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EL DORADO

 

von Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

1. Ein Spiel unter Fremden

2. Ein schlechter Verlierer

3. Ein Besuch auf dem Markt

4. Die (Be)Währung heißt Wissen

5. Der Duft der Angst

6. Enthüllung in der Tiefe

7. Eine letzte Partie Ba'rou

Die verlorenen Jahrhunderte im Überblick

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

1.

Ein Spiel unter Fremden

 

Ich liebte das Leben, bezweifelte jedoch, dass es mich zurückliebte. Wie sonst ließ sich erklären, dass der Alpha-Kreuzer, das Herzstück meiner Raumflotte, ungebremst auf den gegnerischen Stern zuraste und ich dabei nicht mal etwas roch?

Ein Sonnensturm aus ionisiertem Wasserstoff prasselte auf den Schutzschirm ein, ließ ihn aufglühen, verformte ihn und riss ihn schließlich in Fetzen. Der Kreuzer leuchtete auf und zerbarst in einer winzigen, lautlosen Explosion.

Ich schloss die Augen.

»Du hast gerade deine letzte Chance verloren«, triumphierte eine schrille Stimme, »dem Spiel eine Wende zu geben.«

Langsam öffnete ich die Lider. Ich versuchte, meinem Lächeln einen Hauch Verzweiflung beizumischen.

»Mach dir nichts draus«, fuhr Tyramin Fyün fort. »Es wäre ohnehin nur eine winzige Chance gewesen. Willst du aufgeben?«

Ich sah den Jülziish, genauer gesagt den Gursüy, lange an. Durch den halbtransparenten Holoschirm starrte er mir entgegen. Wenn ich die schwer lesbare, geruchlose Mimik des Tellerkopfs hinter der stilisierten Sternkarte mit all den Raumschiffsymbolen richtig interpretierte, war mein Kontrahent zufrieden, ja selbstzufrieden bis zur Grenze der Überheblichkeit.

»Natürlich nicht!«, rief ich mit – hoffentlich überzeugend gespielter – Verbissenheit. Ich deutete auf den herzförmigen, purpurn leuchtenden Anhänger auf dem Tisch. »Was glaubst du, wie meine zukünftige Braut reagiert, wenn sie erfährt, dass ich mein Hochzeitsgeschenk für sie beim Ba'rou-Spiel verloren habe?«

»Vermutlich ist sie anschließend deine ehemalige zukünftige Braut.«

»Eben«, sagte ich. »Deshalb spielen wir weiter!«

»Deine Entscheidung.«

 

*

 

Ich schaute mich in der Halle um, fast schon einem Tempel der Zerstreuung, in dem man schnell ein Vermögen gewinnen, aber noch schneller eines verlieren konnte. Der Planet Vendant und insbesondere die Hauptstadt Raas galten als das Spielerparadies in der Zwerggalaxis Sagittarius. Ein wahres El Dorado für Glückssucher.

Nicht, dass diese Bezeichnung einem der Terraner, Arkoniden, Cheborparner, Wutanga, Ferronen oder Zaliter etwas gesagt hätte, die überall zwischen den Spieltischen umherschlenderten, aus ihren Birrgaschalen schlürften und bei einer Partie kubischem Roulette zusahen oder selbst versuchten, in durchsichtigen Niedriggravitations-Räumen nach kaum verständlichen Regeln Steinquader zu stapeln. Manche stocherten auch mit langen, leuchtenden Stangen in nachgebildeten Gartenlandschaften nach holografischen Früchten oder gaben sich einem der restlichen tausend Glücks-, Geschicklichkeits- und Strategiespiele hin, die ringsum zur Auswahl standen.

Die Mehrzahl davon verstand ich nicht, weil sie nicht der terranischen Kultur entsprangen. Beispielsweise eine Aktivität, bei der zwei Bura-Buroner in einer dünnen Nebelwand verschiedenfarbige Linien zogen, gelegentlich weiße und schwarze Kreissymbole daran entlangsurren ließen sowie sich aus nicht erkennbaren Anlässen zu Boden warfen und etwas riefen, das nach »Hoddna!« klang.

Das Bildungsdefizit der Spieler und Zuschauer war allerdings wenig verwunderlich. Denn keiner von ihnen kannte die Milchstraße oder gar Terra aus eigenem Erleben. Seit ihre Eltern und Großeltern vor gut zweihundert Jahren vor dem Weltenbrand nach Sagittarius geflohen waren, scherten sie sich kaum noch um Erzählungen und Legenden aus der alten Heimat.

Was freilich auch für mich galt. Mir war die Bezeichnung nur deshalb vertraut, weil ich zufällig der Besatzung eines Raumschiffs mit dem gleichen Namen angehörte: EL DORADO. Eine sagenhafte terranische Stadt aus Gold, wie mir Kapitän Alexej Boroff im Überschwang der Begeisterung einmal erzählt hatte.

Von zahlreichen Abenteurern im Dschungel gesucht, aber nie gefunden. Welcher Name könnte besser für unser Heim passen, mein Sohn? Ein Zuhause für eine große Familie aus Abenteurern! Boroffs Worte, nicht meine. Aber deshalb nicht weniger wahr.

Ich entdeckte den Kapitän in einiger Entfernung neben einer mannshohen Holosäule, in der sieben Ebenen mit Symbolen rotierten. Wie immer hatte er die schulterlangen Haare straff zu einem Zopf gebunden und den Vollbart sorgfältig gestutzt. Die fingerbreite Lücke in der linken Augenbraue verlieh ihm ein verwegenes Aussehen. Obwohl ich ihn seit Jahren kannte, hatte ich bisher nicht herausgefunden, ob eine Narbe diesen haarlosen Spalt verursachte oder ob er ihn täglich rasierte.

Die Symbolebenen in der Säule kamen zur Ruhe, zeigten an der Vorderseite drei Schatzkisten, zwei Totenköpfe, einen Planeten und ein Symbol, von dem wohl nur der Programmierer des Spiels wusste, was es darstellen mochte. Leider verloren. Boroff seufzte so theatralisch, dass ich sogar aus der Distanz sah, wie sich sein Körper erst aufbäumte und dann in sich zusammensackte. Bei nächster Gelegenheit sollte ich mit ihm mal ein ernstes Wörtchen über seine schauspielerischen Fähigkeiten reden.

Selbstverständlich interessierte er sich in Wahrheit nicht für die Schatzjagd – Sammle fünf Schatzkisten und verhundertfache deinen Einsatz!, sondern hatte den Platz gewählt, weil er mich von dort aus hervorragend im Auge behalten konnte. Schließlich war die fabelhafte Idee, ausgerechnet mich auf Tyramin Fyün anzusetzen, seinem geschäftstüchtigen Hirn entsprungen.

Wir tun nichts Verbotenes. Wir nutzen nur sämtliche Vorteile und deine speziellen Fähigkeiten.

Erneut seine Worte, nicht meine. In diesem Fall jedoch bezweifelte ich, dass sie zutrafen. Das Gesetz auf Vendant besagte eindeutig, dass es illegal war, »mit Psi-Gaben, technischen Einrichtungen oder sonstigen Mitteln, die geeignet wären, sich einen regelwidrigen Vorteil zu verschaffen«, am Spiel teilzunehmen. Wer es trotzdem wagte und dabei erwischt wurde, sollte sich für die nächsten fünfzig Jahre besser nichts vornehmen, weil er die nämlich auf dem Gefängnismond von Vendant verbrachte. Sofern ihn der geprellte Kontrahent nicht vorher umbrachte. Kein unwahrscheinliches Szenario, weil die Tötung im Affekt bei nachgewiesenem Betrug keine Straftat darstellte.

Merkwürdige Gesetze. Merkwürdiger Planet.

Im Augenblick spielte es keine Rolle, weil ich ohnehin nichts roch. Stattdessen fühlte ich mich gefangen zwischen den Alternativen, Alexej Boroff zu enttäuschen oder Tyramin Fyün zu erzürnen. Manchmal liebte mich das Leben eben einfach nicht zurück.

 

*

 

»Wenn du unbedingt weiterspielen willst«, mischte sich die Stimme des Gursüy in meine Gedanken, »passiert das dann noch in diesem Jahr?«

Ich lächelte ihn durch den Ba'rou-Schirm an und deutete auf die Spielsteine, die verdeckt vor ihm lagen. »Entschuldige. Ich muss erst verdauen, dass du einen Gravitationsverstärker ausgespielt hast. Der kommt im gesamten Spiel schließlich nur einmal vor. Weshalb hast du ihn nicht früher eingesetzt?«

»Warum sollte ich dir meine Strategie verraten?«

Weil es mir dann leichter fiele, Boroff nicht zu enttäuschen. »Auch wieder wahr.«

Der Form halber wehrte ich mich noch fünf Minuten lang gegen die unvermeidliche Niederlage, legte achtlos Spielsteine in den Holotaster, der meine Züge im Ba'rou-Schirm visualisierte, verlor in rasanter Folge erst meine restlichen Raumschiffe und dann die planetaren Stützpunkte. Schließlich erlosch die Sternkarte und machte einem Schriftzug Platz: »Tyramin Fyün hat gegen Sheb Mahoon gewonnen. Herzlichen Glückwunsch.«

Die Kette mit dem Anhänger verschwand genauso in der Tasche des Gursüy wie sein Spieleinsatz, ein Hyperkristall.

»Ich ... Das ...«, stammelte ich.

»Nimm's nicht so schwer. Du findest bestimmt eine andere Frau.« Fyün wollte sich abwenden.

»Gewährst du mir Revanche?«

Er verharrte. »Ich glaube nicht.«

»Bitte! Nur noch ein Spiel. Du musst mir doch die Chance geben, den Anhänger zurückzugewinnen.« Der in Wirklichkeit Luara Del'Ro gehörte, einer Mannschaftskameradin, und keineswegs meiner zukünftigen Braut. Sie war alles andere als begeistert gewesen, mir das Schmuckstück als Einsatz zu leihen. Aber irgendeinen Köder brauchten wir schließlich für Fyün, nicht wahr? Und immerhin hatte sie den Gursüy als geeigneten Gegner auserkoren und seinen Hintergrund recherchiert, insbesondere die finanziellen Verhältnisse.

»Muss ich das?«, höhnte Fyün.

»Nun ja, Spielerehre, du weißt schon.«

»So etwas kümmert mich nicht. Mich interessiert nur die Aussicht auf einen wertvollen Gewinn. Ich glaube, das Wertvollste hast du bereits verspielt.«

Abermals gaukelte ich Verzweiflung vor. Ich ermahnte mich, nicht zu dick aufzutragen. Ein Hundeblick, fest aufeinandergebissene Zähne, eine zur Faust geballte Hand. Das musste genügen.

»Bitte! Als Einsatz biete ich ...« Ein letzter, wie verirrt wirkender Blick zu Boroff. Er nickte mir zu. »... mein Schiff!«

Und endlich – endlich! – roch ich etwas. Eine winzige Veränderung in Fyüns Körperchemie, die Ausschüttung von Hormonen, was auch immer.

Ich verstand die Fähigkeit selbst nicht genau. Ehrlich gesagt, verstand ich sie gar nicht. Ich verfügte nicht etwa über eine Psi-Gabe, war also kein Emotionaltaster, Bioriecher, Gefühlsschnüffler oder wie man es hätte nennen mögen. Ich war schlicht mit einem sehr feinen Geruchssinn ausgestattet. Etwas, was nach lokaler Rechtsprechung als »sonstiges Mittel« galt, das geeignet wäre, mir einen regelwidrigen Vorteil zu verschaffen.

Boroff sah das entspannter. Deine Fähigkeit ist weder messbar noch sichtbar. Niemand wird etwas bemerken. Es wäre leichtfertig, sie nicht zu nutzen. Seine Worte. Wieder einmal.