein Erbe verneint oder ablehnt. Wir wollen den Traditionen und dem Kodex folgen … sofern uns unser Gewissen nicht zu einem anderen Verhalten zwingt. Keiner unter uns will absichtlich mit der Gilde in Konflikt kommen. Andererseits, wenn die Situation es erfordern sollte … werden wir auch dies nicht ignorieren können. Deshalb …«

»Zusammenfassend …«, übernahm Triel das Wort, »… kann man also sagen: Wir sind Falkner von Nymath … bis wir keine mehr sind … sozusagen!«

Lambrith sah ihn zuerst verwirrt an, musste dann aber lächeln. »Genau. So ist es!«

Die jungen Männer zogen sich einen Stuhl heran und setzten sich zu den anderen an den Tisch. Alduin erklärte ihnen in groben Zügen den Plan, zeigte ihnen die Landkarte und die Zeichnung des Schiffes. Seine wachsende Begeisterung über das vor ihm liegende Abenteuer war ansteckend und hellte die Stimmung in der Stube nach und nach auf.

»Da sollte genug Raum für euch neun sein«, meinte Alduin. »Das Schiff ist für ungefähr zwanzig Leute gedacht.«

Triel sah ihn überrascht an.

»Wenn ich sagte, wir kommen mit, sprach ich von Galdan, Lambrith und mir. Die anderen werden irgendwo in Nymath herumreisen oder hier in Sanforan bleiben.«

Galdan nickte.

»Ja. Wir sind übereingekommen, dass es unklug wäre, wenn wir alle dich begleiten würden. Wir halten es für nützlich, Augen und Ohren überall in Nymath zu haben. Da wir uns sehr nahestehen, werden wir auf jeden Fall miteinander in Verbindung bleiben.«

»Das ist richtig«, antwortete Alduin. »Wir freuen uns auf jeden Fall darüber, einige von euch bei uns zu haben, und Moreya wird über allen Wolken schweben. Ich weiß, sie ist ein starkes kleines Mädchen. Aber wir haben uns Sorgen darüber gemacht, wie es für sie sein würde, alles hinter sich lassen zu müssen.«

»Nun, das wird ja jetzt nicht passieren, oder?«, stellte Bardelph fest. »Wenigstens wird sie viele Familienmitglieder und Freunde um sich haben.«

»Wann wirst du Sanforan verlassen?«, kehrte Rael zu seiner ursprünglichen Frage zurück.

»Wie ich schon sagte, in einigen Tagen wird Cal hier sein. Wenn er und Marla uns nicht begleiten wollen, werden wir ein paar Tage länger bleiben. Kommen sie aber mit, können wir jederzeit aufbrechen. Ich habe bereits einige Karren und etliches an Zubehör für uns gesichert.«

»Das hört sich an, als sei bereits alles entschieden«, sagte Rael mutlos. »Bleibt nichts anderes zu tun, als die restliche kurze Zeit mit euch zu genießen.«

Alduin sah ihn an und versuchte, tröstende Worte zu finden, aber es fiel ihm schwer.

»Du hast recht. Lasst uns die verbleibende Zeit genießen«, war das Einzige, was er noch sagen konnte.

Seine Kehle war wie zugeschnürt.

Große Zugpferde wurden an die beiden Karren angeschirrt, die vor dem Osttor der Stadt standen. Die Tiere warteten geduldig und schüttelten nur ab und zu mit dem Kopf, um lästige Fliegen zu verscheuchen. Sie hatten offensichtlich keine Eile, ihre schwere Last zu ziehen.

Cal stieg auf den Kutschbock des einen Karren und reichte Marla seine Hand. Mit einem Stöhnen ließ sich die plumpe Kataurin an seine Seite ziehen.

An der Rückseite der Karren war jeweils ein schöner schwarzer Hengst angebunden. An einem Wagen war es Nachteule, Cardols Pferd: Der Kataure hatte darauf bestanden, die Reisenden zumindest einen Teil des Weges zu begleiten. Hinter dem anderen Wagen stand Schwarzkristall. Cardols Vetter Grest hatte ihn Alduin als ein sehr großzügiges Geschenk überlassen.

Der Himmel begann, sich aufzuhellen. Alduin hatte die Einzelheiten seiner Abreise geheim gehalten und so waren es nur Rael, Bretta und Meister Calborth, die sich am Tor versammelt hatten. Auch Celeberin stand dabei und sah zu, wie man sich noch einmal in den Arm nahm, die Hände drückte, Fäuste zum Herz geführt wurden und ungehemmt Tränen über die Gesichter liefen.

Für einen Moment hielt Bretta Triel so fest umschlungen, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Doch Rael löste zärtlich ihre Arme. Stattdessen drückte er sie an sich und sie begann, an seiner Schulter zu schluchzen.

Lambrith und Galdan standen etwas abseits und erinnerten sich wehmütig an den Abschied von ihren Familien am Abend zuvor.

Der zweite Karren transportierte neben den unterschiedlichsten Gebrauchsgegenständen auch vier Käfige mit schläfrigen Falken. Bardelph kletterte hoch und nahm die Zügel in die Hand. Aranthia setzte sich neben ihn und Moreya kuschelte sich gemütlich zwischen die beiden, wobei sie mit ihren molligen kleinen Armen Elin, die Katze, an sich drückte. Die Augen des kleinen Mädchens leuchteten: Es war unverkennbar, dass sie eifriger darauf bedacht war, was die Zukunft für sie bereithalten würde, als besorgt darüber, was sie zurückgelassen hatte.

Nun waren es zuletzt nur noch Alduin und Erilea, die sich von ihren engsten Freunden und Alduins Mentor, dem Meister der Falkenhalle, verabschieden mussten. Brettas Kummer machte es schwierig für Alduin und Rael, mehr als einen langen, nachdenklichen Blick und ein letztes anerkennendes und verständnisvolles Nicken zu tauschen. Erilea schlang ihre Arme, soweit sie konnte, um Rael und Bretta und drückte sie leidenschaftlich. Dann gab sie Calborth zu seiner großen Freude einen festen Kuss auf die Wange, bevor sie ihrem Mann das Feld überließ.

»Meister«, begann Alduin und sah Calborth an. Nie zuvor war ihm aufgefallen, wie sehr er den Mann liebte. »Ich werde Rihscha mit Botschaften senden, solange es möglich ist. Und eines Tages werden wir zurückkehren, um dir all unsere Abenteuer zu erzählen und von unseren Entdeckungen zu berichten.«

»Mach das, Falkner Alduin«, erwiderte der alte Raide und streckte sich in die Höhe. Obwohl alle wussten, dass es höchst unwahrscheinlich war, schien es, als wolle er sich selbst und die anderen davon überzeugen, dass er so etwas durchaus noch erleben werde.

»Mach das.«

Alduin schaute in Calborths verdächtig glitzernde Augen, hob langsam seine fest geschlossene Faust zur Mitte seiner Brust und verbeugte sich.

»Möge Fürst Gilian dich ewig begleiten«, sagte er und unterdrückte das dringende Bedürfnis, verstohlen eine Träne wegzuwischen.

»Und dich auch«, erwiderte Calborth den Segen.

Nachdem die letzten traurigen Abschiedsgrüße und Lebewohls ausgetauscht waren, standen Rael, Bretta und Meister Calborth am Tor, bis die Karren und die Menschen, die nebenher liefen, langsam zu einem Punkt in der Ferne schrumpften. Die frühmorgendliche Dämmerung brachte Frieden in ihre aufgewühlten Gefühle. Sie mussten sich anstrengen, noch etwas zu erkennen, denn im Licht des neuen Tages zeigte sich die Welt in grellen Farben und scharfen Kontrasten. Blutrote und goldene Nebel stiegen über dem dunklen Land auf und verschluckten endgültig die Sicht auf die scheidenden Freunde.

Ein Lichtfunke blitzte am Horizont, schnell gefolgt von einem feuerroten Leuchten, als die Sonne allmählich aufging. Widerstrebend schützten sie ihre Augen vor der strahlenden Helligkeit, bis sie gezwungen waren, den Blick abzuwenden. Langsam drehten sie sich um und gingen zurück zur Zitadelle.

Glossar

Alduin:

Falkner von Nymath, Gefährte des Marvenfalken Rihscha; Aranthias Sohn: halb Raide, halb Wunand; Erileas Mann mit der gemeinsamen Tochter Moreya

Andaurien:

Land nördlich der Wüste, in das die Stämme von Nymath vor Jahrhunderten fliehen mussten

Aranthia:

Alduins Mutter; gehört zum Stamm der Wunand, zog es jedoch lange Zeit vor, allein als Heilerin im Wald zu leben; Gefährtin von Bardelph

Arek:

Wildkatze, lebt in den westlich vom Fluss Mangipohr gelegenen Wäldern

Arnad:

Fluss zwischen dem Nordrand des Pandarasgebirges und der Wüste

Asnar:

Gott der ruhenden Macht, des Krieges und der Verteidigung; von den Katauren verehrt

Aural:

Falkner von Nymath, einer von Stantels Komplizen

Bactistrauch:

Strauch mit großen roten Blüten und süßen Früchten

Bado:

Moreyas Kosename für Bardelph

Bardelph:

Fallensteller vom Stamm der Raiden und Lehrer in der Falkenhalle; Aranthias Gefährte

Bast:

Stantels Falke

Bratho:

Taros Falke

Braxt:

Falkner von Nymath, Marshalts Vater

Brend:

kataurischer Schankwirt in Lemrik

Bretta:

Triels Mutter und Raels Frau, Lotans Schwester

Broon:

Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Bryant:

Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Burak:

in Nymath vorkommende Rehart

Cal (Calborth):

Alduins Vater vom Stamm der Raiden, nicht zu verwechseln mit Calborth, dem Falkenmeister

Calba:

warmes Getränk, das aus gerösteten und gemahlenen Körnern verschiedener Pflanzen hergestellt wird

Calborth:

Falkenmeister von Nymath

Calvar:

Seans Falke

Cantel:

Sohn des Falkners Stantel

Cardol:

ein kataurischer Soldat, Freund von Alduin

Celeberin:

Gelehrter der Elben

Cen Amaurea:

Land der Morgenröte: mystisches Land der Elben südlich des Horizonts

Cirlim:

Elbenname für den Schiffsfisch, auch Delfin genannt

Cita:

kleinste Münze von Nymath, aus Bronze

Creis:

Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Dök:

Pflanze mit großen Blättern; wird gern als Küchengewürz verwendet

Duram:

zweitkleinste Münze Nymaths, aus Kupfer

Elben:

siehe Abschnitt »Völker und Stämme Nymaths«

Elin:

bedeutet Stern; die Göttin Emo in Gestalt einer Arekkatze

Emmer:

Urform des Weizens

Emo:

von den Wunand verehrte Göttin, die »Wilde Jägerin«; ihr Name wird zugleich als Redensart im Sinne von »So sei es« benutzt

Erilea:

Wunand-Amazone; Alduins Partnerin und Moreyas Mutter

Felkar:

ein Ältester der Raiden, Komplize von Stantel

Falkenhalle:

Hauptgebäude im Falkenhaus mit Brutstätte, Ausrüstungs- und Futterkammern

Falstar:

Triels Falke

Farnel:

Falkner von Nymath; Galdans Vater

Fath:

siehe Abschnitt »Völker und Stämme Nymaths«

Galdan:

Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Gaelithil:

Elbensprache für »Schimmernder Mond«; Elbenpriesterin, die den Magischen Nebel entlang des Arnad wob

Gilian:

von den Raiden verehrter Gott der Lüfte und der Winde

Gistel:

Broons Falke

Gorston:

Falkner von Nymath; Bryants Vater

Grathmen:

Falkner von Nymath; Creis’ Vater

Grest:

ein Kataure; Cardols Cousin

Insel der Götter:

eine magische Insel auf einem See im Nordosten von Nymath; hier trafen Alduin, Erilea und Rael den Gott Gilian und die Göttin Emo

Ithilfalke:

Falkenart, die in der Falkenhalle gezüchtet wird

Jatamansi:

Pflanzenextrakt; dient als Betäubungsmittel

Jerrica:

Brends Frau

Jungfer Calborth:

Zwillingsschwester des Falkenmeisters Calborth und Hausmutter der Falkenhalle

Katauren:

siehe Abschnitt »Völker und Stämme Nymaths«

Kodex:

Buch mit Richtlinien für die Falkner von Nymath

Krath:

Falke von Alduins Vater Cal

Lambrith:

Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Lemrik:

Dorf am Fluss Mangipohr

Lotan:

Alduins ehemaliger Lehrer im Bogenschießen; Bruder von Bretta und Onkel von Triel

Magner:

Lambriths Falke

Mallorn:

eine im Elbenwald vorkommende majestätische Baumart

Mangipohr:

größter Fluss von Nymath

Marla:

die kataurische Partnerin von Cal

Marshalt:

Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Marvenfalke:

seltene Falkenart, die normalerweise nur im Pandarasgebirge vorkommt

Melethiell:

Elbenname für »Tochter der Liebe«; Abgeordnete der Elben im Hohen Rat von Nymath

Mimi:

Moreyas Kosename für ihre Großmutter Aranthia

Moreya:

Alduins und Erileas Tochter

Nachteule:

Cardols schwarzer Hengst

Nymath:

Land zwischen dem Pandarasgebirge und dem Schwarzen Ozean

Onur:

siehe Abschnitt »Völker und Stämme Nymaths«

Pandarasgebirge:

die sich von Ost nach West erstreckende Gebirgskette in Nymath, die das Land vom übrigen Kontinent abgrenzt

Parna:

eine Zeit des Rückzugs und der Selbstfindung, die bei einigen Wunand-Amazonen direkt an ihre Ausbildung anschließt

Peeka:

Marshalts Falke

Pent:

größte Münze Nymaths im Wert von zwei Duram; aus Silber

Peeri:

kleine Rehart

Preshar:

Creis’ Falke

Priselsaft:

aus den kleinen sauren Beeren des Priselbuschs gepresst; der Saft wird gern mit Wasser verdünnt, gut gezuckert getrunken; unverdünnt eignet er sich als Lösungsmittel oder zur Körperreinigung

Purkabaum:

Baumart von Nymath mit dreispitzigen dreigeteilten Blättern

Rael:

Falkner von Nymath; Alduins engster Freund

Raiden:

siehe Abschnitt »Völker und Stämme Nymaths«

Rihscha:

Alduins Marvenfalke

Sanforan:

Hauptstadt Nymaths, an der südlichen Felsküste Nymaths gelegen

Schwarzkristall:

Hengst, den sich Alduin von dem Katauren Grest ausgeliehen hat

Sean:

Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Siebentag:

in Nymath gebräuchliches Zeitmaß, entspricht einer Woche

Sirath:

Galdans Falke

Sivella:

Raels weiblicher Falke

Sordan:

ehemaliger Falkner; Sprecher für den kurzfristig einberufenen Falknerrat

Stantel:

ein Falkner, der eine Verschwörung gegen Moreya anführt

Taro:

Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Talagand:

Elbenwort für Gelehrte

Tirla:

Grests Ehefrau

Triel:

Brettas Sohn und Raels Stiefsohn; Jungfalkner; gehört zu Moreyas Neune

Uzoma:

siehe Abschnitt »Völker und Stämme Nymaths«

Voron:

Bryants Falke

Wolfsfuß:

grasähnliche Pflanze mit unglaublicher Heilwirkung

Wunand:

siehe Abschnitt »Völker und Stämme Nymaths«

Wyron:

Insel weit im Südwesten

Die Völker und Stämme Nymaths

Die Fath

Die Fath waren einst ein Wüstenvolk. Das Leben spendende Element Wasser gilt ihnen als heilig. Als die Fath nach der Flucht aus Andaurien zum ersten Mal das Meer erblickten, verharrten sie voller Ehrfurcht. Schließlich wurde aus dem Wüstenvolk der Stamm der Fischer.

Die Katauren

Der Stamm der Reiter. Um die Nähe zu den Pferden und das freie Leben mit ihnen zu wahren, besiedelten die stolzen Katauren als Bauern oder Handwerker die fruchtbaren Ebenen Nymaths. Dort leben sie oft auf abgeschiedenen Höfen in kleinen Familiengruppen zusammen. Lanze und Speer sind ihre Hauptwaffen.

Die Onur

Der Stamm der Könige und Schwerter. Über viele Generationen hinweg wurden die Könige Andauriens von diesem Stamm gestellt. Zu seinem Wort zu stehen, ist einem Onur wichtiger, als sein eigenes Leben zu schützen. Das Wichtigste für einen Onur sind seine Ehre, seine Familie – und sein Schwert.

Die Raiden

Der ehrgeizige Stamm der Falkner: Einige der Raiden verfügen über die Gabe, eine geistige Verbindung mit einem Falken einzugehen. Die seltene Begabung der Falkner wird vom Vater auf den Sohn vererbt. Sie sind hoch geachtet und Vorbild für alle Raiden. Die bevorzugte Waffe der Raiden ist der Bogen.

Die Wunand

Der Stamm der Jägerinnen. In den Sümpfen von Nymath leben die Wunand in Clans zusammen, wobei die Clan-Älteste das Sagen hat. Den wenigen Männern sind Kampf und Waffengang untersagt. Ihnen obliegt die Hausarbeit. In der verbleibenden Zeit widmen sie sich den schönen Künsten. Die Waffen der Wunand-Kriegerinnen sind Bogen, Speer und Feuerpeitsche sowie ein ritueller Dolch in Form einer Flamme.

Die Elben

Ein anmutiges, langlebiges und hellhäutiges Volk mit spitzen Ohren und silberblonden Haaren. Ein Teil der Elben strandete bei einem Unwetter vor der Küste Nymaths. Getrennt von der restlichen Flotte, wartet das magiebegabte Volk auf die Rückkehr eines wandernden Sterns, der ihm den Weg in eine ferne Heimat weisen soll.

Die Uzoma

Die dunkelhäutigen Ureinwohner Nymaths. Die Uzoma sind ein menschenähnliches Volk, das die Menschen vom Wuchs her jedoch überragt. Einst gewährten sie den Menschen in Nymath Zuflucht und wurden später von ihnen bekämpft. Nachdem die Elben die Uzoma hinter den Nebel verbannten, fielen sie dem Glauben an den Dunklen Gott anheim.

Die weiteren Titel der Saga »Das Erbe der Runen«

Band1:
Der Schrei des Falken
978-3-95751-248-2

Alduin kann sich mit der Seele eines Falken verbinden, mit ihm fliegen und durch seine Augen sehen. Diese Gabe erkennt er, als er das verlassene Falkenküken Rihscha aufzieht. Doch der Junge hat noch eine zweite Gabe. Er kann in die Zukunft und in die Vergangenheit sehen. Mit Hilfe seiner besonderen Fähigkeiten und der Unterstützung seiner beiden treuen Gefährten Erilea und Real, ist es seine Bestimmung, die Nebelsängerin Kristin aus den Fängen der Dunkelheit zu befreien. Band 1 der Saga Das Erbe der Runen von Osanna Vaughn.

Band 2:
Im Auge des Falken
978-3-95751-247-5

Zwei Jahre sind vergangen, seit der junge Falkner Alduin mit seinem Falkendie Nebelsängerin aus den Fängen der Dunkelheit befreit hat. Doch nach einem Unfall hat Alduin sein Gedächtnis verloren. Er weiß nicht, wer er ist, und irrt mit dem Falken Rihscha durch das Land . Wie soll er jemals wieder nach Hause zurück finden? Doch seine besonderen Fähigkeiten haben Alduin nicht verlassen. Noch immer kann er mit den Augen seines Falken sehen und in die Zukunft blicken. In einer Vision zeigt ihm sein längst verschollener Vater einen magischen Ort an dem Mensch und Falke gemeinsam den Pfad der Unsterblichkeit begehen können. So verfolgt Alduin jetzt nur noch ein Ziel: Er will seinem Vater folgen und unsterblich werden. Band 2 der Saga Das Erbe der Runen von Osanna Vaughn.

Die Autorin

Vaughn Osanna
Osanna Vaughn

Osanna Vaughn wurde 1955 mit ihrer Zwillingsschwester auf der britischen Kanalinsel Jersey geboren. Ihre Jugend hat sie mit ihrer Familie in Spanien verbracht und besuchte dort spanische und französische Schulen. Seit 1984 lebt die viersprachige Autorin mit ihrem Mann Dylan, einem Musiker, in Hamburg. Das Ehepaar hat 4 Kinder. Schon mit 16 hat Osanna Vaughn mit Leidenschaft Tolkiens Herr der Ringe gelesen und sich für seine Welt und seinen Schreibstil begeistert. So schrieb sie dann bald auch schon die Songtexte für die Sony Produktion zur Fantasy-Trilogie Das Erbe der Runen. In ihrer Muttersprache erschien The Chronicles of the Falconers of Nymath als Jugendbuchreihe. Sie veröffentlichte dann im Jahr 2006 im Arena Verlag den Jugendroman Der Schrei des Falken in deutscher Sprache, 2008 erschien der Titel Im Auge des Falken und es folgte der dritte Band unter dem Titel Das Vermächtnis des Falken. Sie arbeitet aktuell an einem Abenteuerroman, der auf Borneo spielt und an einem Vorläufer der Falkensaga.

Aus dem Englischen von Monika Cherkaoui

Das Vermächtnis des Falken zählt zu den Veröffentlichungen von DAS ERBE DER RUNEN – einem internationalen multimedialen Projekt, das Buch und Musik verbindet.

Der Stoff greift die Welt Nymath auf, kreiert von der erfolgreichen Fantasy-Autorin Monika Felten.

Prolog

Seit Generationen lag die Siedlung verlassen, tief im Wald nordöstlich von Sanforan. Auch heute wirkten die hölzernen Gebäude auf den ersten Blick noch immer unbewohnt. Dort, wo einst die Dachziegel in Reih und Glied lagen, klafften jetzt riesige Löcher. Aus den Fugen der Holzwände wucherte das Unkraut und die Gartenzäune waren an vielen Stellen in sich zusammengefallen. Nebelschleier stiegen leise vom Boden auf, wie ein zartes Gespinst, das heimtückisch alles umhüllte. Es schien, als wollten die Nebel den Ort ersticken. Doch die, denen die geheime Einladung zugegangen war, wussten es besser.

In der dunkelsten Nacht des Monats schlichen acht Männer in langen Umhängen vermummt durch den Wald von Nymath. Sie folgten den Trampelpfaden zwischen den Bäumen, und als das erste Licht der anbrechenden Morgendämmerung den Himmel schwach erhellte, erreichten sie ihr Ziel – die geheimnisvolle Siedlung. Innerhalb weniger Momente huschten sie nun einer nach dem anderen verstohlen über die Lichtung, ein jeder von ihnen mit einem Falken auf der behandschuhten Faust. Kurz bevor sie geduckt durch die Eingangstür des Haupthauses schlüpften, ließen sie die Vögel fliegen, die sich selbst ihren Ruheplatz suchen konnten.

Stantel, ein groß gewachsener, hochmütiger Raide, traf als Letzter ein. Seine fein gezeichneten Gesichtszüge waren durch eine hässliche, noch ganz frische Narbe unter dem linken Auge entstellt. Blitzschnell durchmaßen seine Augen den düsteren Hauptraum, der mit den wenigen Talgkerzen auf dem Kaminsims nur spärlich beleuchtet war. Er vergewisserte sich der vollständigen Zahl der Anwesenden und nickte.

»Gut, soweit ich sehe, sind wir jetzt vollzählig.«

Er verbeugte sich vor einem der Männer, der in einer Ecke des Raumes kauerte, und legte dabei die Hand nachlässig auf die Brust. Es war offensichtlich, wie wenig Respekt in dieser eigentlich so ehrerbietigen Geste lag.

»Danke, Lotan, dass wir deine bescheidene Unterkunft nutzen dürfen«, sagte er.

Lotan murmelte etwas vor sich hin und musterte dabei nervös die Gesichter der Männer, die um den Tisch herum saßen. Alle waren erfahrene Raiden-Falkner. Sie um sich zu haben, löste in ihm ein unangenehmes Gefühl aus. Drei Mal hatte er gehofft, sich mit einem Falken verbinden zu können, und drei Mal blieb es ihm versagt. Stattdessen wurde er zu einem hochgeachteten Lehrer im Fach des Bogenschießens in der Falkenhalle. Viele Jahre hatte er das Beste aus seiner trostlosen Situation gemacht. Bis zu dem Tag, als dieser Emporkömmling mit dem wilden Falken seine Wege kreuzte: Alduin.

Seither hatte sich alles geändert und das Gefühl bitterer Enttäuschung kehrte erneut und mit ganzer Kraft zurück. Er schmiedete einen Racheplan nach dem anderen, doch keiner davon wollte so recht zum Ziel führen. Und ausgerechnet dann, als sich endlich eine gute Gelegenheit bot, Alduin zu schaden, erkrankte Lotan ernsthaft. Sein Handlanger Carto, dieser Schwachkopf von Fath, hatte dann eigenmächtig das Unvorstellbare getan und Alduins Falken mit einem Pfeil lebensgefährlich verletzt. Unglaublich! Nur ein Fath konnte so dumm sein! Lotan hatte niemals vorgehabt, dem Falken ein Leid zuzufügen. Nur dem Jungen galt sein Hass.

Carto wurde geschnappt und Lotan konnte nicht davon ausgehen, dass dieser den Namen seines Auftraggebers verschweigen würde. So sah er sich gezwungen, aus der Stadt zu flüchten.

Bis zum heutigen Tag wusste er nicht, ob man ihn mit diesem Fall in Verbindung bringen würde, und so wagte er auch nicht zurückzukehren, um es herauszufinden: Denn einem Falken von Nymath Schaden zuzufügen, selbst einem wilden, galt als ein schweres Verbrechen. Trotzdem ließ ihn der Gedanke nicht los: Auf irgendeine Weise würde er Alduin – der inzwischen zu einem jungen Mann herangewachsen war – doch noch Steine in den Weg werfen, eines Tages …

»Ich hoffe, du wirst uns hier nicht mit trockener Kehle sitzen lassen«, sagte Stantel, warf seinen Umhang auf den Holzhocker, zog einen Trinkbecher aus seinem Rucksack und setzte sich.

Lotan, der abrupt aus seinen düsteren Gedanken herausgerissen wurde, erhob sich. Seine Haut war fahl und sein dunkles Haar fiel ihm in fettigen Strähnen ins Gesicht. Mit schlurfenden Schritten holte er zwei verstaubte Flaschen Met und bediente seine Gäste. Dann griff er nach einer zerschlissenen Decke und hüllte sich darin ein, bevor er sich wieder in seine Ecke verzog.

Die Falkner tranken schweigend und warteten gespannt darauf, dass ihr selbst ernannter Anführer nun das Wort ergreifen würde. Stantel genoss die knisternde Atmosphäre im Raum, die ihm das Gefühl einer gewissen Bedeutsamkeit verlieh, und so erhob er gewichtig seine Stimme.

»Meine Falknergefährten«, begann er und nahm sich einen Moment Zeit, jeden in der Runde mit eindringlichem Blick zu mustern. Lotan sparte er bewusst aus. »Ihr alle kennt den Grund unseres Zusammentreffens. Das Kind ist … ist … ist abartig. Es gibt kein anderes Wort dafür. Und uns bleibt nur eines: Nymath ein für alle Mal von dieser Missgeburt zu befreien!«

1

Nur noch zwei Tage …

Allein der Gedanke daran ließ Triels Herz so heftig pochen, dass Moreya es hätte hören müssen.

Triels Elternhaus lag am Stadtrand von Sanforan, Nymaths Hauptstadt, und die beiden saßen einträchtig nebeneinander auf der Bank in dem kleinen Vorgarten.

Höchstens drei, wahrscheinlich eher zwei … Es fiel ihm schwer, seine Gedanken wieder auf das zu lenken, womit er sich gerade beschäftigt hatte: eine Krone aus Zweigen und Falkenfedern für das kleine Mädchen zu flechten, das ihn mit riesigen, ernsten Augen bewundernd ansah. Den größten Teil des Tages hatte er mit seinen Lektionen und Aufgaben verbracht und nun blieb ihm noch etwas Zeit bis zum Abendessen. Normalerweise wäre er jetzt nicht zu Hause. Doch Moreya und ihre Eltern – Falkner Alduin und seine Gefährtin Erilea – waren gerade in Sanforan angekommen, um …

»Nur noch zwei Tage bis zu meinem Geburtstag«, kündigte Moreya mit sanfter Stimme an und riss den jungen Falkner-Schüler aus seinen Träumen. Triel war sehr erstaunt, dass Moreya seine Gedanken aussprach und einen Augenblick später überraschte sie ihn mit einer weiteren Bemerkung:

»… und noch zwei Tage, bis die Falken schlüpfen.«

»Zwei … oder vielleicht drei«, flüsterte er versonnen.

In diesem Frühling würde sie fünf werden und sie war sehr viel reifer als andere Mädchen in ihrem Alter. Doch sonderlich gesprächig war sie noch nie gewesen und jetzt schüttelte sie nur den Kopf.

»Zwei Tage«, sagte sie bestimmt.

»Wenn du meinst«, antwortete er.

Es gab für ihn keinen Grund, ihr zu widersprechen. Die Falkenküken würden dann schlüpfen, wenn es Fürst Gilian gefiel, so viel wusste er. Doch er war sich nicht sicher, ob er zu den Auserwählten zählen würde: Nur wer von einem frisch geschlüpften Falkenjungen auserwählt wurde, konnte zu einem Falkner von Nymath werden und den Bund mit dem Falken eingehen.

Sein Stiefvater Rael, der seit vielen Jahren mit dem Falken Sivella flog, hatte ihm einst versprochen, alles Erdenkliche zu tun, damit er als Schüler in die Falkenhalle aufgenommen werden würde. Er hatte sein Versprechen gehalten. Doch obwohl schon Triels Großvater Falkner gewesen war, bedeutete das noch längst nicht, dass auch er die Tradition fortsetzen würde. Sein Onkel Lotan zum Beispiel hatte sich dem geheimnisvollen Ritual der Wahl drei Mal gestellt und wurde nie von einem Falken auserwählt. So musste er sich damit zufriedengeben, als Lehrer der Falkenhalle die jungen Falkner in die Kunst des Bogenschießens einzuführen. Doch noch bevor Triel in die Stadt kam, um dort zu leben, war der Onkel von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden.

Was hatte den respektierten Meister wohl dazu bewogen, Sanforan so unverhofft zu verlassen und einfach unterzutauchen? Triel malte sich aus, wie er dieses Geheimnis eines Tages lüften würde.

Wenn ich Falkner bin und durch die Augen meines Falken sehen kann, dann gehe ich auf die Suche nach … Er unterbrach sich in seinem Gedankenfluss.

Du hast eine blühende Fantasie! Warte erst einmal ab und sieh dann weiter, ermahnte er sich selbst. Noch ist nichts sicher.

»Keine Sorge«, sagte Moreya, »da wartet schon ein Küken, das sich mit dir verbinden will.«

Triel lief es eiskalt über den Rücken und er starrte das Mädchen überrascht an.

»Woher … woher weißt du das?«, fragte er fassungslos.

Die Kleine zuckte mit den Schultern. »Weiß ich eben.«

»Triel, Moreya, reinkommen, essen«, erklang Brettas Stimme aus der Küche. Triel schaute seine kleine Freundin ein letztes Mal nachdenklich an und setzte ihr die geflochtene Krone aus Zweigen und Falkenfedern auf das Haar.

Hand in Hand gingen sie ins Haus.

Die Stube, in der die beiden Familien zum Essen am Tisch saßen, wurde durch ein knisterndes Feuer aus dem offenen Kamin erwärmt. Es war endlich Frühling, aber die Abende erinnerten doch noch sehr an die klirrende Kälte des Winters. Zwei Falken hockten auf der Anrichte und hatten die Köpfe zusammengesteckt, als würden sie über alte Zeiten tuscheln. Der eine, ein majestätischer Marven, war Alduins Wildfalke Rihscha. Der andere, ein weiblicher Ithil mit seltsam aufgestellten Kammfedern und Silberstreifen auf den Flügeln war Raels Sivella. Obwohl sie unterschiedlichen Falkenarten angehörten, waren sie zu Gefährten geworden – ein ungewöhnliches, aber in Nymath nicht unbekanntes Paar.

Als das Essen serviert war und jeder sich aufgetan hatte, machte sich am Tisch eine gemütliche Stimmung breit, gerade so, wie es oft geschieht, wenn sich gute Freunde lange Zeit nicht gesehen haben und jetzt vieles auf einmal erzählen wollen.

»Es ist so schön, euch alle hier wieder unter unserem Dach zu haben«, begann Rael und sah dabei erst Alduin, dann Erilea und Moreya an.

»Ja, es tut gut, hier zu sein«, antwortete Alduin. »Ihr seht alle gesund aus und unser junger Anwärter hier«, er nickte in Triels Richtung, »ist …«

»Ich kann nicht fassen, wie groß er geworden ist«, warf Erilea ein und lächelte zu dem jungen Mann hinüber. »Du überragst deine Mutter schon um eine ganze Kopflänge, dabei hätte ich schwören können …«

»Aber Moreya ist auch gewachsen«, wurde sie von Bretta unterbrochen.

»Es ist so lang her, seit …«, versuchte Erilea noch einmal, zu Wort zu kommen. »Ich weiß, es ist einfach zu lang her.«

Bretta unterbrach sie erneut.

»Ihr beide seid wirklich zu Einsiedlern geworden. Wäre da nicht eure jährliche Pilgerreise nach Sanforan zur Falkenhalle, so frage ich mich, ob wir euch überhaupt noch zu Gesicht bekämen.«

»Wir lieben nun einmal die Ruhe des Waldes«, sagte Alduin kleinlaut. »Es ist irgendwie einfacher, dort zu leben, als hier in der Stadt. Und diejenigen, die den Weg zu uns auf sich nehmen – sei es aus Interesse oder weil sie ein bestimmtes Anliegen haben –, kommen gern.«

Es herrschte einen Moment Schweigen und nachdenkliche Blicke ruhten auf ihm. Alduin war kein gewöhnlicher Falkner. In Nymath kursierten die wildesten Gerüchte über seine mysteriösen Talente. Je weiter sie sich im Land verbreiteten, desto übertriebener wurden sie. Manch einer vermutete sogar, Alduin sei ein Magier mit fragwürdigen Motiven und üblen Absichten. Aber auch in seiner näheren Umgebung sprach man von Visionen, die ihn überkamen, wenn er mit Rihscha flog: Visionen aus der Zukunft, aus der Gegenwart oder aus der Vergangenheit. Es wurde sogar gemunkelt, er sei in der Lage, sich nicht nur mit seinem Marven zu verbinden, sondern auch mit anderen Falken.

Das traf zwar zu, war aber dennoch nur ein kleiner Teil seiner Fähigkeiten, die sich entwickelt hatten, während er heranwuchs und seine Bindung zu Rihscha tiefer und reifer wurde. Gerüchte interessierten stets mehr als die Wahrheit, damit hatte er leben gelernt.

Und doch gab es einige, zumeist junge Falkner, die den weiten Weg zu ihm auf sich nahmen. Sie wollten wissen, wie sie den Bund zu ihren Falken vertiefen könnten, oder suchten Rat, um das Geheimnis des Lebens besser zu verstehen. Sie nahmen an, dass Alduin weit mehr darüber wisse, und er teilte seine Erfahrungen gerne mit ihnen. Doch er wusste nicht, bei wem dieses Wissen eines Tages einmal Wurzeln schlagen würde.

»Wie sieht es mit den neuen Schülern aus?«, fragte Alduin seinen Freund Rael und lenkte so die Aufmerksamkeit von sich ab.

»Sehr vielversprechend«, antwortete Rael. »Wenn ich in der Stadt bin, gehe ich jeden Tag in die Falkenhalle und sehe mir an, wie sie klarkommen. Es ist zutiefst bedauerlich, dass doch etliche von ihnen leer ausgehen werden.«

»Wie viele werden es denn sein?«, fragte Alduin.

Rael drehte sich zu Triel. »Wie groß ist die Gruppe? Dreizehn? Vierzehn?«

»Sechzehn«, antwortete Triel und seine Stimme klang besorgt.

»Sechzehn Schüler für neun Eier.«

Rael wiegte nachdenklich den Kopf. »Das heißt sieben …«

»Triel wird sich verbinden«, Moreya sah von ihrem Teller hoch.

Die anderen waren überrascht von der Bestimmtheit ihrer Worte und Triel bekam Gänsehaut.

Das Ganze wurde ihm langsam unheimlich.

»Leider können wir da nicht sicher sein«, versuchte Rael, die überschwängliche Hoffnung zu dämpfen. »Die Wahl liegt allein bei den Falkenküken. Das ganze Training, die Sehnsüchte, die guten Wünsche von Freunden und der Familie – all das hat keinen Einfluss auf ihre Entscheidung. Es liegt also nicht in unserer Hand.«

Moreya schüttelte ihren Kopf.

»Ihr denkt zu viel. Wartet ab, ihr werdet schon sehen.«

Erilea streifte ihre Tochter mit einem verwirrten, fast sorgenvollen Blick. »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte sie versöhnlich. »Wir werden es bald wissen.«

»Ihr werdet schon sehen«, wiederholte Moreya, bevor sie ihre volle Aufmerksamkeit wieder auf das Essen richtete.

Bretta legte eine Hand auf Triels Arm und ließ ihre Gedanken wandern.

Aufgewachsen war sie als die Tochter eines leidenschaftlichen, überheblichen Falkners und als Schwester eines Mannes, der vom Wunsch, Falkner zu werden, besessen war. Sie hatte die Verbitterung des Vaters und Bruders kennengelernt und schmerzvoll erfahren, dass diese Besessenheit auch Konsequenzen für ihr eigenes Leben hatte: So wurde sie an einen ungeliebten Mann verkauft und zahlte einen sehr hohen Preis für den Ehrgeiz der beiden. Als sie mit ihrem Mann die Stadt verließ, hatte sie geglaubt, nie mehr zurückzukehren. Während dieser freudlosen, von Angst geprägten Ehejahre war ihr Sohn Triel der einzige Lichtblick. Als sich dann zeigte, dass auch er leidenschaftliches Interesse an der Falknerei entwickelte, gab sie seinem sehnlichsten Wunsch jedoch nicht nach. Erst als Rael in ihr Leben trat und nachdem ihr Mann bei einem tragischen Minenunfall tödlich verunglückte, änderte sie ihre Einstellung. Sie kehrte nach Sanforan zurück und ihr Sohn wurde Schüler der Falkenhalle. Doch nun rückte der Moment der Wahrheit immer näher und die Angst, Triel könnte enttäuscht werden, bereitete ihr viele schlaflose Nächte.

»Hast du deine Mutter und Bardelph schon gesehen?«, fragte Rael und versuchte, die leichte Stimmung wiederherzustellen, die zu Beginn der Unterhaltung entstanden war.

»Nein, wir sind gleich hierher gekommen«, sagte Alduin. »Aranthia wollen wir morgen früh besuchen und Bardelph sehen wir bestimmt nach seinem Unterricht in der Falkenhalle. Wie geht es Meister Calborth?«

»Ganz gut, abgesehen davon, dass sein Augenlicht immer stärker nachlässt«, antwortete Rael. »Er ist sehr auf Bardelph angewiesen.«

»Wie schade, dass Bardelph kein zweites Mal versucht hat, den Bund mit einem Falken einzugehen«, sagte Erilea und in ihrer Stimme klang Bedauern mit. »Sonst wäre er vielleicht eines Tages Falkenmeister geworden.«

»Du hast recht«, stimmte Rael zu. »Er hat beinahe alle notwendigen Fähigkeiten, das Falkenhaus zu leiten – bis auf die Erfahrung der Verbindung mit einem eigenen Falken. Ein Jammer! Insbesondere, weil es niemanden sonst zu geben scheint, der die Nachfolge übernehmen könnte, wenn sich Calborth eines Tages zur Ruhe setzt.«

»Nun, lass uns hoffen, dass bis dahin noch viel Zeit ins Land geht«, meinte Bretta.

»Möge Gilian deine Worte erhören«, murmelte Alduin vor sich hin.

»Und was ist mit deinem Vater?«, wollte Rael von Alduin wissen.

»Cal lebt noch immer in der Gegend um Thel Gan an der Grenze des Waldes«, erzählte Alduin. »Ob ihr es glaubt oder nicht, er übt das Handwerk eines Zimmermanns aus. Marla ist glücklich, dass er endlich etwas gefunden hat, was ihm wirklich Freude bereitet. Es hat lang genug gedauert, aber so wie es aussieht, hat er sich wieder ganz erholt. Und wir haben Marla vieles zu verdanken«, fügte er hinzu.

Erilea nickte bestätigend. »Sie hat sich nicht nur um ihn gekümmert, als wir ihn damals bewusstlos in die Falkenhalle brachten, sondern weicht bis heute nicht von seiner Seite.«

»Ja, wenn wir so zurückblicken, hat sich doch alles zum Guten gewendet«, sagte Rael und ließ seinen Blick liebevoll über seine Familie und die Freunde schweifen. »Keine Wolken am Horizont. Die Zukunft sieht gut aus.«

»Emo!«, stieß Erilea aus und warf einen schnellen Blick auf ihre Tochter. Sie fühlte eine innere Unruhe in sich, konnte sich aber nicht erklären, warum.

»Wir haben einige sehr talentierte Schüler«, fuhr Rael fort, ohne Erileas Stoßseufzer zu bemerken. »Alle scheinen den Unterricht sehr ernst zu nehmen.«

»Ich habe eine Idee, die ich Meister Calborth vorstellen möchte«, meinte Alduin. »Ich denke, es könnte den jungen Falknern guttun, ein bisschen mehr Zeit gemeinsam mit erfahrenen Falknern zu verbringen, bevor sie sich das erste Mal mit ihren Falken verbinden. In unserer Ausbildung gab es diese Möglichkeit ja leider nicht.«

»Klingt interessant. Bisher blieb sich tatsächlich jeder selbst überlassen, aber vielleicht ist der Moment gekommen, unseren Horizont zu erweitern«, überlegte Rael.

»Nicht alle werden damit einverstanden sein«, warf Bretta ein. »Einige klammern sich sehr an die Traditionen und sind stolz auf ihre Eigenständigkeit. An einem derartigen Gedankenaustausch sind sie gewiss nicht interessiert. Kann sein, dass sie diese gut gemeinte Unterstützung als eine Einmischung in den Bund zwischen Falkner und Falken empfinden würden.«

»Das ist mir schon klar«, stimmte Alduin nachdenklich zu. »Deshalb müssen wir es vorsichtig angehen. Wir sollten die gewinnen, die einer solchen Idee gegenüber aufgeschlossen sind.«

»Egal, wir müssen sowieso zuerst mit Calborth sprechen«, warf Rael ein. »Ich würde mich freuen, dir helfen zu dürfen – wenn du glaubst, dass ich taktvoll genug sein kann!«

»Aber natürlich! Erinnerst du dich noch an das Überlebenstraining mit Bardelph?«, fragte ihn sein Freund. »Ich dachte da an etwas Ähnliches. Lass uns die Schüler zu meinem Haus bringen – mit ihren Falken, sobald diese sich auf der Faust halten können. Du und Sivella, ihr beide wärt auch dabei und natürlich Rihscha.«

Rael erwärmte sich immer mehr für die Idee, Erfahrungen mit den jungen Falknern auszutauschen.

»Das wäre auch ein guter Weg, die Schüler kennenzulernen«, meinte Alduin. »Wir könnten sehen, wer sich für zukünftige Aufgaben besonders eignet. Lass uns morgen mit Calborth und Bardelph darüber sprechen. Mal sehn, was die beiden von der Idee halten.«

Nachdem sie ihre Entscheidung gefällt hatten, lenkten die jungen Männer ihre Aufmerksamkeit wieder zurück aufs Essen. Der Rest der Speisen wurde in aller Stille eingenommen und nur gelegentlich von genießerischen Kommentaren und einem Trinkspruch auf das bevorstehende Ereignis in der Falkenhalle unterbrochen.

Schließlich stand Triel auf und entschuldigte sich. »Es war schön, euch zu sehen, aber ich muss mich jetzt auf den Rückweg machen. Ich treffe euch morgen, stimmt’s?«

»Ich bin mir sicher, dass Jungfer Calborth uns erlauben wird, am Mittagstisch teilzunehmen«, schmunzelte Alduin. »So gesehen könntest du sie vielleicht schon einmal vorwarnen. Wir werden auch Moreya mitbringen.«

Beim Gedanken an ein gemeinsames Essen mit solch illustren Gästen und in der Öffentlichkeit der Falkenhalle riss Triel die Augen weit auf.

»Das werde ich Jungfer Calborth ganz gewiss sagen!«

Er legte seine Faust auf die Brust und verbeugte sich vor jedem von ihnen ehrerbietig. Dann wuschelte er durch Moreyas schwarze Locken.

»Warte mal ab, bis du die Jungen siehst, die Jungfer Calborths Katze gerade geworfen hat«, sagte er zu ihr. »Sie sind einfach süß.«

»Ich will aber die Falkenküken sehen«, maulte das Mädchen.

»Ja, aber das wird wohl noch ein paar Tage dauern. Und bis dahin wirst du mit den Kätzchen viel Spaß haben.«

»Na gut«, sagte sie, aber wirklich überzeugt klang es nicht.

Am nächsten Morgen bahnten sich Alduin, Erilea und Moreya den Weg durch die abgelegenen und verwinkelten Straßen Sanforans, bis sie durch eine enge, steil ansteigende Gasse zu Aranthias und Bardelphs Haus gelangten. Die beiden bewohnten es, seit sie in die Stadt gezogen waren. Ursprünglich war es das Haus von Madi Tarai, einer Onur-Seherin, die damals die junge Aranthia unterrichtet hatte. Nach Madi Tarais Tod bewohnte es zunächst Malnar, ihr damaliger Lehrling, doch dann hatte er seinen Verstand verloren und war in die Obhut der Elben gekommen, sodass das Haus einige Jahre leer gestanden hatte.

Alduin betrachtete das Zeichen über der Tür – eine runde hölzerne blau gestrichene Scheibe mit drei goldenen Runen verziert: Ansuz, Raiðo und Perpro, was so viel bedeutete wie »Inspiration ist der Weg zu verborgener Weisheit«.

An der Scheibe hingen Kristalle, die die Klarheit des Denkens symbolisieren sollten, Federn, die den Flug der Gedanken darstellten, und Tierknochen, um an den Ursprung aller Dinge zu erinnern.

Erinnerungen an seine Jugend kamen in ihm auf, an Madi Tarai, die ihn hier lehrte, seine Fähigkeiten gezielt einzusetzen. Lächelnd klopfte er an die Tür.

»Alduin! Erilea!«, Aranthias Stimme überschlug sich vor Freude, als sie öffnete und die beiden umarmte. »Moreya, wie groß du doch geworden bist!«

Sie beugte sich hinunter, küsste das kleine Mädchen auf die Stirn und schloss es in die Arme.

»Wann seid ihr angekommen? Ich habe mich schon gewundert, wo ihr bleibt.«

»Hast du unsere Ankunft in einer Vision gesehen?«, neckte Alduin seine Mutter.

»Dazu brauche ich keine Vision! Ich weiß, dass du in der Nähe sein möchtest, wenn das Schlüpfen so unmittelbar bevorsteht.«

Sie ging zur Seite und bat alle hinein. »Wir haben hier einiges verändert. Die Stube ist jetzt unten.«

Kurze Zeit darauf saßen alle in Malnars ehemaligem Zimmer. Die Vorhänge waren geöffnet und gaben einen weiten Blick auf das Meer frei. Gerade lief eine Flotte von Fischerbooten in den Hafen ein, die in der Nacht auf dem offenen Wasser geblieben waren. Man konnte beobachten, wie die rostroten Segel eingeholt und vertäut wurden. »Ich habe Calba gekocht«, sagte Aranthia. »Wollt ihr welchen?«

»Danke, gerne. Und Bactisaft für Moreya, wenn du welchen hast.«

»Aber sicher. Ich hole ihn eben.«

»Mir gefällt es hier«, sagte Moreya, als Aranthia den Raum verlassen hatte. »Darf ich bei Mimi bleiben?«

Ihre Eltern sahen sie überrascht an. »Würde dir das gefallen?«

Moreya nickte.

»Nun, wir fragen sie.«

Als Aranthia mit dem Tablett voll Calba, Saft und Süßigkeiten zurückkam, verlor Moreya keinen Augenblick. »Mimi, kann ich bei dir bleiben?«

Aranthia sah Erilea an, konnte in ihrem Blick aber nichts Ablehnendes erkennen.

»Aber sicher«, meinte sie dann, »ich würde mich freuen.«

»Bado auch?«

»Bado wird entzückt sein«, erwiderte Aranthia. Sie wusste genau, dass Bardelphs Zuneigung zu dem kleinen Mädchen genauso groß war wie die ihre. »Und stell dir vor, morgen feiern wir hier alle zusammen deinen Geburtstag.«

Zufrieden mit der Antwort griff Moreya nach dem Saft und ging zum Fenster. Innerhalb eines Augenblickes war sie ganz und gar in die Aussicht versunken, schlürfte ihr Getränk und beobachtete die Möwen. Die Vögel ließen sich ungeduldig kreischend vom Wind tragen und warteten darauf, dass die Fischer endlich ihren Fang ausnehmen würden.

»Wir gehen hoch zur Falkenhalle und dann werde ich ihre Siebensachen noch packen. Zur fünften Glocke bringe ich sie vorbei. Ist dir das recht?«, fragte Erilea.

»Aber sicher. Wann immer es euch passt. Ich werde hier sein.«

»Überhaupt wäre es schön, wenn sie die nächsten Tage bei euch verbringen könnte«, begann Erilea. »Irgendetwas stimmt nicht …«

»Mit Moreya?«, fragte Aranthia. »Na ja, sie sagt einige ungewöhnliche Dinge, so, als ob sie etwas wüsste, was sie eigentlich gar nicht wissen kann. Aber sie ist absolut überzeugt davon.«

»Hat sie Visionen?«