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Lina George

Von Grausamkeit beherrscht

Copyright: © 2017 Lina George

Umschlag & Satz: Erik Kinting / http://www.buchlektorat.net

Titelbild: © ohishiftl (fotolia.com)

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Kapitel

Am Anfang war alles schön

Als Mark aufwachte, schien die Sonne in sein Schlafzimmer. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er drehte sich zu seiner jungen Frau um, die noch schlief. Er kitzelte sie zärtlich mit dem Finger an der Nasenspitze, doch sie reagierte nicht.

»Okay, dann schlaf noch ein bisschen, mein Liebling«, flüsterte er leise.

Er stand auf und zog sich seine Shorts an. Als er am Fenster vorbeiging, sah er hinaus und ließ seinen Blick über das Wasser gleiten, das zweihundert Meter vor seinem Haus begann. Was konnte es Schöneres geben, als morgens aufzuwachen und gleich den Pazifik im Sonnenschein flimmern zu sehen.

Im Badezimmer summte er glücklich vor sich hin. Er war seit drei Tagen verheiratet – seine Frau Sandra war für ihn das Liebste auf der Welt. Nun waren es schon fünf Jahre, die sie sich kannten; vor einem Jahr hatte er ihr die entscheidende Frage gestellt und am letzten Samstag hatten sie dann in der schönsten Kirche von San Diego geheiratet. Es war eine wundervolle Hochzeit, das Ereignis des Jahres in Arztkreisen. Mark Chambers war ein sehr angesehener Arzt für plastische Chirurgie, mit einer eigenen Klinik, und hatte praktisch jeden eingeladen.

Als er fertig war, ging die Treppe hinunter und schaute unweigerlich auf das Foto seiner Eltern und seiner jüngeren Schwester. Lizzy war ein Nachzügler und der ganze Stolz der Familie. Mark hatte das Bild dort aufgehängt, damit er immer wieder daran erinnert wurde, dass er sie zu früh verloren hatte. Der Unfall seiner Familie war nun schon fast zwölf Jahre her. Er war damals gerade in Stanford an der Universität und mitten im Studium, als er die schlimme Nachricht bekam. Sein Vater, ein erfolgreicher Immobilienmakler, seine Mutter, eine Internistin, und seine kleine Schwester waren mit einer zweimotorigen Maschine abgestürzt. Lizzy war damals erst fünf Jahre alt. Seine Eltern waren sofort tot. Der Pilot, ein guter Freund von ihnen, hatte einen Schlaganfall erlitten und die Kontrolle über die Maschine verloren. Die Körper seiner Eltern und des Piloten wurden gefunden, die Leiche seiner Schwester jedoch nicht. Die Polizei hatte tagelang gesucht, doch ohne Erfolg. Man nahm an, dass der Körper des Kindes von Berglöwen verschleppt wurde. Ein solches Unglück konnte sie unmöglich überlebt haben. Er hatte auch sie beerdigt, gemeinsam mit den Eltern.

Erst einige Jahre später konnte er zu der Absturzstelle fahren, vorher hatte er es einfach nicht geschafft – zu sehr belastete ihn die Trauer um seine geliebte Familie. Trotz der schweren Zeit damals hatte er weiterstudierte und mit Erfolg seinen Abschluss gemacht. Doch in all den Jahren hatte er sein Versprechen nicht vergessen, ein anständiger Mensch zu bleiben und das Ansehen seiner Familie zu schützen – das hatte er am Tag der Beerdigung an den Gräbern seiner Familie geschworen.

Liebevoll pflegte er seither die Gräber und hatte auch das Anwesen seiner Eltern erhalten, nur dass er daraus eine Klinik gemacht hatte. Jeden Tag fuhr er durch die Einfahrt. Für ihn war es manches Mal noch, als würde er nach Hause kommen.

Hinter dem Hauptgebäude hatte er einige Bungalows errichten lassen, in ihnen befanden sich die Zimmer seiner meist reichen Patienten. Der Weg zu einem Privatflugplatz war nicht weit, es gab vor Ort auch einen Limousinenservice, der die gut betuchten Patienten in die Klinik und nach erfolgreicher Behandlung wieder zum Flugplatz brachte – die meistens der Patienten waren sehr auf Diskretion bedacht.

Mit seiner frisch angetrauten Frau führte er ein sorgenfreies Leben, sie wohnten schon seit drei Jahren zusammen und planten, so schnell als möglich ein Baby zu bekommen. Sandra war sieben Jahre jünger als Mark; sie hatte Sprachen studiert. Sie hatten sich bei einem Klassentreffen kennengelernt. Damals war sie mit einem ehemaligen Schulkameraden von Mark gekommen und mit ihm, dem erfolgreichen Arzt, gegangen. Alle Freunde hatten ihm von diesem Mädchen abgeraten, doch sie hatten sich sofort ineinander verliebt, als sie sich das erste Mal sahen.

Nun waren sie schon einige Jahre zusammen und sehr glücklich. Sandra arbeitete in der Presseabteilung einer großen Zeitung von San Diego; sie übersetzte die ausländischen Beiträge und verfasste Artikel in mehreren Sprachen. Sie machte ihren Job gut und war durch ihre Arbeit und die Freunde sehr ausgeglichen. Sie gehörte mittlerweile voll und ganz zu Marks Freundeskreis und keiner hatte mehr etwas gegen sie.

Als Mark ins Wohnzimmer kam, lagen da noch viele ausgeschnittenen Zeitungsartikel und Fotos auf Tisch, Boden und Couch. Sandra hatte alle Berichte über ihre Hochzeit aufgehoben und fertigte ein Album mit den Artikeln und Fotos an. Er hatte sie gestern Abend einfach geschnappt und ins Schlafzimmer getragen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er daran dachte – die Nacht war fantastisch, so glücklich wie in den letzten Wochen war er noch nie in seinem Leben. Sandra schaffte es, dass er immer wieder Sehnsucht nach ihr bekam.

Plötzlich wurde er von hinten umschlungen. »Guten Morgen, meine geliebte Ehefrau«, sagte er sanft.

»Guten Morgen, mein geliebter Ehemann.

Er drehte sich um und sah in ihre strahlenden Augen.

»Ich habe Hunger«, sagte sie lächelnd.

»Dann komm, Lucia hat bestimmt schon auf der Terrasse eingedeckt. Sie kennt uns genau und weiß, was wir nach so einer Nacht brauchen.«

Sie gingen Hand in Hand auf die Terrasse und es war tatsächlich bereits gedeckt.

Lucia war in der Küche schon mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigt. Sie war schon die Angestellte seiner Eltern gewesen. Nach deren Tod hatte sie zunächst als Hilfskraft in einem Supermarkt gearbeitet. Mark war damals noch nicht soweit, sich um einen eigenen Haushalt zu kümmern, und noch mit seinem Studium beschäftigt. Als er sie irgendwann zufällig in dem Supermarkt sah, war er bestürzt und gab sich die Schuld, dass es ihr nicht gut ging. Das war für ihn der Anlass gewesen, sich auf sein Erbe zu besinnen, denn sein Vater hatte ihm ein beachtliches Vermögen hinterlassen. Bis zu dieser Zeit hatte er das Erbe seines Vaters nicht angerührt. Es wäre so endgültig gewesen, wenn er an das Geld gegangen wäre. Für ihn stand fest, dass er es allein schaffen wollte, doch Lucia hatte dieses Schicksal nicht verdient. Mehrmals hatte er sich bei ihr entschuldigt und versprochen, ihr und den anderen Hausangestellten zu helfen. Das war der Zeitpunkt gewesen, an dem er entschieden hatte, sich selbstständig zu machen und sein Elternhaus zu einer Klinik umzubauen.

Seine Freunde hatten ihn für verrückt erklärt, doch er zog es durch, mit sehr viel Geschick und guten Beratern. In Finanzgeschäften war er sehr clever und handelte nicht, bevor er alles gut durchdacht und sich abgesichert hatte. Inzwischen war er einer der angesehensten und reichsten Ärzte in Kalifornien, mit einem tadellosen Ruf. Über ihn gab es keine Skandale und Frauengeschichten zu berichten.

Lucia war die Erste gewesen, die er wieder einstellte, allerdings in einem anderen Haus – er ließ sich das fantastische Haus bauen, in dem er jetzt mit Sandra wohnte, und fing ein komplett neues Leben an. Lucia war ihm dabei eine große Stütze. Mit ihrer Hilfe überwand er so manches Hindernis im Leben; sie waren sich so vertraut wie früher. Die anderen ehemaligen Angestellten arbeiten mittlerweile ebenfalls wieder für ihn und alle schätzen ihn als Chef sehr.

Sandra mochte Lucia; sie war unter den Hausangestellten die, die das Sagen hatte. Als sie sich kennenlernten hatte Sandra sie besonders herzlich begrüßt, von dem Tag an mochten sich die Beiden. Lucia sah das Gute in ihr und vertraute der Frau an der Seite ihres Chefs. Sie war schon immer besorgt um Mark, denn sie hatte ihn aufwachsen sehen und alles miterlebt, was in der Familie geschah. Oft hatte er als Kind bei ihr in der Küche gesessen und sich ausgeweint, wenn er zu streng von seinem Vater getadelt wurde. Sie hatte ihn dann immer getröstet und zwischen den Fronten vermittelte. Diese Familie war ihr Leben gewesen und nun gab es eine neue junge Familie und hoffentlich bald Nachwuchs.

Mark sah Sandra in die Augen. »Liebes?«

Sie nahm sich ein Stück Orange, steckte es sich in den Mund und fragte mit leiser sexy Stimme: »Ja?«

»Du machst mich wahnsinnig.«

»Ach ja?« Sie lachte frech.

»Ich würde gern wieder mit dir nach oben gehen, doch leider …!«

»Hast du nicht noch frei?« Traurig senkte sie den Kopf.

»Nein. Es stehen wichtige Operationen an und da muss ich selbst ran.«

»Gut … dann werde ich hier den ganzen Tag in sexy Klamotten herumlaufen und mich in der Sonne rekeln. Ich hoffe, dass deine Gedanken hier bei mir sind und du es nicht aushältst, in deinem viel zu warmen OP-Saal.«

»Du bist grausam«, sagte er grinsend.

»Selber schuld, nimm dir doch frei.«

»Geht nicht. Ich muss los.« Er küsste sie und machte sich auf den Weg.

.

Sandra ging ausgiebig einkaufen und dachte dabei auch an ihren Mann. Mit traumhaften Dessous kam sie nach Hause; sie wollte Mark am Abend damit überraschen.

Sie bekam per Telefon noch einen Auftrag dazwischengeschoben, eine zweiseitige Übersetzung, die hatte sie schnell erledigt. Danach war wieder ausruhen angesagt.

Anschließend ging sie am Strand spazieren und sah aus der Ferne, dass Mark nach Hause kam. Schnell lief sie ihm entgegen. Sie schaute ihn sich dabei genau an: die langen Beine und der Körper mit den langen Armen – alles war stimmig. Dazu sein Gesicht, so ebenmäßig geformt. Sie fand, dass sie einen sehr gut aussehenden Mann hatte. Ab und zu überlegt sie, wie denn ihre Kinder aussehen würden. Ihrer beider Wünsche lagen bei zwei bis drei.

Mark nahm sie in die Arme und küsste sie. »Ich war so lange von dir getrennt.«

»So schlimm?«

Er stand in seinem feinen Anzug vor ihr, atmete tief ein und meinte leise: »Ja, viel zu lange. Gehen wir rein?« Ein Lächeln huschte über seine Lippen.

***

Die Verliebtheit des jungen Ehepaares hielt noch einige Monate in der gleichen Intensität an; sie neckten sich und vermissten sich, kaum dass sie voneinander getrennt waren. Doch der Alltag holte sie schließlich in die Normalität zurück. Die Gefühle blieben zwar dieselben, doch die Selbstbeherrschung gewann mehr und mehr die Oberhand über spontane Leidenschaften, die Vernunft setzte sich gegen die Unvernunft der Liebenden durch.

Die Jobs der beiden nahmen einen großen Teil des Tages ein. Oft waren sie in Los Angeles auf Partys und Veranstaltungen, denn der Arzt der Prominenz war überall gern gesehen und sie lebten ihren Luxus voll aus.

An diesem Abend waren sie zu einer Gala eingeladen und Mark hatte wieder allerhand Kontakte geknüpft. Ganz nebenbei traf er sich mit seinem ehemaligen Kommilitonen und Freund Richard Gordon. Von Richards Leben wusste er sehr viel, schon damals hatte dieser sich ihm anvertraut – auch was er in seiner Freizeit so alles machte. Oft hatte Mark Brandwunden und andere sichtbare Blessuren bei Richard und seinen Männern beseitigt.

Nach der Gala saßen sie noch lange zusammen und besprachen ein gemeinsames Projekt, doch Richard kam ihm verändert vor, war anders vor als sonst. Eine gewisse Traurigkeit hatte sich über sein gesamtes Wesen gelegt. Mark konnte den Grund dafür aber auch durch geschickte Fragen nicht ergründen. Irgendetwas belastete seinen Freund, aber Mark wusste genau, dass Richard erst mit der Sprache herausrücken würde, wenn er es für notwendig hielt. Mark hatte gelernt geduldig zu warten, was Richard betraf.

***

Das kleine Flugzeug setzte zur Landung an und nach wenigen Minuten konnten die Passagiere aussteigen. Mark und Sandra waren wieder in San Diego. Der Fahrer erwartete sie bereits, um sie nach Hause zu bringen.

»Steward, ist alles in Ordnung daheim?«

»Ja, Mr. Chambers, es gab keine Probleme. Wie war es bei Ihnen? Haben Sie alles erreicht, was Sie wollten?«

»Natürlich, ich hatte sogar großen Erfolg bei meinen Verhandlungen. Ich habe jetzt eine Beteiligung an zwei Kliniken in Los Angeles und New York und kann dort auch arbeiten. Der größte Teil liegt in der Wiederherstellungstechnik und Gesichtsrekonstruktion. Das ist eine Herausforderung für mich.«

»Entschuldigung, Mr. Chambers, ich verstehe nicht viel davon, aber es freut mich, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben.«

»Das habe ich, Steward, vielen Dank.«

Sie bogen in ihre Straße ein. Vor der Einfahrt musste Steward plötzlich bremsen. Es lag etwas beziehungsweise jemand in der Einfahrt.

»Warum halten wir an?«

Steward beugte sich vor und sagte erschrocken: »Da liegt ein Kind auf der Straße. Direkt vor der Einfahrt.«

»Was?«, rief Mark entsetzt und stieg hastig aus.

Mark ging um den Wagen herum. Vor ihm lag ein etwa dreijähriges Mädchen, es war tot. Er nahm sein Telefon und rief die Polizei.

»Sandra, bitte geh schon mal ins Haus, ich kann hier jetzt nicht weg. Steward, fahr den Wagen an die Seite, die Polizei braucht Platz«, sagte er, als er die Tote gemeldet hatte.

Er führte seine Frau an dem toten Kind vorbei. Sandra sah aus dem Augenwinkel das Kind und legte schützend die Hand auf ihren Bauch.

Es dauerte ungefähr fünfzehn Minuten, bis die Sirenen zu hören waren. Mark stand mit den Händen in den Hosentaschen in der Auffahrt, als die Fahrzeuge eintrafen.

Steward kümmerte sich darum, neugierige Passanten und Nachbarn von dem Fundort fernzuhalten. Mark hatte das tote Kind bewusst nicht zugedeckt, damit keine Spuren vernichtet wurden. So wie sie da lag, wurde sie offensichtlich aus einem Fahrzeug geworfen und einfach liegengelassen. Der Fetzen, in den sie eingewickelt war, wies eine Menge Blut und Schmutz auf. Ihr Unterleib lag frei und er sah Verletzungen – tiefe Einstiche. Dem Kind war offensichtlich am ganzen Körper mit äußerster Brutalität Gewalt angetan worden. Mark schauderte bei dem Gedanken, dass irgendjemand einem kleinen Kind so etwas antun konnte.

Die Sirenen waren jetzt ohrenbetäubend laut und die Einsatzfahrzeuge bogen in seine Straße ein. Die Polizisten sicherten sogleich den Fundort ab. Aus einem der Wagen stiegen zwei Männer, darunter Marks ehemaliger Chef aus der Pathologie. Bei ihm hatte er gelernt, er war ein sehr strenger Boss gewesen. Mark konnte sich nicht erklären, wieso er mitgekommen war. Dessen Begleiter inspizierte den Tatort jedenfalls sehr genau.

»Guten Abend, Dr. Brown«, sagte Mark

»Jaja. Was haben wir denn hier?«

Mark hielt es für besser zu schweigen, denn Dr. Brown war schon damals nicht gut auf ihn zu sprechen gewesen, hatte ihn für einen arroganten Schnösel gehalten, der mit der Schönheitschirurgie reich werden wollte. Geduldig wartete Mark, bis der Arzt sich eine eigene Meinung gebildet hatte. Der andere Mann stellte sich heben Brown hörte dem Arzt zu und machte sich Notizen, die er mit einem angeknabberten Bleistift in einen zerfledderten Block schrieb.

»Wer schreibt denn heute noch mit einem Bleistift?«, wunderte sich Mark.

»Ich.« Der Mann ging in einem größeren Umkreis um das Opfer herum.

»Entschuldigung, wir wurden uns noch nicht vorgestellt«, versuchte es Mark noch einmal.

»Oh, habe ich vergessen. Mein Name ist Cooper, Detective Cooper. San Diego Police Department. Und Sie sind?«

»Mark Chambers, Doktor Mark Chambers.«

»Sind Sie der …?«

Mark nickte. »Ja, der bin ich wohl.«

»Dann habe ich mir die Hochzeit von Ihnen ansehen müssen.« Mark verstand den Mann nicht, doch dieser klärte ihn sofort auf: »Wissen Sie, meine Frau ist ein Fan von Ihnen. Deshalb hat sie Ihre Hochzeit im Fernsehen angesehen und ich musste mir den Quatsch mit antun. War schrecklich, das kann ich Ihnen sagen. Warum macht Ihr Prominenten immer so einen Aufriss? Geht das nicht auch eine Stufe darunter?«

»Entschuldigung«, brachte Mark verblüfft hervor, »wie kann ich das wieder gutmachen?«

»Sagen Sie mir einfach die Wahrheit: Was ist hier geschehen?« Mark erzählte ihm, dass sie eben erst aus LA zurückgekommen waren.

»Als ihr Fahrer hier losgefahren ist, lag die Leiche noch nicht da?«

»Bitte fragen Sie ihn, er steht dort drüben.«

»Gleich. Sie sagten, dass Sie und Ihre Frau im Auto waren. Wo ist Mrs. Chambers?«

»Ich habe sie ins Haus geschickt. Meine Frau ist im vierten Monat schwanger und ich möchte jegliche Aufregung von ihr fernhalten.«

»Verstehe.«

Cooper ging auf die andere Straßenseite zu Steward. Er unterhielt sich ziemlich lange mit ihm und sein Blick wanderte immer wieder zu Mark. Dieser Cooper brachte es fertig, dass Mark sich unwohl fühlte, ohne etwas verbrochen zu haben.

Der Detective schrieb sehr viel in seinen Block und kam dann wieder zu Mark. »Ich würde jetzt gern mit Ihrer Frau sprechen.«

»Muss das sein? Sie hat sich hingelegt, es geht ihr nicht gut.«

»Es muss sein. Ich will diesen Mord aufklären. Das Kind liegt vor Ihrem Haus und es weist alles darauf hin, dass Sie etwas damit zu tun haben.«

»Ich bitte Sie, Detective, wir sind gerade erst zurück. Ich sagte Ihnen doch, dass wir in LA waren. Für drei Tage. Wann und wie soll ich das hier denn angestellt haben?« Mark ging voran zum Haus.

»Ich habe es mitbekommen. Doch es kommt mir seltsam vor, dass sie hier liegt und nicht irgendwo … in einem Busch oder Wald. Das sagt mir, dass sie etwas mit dem Tod des Kindes zu tun haben müssen. Es ist möglicherweise ein Hinweis – oder eine Drohung?«

»Ich habe nichts mit dem Tod dieses armen Kindes zu tun. Das Mädchen habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ich bitte sie, konstruieren sie hier nichts zusammen.« Er öffnete die Tür und fragte Lucia nach Sandra.

»Sie hat sich hingelegt, sie ist ziemlich fertig. Da sollte mal ein Arzt nachschauen.«

»Ich gehe sofort nach oben.«

Cooper begleitete Mark unaufgefordert und blieb in der Tür, zum Schlafzimmer stehen. Er besah sich interessiert die Einrichtung des schönen Raumes, der Gemütlichkeit ausstrahlte.

Mark saß auf dem Bett bei Sandra und schaute sie besorgt an. »Wie fühlst du dich, Liebes?«

»Ich brauche nur etwas Ruhe und eine Erklärung. Wer ist dieses Kind und warum liegt es bei uns in der Einfahrt?«

»Ich weiß es nicht, Liebes. Auf diese Frage habe ich auch keine Antwort.«

Cooper ging langsam auf die beiden zu. »Detective Cooper. Ich hätte da ein paar Fragen an Sie«, wandte er sich an Sandra. »Wo haben Sie sich die letzten achtundvierzig Stunden aufgehalten und kannten Sie dieses Kind?« Er hielt ihr sein Handy mit einem Foto der Leiche vor die Nase.

Sandra dreht sich erschrocken weg. »Lassen Sie das!«, kreischte sie entsetzt. »Sie haben doch gehört, dass ich meinen Mann fragte, wer dieses Kind ist.«

»Tut mir leid, ich mache nur meine Arbeit.«

»Ich kenne dieses Kind nicht, Detective. Wir sind heute Abend aus LA wiedergekommen, wir waren dort seit drei Tagen. Mein Mann war die ganze Zeit mit mir zusammen und bei der Besprechung, die er hatte, waren Kollegen von ihm dabei.« Cooper nickte und schaute nachdenklich auf den Boden.

Ein Polizist kam ins Zimmer und beugte sich zu Cooper. Sie steckten die Köpfe zusammen und flüsterten. Cooper nickte nur und der Polizist ging wieder nach unten.

»Wie sagten Sie, hieß das Hotel, in dem Sie in Los Angeles waren?«

Mark und Sandra sahen sich an und verstanden nicht, was das Hotel mit dem toten Kind zu tun haben sollte. »Es war der Season Club. Aber warum …«

»Mr. Chambers, ich möchte, dass sie mich aufs Revier begleiten. Mir ist so einiges noch nicht schlüssig.«

»Aber wieso? Ich war gar nicht hier, als das Kind da draußen abgelegt wurde.«

»Bitte kommen Sie, wir reden auf dem Revier weiter.«

Mark presste die Lippen zusammen und nahm sein Handy. Er wählte. Cooper wollte es ihm aus der Hand nehmen.

»Ich informiere nur meinen Anwalt. Was Sie hier abziehen, ist eine Frechheit.«

Sandra hatte Angst, dass Mark jeden Moment explodieren könnte, und versuchte, beruhigend auf ihn einzuwirken: »Bitte geh mit ihm mit. Es wird sich alles aufklären.« So hatte sie ihn noch nie gesehen. Er war immer sehr beherrscht und ruhig, doch eben stand er kurz vor einem Ausbruch seiner Gefühle. Mark drehte sich um und sah noch einmal nach seiner Frau. Sein Blick war traurig und verzweifelt.

»Lucia, kümmere dich um sie, ich muss mit den Herrschaften gehen.«

Als die Haustür ins Schloss fiel, war es mit einem Schlag totenstill im Haus. Lucia ging zu Sandra, die weinend am Fenster stand und dem Polizeiwagen hinterher schaute, der soeben das Grundstück verließ.

»Was wollen die von Mark? Wir waren doch nicht hier, als das geschehen ist.«

»Es wird alles gut, Sandra, bitte reg dich nicht auf. Denk an das Baby. Das kleine Würmchen da drin kann keinen Stress gebrauchen.« Sie legte ihre Hand ganz behutsam auf den Bauch von Sandra und lächelte.

Traurig sank Sandra auf den Bettrand.

Lucia bot ihr einen Tee an und brachte sie dazu, mit ihr in die Küche zu gehen. Dort saßen sie und sprachen über das arme tote Kind; Lucia lenkte das Gespräch auf das Kind von Sandra

und die Zukunft der jungen Familie.

Als Mark und der Detective am Revier ausstiegen, raste ein tiefblauer Porsche auf den Parkplatz.

Der Detective raunzte den Fahrer an: »Sind Sie jemand Besonderes oder nur ein reicher Snob, der mit seinem Schlitten vor der Polizei angeben will?«

Lächelnd stand der Mann vor ihm, zog eine Visitenkarte aus der Brusttasche und reichte sie dem Detective. »Mein Name ist Nino Fornato. Ich bin der Anwalt von Mr. Chambers.« Cooper meinte nur: »Sie sind sich sicher, dass er einen Rechtsverdreher braucht?«

»Zumindest sehe ich, dass mein Mandant hier ist und ein Problem mit Ihnen hat.«

»Sind Sie Italiener?«

»Nein, Amerikaner in dritter Generation.«

»Aha.«

Sie gingen ins Revier. Mark und sein Anwalt wurden in einen Verhörraum gebracht.

Mark und Nino begrüßten sich erst einmal richtig. Nino wollte gleich wissen, was denn geschehen sei.

»Wenn ich das wüsste. Angeblich will man mir nur einige Fragen stellen, doch es sieht nach einer Vorverurteilung aus. Wir sind heute Abend nach Hause gekommen, aus LA. Vor unserer Einfahrt lag ein totes Kind, ein Mädchen. Ich habe sie mir kurz angesehen, das Kind ist schwer misshandelt und höchstwahrscheinlich auch vergewaltigt worden. Ich weiß nicht, warum dieser Cooper denkt, dass ich mit der Sache etwas zu tun habe.«

»Du und Sandra?«

»Ja.«

»Kennst du das Kind?«

»Nein, noch nie gesehen.«

Ein junger Arzt betrat den Raum und bat Mark um eine Blutprobe.

»Wieso? Ich habe mit dem Tod des Kindes nichts zu tun! Wozu dann die Blutprobe?«

Cooper stand in der Tür und hielt Mark ein Schreiben hin. »Das ist eine Anordnung vom zuständigen Richter. Sie werden aufgefordert kooperativ zu sein und zur Feststellung ihre DNA und weiterer Spuren eine Blutprobe abzugeben.«

Nino beugt sich dicht an Mark heran und sagte: »Wenn du unschuldig bist, dann ist das doch kein Problem.«

Mark setzt sich zähnekirschend an den Tisch und reichte dem Arzt seinen Arm. »Ich verstehe nur nicht diesen Aufriss. Sie verdächtigen den Falschen statt den wahren Mörder zu suchen und ihn hinter Schloss und Riegel zu bringen.«

Cooper sagte lapidar: »Nur weil sie reich und berühmt sind, heißt das nicht, dass Sie automatisch unschuldig sind.«

Nino drohte sogleich mit einer Beschwerde.

Cooper hob beide Arme und ließ eine flapsige Entschuldigung folgen. Dann verließ er mit dem Arzt den Raum.

Stunden vergingen, ohne dass etwas geschah. Nino verlangte immer wieder eine Erklärung für die Wartezeit, doch der Detective war nicht aufzutreiben und keiner konnte ihm sagen, was los war.

»Ich wollte nur die Obduktion abwarten, doch es scheint länger zu dauern«, meinte er nur, als Nino ihn endlich auf dem Flur erwischte.

»Gut. Sie haben keinen weiteren Grund Mr. Chambers hier festzuhalten. Dann werden wir jetzt gehen.«

Cooper wollte noch etwas erwidern, doch Nino ging zurück in den Verhörraum und holte Mark. Gemeinsam verließen sie das Revier.

Cooper murmelte vor sich hin. »Blöde Anwälte, wie ich dieses Volk hasse.« Er konnte nichts machen, das wusste er. Währenddessen obduzierte Dr. Brown persönlich das tote Kind. Er sicherte DNA am gesamten Leichnam und schickte alles zur Untersuchung ins Labor.

***

Tage vergingen und sie hörten nicht mehr von Cooper. Mark war sich sicher, dass sich die Sache erledigt hatte.

Bei Dienstantritt fand Cooper den Obduktionsbericht und die Laborergebnisse auf seinem Schreibtisch vor. Triumphierend hielt er die Dokumente in den Händen. »Dachte ich es mir doch!«

Wenig später kam Cooper mit einem ganzen Rudel Beamter im Schlepptau und einem Durchsuchungsbefehl in die Klinik. Das Personal wurde aufgefordert die Arbeit niederzulegen und sich für eine Befragung zur Verfügung zu halten. Mark sollte den OP-Saal sofort verlassen, doch er konnte den Polizisten erklären, dass er den Patienten, der gerade auf dem Tisch lag, nicht einfach so liegen lassen konnte. Als er die Operation dann endlich beendet hatte, wurde er in Handschellen zum Revier gebracht.

Als Mark wieder in den Verhörraum gebracht wurde, fesselte man ihn mit den Handschellen an den Tisch. Cooper kam dazu, er sah zufrieden aus.

»Cooper, was soll das? Wieso werde ich wie ein Schwerverbrecher vor meinen Angestellten und Patienten abgeführt und sitze jetzt hier?«

»Nur mit der Ruhe, Doktor Chambers.«

Cooper verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Auf dem Flur traf Cooper Staatsanwalt Norman Hunter.

»Cooper, das ist eine prekäre Angelegenheit. Chambers ist nicht unbekannt in unsere Gegend. Sind Sie sich sicher? Die Beweise, die Sie da haben, könnten wie eine Seifenblase zerplatzen.«

»Ja, Mr. Hunter, ich bin mir sicher. Er hat das Kind ermordet. Die Kleine ist ihm wahrscheinlich aus dem Auto gefallen, als er sie wegbringen wollte. Der Chauffeur sagte aus, dass er das ganze Wochenende das Grundstück nicht verlassen habe. Als er die Chambers abgeholte, nahm er die hintere Ausfahrt des Grundstücks, weil dort die Garagen sind.«

Der Staatsanwalt hörte genau zu und ging mit Cooper zum Verhörraum. »Nun, dann werden wir ihn mal befragen.« Sie betraten den Raum gemeinsam. Cooper hatte das erforderliche Aufzeichnungsgerät dabei.

Mark wurde ganz anders zumute, als er den Staatsanwalt erblickte. »Staatsanwalt Hunter … können Sie mir erklären, was hier los ist? Detective Cooper ist sehr unfreundlich und gibt mir keinerlei Auskünfte.«

»Mr. Chambers, Sie werden beschuldigt, für den Tod Ihrer Tochter verantwortlich zu sein oder zumindest eine Mitschuld zu tragen.«

»Wie bitte? Tochter? Mitschuld? Was erzählen Sie denn da?« Mark war sehr ungehalten und seine Stimme überschlug sich vor Aufregung.

»Bitte bleiben Sie ruhig. Wir können doch ganz sachlich über diese Angelegenheit sprechen.«

»Bitte sagen Sie mir erst einmal, wovon Sie überhaupt sprechen. Meine Frau ist im vierten Monat schwanger – mit meinem ersten Kind. Verstehen Sie? Mein erstes Kind!«

»Sie erinnern sich an die Blutprobe, die man Ihnen abgenommen hat?«

»Ja, allerdings. Und es geschah freiwillig.«

Cooper stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. »Freiwillig hin oder her, eines steht fest. Sie sind der biologische Vater dieses Kindes, das tot in ihrer Einfahrt lag. Dieses Kind ist bestialisch gequält worden und diesen Qualen letztendlich erlegen. Sie wurde auf die brutalste Art und Weise vergewaltigt und verstümmelt. Es wurden Instrumente benutzt, wie sie üblicherweise ein Arzt hat. Ihre DNA wurde auf dem Körper des Kindes gefunden. Also: Warum haben Sie sie umgebracht und wo haben Sie sie versteckt gehalten?«

»Jetzt hört es aber auf … Sind sie völlig wahnsinnig? Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich dieses Kind nicht kenne. Mein Gott, das arme Mädchen tut mir sehr leid, aber ich kann Ihnen versichern, dass ich noch keine Kinder habe. Ihnen ist ein Fehler unterlaufen oder die Probe wurde verunreinigt. Ich möchte die Laborergebnisse einsehen.«

»Ach, also denken Sie, dass sie vielleicht doch irgendwo ein Kind gehabt haben könnten. Vielleicht noch aus Ihrer Studentenzeit?«

»Nein, das Kind ist etwa drei Jahre alt gewesen. Vor drei Jahren war ich schon mit meiner jetzigen Ehefrau zusammen. Ich sehe schon, Sie glauben mir nicht. Ich will sofort meinen Anwalt sprechen.«

Hunter und Cooper nickten kommentarlos.

Nach einer Stunde traf Nino Fornato auf dem Revier ein. Er und Mark unterhielten sich lange und Nino Fornato forderte anschließend Kopien der Untersuchungsergebnisse und die Ermittlungsakte an.

Mark studierte die Berichte genau und kam zu dem Schluss, dass sie recht hatten. Er verlangte einen erneuten DNA-Test. Ein weiteres unabhängiges Institut wurde beauftragt.

Gegen eine hohe Kaution wurde Mark noch am gleichen Tag auf freien Fuß gesetzt, da er ein sicheres soziales Umfeld hatte und es keine Indizien für seine eventuelle Beteiligung am Mord gab. Dass er der Vater war, führte nicht zwangsläufig dazu, dass er das Kind auch getötete hatte.

Doch Cooper, das wusste Mark, würde nicht aufgeben.

Sandra saß weinend im Wohnzimmer und hielt ein Schreiben in ihrer Hand. Die Zeitung hatte ihr gekündigt, da das Blatt Angst vor einer Rufschädigung hatte.

Mark und Nino kamen gerade herein.

»Was hast du da?«

Mark las das Schreiben und schüttelte den Kopf. Wie hatten die nur so schnell davon erfahren können?

Sandra sah ihren Mann ungläubig an, als wollte sie fragen, was er getan hatte.

»Ich bin unschuldig, ich weiß auch nicht, warum dieses Kind meine DNA hat. Im Moment zerbricht alles um mich herum. Ich würde das gern von dir fernhalten, doch wie du siehst, geht es nicht.«

»Aber, die DNA eines Menschen ist doch nicht fälschbar. Und du sagst, du hast noch kein Kind. Wie kann dann dieses Kind deine Tochter gewesen sein?«

»Das wüsste ich auch gern. Es ist mir ein Rätsel.«

Nino räusperte sich. »Es hat jetzt keinen Sinn, wenn ihr euch die Köpfe zermartert. Warten wir erst einmal die zweite Probe ab und dann denken wir weiter nach. Ach übrigens: Deine Klinik ist wieder freigegeben. Sie haben allerdings alles auf den Kopf gestellt. Stürz dich in die Arbeit und hör auf nachzudenken. Das ist ein gut gemeinter Rat.«

»Ich habe Angst. Es ist ein eigenartiges Gefühl.«

Sandra verließ das Wohnzimmer und ging zu Lucia in die Küche. Sie bat sie, Nino für das Mittagessen mit einzuplanen.

Nino nutzt die Gelegenheit und fragte bei Mark genauer nach. Er bat ihn, nochmals genau nachzudenken. Es wäre doch immerhin möglich, dass er irgendwann eine Beziehung hatte, die unschön auseinanderging. Aus der vielleicht ein Kind stammte, von dem er nichts wusste.

Mark beharrte darauf, dass das nicht sein konnte. Seit mehreren Jahren war er schon mit Sandra zusammen und er war ihr immer treu gewesen.

Nino stand vor ihm und suchte einen Ausweg, doch die Situation war zu verworren. »Nun, das Kind war ungefähr drei bis dreieinhalb Jahre alt. Überlege genau, was du vor vier Jahren und ein paar Monaten gemacht hast.«

»Ich habe mir auch schon das Hirn zermartert, doch da war niemals was. Vor vier Jahren war ich in Kolumbien. Ich habe dort eine Klinik mit aufgebaut und viele Kinder operiert, die behindert auf die Welt gekommen sind. Dort war ich mit Ärzte ohne Grenzen. Die Kollegen und ich, wir haben bis zur Erschöpfung fast rund um die Uhr im OP gestanden.«

»Wie lange warst du dort?«

»Etwa drei Monate, bis ich von dem Kollegen abgelöst wurde, für den ich eingesprungen war.«

»Danach?«

»Ich bin sofort wieder hier her nach Hause gekommen, zu der Zeit hatte ich ja bereits meine eigene Klinik. Nino, ich verstehe das alles nicht, das ist ein schrecklicher Albtraum und ein Irrtum.«

Diese Diskussion war sinnlos, sie kamen nicht weiter.

Der Duft des Essens lockte die beiden zu Tisch und das Thema war vorerst erledigt.

***

Tage später wurde Mark erneut verhaftet und dieses Mal sah es nicht gut für ihn aus. In dem Tuch, in das das Tote Mädchen eingewickelt war, fand man einen Gummihandschuh. Im Inneren des Handschuhs konnte man DNA von Mark nachweisen. Des Weiteren war das Ergebnis der zweiten Blutprobe wie erwartet: Mark war der biologische Vater des toten Mädchens. Aufgrund dieser Beweise wurde er nun dem Haftrichter vorgeführt und dieser entschied, dass Mark in Untersuchungshaft kam. Ihm war das Vermögen von Mark Fluchtgrund genug.

***

Er saß nun schon seit einigen Wochen in Untersuchungshaft. Immer wieder wurde er verhört, doch da er nichts wusste, konnte er auch nichts weiter dazu sagen. Man warf ihm vor, dass er das ungewollte Kind loswerden wollte, da seine Ehefrau ein legitimes Kind erwartete. Außerdem war das Kind an Leukämie erkrankt und man unterstellte Mark, dass er die hohen Kosten für die Therapie nicht bezahlen wollte, weshalb er das Kind entsorgen ließ. Man fand fünftausend Dollar im Safe des Hauses. Jemand hatte ein Datum darauf geschrieben – es war der Tag, als die Chambers nach LA flogen. Cooper vermutete, dass dies das Geld des Mannes war, der das Kind vergewaltigt und ermordet hatte und die Leiche in der Auffahrt ablegte, weil er wegen irgendetwas unzufrieden war. Vielleicht wurde er auch gestört oder es ging etwas schief.

Staatsanwalt Hunter schenkte Coopers These Glauben. Er verwies auf die gefundenen Beweise gegen Mark und schloss eine direkte Mittäterschaft nicht aus: »Sie haben Ihre Tochter vielleicht nicht persönlich ermordet, doch alles weist darauf hin, dass Sie den Auftrag zu ihrer Ermordung gaben.« Er teilte Mark mit, dass er den Prozess eröffnen würde.

Die ganze Situation, war Mark völlig unverständlich und er fühlte, wie es ihm den Boden unter den Füßen wegzog.

In einem weiteren Verhör versuchte Cooper nochmals, die direkte Konfrontation mit seiner These, um Mark zu einem Geständnis zu bewegen.: »Wer hat sich mit dem Kind vergnügt und es dann umgebracht?«, schleuderte er Mark entgegen. »Sie haben zugelassen, dass jemand das Kind vergewaltigte und ermordete. Sie sind dann hingegangen und haben den Tod festgestellt. So kam der Handschuh in das Tuch, in das die Leiche eingewickelt war. Das Handtuch stammt aus dem Hotel in Los Angeles, in dem sie gewohnt haben. Sie wurde dort ermordet, nicht wahr? Später brachten Sie sie nach San Diego, um sie hier zu entsorgen.« Cooper redete sich so sehr in Rage, dass seine Stimme sich fast überschlug: »Das war ein kleines Kind von drei Jahren, sie hatte ein Leben. Sie, Mr. Mark Chambers, haben ihr keine Chance gegeben, auch nur einen Hauch von Glück und Liebe zu bekommen. Sie sind ihr Mörder!«

Cooper ging auch davon aus, dass hinter all dem ein Kinderschänderring steckte, dessen sich Mark entweder bediente, um das Kind loszuwerden, oder dem er gar angehört. Als Mediziner kam er leicht an Betäubungsmittel heran. Er verlangte von Mark Namen weiterer Beteiligter.

»Cooper, wenn es so gewesen wäre, dann hätte ich bestimmt die Kosten einer Therapie nicht gescheut und das Kind gerettet. Niemals im Leben würde ich eine solche Tat, wie Sie sie mir unterschieben wollen, begehen. Das mit dem Handschuh kann ich mir nicht erklären. Als ich ihren Puls fühlen wollte, vor meiner Einfahrt, hatte ich keine Handschuhe an. Bitte hören Sie auf, sich etwas zusammen zu reimen. Was Sie da machen, ist Verleumdung und Rufmord.«

»Mr. Chambers, man hat die Spur auf Sie gelenkt. Das sagt mir, dass Sie etwas damit zu tun haben, auch wenn in Ihrem Auto nichts gefunden wurde. Sagen Sie die Wahrheit und gestehen Sie. Der Strick um Ihren Hals zieht sich immer enger zu. Ich brauche Namen!« Er hielt Mark Kontoauszüge vor die Nase. »Was sind das für Zahlungen?«

»Was für Namen, was für Zahlungen?« Mark war am Ende seiner Kräfte.

»Die Zahlung von Ihrem Konto. Eine Viertelmillion Dollar ging auf das Konto einer Klinik in Los Angeles. Hat Ihnen dort jemand geholfen oder was soll das bedeuten? Ist das Ihr Mittelsmann? Nennen Sie mir den Namen!«

Mark schwirrte der Kopf. »Das ist eine Anzahlung für einen Anteil an einer Klinik. Ich habe an diesem Wochenende, bevor das Kind gefunden wurde, Verhandlungen in LA geführt. Jetzt bin ich Teilhaber an zwei weiteren Kliniken. Die gehören einem gewissen Doktor. Richard Gordon. Eine der Kliniken ist in LA und die andere in New York. Wieso haben Sie das nicht selber überprüft? Ich muss noch eine weitere Rate in gleicher Höhe bezahlen.«

Der Detective warf Mark daraufhin vor, alles nur hinauszuzögern. »Das wird Ihnen aber nichts nützen, letztendlich werden wir Ihnen alles nachweisen können.«

Kurz darauf war Mark wieder in seiner Zelle und hatte das Gefühl, das alles um ihn herum zerbrach. Er wusste genau, dass Cooper sich nur an die Beweise hielt, doch woher kamen die? Die Angst, für etwas verurteilt zu werden, dass er nicht begangen hatte, wuchs.

2. Kapitel

Ursache und Wirkung

Jahre vor den Ereignissen bei Mark Chambers arbeitete Susanne Recenko in einem Krankenhaus in Texas. Es war eine Klinik für psychisch kranke Menschen. Sie hatte dort die gynäkologische Abteilung übernommen. Sehr viele der Patientinnen waren vergewaltigt worden und daraus resultierend oftmals schwanger. Diese Frauen und Mädchen waren nicht in der Lage zu erkennen, was dies für sie bedeutete und in welcher Situation sie sich befanden. Deshalb wurde gemeinsam mit den Familien entschieden, wie der weitere Behandlungsverlauf aussehen sollte. Meistens lief es auf eine Abtreibung hinaus. Die selteneren Fälle waren, dass die Kinder zur Adoption freigegeben wurden. Die meisten der Patienten waren sehr lange Zeit in der Klinik und man bemühte sich, ihnen den Alltag so angenehm wie möglich zu gestalten und in den Therapiesitzungen zu helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Susanne Recenko hatte die Station von einem älteren Kollegen übernommen, der sich zur Ruhe setzte. Sie war sehr zufrieden gewesen, nach einem stressigen Arbeitsverhältnis in einer Unfallklinik diese Stelle bekommen zu haben. Der alte Doktor hatte sie gut eingearbeitet und sie fand sich sehr schnell zurecht.

Die Zusammenarbeit mit den neuen Kollegen war hervorragen. Es gab einen gutaussehenden Psychologen, der an ihr interessiert zu sein schien. Nach einigen Dates im Laufe von zwei Monaten trafen sie sich schließlich in ihrer Wohnung. Susanne hatte nicht damit gerechnet, dass sich ihr komplettes Leben, in dieser Nacht ändern würde.

Zu ihrem Entsetzen zog er ein Messer und zwang sie, sich zu entkleiden. Immer wieder betonte er, dass er lange genug gewartet hätte und endlich das haben wollte, was er von ihr erwartete. Er schlug und trat sie, band sie geknebelt an einem Heizkörper fest und verging sich an ihr. Als er fertig war, schlug er wieder auf sie ein, nahm eine Kerze und ließ das heiße Wachs auf ihren Körper tropfen. Er hatte offensichtliche Freude daran, ihr Qualen zu bereiten. Mit leiser Stimme verlangte er von ihr, die Schmerzen zu genießen. Für eine weitere Vergewaltigung benutzte er verschiedene Gegenstände. Susanne wurde dabei mehrfach ohnmächtig, doch er holte sie immer wieder zurück. Als sie kaum noch ansprechbar war, band er sie los und zerrte er sie an den Haaren ins Bad. Dort ließ er kaltes Wasser in die Wanne und tauchte sie immer wieder unter. In Todesangst kämpfte sie um ihr Leben. Anschließend warf er sie aufs Bett und begann von Neuem mit seinem bösen Spiel.

Irgendwann ließ er ab von ihr und legte sich neben sie. Mit einem Lächeln im Gesicht streichelte er ihre Wangen und sagte. »Du bist gut im Bett. Wir werden uns ein paar Tage freinehmen und unsere Liebesspiele genießen.« Er löste den Knebel und drohte ihr mit dem Messer. Susanne schwieg, zu groß war die Angst, dass er zustechen könnte.

Am nächsten Morgen telefonierte er mit der Klinik und teilte den Kollegen mit, dass er sich unbezahlten Urlaub nähme, eine dringende Familienangelegenheit. Danach ging er ins Bad und duschte.

Susanne lag gefesselt auf dem Bett und sah die vielen blauen Flecken auf ihrem Körper. Panisch suchte sie einen Ausweg. Es blieb ihr keine Zeit mehr nachzudenken, denn aus dem Bad kamen Geräusche, die sie aufhorchen ließen. Er warf alles zu Boden, als suche er etwas in ihren Schränken. Dann kam er wieder. Tränen verschleierten ihren Blick und sie sah nur einen Schatten, der vor ihr stand.

»Wo hast du deine Unterwäsche?«

Sie war auf eine solche Frage nicht vorbereitet und sah ihn nur verstört an. Er wartete die Antwort nicht ab und fing an, sämtliche Schubladen und Schranktüren zu öffnen, zerrte fast alle Sache heraus und durchwühlte sie. Einige Kleidungsstücke packte er in eine kleine Reisetasche. Bei der Unterwäsche ließ er sich mehr Zeit und wählte genauer aus.

»Du wirst sehr schön darin aussehen.«

Sorgfältig legte er die Sachen zu den anderen.

»Simon, warum tust du das? Was hast du vor?«, keuchte sie schließlich.

»Komm schon, du weißt doch, was nun unweigerlich folgt.« Susanne musste schlucken und das Zittern fing wieder an.

Er machte sich an ihr zu schaffen und sie war gedanklich schon wieder auf Schmerzen eingerichtet, doch er tat etwas, worauf sie nicht gefasst war: Er zog sie an. Nachdem er ihr die Jeans übergezogen hatte, löste er die Handfesseln und reichte ihr einen BH. Er sah ihren fragenden Blick, aber sagte nichts.

Als sie komplett angezogen war, nahm er die Tasche und führte sie nach draußen zu seinem Wagen. Eingeschüchtert folgte sie ihm fast apathisch. Der Morgen war kühl und die Straße menschenleer. Mit etwas Nachdruck zwang er sie, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, und fuhr los – sie hatte ihre letzte Chance zu schreien oder wegzulaufen verpasst.

Nach einigen Stunden wurde die Gegend immer verlassener und die Natur üppiger. Kein Wort fiel zwischen ihnen. Es lief nur das Radio. Seine Worte hämmerten in ihrem Kopf. Was meinte er mit dem Unweigerlichen, das folgen würde? Sie ahnte, dass sie das alles nicht überleben würde.

Trotz der großen Angst war sie ein wenig eingeschlafen und wurde erst wach, als der Wagen stoppte. Verstört sah sie sich um. Er war ausgestiegen und ging auf eine Hütte zu. Rundherum war nur Wald und sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Aus ihren Gedanken gerissen hörte sie, wie er sie fragte. »Kommst du?«

Langsam stieg sie aus. Erst jetzt spürte sie die Schmerzen und die Anstrengung der letzten Nacht. »Was hast du vor? Simon, bitte rede mit mir.«

Er reagierte genervt. »Es war bisher schön still. Das soll so bleiben.« Mit erhobenem Zeigefinger stand er vor ihr, dann packte er sie derb am Arm und zerrte sie mit sich. »Das ist das Schlimme mit euch Weibern, ihr wollt immer quatschen. Männer wollen nicht reden. Männer wollen Sex und Frauen haben zu gehorchen.«

Mit weitaufgerissenen Augen starrte sie ihn an und folgte ihm notgedrungen in die Waldhütte.

Sie brauchte einen Moment, um sich an die Lichtverhältnisse im Inneren zu gewöhnen. Als er das Licht einschaltete, schreckte sie zurück: In der Mitte des Raumes stand ein rustikaler Tisch, er schien sehr alt zu sein. Der Tisch ähnelte eher einer mittelalterlichen Folterbank oder einem Opferstock. Susanne konnte förmlich das Blut riechen, das auf ihm vergossen wurde, die dunklen Flecken auf ihm bezeugten dies.

An den vier Ecken waren Eisenringe mit Lederbändern angebracht. Auf einem Beistelltisch lagen medizinische Instrumente und alte Werkzeuge, deren Bezeichnung sie nicht kannte. Jedoch flößten sie ihr panische Angst ein.

Susanne wollte fliehen, doch er war schnell bei ihr und forderte sie auf, ihren Platz einzunehmen: »Mach schon, wir haben nur heute Nacht für uns allein. Morgen werden meine Freunde sich mit dir beschäftigen.«

Das war zu viel für Susanne, sie brach ohnmächtig zusammen. Nach einer Weile erwachte sie und fand sich in der Lage, die sie sich bildlich schon vorgestellt hatte, als sie den Tisch sah: Nackt und an alle vier Gliedmaßen gefesselt lag sie da.

Simon wusch sie. Leise brabbelte er vor sich hin und berührt sie dabei überall. Sie verstand die Worte nicht, es war eine altertümliche Sprache. Die Situation war schier aussichtslos, aber sie versuchte trotzdem, sich zu wehren. Er rügte sie dafür und wurde derber. Sie versuchte, an etwas anderes zu denken, doch als er sie gewaltsam nahm, waren die Schmerzen höllisch und sie schrie aus vollem Hals.

»Ja, so lieben wir es. Es wird lange dauern, dein Leiden.« Langsam stieg er vom Tisch herunter und zog sich wieder an, dann verließ er den Raum.