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Irrlicht
– Box 2 –

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Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-904-7

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Wenn Tote plötzlich wieder sprechen

Mary Richmond mag das Unfaßbare nicht glauben…

Roman von Chrissie Black

»Na?« fragte Mary in einem Tonfall, als sei sie an Lloyds Antwort nicht sonderlich interessiert. Dabei gab es im Moment nichts, was sie mehr interessiert hätte. Schließlich standen ihr Ruhm und ihre Ehre auf dem Spiel.

Lloyd legte Messer und Gabel ordentlich aus der Hand, tupfte sich den Mund ab, legte dann auch die Serviette beiseite, schob den Teller ein Stück von sich weg und lehnte sich seufzend zurück. Über sein Gesicht glitt ein behagliches Lächeln, als er Mary ansah. »Okay, Liebling, ich gebe mich geschlagen. Du hast gewonnen, mit Glanz und Gloria. Nie im Leben hätte ich das für möglich gehalten.« Er nahm den letzten Schluck Rosé aus seinem Glas, ließ ihn auf der Zunge »zergehen« und bewegte langsam, immer noch ungläubig, den Kopf hin und her. Dabei ließ er seinen Blick unverwandt auf Mary haften.

Mary verkniff es sich gerade noch, wie ein Honigkuchenpferd zu strahlen. Äußerlich blieb sie völlig gelassen. Nur ihre strahlenden Augen zeigten, wie sehr sie sich freute.

Dazu hatte sie aber auch allen Grund. Erstens hatte sie eine Wette gewonnen. Und zweitens hatte sie mit ihrer »Heide Entenbrust a la Mary Richmond« glatt den Drei-Sterne-Koch der »Royal Lodge« in Mayfair ausgestochen. Wenn Lloyd das sagte, dann stimmte es auch. Dann war es nicht nur ein billiges Kompliment.

»Keine Kritik? Auch nicht die kleinste?« erkundigte sie sich.

»Nicht die kleinste, Liebling. Du bist ein echtes Phänomen. Ein Genie. Heide-Entenbrust auf Perigord-Trüffelsauce mit Spargeln, Pfifferlingen und Mais-Crepes. Diese Creation ist geradezu sensationell. Mit deinen Kochkünsten ließe sich bald das beste Restaurant in ganz Europa aufziehen. Sag, Liebling, wollen wir uns nicht verloben? Mir ist in diesem Moment klar geworden, daß ich dich liebe wie keinen anderen Menschen sonst.« Er stand auf, setzte sich neben Mary und nahm ihre Hand.

Mary war verwirrt. Ihr Herz klopfte hoch oben im Hals. »Aber… aber Lloyd. Das ist doch sicher ein Scherz von dir. Die... Begeisterung über das Essen reißt dich mit…«

»Und ob mich die mitreißt, Liebling. Aber ich scherze nicht. Ich meine es so ernst, wie ich vorher noch niemals etwas ernstgemeint habe. Ich liebe dich und ich möchte dich heiraten. Am liebsten auf der Stelle. Aber weil alles seine Ordnung haben muß und die Kirche eine Verlobungszeit vorschreibt, verloben wir uns eben zuerst. Sag bitte ja. Du würdest mich zum glücklichsten Lebewesen des Universums machen.«

Mary atmete schwer. Sie sah Lloyd direkt in die Augen. Das wischte die kleinen Zweifel weg, die sie hatte, weil sie sich doch erst drei Wochen kannten. Es war nicht wichtig, wie lange man jemanden kannte, nein. Wichtig war, daß man füreinander geschaffen war. Lloyd und sie waren füreinander geschaffen! Sie wußte es plötzlich, denn sie sah die Liebe in seinen Augen. Die Liebe, die er für sie empfand. Ihr war klar, daß auch sie ihn liebte. »Ja, Lloyd, ja, ja«, flüsterte sie. »Ich will dich so wie du mich willst. Ich liebe dich, ich liebe dich...« Sie umfing seinen Hals und küßte Lloyd zart auf den Mund.

Behutsam gab er den Kuß zurück. »Mein Gott, was für ein toller Moment«, sagte er dann leise. »Ich könnte singen, schreien, brüllen, die ganze Welt umarmen. Du bist mein Augenstern, die Freude meines Lebens. Niemals zuvor habe ich so empfunden wie jetzt. Ich weiß gar nicht, wie ich es ausdrücken soll.«

»Pst, sag jetzt nichts, Liebling. Laß uns einfach nur so dasitzen...« Mary schmiegte sich ganz eng an Lloyd.

Ihre Gedanken wanderten zurück in die nahe Vergangenheit. Auf einer Gesellschaftsparty vor drei Wochen hatte sie Lloyd Bridges zum ersten Mal persönlich kennengelernt. Sie arbeitete als Klatschreporterin für eine große Londoner Zeitung und hatte in dieser Eigenschaft schon unzählige dieser Veranstaltungen besucht. Sie besaß »ein Näschen für Prominente«, wie ihr Chef das immer respektvoll ausdrückte. Sie kannte viele persönlich und zählte ein paar sogar zu ihren Freunden. Das machte ihre nette Art und ihr Bemühen, möglichst fair zu berichten. Natürlich ging das nicht immer, und so hatte sie naturgemäß auch Feinde in diesen Kreisen. Aber das störte sie kaum.

Lloyd Bridges gehörte im Moment zum innersten Kern der britischen Prominenz. Trotz seines jugendlichen Alters von knapp dreißig Jahren war er einer der besten Rechtsanwälte der Insel. Viele behaupten sogar, der beste überhaupt. In ein paar aufsehenerregenden Prozessen war es ihm gelungen, den Unschuldsnachweis für seine Mandanten in bestechender Art und Weise, mit einer messerscharfen Logik, zu führen. Und für diese Leute hatte es wirklich schlecht ausgesehen. Dabei stand Lloyd Bridges in dem Ruf, sich nur solcher Mandanten anzunehmen, von deren Unschuld er überzeugt war.

Außerdem galt Lloyd Bridges als Feinschmecker erster Güte. Er war auf diesem Gebiet so gut, daß er sogar Kritiken für den renommiertesten britischen Speise-Atlas schreiben durfte. Dabei scheute er sich auch nicht, die ganz großen Restaurants zu kritisieren, wenn es angebracht war. Er wurde aber nie unfair bei der Sache. Falsches Lob oder gar Bestechung kannte er nicht.

Kurz, Lloyd Bridges war ein äußerst bekannter Mann. Trotzdem hatte er nicht allzuviel für die Öffentlichkeit übrig. Er erschien nur äußerst selten auf Parties und Empfängen und führte ein ganz und gar zurückgezogenes Leben. In einem Landhaus in Kent, das er sich von seinen Honoraren geleistet hatte. Ihn als Klient zu konsultieren, war alles andere als eine billige Angelegenheit.

Und diesen Lloyd Bridges hatte Mary dann doch noch auf einer Party erwischt. Auf einer der seltenen, die er besuchte. Sie war mit ihm ins Gespräch gekommen, und er hatte sogar Interesse an ihr als Frau gezeigt. Das war nicht selbstverständlich, denn der Anwalt war noch niemals mit einem weiblichen Wesen gesehen worden, Klientinnen ausgenommen. Man sprach ihm jegliches Interesse an Frauen ab. Aber Mary wußte nun, daß das absoluter Unsinn war. Vorurteile. Darauf angesprochen, hatte Lloyd Mary lächelnd geantwortet: »Ich habe eben noch nicht die Richtige gefunden, das ist es. Außerdem hatte ich sehr wohl die eine oder andere Damenbekanntschaft, aber ich bin eben schlauer als die Herren Reporter und Journalisten. Ich habe ihnen noch immer ein Schnippchen geschlagen.«

»Und jetzt wollen Sie mit einer Journalistin ausgehen, Mister Bridges? Halten Sie das nicht für leichtsinnig?« hatte Mary gefragt.

Er hatte gelächelt und gemeint: »Irgendwann trifft auch der Vorsichtigste den Menschen, der ihn leichtsinnig werden läßt. Bei ihnen wage ich einfach mal den Versuch.«

Mary hatte sich gerne von Lloyd Bridges einladen lassen. Nicht nur aus beruflichem Interesse. Lloyd faszinierte sie geradezu. Sie wußte die Prominenten zu nehmen und hatte nicht mehr Respekt und Achtung vor ihnen als vor anderen Menschen. Prominente kochten auch nur mit Wasser. Daran änderte sich auch nicht viel, wenn sich einer rar machte und sich mit dem Hauch des Geheimnisvollen umgab. Das also war es keinesfalls, was Mary so sehr faszinierte. Es war sein überaus gutes Aussehen im Verbund mit seinem Charme und seinem Erfolg. Er war ein ausgesprochenes Glückskind der Natur.

Aus dieser Faszination war bald schon Liebe geworden. Von beiden Seiten.

Lloyd hatte ihr gestanden, daß er noch niemals zuvor eine so anziehende Frau getroffen hatte und daß es bei ihm Liebe auf den ersten Blick gewesen sei.

Sie hatten sich fast jeden Abend gesehen in den vergangenen zwei Wochen. Gelegentlich waren sie essen gegangen, natürlich nur in die besten Restaurants. Von mariniertem Lachs, Seeteufel, Rehrücken und Hummer auf Lauchgemüse verstand sie nicht viel, außer daß es gut schmeckte. Von der Entenzubereitung allerdings verstand sie etwas. Das hatte sie von ihrer Tante gelernt, bei der sie aufgewachsen war. Und als sie in der »Royal Lodge« in Mayfair Entenbrust gegessen hatten, – Lloyd empfahl diese heiß – hatte Mary selbstbewußt gemeint: »Ganz gut, wirklich. Aber das kann ich besser. Meine ›Heide-Entenbrust a la Mary Richmond‹ ist unerreicht.«

Lloyd lächelte daraufhin ungläubig und erwiderte: »Das glaube ich einfach nicht. So sehr ich deine Künste in jeder Beziehung schätze, es gibt auf der ganzen Welt keine bessere Entenbrust als in der ›Royal Lodge‹. Aber wenn du so sicher bist, darfst du es gern beweisen. Ich wette mit dir um deine Ehre, daß du es nicht schaffst.«

Und nun saßen sie da, und sie hatte es doch geschafft.

*

Ihre Gedanken wurden durch das plötzliche Schrillen des Telefons jäh unterbrochen. Einmal, zweimal, dreimal…

»Telefon«, sagte Lloyd und grinste.

Mary machte langsame Anstalten, sich zu erheben. Ansonsten hielt sie das Telefon für ein nützliches Instrument zur schnellen Übermittlung von Neuigkeiten und für zwischenmenschliche Kommunikation. Im Moment sah sie es aber zum ersten Mal als einen lästigen Störenfried.

»Ach, laß es doch klingeln«, meinte Lloyd nun. Seine Hand lag auf Marys Oberschenkel.

Fast hätte sie es getan. Aber dann obsiegte doch ihre Neugier. Es konnte ja etwas wichtiges sein. Sie stand kurzentschlossen auf, ging hinüber zur Telefonkonsole und hob ab. »Nullvierachtdoppelsechsfünf«, meldete sie sich mit ihrer Nummer, wie das auf der Insel so üblich ist.

»Ein leises, gräßliches Stöhnen war zu hören. Es hörte sich an, als würde der Teilnehmer am anderen Ende furchtbare Schmerzen erdulden müssen. »M… Mary… Mary«, kam es dann langgezogen und flüsternd aus dem Hörer. Die Stimme war heiser und klang, als sei sie weit, weit entfernt.

Im ersten Moment lief es Mary eiskalt über den Rücken. Dann schoß ihr der Gedanke eines obszönen Anrufs durch den Sinn. Sie hatte zwar noch nie einen erhalten, aber sie hatte des öfteren verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, was sie tun würde, sollte einmal einer kommen. Sie war der Ansicht, daß Spott immer noch das beste Mittel war, um einen derartigen Anrufer ein für allemal zu verschrecken. Besser auf jeden Fall, als einfach wortlos einzuhängen oder sich aufzuregen. Und so sagte sie: »Na, Kleiner, geht’s uns so schlecht heute abend? Nimm doch eine kalte Dusche, das beruhigt ungemein…«

»Nein... nicht... aufhängen, Mary… Mary… hör zu. Ich bin es… dein Vater. Hörst du, Mary... dein Vater…«

Mary war einen Augenblick verunsichert. Dann hatte sie sich wieder gefangen. Zorn stieg in ihr hoch. »Dumme Scherze kann ich selber machen, dazu brauche ich Sie nicht, Mister Unbekannt. Lassen Sie das in Zukunft, es beeindruckt mich nicht.« Sie hängte auf.

Lloyd runzelte die Stirn. »Was war denn das?«

Mary setzte sich in einen Sessel. »Da wollte mich einer ärgern. Er hat gesagt, er sei mein Vater. So eine Gemeinheit.«

»Hm. Bekommst du solche Anrufe öfters? Ich kann mir vorstellen, daß du in deinem Job nicht nur Freunde hast.«

»Sicher habe ich Neider und Feinde. Böse, gemeine Anrufe bekomme ich öfters. Aber das war der erste dieser Art. Da versucht einer, mich gezielt zu treffen.«

»Dein Vater ist tot, nicht wahr? Ich glaube, du hast da mal irgend etwas erwähnt.«

»So, habe ich das? Das wundert mich aber. Ja, er ist tot. Schon lange. Ich habe ihn nie richtig kennengelernt. Er ist in Canada gestorben.«

»Was ist daran so verwunderlich, daß du ihn erwähntest? Darf ich daraus schließen, daß du ihn ansonsten am liebsten totschweigst?«

»So ist es, Lloyd. Aber frag nicht weiter. Ich möchte nicht über diesen Mann sprechen, der zufälligerweise mein Vater war.«

»Okay, Liebling, schon gut. Er stand auf und setzte sich neben Mary auf die Sessellehne. Sein Arm legte sich um ihre Schultern. »Aber es ist doch irgendwie seltsam. Ich nehme an, du hast auch nächsten Leuten gegenüber deinen Vater nie erwähnt?«

»Auch Amanda gegenüber nicht. Aber… aber ich bin mir gar nicht mehr so sicher. Immerhin habe ich ihn auch dir gegenüber erwähnt, obwohl ich alle Eide geschworen hätte, daß dem nicht so ist.«

»Hmhm. Auf jeden Fall scheint der Anrufer etwas über dein Verhältnis zu deinem Vater zu wissen. Das kann jemand aus deinem früheren Bekanntenkreis aus Tenby sein. Vielleicht aber auch jemand, der nicht dazu gehört.

Dann muß er wohl einige Mühe aufgewandt haben, um das herauszubekommen. Daß er sich diese Mühe macht und daß er sich überhaupt für dieses Verhältnis interessiert, gibt mir zu denken. Ich halte die zweite Möglichkeit nämlich für wahrscheinlicher. Da wendet einer mehr Energie auf als normal, um dir etwas heimzuzahlen. Das macht den Mann gefährlich.«

»Meinst du?«

»Ja. Wir sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen.«

»Ich weiß nicht, Lloyd... vielleicht siehst du das zu verbissen. Dein geschulter Anwaltsverstand sieht Dinge, die es gar nicht gibt.«

»Ach. Meinst du, dann wäre ich so erfolgreich geworden? Er sieht ganz im Gegenteil Dinge, dieser geschulte Anwaltsverstand, die andere nicht sehen. Das macht ihn so erfolgreich.«

»Ich wollte dich nicht beleidigen, Liebling. Du weißt schon, wie ich es meine. Immerhin, der Mann hat mich sofort an der Stimme erkannt. Er hätte ja auch Amanda erwischen können. Ich muß also schon mit ihm gesprochen haben.«

Lloyd lächelte überlegen. »Muß nicht sein. Vielleicht weiß der Kerl auch nur, daß Amanda weg und du zu Hause bist.«

»Dann müßte er aber auch wissen, daß du bei mir bist. Und dann hätte er wohl kaum angerufen. Logisch?«

Lloyds Lächeln wich einem bewundernden Ausdruck. »Eins zu null für dich, Liebling. Du kannst logisch denken. Doch wenn wir es mit einem Verrückten zu tun haben, dann fällt die normale Logik unter den Tisch. Na gut, das ist im Moment fruchtlos. Verbleiben wir mit diesem eins zu eins. Ich würde aber doch sagen, daß du so schnell wie möglich zu mir ziehst, Liebling. Das würde mich wesentlich beruhigen.«

»Ach, ich glaube, du machst dir da wirklich zu viele Sorgen, Lloyd. Ich finde es zwar toll, daß du deine Ordnungsprinzipien meinetwegen aufgeben willst, aber das sollst du nun wirklich nicht. Das Zusammenleben vor der Hochzeit müßte dir doch einiges Magendrücken bereiten. Das ist nicht nötig.«

»Hm, nun gut, du hast recht, Liebling. Es wäre mir zwar wirklich nicht recht, aber du wärst mir wichtiger als die gesellsehaftlichen und moralischen Regeln. Für dich würde ich sie jederzeit brechen. Aber ich kann dich nicht dazu zwingen. Belassen wir es also so im Moment.«

Aha, dachte Mary leicht amüsiert, er flunkert. Lloyd besaß eine große Überredungsfähigkeit. Und wenn er wirklich gewollt hätte, daß sie schon jetzt zu ihm zog, dann hätte er sie ohne große Mühe überredet. Aber seine Konventionen sehienen ihm wirklich über alles zu gehen. Sie nahm es ihm nicht übel. So war er eben. Seine Korrektheit und seine Ordnungsliebe gehörten zu ihm. Sie wußte es nur zu genau, es war ein Teil des Ganzen, das sie liebte. Und die Situation war ja nun wirklich nicht so ernst.

Dachte sie…

Zwei Stunden, nachdem Lloyd unter innigen Küssen gegangen war, kam Amanda zurück. Sie stürzte ziemlich hastig zur Tür herein. warf ihre Handtasche mit elegantem Schwung durch das Wohnzimmer direkt auf die Couch und ließ sich mit leuchtenden Augen in einen Sessel fallen. »Hallo, Mary-Schatz. Du kannst dir sicherlich vorstellen, daß ich vor Neugierde fast platze. Na, nun sag schon, wie ist es gegangen? Hat er deine Entenbrust in Grund und Boden gestampft? Hoffentlich nicht, sonst werde ich ihm mal ordentlich die Meinung geigen, diesem eingebildeten Kerl. Nein, sag nichts, laß mich raten. Leise Musik dein frohes, ja schon fast glückliches Gesicht... Das sieht mir ganz nach einem Triumphzug aus. Es war ein durchschlagender Erfolg, habe ich recht?«

»Ist ja gut, liebste Freundin«, unterbrach sie Mary lachend. »Gott, was kannst du reden, wenn du aufgeregt bist Ohne Punkt und Komma. Um deinen seelischen Höllenqualen ein Ende zu bereiten: ja, es war ein Triumphzug. Ein überwältigender Erfolg. Halt dich jetzt ganz fest, hörst du? Lloyd und ich, wir… wir…«

Sie zögerte plötzlich, es wollte nicht so recht über ihre Lippen.

»Ja? Nun mach’s doch nicht so spannend. Habt ihr, ich äh nun… ich meine…«

»Nicht, was du denkst, Amanda! Es ist alles viel schöner, erhabener, wie ein riesiger Traum in allen zarten Farben.«

»Er hat dir einen pinkfarbenen Sportwagen versprochen«, hauchte Amanda andächtig.

»Kindskopf. Hat er nicht. Wir… wir haben uns verlobt.«

Amandas Gesichtszüge schienen in Stein zu erstarren. Sie fixierte Mary ungläubig. Kein Wort kam über ihre Lippen.

»Jetzt hat es dir die Sprache verschlagen, nicht wahr, Amanda? Ich kann es selbst kaum fassen. Aber warum schaust du denn so komisch drein?«

Amanda schluckte zweimal schwer. »Verlobt?« flüsterte sie kaum hörbar. Noch immer war keine Bewegung in ihren Gesichtszügen. Sogar die Lippen gingen kaum nach.

»Ja. Aber was hast du denn so plötzlich? Ist dir nicht gut? Soll ich dir einen Whisky holen? Amanda-Liebling…«

Nun erst wieder kam Leben in Amandas Mimik. Amanda lächelte, aber es fiel irgendwie sehr krampfhaft aus. »Nein, keinen Whisky. Ich… ich meine, ist das wahr? Lloyd hat sich mit dir verlobt? Aber Lloyd doch nicht. Er ist doch…« Sie brach abrupt ab.

»Ja? Was wolltest du sagen, Amanda?«

»Ach nichts«, gab sie zurück, allmählich die Fassung wiedergewinnend.

»Ich weiß schon, ich kenne die Vorurteile ja auch, die man Lloyd entgegenbringt. Aber das ist schließlich kein Grund, so zu erschrecken. Und ich dachte, du freust dich mit mir. Komisch, so habe ich dich noch nie erlebt, Amanda. Was ist nur plötzlich mit dir los?«

»Du wirst zu ihm ziehen...,« sagte Amanda nachdenklich und sprach mehr mit sich selber. »Bald bist du dann weg…«

»So schnell geht es nun auch wieder nicht. Du kennst doch Lloyd und seine Konventionen.«

»Oh, ja. Lloyd und seine Konventionen. Aber irgendwann wird er dich heiraten. Und dann gehst du zu ihm. Du verläßt mich. Wir sind doch so gute Freundinnen und kommen glänzend miteinander aus. Leben wir nicht wie im Paradies hier? Du darfst es nicht zulassen, daß sich dieser... Mann zwischen uns drängt. Ich möchte deine Freundschaft nicht verlieren, Mary. Bitte.«

Mary setzte sich neben Amanda. »Gott, was redest du denn da, Kindchen? Wir bleiben die besten Freundinnen, egal, was auch geschieht. Du bleibst immer meine Freundin, auch wenn wir nicht mehr zusammen hausen. Lloyd, er… er drängt sich doch nicht zwischen uns. Das bildest du dir ein. Ich liebe ihn und bin glücklich. Aber dein Verhalten im Moment bedrückt mich doch etwas.«

»Das wollte ich keinesfalls, nein. Entschuldige bitte vielmals. Es kam nur so über mich, und ich meine es auch gar nicht so. Natürlich freue ich mich mit dir.« Sie lächelte und schien wieder ganz die alte zu sein.

Aber Mary konnte sie nicht täuschen. Mary sah nur zu deutlich, daß Amandas Augen nicht das sprachen, was ihr Mund sagte. Und Mary wunderte sich. Sie kannte Amanda nur als fröhlichen Menschen, der das Leben nur oberflächlich nahm und ihm nur gute Seiten abgewann. Schlechte Laune kannte Amanda nicht. Selbst Unglücke nahm sie als »C'est la vie«. Eigentlich war Amanda ein bunter Schmetterling, der von Blume zu Blume gaukelte, nicht wissend, was Sorge und Leid war.

Und nun ganz plötzlich diese Reaktion!

Amanda stand auf und ging ins Bad, um sich umzuziehen. Und Marys Gedanken bewegten sich wieder in die Vergangenheit. Es war anscheinend ein guter Tag dazu. Ich kenne Amanda jetzt ein halbes Jahr, dachte sie. Kann man in einem halben Jahr einen Menschen wirklich kennenlernen? Auch wenn man mit ihm zusammenwohnt und seine beste Freundin ist?

Sie hatten sich bei einem Fest kennengelernt, das die Zeitung intern veranstaltete. Amanda war in ihrer unbekümmerten Art einfach auf Mary zugekommen und hatte sie angesprochen. »Freut mich ganz riesig, daß ich Sie endlich einmal persönlich zu Gesicht bekomme, verehrte Miss Richmond. Da darf ich Ihnen gleich sagen, daß Sie doch in Zukunft bitte etwas mehr auf Tippfehler achten sollten. Ich bin nämlich diejenige, die Ihre Manuskripte meistens bearbeitet, sobald sie in der Setzerei landen. Und die Korrekturen halten mich immer unnötig auf.«

Mary hatte sich sehr amüsiert, und Amanda war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen. Im Lauf des Abends bereits waren die beiden so etwas wie Freundinnen geworden, denn sie verstanden sich glänzend. Es stimmte menschlich, es war ein »Gleichklang der Seelen« da, wie Lloyd das ausgedrückt hätte.

Mary hatte dann irgendwann erwähnt, daß die Mieterin, mit der sie ihre Wohnung gemeinsam hatte, demnächst auszog. Daraufhin erwiderte Amanda dann sofort, daß sie doch tatsächlich gerade am Wohnungssuchen sei. Ihre jetzige Behausung liege einfach zu weit vom Arbeitsplatz weg. »Da könnte ich doch eigentlich dann bei dir einziehen, wenn du auch nichts dagegen hast.«

Mary hatte nicht. Und die Vermieter auch nicht. So zog Amanda einen Tag nachdem die andere ausgezogen war, bei Mary ein.

Im Laufe des folgenden halben Jahres war ihre Freundschaft noch gewachsen. Jede wußte fast alles von der anderen.

Ja, fast alles, dachte Mary. Ich habe ihr zum Beispiel nie etwas von meinen Eltern erzählt. Von was hat sie mir noch nichts erzählt? Außerdem, es war doch wohl absurd von mir, zu glauben, Amanda sei immer nur ein Schmetterling. Menschliches Gefühlsleben ist immer vielschichtig. Und mögen die anderen Schichten noch so gut verborgen sein, irgendwann kommen sie eben doch zum Vorschein.

Marys Gedanken wurden unterbrochen. Amanda kam wieder aus dem Badezimmer. Sie trug jetzt ihren Pyjama und sah hinreißend darin aus. Sie war überhaupt ein hübsches Mädchen. Ihre weißblonden, leicht gewellten Haare fielen bis weit auf den Rücken hinunter. Sie rahmten ein ebenmäßiges Gesicht mit einem sinnlichen Mund und hellgrünen Augen. Und nur die Tatsache, daß Amanda relativ klein gewachsen war und ganz, ganz leichte Gewichtsprobleme hatte, verhinderte eine Karriere als Fotomodell.

»Wie war denn dein Abend so?« wollte Mary wissen. »Ich habe bis jetzt noch überhaupt nicht danach gefragt Mit wem warst du denn aus?«

»Ach, mit einem von meinen alten Freunden. Du kennst ihn nicht. Ich habe ihn kurzfristig ganz einfach angerufen, ob er Lust hätte, mal wieder mit mir auszugehen. Er wollte. Aber es war nicht sehr interessant. Er ist und bleibt der alte Langweiler.« Amanda hatte sich angeboten, den Abend außer Haus zu verbringen, wenn Lloyd zu Mary kam um nicht zu stören. Allerdings hatte sie immer noch nicht gewußt mit wem, als sie aus der Haustür getreten war.

Hm, ging es Mary durch den Sinn, wieder einer ihrer alten Freunde. So einmal die Woche ging Amanda mit »einem alten Freund von früher«, weg, ohne je Namen zu nennen.

»Namen sind doch nur Schall und Rauch«, pflegte Amanda immer zu sagen. »Ob nun Harry, Fred oder Joe, sie langweilen mich im Grunde alle. Nette Burschen, aber eben nur namenlose Steine auf meinem Weg. Wirklich nicht wert, daß ich ihnen einen Namen gebe.«

So konnte Amanda reden.

Und wenn Mary sie fragte, warum sie dann mit ihnen ausgehe, meinte Amanda: »Man findet doch auch gelegentlich Steine schön. Man kann sich eine kurze Weile an ihnen erfreuen, an ihrer Form ihrer Farbe und ihren kleinen Eigenheiten. Aber dann wird es langweilig und man wirft den Stein wieder weg. Man betrachtet oft gerne Steine, die man bereits kennt und schon lange nicht mehr angeschaut hat, nur um zu sehen, ob Wind und Wetter sie verändert haben. Ein kleines bißchen ist das immer der Fall, aber im Grunde ist der Stein gleich geblieben.«

Mary konnte diesen Ansichten nur wenig abgewinnen, aber die Menschen sind eben verschieden. Und so gut sich Mary und Amanda auch verstanden, ihre Meinungen gingen doch mitunter beträchtlich auseinander. Das war ganz sicher mit der Grund, warum ihr Zusammenleben so harmonisch blieb.

Irgendwann kam das Gespräch auch auf den seltsamen Telefonanruf, den Mary erhalten hatte.

»Da macht sich jemand, den du geärgert hast, einen dummen Spaß. Kein Grund, sich aufzuregen. Genauso hätte ich den auch abblitzen lassen«, ging Amanda leicht darüber hinweg. »Diese Verrückten sterben doch nie aus. Das ist nicht schlimm.«

Aber es war schlimm.

Sehr schlimm sogar.

*

Am nächsten Vormittag wurde Mary in das Allerheiligste ihres direkten Vorgesetzten gebeten.

Mister Bernhard MacInally, Chefredakteur, war ein hochgewachsener, hagerer Mann mit feuerroten Haaren, die sich am Stirnansatz langsam zu verabschieden begannen. Nicht ungewöhnlich für einen Mann in den Spätvierzigern. Ebenfalls nicht ungewöhnlich waren die verkniffenen Gesichtszüge, die dem ohnehin schon kantigen Antlitz etwas geradezu tierisch Hartes verliehen. Denn MacInally schuftete Tag und Nacht. Er kannte nichts anders als seine Arbeit und das Magengeschwür, das sie ihm eingebracht hatte. Und Magengeschwüre machen keine fröhlichen Gesichter. Schon gar nicht bei

MacInally, der trotz dieser Belastung einfach nicht kürzer treten wollte. So hatte ihn noch nie jemand lächeln sehen. Es hieß ernsthaft, er könnte es auch nicht, wenn er es versuchte.

Mary hatte diese Ansicht nie richtig geteilt. Trotzdem wurde die junge Dame in ihren Grundfesten erschüttert. Grundgütiger Himmel, schoß es ihr durch den Sinn, er lächelt. Er lächelt tatsächlich. Was um alles in der Welt hat das zu bedeuten? Ob er mir etwa einen Heiratsantrag machen will?

»Guten Tag, Miss Richmond. Treten Sie näher und nehmen Sie Platz.« Er machte eine einladende Geste mit der Hand und behielt sein Lächeln bei. Es war zwar nur ein gequältes Lächeln, aber immerhin ein Lächeln.

Mary fühlte sich allmählich unbehaglich. MacInally hatte sie begrüßt, noch ehe sie ein Wort gesagt hatte! Er, der sonst Wert darauf legte, zuerst gegrüßt zu werden, um dann meistens nicht zurückzugrüßen. Und da war noch etwas. Wann hatte man je vernommen, daß

MacInally seine laute, rauhe, unangenehme Stimme gedämpft hätte? Eben hatte er es getan…

Er will mir doch einen Heiratsantrag machen, ganz sicher. Mary wurde unsicher und nervös. Entnervt ließ sie sich in den Sessel sinken.

Mister MacInally legte die Fingerspitzen aneinander. »Meine liebe Miss Richmond...« Er legte eine Pause ein und fixierte sie.

Ogottogott, jetzt kommt’s! Mary war der Verzweiflung nahe. MacInally hatte sie lieb genannt! Und noch immer lächelte er! Sie kam sich plötzlich vor wie das Kaninchen vor der Schlange.

»Äh ja…«, erwiderte sie etwas mehr mechanisch als gewollt.

»Also, meine liebe Miss Richmond«, fuhr er fort, »weswegen ich Sie hierhergebeten habe, ist folgendes: Wie wir alle wissen und mit Freuden registrieren, ist Ihre Klatschkolumne von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr erfolgreicher geworden. Im Moment könnte man den Erfolg als geradezu phänomenal bezeichnen. Ihre Kolumne ist hauptverantwortlich dafür, daß die Auflage um fünf Prozent gestiegen ist. Man muß sich das mal vor Augen führen. Herzliche Gratulation, ich bin stolz auf Sie, Miss Richmond.«

Er nickte mit einer Miene, in der dieser Stolz tatsächlich zu sehen war.

»Nicht zuletzt dank meiner väterlichen Hilfe haben Sie das geschafft. Und das macht mich froh und glücklich.«

Hmhm, dachte Mary, froh und glücklich. Er mußte sich in mich verliebt haben, weil ich das Geschäft so belebe. Himmel, hilf!

Der Himmel half ihr. Entgegen aller Annahmen und Befürchtungen war Mister MacInally nicht in sie verliebt. Aber was kam, war nur bedingt besser.

»Ihr Erfolg, meine liebe Miss Richmond, hat die Vorstandsetage auf die Idee gebracht, weiterhin auf dieser Welle zu schwimmen. Und zwar mit einem noch viel besseren Schiff.«

»Ich… ich verstehe nicht…«

»Ganz einfach. Oben ist man der Ansicht, daß man das viele unveröffentlichte Material, das Sie noch besitzen, weil es aus Platzgründen einfach nicht unterzubringen war, nun äh... daß also dieses Material unter die Leute gebracht werden sollte. Und zwar in Form eines Buches, das Sie schreiben sollen.«

Mary war für einen Moment platt. »Ich? Ein… ein Buch?« stotterte sie.

»Ja, warum nicht? Wir bieten Ihnen an, ein Buch zu schreiben. Vor allem sollte es über den Adel sein. Sie haben doch noch so viele ungewöhnliche Sachen in petto, Miss Richmond. Die, kombiniert mit bereits veröffentlichten Fakten, das wird der absolute Renner. Das Ding wird weggehen wie warme Semmeln. Die obere Etage ist sich sicher und ich auch. Wir wollen gleich mit 100 000 Auflage starten.«

Mary nickte vor sich hin. »Ja, das wäre in der Tat eine reizvolle Aufgabe. Eine Herausforderung. Ich könnte das Buch neben der Kolumne schreiben und noch mit einigen Leuten sprechen. Wenn ich fleißig bin, könnte ich es in… sagen wir knapp einem Jahr schaffen.«

»Was Sie nicht sagen, Miss Richmond! Leider sieht die Sache so aus, daß das Buch bereits ganz erheblich viel früher auf dem Ladentisch liegen soll. Das heißt, Sie müssen es in fünf Wochen schreiben. Sie werden ab sofort von ihrer normalen Arbeit freigestellt. Die Kolumne übernimmt eine Urlaubsvertretung. Offiziell werden Sie in Urlaub sein. Wir lassen Ihnen völlig freie Hand, Sie dürfen schalten und walten wie Sie wollen.«

Mary lachte laut auf. »Entschuldigen Sie bitte, Mister MacInally, aber das ist der beste Witz seit Jahren. Nein, das geht nicht. Einfach unmöglich.«

»Sie bekommen 10 000 Pfund Vorschuß, 10 000 Pfund bei Erscheinen und pro verkauftem Exemplar drei Pennies, wenn’s klappt.«

Mary schluckte zweimal. »Wann, sagten Sie, muß ich fertig sein?«

Sie besprachen Einzelheiten.

Eine halbe Stunde später – sie saß längst wieder an ihrem Schreibtisch und entfaltete hektische Tätigkeiten – klingelte das Telefon. Mary hob ab, keinen Gedanken an ihren »Vater« verschwendend.

Genau der aber war es. »Mary... Kind…« röchelte der Mann mit dieser schauderhaften Stimme ins Telefon. »Bleib dran… Mary… ich brauche… brauche dringend deine Hilfe... der Kontakt zu dir... so schwierig...« Es rauschte im Hörer. »Mary… hilf mir… bin hier drüben... Zwischenreich... kann nicht eingehen zu den Toten... arme… arme Seele…«

Mary saß wie erstarrt. Sie war nicht in der Lage, den Telefonhörer einfach aufzulegen. Zu sehr hatte sie der Anruf überrascht. Und so hörte sie alles. Es lief ihr dabei eiskalt über den Rücken. Die Geräuschkulisse am anderen Ende der Leitung war einfach zu schrecklich. Erst als ein gurgelnder Schrei ertönte, ließ sie den Hörer entsetzt fallen.

Mary atmete schwer. Ihr Puls ging wie wild. Sie spürte ihr Herz hoch oben im Hals schlagen. Einen Moment lang fragte sie sich, wo das andere Ende der Leitung gewesen war. Fast gewaltsam mußte sie sich wieder in die Wirklichkeit zurückreißen. Es gab keine Geister und kein Zwischenreich! Das war nur ein dummer Scherz, auch wenn es sich so erschreckend ~ echt angehört hatte. Es war kein Scherz! Es war tödlicher Ernst…«

*

Den Abend verbrachte Mary mit Lloyd zuerst in einem kleinen gemütlichen Restaurant in Kensington. Es entsprach zwar nicht Lloyds Luxusvorstellungen in Sachen gute Küche, aber Mary wollte unbedingt hierher. Sie kannte das Restaurant schon länger als Lloyd und besuchte es gern und oft.

Lloyd war einverstanden. »Um dir eine Freude zu machen und um zu sehen, wo du dich immer so herumtreibst«, erklärte er mit einem verschmitzten Lächeln.

Sie aßen italienisch und sprachen hauptsächlich über das »Wahnsinnsunternehmen Buch«, wie Mary sich ausdrückte.

Lloyd war zuerst nicht begeistert. »Dann werde ich dich wohl in den nächsten fünf Wochen kaum noch zu Gesicht bekommen«, sagte er betrübt. »Aber gut, es sind ja nur fünf Wochen. Das ist zwar kaum auszuhalten für mich, aber ich werde es überleben. Immerhin ist das eine große Herausforderung und eine noch größere Chance für dich. Da möchte ich dir keinesfalls im Wege stehen, auch wenn ich es gerne täte.«

Er schob den noch halbvollen Teller Lasagne von sich, tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und meinte: »Nimm es mir nicht übel, Liebling, aber das Zeug schmeckt so schauderhaft, daß ich es nicht einmal meinen Schweinen zum Fraß vorwerfen würde. Und der Wein ist die reinste Brühe. Von Gastronomie hat man in diesem Haus nicht viel Ahnung, um nicht zu sagen gar keine. Immerhin ist es tatsächlich gemütlich hier und durch deine Anwesenheit kann mir nichts den Abend verderben, Liebling.«

Umgekehrt war es nicht ganz so. Mary war etwas verstimmt. Zumal Lloyd dem Kellner auf seine Frage, wie es geschmeckt habe, mit der Gegenfrage antwortete, ob der Koch etwa seinen toten Hund verarbeitet habe. Lloyd war so, das wußte Mary genau. Aber er hätte sich, so fand sie, durchaus etwas zusammennehmen können. Denn indirekt beleidigte er damit ihren Geschmack und ihre Lebensart. Nun, sie beschloß, es nicht weiter tragisch zu nehmen, aber unbewußt schwelte es eben doch noch eine Weile in ihr fort.

So wollte sie auch mit Lloyd nicht mehr allzulange in der Cocktailbar bleiben, die sie danach noch aufsuchten. Hier kamen sie auch wieder auf den Anrufer zu sprechen. Lloyd wollte wissen, ob der sich nochmal gemeldet habe, und Mary erzählte es ihm.

Lloyd schüttelte den Kopf. Die Sorge in seinem Gesicht war nicht zu übersehen. »Ich weiß ja, daß du nicht gerne über deinen Vater sprichst, Liebling. Aber vielleicht solltest du mir doch etwas über ihn erzählen. Ich habe ein wirklich ungutes Gefühl. Mir behagt die ganze Sache nicht. Und mein Gefühl hat mich noch nie getrogen. Warum benutzt jemand ausgerechnet deinen Vater, um dich zu erschrecken? Derjenige muß sich wirklich viel Mühe gegeben haben, die Verhältnisse zu ergründen. Das tut niemand, der nur einen geschmacklosen Scherz machen will.«

»Ich freue mich, daß du dich so um mich sorgst, Lloyd. Aber diesmal siehst du wirklich zu schwarz, auch wenn dich dein Gefühl noch nie getroffen hat, wie du sagst. Einmal ist immer das erste Mal. Ich möchte nicht über meinen Vater reden. Hab’ bitte Verständnis dafür. Wenn es dir nichts ausmacht, dann möchte ich jetzt gehen. Ich bin müde und muß morgen früh aufstehen. Das Buch, du weißt…«

Lloyd nickte mit leicht verkniffenem Mund. »Okay, wie du meinst, Liebling. Aber wenn du wieder diesen Anruf erhältst, dann laß es mich bitte sofort wissen. Ach ja, und dann frag ihn doch mal, wie die Hilfe aussehen soll, die er von dir will. Bin mal gespannt, was er dann sagt, dein ›Daddy‹.«

»Du scheinst dir ja ganz sicher zu sein, daß weitere Anrufe kommen, Lloyd.«

»Ich bin mir sicher, Liebling. Jemand, der solche Mühe für Recherchen aufwendet, begnügt sich nicht damit, zweimal anzurufen, ohne sich vom Erfolg überzeugen zu können, und dann den Lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Dieser Anrufer ist alles andere als harmlos. Ich mache mir Sorgen um dich, Liebling, ehrlich. Aber gut, warten wir vorerst einmal ab.«

Auf der Heimfahrt griff Lloyd das Thema nicht mehr auf, und Mary war ihm dankbar dafür. Sie verstand nicht, warum Lloyd das Ganze so dramatisch sah. Sicher, diese Anrufe waren alles andere als schön und der Anrufer war zweifellos lästig. Aber gefährlich, das war er sicher nicht. Sonst hätte er ja auch zu anderen Methoden greifen können. Sie wollte auch mit Lloyd nicht über ihren Vater reden. Noch war sie einfach nicht dazu bereit.

Als Mary die Wohnung betrat – sie hatte Lloyd kühler als sonst verabschiedet – kam ihr schon Amanda entgegen.

Sie war nur leicht bekleidet und hatte ein Whiskyglas in der Hand, zwei Fingerbreit gefüllt. »Hallo Mary, Schätzchen«, flötete sie lächelnd, und es war nicht zu übersehen und vor allem nicht zu überriechen, daß das Glas in ihrer Hand nicht das erste war. »Na, wie war dein Abend? Ich hoffe, so schön wie meiner. Einen guten Tropfen und den neuesten Roman von Rebecca Shardlow. Was kann es schöneres geben?« Sie küßte Mary links und rechts auf die Wangen.

Mary kniff ganz leicht die Augen zusammen. »Amanda-Liebling, du hast ja getrunken. Und auch noch Whisky. Du magst das Zeug doch sonst nicht. Du magst eigentlich überhaupt keinen Alkohol. Was ist nur los mit dir?«

»Nichts. Was soll mit mir los sein? Mich hat’s einfach nur überfallen, Mary-Schatz, und da habe ich meinen Gelüsten nachgegeben. Na, magst du auch einen? Ich hole ihn dir...« Sie nahm einen großen Schluck. Ihre Augen waren trübe und leicht rot unterlaufen.

»Nein, Amanda. Komm, setzen wir uns. Sag mir, was du hast. Irgendein Kummer ist es wohl, du trinkst doch nicht einfach so.«

Sie setzten sich. Auf dem Tisch lag der Roman, den Amanda gerade las. Rebecca Shardlow war Amandas Lieblingsschriftstellerin. Amanda verschlang die monatlich erscheinenden Liebesromane von ihr geradezu. Sie konnte es immer kaum erwarten, bis wieder ein neuer erschien.

»Die Story ist mal wieder ganz toll«, sagte Amanda und nahm das Taschenbuch fast andächtig vom Tisch. »Die Shardlow versteht es einfach, Menschen zu begeistern. So kann eben nur eine Frau schreiben. Richtig schön sanft, voller Gefühl und Herzenswärme. Ich bin gespannt, ob der Lord die arme Waise bekommt oder nicht.«

»Bis jetzt hat er sie noch jedes Mal bekommen, Amanda. Aber du lenkst vom Thema ab. Willst du nicht darüber reden?«

Amanda sagte nichts. Sie nahm erneut einen Schluck Whisky.

Mary nahm ihrer Freundin das Glas aus der Hand und stellte es auf den Tisch. »Laß es, Amanda. Glaub mir, Alkohol löst die Probleme nicht, er verschleiert sie nur.«

Amanda lachte glockenhell und völlig unmotiviert. Sie legte das Buch auf den Tisch zurück, verschlang die Hände hinter dem Kopf und warf diesen nach hinten. Nur langsam beruhigte sie sich wieder. Ihr Lachen ging in ein Japsen über. »Entschuldige, Mary, sagte sie jetzt und sah nun so unendlich traurig aus, als sei sie das Elend persönlich. »Es überkam mich einfach so.«

Mary nickte. Sie kannte Amanda inzwischen. Amanda tat immer das, zu was sie gerade Lust hatte. Sie gab jedem Drang nach, der »sie überkam«, wie sie das immer bezeichnete. So etwas wie Selbstdisziplin kannte sie nicht. Sie hatte sieben innere Schweinehunde und konnte nicht einen überwinden.

»Na, willst du mir sagen, was los ist, Amanda? Wir können doch über alles reden. Es ist wichtig, daß man über die Dinge redet. Man sieht sie danach nicht mehr so verbissen. Zusammen wird uns schon eine Lösung einfallen.«

Amanda schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich nichts, glaub mir, Mary. Nur ein leichter Anfall von Alkoholismus, das ist alles. Aber da fällt mir etwas anderes ein. Äh, da war vorhin ein Anruf für dich. Nein, nicht dein ›Vater‹«, kicherte sie, »sondern ein... ein... wie sagte er noch? Ach ja, ein Mister Rattratt aus Tenby. Er wollte dich sprechen und meinte, du sollst ihn zurückrufen, wenn du wiederkommst.«

»Mister Rattratt? Der Rechtsanwalt? Und ich soll zurückrufen?«

»Ja, sagte er. Egal, wie spät es ist. Es… muß wichtig sein. Ja, das sagte er auch noch. Es ist wichtig. Rechtsanwalt ist er, ja, das sagte er.«

»Was wollte er denn von mir?«

»Hat er mir nicht gesagt. Er ist irgendwie niedlich, dieser Mister Rattratt. Und was für einen Namen er hat! Komisch, nicht?« Wahrscheinlich walisisch, nehme ich an…«

Mary achtete nicht auf Amandas Geplapper. Sie hatte plötzlich ein ganz komisches Gcfühl. Mister Rattratt war der Rechtsanwalt ihrer Tante Claire. Wenn er um einen Rückruf mitten in der Nacht bat, dann konnte das nur eins bedeuten: es war irgend etwas passiert.

Mary wählte Mister Rattratts Nummer, die Amanda auf einen Zettel geschrieben hatte. Fast umgehend wurde am anderen Ende abgehoben.

»Hier Mary Richmond, Mister Rattratt. Ist etwas passiert?« In ihrer Sorge vergaß sie jede formelle Höflichkeit.

»Ah, Miss Richmond, guten Abend. Ich habe Ihren Anruf dringend erwartet, obwohl ich Ihnen eine traurige Mitteilung machen muß. Ihre Tante Claire, sie ist…« Seine Stimme war leiser geworden. Er endete in einem Räuspern.

Mary zitterte am ganzen Körper. Sie hatte plötzlich unbändige Angst. Trotzdem war ihre Stimme fest, wenn auch tonlos, als sie fragte: »Sie ist tot, nicht wahr?«

»Es tut mir wirklich sehr, sehr leid, Miss Richmond. Sie sollten vielleicht so schnell wie möglich nach Tenby kommen, wenn Ihnen das möglich ist«

»Aber natürlich, Mister Rattratt. Sagen Sie mir bitte, wie ist es passiert? Tante Claire war doch immer kerngesund.«

»Eine ganz schreckliche Geschichte, Miss Richmond. Ihre Tante ist hm... ermordet worden. Von Mister Lazenby. Danach hat sich Lazenby selbst umgebracht.«

Mary atmete schwer. »Aber das ist doch nicht möglich! Das muß ein Irrtum sein. Ich kann es nicht glauben.«

»Ich auch nicht. Aber leider ist es so. Kommen Sie morgen her. Dann erfahren Sie alles Nähere. Eine Bitte habe ich noch an Sie, Miss Richmond. Fahren Sie nicht jetzt noch in der Nacht. Das könnte böse enden. Einverstanden?«