Personen

Inhaltsverzeichnis

Cyrano von Bergerac

Christian von Neuvillette

Graf Guiche

Vicomte Valvert

Ragueneau

Lise, seine Frau

Le Bret, Cyranos Freund

Hauptmann Carbon von Castel-Jaloux

Lignière, Cuigy, Brissaille, Edelleute

Bellerose, Jodelet, Montfleury, Schauspieler

Roxane, Cyranos Cousine

Ihre Duenna

Schwester Marthe, Schwester Claire, Mutter Marguerite, Nonnen

Die Kadetten

Erster, Zweiter, Dritter: Marquis

Ein Mißvergnügter

Erster, Zweiter: Musketier

Ein spanischer Offizier

Ein Chevauxleger

Der Portier

Ein Bürger

Sein Sohn

Ein Taschenspieler

Ein Zuschauer

Ein Gardist

Bertrandou, der Pfeifer

Ein Kapuziner

Zwei Musiker

Die Poeten

Die Pastetenbäcker (Köche)

Die Büfettdame

Erste, Zweite: Schauspielerin

Die Pagen

Das Blumenmädchen


Bürger, Marquis, Musketiere, Taschendiebe, Köche, Dichter, Gascogner, Kadetten, Schauspieler und Schauspielerinnen, Geiger, Pagen, Kinder, spanische Soldaten, Zuschauer, Preziösen, Nonnen usw.

Siebenter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Cyrano. Le Bret. Dann Schauspieler, Schauspielerinnen, Cuigy, Brissaille, Ligniere, der Portier, die Geiger.

Cyrano
(sich in Le Brets Arme stürzend).
Sie! Mir!   Ein Stelldichein!

Le Bret.
Gibt das dir Mut?

Cyrano.
Zum mindesten bemerkt sie, daß ich lebe!

Le Bret.
Bist du nun ruhig?

Cyrano.
Ruhig? Nein, ich bebe
Vor lauter Tatendrang; heiß kocht mein Blut!
Ein ganzes Heer will ich zum Feind erkiesen;
Denn Herz und Arm fühl ich verzwanzigfacht!
Nicht Zwerge mehr durchbohr ich ... (brüllend) sondern
Riesen!
(Inzwischen sind auf der Bühne, im Hintergrund, die Schatten von Schauspielern sichtbar geworden, die sich dort hin und her bewegen und flüstern. Man beginnt eine Probe. Die Geiger haben ihren alten Platz wieder eingenommen.)

Eine Stimme
(von der Bühne aus).
Pst! Hier ist Probe. Keinen Lärm gemacht!

Cyrano
(lachend).
Wir gehn.
(Er macht einige Schritte nach hinten. Durch die große Mitteltür kommen Cuigy, Brissaille und mehrere Offiziere, welche den vollständig betrunkenen Lignière führen.)

Cuigy.
Cyrano!

Cyrano.
Was?

Cuigy.
Ein Murmeltier
Fing sich im Netz.

Cyrano
(ihn erkennend).
Lignière!   Was willst du hier?

Cuigy.
Er sucht dich ...

Brissaille.
Weil er nicht nach Hause kann.

Cyrano.
Warum nicht?

Lignière
(ihm ein ganz zerknittertes Billett zeigend,
mit lallender Stimme)
.
Dieses Briefchen ... Hundert Mann,
Die bei der Porte de Nesle ... mir meiner Verse wegen
Auf meinem Heimweg ... nach dem Leben trachten.  
Kann ich ... kann ich bei dir heut übernachten?

Cyrano.
Hundert?   Du sollst daheim dich schlafen
legen!

Lignière
(angstvoll).
Indessen ...

Cyrano
(mit schrecklicher Stimme).
Fürchte nichts!
(Er deutet auf die angezündete Laterne, die der Portier, neugierig zuhörend, in der Hand schaukeln läßt.)

Cyrano.
Nimm die Laterne!
(Lignière gehorcht.)
Ich will dich schützen, wenn Gefahr dir dräut!
(Zu den Offizieren.)
Folgt uns als Zeugen; aber nur von ferne!

Cuigy.
Doch hundert Mann ...!

Cyrano.
So viele brauch ich heut!
(Die Schauspieler und Schauspielerinnen sind in ihren Kostümen von der Bühne herabgestiegen und nähern sich den Sprechenden.)

Le Bret.
Weshalb beschützest du ...

Cyrano.
Kommst du mir auch?

Le Bret.
Den Saufkumpan?

Cyrano
(Lignière auf die Schulter klopfend).
Weil dieser Saufkumpan,
Dies alte Spritfaß, dieser Branntweinschlauch,
Einst etwas Wunderschönes hat getan:
Bemerkend, wie sein Lieb im Gotteshaus
Sich fromm besprengte mit geweihtem Wasser,
Lief er, des Wässrigen geschworner Hasser,
Geschwind zum Kessel hin und trank ihn aus.

Eine Schauspielerin
(im Soubrettenkostüm).
Ach, das ist hübsch!

Cyrano.
Nicht wahr, Fräulein Soubrette?

Die Schauspielerin
(zu den anderen).
Warum verfolgt man diesen armen Dichter?

Cyrano.
Vorwärts! (Zu den Offizieren.)
Doch bleibt entfernt, damit die Wichter
Nicht glauben, daß ich Beistand nötig hätte!

Eine andere Schauspielerin
(von der Bühne
herunterspringend)
.
Das muß ich sehn!

Cyrano.
Marsch!

Eine dritte Schauspielerin
(herunterspringend, zu einem alten Schauspieler).
Kommst du mit, Cassander?

Cyrano.
Ja, Kinder, folgt mir alle miteinander!
Als leichtbeschwingte, tolle Bienenschwärme
Sollt ihr dem spanischen Drama zugesellen
Den italienischen Schwank, und sollt im Lärme
Des Kampfes klingeln mit den Narrenschellen.

Alle Damen
(vor Freude hüpfend).
Bravo!   Mein Kopftuch   meinen Schal!

Jodelet.
Hurra!

Cyrano
(zu den Geigern).
Und Ihre Geigen spielen uns den Tusch.
(Die Geiger schließen sich dem Zuge an, der sich nun bildet. Man bemächtigt sich der an der Bühnenrampe brennenden Kerzen und verteilt sie wie zu einem Fackelzug.)
Das kostümierte Völkchen hinterdrein,
Und zwanzig Schritt voraus ... (er plaziert sich dementsprechend) ich ganz allein,
Glorreich umweht von meinem Federbusch,
Stolz wie mein Urbild Scipio Nasica!  
Beispringen darf mir niemand, was auch immer
Geschieht!   Nun, Pförtner, öffnen Sie das Tor!
(Der Portier öffnet die beiden Flügel der Mitteltür. Ein malerischer, mondbeschienener Winkel des alten Paris wird sichtbar.)
Da liegt Paris im nächt'gen Nebelflor,
Die Dächer blau beglänzt vom Mondesschimmer;
Der Seine Zauberspiegel bebt im Wind
Und läßt den Widerschein der dunst'gen Lichter
Erzittern! Gibt es schönere Kulissen?
Der Vorhang geht nun auf; das Stück beginnt!

Alle.
Zur Porte de Nesle!

Cyrano
(in der Tür stehend). Zur Porte de Nesle!
(Sich noch einmal umwendend, zur Soubrette.)
Zu wissen
Verlangten Sie, mein Kind, warum sich hundert Mann
Verschworen gegen einen armen Dichter?
(Er zieht seinen Degen; in ruhigem Ton.)
Weil er mein Freund ist.
(Zu den übrigen.) Folgt!
Ich geh voran.
(Er geht ab. Der Zug setzt sich, unter dem Klang der Geigen und im Schein der Kerzen, in Bewegung; Lignière, hin und her schwankend, an der Spitze; die Schauspielerinnen Arm in Arm mit den Offizieren; zuletzt die Schauspieler, Luftsprünge machend.)

Elfter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Vorige. Die Kadetten. Carbon. Der Musketier. Lise.

Ein Kadett
(die Tür halb öffnend).
Es ist schon totenstill geworden ...
Kaum wag ich ...
(Er streckt den Kopf heraus.)
Was?!

Alle Kadetten
(kommen herein und sehen die beiden in ihrer Umarmung). Ah!   Oh!

Ein Kadett.
Die Hölle kracht!
(Allgemeinste Verblüffung.)

Der Musketier
(spöttisch).
Hoho!

Carbon.
Trat er in einen Büßerorden?
Wer ihn aufs eine Nasloch schlägt, dem reicht er
Das andre hin.

Musketier.
Er duldet's, wenn man spricht
Von seiner Nase?
(Lise herbeirufend, mit triumphierender Miene.)
Ha! nun gib mal acht!
(Er zieht demonstrativ Luft ein.)
Hm! ... Dieser Duft ... (Sich zu Cyrano wendend.)
Mein Herr, Sie haben's leichter.
Nach was denn riecht's hier?

Cyrano
(ihn ohrfeigend). Nach Vergißmeinnicht!
(Die Kadetten schlagen aus Freude darüber, daß sie ihren Cyrano wiedererkennen, Purzelbäume.)

Zwölfter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Vorige. Roxane. Christian. Der Kapuziner. Ragueneau. Duenna. Lakaien.

Guiche
(zu Roxane). Sie! (Christian erkennend, starr.)
Und er?!
(Sich vor Roxane mit Bewunderung verneigend.)
Das nenn ich schlau!
(Zu Cyrano.)
Herr Feuerwerker, wahrlich, Ihr Bericht
Hätt' einen Heil'gen aufgehalten, dicht
Vorm Himmelstor. Notieren Sie's genau,
Damit es Ihrem Buche kommt zustatten.

Cyrano
(sich verbeugend).
Herr Graf, Ihr Beifall ist mein höchster Lohn.

Kapuziner
(zu Guiche, auf die Liebenden deutend und mit Befriedigung seinen großen weißen Bart schüttelnd). Welch hübsches Paar vereinten Sie, mein Sohn!

Guiche
(ihm einen eisigen Blick zuwerfend).
Ja.
(Zu Roxane.)
Nehmen Sie nun Abschied von dem Gatten!

Roxane.
Ich ...?

Guiche
(zu Christian).
Ihres Regiments Fanfaren klingen.

Roxane.
Um in den Krieg zu ziehn?

Guiche.
So wird's wohl sein.

Roxane.
Doch die Kadetten bleiben hier!

Guiche.
O nein!
(Er zieht das Schriftstück hervor, das er in die Tasche gesteckt hatte.)
Hier der Befehl.
(Er übergibt es Christian.)
Sofort zu überbringen.

Roxane
(Christian umklammernd).
Christian!

Guiche
(höhnisch zu Cyrano).
Die Hochzeitsnacht ist ferne noch!

Cyrano
(für sich).
Das kränkt mich sehr viel wen'ger, als er glaubt!

Christian
(zu Roxane).
Noch einen Kuß!

Cyrano.
Genug!

Christian
(unter neuen Umarmungen).
Sie mir geraubt!    
Du kannst nicht ahnen, was das heißt ...

Cyrano
(sucht ihn fortzuziehen). O doch.
(Man hört von ferne Trommeln.)

Guiche
(ist nach hinten gegangen).
Schon ziehn die Truppen ...!

Roxane
(zu Cyrano, während sie Christian, den er stets fortzuziehen sucht, festhält).
Ihren Händen nun
Vertrau ich ihn. Sie werden vor Gefahren
Ihn schützen.

Cyrano.
Wenn es möglich, werd ich's tun.

Roxane
(wie oben).
Versprechen Sie, sein Leben zu bewahren!

Cyrano.
Ja, wenn ich kann ...

Roxane
(wie oben).
Und daß er niemals Frost
Im Kriege leiden muß!

Cyrano.
Ja, ja, soferne ...

Roxane
(wie oben).
Daß er mir treu bleibt!

Cyrano.
Wenn ...

Roxane
(wie oben).
Und eine Post
Mir täglich sendet!

Cyrano
(entschlossen).
Dies versprech ich gerne.

Zehnter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Roxane. Cyrano. Dann Le Bret, Carbon, die Kadetten,
Ragueneau, Guiche usw.

Cyrano
(bestürzt). Er geht!

Roxane.
Was Ernstes?  

Cyrano.
Oh, mitnichten!
Oft schien ihm ernst, was mir sehr harmlos schien.

Roxane
(schnell).
Ich weiß, er zweifelt noch an meinem Wort!

Cyrano
(ihre Hand ergreifend).
Sie sprechen wahr?

Roxane.
Ja, lieben würd' ich ihn,
Selbst wenn ... (Sie stockt.)

Cyrano
(traurig lächelnd).
Sie fürchten, daß mich's kränken kann,
Dies Wort?

Roxane.
O nein ...

Cyrano.
Ich hör es unverdrossen!  
Selbst wenn er häßlich?

Roxane.
Ja!
(Man hört eine Gewehrsalve.)
Man hat geschossen.

Cyrano
(glühend).
Abschreckend wüst?

Roxane.
Auch dann!

Cyrano.
Entstellt?

Roxane.
Auch dann!

Cyrano.
Grotesk?

Roxane.
Für mich wird er das nimmer sein!

Cyrano.
Sie liebten ihn auch dann?

Roxane.
Mehr als zuvor!

Cyrano
(den Kopf verlierend, für sich).
Vielleicht ... vielleicht schwebt nun das Glück empor!
(Zu Roxane.)
Roxane ... ich ...

Le Bret
(kommt eiligst, ruft mit gedämpfter Stimme).
Cyrano!

Cyrano
(sich umwendend). Was?

Le Bret.
Still!
(Er flüstert ihm etwas zu.)

Cyrano
(die Hand Roxanens loslassend, mit einem Aufschrei).
Nein!

Roxane.
Was gibt's?

Cyrano
(in starrem Entsetzen, für sich).
Vorbei!
(Neue Schüsse.)

Roxane.
Was geht denn vor? Das Schießen? ...
(Sie geht nach hinten, um hinauszusehen.)

Cyrano.
Auf ewig muß ich's nun in mir verschließen!

Roxane
(will fortstürzen).
Was geht hier vor?

Cyrano
(sie schnell aufhaltend). Nichts!
(Kadetten kommen, eine Last tragend, welche sie verbergen, und bilden darum einen Kreis, durch den Roxane verhindert wird, sich zu nähern.)

Roxane.
Was wird dort getragen?

Cyrano
(sie entfernend).
Ich bitte Sie ...

Roxane.
Was wollten Sie mir sagen?

Cyrano.
Ich Ihnen?   Nichts! Doch ich bekenne frei:
(Feierlich.)
Christian, an Geist und Körper gleich begnadet,
War ... (sich erschrocken verbessernd) ist so würdig ...

Roxane.
War?!
(Mit einem lauten Aufschrei.) O Gott!
(Sie läuft nach hinten und drängt die Kadetten beiseite.)

Cyrano.
Vorbei!

Roxane
(sieht Christian auf seinem Mantel ausgestreckt).
Christian!

Le Bret
(zu Cyrano).
Dahingestreckt vom ersten Schuß!
(Roxane wirft sich nieder und umklammert Christian. Neue Schüsse. Getümmel, Lärm und Trommeln.)

Carbon
(mit gezücktem Degen).
Der Feind! Greift zu den Waffen!
(Gefolgt von den Kadetten, übersteigt er die Böschung.)

Roxane.
Christian!

Stimme Carbons
(hinter der Böschung). Ladet!

Roxane.
Christian!

Carbon.
Richt' euch!
(Ragueneau eilt herbei, in einem Helme Wasser bringend.)

Christian
(mit ersterbender Stimme). Roxane!

Cyrano
(ihm schnell ins Ohr flüsternd, während Roxane in Verzweiflung ein Stück Leinwand, das sie von ihrer Brust gerissen, ins Wasser taucht, um ihn zu verbinden) .
Höre mich!
Ich sagt' ihr alles, und sie liebt nur dich!
(Christian schließt die Augen.)

Roxane.
Geliebter!

Carbon.
Ladstock hoch!

Roxane
(zu Cyrano). Nicht wahr, er muß
Nicht sterben?

Carbon.
Angeschlagen!

Roxane.
Mir will scheinen,
Daß seine Wange kalt wird an der meinen!  
Ein Brief auf seiner Brust! (Sie öffnet ihn.)
Für mich!

Cyrano
(beiseite). Mein Brief!

Carbon.
Gebt Feuer!

Cyrano
(will seine Hand losmachen, welche von der knienden Roxane festgehalten wird).
Ich muß zum Kampf!

Roxane
(ihn zurückhaltend). Noch nicht! Nun ist er tot.
Sie kannten ihn. Auch Ihnen war er teuer.
(Sie weint sanft.)
Welch süßen Zauber seine Seele bot,
Sie wußten's!

Cyrano
(stehend, mit entblößtem Haupt).
Ja, Roxane.

Roxane.
Denn er war
Ein Dichter.

Cyrano.
Ja.

Roxane.
Sein Geist so fein und klar!

Cyrano.
Gewiß.

Roxane.
Und alles Niedrige, Profane
Blieb seinem Herzen ferne.

Cyrano
(fest). Ja, Roxane.

Roxane
(wirft sich über Christians Leiche).
Er starb!

Cyrano
(für sich, den Degen ziehend).
Und ihm zu folgen ist mein Sehnen,
Da sie mich ahnungslos in ihm beweint!

Guiche
(erscheint auf der Böschung, zerzaust, mit einer Wunde auf der Stirn und ruft mit donnernder Stimme).
Hört ihr das Zeichen? Das ist nicht der Feind!
Mit Lebensmitteln kehrt der Marschall wieder.
Drum haltet aus!

Roxane.
Sein Brief voll Blut und Tränen!

Eine Stimme
(hinter der Bühne).
Ergebt euch!

Viele Kadetten.
Nein!

Ragueneau
(welcher vom Kutschbock aus über die Böschung sehend die Schlacht verfolgt).
's wird schlimm!

Cyrano
(zu Guiche, auf Roxane deutend).
Ich muß in Ihrer Hut
Sie lassen.

Roxane
(den Brief küssend, mit schwacher Stimme).
Seine Tränen und sein Blut!

Ragueneau
(springt vom Wagen herab, um zu ihr zu eilen).
Sie taumelt!

Guiche
(auf der Böschung, den Kadetten wild zurufend).
Haltet aus!

Eine Stimme
(hinter der Bühne). Die Waffen nieder!

Viele Kadetten.
Nein!

Cyrano
(zu Guiche). Sie bewiesen Ihres Mutes Größe:
(Auf Roxane deutend.)
Fliehn Sie mit ihr!

Guiche
(eilt zu Roxane und hebt sie auf).
Sei's drum! Weicht nicht zurück!
Bald kommt ja Hilfe.

Cyrano.
Gut!
(Zur ohnmächtigen Roxane hinüberrufend, welche von Guiche unter Ragueneaus Beistand fortgeschafft wird.)
Leb wohl, Roxane!
(Lärm. Verwundete Kadetten erscheinen und sinken hin. Cyrano, der sich in den Kampf stürzen will, wird auf dem Kamm der Böschung von dem blutbefleckten Carbon aufgehalten.)

Carbon.
Wir wanken! Ich empfing zwei Lanzenstöße.

Cyrano
(den Kadetten laut zurufend).
Vorwärts, Gascogner!
(Zu Carbon, welchen er stützt.)
Unbesorgt, mein Treuer!
Zwei Tote räch ich: Christian und mein Glück!
(Er steigt mit ihm herab und schwingt die Lanze, an welche Roxanens Schnupftuch gebunden ist.)
Nun flattre lustig, du geliebte Fahne!
(Er pflanzt sie auf den Boden. Zu den Kadetten.)
Drauflos! (Zum Pfeifer.) Spiel deine Weisen!
(Der Pfeifer spielt. Verwundete erheben sich wieder. Kadetten eilen die Böschung herab und scharen sich um Cyrano und die kleine Fahne. Andere steigen in und auf den Wagen, der, von Waffen starrend, nun einer Schanze gleicht.)

Ein Kadett
(erscheint, rückwärts gehend und dabei fechtend, auf dem Kamm und schreit).
Sie ersteigen
Den Wall! (Er fällt tot hin.)

Cyrano.
Man wird sie grüßen!
(Die Böschung ist im Nu mit Feinden angefüllt. Die großen Standarten der Kaiserlichen tauchen auf.)

Cyrano.
Feuer!
(Salve der Kadetten.)

Stimme
(in den Reihen der Feinde). Feuer!
(Gegensalve. Viele Kadetten fallen.)

Ein spanischer Offizier
(sichtbar werdend).
Wer sind sie, die dem Tod die Stirne zeigen?

Cyrano
(im Kugelregen deklamierend).
Das sind die Gascogner Kadetten;
Ihr Hauptmann ist Castel-Jaloux.
Sie raufen und lügen und wetten.
(Er dringt auf die Feinde ein, gefolgt von den wenigen Überlebenden.)
Das sind die Gascogner Kadetten ...
(Der Schlachtlärm übertönt das Weitere.   Der Vorhang fällt.)

Sechster Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Vorige. Le Bret. Ragueneau.

Le Bret.
Der Unverstand,
Ich hab's mir wohl gedacht!  

Cyrano
(richtet sich lächelnd auf). Ei sapperlot!

Le Bret.
Daß er hierher kam, tötet ihn!

Roxane.
Mein Gott!
So war's vorhin nicht nur die alte Wunde ...?

Cyrano.
Nun ja denn, meine Chronik setzt' ich fort:
... Und heute Samstag, in der Abendstunde,
Fiel Herr von Bergerac durch Meuchelmord.
(Er nimmt seinen Hut ab; Stirn und Kopf sind von einem Verband bedeckt.)

Roxane.
Was sagt er?   Was geschah?   Sein Haupt umschnürt!
Cyrano!

Cyrano.
»Einem Helden unterlegen,
Ruhmvoll im Herzen den geschliffnen Degen!«  
Mein Schicksal wollt' es anders und gebot,
Daß einem Streiche, den ein Knecht geführt,
Und feiger Hinterlist ich unterläge!
Alles mißglückte mir, sogar mein Tod.

Ragueneau.
Ach, schändlich!

Cyrano.
Alter, weine nicht so sehr!  
(Er reicht ihm die Hand.)
Womit verdienst du nun dein Brot, Kollege?

Ragueneau
(unter Tränen).
Ich ... ich bin Lampenputzer bei Molière.

Cyrano.
Molière!

Ragueneau.
Doch morgen geh ich von ihm fort,
Weil gestern im »Scapin« ich voll Empörung sah:
Ein Auftritt ist entlehnt von Ihnen.

Le Bret.
Ja.

Ragueneau.
Der Scherz mit der Galeere   Wort für Wort.

Le Bret.
Die Szene stahl er dir!

Cyrano.
Still! Er tat recht.
(Zu Ragueneau.)
Wie machte sich die Szene? Wohl nicht schlecht?

Ragueneau
(schluchzend).
Man lachte, Herr, man lachte ...!

Cyrano.
Ich war immer
Der, welcher einbläst   und im Schatten steht.
(Zu Roxane.)
Gedenken Sie des Abends, als im Schimmer
Des Monds Christian um einen Kuß gefleht?
So war mein Los: Ich, der die Worte lieh,
Stieg nicht empor, den Kuß des Ruhms zu spüren,
Und dennoch darf ich keine Klage führen:
Christian war schön, Molière ist ein Genie.
(Die Glocke der Kapelle hat zu läuten angefangen. Durch die Allee des Hintergrundes begeben sich die Nonnen zum Gottesdienst.)
Das Glöcklein schallt; sie schreiten zum Gebet.

Roxane
(erhebt sich und ruft).
Ihr Schwestern!

Cyrano
(sie zurückhaltend).
Gehn Sie nicht, sie mir zu bringen!
Eh' Sie zurück sind, wär' es schon zu spät.
(Die Nonnen sind in die Kapelle eingetreten; man hört die Orgel.)
Nun hör ich noch ein wenig Wohllaut klingen.

Roxane.
Ich liebe Sie!

Cyrano.
Nein, nur im Märchenreiche
Schmilzt des verschämten Prinzen Häßlichkeit,
Wenn ihn der Liebe Sonnenwort befreit ...
Du würdest sehn, daß ich noch stets der Gleiche.

Roxane.
Ich war Ihr Unglück!

Cyrano.
Willst du dich verlästern?
Die Mutter selbst fand mich nicht hübsch, und Schwestern
besaß ich nicht. Vor jedem Liebestraum
Ließ mich die Furcht vor Spott erbeben.
Dir dank ich's, dir allein, daß durch mein Leben
Gestreift ist eines Frauenkleides Saum.

Le Bret
(zeigt ihm den Mond, welcher durch die Zweige scheint).
Dein alter Freund!

Cyrano
(dem Monde zulächelnd). Ich seh's!

Roxane.
Ein einzig Wesen
Nur liebt' ich und verlier's zum zweitenmal!

Cyrano.
Le Bret, zu diesem leuchtenden Opal
Werd ich heut ohne Hilfsmaschinen steigen.

Roxane.
Was sagen Sie?

Cyrano.
Ja, dort werd ich genesen;
Dort werden in der Geister sel'gem Reigen
Mir Sokrates und Galilei nahn
Und als bescheidnen Schüler mich empfahn.

Le Bret
(ausbrechend).
Ingrimm und Zorn vereinen sich dem Weh!
Solch edles Leben flieht! Und nicht zu retten!
Fluch seinen Mördern!

Cyrano.
Brumme nicht, Le Bret!

Le Bret
(in Tränen).
Mein teurer Freund ...

Cyrano
(sich aufrichtend, mit wirrem Blick).
Das sind die Gascogner Kadetten ...
Kopernikus ... Ja! ... Das Gesetz der Schwere ...

Le Bret.
Gelehrsamkeit   im Fieber!

Cyrano.
Die Natur
Gibt Aufschluß ...

Roxane.
Oh!

Cyrano.
»Was Teufel wollt' er nur,
Was Teufel wollt' er nur auf der Galeere?«

Musiker und Reimedrechsler,
Physiker, Philosoph und Fechter,
Zungenfertiger Schlagwortwechsler,
Mondreisender ohne Sack und Pack,
Liebhaber auch   jedoch ein schlechter!  
Hier ruht und wartet des Jüngsten Gerichts
Cyrano Savinien Herkules von Bergerac,
Der alles gewesen und dennoch nichts.  

       Doch nun verzeiht; nun muß ich euch verlassen:
Ihr seht, der Strahl des Mondes will mich fassen.
(Er ist zurückgesunken; Roxanens Tränen rufen ihn zur Wirklichkeit zurück; er sieht sie an und streichelt ihren Schleier.)
Sie sollen Ihren Christian stets beweinen;
Nur bitt ich, geben Sie, wenn ich der Fessel
Des Erdenseins entledigt bin,
Dem schwarzen Schleier einen Doppelsinn,
Um ihn und mich auch trauernd zu vereinen.

Roxane.
Ich schwör es Ihnen!