Der verwunschene Gott

Der verwunschene Gott

Von Göttern und Hexen

Laura Labas

Für alle Träumer,

Märchenerzähler,

Geschichtensammler

und Fantasiearchitekten

Inhalt

Der Wolf

Prolog

Die Spindel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Der Zauber

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Der Schacht

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Die Zwerge

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Die Hexe

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Die Stiefmutter

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Danksagung

Über die Autorin

Bücher von Laura Labas

Der Wolf dachte für sich

das kleine Ding da werde bestimmt ein 

wohlschmeckender Bissen sein

Er müsse es nur geschickt anfangen,

dann könne er sie in seinen Schlund führen

Mit Haut und Haar.

Prolog

Morgan rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her, während ihre Mutter den Korb packte, den sie Großmama bringen sollte. Sie wirkte schwach auf den Beinen, hustete gelegentlich und presste sich immer wieder ihren Handrücken gegen die Stirn. Vor ein paar Tagen war es ihr noch gut gegangen, dann hatte sich aus einem Schnupfen eine dicke Erkältung und aus einer Erkältung schließlich eine Grippe entwickelt. Allmählich fühlte sie sich besser, doch für den Weg bis zu ihrer eigenen Mutter brachte sie noch immer nicht die nötige Kraft auf, weshalb sie ihre älteste Tochter schickte

»Ich vertraue dir, Morgan.« Sie schniefte und reichte ihr den geflochtenen Korb, der mit weichem Brot, dem auf dem gesamten Kontinent geschätzten Vinuthwein und tiefroten Äpfeln gefüllt war. »Verlasse nicht den Pfad und laufe zügig.« 

»Ja, Mutter«, versprach Morgan, die als Älteste von drei Kindern nicht gerne bevormundet wurde. Tagtäglich verrichtete sie Arbeiten der Erwachsenen, achtete auf ihre kleinen Geschwister und trug große Verantwortung. Sie kümmerte sich stets um deren Wohlergehen und eiferte ihrer Mutter in allem nach. Aber in Momenten wie diesem fühlte sie sich unzureichend. Wieso sah niemand, wie verantwortungsbewusst sie sein konnte, ohne dass man ihr die Regeln jeden Tag vortragen musste

Sie nahm den Korb an, während ihre Mutter den neuen beerenroten Umhang zurechtzupfte, den Großmama ihr zum Namenstag genäht hatte

Eilig entzog sie sich ihren fürsorglichen Händen und trat nach draußen in die warme Sonne der blühenden Jahreszeit. Im Türrahmen stehend winkte Mutter ihr zu, bis sich Morgan abwandte. Vom Waldrand rannten ihr schnatternd und mit gespreizten Flügeln drei fette Gänse entgegen, die ihr Vater am vorherigen Tag günstig erstanden hatte. Noch ließen sie sich mit einem lauten Geräusch verscheuchen, aber Morgan wusste, dass die Tiere mit der Zeit mutiger und lästiger werden würden. Hoffentlich schlachtete ihr Vater sie vorher, damit sie sich nicht erneut mit Blessuren herumschlagen musste. Erst letztes Jahr hatte ihr eine andere Gans fast den Daumen abgebissen.

Schließlich öffnete sie die einfache Gartentür, die aus dem ersten Versuch ihres Bruders, Artem, etwas zu zimmern, entstanden war. Ihr Vater war vor Stolz ganz rot angelaufen und hatte ihnen zur Feier des Tages erlaubt, Zucker für einen Brombeerkuchen zu benutzen

Als Morgan ein paar Wochen später einen Kranz aus bunten Blumen geflochten hatte, hatte er sie mit einem milden Lächeln angesehen und ihre Wange getätschelt. Manchmal hasste sie es, ein Mädchen zu sein

Entschlossen, ihre Aufgabe zu erfüllen, ließ sie die Tür ins Schloss fallen. Sie ging schwungvoll an den schlanken Birken vorbei und betrat schließlich den riesigen Nadelwald, der sie von der kleinen Holzhütte ihrer Großmama trennte

Großmama lebte, seit Morgan denken konnte, abseits ihres Heimatdorfes Scaonia. Ihre Mutter hatte immer wieder betont, sie wäre gerne allein und würde ihre Tage damit verbringen, ihren bunten Garten zu pflegen. Morgan konnte sie zu gut verstehen, denn auch sie liebte Pflanzen aller Art und verbrachte Stunden damit, mit ihnen zu reden und sie zu bestaunen. Es war ihr kleines Geheimnis, denn ihre Geschwister würden sie sicherlich auslachen, sollten sie Morgan jemals dabei ertappen. Doch Großmama bestärkte sie darin, denn auch sie erkannte, wie prächtig die Blumen gediehen, wenn Morgan sich um sie kümmerte

Einmal in der Woche besuchten sie Großmama, um ihr von dem neuesten Tratsch im Dorf zu berichten und selbst gebackenes Brot vorbeizubringen, das sie so sehr liebte

Vor sich hin summend betrat Morgan den Pfad, der sich durch den Wald schlängelte. Sie war diesen Weg schon unzählige Male entlanggeschritten und nicht ein einziges Mal war etwas Unheimliches passiert. Deshalb konnte sie die Vorsicht ihrer Mutter nicht verstehen. Vertraute sie Morgans Fähigkeiten nicht? Befürchtete sie, Morgan würde sich verlaufen

Die Sonnenstrahlen erreichten zu dieser Jahreszeit sogar den Boden und spendeten genügend Licht, um die Schatten zu vertreiben

Sie fühlte sich sicher, war glücklich und erwartete nicht, dass an diesem gewöhnlichen Tag etwas Besonderes passieren würde

Ihr Leben war bisher vollkommen berechenbar gewesen, so wie es auch für die anderen Bewohner Scaonias war. Hier ging jeder seinem Tagewerk nach, um genügend Essen auf den Tisch zu schaffen und seine Familie zu versorgen. Kinder wie Morgan lernten in der Dorfschule Schreiben und Rechnen, um dann in die Fußstapfen ihrer Eltern treten zu können. Morgan würde heiraten, wenn sie alt genug wäre, und dann läge es an ihr, eine Familie zu gründen, Kinder aufzuziehen, zu altern und schließlich zu sterben. Sie würde zu einer Erinnerung in den Herzen ihrer Enkel verblassen, die irgendwann ihren Platz einnehmen und Scaonia eine weitere Generation Vespasians schenken würden … 

Der Gedanke betrübte sie so sehr, dass sie ihn entschlossen von sich schob, um sich stattdessen wieder auf den Wald zu konzentrieren, dessen angenehmer Duft in ihre Nase drang. Sie nahm einen tiefen Atemzug und fühlte sich sogleich besser

Der Weg zu Großmama war lang, aber nicht beschwerlich. An der Seite ihrer Mutter langweilte sie sich nie, da sie stets mitreißende Geschichten zu erzählen wusste

Doch jetzt war sie allein und begnügte sich eine Zeit lang damit, einen Fuß direkt vor den anderen zu setzen, ohne auch nur die kleinste Lücke zu lassen. Nach einer Weile wurde ihr das Spiel jedoch zu langweilig und ihr Blick streifte den platt gestampften Pfad und dann den Waldrand zu beiden Seiten, bis sie eine Spur wunderschöner, bunter Blumen entdeckte. Sie begann unweit neben Morgan und führte zwischen dem Gestrüpp und den rauen Wurzeln tiefer in den Wald hinein

Unsicher biss sie sich auf die Unterlippe, musterte den Pfad vor sich und dann wieder die leuchtenden Blumen, bevor sie einen Entschluss fasste. Großmama würde sich über einen farbenfrohen Strauß freuen und das Pflücken würde ihr eine Pause vom eintönigen Geradeausgehen geben. Und entgegen Mutters Befürchtung würde sie sich nicht verlaufen.

Lächelnd rannte sie auf die erste Blume zu, hielt dann jedoch inne und entschied, immer nur die siebte zu pflücken, da dies Glück bringen sollte. Zumindest glaubte sie, sich an etwas Derartiges zu erinnern

»Eine für Grainne, raue Spindel und weißes Haar, sie die Erste von ihnen war«, begann sie einen Kinderreim, der von den drei Schicksalsgöttinnen – den Moiren – handelte. »Die Zweite für Matha, in der rechten Hand die Welt und mit der linken sie die Fäden hält.« Immer tiefer ging sie in den Wald hinein, ohne zu bemerken, dass die Dunkelheit stetig zunahm und sie den Weg hinter sich schon bald aus den Augen verlieren würde. »Die Dritte für Clidna, jung und in voller Blüte, ist sie die Moire, die die Namen hüte. Das Schicksal verwoben in Fäden und Stoffen, damit uns am Ende bleibt allen das Hoffen.« Sie lachte auf, als sie eine besonders schöne violette Blüte zupfte und ihrem anwachsenden Strauß hinzufügte.

Ein erschütterndes Krachen ließ sie zusammenzucken und sie erwachte aus dem Traum, den die Blüten und der Reim um sie gewoben hatten

Sie hatte ihr Versprechen gebrochen

Verzweifelt blickte sie sich um, doch sie fand nichts, was ihr als Anhaltspunkt dienen könnte. Sie konnte nicht bestimmen, aus welcher Richtung sie gekommen war. Baumstämme schraubten sich dunkel und gefährlich in die Höhe, Blätter rauschten in einem Wind, den sie nicht spüren konnte, und eine fremdartige Kälte kitzelte ihren Nacken. Tränen brannten in ihren Augen, während sie sich hilflos umsah. Ein leises Lachen erklang.

»Wer ist da?«, flüsterte sie, da sie ihrer Stimme nicht vertraute. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Sie sollte loslaufen. Egal, wohin. Einfach nur fort. Fort. Fort.

Das Lachen wurde lauter, bevor es vom Donner wie von einem großen Erdgeist verschluckt wurde

Sie ließ den Strauß fallen

Ein fremder Mann schälte sich aus den Schatten des nahenden Unwetters. Er trug ein raubtierhaftes Lächeln zur Schau und offenbarte dadurch zwei Reihen gepflegter weißer Zähne, wie sie Morgan im Dorf noch nie bei jemandem seines Alters gesehen hatte. Also war er bestimmt nicht aus Scaonia. Er wirkte auch nicht wie einer der Händler, die ihr kleines Dorf hin und wieder besuchten.

»Wer bist du?«, wisperte sie und presste den geflochtenen Korb eng an ihre Brust

Der Wind brachte seine sorgfältig zurückgekämmten Haare nicht durcheinander, der gestutzte graue Bart wirkte genauso gepflegt, aber in seinen meerblauen Augen erkannte sie eine Unberechenbarkeit, die sie bisher nur in dem Gesicht eines wild gewordenen Nachbarhundes gesehen hatte

»Willst du das wirklich wissen, kleines Ding?« Seine Stimme war nicht so dunkel, wie sie erwartet hatte. Während er sprach, vertieften sich die Falten auf seiner Stirn

Seine Kleidung bestand aus dunklem, fast schon schwarzem Leder und sie konnte mehrere Dolche und ein paar gut gefüllte, handtellergroße Beutel an seinem Gürtel erkennen. Wenn sie nicht derart verängstigt gewesen wäre, hätten sie ihre Neugier entfacht.

Sie nickte. Was sollte sie sonst tun? Mutter hatte ihr immer gesagt, sie sollte sich vor Wölfen in Acht nehmen und nicht vor Durchreisenden. Er war kein Wolf. Also würde alles gut werden

»Du hättest wirklich nicht den Weg verlassen sollen, kleines Ding«, raunte er und trat näher. Sie blieb wie angewurzelt stehen

»Wer bist du?«, wiederholte sie. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust.

»Ich bin der große, böse Wolf.« 

Ein Blitz durchzuckte den Himmel und Donner folgte ihm auf dem Fuße. Das grelle Licht ließ das Gesicht des Mannes noch gespenstischer und furchteinflößender erscheinen. Es füllte die Tiefen seiner Falten aus und zeichnete die Gesichtsknochen so scharf nach, dass sie glaubte, den Schädel ohne die gespannte Haut zu sehen.

Sie nahm an, dass er sich einen Scherz mit ihr erlaubte und war erleichtert, als das Lächeln in sein Gesicht zurückkehrte. Wahrscheinlich kannte er die Warnungen von sich sorgenden Müttern und spielte lediglich mit ihrer Angst.

»Warum gehst du nicht weiter?« Er deutete mit einer Handbewegung nach rechts, wo vermutlich der verlassene Pfad lag. »Du besuchst deine Großmutter, nicht wahr?« 

Sie nickte unsicher. Woher wusste er davon? »Ähm, ja, vielen Dank, Sir.« Sie machte Anstalten, sich wegzudrehen.

»Warte, kleines Ding, wie ist dein Name?« 

Sie zögerte einen Moment. Er würde sie gehen lassen. Es gab nichts zu befürchten. »Morgan

Seine Mundwinkel zuckten, als er sich tatsächlich vor ihr verbeugte. »Ein wunderschöner Name für ein wunderschönes Mädchen in einem leuchtend roten Umhang. Sei vorsichtig, Morgan

Er verschwand zwischen den moosbewachsenen Bäumen, noch ehe sie sich nach rechts gewandt hatte

Eilig trat sie den Weg zurück an und erkannte voller Erleichterung, dass er ihr die richtige Richtung gewiesen hatte. Der Pfad kam in Sicht, als die ersten Regentropfen ihren Umhang befeuchteten

Sie zog die Kapuze hoch und schritt eilig vorwärts, da sie bereits genügend Zeit vertrödelt hatte. Hoffentlich würde Großmama Morgans Verspätung für sich behalten.

Großmamas Hütte war zwischen zwei riesigen Tannen errichtet worden und bestand aus dunklem Holz, das Morgan vor fast einem Jahr an einer Seite mit bunten Figuren hatte bemalen dürfen. Artem hatte ihr dabei geholfen und zusammen hatten sie ein ganzes Dorf voll bunter Menschen erschaffen, die während des vielen Regens in der sterbenden und kalten Jahreszeit nun wieder verschwunden waren. Nur noch ein paar wenige Farbreste waren geblieben und schimmerten feucht. Sie hoffte, dass Großmama auch während dieser heißen Jahreszeit neue Farbe für sie zubereitete. Am meisten Spaß, viel mehr noch als das Malen, bereitete ihr das Auswählen der Farbe. Danach begaben sie sich auf die Suche nach den Zutaten. Oftmals handelte es sich dabei um Blumen, Blüten oder Blätter und in ihren Augen gab es nichts Schöneres, als Zeit in der Natur zu verbringen. Das tiefste Grün des Mooses und das strahlende Gelb der Sonnenblumen verfehlten nie die Wirkung, ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern.

»Großmama«, rief sie durch den immer stärker werdenden Regen, obwohl diese ihre Enkelin wahrscheinlich nicht hören konnte. Sie war bereits auf einem Ohr taub. »Ich bin da

Nachdem sie den kleinen Pfad hinaufgeschritten und direkt vor der robusten Tür zum Stehen kam, erkannte sie, dass diese lediglich angelehnt war. Das Lächeln, das an ihren Mundwinkeln gezupft hatte, verschwand. Großmama war nicht fahrlässig. Die Jahre der Einsamkeit hatten sie zwar Mut gelehrt, sie aber auch vom Leichtsinn kuriert. Zumindest hatte sie Morgan dies stets eingeprägt

Vorsichtig legte sie die flache Hand an das glatt geschmirgelte Holz, bevor sie die Tür aufstieß. Das gewohnte Knarzen versuchte sie zu beruhigen, doch es gelang ihm nicht. Etwas Dunkles wurde über ihren Kopf gestülpt. Der Korb fiel zu Boden und jemand umfasste ihre Handgelenke, sodass ihre Gegenwehr im Keim erstickt wurde.

»Es wird Zeit für dich, zu einer Wölfin zu werden, kleine Morgan

Die Spindel, Spindel drehte sich.

Das Schiffchen, Schiffchen tanzte fein.

Als der Faden sich zerteilte

und die Nadel aus ihren Fingern sprang.

Kapitel 1

In dieser Nacht fand die Übergabe, wie so viele Nächte zuvor, auf der Greyston Brücke statt. Morgan kannte mittlerweile jeden Winkel, wusste, wie sich die Schatten zu jeder Tag- und Nachtzeit veränderten, und war den kürzesten Weg, um von hier zu verschwinden, schon unzählige Male abgegangen

Die Steinkonstruktion verband die Altstadt von Yastia mit dem neueren Teil, der schon an vielen Stellen bereits genauso heruntergekommen war. Trotzdem verfestigten sich die Namen und die Brücke entwickelte sich zur symbolischen Trennung zwischen dem alteingesessenen Adel und den Neureichen. Heutzutage war diese Unterscheidung längst nicht mehr so streng, obwohl dem Handwerkerviertel in der Neustadt niemals einen Platz hinter der Brücke gestattet werden würde. Die Heizöfen verpesteten in ihrem näheren Umkreis die Luft und dagegen würde die Aristokratie in ihren weißen Villen protestieren

Morgan verlagerte ihr Gewicht und betrachtete den aufkommenden Nebel, als wäre er ihr Feind. Auch hinter ihr zur Altstadt hin sammelte er sich und hüllte die Gaslaternen in eine erzwungene Umarmung.

Die Altstadt befand sich im Westen Yastias und schmiegte sich halbkreisförmig an den riesigen Herrscherpalast, der sich in einem gigantischen Ausmaß in den Himmel erhob, als würde er mit seinen Turmspitzen die Sterne aufspießen wollen. In der Neustadt wurden die Bauten bis auf das Viertel der Neureichen immer kleiner, gedrungener und dürftiger. Hier hausten größtenteils einfache Handwerker, Händler und Taugenichtse, die in der Altstadt nur in dem Elendsviertel nahe dem Hafen geduldet wurden. Gesindel, dem auch Morgan Vespasian angehörte, hatte hinter der Brücke nichts zu suchen

Ihre Leute und sie hatten es allerdings besser getroffen. Ihr Meister, der Alphawolf, besaß genug Einfluss, um ihnen ein Zuhause in der Altstadt zu bieten, wo es sauberer war und man weniger Gefahr lief, sich mit allerlei Krankheiten anzustecken.

Unter der Brücke trieb der Fluss, die Thoan, in sanften Wellen entlang. Er maß den niedrigsten Stand seit hundert Jahren, da sich die Hitze entschlossen an der Stadt festgebissen hatte.

»Da kommt jemand«, riss Thomas Morgan aus ihren Gedanken. Er stand in lässiger Pose neben ihr und kaute auf einem Zahnstocher herum. Seine dunkelgrüne Tunika war bereits an mehreren Stellen geflickt worden, da er zu geizig war, das gute Geld für etwas Belangloses wie Kleidung auszugeben. Er nutzte die tägliche Krone lieber für Straßenmädchen und Alkohol, in dem er sich nur zu gerne ertränkte

Morgan verabscheute Thomas und sie hasste es, dass sie diesen Auftrag mit ihm zu Ende bringen musste. Angefangen bei seinem wirren roten Haar über seine kalten blauen Augen bis zu seiner sommersprossigen Haut verachtete sie ihn. Morgan besaß zwar so viel Einsicht in ihre eigenen Gefühle, um zu wissen, dass ein Teil ihrer Abneigung ihrem Aufenthalt auf der Insel Adrela verschuldet war. Dort besaß ein Großteil des Volkes wie Thomas rote Haare und sie hatte keine guten Erinnerungen an sie. Trotzdem hinderte es sie nicht daran, Thomas weiter zu hassen.

»Das muss Robbart sein«, murmelte sie, als sich mehrere Gestalten aus den Schatten der lauwarmen Nacht schälten. Sie traten direkt aus der Hauptstraße der Neustadt heraus. Anders als im Zentrum gab es dort keine hochwertigen Geschäfte, die die Reichen wie Motten anzogen. Halb zerfallene Backsteingebäude beherbergten Bäckereien und Lebensmittelhändler für das niedrige Volk. Einzig und allein das Juwelierviertel, das direkt an die Thoan grenzte, lockte den Adel.

Robbarts Quartier lag jedoch in der Nähe der Viehhändler, wie Morgan wenige Tage zuvor herausgefunden hatte, nachdem sie ihm gefolgt war. Jede Einzelheit ihrer Transaktionen war von Bedeutung. Auch wenn bei einem erfolgreichen Abschluss nicht jedes Wissen verwendet wurde, so fühlte sich Morgan doch beruhigt, da sie nichts überraschen könnte. Zumindest hatte sie das geglaubt.

»Es war nicht abgemacht, dass er mehr als eine Begleitung mitnimmt«, klärte sie Thomas auf, den sie zuvor äußerst widerwillig in die Planung eingeweiht hatte. Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass sich ein Kunde traute, gegen eine klare Abmachung zu verstoßen.

Normalerweise konnte sie solch kleine Aufträge wie heute, in denen sie das gestohlene Gemälde gegen den vorher abgemachten Preis eintauschen musste, allein durchführen. Thomas hatte jedoch bei Larkin darauf bestanden, mitzukommen, und da er älter und erfahrener war, durfte er die Führung übernehmen

Allein bei dem Gedanken an seine Unverschämtheit knirschte sie mit den Zähnen.

Er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er es für eine Verschwendung von Kraft und Zeit hielt, ein Mädchen in ihren Reihen aufzuziehen, trotzdem hatte er bisher stets Respekt für ihre Arbeit gezeigt. Er hatte sich noch nie in einen ihrer Aufträge eingemischt. Bis zu diesem Tag.

Und nun hielt sich ihr Kunde noch nicht einmal an ihre einfache Anweisung.

Sie verteilte ihr Gewicht neu und ließ ihre Fingerspitzen federleicht über das lederne Heft ihres Dolches wandern. Angespannt beäugte sie die Dächer, auf denen sie jedoch nur ihre eigenen Leute ausmachen konnte, die sich hin und wieder aus den Schatten bewegten, um die Umgebung im Auge zu behalten. Sie hatte sie an diversen Stellen positioniert, damit sie notfalls einen Warnpfeil in Richtung Robbart abfeuern konnten, falls er sich nicht benahm

»Mach dir nicht gleich in die Hosen, kleines Ding«, grunzte Thomas vergnügt, als würden sie sich lediglich auf dem Markt befinden, um sich zu amüsieren, und als ginge es nicht um sechshundert Kronen

Thomas war einer der wenigen, der sie mit dem Spitznamen ansprach, den Larkin ihr gegeben hatte. Ein weiterer Grund, ihn zu hassen.

Konzentrier dich auf den Handel, Morgan!, wies sie sich innerlich zurecht und schloss die Musterung ihrer Umgebung ab

Anscheinend hatte Robbart nur einen zusätzlichen Begleiter mitgenommen, was ein kleiner Trost war. Trotzdem widersprach dies ihrer Vereinbarung. Sie nahm an, dass Robbart vor seinem ersten Geschäft mit den Wölfen von Angst übermannt worden war

»Guten Abend«, wünschte ihnen der dunkelhäutige Mann mit den leuchtend grünen Augen, als er rund vier Meter vor ihnen zum Stehen kam

Ihre Hintergrundinformationen über ihn waren trotz ihrer Recherche mangelhaft. Alles, was sie erfahren hatte, war, dass er aus Idrela stammte und seit einem Jahr in Yastia lebte. Er war Kunstsammler und verdiente sein Geld damit, dass er gestohlene Ware weiterverkaufte

Morgan und die Wölfe waren dazu da, diese Ware zu stehlen, obwohl sie sonst zumeist die Aufgabe des Verkaufens übernahmen. Die Wölfe waren jedoch vielseitig und so wurden sie von Larkin auch in anderen Bereichen eingesetzt. Die Hauptsache war, sie spülten Geld in die Kassen.

»Robbart.« Thomas nahm endlich seinen widerlichen Zahnstocher aus dem Mund, kratzte sich am Hinterkopf und trat dann einen Schritt näher, als würde er den Idrelen damit einschüchtern wollen. Die schwarze Farbe um seine Augen und auf seinem Nasenrücken wirkte blass in dem Mondlicht, als hätte er vergessen, sie vor dem Treffen neu aufzutragen. Fordernd streckte er eine Hand aus. »Das Geld?« 

»Sechshundert Kronen, wie abgemacht.« Er nickte seinem linken atheiranischen Begleitschutz zu, der einen halben Kopf kleiner war. Der Mann mit dem auffälligen Ziegenbart und den buschigen Augenbrauen holte zwei klimpernde Beutel unter seiner Tunika hervor

»Tuxons Gemälde?« 

Morgan wollte Gambin, der hinter ihnen im Schatten eines Dachvorsprungs wartete, gerade das Zeichen geben, das Gemälde zu ihnen zu bringen, als Thomas’ Hand nach vorn schnellte und kurzzeitig ihren Unterarm umfasste. Schockiert riss sie die Augen auf. Was hatte er vor

»Weißt du, Robbart, ich habe es mir anders überlegt.« Er ließ den Zahnstocher fallen und kreuzte die Arme vor seinem Oberkörper

Morgans Finger zuckten nervös, bevor sie den Griff des Messers fester umschlossen. Die Stimmung war umgeschlagen und sie erkannte an den angespannten Mienen der drei Männer, dass auch sie die Veränderung wahrgenommen hatten

Sie verengte die Augen und achtete auf jede noch so kleine Bewegung, die ihr Leben gefährden könnte.

»Ach ja?« Robbart nickte kurz, was der Mann mit dem Ziegenbart als Anlass nahm, das Geld wieder einzustecken

Sie unterdrückte ein frustriertes Aufstöhnen. Wie konnte ihr Thomas so etwas antun? Sie brauchte jede Krone, um ihre Lebensschuld bei Larkin zu begleichen

»Sechshundert Kronen sind eindeutig zu wenig. Wieso legst du nicht noch hundert drauf, hm?« Thomas schien nicht zu begreifen, dass er gefährlich nah am Abgrund balancierte. Oder es war ihm egal.

»Wir hatten eine Abmachung«, presste der Idrele zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor und wirkte ganz und gar unglücklich

»Thomas«, zischte Morgan, doch er ignorierte sie.

»Eine Abmachung, die du gebrochen hast, als du zwei Begleiter statt nur einem mitgenommen hast.« Seine freundliche Miene verzog sich zu einer hässlichen Grimasse und sein linkes Auge zuckte vor Anspannung. Morgan hatte sich am Anfang ihrer Bekanntschaft darüber lustig gemacht, aber in Situationen wie diesen wirkte seine Miene unheilvoll

Es schien für einen Augenblick so, als würde Robbart die Verhandlung erneut aufnehmen wollen, doch dann schoss der Arm des Mannes mit dem Ziegenbart hervor. Im letzten Moment packte Morgan sein Handgelenk, verdrehte es und stieß ihm ihren Dolch in den Magen. Sein eigenes Messer fiel klappernd zu Boden.

Robbart lief um Hilfe rufend davon, während sich seine zweite Begleitung unbeeindruckt um Thomas kümmerte

Wenn der Idrele weiter so herumbrüllte, würde jede Wache im Dienst auf sie aufmerksam werden, was vermutlich seine Absicht war.

»Thomas«, warnte Morgan

Er entledigte sich des gedrungenen Kämpfers mit einem gezielten Schlag in den Nacken und einen auf die Nase, der ihn in die Bewusstlosigkeit beförderte, bevor er sich neben den Mann mit dem Ziegenbart kniete. Er zerrte die zwei Geldbeutel aus der Innentasche und steckte sie selbst ein. Er war tatsächlich so dreist, sie dabei zufrieden anzugrinsen

»Los jetzt«, sagte er, als wäre sie diejenige, die sie aufgehalten hätte.

Sie rannten in die entgegengesetzte Richtung, die Robbart eingeschlagen hatte, direkt in die Altstadt hinein, wo sich schließlich ihre Wege trennten. Sie würden sich, wenn alles nach Plan verlief, im Hauptquartier wiedersehen und dann … dann würde sie ihm die Kehle durchtrennen!

Das Hauptquartier der Wölfe lag an einer vielbefahrenen Straße und zog sich mehrere Stockwerke in die Höhe. Es gab unter anderem einen Vorder- und einen Hintereingang, beide durften jedoch nur während ihrer knapp bemessenen freien Zeit benutzt werden, damit niemand sie von einem Auftrag zu ihrem Quartier zurückverfolgen konnte. Deshalb wählte Morgan den Zugang über die Kanalisation

Die Tunnel, die sich labyrinthartig unter ganz Yastia erstreckten, wurden nur hin und wieder von Patrouillen kontrolliert und das meistens tagsüber. Sie hielten sich von der finsteren Unterwelt fern, wenn ihnen ihr Leben lieb war. Aus diesem Grund brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, in eine der Stadtwachen hineinzulaufen, als sie sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit ihren Weg durch das Labyrinth suchte. Ihr Atem hallte hektisch von den abgerundeten Wänden wider und vermischte sich mit den Geräuschen, die ihre Schritte auf dem feuchten Boden verursachten.

Sie kannte sich hier unten in der Dunkelheit natürlich genauso gut wie jeder andere von Larkins Wölfen aus. Es gehörte zu den Aufgaben, die sie absolvieren mussten, bevor sie ihren ersten eigenen Auftrag zugeteilt bekamen. Sie wurden in der Kanalisation ausgesetzt und mussten ihren Weg zurückfinden. Aber erst, nachdem sie verschiedene Orte aufgesucht hatten, von denen sie die unterschiedlichsten Kostbarkeiten stehlen und an denen sie andere Objekte hinterlassen mussten. So hatte Morgan unter anderem in das Gebäude einer reichen Witwe im Villenviertel eindringen müssen, um ihr Diadem aus der Schmuckschatulle unter ihrem Bett zu entwenden und durch eine tote Ratte zu ersetzen.

Eigentlich waren sie eine Gruppe Diebe. Larkin bezeichnete sie aber am liebsten als Schmuggler. Sie brachten Kostbarkeiten, Geld und manchmal auch Menschen von einem Ort zum anderen. Legal war davon das Wenigste.

Kurz bevor sie den unteren Eingang erreichte, drosselte sie ihr Tempo, um zu Atem zu kommen. Sie brauchte ihre Stimme, wenn sie Larkin gegenübertrat, und sie durfte nicht zulassen, dass Thomas ihr für den in den Sand gesetzten Handel die Schuld zuschob

Erst jetzt wurde ihr bewusst, was für einen Anfängerfehler er begangen hatte. Eine ihrer unausgesprochenen Regeln war: Feilsche niemals, wenn sich bereits auf einen Preis geeinigt worden war. Das schadete bloß dem Ruf, den sich die Wölfe auf der Straße hart erarbeitet hatten

Sie atmete noch einmal tief durch, dann stieg sie die schmalen Eisensprossen hinauf, die sie zu einer geschlossenen Luke führten. Vorsichtig drückte sie diese mit einer Hand auf, bevor sie sich durch die Öffnung schob. Da sie kleiner und zierlicher war als die Männer, bot dieses Hindernis kaum ein Problem für sie. Die Kraft in ihren Armen und Beinen half ihr außerdem, sich schneller aus dem Loch zu ziehen

Der Keller war eher karg und ungemütlich gehalten, aber vor allem war er leer. Im Rest des Hauses gab es kaum einen Ort, an dem sich niemand aufhielt, schließlich hausten die meisten der Schmuggler unter diesem Dach. Larkins Privathaus befand sich auf der linken Seite und durfte nur auf ausdrückliche Einladung von ihm betreten werden. Rechts von ihnen schloss sich eine Hutmacherei an, mit deren Inhaber sie sich bereits vor einigen Jahren angefreundet hatte

Sobald sie sich den Staub von ihren braunen Leggings geklopft hatte, sprang sie die knarzende Holztreppe hoch und noch bevor sie die Tür geöffnet hatte, vernahm sie lautes Stimmengewirr, Stuhlbeine, die über den Boden schabten, und schallendes Gelächter. Anscheinend war Thomas bereits vor ihr heimgekehrt

Die Fäuste ballend bereitete sie sich auf einen unerbittlichen Kampf vor, dann stieß sie die angelehnte Tür mit der Fußspitze auf.

Wie erwartet, wurde sie sofort von dem Geruch nach Schweiß, Männern und Alkohol empfangen. Der kurze Flur eröffnete sich in den größten Raum des Hauses, in dem sich stets die meisten Schmuggler aufhielten. Es gab diverse willkürlich zusammengewürfelte Tische, Stühle und Regale. Essensreste lagen verteilt auf den schmutzigen Holzdielen und klebrige Pfützen zeugten von einer langen Nacht, die noch längst nicht zu Ende war

Sie knirschte mit den Zähnen, als sie sich einen Weg zu Thomas bahnte. Die Schmuggler, die sie passierte, verstummten plötzlich, misstrauische Blicke folgten ihr und die Atmosphäre in dem Raum mit dem tief hängenden, verstaubten Kronleuchter verdichtete sich

Thomas saß, wie um sie zu provozieren, auf der Fensterbank, bei der es sich, wie allseits bekannt, um ihren Lieblingsplatz handelte. Ein Bein hatte er lässig angewinkelt, das andere schwang er gut gelaunt hin und her. Wieder einmal kaute er auf einem Zahnstocher aus seinem scheinbar niemals endenden Vorrat herum, während neben ihm die zwei Beutel voll Gold lagen, die er Robbarts Begleitung gestohlen hatte.

Das Grinsen auf seinem sommersprossigen Gesicht mit dem schwarzen Farbstreifen, den auch sie sich aufgemalt hatte, entfachte den Zorn in ihr zu neuem Leben und sie schubste ihn so fest, dass er mit dem Hinterkopf gegen die Fensterscheibe knallte. Das süffisante Grinsen schwand augenblicklich von seinen aufgerissenen Lippen und ein Raunen ging durch die Menge.

»Was fällt dir eigentlich ein?«, schrie Morgan, darauf bedacht, nicht wie ein kleines Mädchen zu klingen. Sie hatte sich ihren Respekt hart erkämpfen müssen und würde ihn sich nicht durch Thomas nehmen lassen

»Was hast du denn, kleines Ding?« Er erhob sich von der Bank, rieb mit der einen Hand seinen Schädel und breitete den anderen, tätowierten Arm in fragender Geste aus, als würde er damit betonen wollen, dass niemand auf ihrer Seite stand

Sie wusste, dass sie von den Männern an den besseren Tagen nur geduldet wurde und diese jede Chance nutzten, um gegen ihre Anwesenheit zu rebellieren. Der Großteil würde seine Reaktion jetzt allerdings zurückhalten, bis sie sahen, wie Larkin zu diesem Streit stand. Wenn er sich nicht dazu äußerte, galt für jeden Einzelnen, dass er sich gefahrlos einmischen konnte. In solchen Situationen verließ Morgan oftmals das Quartier für ein paar Stunden, bis sich die aufgeheizte Stimmung beruhigt hatte. Doch nicht heute. Thomas hatte einen Fehler begangen und er musste dafür büßen

»Ist doch alles gut ausgegangen. Wir haben das Geld und das Gemälde«, fuhr er fort.

»Das. War. Aber. Nicht. Der. Plan.« Sie betonte jedes einzelne Wort durch ihre zusammengebissenen Zähne, während sie zu ihm aufsah. Thomas überragte sie wie alle atheiranischen Männer um mehr als einen Kopf. Sie erinnerte sich noch vage daran, dass in ihrem Heimatland Vinuth alle etwas kleiner, wenn auch breiter waren. »Wir haben zwei Menschen verletzt, einen vielleicht sogar getötet und Robbart wird unsere Köpfe dafür fordern! Larkin wird außer sich sein

»Außer sich sein, worüber genau?« 

Sie erstarrte, als sie die aalglatte Stimme ihres Alphas hörte. Die Menge hinter ihr teilte sich und ließ den hochgewachsenen Mann mit dem bedrohlichen Lächeln zu ihnen durch

Ein kalter Schauder rann ihren Rücken hinab. Jedes Mal, wenn er sich ihr näherte, wurde sie an jenen verhängnisvollen Tag erinnert, an dem sie den gewundenen Pfad verlassen hatte und dem Wolf direkt in die Falle getappt war.

»Wir müssen reden«, sagte Morgan und kreuzte die Arme. Sie hoffte, dass man ihr den inneren Aufruhr nicht ansehen konnte

Das Lächeln auf Thomas’ Gesicht gefror, was ihr ein gewisses Maß an Genugtuung bereitete. Dann wurde sie sich allerdings wieder Larkins drohender Gestalt bewusst und das befriedigte Grunzen blieb ihr im Hals stecken.

»In mein Arbeitszimmer. Sofort«, befahl er mit seiner ganzen Autorität, ohne die Stimme erheben zu müssen. In den letzten zehn Jahren war er zwar gealtert, aber auch innerlich gewachsen. Das charmante Grinsen, mit dem er sie als kleines Mädchen entwaffnet hatte, hatte sie immer seltener gesehen, bis es schließlich ganz verschwunden war. Larkin hatte die vierzig Jahre bereits überschritten, was man seinem lichten Haar schon ansah, und auch wenn kein Ende seiner Karriere als Alphawolf der Schmuggler und Diebe in Sicht war, wurde er immer grausamer und ehrgeiziger

Sie nahm an, dass Ehrgeiz und Grausamkeit gewissermaßen Hand in Hand gingen, aber das ließ sich schlecht distanziert betrachten, wenn man die Leidtragende war.