Cover

Über dieses Buch:

In Niederlagen ist er Weltklasse: Mit Karacho fährt Martin seine Karriere als Redakteur beim Klatschmagazin »Neues Goldenes Blatt« gegen die Wand. Plötzlich steht er hochverschuldet auf der Straße – und muss sofort Fersengeld geben, um vor einem brutalen Geldverleiher zu fliehen. Jetzt kann ihn nur noch ein Wunder retten … oder eine absolut verrückte Idee. Also beschließt Martin, eine neue Religion zu begründen, mitsamt einem halbseidenen Super-Propheten und jeder Menge Möglichkeiten, die gläubigen Schäfchen zur Kasse zu bitten. Ein Wahnsinnsplan – der aber mehr als ein paar Stolperfallen bereit hält …

»Dieser Roman hat mich angenehm überrascht – wer hätte gedacht, dass so etwas Absurdes wie Religion und ihre natürliche Steigerung, die Volksmusik, so lustig sein können? Ich habe mich sehr amüsiert und immer wieder laut gelacht!« Sebastian Niedlich, Autor des Bestsellers »Mein Tod und andere Höhepunkte meines Lebens«

Über den Autor:

Simon Wasner, Jahrgang 1987, studierte Lehramt in Freiburg, Basel und Rennes. Er unterrichtet Deutsch, Geschichte, Psychologie und Religion an einem Gymnasium in Baden-Württemberg und versucht in seiner Freizeit, sein Umfeld von der literarischen Qualität von Raptexten zu überzeugen – meist vergeblich.

Der Autor im Internet: www.simonwasner.com

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Originalausgabe Februar 2018

Copyright © der Originalausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Sabine Zürn

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock/Africa Studio.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-006-7

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Simon Wasner

Mein Leben und andere Reinfälle

Roman

dotbooks.

Für meine Frau Nina
und meine beiden Omas.

»Es ist nicht wahr, was man gewöhnlich behaupten hört, dass das Publikum die Kunst herabzieht; der Künstler zieht das Publikum herab, und zu allen Zeiten, wo die Kunst verfiel, ist sie durch die Künstler gefallen.«

Schiller

Erster Teil
FALLING DOWN

1. Kapitel
In der Klapse: Gesprächstherapie am Mittwochmorgen

Wenn Frau Doktor Schulze-Leifgens nicht immer so ernst und überbetont professionell über ihre randlosen Brillengläser hinwegschauen würde, wäre sie ja eigentlich ganz hübsch.

Ihr Lieblingsbuch war »Ulysses« von James Joyce. Ihr Lieblingsfilm »Macbeth«, mit Michael Fassbender in der Hauptrolle, weil sie ihn wahrscheinlich attraktiv fand und auch Psychologinnen Bedürfnisse haben, glaube ich. Jeden Sonntag sah sie den neuen Tatort.

»Herr Läufer, wie groß würden Sie Ihren Anteil an den Geschehnissen des letzten Sommers einschätzen?«

»Meinen Anteil? Sie meinen, inwiefern ich mich selbst als verantwortlich bezeichnen würde?«

»Ganz genau.« Ich räuspere mich. Da, sie schaut schon wieder so streng. Manchmal erinnert sie mich an eine alte, verschrobene Bibliothekarin, aber das liegt vielleicht auch an ihrem Dutt. Frau Doktor Schulze-Leifgens hasst es, wenn ich ausschweifend antworte, sie sagt dann immer, ich würde der Frage ausweichen. Aber was soll ich auch machen, wenn sie mir immer solche komplizierten Fragen stellt?

»Nun, sehen Sie, Frau Doktor, das ist nicht so ganz einfach. Ich nehme an, Sie sprechen von meinem Teil der Verantwortung als demjenigen, der sich die ganze Sekte überhaupt ausgedacht hat. So hat es zumindest auch das Gericht getan, kurz bevor ich für verrückt erklärt und hier eingewiesen wurde. Aber ich bin mir nicht sicher, ob man das einfach so sagen kann: ›Er hatte die Idee, wie man die Leute ausnehmen und manipulieren kann, also ist er auch zum größten Teil verantwortlich für die ganze Scheiße. So jemand kann doch unmöglich alle Tassen im Schrank haben.‹ Und auch wenn ich weiß, dass ich weder Sie noch das Gericht jemals werde umstimmen können, finde ich nicht, dass man mich einfach so zum übergeschnappten Hauptverschwörer machen kann. Im Prinzip war ich doch auch ein Leidtragender dieser ganzen Geschichte.«

»Und wieso denken Sie das?« Während der Sitzungen macht sie sich ständig Notizen in ihrem kleinen, mausgrauen Block. Vielleicht zeichnet sie aber auch bloß Strichmännchen oder eine Karikatur von mir. Reingucken darf ich nämlich nicht. Mein Blick bleibt kurz an den großen, lichtdurchfluteten Fenstern hängen, die einen Blick in die Parkanlage gewähren, die zu meiner Klapse gehört. Ich sehe die Sporttherapiegruppe, die sich neben dem Brunnen Bälle zuwirft. Langsam, aber sicher kommt der Frühling.

»Ich möchte ja gar nicht abstreiten, dass wir Leute belogen, betrogen und uns an ihnen bereichert haben. Dass es schließlich so groß wurde, auch so gefährlich, damit konnte niemand rechnen, am wenigsten ich. Und dass Fabian Hufschmitt so durchgedreht ist, glauben Sie mir, das wollte niemand. Ich weiß, dass das Gericht das anders gesehen hat, aber wie viele unserer Mitglieder bin auch ich da reingestolpert, unabsichtlich und unfreiwillig. Im Grunde waren wir doch ein Haufen Hochstapler mit einer ganzen Menge Glück. Vielleicht war alles auch einfach nur purer Zufall. Die falschen Menschen zur falschen Zeit am falschen Ort.«

»Zufall?« Endlich zeigt sie mal eine emotionale Reaktion, wenn auch keine besonders angenehme: blankes Unverständnis. »Sie bezeichnen es also als Zufall, dass Sie zusammen mit einem drogenabhängigen Schlagersänger und einem berüchtigten Kriminellen eine sektenähnliche Vereinigung gründen, systematisch Straftaten und Betrug begehen, nur um dann schlussendlich von der Polizei verhaftet zu werden, während ihr ehemaliger Geschäftspartner Fabian Hufschmitt Ihnen mit einer Kettensäge den Arm amputiert und ein Dutzend Ihrer Anhänger im Hintergrund auf die Ankunft eines außerirdischen Schlachtschiffs warten?!«

Ich kauere mich in meinem Sessel zusammen. Ich mag es nicht, wenn sie das so harsch formuliert. Dann hört sich das immer an, als wäre ich tatsächlich wahnsinnig gewesen.

»Schätze ja.«

2. Kapitel
Ich

Nach der Therapiesitzung gehe ich immer zurück auf mein Zimmer, Station 5B, die für die ziemlich Bescheuerten. Auf den Gängen herrscht in der Regel gespenstische Stille, auch die Pfleger sind heute nicht zu sehen. Ich öffne die Tür unseres spartanischen Zweibettzimmers und sehe mich um. Shinji, mein Zimmergenosse, scheint nicht da zu sein, vermutlich ist er jetzt an der Reihe, sich einer frustrierten Mittdreißigerin zu öffnen, die ihm eine Stunde lang implizit den Vorwurf macht, nicht ganz beieinander zu sein. Dabei finde ich, dass meine Erklärung durchaus Sinn gemacht hatte. Und wer kann das besser beurteilen als ich?

Vor der ganzen Sektengeschichte war ich das Musterbeispiel eines ganz normalen, unauffälligen und völlig farblosen Durchschnittsmenschen. Ich war so unerhört durchschnittlich, dass ich wahrscheinlich ganz alleine repräsentative Umfragen hätte beantworten können.

Wenn man sich morgens mit dem ersten Klingeln des Weckers aus dem Bett quält, sich anzieht und auf den Weg zur Arbeit macht, so ungefähr zwischen 5.30 Uhr und 9.15 Uhr, dann kann man eine Menge solcher Durchschnittsmenschen beobachten. Meistens in Anzügen von der Stange, oder noch schlimmer, in kurzärmeligen Arbeitshemden mit Firmenlogo, schleichen sie durch die Straßen der Städte, den Blick fest nach vorne gerichtet und doch gleichzeitig ins Leere starrend. Diese Menschen sind es, die durch Fleiß, Ordnung und Disziplin das riesige Rad unserer Gesellschaft am Laufen halten, die dafür sorgen, dass der Kabelanschluss funktioniert, das neue Handy blau statt grün ist und die Hortensien blühen. Das ist ja eigentlich eine ganz schön tolle Leistung. Dummerweise sehen sie selbst das völlig anders. Sie stehen jeden Morgen auf, der Haaransatz ist ein bisschen grauer, die Augen sind ein bisschen müder und sie fragen sich, warum zur Hölle sie das alles überhaupt machen. Hat es einen Sinn, dieses ständige Telefonieren und Tippen und Hypothekenzahlen? Irgendwie doch nicht, vergleicht man es mit dem Leben der Stars und der Leute aus den Medien, den wirklich glücklichen Menschen. Und überhaupt, was bleibt vom eigenen Leben, wenn man mal nicht mehr ist? Das Eigenheim? Wird wahrscheinlich von den untereinander zerstrittenen Kindern verkauft. Der Job? Existiert wahrscheinlich nicht mehr, genauso wie das völlig überflüssige Produkt, das man einstmals verkauft hat. Und so trottet und tippt und textet und telefoniert man vor sich hin, Tag für Tag für Tag, mit dem bitteren Geschmack auf der Zunge, dass man das höchstwahrscheinlich einzige Leben verschwendet, das man hat.

Natürlich waren sie nicht immer so: Als Teenager hatten sie alle wilde Träume von Berühmtheit und weltverändernden Ideen. Und bei manchen klappt es ja auch, bei all den Schauspielern und Sängern und sogar bei entfernten Bekannten aus der Parallelklasse, die jetzt im Vorstand von irgendwelchen Konzernen sitzen und ständig Urlaubsfotos aus Dubai und Monte Carlo auf Facebook posten, während man selbst eine Woche ins Sauerland fährt und jeder Tag dem 1990er-Jahre-Filmklassiker Und täglich grüßt das Murmeltier mit Bill Murray gleicht: Immer und immer und immer wieder die gleiche sinnlose Scheiße.

Aber so ist nun mal das Leben: Von Grund auf ungerecht. Manche sind eben wer. Und alle anderen sind Niemande, sind Nichts. Und ich war einer von ihnen.

3. Kapitel
Manfred

Er las am liebsten das Haus- und Gartenmagazin, er hörte am liebsten das Schlagerduo »Die Amigos« und er sah am liebsten »Wetten, dass …?« im Fernsehen, zumindest bis es eingestellt wurde.

Unser Büro, Zimmernummer 2031, befand sich in einem gesichtslosen, vollverglasten und im Sommer brütend warmen Büroturm. Fünfzehneinhalb Quadratmeter, eigener Schreibtisch, eigenes Fenster (immerhin), dafür defekte Klimaanlage (tödlich), Fotografien von meiner Frau Sandra und meinen Eltern auf dem Schreibtisch, damit er nicht so erbärmlich leer aussah. 8,5 Stunden Gleitzeit, durchschnittliches, aber ausreichendes Einkommen, keinerlei Aussicht auf Karriere oder Aufstiegsmöglichkeiten, unter der Haube, aber noch kinderlos, weil man in meiner Generation auf den passenden Moment wartete, der irgendwie nie zu kommen schien. Oder weil, wie in meinem Fall, wahrscheinlich etwas mit dem eigenen Sperma nicht in Ordnung und man zu feige war, um etwas dagegen zu unternehmen. Das war, in Kurzfassung, mein Leben mit neunundzwanzigeinhalb.

Das Büro teilte ich mir mit einem Kollegen, der mir jeden Tag gegenübersaß und mit seinen kleinen Wurstfingern auf die Tastatur seines Computers einhackte, als wolle er die einzelnen Buchstabentasten herausreißen und sie sich an Ort und Stelle einverleiben. Sein Name war Manfred Luther und rein optisch hätte er prima als Vergewaltiger auf bild.de oder in die RTL-II-Nachrichten gepasst. Er war ausnehmend fett, auf eine abstoßende, nicht auf eine gemütliche Art. Weniger als Otti Fischer, aber doch mehr, als in einen Flugzeugsessel passte. Seine Haare wuchsen schon seit Jahren nur noch in einem rostbraunen Kranz um seinen Kopf herum, was angesichts seines Nachnamens einer gewissen Ironie nicht entbehrte. Auf seiner Nase thronte ein scheußliches Kassengestell mit so dicken Gläsern, dass seine schmalen Augen von unbestimmter Farbe dahinter gleichzeitig bescheuert und dümmlich glotzend aussahen.

Ich will nicht unfair sein, ich mochte ihn ja. Er war im Grunde seines Herzens ein guter und bescheidener Mensch, aber erstens müffelte er stark (ich erwähnte bereits die defekte Klimaanlage und die Vollverglasung des Büros) und zweitens machte er mir Angst. Nicht er selbst, eher die Tatsache, dass er womöglich ein ziemlich genaues Abbild meines eigenen zukünftigen Ichs in zwanzig Jahren darstellte. Immer noch hier, immer noch sinnlos, ohne Karriere, dafür mit mehr Bauch und weniger Haaren. Und das Schlimmste an allem war, dass er sich sogar damit abgefunden hatte. Solange Manfred pünktlich um 10 Uhr vormittags sein Wurstbrot mit den kleinen, eingelegten Gurkenscheiben darauf verputzen konnte, schien er glücklich zu sein. Und dieses Schicksal machte mir verdammt noch mal Angst.

Entschuldigen Sie, ich glaube, ich habe noch gar nicht erwähnt, womit wir eigentlich unser Geld verdienten, und das ist wichtig für die Geschichte. Wir waren von Beruf Journalisten. Nun würde ich an dieser Stelle gerne sagen, dass ich Krisenreporter gewesen war oder Sportberichterstatter, aber weil das nicht der Wahrheit entspricht und ich beim Lügen aus der Übung bin, bringen wir es einfach so schnell wie möglich hinter uns. Mein Name ist Martin Bernhard Läufer und ich war damals stellvertretender Ressortleiter der Abteilung Volksmusik, volkstümlicher Schlager und Popschlager bei der im Vierfarbdruck hergestellten Regenbogenzeitschrift »Die Goldene Neue Post – Aus der Welt des Adels und der Stars für die Frau von heute«. 1,20 Euro am Kiosk, erschien immer druckfrisch an jedem Montag einer neuen Woche. Außerdem war ich noch zuständig für den großen, jährlich erscheinenden Schönsten deutschen Hunde-Kalender, das Teneriffa-Preisausschreiben und die bei den Lesern außerordentlich beliebte Rubrik Damals: Unsere Stars von früher, in der ich hirnamputierte Sabberer über die Zeit interviewte, in der es noch kein Farbfernsehen, aber dafür die Hitlerjugend gegeben hatte. Ja, das dürfte alles gewesen sein. Meiner Erfahrung nach konnten die Menschen, denen ich das erzählte, sich spätestens beim Hundekalender ein spöttisches Grinsen nicht mehr verkneifen. Und ich muss zugegeben, der Kalender war schon harter Tobak.

Als Teenager hatte ich Schriftsteller werden wollen. Nun wollen die meisten Mädchen in dem Alter ja Schauspielerin werden und die meisten Jungs Sportler, aber für beides fehlte mir nachgewiesenermaßen das Talent.

Leider musste ich feststellen, dass es mir auch für das Schreiben fehlte, zumindest, um damit berühmt und reich zu werden. Lange Rede, kurzer Sinn, nach einem eher halbherzigen Germanistikstudium (mäßige Magisterarbeit: Der glottale Verschlusslaut als Herausstellungsmerkmal des Deutschen, Note 3,3) und unzähligen unbezahlten Praktika landete ich durch den Tipp eines Freundesfreundes bei der Goldenen Neuen Post, kurz GNP. Und tatsächlich schaffte ich es, dort zum Experten für meinen Aufgabenbereich zu werden, wenn man das Entwerfen von Hundekalendern denn Aufgabenbereich nennen kann. Mein wahres Spezialgebiet aber war die Volksmusik (bitte nicht zu ernst nehmen, ich musste mich da auch erst einmal reinarbeiten): Florian Silbereisen, Heino und Helene Fischer, ich kenne sie alle. Ich wusste genauestens Bescheid über den sagenumwobenen Trompeterkrieg (Walter Scholz vs. Stefan Mross), Andy Borgs zweite Ehe und wer heimlich ein Toupet trug. Vor allem aber wusste ich alles über den Sänger, Schauspieler, Moderator und Entertainer Fabian »Fabi« Hufschmitt, den Star der Szene, aber dazu später mehr.

Gut, ich weiß, dass das lächerlich klingt, und zugegebenermaßen war es das auch ein bisschen. Aber nüchtern und bei Licht betrachtet tat ich nichts anderes, als es irgendein anderer Redakteur irgendeiner anderen Musik- oder Filmzeitschrift getan hätte. Wir führten Interviews, brachten Homestorys, Gewinnspiele und Kreuzworträtsel (»Wer die schönen Rätsel löst, noch lange nicht im Grabe döst«) und intime oder völlig frei erfundene Geheimnisse aus der Welt des Adels. Alle paar Wochen druckten wir eine Gegendarstellung eines verärgerten Künstlers oder eines schwedischen Prinzen ab, wenn er darauf bestand, »noch nie Drogen konsumiert zu haben«, und stellten uns mit einem wohlwollenden Artikel über ihn und seine halbseitig gelähmte Cousine wieder gut. Fiel ein Prominenter bei unseren Lesern in Ungnade, dann schrieben wir so lange Lügen über ihn, bis er völlig am Ende jeden Widerstand aufgab und uns freiwillig und zur Ehrenrettung ein Foto von sich als Zweijährigem überließ.

Unser durchschnittlicher Leser, das hatte ein Marktforschungsinstitut ermittelt, war weiblich, verrentet, wenig gebildet und unterdurchschnittlich vermögend. Mit unseren Schmonzetten aus Glamour, Glitzer und Abnehmtipps für den Sommer bedienten wir lediglich die Sehnsüchte dieser nostalgischen älteren Damen. Nicht mehr und nicht weniger.

Natürlich durfte man als GNP-Reporter ohnehin nicht mit irgendeinem Anspruch auftreten, schon gar nicht mit einem journalistischen. Wer einmal gelernt hat, wie man einen typischen Artikel über ein völlig beliebiges Thema aus der Welt des europäischen Adels schreibt (»Palastangestellte munkeln …«, »ein enger Freund weiß zu berichten …«, » … sagt man sich dieser Tage im Buckingham Palace«), für den hielt diese Branche keine echten Überraschungen mehr bereit, außer der Erkenntnis, dass man sich beruflich in eine verdammte Sackgasse begeben hatte und einen keine ernst zu nehmende Zeitschrift jemals wieder engagieren würde.

4. Kapitel
Sandra

Sandras Lieblingsbuch war »Eine wie Alaska« von John Green. Ihre Lieblingsband war »The XX«, ihre Lieblingsfernsehserie, die ich immer gehasst und nicht einmal aus Liebe mit ihr geschaut hatte, »Vampire Diaries«. Sie war so perfekt unperfekt gewesen.

Meine Frau Sandra kannte mich schon so lange und so gut, dass sie genau wusste, dass ich im tiefsten Inneren unzufrieden war. Das tat mir leid, aber ich konnte es nicht ändern, und weil ich es nicht ändern konnte und sie auch nicht, sparten wir das Thema aus und taten so, als sei es praktisch nicht existent, auch wenn es immer mal wieder durch den Raum schwebte. Ich wäre wirklich sehr gern Schriftsteller geworden und die Tatsache, dass ich es nicht geworden war, nagte immer noch an mir. Als Student hatte ich mich an Science-Fiction- und Fantasygeschichten versucht und sogar zwei Romanmanuskripte fertiggestellt, aber obwohl ich sie an Dutzende Verlage geschickt hatte und sie gar nicht so schlecht fand, wurde keiner von ihnen verlegt. Meistens bekam ich erst nach Monaten eine formlose Absage zugeschickt, wenn überhaupt. Damals schob ich das auf die ungünstige Marktlage für Science-Fiction-Literatur, aber vielleicht mangelte es mir auch einfach nur am Talent. Trotzdem konnte ich diesen Traum, den einzigen, den ich jemals gehabt hatte, nicht so einfach loslassen.

Sandra hatte niemals einen so unrealistischen Traum gehabt, sie war immer schon bodenständiger gewesen als ich und vielleicht hatte sie deswegen auch nie so ganz nachvollziehen können, warum mich die Ablehnung meiner Romane auch nach beinahe sechs Jahren immer noch so wurmte. Sie hatte noch nie das Bedürfnis verspürt, berühmt sein zu wollen, weil sie mit dem, was das Leben uns gegeben hatte, völlig zufrieden war. Ich habe niemals wieder einen anderen Menschen kennengelernt, der das von sich behaupten konnte.

Sandra und ich waren schon seit der Schulzeit ein Paar und schon als wir noch nicht verheiratet waren, stellten wir uns mit »mein Mann« und »meine Frau« vor, spaßeshalber auch oft mit »Omi« und »Opi«, weil wir immer seltener ausgingen und schon seit Jahren nicht mehr so richtig gesoffen hatten wie früher.

»Wie war dein Tag, Hamster?« Sandra legte die Einkaufstüte und ihre Tasche auf der Kommode ab und zog die Schuhe aus. Sie war von einem Freitagsausflug ins örtliche Planetarium zurückgekommen und erwartungsgemäß völlig fertig. Trotzdem fragte sie mich immer als Erstes, wie mein Tag gewesen war, bevor sie von ihrem erzählte. Obwohl sie vorige Woche dreißig geworden war, sah sie immer noch jung, fröhlich und frech aus, wie Sandra eben, wie das Mädchen, in das ich mich vor mehr als zwölf Jahren verliebt hatte. Hellbraune, schulterlange Haare, schlank, aber nicht dürr, lebensfroh und nie um einen Spruch verlegen. Wenn es etwas gab, das ihr etwas ausmachte, dann war es die Tatsache, dass sie noch nicht Mutter geworden war. Sandra liebte Kinder und Kinder liebten sie. Wir wussten noch nicht, ob es an mir oder an ihr lag. Sie bemühte sich, mir nicht zu zeigen, wie sehr sie darunter litt.

»Ganz okay, Hamsterlady, jeden Tag der gleiche, langweilige Volksmusikkram. Und bei dir?«

»Es war ein schöner Ausflug, aber ich bin völlig erledigt«, sagte sie und schlüpfte in eine kurze Schlafhose. Unsere Wohnung war schlecht isoliert und im Sommer war sie abends unerträglich warm und stickig. »Und du sei nicht immer so griesgrämig. Ich stelle mir das lustig vor, da zu arbeiten.« Sie ließ sich zu mir auf die Couch fallen und kuschelte sich an mich. Freitagabends lagen wir meistens hier, entspannten, aßen Chips und sahen uns eine DVD an. »Jeden Tag abgefahrene Storys zu erfinden, die nie passiert sind, oder einem Promi Kinder anzudichten, die er nicht hat. Da wird einem doch so schnell nicht langweilig.«

»Das denkt man auch nur, wenn man es nicht schon tausendmal gemacht hat«, entgegnete ich schnippisch. »Irgendwann gehen einem sogar die erfundenen Kinder auf die Nerven.«

Sandra lachte und riss eine Tüte Erdnussflips auf. »Immerhin sind deine erfunden, Hamsterbacke. Meine sind echt. Schauen wir was mit Horror?«

Sandra hatte »Pädagogik der frühen Kindheit« studiert. Damals war das ein ganz neuer und furchtbar angepriesener Studiengang gewesen, der eine Reaktion auf den Ausbau von Kindertagesstätten und Krippen sein sollte, aber als die ersten Absolventinnen (Männer gab es praktisch nicht) ihren Abschluss machten, wusste noch niemand so recht, was man mit diesen Leuten anstellen sollte. Sandra musste deswegen eine Stelle als Aushilfskindergärtnerin annehmen, die schlecht bezahlt war und die Rückzahlung ihres Studiendarlehens zu einer zähen Angelegenheit machte. Oft hatte sie Probleme, ihren Teil der Miete zu finanzieren. Trotzdem konnte selbst das ihre innere Fröhlichkeit nicht erschüttern. Das kam erst, als sie erfuhr, wie viel Geld Jérôme Brauns Schläger von mir eintreiben wollten. Nicht ihre Schulden waren unser Problem gewesen. Es waren meine.

5. Kapitel
Auszug aus dem Romanmanuskript »Der Herrscher des Planeten Firun« (von Martin Läufer)

Spacerider stockte der Atem. Er konnte kaum fassen, was er gerade gehört hatte. Zoltan, der Galaktische Herrscher, lächelte zynisch. Spacerider linste zu der Wache, die ihm seine Laserpistole abgenommen hatte, aber er hatte keine Chance, sie wieder an sich zu nehmen, der Salakulaner stand viel zu weit entfernt. Sein Knie schmerzte merklich vom Sprung auf die Raumkapsel, er wurde allmählich zu alt für den Scheiß. Er wollte sich aufrichten, aber die beiden Söldner hielten ihn fest und drückten ihn auf den Boden. Zoltan kam näher, der rote Saum seines Gewandes machte kaum merkliche Geräusche.

»Nun, Spacerider, damit hast du nicht gerechnet, nicht wahr? Und selbst wenn, was könntest du tun, um mich aufzuhalten? Nichts. Die Zerstörung des Planeten, den du Erde nennst, ist unaufhaltsam. Nun werdet ihr bestraft für euren Flirt mit der Freiheit. Ihr hättet besser daran getan, Sklaven zu bleiben!«

»Man wird dich aufhalten!«, rief Spacerider trotzig. Zoltan brach in lautes Gelächter aus. Sein Tentakelgesicht bebte.

»Und wer sollte das deiner Meinung nach tun?« In diesem Moment aktivierte sich das Raumportal und Salah wurde in den Raum gebeamt.

»Ich«, sagte sie und nickte Spacerider zu. Er musste lächeln. Sein Plan war aufgegangen. Außerdem sah Salah ziemlich gut aus in ihrem knappen Space-Overall.

6. Kapitel
Die Zerstörung meiner Träume

Sehr geehrter Herr Läufer,

haben Sie vielen Dank für die Zusendung Ihres Romanmanuskriptes »Der Herrscher des Planeten Firun«. Leider sehen wir dafür im Moment keinen Platz in unserem Programm.

Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg.

Mit freundlichen Grüßen

Verlagsleitung

7. Kapitel
Sven

Montagmittag. Manfred ächzte und versuchte, sich auf seinem ergonomischen Bürostuhl so zu positionieren, dass er möglichst viel von der kühlen Ventilatorluft abbekam, seinem leidvollen Stöhnen nach zu urteilen ohne wirklichen Erfolg.

»Diese Hitze, Kinder, ich halte das nicht mehr lange aus. Die Luft ist ja zum Schneiden hier drin, boah. Manchmal macht’s keinen Spaß mehr im Leben.«

Kaum hatte er das gesagt, holte er, wie um sich selbst über sein schweres Schicksal hinwegzutrösten, eine Plastikschale mit einem dick belegten Schinkensandwich aus seiner Schreibtischschublade hervor. Der Ventilator arbeitete schleppend und nur unter höchster Anstrengung. Manfreds gestreiftes, kurzärmeliges Baumwollhemd klebte an seinem Körper. Ich konnte mir nicht helfen, aber obwohl ich ihn eigentlich ja mochte, fand ich ihn dennoch eklig. Die Art, wie er mit lauten Geräuschen kaute (und anschließend verdaute), wie seine Tastatur beim Tippen klapperte, dazu diese furchtbaren Altmänner-Hemden mit den kurzen Ärmeln. Doch so unterschiedlich Manfred und ich auch waren, in einem Punkt waren wir uns mehr als einig: Wir hassten Sven.

»Manfred, schreibt man Taylor Swift mit y oder mit i?«

»Boaaah, keene Ahnung, du. Warum willste denn das wissen?« Wissen wollen tat ich das nicht. Tatsächlich hätte ich einiges gegeben, wenn ich einen Job gehabt hätte, in dem ich so etwas nicht zu wissen brauchte. Wenn man es ganz genau nahm, dann musste ich das auch nicht wirklich wissen, immerhin war ich hier als Volksmusik-Experte angestellt und nicht für Teenager-Pop. Aber die Krise der gedruckten Zeitungen und Zeitschriften im Zeitalter der Online-Magazine hatte auch vor unserem Verlagshaus nicht Halt gemacht, und die Tatsache, dass unsere Leserinnen über früher oder später wegstarben, bereitete der Verlagsleitung offensichtlich zusätzliche Bauchschmerzen. Zwar waren wir als Marktführer der deutschen Regenbogenpresse seit Jahren unangefochten an der Spitze, aber uns allen war klar, dass das irgendwann kein Selbstläufer mehr sein würde. Also hatte der Verlag reagiert und jemanden angeheuert, der unser Blatt »behutsam« und »sanft« umstrukturieren sollte, um »wichtige Weichen für die Zukunft zu stellen«. Dieser Jemand, der uns vor zwei Monaten von der Verlagsleitung vorgestellt worden war, hieß Sven Irgendwas von irgendeiner Consulting Blablabla, er bestand darauf, dass wir ihn mit Vornamen anredeten, hatte irgendwas mit Controlling studiert und war, um es kurz und bündig zu machen, ein ziemliches Arschloch.

Sven, mindestens vier Jahre jünger als ich und frisch von der Uni, blonde Surferlocken, Zahnpastalächeln und vollparfümiert, hatte von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich weder für uns noch für unser Geschäft tatsächlich interessierte. Das heißt, nein, natürlich hatte er das bei seiner Vorstellung in der Redaktion behauptet, aber seine ersten Maßnahmen bewiesen das genaue Gegenteil. Weil er das wahrscheinlich in irgendeinem Seminar gelernt hatte, beschränkten sich seine Vorschläge hauptsächlich auf radikale und schmerzhafte Kostensenkungen. Der kostenlose Kaffee wurde abgeschafft, ebenso der traditionelle Betriebsausflug im August. Ironischerweise wäre der heute gewesen. Stattdessen saßen Manfred und ich nun im Büro und machten ein Teenie-Pop-Spezialheft, auf Svens genialen Vorschlag hin. Weil unser Pop-Experte Jürgen mit Darmkrebs im Krankenhaus lag, hatte er diese Aufgabe an uns delegiert, ohne zu wissen, dass weder Manfred noch ich Ahnung vom Pop-Geschäft hatten (und man das nun wirklich nicht mit Volksmusik vergleichen konnte). Und irgendwie befiel mich das ungute Gefühl, dass Sven damit austesten wollte, ob wir in der Lage wären, Jürgens Bereich zusätzlich und quasi unbezahlt zu übernehmen, falls er nicht aus dem Krankenhaus zurückkommen sollte. Abteilungen zusammenlegen, das war sicherlich auch so ein genialer Schachzug, den er in seinen Optimierungskursen gelernt hatte. Mich wunderte eigentlich nur, dass er noch nicht vorgeschlagen hatte, die Redaktion nach Bangladesch zu verlegen und dort von unterernährten Kindern Artikel über Helene Fischer schreiben zu lassen.

Svens Lieblingsbuch war irgendetwas, das sein iPhone ihm als E-Book vorgeschlagen hatte, weil es gerade toptrendy war. Seine Lieblingsmusik war eine auf Spotify automatisch zusammengestellte Disco- und Houseplaylist. Seine Lieblingsfilme waren seichte Actionfilme oder billige Komödien, die er mit einer großen Tüte Popcorn und einer Cola Zero im Kino gucken konnte, mit Dates, die genauso charakterlos und pseudointelligent waren wie er.

Wenn man vom Teufel sprach, dann erschien er auch, glaubten die Menschen im Mittelalter, und tatsächlich streckte Sven seine Designerfresse genau in diesem Moment durch die Tür.

»Naaaa, wie geht’s meinem Gewinnerteam? Denkt dran, nachher haben wir noch ein Teammeeting und Martin, ich muss dich doch nicht an die Clean-Desk-Policy erinnern, die wir gemeinsam beschlossen und eingeführt haben, oder? Tu doch bitte diesen ganzen Krimskrams in eine Schublade.«

Ich nickte, dachte kurz darüber nach, dass Sven mein kleiner Bruder sein könnte, dass er Anzüge trug, die mich ein ganzes Monatsgehalt kosten würden, und dass er mich wie ein Kleinkind mit erfundenen englischen Begriffen maßregelte, weil mein Schreibtisch nicht aufgeräumt war. Ich wandte mich wieder meinem Artikel zu, aber konzentrieren konnte ich mich ohnehin nicht. Es war beinahe vierzehn Uhr. Ich hatte eine Menge Kohle auf ein Spiel in der amerikanischen Fußballliga MLS gesetzt. Bald war das Spiel vorbei. Wenn Los Angeles Galaxy nicht deutlich gewinnen und drei Punkte holen würde, wäre ich richtig am Arsch.

8. Kapitel
Die Ratte

Sven sagte immer, es sei eine Maus, aber mich erinnerte das Vieh von Anfang an eine ziemlich missgebildete, verlauste Ratte. Schiefe, hervorstehende Zähne, schlaffe Ohren und ausdruckslose Knopfaugen – so ein Kuscheltier wünschte man wirklich keinem Kind. Als Sven das Vieh zum ersten Mal mit in die Redaktion brachte, sagte er, die Maus stehe für Erfindungsreichtum und Dynamik, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich das spontan ausgedacht und das Vieh aus irgendeiner Mülltonne gefischt hatte.

Bei den wöchentlichen Teammeetings mussten wir die Tische im Konferenzraum aus dem Weg räumen, was eine Weile dauerte, weil sie sehr klobig und schwer waren. Dann bildeten wir einen Stuhlkreis und mussten uns erzählen, was wir gerade bei der Arbeit machten und wie wir uns fühlten, was wir in der Regel eh schon wussten, weil wir uns gut kannten und unsere Redaktion überschaubar war. Aber Sven fand, ein dynamischer Betrieb brauche so etwas. Und damit wir ihm nicht zu dynamisch wurden und jeder der Reihe nach artig drankam, hatte er die Ratte mitgebracht. Nur wer die Ratte in der Hand hielt, durfte reden, alle anderen mussten zuhören. Das erleichtere den kommunikativen Prozess und stärke unsere Teamfähigkeit, hatte er bei seiner Antrittsrede gesagt, aber ich kam mir dabei vor wie in der Grundschule und auch die anderen fühlten sich reichlich albern. Manfred, der nicht gerne vor Publikum sprach, lief immer rot an wie eine reife Tomate, verlor sich in sinnlosen Satzanfängen und alle schauten dann peinlich berührt zur Seite, weil er uns leidtat, aber wir nichts machen konnten, weil Sven ihn zwang, so lange zu reden, wie er die Scheiß-Ratte in der Hand hatte.

Einmal habe ich versucht, ihm die entwürdigende Prozedur zu ersparen, und habe gesagt, wir würden gerade exakt das Gleiche machen und deswegen müsse er nix mehr sagen, aber Sven wollte trotzdem seine Sicht der Dinge hören, um deutlich zu machen, von wie vielen verschiedenen Blickwinkeln aus ein Projekt betrachtet werden kann. Also habe erst ich vom Mallorca-Preisausschreiben erzählt und dann Manfred. Ich glaube, sogar Sven hat gemerkt, dass das ein Musterbeispiel für genau die Zeitverschwendung war, die er sonst immer so gerne verteufelte. Aber wenigstens war der Konferenzraum voll klimatisiert.

Die Teammeetings waren in der gesamten Redaktion unbeliebt, weil sie in der Regel auch bedeuteten, dass Sven eine neue »geniale Idee« hatte, die er uns aufs Auge drücken wollte, wenn er die Ratte in seinen Skelettfingern hielt. Das hieß in der Regel einen erheblichen Mehraufwand an Arbeit, deren Sinn sich niemandem so richtig erschloss, und die nichts mit unserer Zeitschrift zu tun hatte, uns aber »neue, hippe Leser jenseits der 80 erschließen sollte«. Letzten Monat geschah das durch das »Justin-Bieber-Sonderheft«.

Sven trug ein pinkfarbenes Hemd, das zwei Nummern zu klein war und wahrscheinlich seine Muskeln betonen sollte. Obwohl die Jalousien ziemlich weit heruntergelassen worden waren, um die Sonne und damit die erbarmungslose Nachmittagswärme aus dem Konferenzraum zu verbannen, strahlten seine Zähne unnatürlich weiß. Das Wetter machte mir Kopfschmerzen und ich konnte mich noch weniger als sonst auf das Meeting konzentrieren, weil in diesem Moment das letzte Viertel des Spiels lief und meine Mannschaft unbedingt gewinnen musste. Es war ein Haufen Geld im Spiel, Geld, das ich streng genommen nicht besaß. Ich hörte nur mit halbem Ohr, wie die dicke Erika von ihrer Andy-Borg-Homestory berichtete und unser Adelsexperte Norbert von Beeren, dessen vermutlich einzige Qualifikation sein »von« vor dem Nachnamen war, wieder mal Prognosen über die baldige Abdankung der Queen zum Besten gab (»praktisch morgen so weit«), die sich seit zwanzig verlässlichen Jahren noch nie bewahrheitet hatten. Manfred stammelte etwas über einen aufstrebenden jungen Popstar, den keiner kannte. Dann war Sven an der Reihe.

Wenn Manfred ihm die Ratte übergab und er ihn mit einem kurzen, falschen Lächeln streifte, veränderte sich immer die Stimmung im Raum. Schließlich war er der Einzige, dessen Aussage irgendwie Gewicht hatte. Sven gab sich kaum Mühe, zu verbergen, dass er die Macht über eine Gruppe von Menschen überaus genoss. Meistens ergoss er sich in einer Reihe von Plattitüden, bevor er die Katze aus dem Sack ließ. »Super-Perfomance letzte Woche, da können wir (aus: Management für Dummies, Kapitel 4: »Sprich mit deinen Untergebenen stets in Wir-Botschaften, damit sie nicht bemerken, dass sie deine Sklaven sind«) aber auf jeden Fall noch eine Schippe drauflegen usw.« Während er redete, versuchte ich unauffällig auf die Uhr zu linsen. 13 Uhr 53. Noch sieben Minuten bis zum Ende des Spiels. Sieben Minuten, was konnte da schon schiefgehen? Meine Mannschaft war zwei Tore im Vorsprung, so einen Vorsprung konnte man nicht mehr aufholen, nicht in sieben Minuten …

»… beginnend mit Stefan Sahner.«

Der