image

 

 

 

 

 

 

 

Matthias Müller Kuhn, geboren 1963, ist Theologe, Dichter, spiritueller Begleiter und Pfarrer. Er bezeichnet sich selbst als christlichen Mystiker, der immer wieder darüber staunt, dass dem Menschen auch in alltäglichen Dingen das Geheimnis der Gegenwart Gottes begegnet.

Das Buch Stille Gespräche mit Gott ist aus einer jahrelangen intensiven Beschäftigung mit Spiritualität und Mystik entstanden.

Andere Veröffentlichungen des Autors: Zugeflogen mit frohen Flügeln, zweihundertacht deutsche Haiku

image

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2008 Copyright by Matthias Müller Kuhn

www.terebinthe.ch

Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt.

Titelbild: © Stefan Baltensperger, 2007

ISBN 978-3-8391-9445-4

Inhalt

1.   Vorwort

2.   Leere

3.   Anfang

4.   Weg

5.   Illusionen

6.   Im Kleinen

7.   Die Nächsten

8.   Freiheit

9.   Spiegel

10. Spiel

11. Liebe

12. Suche

13. Klagen

14. Leiden

15. Leiden der Menschen

16. Heilung

17. Trost

18. Hören

19. Sehen

20. Entdecken

21. Glück

22. Glaube

23. Zeit

24. Sterben

25. Tod

26. Hoffnung

27. Gebet

28. Ausklang

1. Vorwort

Wer bist Du, Gott? Ich spreche mit Dir und warte, bis Du mir Antwort gibst. Bist Du einverstanden, dass wir miteinander in Kontakt treten?

Was für ein Gegenüber bist Du?

Ich vermute, dass Du genau dann schweigst, wenn ich erwarte, dass Du sprichst. Dein Schweigen ist wie eine Bergkette, die noch niemand bestiegen hat. Von jetzt an gebe ich mich mit Deinem Schweigen nicht mehr zufrieden.

Ich kitzle und steche Dich, ich trete Dir auf die Füsse und liege Dir in den Ohren, bis Du nicht mehr anders kannst, als mit mir zu sprechen. Gut, wir treten miteinander in einen Dialog. Jeden Tag nehme ich mir Zeit, mit Dir ins Gespräch zu kommen.

Wie höre ich Dich? Muss ich neue Sprachen erlernen und mühsam nach dem Sinn noch nie gehörter Worte forschen? Werde ich verärgert vor Sätzen stehen, die ich nicht entschlüsseln kann? In welcher Sprache werde ich zu Dir sprechen?

Bin ich für Dich ein würdiges Gegenüber, dem Du Deine Zeit schenkst? Wartest Du auf mich, bis ich Worte für das gefunden habe, was nicht einfach auszudrücken ist?

Ziehst Du weiter wie Wolken, die sich nirgends niederlassen oder wie Bäche, die abwärts ins Tal drängen und nie die Musse haben zu bleiben?

Sprichst Du mit mir? Springst Du mit mir über Mauern und Zäune? Wirfst Du mir im Spiel den Ball zu? Hebst Du den einen kleinen Kieselstein vom Boden auf und lässt ihn in der Sonne glitzern? Bin ich interessant genug für Dich?

Verschwendest Du Deine Ewigkeit an einen an die Zeit gebundenen Menschen? Beugst Du Dich aus dem Universum, um einen Käfer auf einem Blatt zu beachten, der seine kurze Spur zieht? Lässt Du Dein Licht auf einen langsam, kaum sichtbar sich bewegenden Punkt fallen, der sich gleich wieder im wogenden Meer der Zeit auflöst?

Meine Aufmerksamkeit ist auf Dich gerichtet, Gott. Alle Strahlen meiner bescheidenen Intelligenz sind gebündelt und fallen auf Dich. Meine Zeit gleitet wie ein reifer Apfel in Deinen Schoss. Mein Herz läuft über wie ein See, in dem sich viele Bäche sammeln. Es will sich an Dich verschenken. Wo bist Du?

Wir müssen bescheiden anfangen, Schritt für Schritt. Ich darf Dich nicht mit meiner stürmischen Leidenschaft überfallen. Natürlich erträgst Du alle meine Launen. Meine Kraft überfordert Dich nie. Ich aber kann mich in Dir verlieren, deshalb bitte ich Dich um Geduld. Zeigst Du Dich von Deiner stillsten Seite?

Du bist ein Tropfen, der regelmässig von der Dachrinne in ein kleines Wasserbecken fällt. Um Dich neu zu formen, sammelst Du Dich, bis Du Dich fallen lässt. Ein kurzes Aufblitzen ist sichtbar, in dem Deine Reinheit aufstrahlt. Ein feiner Ton ist zu hören, wenn Du auf der Wasseroberfläche aufprallst, um dann zu versinken. Von der Mitte aus gleiten Kreise, die sich immer weiter öffnen und am Ende den Rand des Beckens berühren.

Hast Du nun zu mir gesprochen? Habe ich Dich gehört? Ist Dein Ton mit meinem Ohr verschmolzen?

2. Leere

Wenn ich Dir im Gespräch nahe komme, erfahre ich, dass Du keine Begrenzungen kennst. Wo sind die Ränder, die sonst alles Zeitliche umgeben? Beim Sprechen gehe ich vom einen Ende zum anderen, denn Wörter sind immer begrenzt. Sie verklingen und lösen sich wieder auf. Meine Lippen sind die Ränder, die meine Sprache einkreisen.

Schon jetzt, in diesem Augenblick, bist Du in allem ewig. Ich bewege mich in einer Landschaft, die weit und ohne Ende ist. Auf einem Hügel stehend schaue ich auf die Ebene hinab, die bis an den Horizont reicht und sich an die Rundung der Erde schmiegt.

Vielleicht zeichnen sich im Dunst der Ferne Berge ab, die fast mit den Wolken verschmelzen. Ein Fluss zieht seine Bänder und sucht sich ein Bett zwischen endlosen Sandbänken und bewaldeten Inseln. Kein Weg führt durch die Ebene. Der Sumpf, die niederen Tannen und das Dickicht halten alle Menschen fern.

Dieses endlose Land gehört Dir. Keine menschliche Stimme stört die Stille. Nur der Wind rauscht in den Baumwipfeln und wirbelt Sand auf an den Ufern. Baumstämme treiben im Fluss. Manchmal staut sich das Wasser und bricht sich nachher mit ungeheurer Kraft einen neuen Weg.

Während ich auf dem Hügel stehe, umgeben mich fein abgestufte Blautöne der Ferne am Horizont. Wirst Du mir antworten, wenn ich nun eine Frage in diese Weite hinaus rufe. Verhallt meine Stimme, ohne dass mich jemand hört?

Gott, bist Du zu gross für mich? Wie kann meine kleine Hand etwas von Dir erfassen, wenn doch die Weite der Erde sich hinaus ins Universum öffnet und Millionen von Sternen mich umgeben?

Verliere ich mich in Deiner Grösse? Wenn es in Dir keine Grenzen gibt, falle ich ins Leere?

Mutig betrete ich Deinen Raum, ohne zu wissen, wo er endet und wie er bemessen ist. Ich gelange ins Leere. Für einen Augenblick entfällt mir alles, was ich je gewusst habe. Wie heisse ich? Was habe ich in meinem Leben getan? Wo bin ich zuhause? Was habe ich gelernt?

In dieser Leere muss ich alles loslassen, was ich festhalte. Alles wird mir entrissen, was ich noch umklammere. Willst Du mich wirklich in die Leere stossen, dass ich sogar meine Sprache vergesse? Wie soll ich jetzt Worte finden, um mit Dir zu reden? Bin ich für Dich ein Gegenüber?

Hast Du mich nicht bereits überwältigt? Hast Du mir den Boden entzogen, dass ich umfalle und nicht mehr weiss, was mich aufhalten könnte?

Bin ich Dir jetzt zu nahe gekommen im Nichts und im Nirgends? Falle ich in die Mitte der Seinskugel hinein, in der Du bist ohne Begrenzung, ohne Nicht, ohne Gedächtnis, ohne Vergangenheit und Zukunft, immer im Hier und im Jetzt?

3. Anfang

Du bist der Anfang. Mit Dir und durch Dich fängt alles an, was ist. Wie hat die Welt begonnen?

Das Feuer kühlte sich allmählich ab. Aus der Glut tauchten Steine auf. Die Erde fing an, sich zu formen, Berge wölbten sich in die Höhe. Täler taten sich auf. Das Licht fing an zu scheinen. Wie aus dem Nichts heraus floss das Wasser und bedeckte die Kugel. In der Tiefe regte sich das erste Leben.

Du warst allein inmitten der Stille und Leere auf dem Planeten. Deine Kraft floss ins erste Lebewesen, das, noch nicht sichtbar, sich zu bewegen begann.

Die Kette des Lebens hast Du vorausgedacht. Aus dem Kleinen wuchs das Grosse heraus. Immer kühnere Formen und Abläufe entstanden. Neues Leben regte sich, füllte die Leere, begann zu springen, zu hüpfen und zu kämpfen.

Gott, Anfang aller Dinge, ich beginne, mit Dir zu sprechen. Du bist der Anfang meiner selbst. In Deinem Geist nahm meine Existenz Form an, bis Du mich mit Deiner schöpferischen Kraft wirklich in diese Welt und in diese Zeit hineingestellt hast und ich den ersten Atemzug getan habe.

Wenn ich mit Dir in Verbindung trete, klingt plötzlich auch das mit, was vor meiner irdischen Existenz war. Wie ein Echo, das aus den Bergen widerhallt, höre ich Stimmen aus einer anderen, dem Anfang nahe liegenden Zeit.

Wie ist es, wenn ich mit meinem eigenen Anfang rede? Du lässt mich ahnen, dass ich in einem grossen Zusammenhang stehe, von dem ich nichts Genaues weiss. Dieser Bezug zu meinem Anfang bläst einen Hauch von Ewigkeit über mein Leben.

Du hältst mir einen Spiegel hin, in dem ich ein anderes Bild von mir sehe, welches bisher nur in meinen tiefsten Träumen aufschimmerte. Das Gespräch mit Dir besteht nicht nur aus Worten, die achtlos aneinandergereiht sind, sondern in ihm spiegelt sich ein Glanz, der vom Anfang herrührt.

Du beginnst jedes Mal neu. Nichts wiederholst Du, nichts führst Du aus Bequemlichkeit weiter, nein, Du lehrst mich den Anfang.

Führe mich in unseren Gesprächen immer zum Anfang. Fange mit mir neu an. Lass mich die Quelle sein, die aus dem Innersten heraus sprudelt und ganz im Vertrauen lebt, dass sie aus der Tiefe genährt wird. Sie legt sich keinen Vorrat an, weil sie alles, was sie ist, aus der Tiefe bezieht.

Schenke mir den Mut der Quelle, die immer in Deiner Gegenwart lebt, aus der Ewigkeit jeden Augenblick empfängt und ihn an die Welt weitergibt. Lass mich als Quelle mit Dir sprechen.

4. Weg

Jeden Tag gehe ich meinen Weg über breite Hügel der Freude, über schmale Brücken der Geduld oder durch Schluchten schwieriger Stunden zu hellen Plätzen wertvoller Begegnungen bis zu den seltenen Gipfeln der Erfüllung.

Begleitest Du mich immer auf meinem Lebensweg? Kennst Du meine Schritte? Hast Du schon längst mein Schicksal vorausgesehen und es mit Deinem Finger in den Sand der Ewigkeit vorgezeichnet?

Gott, willst Du mir nun antworten? Weisst Du schon, was mit mir geschehen wird in der Zukunft? Hast Du mein Leben schon entworfen in Deinem Geist wie ein Architekt, der sein Bauwerk auf Plänen genau festgehalten hat? Hast Du mit Deiner blühenden Phantasie ein Bild gemalt von meinem Weg und schon den letzten Strich vorausgedacht?

Du bist mein Gegenüber im Gespräch. Verbirgst Du Dein Wissen vor mir? Die letzten Geheimnisse sprichst Du nicht aus, doch ich ahne, dass Du schon alles weisst. Dein Wissen erscheint wie ein hoher, unerreichbarer, im ewigen Schnee leuchtender Berggipfel, den ich bewundere, wenn er plötzlich aus den Wolken auftaucht, den ich aber auch wieder vergessen muss, da er nicht fassbar ist, wenn ich meine kleinen Schritte in meinem kleinen, überschaubaren Zeitraum gehe.