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Cover

Vorspann

Nr. 1 – Attentat auf Arkon

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Epilog

Nr. 2 – Akanaras Fluch

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

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4.

5.

6.

7.

8.

9.

Nr. 3 – Gefangen im Hypersturm

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Nr. 4 – Die Ruinen von Acharr

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Nr. 5 – Fragmente der Ewigkeit

Was bisher geschah

1.

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3.

4.

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6.

7.

8.

Nr. 6 – Angriff der Bestien

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

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4.

5.

6.

7.

8.

9.

Nr. 7 – Vorstoß zur Wasserwelt

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

Nr. 8 – Erben der Lemurer

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Nr. 9 – Die Masken der Kopfjäger

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Nr. 10 – Kampf um Kharba

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Nr. 11 – Der Tamrat

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

3.

Zwischenspiel

4.

5.

6.

Epilog

Nr. 12 – Finale am Sonnentransmitter

Was bisher geschah

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Epilog

Impressum

ATLAN – die klassische Serie

 

Wir schreiben das Jahr 1225 Neue Galaktische Zeitrechnung. Atlan ist auf der Suche nach einem Krish'un, einem Umhang lemurischer Tamräte, der zu ihrer Identifizierung diente. Eine erste Spur führt ihn nach Omega Centauri. Der bisher unerforschte Kugelsternhaufen erzeugt durch seine dicht stehenden Sterne und extremen Hyperstürme eine Form von Strahlung, die ihn lediglich durch »intermittierende Sprungtechnik« erreichbar macht. Bei ersten Nachforschungen stellt sich heraus, dass das Adelsgeschlecht der da Zoltral ihre Raumschiffe mit eben dieser längst überholten Sprungtechnik ausrüsten lässt. Als Atlan mit der TOSOMA in der Nähe des Kugelsternhaufens auftaucht, wird er sofort angegriffen ...

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Nr. 1

 

Attentat auf Arkon

 

von Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Prolog

 

Der kleine Humanoide fühlte sich unbehaglich, wie immer, wenn er zum Stählernen gerufen wurde. Er verfluchte den Tag, an dem ausgerechnet er zum Vermittler bestimmt worden war.

Mit jedem Schritt, den er durch die unwirkliche Landschaft tat, wuchs seine Beklemmung. Wie zum Hohn schien der Horizont mit ihm zu spielen. Mal wich er vor ihm zurück, dann wieder rückte er näher heran. Und immer wenn sich die Grenzlinie zwischen Himmel und Boden mit diesem raschen Pulsieren ausdehnte oder zusammenzog, veränderte sich seine Umgebung, als habe er mit einer einzigen Bewegung eine völlig andere Welt betreten.

Gerade atmete er noch die frische, klare, kühle Luft eines Gebirgszugs und spürte die Kälte des unberührten Schnees bis tief in die Knochen, schon drang der süße, schwere Pesthauch eines endlosen, modernden Sumpfes in seine Lungen und trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Überall erklangen Geräusche, das Zirpen eines Vogels, das Brüllen einer Wasserechse, das Zischeln einer Riesenschlange. Seine Füße stapften durch Brackwasser. Und dann, mit dem nächsten Atemzug, wieder reine Luft, aber trockene, heiße: So weit das Auge reichte, dehnte sich gelber Sand einer schier endlosen Dünenwüste aus.

Seine Schritte wurden schwerer. Die feinen Sandkörnchen verklumpten mit der Feuchtigkeit, die noch an seinen Stiefeln haftete, und bildeten im Nu eine dicke Kruste.

Erst in der übernächsten Welt, einer kargen Steppe, einer endlosen Ebene unter einer blauen Sonne, löste sie sich wieder auf. Er hatte gelernt, dass man auf Dauer nichts aus einer Umgebung in eine andere mitnehmen konnte, doch manchmal verharrten die Dinge ein wenig an dem Wanderer zwischen den Welten und verliehen ihm eine zusätzliche Belastung, die jede Bewegung zur Qual werden ließ.

Je näher er dem Hort seines Herrn kam, desto schneller schienen die Landschaften zu wechseln. Der Humanoide fragte sich zum ungezählten Mal, warum der Stählerne in seinem Raumschiff so viele verschiedene Umgebungen generierte. Zu seiner Zerstreuung konnten sie nicht dienen. Er verließ den Hort nur, wenn es unbedingt sein musste. Der Vermittler konnte sich nicht entsinnen, ihn zu seinen Lebzeiten jemals außerhalb der Zentrale und der ihr angeschlossenen Quartiere gesehen zu haben, zu denen nur er Zutritt hatte, niemand sonst, nicht einmal der Kommandant des Schiffes.

Als er nur noch wenige Schritte von dem Schott des Horts entfernt war, brach die unheimliche vulkanische Hochebene mit ihrem durchdringenden Schwefelgestank in sich zusammen, und der Vermittler sah glatte Wände aus Formenergie, ohne jede Verzierung, ohne jeden Schmuck.

Wie immer, wenn sein Herr ihn zu sich beorderte, er den Irrgarten der unzähligen Welten hinter sich gelassen hatte und vor diesem Schott stand, steigerte sein Unbehagen sich ins Unermessliche. Nicht etwa Angst löste dieses Gefühl aus, sondern Scheu.

Scheu und Ehrfurcht.

Der Stählerne war ihm noch immer fremd, unglaublich fremd. Er bezweifelte, dass er sich jemals auch nur an den Anblick gewöhnen konnte, den er bot. Ganz zu schweigen davon, dass er auch nur ansatzweise seine Gedanken und Motive erahnen konnte. Sein Herr stand so hoch über ihm wie er, der er nun auch schon gewisse Machtmittel zur Verfügung hatte, über einem Bakterium.

Dann öffnete sich das Schott, und der kleine Humanoide stand seinem großen Herrn gegenüber.

 

*

 

Er war wirklich groß, in jeder Hinsicht, mehr als doppelt so groß wie der Vermittler, und schlank, fast schon hager. Dabei wirkte er aber ästhetisch, wohlgeformt, auch wenn er eindeutig nicht natürlichen Ursprungs war.

Dieses Geschöpf ist aus keinem Mutterleib geglitten, dachte der Humanoide, jedenfalls nicht in der Gestalt, die es nun innehat. Was mag es einmal gewesen sein?

Zögernd trat der Vermittler vor. Die Kabine des Stählernen war geradezu schlicht eingerichtet. Neben einer Schlafstätte und einigen Sitzmöbeln wurde sie von Konsolen mit Instrumenten beherrscht, die dem Geschöpf den direkten Zugriff auf alle Schiffssysteme ermöglichten.

Auch diesmal musste der kleine Humanoide fast zwanghaft daran denken, dass sich keine einzige spiegelnde Oberfläche in der Kabine befand. Er hatte den Eindruck, als wolle sein Herr unter allen Umständen vermeiden, sein Abbild zu sehen.

Der Stählerne saß in einem der wuchtigen, breiten Möbelstücke und erhob sich. Die Bewegung wirkte überaus geschmeidig. Unter dem weichen, legierten Metall, das den Stählernen bedeckte – aus dem er bestand –, konnte der Vermittler weder Arm- noch Beingelenke ausmachen. Dort gab der Stahl des Hüllenmaterials elastisch nach und ermöglichte ihm die volle körperliche Beweglichkeit. Der Vermittler konnte dort, wo sich bei einem Lebewesen Gelenke bewegt hätten, in dem stumpf in einem dunklen Braun schimmernden Metall deutlich Falten erkennen.

Langsam schritt das Geschöpf auf und ab. Obwohl eine indirekte Beleuchtung den gesamten Raum gleichmäßig erhellte, reflektierte seine Haut kein Licht. Sie wies ansonsten keine Erhebungen oder Einbuchtungen auf, war völlig glatt und fugenlos.

Dann blieb der Stählerne vor dem kleinen Humanoiden stehen und sah ihn an. Seine Augen leuchteten in einem hellen Rot.

Wie jedes Mal, wenn sein Herr ihn musterte, erfüllte den Vermittler ein Höchstmaß an Beklemmung.

Der Stählerne war einfach perfekt – bis auf eine einzige, winzige Ausnahme.

Auf dem linken Auge schielte er.

So belanglos dieser Makel auch sein mochte, im Zusammenhang mit der sonst überwältigenden Vollkommenheit wirkte er unnatürlich auffällig. Dieses Schielen verunstaltete den gesamten Eindruck, den der Stählerne auf den kleinen Humanoiden machte. Es sprach der Perfektion Hohn.

Der Vermittler räusperte sich unbehaglich und wandte den Blick von dem Stählernen ab.

Sein Herr schien leise zu seufzen. »Es beginnt«, sagte er dann.

Mehr nicht.

Was?, dachte der kleine Humanoide. Was beginnt?

1.

Kristallwelt Arkon I, 11. Februar 1225 NGZ, kurz nach 20 Uhr Standardzeit

Die Ruhe vor dem Sturm

 

Ich wusste nicht, wem ich mehr Aufmerksamkeit widmen sollte. Das Epetran-Archiv atmete wie kaum ein anderer Ort auf der Kristallwelt Geschichte, und Li sah wieder einmal hinreißend aus.

Sie war groß, mit einem Meter zweiundachtzig nur ein paar Zentimeter kleiner als ich. Und schlank, sehr schlank. Ich bezweifelte, dass sie 70 Kilogramm auf die Waage brachte. In diesem Zeitalter der betonten Körperkultur mochte das als Idealgewicht gelten. Ich hatte auch andere Zeiten erlebt, Zeiten der Not, in denen die Menschen, auch die Arkoniden, wohlgenährte und -gerundete Partner und Partnerinnen bevorzugt hatten. Aber diese Zeiten lagen lange zurück, so lange, dass selbst ich mich kaum noch daran erinnern konnte.

Sie lächelte, als sie mir die Hand reichte, und die rubinroten Augen in ihrem ebenmäßig geschnittenen Gesicht strahlten mit einer inneren Freude.

»Atlan«, sagte sie. Mehr nicht. Sie verzichtete sowohl auf »Eure Erhabenheit« wie auch auf den »Imperator«, mit dem manche mich noch immer titulierten, obwohl ich keinen Zweifel daran ließ, dass ich dieses Wort nicht mehr hören wollte. Es lag schon viel zu lange zurück, dass ich Imperator von Arkon gewesen war, und obwohl die Menschen keine Not litten und dem Schlankheitswahn frönen konnten, waren die Zeiten so schwierig, dass in diesem einen Wort jede Menge politische Brisanz lag.

»Li«, sagte ich und verzichtete meinerseits auf den Laktrote, der ihr eigentlich zustand. Sie war ausgebildete und promovierte Historikerin in diesem Rang, dem eines »Meisters«, der in diesem Zusammenhang einem terranischen »Doktor« entsprach. Schon bei unserer ersten Begegnung vor einigen Monaten waren wir stillschweigend übereingekommen, auf derartige Formalien zu verzichten.

»Es freut mich, dass du meine Einladung angenommen hast.« Sie drehte sich geschmeidig um, und ein schier endlos langes, wohlproportioniertes Bein schob sich aus dem Schlitz ihres Abendkleids.

Es war ein ziemlich extravagantes Modell, das seine Wirkung auf Männer nicht verfehlte. Es ließ die Schultern frei, spannte sich eng um Lis kleine Brüste, ließ dann wieder ein kreisförmiges Stück Bauch mit dem Nabel in der Mitte frei, betonte die Taille, schmiegte sich um die Hüften und glitt die langen Beine hinab, von denen eins von dem besagten Schlitz freigegeben wurde, wann immer sie es wollte.

Das Kleid war rot, genauso knallrot wie ihr kurz geschnittenes Haar, das wunderbar mit ihrer hellen Haut kontrastierte. Ich war überzeugt, dass dieses Haar gefärbt war, aber ihre wirkliche Haarfarbe war mir ein Rätsel.

Noch, hoffte ich. Ich malte mir aus, dass sich das bald ändern könnte.

Schon einen Tag nachdem wir uns kennen gelernt hatten, hatte ich meine Beziehungen spielen lassen und mich über sie informiert. Unsere Begegnung war mir irgendwie gesteuert, gewollt vorgekommen, doch nichts, aber auch nicht das Geringste deutete darauf hin, dass Li sie inszeniert hatte. Und meine Beziehungen und damit auch Quellen waren sehr gut. Sie konnte keinen erdenklichen Vorteil aus der Bekanntschaft mit mir ziehen.

Sie war 36 Jahre alt, geboren am 11. Januar 1189 NGZ auf Arkon I, und entstammte einem eher unbedeutenden Nebenzweig der Familie da Zoltral. Dennoch wohnte sie im Stammsitz der da Zoltral, was sie vielleicht ihrer derzeitigen Position zu verdanken hatte. Im Epetran-Archiv waren Schätze und geheimes Wissen gelagert, von denen selbst die einflussreichsten arkonidischen Familien kaum etwas wussten, wie die Zoltral, Gonozal, Quertamagin, Orcast und Ragnaari, die ihre Stammbäume bis in die Frühzeit des einstigen Großen Imperiums der Arkoniden, des Tai Ark'Tussan, zurückverfolgen konnten. Sie setzten sich heutzutage aus Gruppen von vielen tausend oder gar zehntausend Mitgliedern zusammen.

In Lis Lächeln mischte sich ein Anflug von Bedauern. Und nicht einmal mein Extrasinn, der mich oft genug vor den Verlockungen des schönen Geschlechts warnte, hatte diesmal Einwände vorzubringen.

»Ich muss mich um einige andere Gäste kümmern«, sagte sie. Das leider, das ihr Blick ausdrückte, sprach sie nicht aus. Sie wusste sehr wohl, was sich gehörte, und nahm auf die Etikette Rücksicht.

»Natürlich.« Ich lächelte und konnte nur hoffen, ihr nicht zu auffällig hinterherzustarren, als sie sich umwandte und zu einer kleinen Gruppe unauffällig gekleideter Arkoniden ging, denen man nicht ansah, dass ihr Vermögen größer war als das jährliche Bruttosozialprodukt der eintausend unbedeutendsten Welten des Imperiums zusammen.

Ich verscheuchte einen Servorobot, der exotische Cocktails kredenzen wollte, und sah zum Bug der luxuriösen Schwebeplattform.

Nichts verriet, dass sie mit mehr als 1000 Stundenkilometern über den Golf von Khou raste; Prall- und andere Energieschirme schützten die handverlesenen Gäste vor dem Fahrtwind. Das von Landschaftsarchitekten recht abrupt von der südlichen Khoukar-Steppe abgetrennte, blühende Tal des Ar-Khouiir, der in den Golf mündete, war längst nicht mehr hinter uns auszumachen. Doch dafür konnte ich vor uns am Horizont schon die Oberkanten der historischen Kelchbauten der Omperas-Museumsinsel ausmachen, die von gewaltigen Scheinwerfern angestrahlt wurden. Unter einem dieser Kelche hatte man 1172 NGZ das Epetran-Archiv entdeckt. Das lang gestreckte, in Nord-Süd-Ausdehnung 123 Kilometer lange und 46 Kilometer breite Eiland lag 512 Kilometer südlich der Trichtermündung des Ar-Khouiir.

Distanz zum Hügel der Weisen 3929 Kilometer, meldete der Extrasinn.

Ich wusste, was er damit sagen wollte: Obacht! Wir sind nicht mehr weit vom Zentrum der Macht des riesigen arkonidischen Imperiums entfernt!

Keine 20 Minuten dauerte der Flug von der Trichtermündung zur Museumsinsel. 20 Minuten, die dazu dienten, die Besucher auf das einzustimmen, was sie erwartete. Und ihre Ehrfurcht vor der arkonidischen Geschichte zu wecken, die sich im Laufe des Abends vielleicht in Spendenbereitschaft umwandeln ließ. Historische Forschungen waren immer kostspielig, und so reich das arkonidische Imperium auch sein mochte, Geld hatte es nie genug.

Die Schwebeplattform erreichte das Ufer der Insel, und ich konnte nun zahlreiche Trichterbauten ausmachen, darunter auch den des Epetran-Museums. Mit 500 Metern Höhe und einem Durchmesser von 900 Metern überragte er die höchsten Bäume des umgebenden weitläufigen Parks um das Zehnfache. Der Flug über das Gelände zeigte unten im Zentrum des Monuments den schon vor zehn Jahrtausenden üblichen imposanten Springbrunnen, um den sich zuerst kreisförmig Wege und Pflanzengruppen, dann nach oben hin die einzelnen Etagen des Bauwerks gruppierten. Der Trichter war leuchtend weiß. Die nach innen gerichteten Terrassen und Galerien waren mit Blumen und Büschen bepflanzt. Er erweckte den Eindruck eines gleichmäßig im 45-Grad-Winkel ansteigenden Wundergartens im Innern einer künstlichen Hohlwelt.

Ich kannte den Khasurn und auch das Archiv besser, als mir lieb war.

Als die Schwebeplattform aufsetzte, trat Li wieder zu mir. Ihr Lächeln hatte eine eigenartige Qualität, die ich bei ihr noch nie gesehen hatte.

Eine sechsunddreißigjährige Frau, dachte ich bei mir. Was findet sie an mir, einem über zehntausend Jahre alten Mann, der tausendmal mehr an Wundern, aber auch an Grauen gesehen hat, als sie in zehn Leben jemals sehen würde?

Vielleicht lag es daran, dass sie Historikerin war. Vielleicht reizte sie die Vorstellung, mit einer lebenden Legende ins Bett zu gehen, die ihr Antwort auf zahlreiche Fragen geben könnte.

Geben könnte, aber wohl kaum geben würde.

»Verehrte Gäste«, sagte sie, und ein ausgeklügeltes System fliegender Kleinstroboter übertrug ihre Stimme mit exakt der gleichen Lautstärke an alle erlauchten Besucher. »Seit der Zeit Epetrans fungiert der vor uns liegende Trichterbau als Museum. Die Galerien zeigen die Kunstwerke altarkonidischer Maler, Bildhauer, Computer- und Fiktivkünstler. Viele davon sind nicht nur durch ihre Werke, sondern auch durch ihre Büsten auf schmalen, meterhohen Sockeln verewigt.«

Durch energetische Felder abgesichert, die sich bei Berührung grellrot verfärben.

»Kernstück der Anlage ist natürlich die eigentliche Epetran-Abteilung«, fuhr die bildhübsche Historikerin fort. »Hier sind jedoch weniger Schätze der bildenden Tech-Künste untergebracht und konserviert, sondern vor allem solche der Technik aus Epetrans Zeit.«

Wir hatten den Eingang zu diesem Trakt erreicht. Eine dunkelblaue Leuchtschrift zeigte ganz schlicht nur den Namen EPETRAN.

An Stellwänden aus Formenergie, die beliebig positioniert werden konnten, hingen 3-D-Bilder des Wissenschaftlers, aufgenommen in verschiedenen Stadien seines Lebens und zusammen mit Personen, die zu seiner Zeit eine Rolle in der Arkon-Gesellschaft gespielt hatten. Bilder eines hochgewachsenen Arkoniden, dessen schlohweißes Haar bis zu den Schultern reichte. Der schmale Schädel hatte eine extrem hohe, gewölbte Stirn.

Ein fotografisches Gedächtnis konnte ein Segen, aber auch ein Fluch sein. Ich hatte gewusst, dass es so kommen würde, und bemühte mich, die nun auf mich einstürmenden Erinnerungen dorthin zurückzudrängen, wohin sie gehörten: in die Vergangenheit.

Warum hast du die Einladung akzeptiert?, spottete der Logiksektor verletzend.

Mir war klar, was er meinte. Ich hatte keine Schwierigkeiten, es mir einzugestehen. Nur, um Li wieder zu sehen. Nur, um vielleicht ein Lächeln geschenkt zu bekommen, dessen Versprechen ich endlich einfordern kann.

»Epetran aus der altehrwürdigen Familie der Ragnaari gilt als einer der fähigsten Wissenschaftler der arkonidischen Geschichte und war der Ka'Marentis, der Chefwissenschaftler und Mitglied des Großen und des Zwölfer-Rates, zur Regierungszeit von Imperator Tutmor dem Sechsten.« Lis Stimme linderte die psychischen Beschwerden, die die Vergangenheit bei mir auslöste, obwohl ihre Worte genau diese heraufbeschworen. »Zu den weiteren Zeugnissen aus jener Zeit gehören technische Artefakte, die direkt auf Epetran zurückgehen, sowie auf pultähnlichen Sockeln aufgeschlagene Bücher, über die Räume und Säle verteilt, deren Seiten von Epetran höchstpersönlich mit der Hand beschrieben wurden.«

Auf echtem Khasurn-Blatt mit Chimon-Tinte, wusste ich erneut mehr als die schlanke, rothaarige Historikerin.

Aber das alles interessierte das gute Dutzend handverlesener Besucher dieser Führung kaum. Sie interessierte nur das, was sich unterhalb des Trichters befand. Das eigentliche Epetran-Archiv, von dessen Existenz die Arkoniden erst gegen Ende November jenes Jahres 1172 NGZ erfahren hatten. Die Öffentlichkeit sogar erst viele Jahre später, nachdem die ersten Forschungen abgeschlossen waren. Es war ein wahres Labyrinth aus Gängen und Räumen, ausgestattet mit einem ausgeklügelten System von Fallen und einem Sicherungssystem, das automatisch aktiviert wurde, sobald Unbefugte in die geheimen Archivanlagen eindrangen.

Li blieb vor einem der acht großen Antigravschächte des Trichters stehen, über die die subplanetarischen Anlagen erreicht werden konnten. Nachdem die Besucher sich wieder zusammengefunden hatten, folgte ich ihr als Erster hinein.

Ich wusste, was geschehen würde. Im achten und letzten Untergeschoß hörte der sieben Meter durchmessende Schacht scheinbar auf. Wir schwebten über meterdicken Fundamenten aus jener Substanz, aus der vor über 10.000 Jahren solche Trichterbauten errichtet worden waren.

Leise Schreie und Seufzer der Überraschung erklangen. Ich lächelte schwach über die Naivität der oberen Zehntausend unseres neuen, aufstrebenden Imperiums, das die Dekadenz überwunden hatte und sich nun anschickte, den Barbaren von Larsaf III zu zeigen, wer die erste Geige in der Milchstraße spielte. Barbaren, die durch ihr ungeschicktes Vorgehen solch eine Reaktion geradezu herausforderten.

Li bewegte den linken Zeigefinger, betätigte damit einen winzig kleinen Kodegeber, und die raffinierten Tarnvorrichtungen, die das Fundament vorgegaukelt hatten, stellten ihre Tätigkeit ein. Die energetische Barriere gab die Schachtfortsetzung frei.

Aber nicht, ohne dass wir zuvor zum vermutlich hundertsten Mal abgetastet, durchleuchtet und sonst wie untersucht worden waren. Die Sicherheitsvorkehrungen des Archivs zählten zu den strengsten auf der gesamten Kristallwelt.

Li und ich erreichten den echten Fuß des Antigravschachts, und ich sah einen zehn Meter breiten und zweieinhalb Meter hohen Korridor, beleuchtet von kalt-weißlichem Licht, das direkt aus den Wänden kam.

Als sich sämtliche Besucher der Gruppe um uns geschart hatten, bildete sich vor uns eine Holoprojektion Epetrans.

»Was du betreten wirst«, begrüßte sie uns, »ist ein von mir angelegtes Archiv der wichtigsten Geschichtsdaten des Großen Imperiums. Ich habe es unter größten Mühen installiert, als ich mir im vollen Umfang darüber klar wurde, was die von mir programmierte Selbstvernichtung des Robotregenten zur Konsequenz haben musste. Hier findet der Würdige das, was ich als Kopien des vom Robotregenten übernommenen Wissens gespeichert habe. Es sind sozusagen Sicherheitskopien für den wahrscheinlichen Fall, dass sich das, was ich mit der Installierung der Irrsinnsschaltung vorbereitet habe, tatsächlich ereignet. Das Wissen um Arkon und die Geschichte der Arkoniden ist hier zusammengetragen bis zu jenem Jahr, an dem ich Abschied von der materiellen Existenz nehmen muss. Es kann danach weitergeführt werden durch Arkoniden, die nicht der aufkommenden Dekadenz verfallen sind. Ein Selektionsprogramm wird dafür sorgen, dass nur Arkoniden, deren Intelligenzstufe mindestens 45 Lerc beträgt und die im alten Geist leben, Zutritt zu den Archiven haben. Nur wer diese Bedingungen erfüllt, kann als Chronist unseres großen Volkes dessen Geschichte hier in diesen Archiven fortschreiben. Er wird seinen Aufzeichnungen einen Namen geben und sich unter Arkons Sonne unsterblich machen ...«

Ich vernahm ein seltsames Echo in meinem Geist. Ich hörte diese Worte, und sie waren absolut identisch mit denen, die mein fotografisches Gedächtnis in mir heraufbeschwor.

Ich kannte den Text. Schließlich war ich schon einmal hier gewesen.

Ich war es gewesen, der das Durcheinander von Etagen, Gängen, Nischen, Räumen, Schächten und Ebenen im Anschluss an den Hauptkorridor entdeckt und herausgefunden hatte, dass das Archiv im Laufe der Jahrhunderte gewachsen und wiederholt erweitert worden war. Die Wände der meisten Korridore bestanden aus einem hellgrauen, vollkommen glatten Material. Hinweistafeln oder Markierungen waren selten. Die Kontrolle und Überwachung des Archivs unterstand einer Positronik. Die Mehrzahl der Räume beherbergte Großspeicher, in die das Wissen des Robotregenten eingespeist worden war. Es gab hier aber auch von späteren Archiv-Benutzern hinterlassene Datenbänke und Aufzeichnungen in Form von Büchern oder Ähnlichem sowie persönliche Gegenstände und Artefakte, die als »Sekundärschätze« bezeichnet wurden.

Ich kannte das Archiv nicht nur, ich hatte sogar eine wichtige Rolle bei seiner Erforschung gespielt.

Im Zuge meiner Erkundung Ende November 1172 NGZ war ich – wie seinerzeit schon beim Robotregenten – als Hochrangbevollmächtigter über das Gesamtarchiv anerkannt worden. Als meine Begleiter und ich es nach über einer Woche verlassen hatten, war ich gleich darangegangen, den Historikern und Forschern fortan den Zutritt zu ermöglichen.

Historikern und Forschern wie Li. Über 50 Jahre später ...

Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich herausgestellt, dass es viele dezentrale Bereiche des Epetran-Archivs gab, die über ganz Arkon I verstreut waren, allesamt subplanetarisch angelegt und ausschließlich über Geheimtransmitter des Archivs selbst erreichbar. Es konnte als sicher gelten, dass auch heute noch längst nicht alle Geheimgänge entdeckt worden waren, und bis zu einer vollständigen Sichtung, geschweige denn Auswertung der gespeicherten Daten durch die Forscher und Historiker würde ebenfalls noch viel Zeit vergehen!

»Sehr verehrte Gäste«, drang Lis Stimme wie aus weiter Ferne an meine Ohren, »nachdem wir einige wirklich beeindruckende Zeugen der Vergangenheit gesehen haben, kommen wir nun zu der wahren Sensation, die ich euch heute präsentieren möchte ...«

Ich grübelte noch darüber, ob Li mich nur neugierig machen wollte. Ich hatte sie überprüfen lassen. An dieses Leben hatte ich mich schon längst gewöhnt. Wenn mir eine Frau gefiel, musste ich sie überprüfen lassen, bevor ich mich mit ihr einlassen konnte. Ich musste ausschließen, dass sie für irgendeinen Geheimdienst arbeitete. Oder für einen arkonidischen Wesir, der gern Kalif anstelle des Kalifen werden wollte. Oder für einen terranischen Hardliner, der mich kompromittieren und mit meinem Einfluss die Politik des Imperiums bestimmen wollte.

Die Zeiten waren interessant. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte mich Perry angeschlossen, der seit etwa zwei Jahren mit der BOOMERANG unterwegs war, mit einer auserlesenen Besatzung: Er und Reginald Bull, Alaska Saedelaere, Gucky und die Vandemar-Zwillinge suchten an Bord dieses Schiffes seit Anfang 1223 NGZ nach der Brücke in die Unendlichkeit.

Warum hatte ich sie nicht begleitet? Warum hielt ich mich noch immer in diesem Hexenkessel auf, der sich Milchstraße nannte?

Ich seufzte leise. Und ließ den Blick wieder über Li gleiten.

Über dieses extravagante, knallrote Abendkleid. Aus dem immer, wenn sie es wollte, ein Bein glitt, das unendlich lang war, fast bis zum Hals zu reichen schien. Das sich eng anliegend über einen knackigen Po spannte, den Bauch frei ließ, kleine, aber wunderbar geformte Brüste einzwängte, nackte Schultern zeigte, an denen ich knabbern wollte, einen Schwanenhals, der ...

Ich wandte den Blick ab.

Schon allein, um mir einen Kommentar des Extrasinns zu ersparen.

Sie sah mich an. Lächelte verheißungsvoll.

Und ließ den Blick über die anderen Mitglieder unserer Gruppe gleiten.

»Nachdem wir nun einige Ausstellungsstücke gesehen haben«, sagte sie, »wollen wir noch einmal den Begründer dieses Archivs zu Wort kommen lassen ...« Sie trat einen Schritt vor, und ein Hologramm bildete sich.

Eins von Epetran.

Und die Vergangenheit riss mich endgültig in ihren Bann.

2.

Kristallwelt Arkon I, 11. Februar 1225 NGZ, kurz nach 23 Uhr Standardzeit

Der Sturm nach der Ruhe oder was man dafür hält

 

Epetran.

Ich war einfach zu alt. Eine lebende Legende.

Epetran war eine tote.

Erinnerungen überschwemmten mein Denken. Li verblasste. Ich verspürte abgrundtiefes Bedauern.

Epetran.

Was tat Li mir mit dieser Einladung an? Wusste sie es?

Nein. Das konnte niemand wissen, auch sie nicht.

Epetran.

Geboren am 7. Prago der Hara 13.823 da Ark, also im Jahr 4093 vor Christus terranischer Zeitrechnung. Gestorben 13.978 da Ark, 3909 vor Christus, angeblich bei einer Explosion in seinem Alterssitz, im Alter von 155 Arkonjahren, was 184 Erdjahren entspricht.

Er war ein Greis. So gut wie tot.

Als ich ihm begegnete.

Ihr Sternengötter, kennt ihr keine Gnade?

Es war im Jahr 13.971 da Ark, 3917 vor Christus. Am 10. Februar 2106 war ein terranisches Kommando unter Rhodans und meiner Führung mit Hilfe des Epotron, des so genannten akonischen Zeitumformers, in die Zeit des Imperators Tutmor VI. vorgestoßen. Mein fotografisches Gedächtnis ließ keine Zweifel daran: Ziel war die Plazierung einer Zeitzünder-Bombe im Robotregenten, der zu dieser Zeit von Akonen und Antis übernommen war. Ich trat in der Maske des Kommandanten Tresta da Efelith der SOTALA auf. Epetran leitete zu dieser Zeit die letzte Aufbaustufe des Robotregenten und konstruierte unter anderem die Sicherheitsschaltung A-1 – einschließlich der Senekha genannten Zusatzprogrammierung, der ich die Ausschaltung des Robotregenten Anfang April 2044 verdankte.

Rhodan und ich wurden bei der direkten Begegnung von Epetran auf paranormal-paramechanischer Ebene getestet; Epetran war nicht nur Inhaber eines aktivierten Extrasinns, sondern sogar ein paranormal Begabter! Wir waren eine halbe Minute lang in Trance, und Epetran gelang die umfassende Auswertung des aufgenommenen Parapsychogramms. Wie eine am 15. Februar 2106 abgespielte Aufzeichnung bewies, erkannte der geniale Wissenschaftler die wahre Identität seiner Besucher – und, woher sie in Wirklichkeit stammten!

In voller Konsequenz wurde damit eine Zeitschleife geschlossen! Epetran entfernte nämlich nicht nur die von uns deponierte Bombe und programmierte die so genannte Irrsinnsschaltung, sondern als Teil der Sicherheitssektion A-1 auch die Sicherheitsschaltung Senekha, die meine Machtübernahme im Jahr 2044 sicherstellte, sowie die Katastrophenprogrammierung Epethus.

Und parallel zur Fertigstellung des Robotregenten, des Großen Koordinators, forciert aber nach der Begegnung mit uns Zeitreisenden, schuf Epetran dann in seinen letzten Lebensjahren das später nach ihm benannte Geheimarchiv.

Kern der subplanetarischen Anlage unter dem Trichterbau war zunächst die Sicherungskopie der Wissensspeicher der Großpositronik von Arkon III. Hinzu kamen dann Daten des alten, »verlorenen« Wissens, die sich mit den Stammvätern, den Lemurern, aber auch Themen wie der Welt des Ewigen Lebens, ES, Zhygor, Zellduschen und so weiter beschäftigten. In den nachfolgenden Jahrhunderten und Jahrtausenden hatten stets nur Auserwählte Zugang zum Archiv und hier meist nur zu bestimmten Bereichen. Sie legten ihrerseits weitere Dateien an.

Ich war also in letzter Instanz dafür verantwortlich, dass das Archiv entstanden war, das ich nun, in diesem Augenblick, besuchte.

Damit aber nicht genug. Wahrscheinlich hatte ich damals, ohne es zu wollen, die gesamte Geschichte des Imperiums verändert. Unzweifelhaft stand fest, dass Epetran aus meinem Gedächtnis Informationen bezüglich einer neuen Sprungtechnik bezogen hatte, die die Transitionstechnik, die damals gebräuchliche Antriebstechnologie der arkonidischen Raumschiffe, grundlegend beeinflusst hatte.

Andererseits wäre ich ohne das Genie des Wissenschaftlers nie Imperator geworden ...

Ihr Sternengötter, kennt ihr keine Gnade?

 

*

 

Die Sternengötter wohl kaum, aber wenigstens Li.

»Wir befinden uns nun in der Epetran-Abteilung des Museums«, drangen ihre Worte wie aus weiter Ferne in mein Bewusstsein. Ihre Stimme linderte beständig den Druck, gegen den mein fotografisches Gedächtnis ankämpfte, damit ich nicht dem gefürchteten Sprechzwang erlag. Dennoch nahm ich die Vitrinen und die Ausstellungsstücke darin kaum wahr, wanderte einfach an ihnen entlang.

Ausstellungsstücke ... Relikte der Stammväter, der Akonen, und solche des »Großen Alten Volks«, zu Epetrans Zeiten rätselhafte Geschöpfe, von denen wir mittlerweile wussten, dass es sie wirklich gegeben hatte und sie sich Lemurer genannt hatten. Lemurer, Bewohner Lemurias, eines untergegangenen Kontinents der Erde. Lemurer, die Erste Menschheit, die vor weit über fünfzig Jahrtausenden schon die Milchstraße erobert und besiedelt hatte. Lemurer, von denen praktisch alle heute existenten humanoiden Völker in der Galaxis abstammten, die Akonen, die Tefroder Andromedas, die Arkoniden und Terraner und selbstverständlich all deren unzählige Kolonialvölker. In dieser Hinsicht war die altarkonidische Bezeichnung mehr als nur zutreffend gewesen.

Stammväter ...

Ein Duft drang in meine Nase, filigran, blumig und süßlich, mit einer Spur Moschus und Vanille, die reinste Verheißung. Ich musste den Kopf nicht drehen, um zu wissen, dass Li dicht hinter mir stand.

Ich konnte ihn auch gar nicht drehen, denn mein Extrasinn meldete sich mit einer Intensität, wie ich sie lange nicht mehr vernommen hatte. Wach auf, Arkonidenprinz! Lass die Vergangenheit Vergangenheit sein und achte lieber darauf, wie sie in die Gegenwart greift! Die Zufälle und Verflechtungen scheinen an diesem Abend kein Ende zu nehmen!

Ich riss die Augen auf. Epetrans Bild verging endgültig vor meinem inneren Auge.

Leise seufzte ich auf. Allmählich wurde es auch Zeit, dass ich den Kampf gegen mein fotografisches Gedächtnis gewann.

Ich stand vor einer Vitrine, einem zweckmäßigen, nüchternen Schaukasten ohne jegliche Verzierung, sah metallen schimmernde Streben und Flächen, von denen ich nicht einmal wusste, ob sie aus einer Legierung oder nur aus Formenergie bestanden.

Mein Extrasinn hatte scharf eingegriffen, um mich auf den Inhalt dieser Vitrine aufmerksam zu machen: Ich sah ein bizarres Muster schreiend bunter Farben, etwa einen Meter achtzig lang, 80 Zentimeter breit, nur millimeterdick.

Allerdings bis zur doppelten Größe dehnbar, vermerkte der Logiksektor, und mein Gedächtnis tat das seine dazu. Das warme und schillernde Material war in Wirklichkeit ein halb pflanzliches, halb tierisches Lebewesen. Es konnte, wenn es den Träger ganz umhüllte, sogar Schüsse aus Impulsstrahlern und Desintegratoren absorbieren oder kurzfristig das Überleben in Giftgasatmosphäre ermöglichen.

Es gab keinen Zweifel, nicht für einen Arkoniden mit normaler Allgemeinbildung und erst recht nicht für einen mit Logiksektor und fotografischem Gedächtnis: Das Ausstellungsstück war ein Krish'un! Ein Umhang lemurischer Tamräte, der zu ihrer Identifizierung diente, etwa 50.000 Jahre alt!

Die Vergangenheit drohte mich wieder einzuholen. Ich hatte schon mal einen besessen, zumindest getragen ...

Mit den Krish'un, die etwa hundertzehn Jahre vor Ausbruch des Kriegs der Lemurer gegen die Haluter vom Planeten Darak nach Lemur gekommen waren, hatten die Tamräte nicht imitierbare Symbole ihrer Macht bekommen, zumal diese absonderlichen Lebewesen bis zu einem gewissen Grad auf die Gedanken ihrer Träger reagierten und mit diesen eine Art Symbiose eingingen. Ohne Träger oder abseits ihrer natürlichen Lebensgemeinschaft konnten die Krish'un gewissermaßen in Stasis überdauern, wie wir mittlerweile wussten.

»Das ist ein Krish'un-Umhang«, vernahm ich Lis geradezu unanständig nüchterne Stimme, »der von Epetran persönlich geborgen wurde. Man entdeckte ihn schon 1181 NGZ in einem bis dahin gesondert gesicherten Raum; die dortigen Vitrinen enthielten noch weitere persönliche Gegenstände Epetrans, unter anderem Multifunktionsarmbänder mit Kodegebern. Da jedoch Aufnahmen und Holodokumente Epetran in seinen letzten Lebensjahren mit diesem bunt schillernden Umhang zeigten, wurde dem Fund lange keine besondere Bedeutung beigemessen. Der Umhang wanderte ohne weitere Prüfung zu den Ausstellungsstücken der Epetran-Abteilung im Museum.«

Oh, ihr Irrwege der Geschichte, dachte ich. Oh, ihr Irrwege der Geschichts-Forschung.

Erst vor kurzem haben wir die wahre Bedeutung dieses Umhangs entdeckt ...

Ich merkte auf. Das wir klang eher wie ich.

In diesem Augenblick erlosch das Licht in der Epetran-Abteilung des Museums, und mein Extrasinn meldete sich erneut. Seine Botschaft war kurz, bestand aus einem einzigen Wort, und ich hatte den Eindruck, es sei ihm peinlich, überhaupt darauf hinzuweisen. Ihm war völlig klar, dass ich die Situation auch ohne seine Warnung richtig einschätzen konnte.

Die Warnung lautete: Gefahr!

 

*

 

Dass das Licht ausfiel, konnte nur eins bedeuten: Jemand musste die gesamte Energieversorgung der Anlage ausgeschaltet haben. Und das war praktisch so gut wie unmöglich. Das Epetran-Archiv zählte zu den am besten gesicherten Einrichtungen auf der Kristallwelt.

Außer ... jemand von innen hatte die Manipulation vorgenommen. An ein harmloses technisches Versagen glaubte ich keine Sekunde lang.

Schon schien die Luft stickig zu werden. Unmöglich!, sagte ich mir. Eine Täuschung!

Ich verfluchte meinen Leichtsinn. Eine offizielle Einladung ins Epetran-Archiv ... Ich trug Abendgarderobe und sonst nichts. Jedenfalls keinen Schutzanzug, keine Waffen, keine Generatoren für Energieschirme.

Narr!

Etwas regte sich in der Dunkelheit, nur ein Luftzug, ein Hauch, kaum wahrnehmbar. Meine Augen versuchten vergeblich, sich an die Finsternis anzupassen. Wir befanden uns in einem geschlossenen Raum tief unter der Oberfläche des Planeten. Außer der ausgefallenen Beleuchtung gab es hier keine weitere Illumination. Es war so stockfinster, wie es nur sein konnte.

Sehen konnte ich nichts, aber hören. Der Luftzug wurde zu einem leisen Sirren, das einen Eindruck von Bewegung vermittelte.

Von Bewegungen. An verschiedenen Stellen, in verschiedene Richtungen.

Ich verließ mich vollständig auf mein fotografisches Gedächtnis. Dank seiner Hilfe konnte ich mir den Raum so plastisch vorstellen, als sei er noch beleuchtet.

Das Surren in der Luft wurde lauter, schien sich genau meiner Position zu nähern.

Ausgerechnet!

Ich warf mich hinter die bescheidene Deckung einer Vitrine, in der einige Schriftstücke Epetrans aufbewahrt wurden, rollte mich sofort ab und kroch so geräuschlos wie möglich weiter hinter die nächste.

Keine Sekunde zu früh. Ein grünlich flimmernder Strahl schoss von der Decke des hohen Raums herab und schlug genau dort ein, wo ich gerade noch gelegen hatte.

Um wen auch immer es sich bei den unbekannten Angreifern handelte, sie meinten es ernst, todernst.

Dann glommen trübe Deckenleuchten auf und verbreiteten ein rotes, diffuses Licht, das mehr verbarg, als es enthüllte. Die Redundanzsysteme waren eingesprungen.

Ich rutschte näher an den Sockel der Vitrine. Der grüne Strahl erlosch und flammte dann wieder auf. Doch nun war ich nicht mehr sein Ziel, sondern die Vitrine, in der der Krish'un hing. Gleichzeitig leuchteten drei weitere Strahlen auf.

Ich spähte nach oben und glaubte zu sehen, dass an vier Stellen über mir die Luft flimmerte. Das ließ auf Deflektorschirme schließen, die ihre Träger unsichtbar machen. Und schwerste Kampfanzüge und tödliche Waffen verbargen.

Die vier Strahlen vereinigten sich und nahmen die Vitrine unter Punktbeschuss. Ich bemerkte ein Flimmern, das in dem diffusen roten Licht der Notbeleuchtung unnatürlich hell wirkte. Offenbar wurde die Vitrine – oder besser gesagt, der Krish'un! – durch einen Energieschirm geschützt.

Die gute alte arkonidische Paranoia. Redundanz, wo sie nur möglich war. Die Verwalter des Archivs hatten sich nicht damit begnügt, es an der Peripherie zu schützen, sondern sicherten auch tief in seinem Inneren besonders wertvolle Exponate. Und der Krish'un war zweifellos das bedeutendste Ausstellungsstück in dieser Abteilung.

Die vier Eindringlinge waren gut instruiert. Sie wussten genau, wonach sie hier suchten. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel mehr – dieser Überfall war minutiös vorbereitet und von langer Hand geplant. Der Punktbeschuss war genau dosiert. Nach wenigen Sekunden brach der Energieschirm zusammen, ohne dass der Inhalt der Vitrine Gefahr lief, beschädigt zu werden.

Wie aus weiter Ferne vernahm ich ein anderes, dumpferes Surren in der Luft. Ich erkannte es sofort. Roboter, die zum Ort des Geschehens rasten. Endlich reagierte die Notautomatik.

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Wie von Geisterhand wurde der Krish'un aus der Vitrine gehoben. Das Surren wurde lauter, und im nächsten Augenblick waren die Kampfroboter da, archetypische Modelle, die wie übergroße menschliche Skelette aussahen, Kampfroboter, die über zehn Jahrtausende lang das Bild des Imperiums geprägt hatten. Aber das war natürlich nur ein Showeffekt. In diesen ungeschlachten Hüllen steckte modernste Technik.

Es mochten zehn, zwölf Kampfroboter sein, die versuchten zu retten, was zu retten war. Sie nahmen den Eindringling unter Feuer, der mit Hilfe eines Fesselstrahls den Krish'un mit sich schleppte. Ein Paratronschirm leuchtete immer intensiver auf; dann erlosch er. Ich hörte einen lang gezogenen, gellenden Todesschrei.

Der Krish'un raste unbeeindruckt auf den nächsten Eingang zu. Die Gefährten des Diebes hatten sich in den Weg der Strahlen geworfen, um ihren Kumpan zu schützen!

Deflektorschirme täuschten nur das menschliche Auge, nicht die Ortungssysteme von Kampfrobotern. Sie nahmen ein zweites Flirren in der Luft ins Kreuzfeuer, ein Deflektorschirm erlosch und enthüllte eine humanoide Gestalt in einem hochmodernen Kampfanzug.

Einen Arkoniden?

Lediglich der Schirm war zusammengebrochen, der Mann selbst schien nicht verletzt zu sein. Er torkelte einen Augenblick lang, dann setzten die Redundanzsysteme ein.

Ein Arkonide!, bestätigte der Extrasinn.

Der Angreifer drehte sich, verharrte dann in einer Position, in der er mich genau im Blickfeld hatte. Einen Moment lang sahen wir uns in die Augen. Ein kaltes Schaudern lief mir über den Rücken. Ich hatte den Eindruck, dass der Attentäter sich seit dem Augenblick, da seine Schutzsysteme zusammengebrochen waren, als Todgeweihten sah.

Als Todgeweihten, der so viele unschuldige Besucher wie möglich mit sich nehmen wollte.

Ein Grinsen verzerrte die Gesichtszüge des Mannes. Ein widerwärtiges, häßliches Grinsen, dessen Bedeutung mir klar war.

Ich spannte alle Muskeln an, um zu springen.

Und war mir bewusst, dass ich nicht schnell genug sein würde.

Aus dem Augenwinkel nahm ich eine verschwommene Bewegung wahr, die ich zuerst nicht einordnen konnte. Eine schlanke Frau, die einen Überschlag nach dem anderen machte, zwei-, drei-, viermal ... und dann in die Höhe sprang, als sei sie schwerelos, mich mit den Füßen gegen die Brust traf und zur Seite stieß.

Ich wurde drei Meter zurückgeworfen.

Die Frau schrie auf, als ihr der letzte Überschlag nicht gelang und sie mit dem Kopf gegen die Vitrine prallte. Sie blieb reglos liegen.

Li!

Der Strahl des Angreifers schlug genau zwischen uns ein, während ich schwer auf den Boden schlug. Der Ruck schien durch alle Knochen zu gehen. Trotzdem rollte ich mich sofort ab, robbte in den Schutz einer anderen Vitrine, schaute hoch, sah, wie die Kampfroboter den dritten der vier Angreifer ins Visier nahmen ...

Und dann holte die Hölle uns ein.

Dort, wo der erste Angreifer lag, den ich längst für tot gehalten hatte, flammte das Inferno auf.

Oder das Nichts.

Ein grelles grünes Leuchten blendete mich. Dann verschwand die Welt einfach, zerfiel in sich!

Der schwer verletzte Dieb hat eine Desintegratorbombe gezündet! Ganz sicher, um sich selbst zu töten, damit er nicht gefasst und identifiziert werden konnte.

Ohne Zweifel ein Fanatiker, der alle Spuren verwischen und seinen Kumpanen die Flucht ermöglichen will!, stellte der Extrasinn mit nüchterner Logik fest.

Mit einem Mal war mir der Diebstahl des Krish'un völlig gleichgültig. Li, dachte ich, Li!

Li, flüsterte der Extrasinn, war zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie hat dir das Leben gerettet – mit einer bemerkenswerten Reaktionsschnelligkeit und Effektivität, die man einer normalen Historikerin kaum zutrauen möchte.

Li wurde verletzt!, dachte ich. Ich muss ihr helfen!

Die automatischen Verteidigungssysteme wurden endlich aktiviert. Plötzlich leuchteten in den Wänden des Archivs hellgrüne Punkte auf. Eine dritte, bislang unsichtbare Gestalt wurde sichtbar, schrie auf und sank zu Boden. Ich sah die Verletzungen des Arkoniden und hätte fast den Blick abgewandt.

Der Gedanke, der mir kam, war in seiner Konsequenz grausam. Der Attentäter war von den automatischen Systemen so schwer verletzt worden, dass er nicht mehr Selbstmord begehen konnte. Falls die Mediker ihn durchbekamen ...

Die Sicherheitskräfte und Kampfroboter des Archivs waren da.

Einen Moment zu spät. Es war vorbei.

Wir hatten zwei Tote, einen Schwerverletzten und einen entwendeten Krish'un zu beklagen und einen Angreifer mit einer Desintegratorbombe überlebt, der mit etwas bösem Willen das gesamte Archiv hätte sprengen können.

Aber nein ... Ich schüttelte den Kopf. Die Aktion war nicht gegen Arkon selbst gerichtet gewesen. Die Attentäter hatten ganz genau gewusst, was sie taten, und lediglich den Krish'un erbeuten wollen.

Um dieses Ziel zu erreichen, waren sie allerdings absolut kompromisslos vorgegangen.

Ein Roboter sprach mich an. Ich schüttelte nur den Kopf.

Und sah nach Li.

3.

Arkon I, 12. Februar 1225 NGZ

Schwere Unwetter

 

»Einer der Diebe hat sich selbst getötet«, sagte ich, »zwei wurden erschossen, der letzte entkam mit dem Krish'un.«

Li lächelte traurig. Ein durchsichtiger Verband, der ihren Kopf von der Stirn bis zum Nacken und das halbe Gesicht bedeckte, verzerrte die Geste.

Ich nahm ihre Hand. Sie war, wie auch der schwer verletzte Dieb, zur Erstversorgung in ein zur Museumsinsel gehörendes Krankenhaus gebracht worden. Polizeikräfte waren angerückt und hatten die gesamte Insel abgeriegelt. Spezialeinheiten hatten die Spurensicherung aufgenommen. Und Wepe Ohling, der Museumsdirektor, ging methodisch durch einen Raum nach dem anderen, um das Ausmaß der Schäden festzustellen.

»Ich danke dir«, sagte ich. »Du hast mir das Leben gerettet.«

Sie sah mich aus großen, fragenden Augen an. »Wie bitte?«

»Im Krish'un-Raum, bei den Vitrinen. Ohne dich wäre ich jetzt tot.«

»Ich ... erinnere mich nicht«, flüsterte sie.

Beunruhigt drückte ich ihre Hand. Sie kam mir in der meinen sehr heiß vor. »Wie geht es dir?«

»Ich habe Kopfschmerzen«, erwiderte Li. »Und ich sehe seltsame Bilder ...«

Ich horchte auf und kniff die Augen zusammen. »Bilder?«

Sie schüttelte den Kopf, verzog gepeinigt das Gesicht, als offensichtlich ein Schmerz sie durchzuckte, musste dann über ihre Achtlosigkeit selbst lachen – und verzog erneut das Gesicht.

Ich drückte sie auf das Krankenbett zurück. »Bleib ganz ruhig liegen. Was für Bilder?«

Diesmal verzog sie nur den Mund. Sie lernte schnell. »Ich gehe durch einen endlosen Gang. Die Wände wabern seltsam, als wären sie nicht materiell, verändern sich. Ich will nicht weitergehen, aber irgend etwas zwingt mich dazu. Nicht mit körperlicher Gewalt, eher mit geistiger, aber das trifft es auch nicht ganz, ich ...« Sie verstummte und zuckte mit den Achseln.

»Was sind das für Bilder? Ein Traum? Eine Vision? Oder hast du das wirklich gesehen, erlebt?«

»Ich weiß es nicht«, sagte sie leise. »In meinem Kopf hämmert es fürchterlich. Und dann sehe ich eine Gestalt in den Schatten, einen Roboter ... Nein, es ist kein Roboter, eine geschmeidige Gestalt, die sich mit unnatürlicher Grazie bewegt. Sie will nicht, dass ich sie sehe, sie tritt zurück in die Schatten, und alles verändert sich, plötzlich stehe ich nicht mehr in einem Gang, sondern auf einer schier endlosen Ebene, über mir brennt eine blaue Sonne, und ich ...« Sie verstummte. »Atlan«, fuhr sie dann fort, »diese Bilder machen mir Angst.«

»Ganz ruhig«, sagte ich. »Sie werden wieder verschwinden. Wenn man dir hier nicht helfen kann, werden wir andere Ärzte hinzuziehen. Die besten Arkons ... oder Aralons ...«

Li hatte mir das Leben gerettet. Ohne sie wäre ich jetzt tot, und ich würde alles daransetzen, ihr zu helfen, schnell wieder völlig gesund zu werden.

Hinter mir erklang ein Räuspern. »Oder der ganzen Galaxis?«, fragte eine hohe, piepsige Stimme.

Ich fuhr herum. Und sah einem kaum anderthalb Meter großen, aber mindestens drei Zentner schweren Mediker in einem altmodischen weißen Kittel ins Gesicht. Seine Stimme sprach seiner fülligen Statur Hohn.

»Cara Rasath«, stellte er sich vor. »Ich bin der Chefmediker dieses Krankenhauses. Deine Besorgnis ehrt dich, Atlan, ist aber überflüssig. Wir haben Li da Zoltral eingehend untersucht, und ihre Verletzung hat sich als harmlos erwiesen. Zwei Tage Ruhe, und sie ist so gut wie neu. Die Ergebnisse sind völlig unzweifelhaft. Ich stelle sie dir gern zur Verfügung, und du kannst einen anderen Mediker um eine zweite Meinung bitten. Selbstverständlich auch den besten der ganzen Galaxis.«

Ich hörte den Extrasinn schallend lachen und lächelte schwach. Nur wenige Male in meinem langen Leben hatte ich den Eindruck gehabt, in ein solches Fettnäpfchen getreten zu sein.

»Selbstverständlich glaube ich dir, Cara. Aber ich komme gern auf dein Angebot zurück. Wir werden die Untersuchungsergebnisse mitnehmen. Li sieht seltsame Bilder. Wie erklärst du dir das?«

»Sie hat einen kräftigen Schlag gegen den Kopf bekommen. Sollte sie diese Bilder in zwei Tagen noch immer sehen, werde ich höchstpersönlich Lordmeister Nagriol beauftragen, sie zu behandeln, und sämtliche Kosten übernehmen.«

Ich schluckte. Rasath lehnte sich weit aus dem Fenster. Nagriol war der frisch gebackene höchste Zada-Meister von Aralon und damit der oberste Galaktische Mediziner. Eine einzige Konsultation bei ihm, und Rasath wäre trotz seines sicher exorbitanten Einkommens bis an sein Lebensende verschuldet.

»Ich danke dir«, sagte ich unbehaglich. »Und werde dich gegebenenfalls beim Wort nehmen.«

»Das sei dir unbenommen.«

»Wann wird Li ... da Zoltral«, ich fügte den Familiennamen mit einiger Verspätung hinzu, »entlassen?«

»Unsere ambulante Behandlung reicht völlig aus. Sie kann jederzeit gehen.«

Li räusperte sich energisch. Offensichtlich behagte ihr nicht, dass wir über sie sprachen, als sei sie gar nicht anwesend. Ich drehte mich zu ihr um, lächelte bedauernd und zuckte mit den Achseln. »Es tut mir Leid, ich ...«

»Ach was, du warst nur besorgt um mich, Kristallprinz.« Sie grinste breit. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin.«

Doch, das konnte ich. Ich war es ebenfalls.

Sie schlug die Decke zurück, schwang sich aus dem Bett und suchte nach ihrer Kleidung. Es schien sie nicht zu stören, dass sie nur ein kurzes, gerade bis zu den Oberschenkeln reichendes Krankenhausnachthemd trug, das auf dem Rücken lediglich von einer Schleife zusammengehalten wurde. Ich wandte – etwas später, als es sich gehörte – den Blick ab und drehte mich zu Cara Rasath um. Der Chefmediker war genauso still und heimlich verschwunden, wie er gekommen war.

Immerhin aktivierte Li ein Verzerrungsfeld, während sie sich anzog. Die Schmerzen, die sie gerade noch beim Kopfschütteln gespürt hatte, schienen restlos verschwunden zu sein. Ich war kurz geneigt, an die magische Macht der Götter in Weiß zu glauben.

Das Verzerrungsfeld erlosch. Li sah mich herausfordernd an. »Und nun?«