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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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13.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

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Nr. 2369

 

Quartier Lemurica

 

Am Sonnentransmitter Nagigal – ein Sternenvolk zwischen zwei Extremen

 

Michael Marcus Thurner

 

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Seit die Einheiten der Terminalen Kolonne TRAITOR mit ungeheurer Waffengewalt die Kontrolle über die Milchstraße und ihre Planeten übernommen haben, steht die Menschheit in einem verzweifelten Kampf. Beispielsweise leistet das Solsystem – geschützt durch den TERRANOVA-Schirm – unter Perry Rhodans Führung noch Widerstand gegen die Armada der Chaosmächte.

Nur wenige andere Verstecke in der Menschheitsgalaxis sind noch nicht von TRAITOR besetzt. Dazu zählt der Kugelsternhaufen Omega Centauri, in dem es uralte Hinterlassenschaften gibt. Mit ihrer Hilfe soll in diesem Jahr 1345 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – dies entspricht dem Jahr 4932 alter Zeitrechnung – endlich ein Gegenschlag beginnen: Der Arkonide Atlan und seine Verbündeten wollen einen sogenannten Sonnentransmitter aktivieren und mit diesem in die ferne Galaxis Hangay vorstoßen.

In Hangay soll schließlich eine Negasphäre entstehen, eine Brutstätte des Chaos und Grund für alle kosmischen Aktivitäten der letzten Zeit. Auf dem Weg dorthin liegt indessen QUARTIER LEMURICA …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Aheun Arcalotz – Ein Feinschmecker erweist sich als völlig unbegabter Politiker.

Calazi Matmu – Die beste Freundin Aheuns weiß jede Lage zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Pif Kinz – Der angehende Ordin-Priester übt sich in Ränken.

Achwelatze Dong – Einer der unnachsichtigsten Lehrer Aheuns.

Abamäus Zott – Der oberste Küchenchef entwickelt sich zum Förderer Aheuns.

»Es ist ein Junge, Achnia! Sieh nur, wie hübsch er ist: die dunkelblauen Augen, das krause Löckchen, das ihm neckisch ins Gesicht fällt, die samtene Haut … Du machst mich zum glücklichsten Raphanen dieser Welt!«

(Leidenschaftlich innige Umarmung. Schwenk auf das Kind. Nahaufnahme.)

»Es ist das Kind, das wir uns zeitlebens gewünscht haben, Oveniu. Das Kind unserer alles umfassenden Liebe.«

»Bleib ruhig, mein Schatz; das Reden strengt dich zu sehr an.«

(Achnia und Oveniu weiterhin in inniger Umarmung. Beide blicken in die Trivid-Kamera.)

»Mit dir an meiner Seite geht es mir gut. Ich bin so glücklich, so unglaublich glücklich, Achnia …«

(Achnia lächelt müde.)

»Wie sollen wir ihn denn nennen, den kleinen Liebling?«

»Was hältst du von Zigzig?«

»Sehr schön, meine Blume. Ach – ich werde euch beide bis ans Ende aller Zeiten lieben. Solange ihr an meiner Seite seid, brauche ich keinen Reichtum und keine Besitztümer.«

(Achnia und Oveniu herzen einander weiterhin, dann schläft die Frau erschöpft ein. Der kleine Zigzig gähnt, wird vom Vater zärtlich an ihre Seite gelehnt. Arzt und Hebamme strahlen um die Wette, bevor sie den Raum verlassen.)

(Und beschafft gefälligst ein Balg mit herzeigbarem Gesicht!)

Kinder des Glücks, Folge 26, 6. Szene

 

 

1.

 

»Ich versteh’s einfach nicht, ich kann’s nicht glauben …«

»Dann hättest du halt besser verhütet! Kann ich was dafür, wenn der Herr zu blöd ist, um sein Ding in einer Tüte zu verpacken. Das haben wir jetzt davon.«

»Kannst du’s nicht einfach wegmachen? Du weißt schon; irgendwie rausdrücken oder vergiften oder so ’n Zeug?«

»Willst du mich etwa umbringen?«

»Bring mich bloß nicht auf schlechte Gedanken, Weib. Du meinst also, dass uns das Balg erhalten bleibt?«

»Du weißt, dass wir es nicht wegmachen können. Es geht einfach nicht. Ist außerdem viel zu spät, um jetzt noch etwas zu unternehmen. Ich kann schon spüren, wie es sich bewegt. Jetzt lass ich keinen Engelmacher mehr an mich heran. Gib mir mal einen Schluck vom Scharfen.«

»Darfst du überhaupt noch was trinken, Elfia? Schadet das nicht dem Kind?«

»Ach was! Ich hab Durst. Hab noch gar nichts gefrühstückt. Hat ein Gläschen vom Vergorenen etwa den anderen drei geschadet? Die schauen mir alle ziemlich lebendig drein.«

»Wenn du mich fragst, sind sie allesamt keine besonderen Leuchten geworden. Weiß nicht, wie lange die uns noch auf der Tasche liegen werden.«

»Wär’ ja schön, wenn’s zumindest eine Tasche voll mit Geld wäre. Hast du heut Glück gehabt?«

»Nur kleine Jobs. Nichts Aufregendes.«

»Wir müssen die Miete bezahlen, Windor! Der Hauswirt war heute diesen Monat schon zum dritten Mal bei mir …«

»Ich weiß! Ich weiß!«, schrie Windor. Er drehte sich um, hieb wütend gegen die Kante ihres Bettrahmens, ließ sich schließlich zurückfallen und stützte den Kopf müde zwischen die Hände. »Wenn es doch jemals besser werden würde …«

»Das wird es, vertrau mir.« Elfia streichelte zitternd über seinen Rücken. »Die Typen im Trivid schaffen’s ja auch alle. Und jetzt reich mir endlich den Scharfen rüber.«

Windor stand auf, ging mit schlurfendem Schritt aus dem Schlafzimmer. »Wenn ich das Geld für die Miete nicht zusammenkrieg, dann musst du ran«, sagte er, bevor er den engen Raum verließ.

»Ich weiß.« Elfia drehte sich zur Seite, nippte am Syntho-Schnaps und atmete tief durch. »Der Hauswirt bekommt, was er verlangt.«

Die dünne Cyclo-Tür schloss sich schmatzend hinter Windor.

Elfia lauschte. Es erschien ihr für die Tageszeit ungewöhnlich ruhig. Das Schreien und Hupen und Schimpfen und Heulen, jene übliche Geräuschkulisse, die von den Straßen und den Lichthöfen in ihre kleine Wohnung drang, erschien ihr heute weit, weit weg. Selbst die Kinder, die sonst wie verrückt durch ihr Zimmer jagten, schienen auf ihren Zustand Rücksicht zu nehmen.

Elfia streichelte über ihren Bauch. Er zeigte bereits eine kleine Rundung. Seit Wochen schon wusste sie, was mit ihr los war. Sie hatte es vor sich selbst geleugnet, hatte das Leben, das in ihr heranwuchs, einfach ignoriert. So lange, bis sich das Kind mit heftigen Tritten in Erinnerung gerufen hatte. Ein zusätzliches Balg würde in diesem Elend heranwachsen müssen.

Sie nahm einen weiteren, tiefen Schluck aus der Flasche und genoss die Wärme, die sich in ihrem Magen ausbreitete.

Das Leben war beschissen. Ein einziges Jammertal. Elfia unterdrückte das Schluchzen, das plötzlich in ihr hochdrängte.

Es gab bloß eine Hoffnung, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Sie würde an der Verlosung teilnehmen. So, wie sie es bereits anlässlich der Geburt ihrer Söhne Varo, Janicim und Feitlo getan hatte.

Hundertdreißig Auserwählte schaffen es im Jahr, dachte Elfia, während sich bleierne Müdigkeit über sie legte. Nicht mehr und nicht weniger. Bloß ein Bruchteil jener, die geboren werden. Sie entkommen diesem Elend, um ein Leben in Saus und Braus zu genießen.

Das Trivid des Schlafzimmers erwachte zum Leben. Die meisten Übertragungskanäle zeigten Schmonzetten, die sie so sehr liebte. Die Naturfilme waren nicht nach ihrem Geschmack; sie erschienen ihr so weit weg und so … obszön. Nachrichten aus den Himmelszonen ödeten sie an, die Werbeprogramme verloren nach der hundertsten Wiederholung ihren Reiz. Die Mitmachkanäle, bei denen man kleine Prämien gewinnen konnte, strengten an. Sie erforderten viel zu viel Gehirnschmalz – auch wenn sie recht gerne den neuesten Schallfresser oder eine Hand-Cyclo-Presse gehabt hätte.

Warum spielte Windor nicht mit? 50 Stockwerke oberhalb gab es angeblich zwei Typen, die nichts anderes taten, als den lieben langen Tag vor dem Trivid zu sitzen, um Gewinne einzuheimsen. Man sagte, dass sie mit dem Verkauf der Prämien recht gut verdienten und sich so eine Wohnung nahe der Himmelszone leisten konnten.

Windor war zu blöd für die Mitmachspiele, gestand sie sich ein. Er hatte keine Ahnung, was sich rings um ihn herum tat. Weder wusste er über ihre Heimat Bescheid, noch kannte er sich in der Politik aus oder wollte etwas über Raumfahrt, die Priesterschaft oder die Fragmentwelten wissen. Sein höchstes Glück waren Saufereien mit irgendwelchen Kumpanen tief unten im Schattenreich. Sie hätte wissen müssen, dass mit diesem Versager kein Hochkommen möglich war!

Elfia hustete. Sie stützte sich hoch und tauschte den Fensterfilter aus. Den alten, klebrig braunen warf sie in den Cyclo-Behälter. Er zeigte einen geringen Betrag an, der ihrem Haushaltskonto gutgeschrieben wurde. Das Geld stand in keinem Vergleich zu den Kosten eines neuen Filtersatzes, den sie in den nächsten Tagen würde bestellen müssen.

Sie blickte durch das kleine Fenster ins Freie. Neblige Schlieren zogen sich über die Straßenstege, die im Abstand von wenigen Metern zur Wohnung vorbeiführten. Ein Beleuchtungskörper flackerte, die anderen warfen trübes Licht.

Elfia sah auf die Uhr. Es war helllichter Tag – zumindest im Himmelreich, weit oberhalb. Vielleicht schien dort die Sonne, vielleicht regnete es. Hier, an der Grenze zum unteren Drittel ihres Wohnblocks, tröpfelte es stets. Was auch immer die Flüssigkeit sein mochte, die vom Himmelreich herabgeronnen kam – sie war seit jeher Bestandteil ihres Lebens gewesen.

Gegenüber, in einer Entfernung von vielleicht 40 Metern, blickte, durch das Nebeltreiben nur schlecht erkennbar, eine verhärmt wirkende Frau aus ihrem Fenster. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Vielleicht hatte sie geweint, vielleicht spielte sie mit dem Gedanken, sich in die Tiefe zu stürzen.

Spontan winkte ihr Elfia zu und zeigte ein scheues Lächeln. Vielleicht fühlt sie sich nun ein wenig wohler?, dachte sie.

Die Frau wirkte erschrocken. Ruckartig zog sie den Vorhang zu und verschwand vom Fenster.

Nein. Dies war keine Welt, die Freundlichkeit und Nachbarschaftshilfe duldete.

Elfia nahm einen tiefen Schluck vom Scharfen. Dann aktivierte sie die »Zeig Mir Glück – Gib Mir Glück«-Schaltung des Trivids und suchte jenen Pfad, der sie zur Verlosung brachte.

»Willkommen!«, sagte die synthetische Stimme des Alleshelfer-Priesters. »Du willst dein Kind für die Verlosung registrieren lassen?«

Elfia bestätigte mit einem Fingerdruck.

»Du hast dein Glück bereits dreimal bemüht, Bürgerin Elfia Jin aus dem Bezirk Vierundzwanzigzwölf der Stadt Adur Bravuna«, fuhr der Alleshelfer mit ruckelndem Gesicht fort. »Wir freuen uns, dass du deinen Pflichten als Mutter so bereitwillig nachkommst, und gratulieren zur vierten Schwangerschaft. – Wusstest du, dass du mit der Geburt eines fünften Kindes in den Genuss von unzähligen Verbesserungen kommst, die den Lebensstandard deiner Familie zweifelsohne erhöhen werden? Cyclo-Windeln für ein halbes Jahr gratis, eine Erhöhung der Ernährungsbonquote um drei Prozent, eine Grundausstattung der Bekleidung für die jüngsten zwei Kinder, eine Gesundenuntersuchung mit fünfzigprozentigem Preisnachlass …«

Elfia überging die Werbebotschaft des Alleshelfers. Ein neues Menü öffnete sich; der virtuelle Priester wirkte nun ernsthafter und sprach mit tragender Stimme.

»Die Priesterschaft ist auf Nachwuchs der guten und braven raphanischen Bürger angewiesen. Mit einem weiteren Fingerdruck bestätigst du, dass du dein Kind für die Verlosung einer der einhundertdreißig freien Plätze anmeldest. – Danke schön, Bürgerin Elfia Jin. Im Fall des Gewinns wird sich die Priesterschaft termingerecht bei dir melden. Wir wünschen dir viel Glück.«

Das Gesicht des Alleshelfers gefror in einem Lächeln. Eine weitere Stimme aus dem Hintergrund sagte: »Derzeit sind neunsiebendreidreiachtfünfachtzwei zukünftige Bürger für die Verlosung angemeldet …«

Das Bild des Alleshelfers erlosch und wurde übergangslos von der Einschaltung eines beliebten Showstars abgelöst, der für ein neues Cyclo-Programm warb.

Knapp einhundert Millionen Raphanen nahmen also derzeit an der Verlosung teil. Bis zum Beginn der Veranstaltung würden es ungefähr doppelt so viel werden.

»Wann gibt’s Essen?«, brüllte Windor von nebenan. »Hab nicht mehr lange Zeit, muss bald wieder runter.«

Runter. Zu seinen Freunden. In die dunkelsten, ältesten Katakomben des Schattenreichs. Spielen, saufen, herumhuren.

»Komm schon!«, gab Elfia ebenso laut zur Antwort. Sie zog am Scharfen, blickte ein letztes Mal aus dem Fenster. Nach oben.

»Ich möchte den Himmel sehen«, sagte sie und unterdrückte ein Schluchzen. »Ein einziges Mal in meinem Leben.«

 

*

 

Es war ein hässliches und unruhiges Kind. Es plärrte Tag und Nacht, nuckelte immer wieder an ihren schlaffen Brüsten, gönnte seiner Mutter keinen Moment Ruhe.

Windor half ihr in den seltensten Fällen. Er habe »Geschäfte zu erledigen«, sagte er stets, um sich den Regenschutz zu schnappen und fluchtartig einen der elend langsamen Käfigaufzüge in die unteren Stockwerke zu nehmen. Immerhin brachte er von Zeit zu Zeit ein wenig Geld und Lebensmittel vorbei, offenbar als Ausdruck seines schlechten Gewissens. Elfia wollte gar nicht wissen, wie er an das Bare herangekommen war. Es interessierte sie nicht. Sie konnte die notwendigsten Ausgaben decken, dem Miethai ausnahmsweise eine Rate pünktlich bezahlen und ihrem Kind sogar ein wenig – angeblich – Non-Cyclo-Nahrung beschaffen.

Wenn er bloß nicht so viel geschrien hätte, wenn er nicht dauernd so hungrig gewesen wäre!

»Wie soll er heißen?«, fragte sie Windor eines Tages, bevor er die gemeinsame Wohnung verließ.

»Lass dir was einfallen«, gab ihr Mann zur Antwort. »Ein Name ist so gut wie der andere.« Er griff ihr unter den zerschlissenen Rock, zwischen die Schenkel. »Kannst du schon wieder …?«

»Es wird noch eine Zeit lang dauern«, wich Elfia aus. Der Gedanke an Sex widerte sie an. Auch wenn die Trivid-Götter für Kinder, Kinder und nochmals Kinder warben, auch wenn nächtens während der Dauerberieselungsphase auf allen Kanälen Softpornos gesendet wurden – Elfia hatte einfach keine Lust.

»Was ist los mit dir?«, fragte Windor.

»Gar nichts«, wich sie aus und schob seine Hand aus ihrer Bluse. »Das Kind …«

»Das Kind, das Kind!« Wütend stieß er sie von sich. »Hast du denn nichts anderes mehr im Kopf?«

Elfia schwieg, wandte sich ab, ignorierte das Gebrüll und Geschnaufe ihres Mannes.

Irgendwann fiel die Tür ins Magnetschloss, irgendwann war sie allein mit ihren vier Kindern.

Ein seltsames Geräusch ertönte vor dem Fenster, gefolgt von Sirenengeheul, das von oben herabdrang. Die beiden ältesten Kinder Elfias, Varo und Janicim, huschten aufgeregt herbei.

»Ein Selbstmörder!«, sagte der eine begeistert. »Der is’ direkt vom Himmelreich herabgestürzt, stell da vor.«

»Schwachkopf!«, entgegnete Janicim. »Der kann nich’ so weit geflogen sein, da sin’ zu viele Straßenstege dazwischn. Der hat nich’ mehr als zwanzig Etagen hinta sich.«

»Aba vielleicht hat er da obn schon’n Himmel gesehn.«

»Warum soll er dann sprungn sein, Blödkopf?«

Elfia zog trotz der Proteste der beiden Jungs die Vorhänge zu und schob sie vom Fenster weg, hinein in ihr kleines Zimmer.

Natürlich hatte ihr Geschrei den Jüngsten, der eben erst eingeschlafen war, aufgeweckt. Schon begann er wieder zu krakeelen und nach der Mutterbrust zu schreien. Die drei kleinen Punkte auf seiner Oberlippe, winzige Muttermale, im Dreieck angeordnet, bewegten sich dabei seltsam, wie hypnotisierend.

Elfia packte das Baby, zog sich mit ihm ins Schlafzimmer zurück und legte sich aufs Bett. Nein, beschloss sie. Sie würde dem Kind keinen Namen geben. Es würde bei der Verlosung gewinnen. Sollten sich die Priester darum kümmern.

Sie zog am Scharfen, während sie das Balg stillte.

 

*

 

»Wach auf, Elfia!«, meldete sich das Trivid.

»Lass mich gefälligst in Ruhe.« Sie drehte sich unwillig beiseite und zog sich den Geräuschminderer über die Ohren.

»Ich habe eine freudige Botschaft für dich.«

Harte, unrhythmische Musik erklang. Der Geräuschminderer schaltete sich ab, so, wie er es immer tat, wenn wichtige Nachrichten eintrudelten.

Elfia schob das klobige Gerät zurück in den Nacken und setzte sich auf.

Die Nachtabdunkelung war nach wie vor aktiv. Nur einige wenige Werbebotschaften wurden über die Innenwände des Schlafzimmers projiziert. Aus dem Trivid grinste ihr ein bekanntes Gesicht entgegen.

»Der Alleshelfer!«, hauchte Elfia.

»So ist es, Glückliche!« Der Mann zeigte ein freundliches Lächeln. »Deine Bitten wurden erhört; das Kind 215.444.690 wurde bei der Verlosung gezogen. Du wirst ersucht, es innerhalb der nächsten drei Tage an der Pforte zum Quartier Lemurica abzugeben. Verabschiede dich geziemend von ihm, denn du wirst das Baby niemals wiedersehen – und freue dich, denn 215.444.690 ist vom Glück geküsst. Es wird in die Priesterschaft aufgenommen werden und dort die Privilegien der bestmöglichen Ausbildung genießen.«

Der Alleshelfer beugte sich vor, bis sein Antlitz den gesamten Bildschirm ausfüllte.

»Mit der morgigen Warenlieferung erhältst du die Legitimierung, um den Weg zum Quartier Lemurica antreten zu können.«

Das Trivid erlosch.

Ja, es erlosch.

Das erste Mal seit Jahren schaltete es sich während der Nachtstunden aus.

 

*

 

»Ich hatte einen seltsamen Traum«, sagte Elfia.

»So?«

Windor rührte lustlos in seinem morgendlichen Glückmich um.

»Von Reichtum und Glück? So wie jede Nacht?«

»Nein.«

Elfia zuckte kurz zusammen und zog das Baby von ihrer Brust. Es hatte schmerzhaft stark zugebissen.

»Diesmal war es anders, ganz anders. Ich träumte vom Alleshelfer und …«

»Morgenlieferung«, knarrte eine synthetische Stimme. Ein Paket fiel ins Verwaltungsdepot. Es hörte sich nicht sonderlich schwer an. »Der Betrag wird dem Haushalt Elfia Jin in Rechnung gestellt und muss in den nächsten sieben Tagen beglichen werden. Bitte beachtet den beiliegenden Reklamationsschein und die Rechnung …« Die Stimme stotterte und stockte schließlich vollends.

»Was hast du bestellt?«, fragte Windor. »Schon wieder Kleidung für die Bälger oder etwa gar für dich? Kannst du nicht einen einzigen Tag lang ruhig halten?« Er klopfte zornig mit der Faust auf den Tisch, der Glückmich-Becher hüpfte hoch. »Ich reiße mir den Arsch auf, und du gibst das Geld genau so schnell aus, wie’s reinkommt.«

Elfia kümmerte sich nicht weiter um ihren Mann. Er zog jeden Tag dieselbe Leier ab. Wie eine Maschine in einem Endlosprogramm.

Sie zog die Lieferung aus dem Depot. Irgendetwas war da gewesen. Etwas Wichtiges, an das sie sich erinnern sollte.

Sie nestelte am Verpackungsstreifen umher, bis er die Waren freigab. Cyclo-Grünzeugs. Getränke. Babynahrung.

Staub- und Wasserfilter. Kopfschmerztabletten. Zwei Flaschen Scharfer. Kratzige Cyclo-Windeln. Und …

»… eine Legitimation für das Baby«, sagte sie so ruhig wie möglich. Ihr drohte das Herz stillzustehen. »Ich bringe es zur Priesterschaft. Es wird im Quartier Lemurica aufgenommen werden.«

»Was soll das?« Windor schüttelte den Kopf. »Du solltest wirklich mit dem Saufen aufhören.«

Sie zeigte ihm die Legitimation. Ein transparent scheinendes Plättchen, kreisrund, mit dem freundlich dreinblickenden Gesicht des Alleshelfers.

»Is’