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Sabine Kubisch

Das Alte Ägypten

Von 4000 bis 30 v. Chr.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Alle Rechte vorbehalten

© by marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2017
Lektorat: Stefan Gücklhorn

Covergestaltung: Karina Bertagnolli, Wiesbaden

Bildnachweis: Darstellung der Götter Isis und Horus in einem thebanischen
Beamtengrab des Neuen Reiches (TT 265), © Eva Hofmann, Heidelberg
Der Titel wurde in der Palatino Linotype gesetzt.

Gesamtherstellung: CPI books GmbH, Leck – Germany

eISBN: 978-3-8438-0558-2

www.verlagshaus-roemerweg.de

INHALT

VORWORT

I. EINLEITUNG

Geographische Voraussetzungen

Das Klima am Nil

Die jährliche Nilüberschwemmung

Das ägyptische Zeitverständnis und Geschichtsschreibung

Relative Chronologie

Annalenstein der 5. Dynastie

Turiner Königspapyrus

Die Königslisten von Abydos, Karnak und Saqqara

Manetho von Sebennytos

Griechische Historiker

Absolute Chronologie und Datierungsmethoden

Der Sonnenkalender und das Sothis-Datum

Mondkalender

II. PROLOG – DIE VORGESCHICHTE

Die ältesten Zeugnisse des Menschen im Niltal

Das Neolithikum in der Sahara

Neolithische Kulturen in Ägypten im Detail

Maadi und Badari in Unterägypten

Naqada in Oberägypten

Das »Grab U-j« in Umm el-Qaab

Frühe Schrift

Hierakonpolis

Töpferwerkstätten und die Brauerei

Das sogenannte ›Fort‹ von Hierakonpolis

Der Elitefriedhof

Das bemalte Grab von Hierakonpolis

Der Tempel mit dem Main Deposit

III. FRÜHZEIT (0.–2. DYNASTIE) – EIN STAAT ENTSTEHT

Das Prinzip des Dualismus im Alten Ägypten

Die ägyptischen Schöpfungslegenden

Die Reichseinigung

Die Prunkpalette des Narmer

Ein Staat entsteht

Die Thinitenzeit

Der Königsfriedhof von Abydos

Die 2. Dynastie

Die Königstitulatur

Deutung des nesu-bit-Titels

IV. ALTES REICH (3.–6. DYNASTIE) – ZEIT DER PYRAMIDEN

Die 3. Dynastie

Der Grabgedanke im Alten Ägypten

Private Grabanlagen im Alten Reich

Der Weg zur Stufenpyramide

Der Pyramidenbezirk des Djoser

Der Baumeister Imhotep

Die großen Pyramiden der 4. Dynastie

Aufbau eines Pyramidenbezirkes im Alten Reich

Die drei Pyramiden des Snofru

Die Pyramiden auf dem Plateau von Gisa

Privatfriedhöfe in Gisa

Das Ende der Ära der großen Pyramiden

Die »Sonnenkönige« der 5. Dynastie

Die Sonnenheiligtümer der 5. Dynastie

Das Konvolut der Abusir-Papyri

Die Pyramidentexte und die Vorstellungen von Tod und Jenseits im Alten Reich

Das Ende des Alten Reiches – die 6. Dynastie

Was ist eine altägyptische Biographie?

Die privaten Grabanlagen

Wirtschaftsprinzipien im Alten Ägypten

V. DIE ERSTE ZWISCHENZEIT (7.–10. DYNASTIE) – DAS LAND ZERFÄLLT

Rekonstruktion der historischen Abläufe

Die Quellen

Der Weg zur neuen Blütezeit

VI. DAS MITTLERE REICH – BLÜTEZEIT FÜR KUNST UND WISSENSCHAFT

Literatur und Politik

Amenemhet I. – ein Wesir wird Pharao

Die Frage der Koregentschaft

Die Geschichte des Sinuhe

Aufschwung unter Sesostris I.

Die Insel Elephantine

Stabilität unter Amenemhet II.

Sesostris II.

Privatgräber im Mittleren Reich

Expansion unter Sesostris III.

Die Rolle Nubiens

Die Porträts Sesostris’ III.

Amenemhet III.

Das Ende des Mittleren Reiches

VII. DIE ZWEITE ZWISCHENZEIT (13.–17. DYNASTIE)

Die Teilung Ägyptens in der 13. Dynastie

Die Fremdherrschaft der Hyksos

Tell el-Dab’a – Avaris, die Hyksoshauptstadt

Die Hyksosherrscher

Die Könige Oberägyptens

Die Nekropole der 2. Zwischenzeit

Die Vertreibung der Hyksos

Die Kamose-Stelen

Die endgültige Rückeroberung Ägyptens

VIII. NEUES REICH (18.–20. DYNASTIE) – ›IMPERIUM‹ ÄGYPTEN

Ein Trauma wird verarbeitet

Neuordnung des Landes

Blütezeit für Wissenschaft und Kultur

Totenbuch und Unterweltsbücher

Der Papyrus Ebers und die altägyptische Medizin

Ägypten expandiert

Das Tal der Könige

Thutmosis II.

Die Pharaonin Hatschepsut

Senenmut

Ägypten wird zur Großmacht

Der Wesir und seine Verpflichtungen

Amenophis II. und Thutmosis IV.

Die Voramarna-Zeit – Amenophis III.

Die Gemahlin Teje

Die Amarnakorrespondenz

Privatgräber im Tal der Könige

Amenophis, Sohn des Hapu

Die Amarna-Zeit

Amenophis IV. besteigt den Thron

Die neue Stadt

Die Religion des Echnaton

Das Ende der Amarna-Zeit und die Zeit der Restauration

Der Beginn der Zeit der Ramessiden

Der große König Ramses II.

Ramses und die Hethiter

Religion der Ramessiden – Amun als Nothelfer

Das Ende der 19. Dynastie

Die Seevölker

»Affären und Skandale« in der 20. Dynastie

Die letzten Ramessiden auf dem Weg zur Gottesherrschaft

IX. DIE DRITTE ZWISCHENZEIT (21.–24. DYNASTIE)

Der thebanische Gottesstaat

Die Herrschaft der Libyer

Tanis – »Theben des Nordens«

Die Gottesgemahlin des Amun

Nubien übernimmt das Ruder (25. Dynastie)

X. ÄGYPTISCHE RENAISSANCE – DIE SAITENZEIT (26. DYNASTIE)

Die Spätzeit – eine Renaissance

Das Ende der Spätzeit

XI. DIE PERSERHERRSCHAFT (27.–31. DYNASTIE)

Ägypten als persische Satrapie

Der Arzt und Flottenkommandeur Udjahorresnet

Dareios I.

Xerxes I. – ein Despot?

Der Aufstand des Inaros und die ägyptische Unabhängigkeit

Die zweite Perserherrschaft

Alexander der Große siegt über die Perser

XIII. DAS PTOLEMÄISCHE ÄGYPTEN UND DAS ENDE DES PHARAONENREICHES

Aufstieg der Ptolemäerdynastie

Der Satrap Ptolemaios

Innerägyptischer Widerstand unter Ptolemaios IV. und V.

Thronwirren (Ptolemaios VI.–Ptolemaios XI.)

Das Ende der Ptolemäerzeit (Ptolemaios XII.–Kleopatra VII.)

Die Priesterfamilie des Psenptah

ANHANG

Zeittafel

Literaturauswahl

Bildnachweis

Vorwort

In diesem Buch wird ein Überblick über die Geschichte des Alten Ägypten gegeben, indem die Zeit von der Entstehung des ägyptischen Staates bis zum Tod der letzten ptolemäischen Königin Kleopatra VII. betrachtet wird. Nach dem Tod Kleopatras war Ägypten kein eigenständiges Königreich mehr, sondern römische Provinz, aus diesem Grund wurde an dieser Stelle der Schlusspunkt gesetzt. Die Frage nach dem Ende der pharaonischen Hochkultur ist jedoch letztlich Auslegungssache, man kann dieses Ende ohne Zweifel früher oder auch später ansetzen.

Die Quellen, die für die Rekonstruktion der Geschichte des Alten Ägypten zur Verfügung stehen, sind in ihrer Aussagekraft und ihrem Charakter unterschiedlich und darüber hinaus lokal und chronologisch ungleich verteilt. Aus manchen Epochen existieren zahlreiche Textquellen, in anderen ist man auf die archäologischen Befunde und ihre Interpretation angewiesen. Beides ist in gewisser Hinsicht subjektiv und nur bedingt verlässlich.

Zu vielen historischen Fragen über das Alte Ägypten gibt es auch heute noch kontroverse Forschungsmeinungen, manche Probleme werden sich vielleicht nie lösen lassen. Generell nimmt der Umfang der Textquellen im Laufe der Geschichte zu. Waren die Informationen aus der ägyptischen Frühzeit und dem Alten Reich noch sehr spärlich, so verfügen wir in der Ptolemäerzeit über eine Flut an Überlieferungen, die allerdings teilweise widersprüchliche Fakten liefern. Das gleiche Ereignis konnte von verschiedenen Autoren jeweils unterschiedlich dargestellt werden, je nachdem welche Intention dahintersteckte. Die königlichen Inschriften der pharaonischen Zeit dienten in der Regel dazu, den Pharao als erfolgreichen Herrscher zu repräsentieren und in ein positives Licht zu rücken. Dies war ihr Hauptzweck, und nicht eine objektive Berichterstattung. Die dokumentarischen Texte sind in dieser Hinsicht weniger beeinflusst, bieten aber vor allem Einblicke in die Verwaltungsstrukturen, weniger in die historischen Zusammenhänge. Die privaten biographischen Texte wurden ebenfalls aus bestimmten Gründen geschrieben, die sich auf ihren Grundtenor auswirkten, und so ist bei der Bewertung der Textquellen immer auch ihr jeweiliger Zweck in Rechnung zu stellen. Unter diesen Bedingungen steht aber für das Alte Ägypten dennoch ein breites Spektrum an materiellen und textlichen Quellen zur Verfügung, anhand derer sich die Geschichte rekonstruieren lässt.

Wenn es möglich war, habe ich die historischen Abläufe mit Auszügen aus relevanten Primärquellen untermauert. Der größte Teil dieser Quellen kann in den zitierten Textsammlungen, wie z. B. Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Urkunden oder Ramesside Inscriptions, nachgelesen werden. Die verwendeten Übersetzungen basieren ebenfalls auf diesen Anthologien.

Die angegebenen Jahreszahlen richten sich nach der aktuellsten Arbeit zur Chronologie (Hornung, Warburton, Kraus (Hgg.), Ancient Egyptian Chronology, New York 2005), auf diesem Gebiet gibt es allerdings weiterhin offene Fragen.

Die inhaltlichen Schwerpunkte, die ich in diesem Band gesetzt habe, sind sicherlich subjektiv gewählt, es sollte sich dennoch ein repräsentatives Bild der pharaonischen Geschichte abzeichnen.

I. Einleitung

Im Zuge der Entzifferung der Hieroglyphen im 19. Jahrhundert wurden viele große ägyptologische Rätsel gelöst, was eine große Begeisterung für die Auseinandersetzung mit der Kultur und Geschichte auf wissenschaftlicher Ebene entfachte. Seitdem hat das Alte Ägypten nichts von seiner enormen Faszination verloren, mit der es schon die Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts beeindruckte.

Aufgrund der sehr komplexen und langen Geschichte kann in diesem Buch nur ein Abriss der historischen Abläufe und somit ein Einstieg in die einzelnen Aspekte von Kultur und Politik, Kunst und Religion geboten werden. Ägypten steht für viele Errungenschaften, die die kulturelle Entwicklung der Menschheit entscheidend vorangebracht haben, z. B. die Erfindung der ägyptischen Schrift, der Kalender, die monumentale Architektur und nicht zuletzt das komplizierte und vielschichtige Verwaltungssystem.

Mit der Entwicklung des Schriftsystems wurde den Menschen im Alten Ägypten die Überlieferung historischer Ereignisse möglich – damit trat Ägypten aus dem diffusen Licht der Prähistorie heraus. Es beginnt die Zählung der 31 Dynastien, in die die ägyptische Geschichte eingeteilt ist.

Die Basis für all diese Errungenschaften und kulturellen Meilensteine war der Nil – ohne ihn und ohne die spezifischen geographischen und klimatischen Bedingungen hätte sich Ägypten sicherlich nicht in der uns bekannten Art und Weise entwickelt. Damals noch mehr als heute bestimmte der Nil das Leben der Menschen in Ägypten.

Geographische Voraussetzungen

Dies ist also die Gestalt dieses Landes. Von Heliopolis bis Theben fährt man neun Tage stromaufwärts. (Herodot II, 9)

Mit mehr als 6500 km Länge ist der Nil der längste Fluss der Welt, und man kann ihn ohne Übertreibung als Lebensader Ägyptens bezeichnen. Der Weiße Nil entspringt inmitten der Seen in Äquatorialafrika, im Sudan fließt bei Khartum der Blaue Nil hinzu. Im Norden Ägyptens mündet der Strom in Form eines Deltas ins Mittelmeer. Auf dem Weg durch Afrika trifft der Fluss auf sechs steinerne Schwellen, die sogenannten Katarakte. Sie bildeten jeweils eine natürliche Grenze durch ihre eingeschränkte und teilweise gänzlich unmögliche Schiffbarkeit. Dass man die Kataraktgegenden teilweise auch zu Fuß bewältigte und die Schiffe über Land wieder in besser schiffbares Gewässer transportierte, beweisen z. B. entsprechende Schleifspuren bei der Festung Mirgissa am zweiten Katarakt. Bei Grabungen der UNESCO in den 1960er-Jahren wurden Reste einer Schlammbahn entdeckt, die parallel zum Nil verlief und die eine Strecke von zwei bis vier Kilometern umging, auf der die Schifffahrt bestenfalls bei Hochwasser möglich, aber immer noch sehr riskant war. Auf dieser Gleitbahn wurden die Schiffe über Land an den Stromschnellen vorbeigezogen.

Der erste, nördlichste Katarakt bei Assuan ist eine große Granitbarriere, die schon im Alten Reich die natürliche Südgrenze Ägyptens bildete und seitdem durch Grenzfestungen und -posten gesichert war. Die Region des zweiten Kataraktes in der Nähe des Wadi Halfa gelangte im Mittleren Reich unter ägyptische Herrschaft und wurde ebenfalls durch eine Reihe von Grenzposten befestigt. Der dritte und vierte Katarakt liegen südlich der Stadt Nuri und nördlich der nubischen Residenz Kerma, nach der die Kerma-Kultur benannt wurde. Bis dorthin expandierte Ägypten erst im Neuen Reich und sicherte diese Region durch Festungen. Der fünfte und sechste Katarakt waren für das Alte Ägypten ohne Bedeutung und vielleicht noch nicht einmal bekannt.

Vom ersten Katarakt an war das Gefälle des Nil gering, sodass der Fluss seinen Weg gemächlich nehmen konnte und die Bedingungen in Ägypten für den Ackerbau sehr günstig waren. Das bewohn- und kultivierbare Land blieb dennoch auf das schmale Niltal beschränkt, der Rest des Landes war wenig fruchtbar. Der Rest, ca. 96 % des Landes, bestehen aus Wüsten, die eine Seite des Nil mit der Libyschen oder Westwüste, auf der anderen Seite erstreckt sich bis zum Roten Meer die Arabische oder Ostwüste.

Entlang der Küste des Roten Meeres zieht sich ein bis zu 2000 m hoher Gebirgszug, der weitgehend aus harten und kristallinen Gesteinen, wie z. B. Granit, Diorit, Gneis und Schiefer, besteht. Die Abhänge im Osten und Westen dieser Gebirgskette bilden Hochebenen aus Sand- oder anderem, weicheren Sedimentgestein, in die sich tiefe Täler, die sogenannten Wadis, eingegraben haben. Einige dieser Wadis der Ostwüste waren windgeschützt, zudem war das Klima damals ohnehin etwas regenreicher, sodass es in diesen eher steppen- als wüstenartigen Tälern auch Wasser und Pflanzenbewuchs gab. Diese geschützteren Wadis wurden im Alten Ägypten als Handels- und Expeditionsrouten in die Gebirge zur Steingewinnung und als direkte Verbindung zum Roten Meer genutzt.

Die Westwüste zeigt ein ganz anderes Bild. Sie besteht aus einem gewaltigen Kalksteinmassiv, völlig ohne Wasser und Vegetation. Dort finden wir keine Wadis, stattdessen einige Oasen in den Einschnitten am Südabhang der Hochebene. Die bedeutendsten und größten Oasen im Süden sind Dachla, Charga und Farafra. Die Oase Bahrija liegt weiter im Norden in einer Senke auf dem Plateau, während die vor allem in der Alexanderzeit bedeutende Oase Siwa weiter im Norden der Hochebene zu finden ist. Die wichtigste und größte Oase Fayum liegt im Osten der Libyschen Wüste, nur ca. 90 km südwestlich von Kairo. Ihre Größe, ihre fruchtbaren Ackerflächen und auch die Nähe zum Niltal machen ihre Bedeutung aus – alle anderen Oasen spielten durch ihre eher isolierte Lage nur eine untergeordnete Rolle in der pharaonischen Kultur. Im Fayum-Becken gibt es schon Siedlungsspuren aus dem Neolithikum, während Siwa offenbar erst ab der 26. Dynastie wahrgenommen wurde. Die fruchtbaren und landwirtschaftlich nutzbaren Flächen liegen im Delta sowie rechts und links des Nilufers. Die Wüste wurde im Ägyptischen Ta Descheret – das »Rote Land« genannt, das Fruchtland hieß Kemet – das »Schwarze Land«. Die Grenze zwischen beiden ist manchmal so scharf, dass sie wie mit dem Lineal gezogen wirkt. Gelegentlich ist das Niltal nur wenige Kilometer schmal. Im Norden, in Richtung des Mittelmeers wird das Gefälle des Nils immer flacher, bis er in einem Delta am Mittelmeer mündet. In alter Zeit teilte sich der Nil aber laut Herodot (Hdt. II 17, 3–6) in fünf Arme, laut Strabon (Strab. XVII 1, 18 (C 801)) sogar in sieben. Die Abweichung ist damit zu erklären, dass das Delta sich durch die jährliche Nilflut permanent veränderte, zumal zwischen Strabon und Herodot ein Zeitraum von ca. 400 Jahren liegt. Schon in der Antike begannen die Kanäle zu verlanden, und seit der islamischen Zeit bis heute gibt es nur noch die beiden Hauptarme bei Rosette und Damietta.

Das Klima am Nil

Die Ägypter sind sonst nach den Libyern die gesündesten Menschen. Das liegt meiner Meinung nach am Klima, da die Jahreszeiten nicht wechseln. (Herodot II, 77)

In dieser Hinsicht gibt es erhebliche Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden des Landes. Im Delta und in Unterägypten herrschte ein eher gemäßigtes, vom Mittelmeer beeinflusstes Klima, auch im Sommer gab es keine extrem hohen Temperaturen. Es regnete zwar gelegentlich, für eine ertragreiche Landwirtschaft reichten diese Niederschläge jedoch nicht aus.

Oberägypten, also der Süden Ägyptens, gehört klimatisch schon zur Sahara, zur Klimazone des Wüstenklimas. Es herrscht oft über Monate hinweg große Hitze und Trockenheit, Niederschläge gibt es praktisch keine. Zum Vergleich seien hier einige Zahlen genannt: in Mitteleuropa gibt es durchschnittlich 750 mm Regen pro Jahr, in Alexandria am Mittelmeer sind es 190 mm pro Jahr, in Kairo nur noch 24 mm und in Luxor zu vernachlässigende 2 mm. Gelegentlich kommt es zwar auch im Süden zu wolkenbruchartigen Regengüssen, diese richten allerdings mehr Schaden an, als dass sie Einfluss auf den Wasserhaushalt hätten. Solche Wolkenbrüche füllen in kurzer Zeit die ausgetrockneten Flussbetten, das Wasser sammelt sich dort und schießt mit immenser Geschwindigkeit durch die Wadis aus den Bergen herunter. Dabei kann es große Zerstörungen anrichten, so wie z. B. im Jahre 1995 in Luxor. Die Schäden an den Lehmziegelhäusern waren noch Jahre nach dem Regenguss sichtbar, und auch die Monumente wurden durch die Wucht der Wassermassen stark beschädigt. Darüber hinaus sind die mitgeführten und abgelagerten Sandmassen zu salzhaltig, um einen nahrhaften Boden abzugeben, und nicht zuletzt verdunstet das Wasser ziemlich schnell wieder.

Die klimatischen Unterschiede zeigen sich auch angesichts der durchschnittlichen Jahrestemperatur: In Alexandria am Mittelmeer beträgt sie ca. 20°C, in Assuan an der nubischen Grenze etwa 25°C. Allerdings können die täglichen Temperaturunterschiede an einem Ort durchaus beträchtlich sein, ebenso wie die Differenz zwischen den Werten im Januar oder im Juli. Nachtfrost im Winter ist in der Wüste durchaus keine Seltenheit, auch wenn die Temperatur tagsüber bis weit über 20°C steigt.

In Ägypten lassen sich drei Vegetationszonen nachweisen, die mediterranen Küstengebiete, die Wüsten und das Niltal. Das Niltal war reich an üppiger Ufervegetation und an Wasserpflanzen. Es prägte die ägyptischen Vorstellungen von Fruchtbarkeit und Wiedergeburt nachhaltig, vor allem im radikalen Kontrast zur benachbarten Wüste. Das Klima war zu Beginn der ägyptischen Geschichte noch um einiges feuchter als jetzt, sodass an den Ufern des Nil in großflächigen und dicht bewachsenen Sumpfdickichten Papyrusstauden und Lotospflanzen wuchsen, die das Landschaftsbild maßgeblich bestimmten. Heute ist der Papyrus fast aus dem Erscheinungsbild der Flusslandschaft verschwunden, zum einen durch Raubbau für die Papierherstellung, zum anderen durch massive Veränderungen des Flusslaufes.

Im Delta waren weitaus größere bebaubare Ackerflächen zu finden als im Niltal. Unterägypten wurde bestimmt durch das weitläufige, von mehreren Flussläufen durchzogene und sehr fruchtbare Mündungsgebiet des Nil und die Küstengebiete am Mittelmeer. Die Gegend war von gemäßigtem Mittelmeerklima beherrscht und verfügte über weite Grasflächen als Viehweiden, über Äcker für die Nahrungsversorgung und über Papyrussümpfeals Lebensräume für viele Tiere. Damit war Unterägypten wirtschaftlich gesehen von kaum zu überschätzender Bedeutung und durch das angenehme Klima dicht besiedelt. Im Delta sind einige bedeutende Zentren der pharaonischen Geschichte zu finden, wie z. B. Buto, die Hauptstadt der Hyksos, Avaris oder die Ramsesstadt Piramesse. Die Erforschung dieser Siedlungen gestaltet sich jedoch schwierig, da der Grundwasserspiegel heute sehr viel höher liegt als in der Antike.

Die Gebiete östlich und westlich des Nils, die heute Wüsten sind, hatten in der Antike noch Savannencharakter und ließen die entsprechende Flora und Fauna erkennen. Der große Artenreichtum der dort lebenden Tiere, wie z. B. Nashörner, Elefanten, Giraffen und Löwen wurde allerdings im Laufe der Zeit durch die zunehmende Trockenheit und die Eingriffe des Menschen mehr und mehr dezimiert.

Die jährliche Nilüberschwemmung

Freilich ernten die Ägypter den Ertrag ihres Bodens heute recht mühelos wie kaum andere Menschen und die übrigen Ägypter. Sie haben es nicht nötig, mühevoll mit dem Pfluge Furchen zu ziehen, den Boden zu hacken oder sonst Feldarbeiten zu tun, womit sich andere auf dem Acker plagen. Der Strom kommt von selbst, bewässert die Äcker und fließt dann wieder ab. (Herodot II, 14)

Aufgrund der geringfügigen Niederschläge waren die Menschen in Ägypten vom Nil und seiner jährlichen Überschwemmung abhängig. Schon in der mittleren Altsteinzeit (ca. 90 000 bis 35 000 v. Chr.) gab es die Nilflut oder auch Nilschwemme, die seit dem Bau des Hochdammes bei Assuan von 1960–1971 allerdings blockiert ist.

Durch den jährlichen Monsunregen in den Tropen und in den äthiopischen Hochebenen im Sommer trat der Nil über seine Ufer und überschwemmte die tieferliegenden Felder. Es bildeten sich natürliche Bassins, in denen das Wasser stehenblieb und nach und nach vom Boden aufgenommen wurde. Durch die gewaltigen Regenfälle in Äthiopien wurden große Mengen der Sedimente talabwärts in die Flüsse geschwemmt. Diese konnten aufgrund ihrer sehr feinen Konsistenz über viele Kilometer vom Fluss transportiert werden. Die feinen Teilchen enthielten mineralische Nährstoffe und bildeten den fruchtbaren Nilschlamm. Er lagerte sich als natürlicher Dünger in flachen Becken und am Ufer ab. Damit wurde in der Regel, wenn die Überschwemmung hoch genug war, eine ausreichende Ernte gewährleistet, es konnte sogar teilweise ein erheblicher Überschuss erwirtschaftet werden. Da die alten Ägypter für fast alle Situationen im Leben einen Gott besaßen und der Nil eines der bedeutendsten Elemente in ihrer Kultur war, verwundert es natürlich keineswegs, dass auch der Nil in einer Gottheit personifiziert wurde. Dies war der Gott Hapi, er wurde in menschlicher Gestalt mit androgynen Eigenschaften dargestellt. Er hielt meist Pflanzen und Fische, also die Gaben des Flusses, auf einer Opfertafel vor sich. Auf dem Kopf trug er Papyruspflanzen, weiterhin wurde die Fruchtbarkeit des Nil mit einer weiblichen Brust, mit der der ansonsten männliche Gott dargestellt wurde, und durch Fettleibigkeit versinnbildlicht.

Nach dem Zyklus der Nilüberschwemmung teilten die Ägypter das Jahr in drei Jahreszeiten ein – es begann mit der Jahreszeit der Überschwemmung (Achet), setzte sich mit der Zeit der Aussaat und des Aufgehens der Saat (Peret) fort, und endete mit der Zeit der Hitze (Schemu) und der Ernte. Der Neujahrstag war der Tag, an dem üblicherweise die Nilüberschwemmung einsetzte – ein für jeden Ägypter lebenswichtiges Datum. Die Nilflut begann üblicherweise genau dann, wenn am Himmel kurz vor Sonnenaufgang das erste Mal nach mehreren Wochen wieder der Fixstern Sirius, der in Ägypten Sopdet und in gräzisierter Form Sothis genannt wurde, sichtbar wurde. Dieses astronomische Ereignis wurde daher genau beobachtet und dokumentiert und ist für die Chronologie Ägyptens von besonderer Bedeutung.

Das ägyptische Zeitverständnis und Geschichtsschreibung

Als erste unter den Menschen haben die Ägypter das Jahr erfunden und es in zwölf Monate aufgeteilt. Sie erzählen, die Sterne hätten sie auf diese Einteilung gebracht. (Herodot II, 4)

Für die Geschichte einer Kultur ist ihre Chronologie der wichtigste Stützpfeiler. Bei der Rekonstruktion der historischen Abläufe unterscheidet man die relative und die absolute Chronologie. Die relative Chronologie beschäftigt sich mit der Abfolge von historischen Ereignissen und ihrer Dauer, Regierungszeiten sowie der Abfolge von archäologischen Fundstücken. Es ist zunächst nicht relevant, wann genau ein Ereignis stattgefunden oder ein König regiert hat, sondern ob dieses Ereignis vor oder nach einem anderen einzuordnen ist, bzw. unter welchem Herrscher dies passierte. Mit den genauen Jahreszahlen dieser Ereignisse, den Möglichkeiten ihrer Rekonstruktion und ihren Schwierigkeiten beschäftigt sich die absolute Chronologie.

Für das Verständnis einer antiken Kultur ist es elementar, eine Vorstellung ihres Zeitbegriffs zu bekommen. Der ägyptische Zeithorizont ist sehr weit. Die Totentempel heißen Millionenjahrhäuser, der Pharao wünscht, nach einer Lebenszeit von einer Million Sed-Festen1 bestattet zu werden, und in einem Hymnus an den Sonnengott Re heißt es: »Mögest du dem König Millionen Sedfeste geben, viele und große.«2 Anchtifi – ein Fürst der 1. Zwischenzeit – blickt hoffnungsvoll in eine Zukunft von Millionen von Jahren. In der Ramessidenzeit steigert sich diese Vorstellung noch einmal, d. h. der Pharao wünscht, »Millionen von Millionen an Jahren auf Erden« zu verbringen.

Das heißt, der ägyptische Begriff von der Zeit beinhaltete vor allem die Ewigkeit. Es gibt zwei verschiedene Begriffe dafür – djet und neheh. Sehr deutlich wird die ägyptische Zeitvorstellung vor allem im Totenbuchspruch 62, in dem diese beiden Begriffe ebenfalls vorkommen: »… Mir ist Zeit ohne Grenze gegeben, denn ich bin ja der Erbe der Ewigkeit (neheh), dem Ewigkeit (djet) gegeben ist.«3 Auch bei dem Blick in die Vergangenheit war der Ägypter auf Unendlichkeit aus – die Quellen geben gerade für die frühen Epochen der ägyptischen Geschichte völlig unrealistische Zeiträume an. Später in diesem Kapitel wird es um den Turiner Königspapyrus gehen, in dem z. B. für die Zeit vor dem Beginn der ägyptischen Geschichte, also vor der 1. Dynastie und seinem legendären Gründer Menes, ein Zeitraum von ca. 37 000 Jahren angegeben wird. Herodot schreibt, ihm sei von den ägyptischen Priestern berichtet worden, die Linie der Vorfahren bestehe aus 341 Generationen, das wären immerhin noch mehr als 10 000 Jahre.

Dies macht die Rekonstruktion der Geschichte nicht leichter. Die alten Ägypter hatten offensichtlich einen ganz anderen, nicht historisierenden Umgang mit der Zeit, den es zu verstehen gilt und der bei der Auswertung der Quellen beachtet werden muss. Die alten Ägypter selbst datierten in der Regel nach den Regierungsjahren der jeweiligen Herrscher, mit der Thronbesteigung eines neuen Pharao begann die Zählung der Jahre von neuem. Der Träger der Geschichte war immer der König. Seine Taten wurden glorifiziert, von einer abstrahierten Überlieferung der Ereignisse im Sinne einer Historiographie kann nicht die Rede sein. In den Inschriften ging es immer eher um Kult und Religion bzw. um Politik und Repräsentation als um die historische Wahrheit.

Was die Abfolge der ägyptischen Pharaonen und die relative Chronologie angeht, blicken wir auf ein recht stabiles Gerüst. Problematisch wird es dann, wenn zwei Könige gleichzeitig regierten, da eine solche Koregentschaft in der Titulatur und in der Datierung nicht zwangsläufig kenntlich gemacht wurde. Außerdem gilt es zu beachten, dass das jüngste Datum eines Königs, das wir kennen, nicht unbedingt das letzte sein muss.

Die ägyptische Geschichte wird in der modernen Ägyptologie in mehrere Haupt- und Zwischenepochen gegliedert, denen auch dieses Buch folgt. Die drei Hauptepochen Altes, Mittleres und Neues Reich werden jeweils gefolgt von der 1., 2. und 3. Zwischenzeit, auf die 3. Zwischenzeit folgen die Spätzeit, dann die Perserzeit und schließlich die griechisch-römische Epoche des hellenistischen und kaiserzeitlichen Ägypten. Darüber hinaus wird die Geschichte der Pharaonen in 31 Dynastien eingeteilt – im Unterschied zu der modernen ägyptologischen Einteilung in Altes, Mittleres und Neues Reich beruhen diese Herrscherdynastien auf der historischen Überlieferung durch Manetho von Sebennytos, der im Verlauf dieses Kapitels noch in einem eigenen Abschnitt thematisiert werden wird.

Relative Chronologie

Für die relative Chronologie steht uns eine Reihe von Quellen zur Verfügung. Aus der pharaonischen Zeit stammen verschiedene Königslisten aus dem Alten und dem Neuen Reich, die in Hieroglyphenschrift in Stein gemeißelt waren, sowie ein hieratisch geschriebener Papyrus. Die Inschriften in Stein und Texte auf Papyrus unterscheiden sich in ihrem Charakter voneinander, wie man im Folgenden sehen wird. Außerdem gibt es nicht-zeitgenössische Quellen, die Schriften der griechischen und römischen Historiker.

Annalenstein der 5. Dynastie

Bei dem sogenannten Annalenstein handelt es sich um eine mit Hieroglyphen beschriftete Basaltplatte, die in mehrere Fragmente zerbrochen ist und die ursprünglich auf einen nicht sicher zu identifizierenden König der 5. Dynastie zurückgeht. Allerdings ist davon auszugehen, dass nur ein sehr kleiner Teil des Monumentes erhalten und der weitaus größere Teil verloren ist. Die einzelnen Fragmente werden in verschiedenen Museen aufbewahrt. Die beiden größten Teile werden nach ihrem jeweiligen Aufbewahrungsort »Kairostein« bzw. »Palermostein« genannt, weitere Bruchstücke befinden sich in London. Beide Seiten des Steins waren beschriftet. Für den Block lässt sich eine Breite von ca. 2 m und eine Höhe von ca. 1,40 m rekonstruieren, durch den äußerst fragmentarischen Zustand des Stückes muss dies aber eine Vermutung bleiben.

Auf dem Annalenstein werden die Namen und Regierungsdaten der ägyptischen Herrscher von der vorgeschichtlichen Zeit bis zur 5. Dynastie überliefert, daneben nennt der Text wichtige Ereignisse unter dem jeweiligen Herrscher und die zugehörigen Nilfluthöhen. Die Inschrift ist tabellenartig in rechteckigen Feldern angeordnet, in einem Feld findet sich der Name des Königs, seine Regierungsdauer sowie die Ereignisse jedes einzelnen Jahres, die man für erwähnenswert hielt. Solche Begebenheiten sind sowohl regelmäßig wiederkehrende als auch einmalige Ereignisse politischer, administrativ-wirtschaftlicher und religiöser Natur. So wird beispielsweise in der Regel die politisch relevante Thronübernahme des neuen Herrschers – sein »Erscheinen« – markiert, außerdem die Viehzählung und das sogenannte Horusgeleit, die von wirtschaftlicher Bedeutung waren. Anhand der gezählten Nutztiere wurde jeweils die Höhe der Abgaben berechnet. Als Horusgeleit wird die alle zwei Jahre stattfindende Barkenfahrt des Königs durch das ganze Land bezeichnet, auf der er die wichtigsten Verwaltungszentren besuchte, dort Gericht hielt und Steuern festsetzte. Die meisten Ereignisse waren jedoch religiöser oder kultischer Natur, wie z. B. das Sed-Fest, das »Umschreiten der Weißen Mauern« oder das Sokar-Fest. Die Weißen Mauern bezeichnen die Stadtmauern der Residenz Memphis, und das Ritual des Umschreitens dieser Mauern war mit der Übernahme des Thrones und des Regierungssitzes verbunden. Das Sokar-Fest wurde bei der Bestattung des verstorbenen Königs gefeiert und galt gleichzeitig der Gründung des Grabmales seines Nachfolgers. Einmalig auftretende Begebenheiten waren z. B. eine königliche Nilpferdjagd, ein Krieg mit einem Volk von Wüstennomaden, Geburten von Prinzen oder Prinzessinnen oder Gründungszeremonien von Bauwerken.

Darunter wird in einer Extrazeile die Höhe der Nilüberschwemmung des jeweiligen Jahres angegeben. Diese Informationensind für die Rekonstruktion der klimatischen Bedingungen von Bedeutung, und in der Tat kann damit ein Klimawandel während der vor- und frühdynastischen Zeit nachgewiesen werden.

Die Inschriften auf dem Annalenstein wurden vermutlich anhand von archiviertem Material zusammengestellt. Bei diesem Archivmaterial könnte es sich beispielsweise um die frühzeitlichen Annalentäfelchen handeln, deren Layout und Inhalt vergleichbar sind. Doch was war der Grund, ein solches Monument zu errichten und wo war es ursprünglich aufgestellt? Für die erste Frage gibt es in der Forschung mehrere Theorien, und sicherlich gab es nicht nur einen einzigen Hintergrund. Die Erfassung der jährlichen Nilstandshöhen sowie der regelmäßigen Steuererhebungen hatte zweifellos administrative Gründe, es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass diese Daten nur zu diesem Zweck in Stein angebracht wurden. Eine historische bzw. historisierende Dimension ist bei diesem Monument sicherlich nicht gegeben, vielmehr repräsentierte die in Stein gemeißelte Inschrift eine Dauerhaftigkeit, die für die Legitimation der ägyptischen Könige von größter Bedeutung war. Daneben spielte die Verehrung der Ahnen und Vorgängerkönige eine zentrale Rolle, die auf diese Weise ebenfalls gewährleistet wurde. Das heißt, im Vordergrund dürften nicht historische oder dokumentarische Gründe, sondern eher kultische bzw. politische Motive für die Errichtung des Annalensteins gestanden haben, womit sicher auch der Aufstellungsort in Zusammenhang steht. Für keines der Fragmente ist ein genauer Fundort dokumentiert. Für ein Fragment wurde überliefert, es sei in Memphis gefunden worden. Generell ist anzunehmen, dass das Monument im Tempelkontext errichtet worden ist, einerseits durch seinen politisch-legitimatorisch und kultisch relevanten Inhalt, andererseits durch die monumentalen Königslisten des Neuen Reiches, die ebenfalls im Tempel- oder Grabkontext angebracht wurden.

Aufgrund von Widersprüchen mit anderen Quellen und dem Fehlen von zeitgenössischen Quellen vor allem für die ägyptische Frühzeit darf der historische Wert dieses Monumentes nicht überschätzt werden, dennoch liefert er eine große Menge nützlicher Informationen über die Politik und Wirtschaft des ägyptischen Alten Reiches.

Turiner Königspapyrus

Eine weitere wichtige Quelle für die relative Chronologie Ägyptens ist der sogenannte Turiner Königspapyrus oder Royal Canon of Turin. Er wurde 1820 vom Bernadino Drovetti erworben und wenige Jahre später vom Ägyptischen Museum in Turin angekauft. Ursprünglich stammte er möglicherweise vom thebanischen Westufer, dies ist jedoch unsicher.

Der Papyrus ist auf Hieratisch beschriftet und hatte vermutlich eine ursprüngliche Länge von ca. 2 m. Durch seinen stark fragmentierten und lückenhaften Zustand ist die Rekonstruktion dieses umfangreichen Textes sehr schwierig und spekulativ, und es gibt auch heute noch immer wieder Änderungsvorschläge und Korrekturen. Auf der Vorderseite des Papyrus befindet sich ein Abgabenregister mit Schatzhausabrechnungen aus der Zeit Ramses’ II. Als diese Abrechnungen nicht mehr benötigt wurden, wurde der Papyrus wiederverwendet und man schrieb auf der Rückseite die Königsliste nieder.

Diese umfasste insgesamt zehn oder elf Textkolumnen, in denen in drei verschiedenen Kategorien die ägyptischen Herrscher mit der Dauer ihrer Regierungszeit namentlich überliefert werden. Der Papyrus beginnt mit den »Königtümern der Götter und Dynastien der Geister« – dies ist die erste Kategorie, die noch in die mythische Vorzeit gehört und über die es keine schriftlichen Quellen gibt. Die Kolumne II nennt 30 Herrscher von This und zehn (?) von Memphis, was bedeutet, dass wir uns in der vordynastischen Zeit befinden und einige dieser Könige sicherlich als mythisch zu bezeichnen sind. In der dritten Kategorie ab Kolumne III werden dann alle tatsächlich historisch belegten Herrscher bis zum Ende der 17. Dynastie genannt. Es muss sich also bei dieser Königsliste um eine Abschrift handeln, denn sie ist unvollständig und endet ca. 300 Jahre vor Ramses II., unter dem das Abgabenregister auf der Vorderseite niedergeschrieben wurde.

Für jeden Herrscher werden sein Name und seine Regierungszeit in Jahren, Monaten und Tagen sowie sein Alter im Jahr seines Todes angegeben. Die Namen und Daten sind listenartig untereinander geschrieben, außerdem ist die Liste in verschiedene Abschnitte geteilt, an deren Ende die Regierungszeiten summiert wurden. Sie weist einige Ähnlichkeiten mit der Liste auf, die auf den schon erwähnten Manetho von Sebennytos zurückgeht.

Der Turiner Königspapyrus ist die einzige ägyptische Königsliste vor der Ptolemäerzeit, die allein zum Ziel hat, die Namen der Könige und ihre Regierungsdauer zu dokumentieren. Damit unterscheidet sie sich klar von den im Folgenden zu besprechenden Königslisten, die in Stein gemeißelt im Tempel- oder Grabkontext zu finden sind und aus kultischen oder Legitimationszwecken dort angebracht wurden.

Die Königslisten von Abydos, Karnak und Saqqara

Aus dem Neuen Reich kennen wir weitere monumentale Königslisten, die weniger Informationen liefern als der Annalenstein und der Turiner Papyrus, dennoch stellen sie als zeitgenössische historische Quelle ebenfalls ein wichtiges Hilfsmittel für die Chronologie und Datierung dar. Wir kennen solche Listen an mehreren Orten in Ägypten, in den Tempeln von Abydos, im Tempel von Karnak und in Saqqara.

Die Königsliste von Saqqara befand sich ursprünglich im Grab des Tjenry, heute wird sie in Kairo aufbewahrt. Tjenry war im Tempel des Ptah von Memphis tätig und verantwortlich für die Opfer an die verstorbenen Könige. So ist es vermutlich zu erklären, dass er in seinem Grab die Abschrift einer Königsliste anbringen ließ, die sich vielleicht im Tempel von Memphis befunden hatte. Dadurch erhoffte er sich die Fürbitte der verstorbenen Könige bei den Göttern. Die Liste nennt insgesamt 58 Könige, die von König Ramses II. verehrt wurden. Die Regierungsdauer findet keine Erwähnung, und es sind einige Namen nicht erhalten. Etliche andere Königsnamen wurden offenbar absichtlich ausgelassen, so z. B. einige Herrscher aus der 1. Zwischenzeit, die als illegitim angesehen wurden. Dies lässt darauf schließen, dass vermutlich eine historische Analyse und Wertung vorgenommen wurde, aufgrund der diese Herrscher aus der historischen Erinnerung gestrichen wurden.

In Abydos befinden sich zwei Königslisten, eine im Tempel Sethos’ I. und eine weitere im Tempel seines Sohnes Ramses’ II. Die Königsliste Sethos’ I. ist an der Wand eines langes Ganges im Tempel angebracht, der aufgrund dessen die Königsgalerie genannt wird. Die Königsnamen sind in zwei Reihen angeordnet und in Kartuschen geschrieben. Davor ist König Sethos I. dargestellt, wie er seinen Vorvätern und Ahnen seinen Sohn Ramses als Nachfolger präsentiert. Auch in dieser Liste wurden bewusst einige Herrschernamen ausgelassen, so z. B. wiederum die Könige der 1. und 2. Zwischenzeit, des Weiteren Hatschepsut und Echnaton.

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Königsliste im Totentempel Sethos’ I. in Abydos

Die Liste Ramses’ II. ist ganz ähnlich gestaltet, allerdings ist ihr Erhaltungszustand wesentlich schlechter. Sie befindet sich heute nicht mehr in Abydos, sondern seit 1837 im British Museum in London.

Die Liste Thutmosis’ III. in Karnak unterscheidet sich hiervon in einigen Punkten. Sie ist ebenfalls eher schlecht erhalten und befindet sich heute nicht mehr am Fundort, sondern im Louvre in Paris. Die Darstellung ist in zwei Register (= Bildstreifen) geteilt, in jedem ist der König abgebildet, wie er vor insgesamt 61 sitzenden Königsfiguren, die jeweils wiederum in zwei Reihen untereinander angeordnet sind, Opfer darbringt. Diese Figuren sind mit Namenskartuschen versehen, die die Könige vergangener Zeiten nennen. Die Namen befinden sich nicht in chronologisch korrekter, sondern in scheinbar willkürlicher Reihenfolge, außerdem werden Könige aus der 1. und 2. Zwischenzeit genannt – was bei den Königslisten in Abydos und Saqqara nicht der Fall war. Daher nimmt u. a. von Beckerath an, dass es sich bei den Königsdarstellungen um Statuen handelte, die Thutmosis III. im Tempel von Karnak vorgefunden hat. Der Zweck dieser Auflistung hatte demnach keinen legitimatorischen Charakter, wie er bei den Listen aus Abydos zu vermuten ist, die nur diejenigen Herrscher verzeichnete, die als legitim angesehen worden waren.

Im Totentempel Ramses’ II., auf beschrifteten Stein- oder Keramiksplittern (sogenannte Ostraka), in thebanischen Gräbern und auf Papyri finden sich kürzere Abschnitte dieser Königslisten als Kopien, die jedoch weitgehend die Herrscher des Neuen Reiches nennen. Diese unterscheiden sich von den monumentalen Listen und sind vermutlich als Schreibübungen und Notizen zu interpretieren.

Diese Listen dienten dem Totenkult des Königs oder aber Legitimationszwecken, insofern war es in ihnen nicht nötig, Regierungszeiten der einzelnen Könige zu nennen. Wohl notwendig war dagegen ihre Monumentalität, und es ist bezeichnend, dass keine einzige dieser reliefierten Königslisten Herrscher nennt, die in der pharaonischen Zeit als illegitim angesehen worden waren.

Manetho von Sebennytos

Der Name, der in Verbindung mit der altägyptischen Chronologie an dieser Stelle nicht fehlen darf, ist der von Manetho von Sebennytos, soll auf ihn doch die heute noch gültige Einteilung der ägyptischen Herrscher in 31 Dynastien zurückgehen.

Manetho war ein Priester und unter Ptolemaios II. in Heliopolis tätig, seine Lebensdaten sind in keiner einzigen Quelle überliefert. Er verfasste für den makedonischen Herrscher die sogenannten Aegyptiaca – eine Geschichte Ägyptens in drei Bänden, in der er die einzelnen Herrscher mit ihren Residenzstädten in chronologischer Folge zusammenstellte. Manethos Geschichte beginnt bei dem legendären König Menes und endet nach 31 Dynastien bei Alexander dem Großen. Als Priester waren ihm die Tempelarchive zugänglich, und so konnte er als Basis die dort archivierten Königslisten aus pharaonischer Zeit benutzen. Dieses Werk bildet das Grundgerüst der ägyptischen Chronologie. Die Geschichte Manethos ist dem Turiner Königspapyrus sehr ähnlich, wie dort werden bei Mane-tho auch die sogenannten illegitimen Herrscher genannt, die Namen sind ebenfalls in Gruppen zusammengestellt und wie im Papyrus listenförmig angelegt. Manethos Werk selbst ist nicht mehr erhalten – und damit ist eine historische Unsicherheit verbunden. Keiner der bekannten griechischen Historiker wie Diodor, Plinius oder Strabo oder auch der alexandrinischen Gelehrten wie Eratosthenes schien Manethos Aegyptiaca gekannt zu haben, keiner der bekannten Autoren hat das Werk rezipiert. Der erste, über den wir von Manetho hören, ist der jüdische Historiker Flavius Iosephus (37–100 n. Chr.), weiterhin zitierten Sextus Iulius Africanus (160/70–ca. 240 n. Chr.) und Eusebios von Caesarea (263–339 n. Chr.) Manethos Werk. Daher wird in der Forschung die Frage diskutiert, ob es sich bei Manethos Schriften um ein sogenanntes Pseudepigraph handelt, ein dem Autor fälschlich zugeschriebenes Werk, das in der Tradition der ägyptischen Annalenlisten verfasst wurde, aber nicht zur Zeit der Ptolemäer, sondern sehr viel später.

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Eratosthenes von Kyrene

Je weiter fortgeschritten die ägyptische Geschichte ist, desto mehr zeitgenössische Quellen stehen dem Ägyptologen zur Verfügung, sodass man Fehler und Ungenauigkeiten in Manethos Werk erkennen kann. Solche Ungereimtheiten wären nun in der Tat nicht erstaunlich, wenn das Werk wirklich erst nach Diodor verfasst worden wäre und nicht schon in der frühen Ptolemäerzeit. Daneben werden Manethos Angaben aber auch immer wieder durch neue Funde bestätigt.

Griechische Historiker

Viele Informationen, die wir über das alte Ägypten haben, kennen wir nicht aus der pharaonischen Kultur selbst, sondern von den griechischen und römischen Historiographen.

Einer von ihnen war Hekataios von Milet (ca. 550–ca. 476 v. Chr.), der Ägypten möglicherweise noch vor der persischen Eroberung bereiste und einen Reisebericht verfasste. Sein Werk ist für andere Historiker eine wichtige Quelle, unter anderem finden sich bei Herodot Fragmente seines Berichtes. Abgesehen davon sind seine Schriften weitgehend verloren.

Der bekannteste griechische Historiograph ist zweifellos Herodot von Halikarnassos. Er lebte von 484–425 v. Chr. und besuchte Ägypten vermutlich während der Perserherrschaft etwa in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Anhand seiner Studien und Erlebnisse verfasste er eine umfassende Geschichte des Alten Ägypten, seiner Bewohner und seiner Geschichte. Im ersten Teil beschreibt er die ägyptische Topographie und Natur sowie die Sitten und Gebräuche der Ägypter, allerdings zumeist »durch die Brille« der in Ägypten lebenden Griechen, für die vieles sicherlich fremd gewesen sein dürfte. Im zweiten Teil folgt ein Abriss der historischen Ereignisse, Herodot geht jedoch nur für die 26., die sogenannte Saïtische Dynastie (664–525 v. Chr.) wirklich ins Detail. Diese ist direkt vor der persischen Eroberung anzusetzen und lag somit noch nicht allzu lange zurück.