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Johann Wolfgang Goethe

HERBST

Herausgegeben von Mathias Mayer

Insel Verlag

Inhalt

Der Herbst des jungen Goethe

Weimarer Herbst

Literarische Herbstszenen

Der Naturforscher

Herbst in der Schweiz und in Italien

Ein Herbst im Feld

Jagdszenen

Herbst im Rheingau

Die Zeit des Weines

Herbst als Schreibzeit

Herbst in den Bädern Böhmens

Der Herbst des Alters

Siglenverzeichnis

Nachwort

Der Herbst des jungen Goethe

 

Oden an meinen Freund 1767

Erste Ode

Verpflanze den schönen Baum,

Gärtner! er jammert mich.

Glücklicheres Erdreich

Verdiente der Stamm.

 

Noch hat seiner Natur Kraft

Der Erde aussaugendem Geize,

Der Luft verderbender Fäulnis,

Ein Gegengift widerstanden.

 

Sieh wie er im Frühling

Lichtgrüne Blätter schlägt

Ihr Orangenduft

Ist dem Geschmeiße Gift.

 

Der Raupen tückischer Zahn

Wird stumpf an ihnen,

Es blinkt ihr Silberglanz

Im Sonnenscheine.

 

Von seinen Zweigen

Wünscht das Mädchen

Im Brautkranze,

Früchte hoffen Jünglinge.

 

Aber sieh der Herbst kömmt,

Da geht die Raupe,

Klagt der listigen Spinne

Des Baums Unverwelklichkeit.

 

Schwebend zieht sich,

Von ihrer Taxuswohnung,

Die Prachtfeindin, herüber

Zum wohltätigen Baum.

 

Und kann nicht schaden.

Aber die vielkünstliche

Überzieht, mit grauem Ekel

Die Silberblätter.

 

Sieht triumphierend,

Wie das Mädgen schaurend,

Der Jüngling jammernd,

Vorübergeht.

 

Verpflanze den schönen Baum,

Gärtner, er jammert mich.

Baum, danke dem Gärtner

Der dich verpflanzt!

 

FA I.1, S. 75f.

Der Abschied

Laß mein Aug' den Abschied sagen,

Den mein Mund nicht nehmen kann!

Schwer, wie schwer ist er zu tragen!

Und ich bin doch sonst ein Mann.

 

Traurig wird in dieser Stunde

Selbst der Liebe süßtes Pfand,

Kalt der Kuß von deinem Munde,

Matt der Druck von deiner Hand.

 

Sonst, ein leicht gestohlnes Mäulchen,

O wie hat es mich entzückt!

So erfreuet uns ein Veilchen,

Das man früh im März gepflückt.

 

Doch ich pflücke nun kein Kränzchen,

Keine Rose mehr für dich.

Frühling ist es, liebes Fränzchen,

Aber leider Herbst für mich!

 

FA I.1, S. 281

Aus »Faust. Der Tragödie Erster Teil«, Nacht

Faust: Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor;

Und wenn's euch Ernst ist was zu sagen,

Ist's nötig Worten nachzujagen?

Ja, eure Reden, die so blinkend sind,

In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der Nebelwind,

Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

 

FA I.7.1, S. 39

Ein grauer trüber Morgen

Bedeckt mein Liebes Feld,

Im Nebel tief verborgen,

Liegt um mich her die Welt

O Liebliche Fridricke

Dürft ich nach Dir zurück

In einem Deiner Blicke

Liegt Sonnenschein und Glück

 

Der Baum in dessen Rinde

Mein Nam bei Deinem Steht,

Wird bleich vom rauhen Winde

Der jede Lust verweht

Der Wiesen grüner Schimmer

Wird trüb wie mein gesicht

Sie Sehen die Sonne nimmer

Und ich Fridricken nicht,

 

Bald geh ich in die Reben

Und herbste trauben ein

Umher ist alles Leben

Es strudelt neuer Wein,

Doch in der öden Laube

Ach, denk ich wär Sie hier,

Ich brächt ihr diese traube,

Und Sie – was gäb Sie mir

 

FA I.1, S. 134

Herbstgefühl

Fetter grüne, du Laub,

Am Rebengeländer

Hier mein Fenster herauf!

Gedrängter quellet,

Zwillingsbeeren, und reifet

Schneller und glänzend voller!

Euch brütet der Mutter Sonne

Scheideblick; euch umsäuselt

Des holden Himmels

Fruchtende Fülle;

Euch kühlet des Mondes

Freundlicher Zauberhauch,

Und euch betauen, ach!

Aus diesen Augen

Der ewig belebenden Liebe

Vollschwellende Tränen.

 

FA I.2, S. 55

Frankfurt, 8. Oktober 1775
An Auguste zu Stolberg

Sonntag den 8. Sept. 〈Oktober〉 Bisher eine grose Pause ich in wunderbaaren Kälten und Wärmen. Bald noch eine grössere Pause. Ich erwarte den Herzog v. Weimar der von Karlsruhe mit seiner herrlichen neuen Gemahlinn Louisen von Darmstadt kommt. Ich geh mit ihm nach Weimar. Deine Brüder kommen auch hin, und von da schreib ich gewiss liebste Schwester. Mein Herz ist übel dran. Es ist auch Herbstwetter drinn, nicht warm nicht kalt.

 

FA II.1, S. 488

Weimarer Herbst

 

Weimar, 10. September 1776
An Charlotte von Stein

Geniessen Sie rein der lieben Herbst Zeit, es scheint als wollt Sie der Himmel mit lieben Tagen seegnen. Ade.

 

FA II.2, S. 62

Weimar, 2. ‌11. ‌1776
An den Geist des Johannes Sekundus

Lieber, heiliger, großer Küsser,

Der du mir's in lechzend atmender

Glückseligkeit fast vorgetan hast!

Wem soll ich's klagen? klagt ich dir's nicht!

Dir, dessen Lieder wie ein warmes Küssen

Heilender Kräuter mir unters Herz sich legten,

Daß es wieder aus dem krampfigen Starren

Erdetreibens klopfend sich erholte.

Ach wie klag ich dir's, daß meine Lippe blutet,

Mir gespalten ist, und erbärmlich schmerzet,

Meine Lippe, die so viel gewohnt ist

Von der Liebe süßtem Glück zu schwellen

Und, wie eine goldne Himmelspforte,

Lallende Seligkeit aus und einzustammeln.

Gesprungen ist sie! Nicht vom Biß der Holden,

Die, in voller ringsumfangender Liebe,

Mehr mögt haben von mir, und mögte mich Ganzen

Ganz erküssen, und fressen, und was sie könnte!

Nicht gesprungen weil nach ihrem Hauche

Meine Lippen unheilige Lüfte entweihten.

Ach gesprungen weil mich, Öden, Kalten,

Über beizenden Reif, der Herbstwind anpackt.

Und da ist Traubensaft, und der Saft der Bienen,

An meines Herdes treuem Feuer vereinigt,

Der soll mir helfen! Wahrlich er hilft nicht

Denn von der Liebe alles heilendem

Gift Balsam ist kein Tröpfgen drunter

 

FA I.1, S. 233

Weimar, 22. November 1776
An Johann Heinrich Merck

Dein Schicksaal drückt mich, da ich so rein glücklich bin, Ich wohne noch im Garten und balge mich mit der Jahreszeit herum und die Abwechslungen der Witterung und der Welthändel um mich, frischen mich immer wieder neu an, ich bin weder Geschäftsmann, noch Hofmann und komm in beyden fort.

 

FA II.2, S. 72

Tagebuch, 8. Oktober 1777

Mein Zahn der sich wieder meldt hindert mich am Tanzen, die Klufft zwischen mir und denen Menschen allen fiel mir so grass in die Augen, da kein Vehikulum da war. Ich musste fort, denn ich war ihnen auch sichtlich zur Last. Ins Herzogs Zimmer! konnts nicht dauern, sah den Mond über dem Schlosse und herauf. Hier nun zum leztenmal, auf der reinen ruhigen Höhe, im Rauschen des Herbst winds. Unten hatt ich heute ein Heimweh nach Weimar nach meinem Garten, das sich hier schon wieder verliert. – Gern kehr ich doch zurück in mein enges Nest, nun bald in Sturm gewickelt, in Schnee verweht. Und wills Gott in Ruhe vor den Menschen mit denen ich doch nichts zu theilen habe. Hier hab ich weit weniger gelitten als ich gedacht habe, bin aber in viel Entfremdung bestimmt, wo ich doch noch Band glaubte. ♃ wird mir immer näher und näher u Regen und rauher wind rückt die Schaafe zusammen. – – Regieren!!

 

FA II.2, S. 106

Weimar, 16. November 1777
An seine Mutter

Sagen kann ich über die seltsame Nachricht Ihres Briefs gar nichts. Mein Herz und Sinn ist zeither so gewohnt dass das Schicksaal Ball mit ihm spielt dass es für's neue es sey Glück oder Unglück fast gar kein Gefühl mehr hat. Mir ists als wenn in der Herbstzeit ein Baum gepflanzt würde, Gott gebe seinen Seegen dazu, dass wir dereinst drunter sizzen Schatten und Früchte haben mögen. Mit meiner Schwester ist mir so eine starcke Wurzel die mich an der Erde hielt abgehauen worden, dass die Äste, von oben, die davon Nahrung hatten auch absterben müssen. Will sich in der lieben Falmer wieder eine neue Wurzel, theilnehmung und befestigung erzeugen, so will ich auch von meiner Seite mit euch den Göttern dancken. Ich bin zu gewohnt von dem um mich iezzo zu sagen: das ist meine Mutter und meine Geschwister pppppp. Was euch betrifft so seegnet Gott, denn ihr werdet auf's neue erbaut in der Nähe und der Riss ausgebessert.

 

FA II.2, S. 109

Jena, 29. August 1806
An Charlotte von Schiller

Ihr Brief, meine liebe verehrte Freundin, hat mich in meiner Jenaischen Einsamkeit sehr angenehm überrascht. Ich habe freilich keine so schönen Berge und Wälder zunächst um mich, wie die Ihrigen sind; doch wissen Sie wohl, wenn man einige hundert Schritte geht, so ist man in ganz anmutigen Gegenden. In Carlsbad ist es mir und meiner Gesellschaft ganz gut gegangen und ich finde mich auch gegenwärtig sehr viel besser als vor der Kur. Wir wollen dieses gute Herbstwetter noch zu genießen suchen, um mit desto mehr Sicherheit dem Winter entgegen zu gehen. Da ich mich deshalb so viel als möglich in der freien Luft aufzuhalten gedenke, so wird, wenn das Glück gut ist, Mittwoch den 1. Oktober unsre erste Zusammenkunft sein. Bis dahin sind Sie ja wohl wieder in Weimar. Ich wünsche uns allen gute Gesundheit, damit wir ununterbrochen unsre Reise fortsetzen können, die ich diesmal mit Ihnen über Berg und Tal, Erd' und Meer zu machen gedenke. Da wir uns so lange in dem Beweglichen aufgehalten haben, so ist es wohl billig, daß wir auch einmal uns zum Stehenden und Festen wenden. Die Gegenstände sind interessant genug und es läßt sich manches erfreuliche und unterrichtende anknüpfen.

 

FA II.6, S. 120

Weimar, 4. April 1807
An Carl Ludwig von Knebel

Deine Bemerkung ist ganz richtig, daß wir für das Alter ein wenig zu weit auseinandergesät sind. Die Jugend mag sich wohl auseinander begeben, denn sie ist beweglich genug, um wieder zusammenzukommen. Auch sind die Zeiten so wie Herbst- und Wintertage, wo man gern näher zusammenrücken mag. In Humboldts Reisen haben mir deswegen jene Affen gefallen, die, sobald sie in eine kühlere Temperatur kommen, sich gleich in großen Schaaren enge zusammendrängen. Dabey sucht denn jeder in die Mitte zu kommen, um so warm zu sitzen als möglich; welches zu gar possirlichen Unterhandlungen Anlaß geben mag.

 

WA IV.19, S. 302

Jena, 12. September 1809
An Christiane Goethe

Mein Geschäft hier geht ganz gut und wird auch hoffentlich so zu Ende gelangen, ob ich gleich gestehe, daß das einbrechende Regenwetter und der wilde Herbst mir auf den Winter Grauen erregt. Du hast dir indeß gewiß schon allerley ausgedacht, wie wir jene unfreundliche Jahrszeit zusammen zubringen wollen.

 

WA IV.21, S. 62

An ***
Zum 30. Oktober 1815

Die Blumen, so dies reiche Füllhorn beut,

Du fragst, was sie dir heute sollen?

Hast du sie nicht mir auf den Weg gestreut?

Nun hab' ich dankbar sie dir sammlen wollen.

 

WA I.5,1, S. 68

Aus dem Maskenzug
»Die Romatische Poesie«

Herbst

Den Fleiß belohnend aber tritt Pomone

Mit reicher Gaben Fülle zu uns an.

Mit Freuden sehen wir den Kranz, die Krone,

Und viel genießt, wer heuer viel getan.

Der Vater schafft, er freut sich mit dem Sohne,

Aufs neue Jahr geht schon der neue Plan;

Im Kreis der Gäste waltet frohes Leben:

Der Edle hat, und will auch andern geben.

 

FA I.6, S. 815

Jena, September 1820
Goethe im Gespräch, aufgezeichnet von F. Förster

Nun will ich hier noch einer dritten Begegnung mit Goethe erwähnen. Auf einem ersten Ausfluge mit meiner jungen Frau (geb. Laura Gedike) nach Thüringen, im Herbst 1832 [1820], erfuhr ich in Jena, daß Goethe für den Monat September eine Gartenwohnung in dem botanischen Garten der Universität bezogen habe. Ich versäumte nicht, mich und meine Laura bei ihm anzumelden, und wir wurden in herzlichster Weise willkommen geheißen. – Goethe bot [am 27. September] meiner Frau seinen Arm zu einem Spaziergang durch den Garten, und obschon sie kurz vorher geäußert: sie würde mehr Mut haben, dem Kaiser Napoleon oder Alexander sich vorstellen zu lassen, als Goethe, gewann sie doch bei dessen entgegenkommender Freundlichkeit vollkommene Unbefangenheit und richtete die von ihrem Lehrer Zelter an den Freund ihr aufgetragenen Grüße bestens aus. »Ich möchte«, sagte Goethe auf diesem Spaziergange, »der jungen Freundin gern ein Sträußchen verehren, aber leider ist, wie Sie sehen, schon alles verblüht.« – »Dort unten«, rief Laura, Goethe mit sich fortziehend, »seh' ich ja noch eine wunderschöne Blume in herrlichster Blüte!« Goethe folgte, er ging festen Schrittes darauf zu. »So kann man denn doch«, rief er, »seinem ärgsten Feinde nicht entgehen: das ist die Tabakspflanze, die eine gar schöne Blüte treibt, deren Blätter aber, wo sie in Rauch aufgehen, das sicherste Mittel sind, mich zu vertreiben.« Dennoch entschloß er sich, diese Tabaksblüte zu brechen, auch fanden sich noch einige Astern und Immergrün, so daß er meiner Frau ein ganz hübsches Sträußchen geben konnte, wie er dabei sagte: »mit Vorbehalt, es im Frühling durch ein besseres zu ersetzen.«

 

GG III.1, S. 215f.

Jena, 6. September 1821
An den Herzog Carl August

[…] mein Befinden ist von der Art, daß ich wohl hoffen kann, die Unbilden eines bevorstehenden Winters zu überwinden. Möge Herbstcur und Reisebewegung Höchstdieselben in jedem Sinne gestärkt und erquickt haben.

 

WA IV.33, S. 201f.

Jena, 22. Oktober 1821
An Carl Friedrich Moritz Graf von Brühl

Sie halten mir, mein Bester, gewiß diese Nicht-Abschweifung zu Gute, der ich in eindringenden Herbstnächten in dem einsamsten Gartenhause, gerade im gegenwärtigen Augenblick mich auswärtiger Freunde erinnernd, die abgeschiedensten Stunden verlebe.

 

WA IV.35, S. 350

Weimar, 8. Oktober 1830
An J. ‌J. und Marianne von Willemer

Möge die Witterung, in jenen freien Gegenden, Ihre Sommer- und Herbsttage besser begünstigt haben als uns im hügelreichen Thüringen. Nur sparsam konnte man irgend einer Gartenanmut genießen, nur selten eine Landpartie wagen; doch muß ich gestehen: mir ist in meinem Hause viel Erfreuliches geworden, vielfache Sendungen von alten und neuern Kunstwerken, da ich denn auch noch des anmutigen Frauenpaars zu gedenken habe, welches mir zum 28. August gar liebenswürdig erschien.

 

FA II.11, S. 317