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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

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Nr. 2356

 

Schmerzruf

 

Sie nennen ihn den Stolzen Herrn – er ist ein Wesen mit besonderen Begabungen

 

Christian Montillon

 

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Wir schreiben das Jahr 1345 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – dies entspricht dem Jahr 4932 alter Zeitrechnung. Die Milchstraße ist von der Terminalen Kolonne TRAITOR besetzt, einer gigantischen Flotte der Chaotarchen.

Ihr Ziel ist es, aus Welten der Galaxis einzelne »Kabinette« für einen Chaotender zu formen, eines der machtvollsten Instrumente des Chaos schlechthin: Dieser Chaotender soll einmal VULTAPHER heißen und das Territorium einer entstehenden Negasphäre sichern. Eine Negasphäre wiederum ist eine Brutstätte des Chaos, die normale Lebewesen als absolut lebensfeindlich empfinden.

Perry Rhodan und die Menschheit sind im Solsystem bisher sicher vor dem Zugriff der Terminalen Kolonne. Der TERRANOVA-Schirm schützt das System gegen Angriffe, unterstützt durch den Nukleus, ein sogenanntes Geisteswesen, das aus menschlichen Mutanten hervorgegangen ist. Innerhalb der Galaxis gibt es weitere kleine Widerstandsgruppen.

Zentrum des Geschehens ist aber nicht die Milchstraße selbst, sondern die Galaxis Hangay. Dort sind längst die Chaosmächte aktiv, jetzt kommen neue Mächte ins Spiel – und der mysteriöse SCHMERZRUF …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Kantiran Rhodan – Der Friedensfahrer bricht zu einer Geheimmission auf.

Cosmuel Kain – Die Novizin soll das Camp Sondyselene aufbauen.

Naigon – Die Ankunft des »Stolzen Herrn« gestaltet sich rätselhaft.

Ingittz Zaul – Das Echsenwesen steht Naigon in dunklen Tagen zur Seite.

Alaska Saedelaere – Der Aktivatorträger macht eine entscheidende Entdeckung.

Prolog

 

Ich bin Ingittz Zaul.

Ihr solltet mir gut zuhören, denn ich habe eine erstaunliche Geschichte zu erzählen.

Bis vor einigen Monaten war ich ein unwichtiger Incas, der zwar weit herumgekommen war, aber nirgends etwas Bedeutendes vollbracht hatte. Im Sternhaufen Lazaruu wäre alles genauso abgelaufen, wenn ich mein Leben nicht gelebt hätte.

Kein sehr angenehmer Gedanke. Im kosmischen Geschehen war ich nicht mehr als ein Wurm, genauso bedeutungslos wie einer der Millionen Sonnenstrahlen, die morgens auf die Sternstädte des Planeten fallen, auf dem ich ihn getroffen habe.

Ihn.

Er machte mein Leben erst wertvoll. Ich habe ihn monatelang begleitet; eine erstaunliche Reise. Plötzlich war ich wichtig. Oder kam mir zumindest wichtig vor. An seiner Seite zu leben, das war, als … als …

Als wäre ich mit einem Mal nicht mehr nur einer von unendlich vielen Sonnenstrahlen gewesen, sondern die Sonne selbst.

Ja, ich glaube, ohne mich wäre sein Weg anders verlaufen. Vielleicht wäre er ohne meinen Zuspruch heute noch in der Rohstoffmine.

Nein. Ein absurder Gedanke. Könnte jemand wie er dort unten versauern? Könnte die Geschichte über ihn hinweggehen, wie sie jahrelang über mich hinweggegangen ist?

Ich bin Ingittz Zaul, und ich habe eine Geschichte zu erzählen. Manches hat er mir berichtet, manches habe ich in Il-Vuccash recherchiert. Jedes einzelne Wort ist wahr. Ich kenne den, über den sie singen, die Vagabunden, die mit ihren Künsten mehr schlecht als recht über die Runden kommen, ihren Zuhörern ein paar Münzen entlocken und dafür so tun, als wäre es Poesie, was sie hervorbringen. Eines der zahlreichen Lieder, das sie singen, kennt inzwischen jeder, und auch wenn es nicht in allen Details stimmt, so enthält es doch Wahrheit. Poetische Wahrheit sozusagen.

Er kam,

doch sie erkannten ihn nicht.

Er kam,

doch sie verachteten ihn.

Bis er seine Wunder zeigte.

Dann kam er,

und sie zitterten.

Dann kam er,

und sie starben.

Auch ich erkannte ihn zuerst nicht. Aber ich verachtete ihn niemals. Keinen Augenblick lang. Irgendwo, tief in mir, spürte ich, dass mein Leben durch die Begegnung mit ihm eine Wende erfuhr.

Ich bin Ingittz Zaul, und das ist meine Geschichte.

1.

Fremd und anders

18. Dezember 1344 NGZ

 

»Sei vorsichtig mit dem, was du sagst!«

Der Händler fuhr die Krallen aus und schlug sie in das Holz des Marktstandes. Die roten Augen in dem dicht mit ungepflegtem Fell bewachsenen Gesicht verengten sich.

Die Antwort bestand aus einem Fauchen – kurz, aggressiv, hart. Der Kunde hob beide Arme und zeigte ebenfalls die Krallen. Er stieß sie in rascher Folge immer wieder aneinander, ein Konzert aus hastigen, klickenden Geräuschen.

»Ich überlege mir jedes Wort genau, Sir-Lak! Jedes einzelne. Aber dir ist offenbar der Schmalz in den Ohren geronnen. Hörst du schlecht, ja? Muss ich dir den verkrüppelten Lappen, den du Ohr nennst und der mein Auge ohnehin beleidigt, vielleicht abreißen?«

Sir-Lak stemmte beide Hände auf die Ablage seines Verkaufhäuschens. Die dargebotene Ware schob er beiseite. Eine nahezu kopfgroße exotische Frucht, die in fluoreszierendem Rot leuchtete und penetrant süßlichen Geruch verströmte, kam ins Rollen, überwand die Kante und stürzte.

Beim Aufprall barst die harte Schale, und nicht nur schimmerndes Fruchtfleisch kam zum Vorschein, sondern auch einige schwarze Würmer, die rasch herauskrochen und den Schutz von Dunkelheit und Feuchtigkeit suchten.

La-Kira bückte sich, hob die Frucht auf und riss die Hälften vollständig auseinander. Weitere der widerwärtigen Tiere tropften zu Boden. »Braucht es einen weiteren Beweis? Deine Ware ist verdorben, und ich will mein Geld zurück.«

Das Nackenfell des Händlers sträubte sich, die langen seidigen Schnurrbarthaare zitterten. »Bei meiner Ehre! Ich überprüfe jedes einzelne Stück, ehe ich es zum Verkauf anbiete! Wahrscheinlich hast du die Srukii-Würmer heute Nacht in mein Lager geschmuggelt oder sie mithilfe eines Transmitters …«

»Maul halten!«, schrie La-Kira und knallte die Hälfte der Frucht auf die Ablage. Die Erschütterung brachte weitere Früchte ins Rollen und stieß einige grob gearbeitete Kartanin-Figuren aus billigem Metall um. Sie klirrten aneinander und rissen die Abbilder von ausgemergelten Hauri mit sich, die, wie es bei zeitgenössischer Kartanin-Kunst üblich war, noch mehr einem Skelett glichen, als es in natura der Fall war.

Der Händler riss den Mund auf und zeigte spitze Zähne. Er bückte sich angriffsbereit vor, zischte mit einer Pranke durch die Luft. Mit der anderen griff er in die Tasche seiner grauen Kombination.

La-Kira war schneller. Er zielte mit einem Handstrahler auf den Kopf des Händlers. »Zieh deine Waffe, und ich brenne dir ein Loch in den Schädel. Dein Nachfolger kann dann gegrilltes Ekelhirn feilbieten, wie wär’s?«

Um die beiden streitlustigen Kartanin bildete sich eine Traube neugieriger Zuschauer. Ein überschlanker Hüne mit breitem Kopf, aus dem seitlich mehrere Sehtentakel ragten, die sich auf den Ort des Geschehens ausrichteten, stieß einen blubbernden Laut aus, dem die Begeisterung deutlich anzuhören war. Ein braunscheckiges Wesen, das auf vier Beinen ging und ebenso Haustier wie Freund sein konnte, scharrte mit den hinteren Hufen.

Doch die Sensationsgierigen wurden enttäuscht. Der sich anbahnende Kampf zwischen La-Kira und Sir-Lak fand nie statt.

Denn in diesem Moment polterte es am Ende der Sackgasse.

La-Kira vergaß den Ärger über die verdorbene Ware des Händlers, bei dem er seit Jahr und Tag exotische Früchte kaufte. Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, sich eine andere Bezugsquelle zu suchen. Er hatte ihn nur ein bisschen aufmischen und vielleicht das eine oder andere Gratisstück herausschlagen wollen.

Das Poltern am Ende der kleinen Sackgasse lenkte ihn ab.

Sir-Laks Verkaufsstand stand auf einer Plattform direkt neben dem schmalen Weg zwischen zwei zwar nur zwei Etagen hoch aufragenden, aber Dutzende Meter in die Tiefe reichenden Handelshäusern.

Die Sackgasse endete an einem undurchdringlichen, durchsichtigen Energieschirm, gegen den von der anderen Seite der offene Ozean toste – ein atemberaubender Anblick, um den sich an dieser Stelle allerdings niemand kümmerte.

Hundert Meter entfernt erhob sich ein Aussichtspunkt für Touristen; jeder, der zum ersten Mal in der Sternstadt weilte, besuchte den Erlebnistunnel, einen nur von energetischen Wänden abgeschirmten Gang, der weit in den Ozean hineinführte und faszinierende Blicke in die Tiefsee erlaubte.

La-Kira murmelte ein »Schon gut«, ließ den in Angriffsposition verharrenden Sir-Lak links liegen und ging in die Sackgasse. Er ahnte, dass dort etwas Geheimnisvolles vor sich ging. Und wenn er sich auf etwas verlassen konnte, dann auf seine Spürnase für Geschäfte.

Niemand folgte ihm. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass sich die Zuschauer wieder zerstreuten. Als Letzter trollte sich der Hüne mit eingezogenen Sehtentakel.

Das Poltern zwischen den Containern hielt an. Die Behälter standen dort seit vielen Stunden; in der Morgendämmerung hatten Roboteinheiten sie dorthin transportiert.

Wer befand sich dort? Wie sollte jemand durch den Ozean und den Energieschirm gekommen sein? Und auf welche Weise hätte er La-Kira und den Verkaufsstand passieren können, ohne dass dieser es merkte – es sei denn, der Betreffende hätte einen Deflektor getragen?

Doch warum sollte jemand im Schutz eines Deflektors in die Sackgasse eindringen? Die dort lagernden Container enthielten nichts von großem Wert; zum größten Teil dürften die Waren zu dieser späten Abendstunde bereits verkauft sein.

La-Kira näherte sich dem Ursprung des Polterns, das unentwegt andauerte. Ein dumpfer, ständig wiederkehrender Schlag.

Seine hochsensiblen Ohren hatten dieses Geräusch schon einmal vernommen. Er erinnerte sich genau daran – vor mehr als drei Jahren war eine Lurex-Ratte in einen Marktcontainer geraten. Das Tier war immer wieder von innen gegen die Wand gerannt. Ein hohles Trommeln, gespenstisch und aggressiv.

Was er jetzt hörte, klang fast genauso, nur heller. Weil sich der Verursacher des Lärms nicht in einem der Container befand, sondern davor. Er schlug immer wieder gegen das Metall … Nur warum?

Noch konnte der Felide nichts sehen. Langsam schlich er näher, dachte an das Bild, das sich ihm Jahre zuvor geboten hatte, als endlich Stille eingekehrt war und man den Container öffnete. Vorher hatte man sich nicht getraut, einen Blick hineinzuwerfen, denn jeder hatte geahnt, dass eine Lurex den Lärm verursachte. Und mit diesen Viechern war nicht zu spaßen. La-Kira war damals einer der Ersten gewesen, die den geborstenen Schädel und die mit grellgrünem Blut durchmischte blassgraue Gehirnmasse zu Gesicht bekommen hatten.

Er atmete tief durch und trat um die Ecke des fraglichen Containers.

Der Anblick war weniger schaurig, aber nicht minder ungewöhnlich. Die Gestalt war humanoid, merklich größer als ein durchschnittlicher Kartanin, muskulös und breitschultrig. Einige kleinere Wunden verunzierten die bläuliche Haut, die von zahlreichen mäandernden dunkleren Adern durchzogen war. Von dieser Haut gab es jede Menge zu sehen. Das Wesen war nackt bis auf eine Kappe aus schwarzem Stoff, die den oberen Teil des Schädels bedeckte und in einer Schirmkrempe auslief.

Wie närrisch!, dachte der Kartanin bei sich.

Der Fremde hielt die Augen geschlossen. Sonstige klassische Sinnesorgane existierten nicht; von der Unterseite des Kiefers bis hoch zur Mitte der Stirn zog sich eine tiefe Einkerbung, wie eine Falte. Aus kiemenartigen Öffnungen an den Seiten des Halses drang leises Stöhnen.

La-Kira hörte es erst, als er dicht heran war.

Einer der Arme des Blauhäutigen verursachte das stete Poltern. Der Handrücken schlug in gleichmäßigen Intervallen gegen die Containerwand. Eine seltsame, katatonisch wirkende Bewegung, zumal der Fremde nicht auf die Annäherung La-Kiras reagierte.

»Was ist das?«, hörte der Kartanin plötzlich hinter sich eine Stimme. Er war so in die Betrachtung der Kreatur versunken gewesen, dass das Auftauchen Sir-Laks ihn völlig überraschte.

Er ging nicht auf die Bemerkung des Händlers ein, wandte sich stattdessen an den Blauhäutigen. »Kannst du mich hören? Ich will dir …«

Die restlichen Worte verschluckte er, als sich das dumpfe Brummen des Unbekannten verstärkte – merklich verstärkte. Es glich mit einem Mal einem lang anhaltenden Schrei, der La-Kira unangenehm berührte. Darin spiegelte sich Erschrecken. Verlorenheit. Und Angst.

Der Händler Sir-Lak erwies sich als weniger zimperlich. »Das sind meine Container, klar, du Idiot? Schaff dich weg von hier! Hast wohl eine Überdosis Roog geleckt?«

Er trat zu dem Nackten, streckte die Hand aus, um ihn zu packen – und stockte im letzten Moment. »Aber du hast ja noch nicht mal eine Zunge … Ist nichts mit Rooglecken, was?«

»Siehst du nicht, dass er …«

»Was?«, unterbrach der Händler und strich nervös über den spärlichen, räudig aussehenden Haarflaum auf seinen Armen. »Dieser Penner macht sich an meinem Eigentum zu schaffen!«

»Wunderst du dich gar nicht, wie er dorthin gekommen ist? Er ist nicht an uns vorbeigelaufen.«

»Vielleicht hat er einen Deflektor benutzt, ist mir doch egal. Er soll verschwinden, und zwar sofort, ehe ich ihm Beine mache!«

»Einen Deflektor?« La-Kira fauchte. »Wo bitte soll er den denn tragen? Er ist nackt, falls es dir noch nicht aufgefallen ist. Außerdem ist er wohl kaum in der Verfassung, ein technisches Gerät zu bedienen.«

»Mir egal«, wiederholte der Händler. »Ich muss Geld verdienen. Sorgst du dafür, dass er von hier verschwindet, oder soll ich …«

»Ich kümmere mich darum«, versicherte La-Kira. »Er ist der Richtige, ihn an die Incassis zu verscherbeln.«

In die Augen des Händlers trat unvermittelt ein gieriges Glitzern. »Du willst ihn als Sklaven verkaufen? Keine schlechte Idee. Aber er ist in meinen Sachen gefunden worden. Er gehört mir.«

»Es war meine Idee«, widersprach La-Kira. »Ich habe ihn entdeckt.«

Sir-Lak fuhr die Krallen aus und reckte sie seinem Gegenüber entgegen. Gleichzeitig riss er den Mund auf und sog zischend die Luft ein. Eine rituelle Drohgebärde.

»Ich bin bereit, dir die Hälfte des Erlöses zuzusprechen, wenn du dich um ihn kümmerst.« Siegessicher wandte er sich ab. »Ich habe andere Aufgaben.«

»Einverstanden.«

Die Kreatur, um deren finanziellen Gegenwert die beiden Katzenartigen stritten, war inzwischen völlig verstummt. Weder stieß sie weiterhin jenen Wehlaut aus, noch schlug sie gegen die Containerwand. Sie … öffnete die Augen.

La-Kira wurde unwillkürlich unbehaglich zumute, als er in das orangefarbene Glühen starrte. Er wandte sich um, wollte Sir-Lak fragen, ob er dasselbe unheimliche Empfinden hatte, doch sein Geschäftspartner war bereits außer Sichtweite.

Plötzlich überfiel den Kartanin Angst. Noch mehr Angst als damals, als er sich in den Container beugte, um die Lurex-Ratte in näheren Augenschein zu nehmen, und das vermeintlich tote Biest mit dem zerschmetterten Schädel sich auf ihn stürzte.

Unmöglich, hatten irgendwelche klugen Leute später gesagt, die nicht dabei gewesen waren. Es hat sich vielleicht um irgendwelche Reflexe gehandelt.

Aber La-Kira wusste es besser. Das Rattenvieh hatte noch gelebt. Erst La-Kiras Krallen hatten sein Leben ausgelöscht.

In den Augen des Unbekannten spiegelte sich stupides Unverständnis.

»Wie kommst du zwischen diese Container?«

Der Blauhäutige antwortete nicht. Möglicherweise konnte er gar nicht sprechen. Einen Mund besaß er jedenfalls nicht. Die Geräusche, die aus den seitlichen Halsöffnungen drangen, konnten ebenso gut bloße Laute sein, tierische Äußerungen, dem Krächzen eines Vogels oder dem Grunzen eines Wühlwurganis ähnlich. Vielleicht war dieses Wesen nicht einmal wirklich intelligent.

La-Kira fluchte leise. Das wäre fatal.

Die Incassis kauften keine Halbintelligenzen, und mochten sie noch so muskulös und damit für die harte Arbeit in den Rohstoffminen bestens geeignet sein – was nutzte körperliche Stärke, wenn die Sklaven ihre Befehle nicht verstanden?

Dieser Gedanke wollte dem Feliden gar nicht gefallen. Er hatte die unverhoffte Finanzspritze dringend nötig und die halbe Entlohnung gedanklich schon ausgegeben …

Die nächsten Sekunden versöhnten ihn wieder mit seinem Schicksal.

Der Fremde fixierte den Blick seiner glühenden Augen auf La-Kira und stieß Laute aus, die zweifellos ein Wort bildeten. Ein Wort allerdings, das der Kartanin noch nie gehört hatte. Es war nicht dem Kartasch entnommen, dem Idiom, das auf Hallie-Loght und im ganzen Lazaruu-Sternhaufen jeder sprach, einer rauen Abart des Hochkartanischen.

»Verstehst du mich?«, rief La-Kira erneut und verfluchte den Umstand, keinen Translator bei sich zu tragen. Doch wer konnte an einem normalen Tag im Handelszentrum der Sternstadt Il-Vuccash damit rechnen, ein solches Gerät zu benötigen? Zwar gab es hier Besucher aus nahezu dem kompletten Sternhaufen, aber jeder reisende Händler wusste, dass sie den Ansässigen Respekt erwiesen, indem sie sich des Kartasch bedienten – und Respekt gegenüber denjenigen, mit denen man Handel treiben wollte, bedeutete Vorteile für das Geschäft.

Der Blauhäutige stieß mit dem rechten Fuß auf. Eine kleine Staubwolke stob in die Höhe. Er spannte die Muskeln seiner dicken Oberarme. Die Falten an seinem Hals bewegten sich zitternd, zogen sich ein, blähten sich dann.

Er atmet hastig, erkannte La-Kira. Die kiemenartigen Lappen dienen nicht nur zum Sprechen, sondern auch zum Luftholen.

Eine blaue Hand mit dunklen Nägeln tastete nach der Kappe, schob sie über dem Hinterkopf zurecht. Wieder stieß der Fremde jene dumpfen, ängstigenden Laute aus.

Und dann stampfte er plötzlich auf La-Kira zu. Reckte ihm die Hände entgegen. Die Finger krümmten sich zu Klauen.

Der Kartanin zögerte nicht länger. Er tat, was er längst hätte tun sollen, und riss den Handstrahler hervor.

»Bleib stehen!«, forderte er, obwohl er nicht die geringste Hoffnung hegte, der Nackte könnte ihn verstehen.

»Nicht doch«, rief in diesem Moment hinter ihm eine ihm nur allzu bekannte Stimme. Sir-Lak war zurück. »Beschädige unsere Ware nicht!«

Eine kleine Glaskugel flog dicht an La-Kiras Kopf vorbei, zerschellte an der Brust des Blauen. Wallende Dämpfe stiegen auf, umhüllten den Kopf des Fremden, der augenblicklich im Lauf stockte, taumelte und ohnmächtig zu Boden prallte.

»Immer diese rohen Strahler«, tadelte der Händler. »Es geht auch anders. Eleganter. Lautloser. Es ist ohnehin ein Wunder, dass noch niemand anders hier aufgetaucht ist, der sich ein Scheibchen von der Entlohnung der Incassis abschneiden will. Und nun erledige endlich deine Arbeit und kümmere dich um den Verkauf.«

 

 

Dazwischen:

Rosella Rosado

12. Mai 1345 NGZ

 

Wie konnte ich nur? Wie konnte ich eine halbe Ewigkeit lang mit ihr in einer winzigen OREON-Kapsel eingesperrt sein, ohne …

Kantiran Rhodan sah Cosmuel Kain vor sich: Sein Blick fand nicht den geeigneten Punkt, um zu verharren. Weder die weißblonden Haare mit dem seitlich abstehenden Zopf boten sich dafür an noch ihre schlanke Taille oder das – zweifellos wohlgeformte – Hinterteil. Es war ihre komplette Gestalt, die Kantiran faszinierte.

Und ihr Wesen. Alles, was die Cyno ausmachte, die sich zeit ihres Lebens für eine Terranerin gehalten hatte.

Ihr Mut, mit dem sie die Angst überwand, die immer wieder mit Spinnenfingern nach ihr griff.

Ihr forsches Vorangehen und die sture Beharrlichkeit, mit der sie ihre Ziele verfolgte.

Die Sensibilität, die in verborgenen, heimlichen Momenten aufblitzte, etwa wenn sich ihre Augen verschleierten, weil sie über ihre geheimnisvolle Vergangenheit und ihr immer stärker dominierendes Erbe sprach, oder wenn Kantiran versuchte, ihr etwas über die Geschichten zu entlocken, die sie schrieb, wenn sie sich stundenlang alleine in ihre Kabine zurückzog.