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Nr. 2605

 

Die Planetenbrücke

 

Sie suchen Hilfe in einem fremden Universum – und treffen auf ein Volk von Erfindern

 

Verena Themsen

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Der furchtbare, aber kurze Krieg gegen die Frequenz-Monarchie liegt inzwischen sechs Jahre zurück. Die Bewohner der Erde erholen sich langsam von den traumatischen Ereignissen.

Nun hoffen die Menschen sowie die Angehörigen anderer Völker auf eine lange Zeit des Friedens. Perry Rhodan und seine unsterblichen Gefährten wollen die Einigung der Galaxis weiter voranbringen; die uralten Konflikte zwischen den Zivilisationen sollen der Vergangenheit angehören.

Dabei soll die phänomenale Transport-Technologie des Polyport-Netzes behilflich sein. Mithilfe dieser Technologie bestehen Kontakte zu weit entfernten Sterneninseln, allen voran der Galaxis Anthuresta, wo sich die Stardust-Menschheit weiterentwickelt.

Doch längst lauert eine ganz andere Gefahr, von der die Bewohner der Milchstraße bislang nichts ahnen können. Perry Rhodan verschlägt es mitsamt der BASIS in die unbekannte Doppelgalaxis Chanda, während auch das gesamte Solsystem an einen fremden Ort entführt wird. Reginald Bull schickt eine Expedition in dessen nähere Umgebung aus – und diese findet DIE PLANETENBRÜCKE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Jenke Schousboe – Die Stellvertretende Kommandantin der BOMBAY betritt Neuland.

Aiden und Zachary Cranstoun – Die Zwillinge teilen ein pikantes Geheimnis.

Shimco Patoshin – Ein Favadarei auf dem Weg zur Erfüllung seines Traums.

Kidow Manoki – Ein Neuheitenjäger trifft ins Schwarze.

Vorgesang: Traumweg

 

Shimco Patoshins Sinneszacken glühten in aufgeregtem Goldblumengelb, als er aus seinem Wohngeflecht trat. Er hob die Lichtzacken den Strahlen Wennedents entgegen, deren helle Scheibe bereits hoch über dem Horizont stand. Noch wenige Dekagrade, und sie würde senkrecht auf Chass herunterscheinen und die Momente seines Ruhms beleuchten.

Tief saugte er die salzwasserschwangere Luft durch die Atemschlitze in den Körper und straffte seine Haltung.

Die VI. Kompetenz lag zum Greifen nahe. Heute würde er, Shimco Patoshin aus dem Blas-Clan, mit seiner neuesten Erfindung diese Stufe nehmen. Und eines Tages würde er seinem Volk einen ebenso großartigen Dienst erweisen wie einstmals Pentenz Weopen, der Erfinder der Röhrenbahnen. Sein Traum und der seines Volkes rückten in greifbare Nähe.

Er würde zur nächsten Kompetenz aufsteigen.

Und irgendwann würde er vielleicht sogar das FATROCHUN bauen, damit seinem Volk endlich die Große Reise gelang.

Zu den Horizonten.

1.

Irrlichter

 

»Festhalten!«

Eine Erschütterung durchlief den Rumpf der BOMBAY. Für einen Moment war das 1500 Meter durchmessende EXPLORER-Raumschiff nicht mehr als eine kleine Nussschale auf einem sturmgepeitschten Ozean.

Dann war es wieder ruhig.

Aiden Cranstoun löste mühsam die Finger von den Armlehnen.

Vierzehn Erschütterungen in weniger als einer halben Stunde. Ich wünschte, das würde endlich aufhören!

Normalerweise jagten Turbulenzen dem wissenschaftlichen Leiter an Bord der EX-33 BOMBAY keine Angst ein. Er wusste selbst nicht mehr genau, wie viele Atmosphären er bereits im Rahmen seiner Arbeit als Kosmopsychologe in nur mäßig ausgestatteten Fluggeräten durchquert hatte. Ein wenig durchgeschüttelt zu werden erschütterte sein Gemüt nicht mehr. Normalerweise.

Aber es gibt keine Atmosphäre im Linearraum. Und es gibt hier auch keine Turbulenzen.

Aiden war kein Ingenieur. Trotzdem war ihm klar, was die Erschütterungen bedeuteten. Sie hatten nichts mit dem Raum um die BOMBAY zu tun. Ihr scheinbarer Holperflug resultierte daraus, dass die Schwerkraftkontrolle während dieser Etappe eine Art Schluckauf entwickelt hatte – eine Analogie vielleicht zu den Ausfällen bei den Naturgesetzen, deren Auswirkungen sie schon auf der Erde hatten erleben müssen, als sie in diesen fremden Raum versetzt worden war.

Mit einem schiefen Lächeln strich der Terraner durch sein fahlblondes schulterlanges Haar und ließ den Blick durch die Zentrale schweifen.

Im Pilotensitz saß Achil van Taarnhoi, die Finger über den Kontrollen schwebend. Linearetappen bedeuteten normalerweise, dass er sich zurücklehnen, die Beine hochlegen und Zoten reißen konnte. Stattdessen hatte er dieses Mal den rundlichen Leib kerzengerade aufgerichtet.

Die Lippen waren vor Konzentration zusammengepresst – ein Ausdruck, der nicht recht zu den vollen Wangen und den Lachgrübchen passen wollte, die zusammen mit den blonden Locken an ein Engelskind erinnerten.

Oberst Nuruzzaman in seinem Kommandantensessel sah nicht viel besser aus. Zwar lag das dichte schwarze Haar noch immer straff nach hinten gebürstet, was Aiden von der eigenen Frisur nicht mehr behaupten konnte. Doch das sonst immer in den hellen blauen Augen sichtbare Lächeln war nahezu verschwunden.

Immer wieder strich er über den grau-schwarz gesprenkelten Dreitagebart, während er in den MultiKom raunte. Vermutlich sprach er mit den Ingenieuren, die für die unzureichend funktionierenden Maschinen zuständig waren. Aiden konnte sich vorstellen, wie die Berichte aussahen.

»Oberst, wir können nichts dagegen tun, wenn Strömungswiderstände, Lasten und Induktivitäten sich durch Schwankungen der physikalischen und hyperphysikalischen Konstanten ständig ändern. Wir können nur schnellstmöglich die Parametersätze anpassen ...«

Es war, als versuche man, ein Boot bei ständig wechselndem Seegang zu stabilisieren.

Und die Expedition endet damit, dass ein Teil der Außenhülle sich davonmacht mit so faulen Ausreden wie dem Wegfall atomarer Bindungskräfte oder der Absenkung des Schmelzpunktes zum absoluten Nullpunkt hin. Uromi hat schon recht: Heutzutage ist auf nichts mehr Verlass.

Aidens Blick wanderte an den diensthabenden Offizieren an Verteidigungsleitstand, Energieüberwachung und Ortung vorbei zu Jenke Schousboe, der Stellvertretenden Kommandantin. Ihre Schicht hatte vor einer halben Stunde geendet. Trotzdem war sie weiter in der Zentrale geblieben.

Im Moment stand sie schräg hinter Nuruzzaman, die Beine leicht gespreizt, um die Erschütterungen abzufedern. Eine Hand lag an der Rückenlehne des Kommandantensessels, während sie aufmerksam die eingehenden Meldungen verfolgte. Auf ihrer leicht gerunzelten Stirn hob sich die rötliche Adermusterung der Haut wie eine Marmorierung ab. Die Unruhe des Fluges schien sie jedoch nicht zu erschüttern.

Aiden beneidete sie um ihre Ruhe.

Wer von einer Welt mit 1,6-facher Terraschwerkraft kommt, den bringt wohl so schnell nichts aus dem Gleichgewicht.

Das Geheimnis der Kraft der Irmdomerin lag allerdings ausschließlich in der andersartigen Durchblutung. Ihre Figur war schlank, und auch wenn ihre weiblichen Proportionen die Traummaße nicht erreichten, wirkte sie auf viele attraktiv.

Sämtliche Annäherungsversuche waren bei ihr allerdings bislang auf eine Art gescheitert, die wirkte, als habe sie schlichtweg nicht verstanden, worum es ging. Auch Aiden hatte bereits einen solchen Reinfall hinter sich und dachte mit gemischten Gefühlen daran.

»Wiedereintritt in den Normalraum in fünf Minuten.«

Die Worte der Bordpositronik rissen den Kosmopsychologen aus seinen Gedanken. Er schnaubte.

Normalraum – das war in etwa die letzte Bezeichnung, die diese Umgebung verdiente, in die das Solsystem abrupt versetzt worden war. Eher war es die Gestalt gewordene Nicht-Normalität, ein Raum, der ständig sein Verhalten wechselte.

Und ausgerechnet die BOMBAY durfte nun den ersten Ausflug in die nur 143 Lichtjahre durchmessende Raumblase unternehmen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hatte.

»Eine Minute.«

Aiden sah auf die Zeitanzeige an seinem Pult und fragte sich nicht zum ersten Mal, was er hier sollte. Selbst die höchsten Weihen der Kosmopsychologie machten einen nicht zu einem Positronikflüsterer, und er bezweifelte stark, dass die Launen des Universums, in das es sie verschlagen hatte, hormonbedingte Stimmungsschwankungen waren. Seine Ausbildung würde erst zum Zuge kommen, wenn ihr Kriechflug durch den fremden Raum endlich am nächstgelegenen System endete, dem vorerst der sinnige Name Next Stop verliehen worden war.

Aber das Protokoll aller EXPLORER schrieb eben vor, dass die Leiter der Außeneinsatzgruppen stets informiert und einsatzbereit sein mussten. Darum wurde der Chefwissenschaftler aus diesen Reihen rekrutiert und nicht aus der physikalischen Abteilung. Während seine eigenen Fertigkeiten noch nicht zum Einsatz kamen, fungierte er als Mittelsmann, um Informationen zwischen den anderen Abteilungen zu übertragen.

»Zehn ... neun ... acht ...«

Die Andruckabsorber heulten auf und versagten. Aiden flog mit einem Ächzen in das schlagartig um seinen Sitz entstandene Prallfeld. Jenke Schousboe erging es ebenso.

Warnlichter flackerten auf. Sirenentöne fluteten das Schiff, übertönten die Flüche des Piloten.

»Vorzeitiger Austritt!«, brüllte Achil, während seine Finger über die Kontrollen flogen. »Geschwindigkeit sinkt rasend schnell ... etwas stoppt uns!«

Aidens Hände schlossen sich wieder um die Armlehnen.

 

*

 

Jenke Schousboe sog die Unterlippe ein. Es gefiel ihr gar nicht, wie im Hauptholo die Zahlen und Informationen aufflackerten, nur, um im nächsten Moment wieder zu verschwinden. Die Verhältnisse dort draußen änderten sich fortwährend. Dazu kamen die wie ein Feuerwerk ständig um sie entstehenden und vergehenden Lichtpunkte.

»Wir müssen raus und Messungen machen«, sagte sie schließlich.

Oberst Nuruzzaman hob den Blick von den vielen rot blinkenden Zeichen auf seiner Anzeige. »Die Kreuzer und Korvetten werden ebenso wenig vom Fleck kommen wie die BOMBAY.«

Schousboe schüttelte den Kopf. »Nicht die großen Beiboote. Die SKARABÄEN. Auf sie könnten die Verhältnisse hier weniger Auswirkungen haben, die Dinger sind verdammt robust. Und sie haben unter diesen Umständen wohl als einzige Beiboote genug Antriebsleistung, um eine Erkundung zu ermöglichen.«

Der Oberst strich über seine gepflegten Bartstoppeln und wandte den Kopf zu Chefingenieur Morn Delouwen am Leitstand der Abteilung Triebwerke und Bordmaschinen. »Wie geht es den Daellian-Meilern?«

»Die Ingenieure haben die Bestandsaufnahme der Schäden abgeschlossen und arbeiten daran, sie so schnell wie möglich zu beheben. Allerdings werden sie weiter durch Energiefluktuationen und Rückflüsse behindert. Teilweise ist es, als ob die Geschwindigkeit beim Energietransport variiert, dann wieder, als würde Energie irgendwohin abfließen.«

»Wie lange, Morn?«

Der Chefingenieur seufzte. »Mindestens vier Stunden Bordzeit. Wahrscheinlich länger.«

»Aiden, gibt es neue Erkenntnisse?«

»Zu ungenaue Ortungs- und Messergebnisse, als dass man gesicherte Aussagen machen könnte«, antwortete der Chefwissenschaftler. Jenke fragte sich, wieso er dabei sie ansah und nicht den Kommandanten.

»Neera Anand sagt, wir haben Gravo-Verwerfungen dort draußen, die vermutlich der Hauptgrund sind, warum wir nun festsitzen. Dazu kommen plötzliche Schwankungen in der Vakuumenergie und im hyperenergetischen Hintergrundniveau. Überkreuzen sich die Spitzen solcher Schwankungswellen, gibt es diese Irrlichter.«

Jenke hob die Augenbrauen. »Irrlichter? Interessante Bezeichnung.«

Fast schien es, als würden die Wangen des Wissenschaftlers eine Spur dunkler. »Energetische ... Konvergenzpunkte. So nennen sie sie EnKos.«

»Irrlichter gefällt mir besser.« Die Stellvertretende Kommandantin sah wieder zu Nuruzzaman. »Falls es uns tatsächlich gelingt, die SKARABÄEN rauszubringen, ist das eine wertvolle Erkenntnis. Und die Daten, die wir während der Reparaturzeit über die verschiedenen Phänomene sammeln könnten, helfen uns vielleicht, eine Lösung für unser Dilemma zu finden.«

Der Oberst nickte. »Ich denke, wir sollten es versuchen. Aiden, gib den betreffenden Abteilungen Bescheid. Sie sollen einen Plan, Ausrüstung und Leute für einen Messflug zusammenstellen. Alle vier SKARABÄEN gehen auf Erkundung, immer ein LT-SKARABÄUS mit einem regulären. Ich unterrichte die Besatzungen. Jenke, übernimmst du die VAHANA trotz Freischicht?«

»Sehr gerne.«

»Dann ruf deine Leute zusammen und leg eine Sektoraufteilung für die SKARABÄEN fest.«

 

*

 

Unwillkürlich straffte die Stellvertretende Kommandantin ihre Haltung, als sie den Hangar betraten; in dem die VAHANA auf ihren Teleskopstützen stand. Sie liebte diese kleinen Käfer, bei denen man bei der Steuerung noch richtig Hand anlegte.

Doch wie so oft würde sie auch diesmal nicht die Pilotin sein. Sie hatte keinen SKARABÄUS mehr geflogen, seit sie zum Oberstleutnant befördert wurde.

Die schlaksige Gestalt von Jonas Zosimos bewegte sich an ihr vorbei zu der Rampe, die in das Innere der 17,5 Meter durchmessenden Kommandokugel führte, die den Kopf der VAHANA bildete. Jenkes Blick folgte dem Terraner.

Er würde die VAHANA steuern, und sie wusste, dass er es hervorragend tun würde. Entgegen dem Eindruck, den seine bedachte Art im Umgang mit anderen weckte, standen seine Reaktionen an den Kontrollen eines Raumschiffes kaum dem nach, was mit einer SERT-Haube möglich war.

Die rundliche Figur von Cyrus Smith kam vom Ladebereich her näher. Dort führte eine weitere Rampe in das oben und unten abgeflachte Kugelsegment, das den »Körper« des LowTech-SKARABÄUS bildete.

Der 30 Meter durchmessende Hauptrumpf hatte im Gegensatz zur angeflanschten Kommandokugel einen Ringwulst aus charakteristischen Sechseckmodulen mit den Impulstriebwerken. Als besondere Ausstattung gab es im Heckmodul Impulstriebwerke für den Horizontalflug. Auch der Gravopuls-Antrieb, die Reaktoren und die Speichereinheiten waren im Zentralkörper untergebracht, ebenso die Labor- und Lagerräume.

Einige Besatzungsmitglieder waren damit beschäftigt, die von den Wissenschaftlern ausgesuchten Apparaturen an Bord zu schaffen. Cyrus Smith koordinierte die Unterbringung von Personal und Material im SKARABÄUS. Der Leutnant aus der Kampftruppe der BOMBAY würde am Flug als Funker und Orter teilnehmen.

»Wir sind fast fertig«, verkündete er. »Sie schieben gerade noch ein paar Aggregate herum, um Platz für eine Spezialpositronik zu schaffen, auf die Neera noch im letzten Moment bestanden hat. Die gute Frau kann einem gehörig auf die Nerven gehen, wenn man versucht, etwas mit ihr zu planen. Am liebsten hätte sie das ganze hyperphysikalische Labor eingepackt.«

»Neera hatte nicht viel Zeit für die Vorbereitungen. Sei nachsichtig mit ihr.«

Leutnant Smith lächelte schief. »Schon richtig. Und wenn sie jetzt nicht noch neue Ideen bekommt, hat ja auch alles hingehauen.«

»Stell sicher, dass alles gut untergebracht ist und die Wissenschaftler wissen, worauf es ankommt. Dann komm nach vorn in das Kommandomodul. Wir übernehmen Sektor eins zusammen mit der BAIRON. AGHORA und RUDRA untersuchen Sektor zwei.«

Der Leutnant salutierte und ging zurück zur Laderampe.

Jenke Schousboe sah zu dem zweiten LT-SKARABÄUS, mit dem die VAHANA den Hangar teilte. Unter der AGHORA stand der Halbarkonide Kert Tamit, ein Mann mit jahrzehntelanger Erfahrung im Führen kleiner Raumfahrzeuge wie den SKARABÄEN. Eben wandte er sich der Rampe in die Kommandokugel zu, bemerkte dabei die Stellvertretende Kommandantin und grüßte sie mit einem Nicken.

Schousboe erwiderte den Gruß und wandte sich ab, um ebenfalls einzusteigen.

 

*

 

Wenige Minuten später schwebten tatsächlich alle vier SKARABÄEN im Raum und machten sich auf den Weg in ihre jeweiligen Zielgebiete. Der Erfolg hatte lediglich verhaltenen Jubel hervorgerufen. Die Kleinraumschiffe waren nicht für Überlichtflug ausgelegt. Mit ihnen konnten sie der glitzernden Falle nicht entkommen.

Zwei Stunden tasteten sie sich durch den fremden Raum, sammelten Daten und übertrugen sie an die BOMBAY, wo die Positronik der kosmophysikalischen Abteilung die Ergebnisse zusammenfasste und auswertete.

Ab und zu tauchte das Gesicht von Abteilungsleiterin Neera Anand im Holo auf, die blauen Augen leuchtend und die kupferroten Haare zerzaust. In knappen Worten stimmte sie sich mit den Wissenschaftlern an Bord der SKARABÄEN ab. Ihre Vorschläge und Vorgaben hielten Wissenschaftler und Besatzungen gleichermaßen auf Trab.

Jonas Zosimos lotste die VAHANA routiniert dorthin, wo sie gerade gebraucht wurde, den Blick dabei immer auf die Angaben gerichtet, in welche Richtung die Gravitationsverwerfungen den SKARABÄUS zurzeit zerren wollten. Schousboes Aufmerksamkeit galt dagegen die meiste Zeit den Energieanzeigen.

Die VAHANA hielt sich von den Irrlichtern fern, doch immer wieder gab es kleine Fluktuationen in den Energieflüssen, die sich vor allem auf die Stabilität des Ionisations-Prallschirmes auswirkten. Auch wenn sie bislang keine Begegnung mit Materie gehabt hatten – sogar der sonst so allgegenwärtige Staub fehlte –, wollte Jenke Schousboe keine Risiken eingehen. Immer wieder ließ sie die Bordpositronik die Energieflüsse optimieren.

Nach zwei Stunden Tanz im Fluktuationsnetz kehrte eine gewisse Routine ein. Jeder ging seinen Aufgaben nach, und man reagierte auf Veränderungen zügig, aber ohne Anspannung. Bis plötzlich eine Sonne auf der anderen Seite der BOMBAY aufglühte.

Ein vielstimmiger Aufschrei erreichte über den verzerrten Hyperfunk die VAHANA-Besatzung:

»Die AGHORA ist zerstört! Schwere Schäden an der RUDRA! Wir brauchen Hilfe!«

Es war der Kommandant der RUDRA, den sie über lautes Knacken, Ausrufe und Schmerzensschreie hinweg hörten. Seine Stimme vermittelte das gleiche Schockgefühl, das Jenke Schousboe empfand.

Oberst Nuruzzamans Stimme folgte umgehend.

»BOMBAY an RUDRA. Major Talik, was ist passiert? Wie ist eure Lage?«

»Ein Irrlicht ... direkt bei uns. Wir wollten näher an einen Knotenpunkt, wurden schlagartig angezogen. Rückfluss der Stützmasse. Explosionen im Antriebsbereich. Ein Fusionsreaktor überhitzt. Brände außer Kontrolle. Evakuieren alle in die Kommandokugel ... Rumpf abtrennen, ehe es zu weiteren Explosionen kommt.«

»Die AGHORA?«

»Offenbar direkt vom Energieausbruch erfasst. Rumpf und Kommandokugel völlig zerstört. Keine Anzeichen für Überlebende.«

In den Moment des Schweigens sagte Jenke Schousboe: »VAHANA bereit für Bergung.«

Der gleiche Ruf folgte umgehend von der BAIRON.

Nuruzzaman antwortete. »BAIRON, langsam Fahrt zur RUDRA. Wartet auf genaue Daten, bevor ihr euch dem Unfallort nähert und die Kommandokugel abfangt. VAHANA, Rückzug.«

»Verstanden. – Jonas?«

Der Pilot drehte den Kopf. »Ja?«

»Halt ständige Verbindung zu den Wissenschaftlern. Sie sollen uns vor EnKos warnen.«

»Jawohl.«

Minuten später flog die VAHANA fast parallel zur BAIRON über die Kugel des EXPLORERS hinweg. Die in der Finsternis durch den Raum taumelnden Trümmer der AGHORA kamen in den Erfassungsbereich und wurden von der Holodarstellung mit grausamer Klarheit hervorgehoben.

Etwas musste den SKARABÄUS mit ungeheurer Wucht von innen gesprengt haben, als wären alle Reaktoren zur gleichen Zeit durchgegangen. Der einzige Trost, den der Anblick gewährte, war die Gewissheit, dass die Besatzung schnell gestorben war.

Die RUDRA hingegen kämpfte noch, und die Meldungen sprachen bislang lediglich von einem Toten, gestorben durch eine Verpuffung bei Löschversuchen. Dazu gab es viele Verletzte. Der Rückzug zur Kommandokugel war nahezu abgeschlossen.

Plötzlich riss der Rumpf der RUDRA an einer Seite auf. In einem Feuersturm entwich das Gasgemisch aus dem Hauptrumpf und ließ das All für einen kurzen Moment aufleuchten. Dann erloschen die Flammen im Vakuum. Wieder war es nur die positronische Aufbereitung, die den angeschlagen treibenden SKARABÄUS in der Holoanzeige sichtbar machte.

»Rumpfsektor unter Vakuum«, klang die verzerrte Meldung Major Taliks durch die VAHANA. »Alle Schotten dicht. Modulklammern geöffnet. Abdrift mit Notdüsen.«

Cyrus Smith deutete auf die Daten. »Die explosive Dekompression hat den Kurs der RUDRA geändert«, stellte er fest.

Jenke Schousboe sah auf die Projektion. »Positronik, Kurs der RUDRA einblenden.«

Eine rote Linie glühte im Holo auf. Jonas sog die Luft ein.

Sie sagte: »Oberst, die RUDRA wurde vom Kurs abgelenkt. Wird die BOMBAY streifen.«

Ein Atemzug verstrich.

»VAHANA, fangt die Kommandokugel ein. BAIRON, ihr versucht, mit Traktorfeldern den Rumpf abzulenken. Die Schirme sind mir zu unzuverlässig, als dass ich mich darauf verlassen möchte. Oberste Priorität hat die Sicherheit der Besatzungen.«

»Verstanden. Jonas, Kursanpassung gemäß neuen Daten.«

»Verstanden.«

Schousboe schaltete zum wissenschaftlichen Leiter des Labors im Rumpfmodul.

»Teselor, Einschätzung zur Zuverlässigkeit der Traktor- und Fesselfelder?«

»Bei den Traktorstrahlen keine Bedenken«, meldete der Ferrone. »Fesselfelder sind komplizierter; Justierung der benötigten Feldstärken nur mit sehr viel Geduld. Wir müssen das Verhalten also beobachten und versuchen, uns mit dem Feldgradienten so nah wie möglich an der Stabilitätsgrenze zu halten.«

»Übermittle deine Ergebnisse auch der BAIRON«, ordnete Jenke Schousboe an. »Berechne den vertretbaren Feldaufbau und übermittle die Daten an Jonas zur Kursplanung.«

Der Spezialist in Einstein'scher Feldphysik nickte und schaltete ab.

Die Anspannung war spürbar, während sie sich der RUDRA näherten. Die geringe Entfernung der drei SKARABÄEN unter den gegebenen, kaum berechenbaren Verhältnissen machte alle unruhig.

Behutsam fuhr Schousboe das Traktorfeld gemäß Teselors Berechnungen hoch. Langsam passte sich der Impuls der Kommandokugel der RUDRA dem der vorbeifliegenden VAHANA an, bis sie in einem Fesselfeld auf festem Abstand mitgezogen wurde, weg von dem zerbrochenen Rumpf.

Jonas Zosimos vollzog eine leichte Kursanpassung auf den Hangar zu, während sie sich darauf konzentrierte, die Kontrollkugel sachte näher an die VAHANA zu ziehen. Nur mit einem Ohr lauschte sie den Meldungen, die zwischen den Wissenschaftlern der SKARABÄEN und der BOMBAY ausgetauscht wurden.