ROBERT E. HOWARD

 

 

Die Abenteuer des El Borak

Ein Roman und drei Erzählungen

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

I. DER TOD MIT DEN DREI KLINGEN 

1. Ein Messer im Dunkeln 

2. Das schwarze Land 

3. Das Volk Ismails 

4. Die flüsternden Schwerter 

5. Die Maske fällt 

6. Der Dämon aus der Tiefe 

7. Der Tod im Palast 

8. In den Klauen der Wölfe 

9. Der blutige Garten 

10. Die Entscheidung 

 

II. DAS BLUT DER GÖTTER 

 

III. DAS LAND DES MESSERS 

 

IV. DER SOHN DES WEISSEN WOLFES 

 

Einzelnachweise 

 

Das Buch

 

 

Sein Name ist Francis Xavier Gordon, und er ist ein gefürchteter Revolverheld aus El Paso/Texas – doch die Menschen in den wilden Bergen von Afghanistan kennen ihn nur unter dem Namen El Borak ('der Schnelle'). Seine Taten sind in aller Munde, und schon zu Lebzeiten wurde er zur Legende. Seine Feinde fürchten ihn so, wie sie ansonsten nur den Teufel zu fürchten vermögen, doch seine Freunde und Gefährten würden jederzeit für ihn in den Tod gehen.

So kämpft El Borak gegen einen finsteren Geheimbund von Attentätern, gegen größenwahnsinnige Herrscher aus der Wüste – in den einsamen Oasen Arabiens oder in unzugänglichen Bergfestungen in Afghanistan, und stets steht er Freunden in der Not bei oder führt jene, die verabscheuungswürdige Verbrechen begangen haben, der gerechten Strafe zu...

 

Francis Xavier Gordon alias El Borak wurde von Robert E. Howard im zarten Alter von nur zehn Jahren erdacht – inspiriert ebenso von den historischen Persönlichkeiten Richard Francis Burton, John Nicholson, 'Chinese' Gordon und T.E. Lawrence wie auch vom literarischen Werk des Abenteuer-Schriftstellers Talbot Mundy.

Der vorliegende Band enthält den Roman Der Tod mit den drei Klingen sowie die Erzählungen Das Blut der Götter, Das Land der Messer und Der Sohn des weißen Wolfes. 

Der Autor

 

Robert Ervin Howard (* 22. Januar 1906, + 11. Juni 1936).  

 

Robert Ervin Howard war ein US-amerikanischer Autor von Fantasy-, Abenteuer- und Horrorgeschichten sowie mehrerer Westernromane. Er gilt als stilprägender Vertreter der Low Fantasy.

Howard wuchs in der kahlen und trockenen Landschaft von West-Texas auf und unternahm nur wenige Reisen. Als Heranwachsender arbeitete er auf den örtlichen Ölfeldern; darüber hinaus arbeitete er als Baumwollpflücker, Cowboy, Verkäufer, in einem Rechtsanwaltsbüro, als Landvermesser und als Journalist, bevor er sich durch den Verkauf seiner Geschichten an diverse Pulp-Magazine - vor allem Weird Tales, Thrilling Adventures, Argosy und Top-Notch - ein regelmäßiges Einkommen sichern konnte.

Seine erste Geschichte Spear And Fang verkaufte er im Jahre 1924 an Weird Tales. Dies war der Start einer ebenso kurzen wie beeindruckenden (und vor allem: nachwirkenden) Karriere als Schriftsteller: In den Folgejahren erschuf Howard seine bekanntesten Zyklen um Conan den Cimmerier, Kull von Atlantis, den Pikten Bran Mak Morn, den irischen Piraten Turlogh O’Brien und den englischen Puritaner Solomon Kane.

Die meisten Helden in Howards literarischem Nachlass sind latent depressiv (Solomon Kane, Turlogh O’Brien, Kull von Atlantis), was biographische Bezüge vermuten lässt. Lediglich Conan ist ein tendenziell naiver, von keinen Skrupeln oder tieferen Gefühlen berührter Abenteurer und Krieger. Über den Charakter Conan, der - vor allem auch durch die Verfilmungen in den Jahren 1982 und 1984 (beide mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle) sowie 2011 (mit Jason Momoa in der Rolle des Barbaren)  - wohl die populärste der von ihm geschaffenen Figuren ist, sagte er, sie sei die realistischste von allen, da sie eine intuitive Kombination diverser Männer darstelle, mit denen er in seinem Leben zu tun gehabt habe.

Viele von Howards Fantasy-Geschichten spielen vor dem Hintergrund des – fiktiven – Hyborischen Zeitalters.

Howard war ein Brieffreund H. P. Lovecrafts, der auch Einfluss auf Howards Geschichten ausübte. Umgekehrt geht das fiktive Buch Unaussprechliche Kulte, dessen Erfindung häufig Lovecraft zugeschrieben wird, auf Howard zurück.

Robert E. Howard Howard beendete sein Leben im Alter von 30 Jahren durch Selbstmord. Als seine kranke Mutter ins Koma fiel und wenig Hoffnung auf Genesung bestand, stieg er in seinen Wagen und erschoss sich in der Einfahrt zu seinem Haus.

  I. DER TOD MIT DEN DREI KLINGEN

 

 

  1. Ein Messer im Dunkeln

 

  Ein leises Huschen in dem dunklen Hauseingang warnte Gordon.

  Mit der Geschmeidigkeit einer Katze fuhr er herum und konnte gerade noch erkennen, wie sich eine hünenhafte Gestalt aus dem schwarzen Torbogen heraus auf ihn warf.

  Es war dunkel in der engen, von Bäumen gesäumten Straße; dennoch brannte sich Gordon im Bruchteil einer Sekunde der Anblick des verzerrten, bärtigen Gesichts und des blitzenden Stahls in der hoch erhobenen Faust ein. Ruckartig und mit einem ächzenden Laut warf er sich zur Seite. Das Messer schlitzte sein Hemd auf, aber bevor der Angreifer sein Gleichgewicht wiedererlangen konnte, hatte ihn der Amerikaner am Arm gepackt und ihm den langen Lauf seiner schweren Pistole auf den Kopf geschmettert. Ohne einen Laut sackte der Mann zusammen.

  Gordon lauschte angespannt.

  Um die Straßenecke herum wurden das Schlurfen von Sandalen sowie ein leises, metallisches Klicken hörbar. Man hatte ihn gewarnt: Die nächtlichen Straßen Kabuls waren eine Todesfalle für Francis Xavier Gordon.

  Gordon wartete.

  Schließlich ließ er achselzuckend die Waffe sinken und eilte die Straße weiter hinunter. Ausgesucht vorsichtig hielt er Abstand von den dunklen Eingangstoren. Schließlich bog er in eine breitere Straße ein. Nur Augenblicke später klopfte er behutsam an eine Tür, über der eine Messinglaterne leuchtete.

  Kurz darauf wurde die Tür geöffnet, und Gordon trat rasch ein.

  »Sperr zu – beeil dich!«

  Der große, bärtige Afridi, der den Amerikaner eingelassen hatte, schob den schweren Riegel vor, wandte sich um und musterte - sich erschrocken den Bart zupfend - seinen Freund.

  »Dein Hemd, El Borak, ist zerrissen!«, murmelte er.

  »Irgendein Kerl hat versucht, mich niederzustechen«, antwortete Gordon. »Andere... sind mir gefolgt.«

  Die stolzen Augen des Afridi blitzen, und er legte die sehnige Hand auf das etwa meterlange Khyber-Schwert an seiner Hüfte. »Hauen wir die Hunde in Stücke, Sahib!«, drängte er.

  Gordon schüttelte den Kopf. Er war nicht groß, doch von eindrucksvoller Erscheinung: Die voluminöse Brust, der muskulöse Nacken und die breiten Schultern ließen ihn ebenso ungemein kräftig wie auch ausdauernd wirken, und er bewegte sich mit einer geschmeidigen Beiläufigkeit, die verriet, dass mit diesem Mann keineswegs zu spaßen war, wenn es darauf ankam.

  »Lassen wir sie laufen. Es sind die Feinde Baber Khans, die wussten, dass ich heute zum Amir gehen würde, um von ihm die Begnadigung des Mannes zu erbitten.«

  »Und was sagte der Amir?«

  »Er ist entschlossen, Baber Khan zu vernichten. Die Feinde des Häuptlings haben beim Amir mit allen Mitteln gegen ihn Stimmung gemacht. Außerdem ist Baber Khan ein Sturkopf: Er hat sich geweigert, nach Kabul zu kommen und sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen des Aufwiegelns Stellung zu äußern. Der Amir schwört, dass er noch vor Ablauf einer Woche mit seinen Männern nach Khor marschieren und es in Schutt und Asche legen wird. Und er wird Baber Khan töten lassen, wenn sich der Häuptling nicht freiwillig stellt. Baber Khans Feinde wollen selbstverständlich nicht, dass er dies tut. Und sie wissen, dass von den Vorwürfen, die sie gegen ihn erhoben haben, nicht das Geringste übrigbleiben wird, nachdem nun ich Baber Khans Sache zu der meinen gemacht habe. Deswegen versuchen sie, mich aus dem Weg zu räumen, wenn sie es auch nicht wagen, offen zuzuschlagen. Jedenfalls werde ich versuchen, entsprechend auf Baber Khan einzuwirken. Vielleicht kann ich ihn dazu überreden, nach Kabul zu kommen und sich zu stellen.«

  »Das wird der Herrscher von Khor niemals tun«, sagte der Afridi.

  »Wahrscheinlich nicht. Aber ich muss es versuchen. Baber Khan ist mein Freund. Weck Achmed Schah und lass die Pferde satteln, während ich ein paar Sachen zusammenpacke. Wir brechen sofort auf nach Khor.«

  Das bedeutete einen nächtlichen Ritt durch die Berge, doch der Afridi machte deswegen keine Einwände. Männer, die mit El Borak ritten, waren es gewohnt, zu jeder Stunde im Sattel zu sein.

  »Was ist mit dem Sikh?«, fragte der Afridi, während er sich zum Gehen wandte.

  »Er bleibt im Palast. Der Amir vertraut Lal Singh mehr als seinen eigenen Leuten und wünscht ihn für eine Weile als Leibwächter zu behalten. Er ist etwas nervös, seit der türkische Sultan von diesem Fanatiker ermordet wurde. Nun beeile dich, Yar Ali Khan. Wahrscheinlich beobachten Baber Khans Feinde das Haus, aber sie wissen nichts von der Tür, die auf die Straße hinter den Ställen führt. Durch die schleichen wir uns hinaus.«

  Der hünenhafte Afridi eilte nach drinnen. In einer der Kammern schüttelte er den Mann, der dort auf einem Stapel Teppiche schlief.

  »Wach auf, du Sohn Scheitans. Wir reiten nach Westen.«

  Achmed Schah, ein kräftiger, gedrungener Yusufzai, setzte sich gähnend auf.

  »Wohin?«

  »Zu dem Ghilzai-Dorf Khor, wo uns dieser Rebellenhund Baber Khan sicher allen das Herz aus dem Leib schneiden wird«, knurrte Yar Ali Khan.

  Achmed Schah grinste breit, als er aufstand. »Du liebst den Ghilzai nicht. Aber er ist ein Freund El Boraks.«

  Yar Ali Khans Miene verdüsterte sich, und er murmelte unwillig etwas in seinen Bart, während er auf den Innenhof hinaustrat und auf die Ställe zuging. Die Ställe lagen innerhalb der hohen Umfriedungsmauer, und nur die Mitglieder von Gordons Familie wussten, dass eine versteckte Tür von innen auf eine Straße hinausführte. All die schattenhaften Gestalten, die jetzt in der Nacht sein Haus umlauerten, beobachteten also die anderen Seiten des Anwesens, als der kleine Trupp heimlich auf die dunkle Straße hinausritt.

  Noch ehe eine halbe Stunde vergangen war, seit Gordon an seine Tür geklopft hatte, hatten die Männer die Stadt bereits verlassen und ritten auf einem steinigen Weg rasch westwärts.

 

  Währenddessen stellte im Palast der Amir von Afghanistan die Redensart unter Beweis, dass gekrönte Häupter nur schwer Ruhe finden.

  Mit besorgter Miene trat er aus einem der Zimmer und erwiderte geistesabwesend den Gruß eines riesigen Sikh, der die Hacken zusammenschlug und Haltung annahm. Der Amir bedeutete ihm mit einer Geste, dass er allein zu bleiben wünschte, und so grüßte Lal Singh erneut und nahm dann, eine Hand auf dem mit Haifischhaut umhüllten Griff seines langen Säbels, wieder seinen Platz neben der Tür ein. Seine Augen folgten dem Amir, der den Korridor entlangschritt. Er wusste, dass sein Freund El Borak mehrere Stunden lang hinter verschlossenen Türen mit

dem Herrscher gesprochen hatte. Dass er schließlich unvermittelt und ohne jede Förmlichkeit aufgebrochen war, ließ auf schwerwiegende Differenzen zwischen ihm und Amir schließen.

  Auch den Amir trieb dieses Gespräch um, als er ein großes, hell erleuchtetes Zimmer betrat und zu dem mit vergoldetem Rahmen versehenen Fenster hin- überging und auf die schlafende Stadt hinunterblickte. Es war das erste Mal, dass es zu einer Auseinandersetzung mit dem Amerikaner gekommen war, der als sein inoffizieller Berater, Botschafter und Geheimagent diente. Die politische Situation seines Landes war kompliziert: Sein in den Bergen gelegenes Königreich war umgeben von mächtigen Nationen, die es nur allzu gern als Spielball in ihrem Kampf um Macht und Einfluss benutzt hätten. Es war schwierig für ihn, einen Kurs zu steuern, der ihm seine relative Unabhängigkeit erhielt, und dabei war ihm der Rat des amerikanischen Abenteurers, der seine Verlässlichkeit schon Dutzende Male unter Beweis gestellt hatte, sehr hilfreich.

  Der abwesende Blick des Amirs ruhte auf einem Vorhang, der einen Alkoven abschirmte. Offenbar war Wind aufgekommen, da sich der Stoff leicht bewegte. Er sah zum Fenster hinüber und erstarrte. Die dünnen Vorhänge dort hingen völlig ruhig, Dennoch, die Vorhänge über dem Alkoven hatten sich bewegt...

  Der Amir war ein kräftiger, mutiger Mann. Beinahe instinktiv sprang er mit einem Satz zu dem Alkoven und riss den Vorhang herunter. Doch ein Dolch in einer schwarzen Hand traf ihn mitten in die Brust.

  Der Amir stieß einen Schrei aus und riss noch im Sturz den Angreifer mit sich. Der Mann brüllte auf wie ein wildes Tier, und seine weit aufgerissenen Augen starrten ihn an. Sein Dolch hatte den Khalat des Amir zerfetzt und das Kettenhemd bloßgelegt, das mehr als einmal das Leben des Herrschers gerettet hatte.

  Von draußen antworteten Rufe, und gestiefelte Männer rannten den Korridor entlang. Der Amir hatte den Angreifer an der Hand gepackt, die den Dolch hielt; mit dem anderen Arm hatte er seinen Nacken umspannt.

  Aber die sehnigen Muskeln des Mannes waren stark wie Stahl. Während die beiden Männer übereinander her rollten, riss der Dolch tiefe Wunden in Arme und

Schenkel des Amir. Dann, als der Unbekannte den ermattenden Herrscher unter sich gebracht hatte und von neuem die Waffe hob, blitzte etwas im Lampenlicht auf, und der Angreifer sank, von einem Schwerthieb fast in zwei Teile gespalten, lautlos zu Boden.

  »Majestät... Herr...« Das Gesicht des schwarzbärtigen Sikh war totenbleich. »Seid Ihr verletzt? Ihr blutet! Wartet!«

  Er zerrte die Leiche beiseite und hob den Amir hoch. Der Herrscher rang schwer nach Atem; sein Leib war blutüberströmt. Er ließ sich auf einen Divan sinken, und der Sikh begann hastig, Streifen aus den seidenen Vorhängen zu reißen, um das Blut seiner Wunden zu stillen.

  »Sieh hin!«, keuchte der Amir. Sein Gesicht war fahl, und seine Hand zitterte. »Das Messer! Das Messer!«

  Matt schimmernd lag es neben der Hand des Toten - eine seltsame Waffe mit drei Klingen an einem einzigen Griff. Lal Singh zuckte zusammen und stieß einen unterdrückten Fluch aus,

  »Der Dolch mit den drei Klingen!«, keuchte der Amir, und ein Ausdruck des Entsetzens trat in seinen Blick.

  »Das ist das Messer, mit dem man den türkischen Sultan erstach! Den Schah von Persien! Den Nizam von Haiderabad!«

  »Das Erkennungszeichen des Geheimbunds!«, murmelte Lal Singh und betrachtete mit scheuem Blick das ominöse Symbol des schrecklichen Kultes, dem im vergangenen Jahr mehrere Potentaten des Ostens zum Opfer gefallen waren.

  Im Palast war es unruhig geworden. Männer eilten durch die Korridore und fragten mit lauter Stimme, was geschehen sei.

  »Verschließt die Tür!«, befahl der Amir. »Außer dem Verwalter des Palastes darf niemand eintreten.«

  »Aber wir brauchen einen Arzt, Majestät«, protestierte der Sikh. »Eure Wunden selbst sind nicht tödlich. Aber der Dolch könnte vergiftet gewesen sein.«

  »Dann lass einen Hakim holen. Ya Allah! Der Geheimbund hat den Stab über mich gebrochen!« Der Amir war ein tapferer Mann, dennoch hatte ihn das, was sich soeben zugetragen hatte, sehr erschüttert. »Wer vermag sich gegen den Dolch im Dunkeln zu wehren, die Schlange im Gras, das Gift im Weinglas? Lal Singh, geh  rasch zu El Borak und sag  ihm, dass ich dringend seiner bedarf! Bring ihn zu mir! Wenn es einen Mann in Afghanistan gibt, der mich vor diesen hinterhältigen Teufeln beschützen kann, dann ist er es!«

  Lal Singh salutierte und eilte kopfschüttelnd hinaus. Dass diesen Mann, bei dem er nie ein Zeichen der Furcht bemerkt hatte, nun die Angst so sehr bedrängte, vermochte er kaum zu fassen.

  Der Amir freilich hatte allen Grund, erschrocken zu sein. Ein seltsamer, schrecklicher Kult hatte sich im Osten entwickelt. Wer seine Anhänger waren und welches seine Ziele waren, wusste niemand, Sie wurden der Geheimbund genannt und mordeten mit einem Dolch mit drei Klingen. Das war alles, was über sie bekannt war, Ihre Agenten tauchten unerwartet auf, schlugen zu und verschwanden - oder sie wurden getötet. Lebend ließ sich keiner gefangen nehmen.

  Manch einer war der Ansicht, es handle sich bei dem Geheimbund lediglich um eine Gruppierung religiöser Fanatiker. Wieder andere vermeinten, in ihren Handlungen politische Motivationen erkennen zu können. Lal Singh wusste, dass nicht einmal Gordon genauere Informationen über den Bund hatte. Dennoch setzte er sein vollstes Vertrauen in den Amerikaner. Er würde imstande sein, den Amir zu schützen - selbst vor einem so schwer zu fassenden Feind.

 

  Drei Tage nach seinem überstürzten Aufbruch von Kabul saß Gordon mit am Rand eines Bergpasses.

  »Ich stehe zwischen dir und dem Tod!«, warnte er den Mann, der ihm gegenübersaß.

  Dieser Mann zupfte nachdenklich an seinem rotbraunen Bart. Er war breit und kräftig gebaut; in seinem Bokhariot-Gürtel steckten zahlreiche Messer. Und sein Name war Baber Khan, der Führer der stolzen Ghilzai, der absolute Herrscher über Khor und seine dreihundert verwegenen Schwertkämpfer.

  Dennoch lag nicht eine Spur von Arroganz in seiner Antwort. »Allah sei mit dir! Aber du weißt - niemand kann die Stunde seines Todes bestimmen.«

  »Ich biete dir eine Gelegenheit, Frieden mit dem Amir zu machen.«

  Mit dem Fatalismus seiner Rasse schüttelte Baber Khan den Kopf. »Meine Feinde am königlichen Hof sind zu zahlreich. Sollte ich nach Kabul gehen, würde sich der Amir ihre Lügen anhören und ihnen Glauben schenken. Er wurde mich auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder mich in einem eisernen Käfig den Adlern zum Fraß darbieten. Nein, ich gehe nicht nach Kabul!«

  »Dann nimm deine Leute und suche dir einen anderen Unterschlupf. Es gibt Gebiete in diesen Bergen, wohin dir nicht einmal der Amir folgen kann.«

  Baber Khans Blick schweifte den Bergpfad entlang hinab zu der Gruppe von Türmen aus Ziegeln und Lehm, die sich über die aus dem gleichen Material erbaute Umfassungsmauer erhoben. Seine Nasenflügel wölbten sich, und in seine Augen trat stolzer Glanz.

  »Nein, bei Allah! Meine Sippe herrscht in Khor seit Akbars Tagen. Soll der Amir in Kabul herrschen. Hier... bin ich der Herr!«

  »Dann wird der Amir auch in Khor herrschen«, knurrte Yar Ali Khan, der mit Achmed Schah hinter Gordon saß.

  Baber Khan blickte in die andere Richtung, wo der Pfad zwischen kantigen Felsen verschwand. Auf den Bergrücken sah man weiße Tücher flattern - Kleidungsstücke der bewaffneten Männer, die den Pass Tag und Nacht bewachten.

  »Lass ihn nur kommen«, sagte Baber Khan grimmig. »Wir halten das Tal.«

  »Er wird fünftausend Männer bringen und Artillerie«, warnte Gordon. »Er wird Khor niederbrennen und dein abgeschlagenes Haupt im Triumph nach Kabul zurücktragen lassen.«

  »Inschallah«, erwiderte Baber Khan in unbeeindrucktem Fatalismus.

  Wie so oft fiel es Gordon nicht leicht, seine Erregung über dieses Charakteristikum der Orientalen zu unterdrücken. Alles in seiner energischen Natur widerstrebte dieser Philosophie der Passivität.

  Im Augenblick freilich war er an einem toten Punkt angelangt. Er sagte nichts, sondern starrte nur zu den Felswänden im Westen hinüber, über denen die Sonne gleich einem rötlichen Feuerball am blassblauen Himmel hing.

  Baber Khan schien aus Gordons Schweigen zu schließen, dass er seine Bemühungen aufgegeben habe, und sagte: »Sahib, ich möchte dir etwas zeigen. Dort unten in der verfallenen Hütte, die außerhalb der Umfriedung des Dorfes steht, liegt ein Toter. Ich habe noch niemals einen solchen Mann gesehen, und auch niemand sonst in Khor. Selbst im Tode wirkt er merkwürdig und böse, und ich glaube, er ist vielleicht überhaupt kein Mensch, sondern ein...«

  Die Felswände im Osten warfen den scharfen Knall eines Gewehrschusses zurück. Sofort waren die vier Männer auf den Beinen und schauten hinüber. Jetzt trug der Wind zornige Rufe zu ihnen. Dann erschien eine Gestalt zwischen den Felsen und hüpfte leichtfüßig von Block zu Block. Mit dem Gewehr in der Hand sah er wie ein tanzender Bergteufel aus; sein zerlumpter Umhang flatterte im Wind.

  »Ohai, Baber Khan!«, schrie er herüber. »Ein Sikh ist drüben am Pass! Er wünscht El Borak zu sprechen!«

  »Ein Sikh?« Ein Ruck war ging durch Gordon. »Lasst ihn zu mir - sofort!«

  Baber Khan gab den Befehl mit so dröhnender Stimme weiter, dass er laut von den Felswänden widerhallte. Der Mann entschwand wieder den Blicken. Gleich darauf erschien ein anderer Mann auf dem Pfad. Sein Pferd ließ den Kopf tief hängen und schien sich nur noch mühsam auf den Beinen zu halten. Es hatte Schaum vor den Nüstern, und sein Fell war schweißüberströmt.

  »Lal Singh!«, stieß Gordon hervor.

  »Bei Krischna, Sahib!« Der Sikh machte eine grüßende Geste, als er die Männer erreicht hatte, und stieg steifbeinig von seinem Pferd. »Wie treffend ist doch dein Name El Borak - der Schnelle! Ich glaube nicht, dass du mehr als eine Stunde Vorsprung hattest, als ich durch das Tor von Kabul ritt. Aber so sehr ich mich auch bemühte - und ich nahm mir in jedem Dorf ein frisches Pferd - ich konnte dich nicht einholen.«

  »So musst du dringende Nachrichten haben, Lal Singh.«

  »Ja, Sahib. Der Amir schickt mich und lässt dir sagen, du mögest sofort nach Kabul zurückkehren. Sahib, man hat einen Anschlag auf den Amir verübt - mit dem

Dolch mit den drei Klingen!«

  Gordons muskulöser Körper straffte sich wie der einer Raubkatze, die Gefahr wittert. »Berichte!«, befahl er, und in knappen Worten erzählte Lal Singh von dem Attentat auf den Amir.

  »Als ich dich holen wollte, erfuhr ich, dass du nach Khor unterwegs warst«, sagte Lal Singh. »Ich kehrte zum Palast zurück, und der Amir beauftragte mich, dir zu folgen und dich zurückzubitten. Seine Wunden machen ihm schwer zu schaffen.«

  »Sagte er irgendetwas über die Expedition, die er gegen Khor unternehmen wollte?«, fragte Gordon.

  »Nein, Sahib, Ich glaube aber, dass er den Palast nicht verlassen wird, bevor du zurückkehrst. Jedenfalls wird er das bestimmt nicht tun, ehe seine Wunden verheilt

sind - wenn er nicht an dem Gift stirbt, mit dem die Klingen des Dolches präpariert waren.«

  Gordon wandte sich Baber Khan zu. »Das Schicksal hat dir Aufschub gewährt.« Und zu Lal Singh sagte er: »Komm mit uns hinunter ins Dorf. Da kannst du essen

und schlafen. In der Morgendämmerung brechen wir auf nach Kabul.«

  Die fünf Männer ritten den Pfad hinunter, das erschöpfte Pferd mit Lal Singh am Ende der Gruppe.

  »Was meinst du dazu, El Borak?«, fragte Baber Khan.

  »Dass irgendwelche Drahtzieher in Konstantinopel, Moskau oder Berlin dahinterstecken«, antwortete der Amerikaner.

  »So? Und der Geheimbund?«

  »Ich fürchte, der ist mehr als nur eine Gruppe leicht erregbarer Fanatiker«, sagte Gordon. »Dass er anarchistische Prinzipien hat, ist ganz klar. Aber ich habe bemerkt, dass alle Herrscher, auf die ein Anschlag verübt wurde, Verbündete oder Freunde des Britischen Empires waren. Daher bin ich überzeugt, dass eine europäische Macht hinter dem Ganzen steckt. Aber was war es, das du mir zeigen wolltest?«

  »Eine Leiche in einer verfallenen Hütte!« Baber Khan lenkte sein Pferd zu dem Schuppen. »Meine Krieger fanden ihn am Fuß einer Felswand, von der er gestürzt war oder heruntergeworfen wurde. Ich ließ ihn hierher bringen, aber er starb unterwegs. Vorher redete er noch allerlei in einer unverständlichen Sprache, und meine Leute befürchteten, er würde einen Fluch über das Dorf bringen. Sie halten ihn für einen Zauberer oder einen Teufel, und das mit gutem Grund. Eine gute Tagesreise südlich von hier liegt in einem Bergland, das so wild und unfruchtbar ist, dass nicht einmal ein Pathaner dort leben könnte, ein Gebiet, das wir Ghulistan nennen.«

  »Ghulistan!«, echote Gordon. »In der Sprache der Türken oder Tataren bedeutet es das Land der Rosen. Auf Arabisch heißt es jedoch Land der Geister oder Vampire

  »Ja, Land der menschenfressenden Geister; es ist ein unwirtliches Gebiet mit schwarzen Felsen und wilden Schluchten, und wer klug ist, geht dort nicht hin. Dieses Land scheint unbewohnt zu sein, und dennoch gibt es dort Menschen - Menschen oder Dämonen. Manchmal wird ein Mann umgebracht oder eine Frau oder ein Kind von einem einsamen Weg entführt, und wir wissen, dass es ihr Werk ist. Wir haben uns umgeschaut und gesehen, wie schattenhafte Gestalten durch die Nacht huschten, aber der Weg endet immer an einer steilen Felswand, die nur ein Dämon überwinden könnte. Von Zeit zu Zeit hörten wir die Stimme des Dschinn von den Bergen widerhallen. Sie klingt so grässlich, dass sie einem das Herz stocken lässt.«

  Sie hatten die verfallene Hütte erreicht, und Baber Khan zog die schiefhängende Tür auf. Einen Augenblick später beugten sich die fünf Männer über eine auf dem Lehmboden liegende Gestalt. Der kurze, kräftige Körper des Mannes wirkte fremdartig; die Augen standen schräg in seinem breiten, platten, kupferbraunen Gesicht. Zweifellos war er ein Sohn der Gobi. Das dichte, schwarze Haar war am Hinterkopf blutverkrustet, und die unnatürliche Haltung seines Körpers zeigte, dass Knochen gebrochen waren.

  »Sieht er nicht wie ein Zauberer aus?«, sagte Baber Khan merklich beunruhigt.

  »Er ist ein Mongole«, antwortete Gordon. »In jenem Land im Osten, aus dem er kam, gibt es Tausende wie ihn, und sie sind keine Zauberer. Allerdings, was er hier suchte, weiß ich auch nicht zu sagen...«

  Plötzlich blitzten seine Augen auf, und er riss den blutverschmierten Khalat vom Oberkörper des Toten. Ein fleckiges Wollhemd kam zum Vorschein, und Yar Ali Khan, der über Gordons Schultern schaute, stieß einen unterdrückten Schrei aus. Auf dem Hemd war - so rot, dass man es ohne näheres Hinsehen für ein zufälliges Muster von Blutspritzern halten mochte - ein seltsames Zeichen zu sehen: Eine Faust, die einen Dolch mit drei doppelschneidigen Klingen hielt.

  »Der Dolch mit den drei Klingen!«, flüsterte Baber Khan und wich vor dem gefürchteten Symbol zurück, das für die Herrscher des Ostens der Inbegriff für Tod

und Zerstörung geworden war.

  Aller Augen ruhten auf Gordon, der jedoch schwieg. Er starrte auf das unheilverkündende Zeichen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen - vage Erinnerungen an einen alten und bösen Kult, der vor langer Zeit dasselbe Symbol verwendet hatte. »Können mich deine Männer zu der Stelle führen, wo ihr diesen Mann fandet, Baber Khan?«, fragte er schließlich.

  »Ja, Sahib. Aber das ist ein böser Ort. Er liegt in der Geisterschlucht nahe an der Grenze von Ghulistan, und...«

  »Gut. Lal Singh, du und die anderen, ihr werdet jetzt schlafen. Wir reiten am Morgen.«

  »Nach Kabul, Sahib

  »Nein. Nach Ghulistan.«

  »Dann glaubst du...«

  »Ich glaube nichts. Aber ich strebe nach Wissen

 

  2. Das schwarze Land

 

 

  Es wurde bereits dunkel über den Gipfeln der Berge, als Gordons Ghilzai-Führer anhielt. Vor ihnen lag eine tiefe Schlucht, hinter der sich schwarze Felsen zu bizarren Formen auftürmten. Der rote Sandstein und die bräunlichen Hänge, über die sie eben geritten waren, waren so abrupt zu Ende, als markierte der Cañon den

Beginn einer anderen geographischen Zone. Jenseits der Schlucht war nichts als das wirre Chaos der wild gezackten, schwarzen Felsen zu sehen.

  »Dort beginnt Ghulistan«, sagte der Ghilzai, und seine adleräugigen Kameraden mit den Hakennasen lockerten instinktiv ihre Messer und entsicherten ihre Gewehre »Hinter dieser Schlucht, der Geisterschlucht, liegt das Land des Schreckens und des Todes. Wir werden nicht weitergehen, Sahib

  Gordon nickte. Sein scharfes Auge hatte bereits einen Pfad erspäht, der über den steilen Abhang in den Cañon hinunterführte. Ihr Weg hierher hatte sie über eine alte Straße geführt, von der nicht mehr viel übriggeblieben war; dennoch sah sie aus, als sei sie in letzter Zeit häufig benutzt worden.

  Der Ghilzai nickte; offenbar hatte er Gordons Gedanken erraten.

  »Über diesen Pfad kommen und gehen die Dämonen der Schwarzen Berge. Aber Menschen, die ihm folgen, kehren nie mehr zurück.«

  Yar Ali Khan lächelte überlegen, obwohl er insgeheim den Aberglauben der Ghilzai teilte. »Dämonen? Wozu brauchen Dämonen einen Pfad?«

  »Wenn Dämonen Menschengestalt annehmen, dann gehen sie vielleicht auch wie Menschen«, knurrte Achmed Schah in seinen buschigen Bart.

  Lal Singh, der Sikh, zeigte indes keine Gemütsbewegung. Seine eigene Mythologie war voll von tausendarmigen Dämonen, doch hatte er wenig Respekt vor dem Aberglauben anderer Völker.

  »Dämonen fliegen mit Flügeln wie eine Fledermaus!«, verkündete Yar Ali Khan.

  Der Ghilzai ignorierte den Afridi. Er deutete zu dem schmalen Felssims, über das der Pfad lief.

  »Am Fuße dieses Abhangs fanden wir den Mann, den du einen Mongolen nanntest. Wahrscheinlich hatte er Streit mit anderen Dämonen, und sie stürzten ihn hinunter.«

  »Wahrscheinlich stolperte er, verlor das Gleichgewicht und viel von ganz allein hinunter«, knurrte Gordon. »Mongolen sind Söhne der Wüsten. Sie sind es nicht gewohnt, durch Berge zu klettern, und ihre Beine sind krumm und geschwächt, weil sie ihr Leben im Sattel verbringen. So jemand stolpert leicht auf einem schmalen Bergpfad.«

  »Wenn er ein Mensch ist, vielleicht«, räumte der Ghilzai ein. »Dennoch sage ich - Allah!«

  Alle bis auf Gordon zuckten zusammen. Die Ghilzais erbleichten und blickten sich sichernd um, die Gewehre im Anschlag.

  Über den Bergkamm im Süden drang ein seltsamer, durchdringender Ton herüber - ein raues, bellendes Brüllen, das die Felswände tausendfach zurückwarfen.

  »Die Stimme des Dschinn!« Ohne es zu wollen, hatte der Ghilzai sein Pferd heftig am Zügel gerissen, so dass das Tier wieherte und sich auf die Hinterbeine erhob.   

  »Sahib, im Namen Allahs des Barmherzigen, sei weise! Kehre mit uns nach Khor zurück!«

  »Ihr könnt ruhig umkehren! So war es vereinbart. Ich reite weiter.«

  »Baber Khan wird um dich weinen!«, rief der Anführer des Trupps vorwurfsvoll über die Schulter zurück und gab seinem Pony so heftig die Sporen, dass es in wildem Galopp davonstürmte. »Er liebt dich wie einen Bruder! Man wird trauern in Khor! Aie! Ahai! Ohee!«

  Das Klappern der Hufe überdeckte seine Stimme. Bald war der letzte der Ghilzais hinter der nächsten Kuppe verschwunden.

  »Verschwindet nur, ihr Söhne zahnloser Weiber!«, schrie Yar Ali Khan, der nie eine Gelegenheit versäumte, Stammesvorurteile zu äußern und seinem Gefühl von Überlegenheit Ausdruck zu verleihen. »Wir werden euren Teufeln Ornamente einbrennen und sie am Schwanz bis nach Khor ziehen!« Doch sobald die Ghilzais außer Hörweite waren, verstummte er.

  Gordon und seine Gefährten starrten in die Richtung, aus der die unheildrohende Stimme gekommen war.

  Achmed Schah rutschte aufgeregt im Sattel hin und her, und Yar Ali Khan zupfte seinen Patriarchenbart und spähte aus den Augenwinkeln zu Gordon herüber - er sah aus wie ein etwas verschüchterter Geist mit einem gut einen Meter langen Säbel.

  »Hast du schon jemals so etwas gehört?«, fragte El Borak zu Lal Singh gewandt.

  Der hochgewachsene Sikh nickte. »Ja, Sahib, in den Bergen - dort, wo die Männer leben, die dem Teufel dienen.«

  Ohne zu antworten, hob Gordon die Zügel. Auch er hatte das Dröhnen der gewaltigen Bronze-Trompeten gehört, die, von den kahlgeschorenen Priestern von Erlik geblasen, über die Schwarzen Berge der verbotenen Mongolei hinwegtönten.

  Yar Ali Khan schüttelte unwillig den Kopf. Er hatte diese Trompete nicht gehört, und man hatte ihn auch nicht um Rat gefragt. Er war so eifersüchtig um Gordons Aufmerksamkeit bemüht wie das Lieblingstier einer Hundemeute um die Aufmerksamkeit seines Herrn. Als sie nun den steilen, felsigen Pfad hinabritten, reihte er sich noch vor Lal Singh hinter Gordon ein, um ihm möglichst nahe zu sein. »Nun, da wir von verräterischen Ghilzai-Hunden, die sich sicher wieder heranschleichen werden, um dem Sahib im Schlaf den Hals abzuschneiden, in dieses Teufelsland gelockt worden sind - was hast du nun vor?«

  Es klang, wie wenn ein alter Wolfshund seinen Herrn anknurrt, weil er einen anderen Hund streichelt. Gordon drehte den Kopf zur Seite, um sein Lächeln zu verbergen.

  »Heute Nacht lagern wir hier im Cañon. Wir sind alle müde. Es hat wenig Zweck, wenn wir versuchen, uns nachts in diesen Schluchten zurechtzufinden. Morgen werden wir uns genauer umsehen. Ich bin sicher, dass der Mongole zum Geheimbund gehörte. Er muss zu Fuß gewesen sein, als er abstürzte. Wäre er zu Pferde gewesen, dann wäre er nicht gefallen, wenn nicht das Pferd auch gefallen wäre. Aber die Ghilzai fanden kein totes Pferd. Nur einen toten Mann. Wenn er aber zu Fuß war, dann war er sicher nicht weit von irgendeinem Camp oder einem Treffpunkt. Ein Mongole würde nicht weit marschieren - nicht einmal fünfzig Meter würde er gehen, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist. Je mehr ich es mir überlege, desto mehr scheint mir, dass der Geheimbund irgendwo in dem Gebiet auf der anderen Seite der Schlucht ein Treffen plant, Dort hätten sie ein ausgezeichnetes Versteck. Das ganze Gebiet hier ist nur sehr dünn besiedelt Khor ist das nächstgelegene Dorf, und bis dorthin ist es ein guter Tagesritt, wie wir festgestellt haben. Nomaden meiden die Gegend hier; sie fürchten die Ghilzais. Und Baber Khans Männer sind zu abergläubisch, um neugierig darauf zu sein, was sich jenseits der Schlucht befindet. Hätte der Geheimbund irgendwo dort drüben sein Hauptquartier, dann würde es wohl kaum jemand entdecken, und sie könnten auch ziemlich unbemerkt kommen und gehen. Die alte Straße, über die wir heute den größten Teil des Tages ritten, war vor Jahrhunderten eine wichtige Karawanenroute und ist auch heute noch für Reiter recht brauchbar. Außerdem führt sie nicht in der Nähe von Dörfern vorbei und wird auch von den hiesigen Stämmen nicht mehr benutzt. Männer, die sich auf ihr bewegen, könnten sich Kabul bis auf einen Tagesritt nähern, ohne große Gefahr zu laufen, von irgendjemandem entdeckt zu werden. Ich erinnere mich, die Straße schon auf jahrhundertealten Pergamentkarten eingezeichnet gesehen zu haben. Offengestanden weiß ich nicht recht, was wir tun sollen. Das Wichtigste wird sein, dass wir die Augen offen halten. Ansonsten warten wir ab. Die Umstände werden unser Handeln bestimmen.« Gordon hielt inne und fuhr dann ohne Zynismus fort: »Unser Geschick liegt in Allahs Hand.«

  »La illaha illulah; Muhammad rassul Allah!« stimmte Yar Ali Khan lauthals zu und strich sich, von seiner eigenen Deklamation ergriffen, den Bart.

  Als sie die Sohle des Cañons erreichten, sahen sie, dass der Pfad zum Eingang einer tiefen, engen Schlucht führte, die von Süden her in den Cañon mündete. Der Südhang des Cañons war höher als der im Norden und auch viel steiler; wie eine schwärzliche Festungsmauer ragte er hoch, und die Zacken des Kammes wirkten wie die Zinnen einer trutzigen Festung.

  Gordon ritt in die Schlucht, zu der der Pfad führte, und folgte ihr bis zur ersten Biegung. Immer dichteres Dunkel senkte sich über die Schlucht.

  »Das wird morgen unser Weg sein«, sagte Gordon, und seine Männer nickten schweigend, als er sie wieder zur Hauptschlucht zurückführte, wo es noch etwas steiler war. Der Hufschlag ihrer Pferde auf dem harten Gestein hallte fast furchteinflößend durch die Stille. Zwei-, dreihundert Meter westlich von der kleinen Schlucht, deren Mündung sie eben erkundet hatten, öffnete sich eine weitere, noch engere, in den Cañon. Keinerlei Spuren verrieten, dass sie als Pfad gedient haben mochte, und sie verengte sich so rasch, dass Gordon geneigt war zu glauben, am anderen Ende befände sich gar keinen Ausgang.

  Zwischen diesen beiden Schluchten floss am Fuß des hier fast senkrechten Nordhangs eine Quelle in ein natürliches Felsbecken. In einer höhlenartigen Nische

dahinter wuchs spärliches Gras. Hier pflockten sie die Pferde an. Sie selbst lagerten unweit der Quelle. Ein Feuer wagten sie nicht zu machen, um nicht gesehen zu werden, obwohl ihnen klar war, dass sie vielleicht schon von versteckten Beobachtern entdeckt worden waren. Ihre Zelte hatten sie in Khor gelassen. Auf den Boden gebreitete Decken boten Gordon und seinen Gefährten Bequemlichkeit genug.

  Strategisch gesehen, war ihre Stellung nicht ungünstig. Von Norden her konnten sie wegen der Steilheit der Felswand nicht angegriffen werden, und niemand konnte zu den Pferden, ohne zuerst ihr Lager zu passieren. Nach Süden, Osten und Westen hin mussten sie allerdings auf der Hut sein.

  Er teilte die Gruppe in zwei Wachen ein. Lal Singh wurde westlich des Lagers vor der Mündung der engeren Schlucht postiert, Achmed Schah bei der östlichen, von der her möglicherweise mehr Gefahr drohte. Gordon ließ sich dabei von der Überlegung leiten, dass Achmed Schahs Sinne noch ein wenig schärfer waren als die Lal Singhs (der ihm freilich in jeder Art von Zweikampf überlegen gewesen wäre). Die Wahrnehmungsfähigkeit eines jeden Wilden ist natürlicherweise empfindlicher als die eines zivilisierten Lebensumständen entstammenden Menschen, so sehr sie auch durch Übung entwickelt sein mag.

  Jeder Feind - sofern er sich von beiden Seiten des Cañons oder durch die kleinen Schluchten heranschleichen würde - musste zwangsläufig diese Posten passieren, deren Wachsamkeit Gordon schon oftmals in der Vergangenheit erprobt hatte. Später in der Nacht würden er und Yar Ali Khan ihre Plätze einnehmen.

  Die Dunkelheit schien nun wie dickflüssig aus Felsspalten und über die steilen Wände herab zu ihnen herunterzufließen. Weiß und kalt standen Sterne am Himmel. Über den Männern türmten sich die schaurigen Felswände, als wollten sie sie erdrücken. Gordon schlief mit dem Gedanken ein, welch grausame Szenen sie seit dem Beginn der Zeiten erlebt haben mochten und was für primitive, furchteinflößende Kreaturen durch dieses Tal gekrochen waren, ehe der Mensch auf erschienen war.

 

  Primitive Instinkte, die in gewöhnlichen Menschen verkümmern, werden durch ein Leben konstanter Gefährdung geschärft. Gordon erwachte auf der Stelle, als Yar Ali Khan ihn berührte, und noch ehe der Afridi sprach, wusste der Amerikaner, dass Gefahr in der Luft lag.

  Sofort war er auf einem Knie, die Pistole im Anschlag.

  »Was ist?«

  Yar Ali Khan duckte sich neben ihn; seine gewaltigen Schultern hoben sich schwach vom sternenübersäten Himmel ab. Die Augen des Afridi leuchteten matt wie die einer Katze im Dunkeln. Drüben am Fuß der Felswand hörte man leises Scharren, wenn sich eines der Pferde bewegte.

  »Gefahr, Sahib!«, zischte der Afridi. »Ganz nahe... Achmed Schah ist tot!«

  »Was?« 

  »Er liegt drüben am Eingang der Schlucht... Man hat ihm den Hals durchgeschnitten. Ich träumte, dass der Tod uns beschlich, als wir schliefen, und davon wachte ich auf. Ohne dich zu wecken, stahl ich mich zum Eingang der östlichen Schlucht, und da lag Achmed Schah in seinem Blut. Er muss vollkommen überrascht worden sein. Sehen konnte ich niemanden, und auch in der Schlucht, die finster wie der Eingang der Höhle war, war nichts zu erkennen. Dann eilte ich am Fuß der südlichen Felswand entlang zur westlichen Schlucht und fand auch dort niemanden! Ich sage die Wahrheit, Allah sei mein Zeuge. Achmed ist tot, und Lal Singh ist verschwunden. Die Teufel, die hier hausen, haben den einen umgebracht und den anderen entführt, ohne uns zu wecken - und wir schlafen so leicht wie Katzen. Nicht das leiseste Geräusch war aus der Schlucht zu hören, vor der der Sikh auf Posten gelegen hatte. Ich konnte nichts sehen, nichts hören; aber ich spürte, dass der Tod dort lauerte mit gierigen Augen und bluttriefenden Fingern. Sahib, welche Menschen hätten das fertiggebracht, Krieger wie den Sikh und Achmed Schah ohne das leiseste Geräusch zu bezwingen? Wahrlich, diese Schlucht ist die Schlucht der Geister!«

  Gordon antwortete nicht, sondern lauschte angestrengt in die Dunkelheit, während er das Erschreckende durchdachte, das hier geschehen war, An dem, was der Afridi berichtet hatte, hegte er keinen Zweifel. Er konnte dem Mann vertrauen wie seinen eigenen Ohren und Augen. Dass Yar Ali Khan imstande war, sich von seiner Seite wegzustehlen, ohne ihn zu wecken, überraschte ihn nicht. Der Afridi war einer der Männer, die es vermochten, aus von englischen Soldaten bewachten Zelten Gewehre zu stehlen. Aber dass Achmed Schah tot und Lal Singh ohne die Spur eines Kampfes verschwunden war, erschien ihm unglaublich. Es sah wirklich danach aus, als hätte ein Teufel seine Hände im Spiel.

  »Wer kann Dämonen bekämpfen, Sahib? Steigen wir auf und reiten wir...«

  »Horch!« 

  Von irgendwoher war ein leises Geräusch gekommen, als glitten bloße Füße über den Felsen. Gordon stand auf und starrte ins Dunkel. Schatten bewegten sich in der Finsternis! Gordon steckte seine Pistole ins Halfter zurück und zog das Krummschwert, das er in Khor umgeschnallt hatte. Das mussten die Leute sein, die Lal Singh entführt hatten. Yar Ali Khan hatte sein Khyber-Messer gepackt und duckte sich lauernd neben ihn, überzeugt, teuflischen Berggeistern gegenüberzustehen, doch bereit, den Kampf mit ihnen aufzunehmen, sofern Gordon es verlangte.

  Langsam kamen die Schatten auf sie zu, und Gordon und der Afridi wichen ein paar Schritte zurück, um, die Bergwand hinter sich, nicht eingekreist werden zu können.

  Dann, plötzlich, begann die Schatten zu huschen; bloße Fußsohlen trippelten über den felsigen Grund, Stahl schimmerte matt im fahlen Sternenlicht auf. Gordon vermochte im Dunkeln zu sehen wie eine Katze, und Yar Ali Khans Augen waren so scharf, wie man das nur bei den Menschen findet, die ihr ganzes Leben in der düsteren Finsternis der Berge verbracht haben. Trotzdem konnten sie die Angreifer nur undeutlich wahrnehmen - blitzschnell sich bewegende, bleiche Silhouetten, die jetzt auf sie eindrangen. Es war vor allem der lange geschulte Instinkt, der Gordons und Yar Ali Khans Bewegungen führte.

  Gordon tötete den ersten Mann, der in die Reichweite seines Schwertes kam; Yar Ali Khan, wie elektrisiert von der Erkenntnis, dass ihre Feinde doch Menschen und nicht Dämonen waren, brüllte auf und stürzte sich mit der Wildheit eines Wolfes in den Kampf. Sein fast hüfthohes Schwert war länger als die Klingen, die auf ihn einhackten, und seine Schneide schlug tiefe Wunden. Seite an Seite kämpfend und mit der Felswand im Rücken, waren die beiden Gefährten vor Angriffen von hinten oder den Flanken sicher. Stahl traf auf Stahl, und bläuliche Funken beleuchteten für Sekundenbruchteile bärtige, verzerrte Gesichter. Immer wieder ertönte ein dumpfes Geräusch, wenn scharfe Klingen Muskeln durchtrennten und auf Knochen trafen, und Männer, denen ein Schwertstreich die Kehle durchschnitten hatte, stürzten gurgelnd zu Boden. Alles ging so schnell, dass für Überlegungen gar keine Zeit blieb. Der Vorteil war auf Seiten der beiden Männer, die mit dem Rücken zur Wand standen. Sie konnten ebenso gut sehen wie ihre Angreifer, waren stärker und

schneller und wussten, dass sie nur Feinde treffen konnten, sobald sie zuschlugen. Gerade ihre Überzahl geriet den Feinden zum Nachteil; das Bewusstsein, im Dunkeln einen Freund statt des Gegners treffen zu können, musste ihrer Bewegungsfreiheit Fesseln anlegen.

  Gordon, der sich eben noch unter einer Säbelklinge geduckt hatte, ehe er überhaupt begriff, dass der Streich auf ihn zukam, war plötzlich verdutzt. Dreimal

war seine Waffe auf etwas gestoßen, das nachgiebig war und doch undurchdringlich. Diese Männer trugen Kettenhemden! Er zielte dorthin, wo ungeschützte Beine und Köpfe und Nacken sein mussten, und Männer verspritzten sterbend ihr Blut auf ihn.

  Dann brach der Ansturm ebenso rasch ab, wie er begonnen hatte. Die Angreifer wichen zurück und verschwanden wie Phantome im Dunkeln. Dieses Dunkel hatte sich inzwischen etwas gelichtet. Der östliche Rand des Cañons war von silbrigem Schimmer gesäumt, der den Aufgang des Mondes ankündigte. Wie ein hungriger Wolf setzte Yar Ali Khan den fliehenden, schattenhaften Gestalten nach. Er stolperte über eine Leiche, stach wild darauf ein, bevor er begriff, dass der Mann tot war. Dann packte ihn Gordon am Arm und hielt ihn zurück. Yar Ali Khan hätte den bärenstarken Amerikaner fast von den Beinen gerissen, als er, schwer atmend, weiter den Feinden nachsetzen wollte.

  »Halt, du Idiot! Möchtest du denen vielleicht in die Falle gehen? Lass sie laufen!«

  Yar Ali Khans berserkerhafte Wut wich animalischer Sinnesanspannung, Zusammen schlichen sie vorsichtig den Schatten nach, die in der Mündung der östlichen Schlucht verschwanden. Dort angekommen, hielten die Verfolger inne und spähten aufmerksam in die dunkle Tiefe. Sie zuckten zusammen, als irgendwo

weiter unten ein losgetretener Stein über die Felsen hüpfte.

  »Die Hunde sind immer noch auf der Flucht«, murmelte Yar Ali Khan. »Sollen wir ihnen folgen?«

  Er hatte die Frage nicht mit voller Überzeugung gestellt, und Gordon schüttelte nur den Kopf. Nicht einmal er wagte sich in diese dunkle Mündung hinein, wo sie auf Schritt und Tritt in einen tödlichen Hinterhalt geraten konnten. Sie gingen zum Lager zurück, wo die vom Blutgeruch verängstigten Pferde unruhig an ihren Stricken zerrten.

  »Wenn der Mond hoch genug steht«, sagte Yar Ali Khan, »werden sie uns von der Schlucht aus abschießen.«

  »Das ist ein Risiko, das wir in Kauf nehmen müssen«, knurrte Gordon. »Vielleicht sind sie gar keine so guten Schützen.«

  Im Schein seiner Taschenlampe inspizierte Gordon die vier Toten, die die Angreifer zurückgelassen hatten. Der schmale Lichtstrahl ging von Gesicht zu Gesicht, und Yar Ali Khan, der ihm über die Schulter blickte, fluchte: »Teufelsanbeter, beim Barte Allahs! Yezidees! Söhne von Melek Taus!«

  »Kein Wunder, dass sie sich wie Höllenkatzen durch das Dunkel stehlen konnten«, murmelte Gordon. Er wusste, wie geschmeidig und lautlos sich die Anhänger jenes alten, schrecklichen Kultes zu bewegen vermochten, der auf dem verfluchten Berg Lalisch den aus Messing geformten Pfau verehrte.

  Yar Ali Khan machte eine Geste, welche die Dämonen, die zweifellos überall lauerten, verscheuchen sollte, und die den Menschen, die mit ihnen verschworen waren, den Tod bringen sollte.

  »Lass sie, Sahib. Du solltest dieses Aas nicht berühren. Kein Wunder, dass sie wie der Dschinn in der Stille rauben und morden konnten. Sie sind Kinder der Finsternis und haben die Eigenschaften der Elemente, die ihnen das Leben gaben.«

  »Aber was wollen sie hier?«, überlegte Gordon. »Ihre Heimat ist Syrien - in der Gegend des Berges Lalisch. Dort befindet sich der letzte Zufluchtsort ihrer Rasse, an den sie sich vor Christen wie vor Moslems zurückziehen mussten. Ein Mongole aus der Wüste Gobi und Teufelsanbeter aus Syrien. Wie hängt das zusammen?«

  Er packte den groben, wollenen Khalat einer der Leichen, ohne auf Yar Ali Khans Einwände zu achten.

  »Dieses Fleisch ist verflucht«, schimpfte der Afridi. Sein von Blut triefendes Messer und das purpurrote Rinnsal, das ihm aus der Wunde eines ausgeschlagenen

Zahnes über den Bart lief, verlieh ihm ein gespenstisches Aussehen. »So etwas schickt sich nicht für einen Sahib wie dich. Wenn es getan werden muss, dann lass

mich...«

  »Ha! Genau, wie ich dachte!«

  Der Lichtkegel seiner Lampe verweilte auf der Brust des Toten. Dunkelrot leuchtete ihm auf dem Hemd das Zeichen einer Hand entgegen, die einen Dolch mit drei Klingen umfasste.

  »Wallah!« Yar Ali Khan unterdrückte seine Skrupel und riss die Khalats von den anderen drei Leichen. Jeder trug auf der Brust die Faust mit dem Dolch.

  »Sind Mongolen Mohammedaner, Sahib?«, fragte er.

  »Teilweise. Der Mann in Baber Khans Hütte war allerdings keiner. Seine Eckzähne waren spitz zugefeilt. Er war ein Verehrer von Erlik, dem Gelben Gott des Todes. Wahrscheinlich ein Priester. Kannibalismus ist Bestandteil einiger ihrer Rituale.«

  »Der Mann, der den türkischen Sultan tötete, war ein Kurde«, sagte Yar Ali Khan nachdenklich. »Auch manche Kurden verehren insgeheim Melek Taus. Aber es war ein Araber, der den Schah von Persien umbrachte, und ein Moslem aus Delhi schoss auf den Vizekönig. Was hätten echte Mohammedaner in einem Bund zu schaffen, dem auch ein Mongole und Teufelsanbeter angehören?«

  »Um das herauszufinden, sind wir ja hier«, antwortete Gordon und knipste seine Taschenlampe aus.

  Als sich der Mond fahl und gespenstisch über den Cañon erhob, kauerten sie sich lautlos im Schutz der Felswand nieder. Nicht das leiseste Geräusch durchbrach die lastende Stille.

  Schließlich stand Yar Ali Khan auf und trat langsam in das Mondlicht hinaus - ein leichtes Ziel für jemand, der in der Mündung der kleinen Schlucht hätte lauern können. Aber es kam kein Schuss.

  »Was nun?«

  Gordon deutete auf dunkle Flecken auf dem felsigen Boden, die das Mondlicht jetzt sichtbar gemacht hatte.

  »Sie haben eine Spur hinterlassen, der ein Kind folgen könnte.«