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Südostasien im Umbruch

Eine Reise durch die Vergangenheit und Gegenwart einer Weltregion

Gerhard Berka

© 2017 Gerhard Berka

Autor: Gerhard Berka

Umschlaggestaltung, Illustration: Gerhard Berka

Verlag: myMorawa von Morawa Lesezirkel GmbH

978-3-99070-252-9 (Paperback)

978-3-99070-253-6 (Hardcover)

978-3-99070-254-3 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

INHALT

Was den werten Lesern dieses Buches erwartet

Der Beginn einer Reise - Hongkong

Ein Meer im Zentrum des Weltgeschehens

Wie eine Weltregion zur Weltregion wird

Die Straße von Malakka

Malakka, wo es begann

Singapur und die Urbanisierung

Penang und die Kunst der kolonialen Herrschaft

Kuala Lumpur und die Modernisierung Südostasiens

Cameron Highlands und der Biolandbau

Terengganu und der Beginn des Islams in Südostasien

Borneo und der Wald

Java und Bali - Die indonesische Herausforderung

Das Ende der Reise - Bangkok

Der indische Ozean – Ein Epilog in luftigen Höhen

Verwendete Literatur

Was die werten Leser dieses Buches erwartet

Jede Fahrt beginnt mit der ersten Idee, sie will sich mit Leben füllen. Das Werk aus dürren Strichen verlangt nach Bildern. Plötzlich weiß man, was man zu tun hat.

Jede Reise beginnt mit einer ersten Idee, die sich im Kopf undeutlich abzeichnet, über die Zeit reift und sich zu einem konkreten Plan entwickelt. Der Anstoß zu dieser ersten Idee kann vieles sein, zufälliges aus einer Begegnung oder einem eher belanglosen Detail, das man im Alltag.wahrnimmt. Ein solches Detail bildete meinen Anstoß, genau genommen eine flatternde Fahne im Wind. Seit Jahren weht diese Fahne vor dem nach Konkurs aufgegebenen und seither nicht genutzten und leerstehenden ehemaligen Luxushotel Sauerhof ohne weiter Beachtung zu finden. Und doch verdient sie Beachtung, denn es ist die Flagge Malaysias. Ein bedeutungsloses Detail, gewiss, aber es stellt sich die Frage, warum eine malaysische Fahne mitten in einer österreichischen provinziellen Kleinstadt weht?

Szenenwechsel: Eine vom Text her umfangreiche E-Mail-Einladung landet in meinem, nunmehr elektronischen Postfach. Ein wissenschaftlicher Kongress über Südostasien, organisiert von der europäischen Gesellschaft für Südostasien (wodurch ich erfahre, dass es eine solche spezielle Gesellschaft gibt), werde in den ehrwürdigen Mauern der Wiener Universität stattfinden. Das Veranstaltungsprogramm bietet eine Fülle an Themen, die kaum in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit Eingang finden. Es findet mein Interesse, denn mehrfache Aufenthalte in Südostasien gaben mir die Illusion, diese Region einigermaßen zu kennen. Aber die Vorträge öffnen mir neue Perspektiven und Blickwinkel.

Südostasien wird als Region in Mitteleuropa hauptsächlich über Klischees wahrgenommen. Man braucht nur in den Hochglanzbroschüren der Reiseveranstalter blättern und und man wird sofort bei entsprechenden Textstellen fündig werden, ein Beispiel aus dem Katalog des derzeit größten Reiseanbieters: „Asien – Faszinierende Kultur und Traumlandschaften. Es ist eine enorme Vielfalt, die faszinierende Kultur Chinas, die palmengesäumten Strände Thailands, pulsierende Metropolen wie Hongkong und die grandiosen Einkaufsmöglichkeiten Singapurs“. Dies wird unterstrichen mit technisch perfekten und optisch wunderbaren Farbfotos, erstellt von Fotoprofis und selbstverständlich verbunden mit den preislich unschlagbaren Reiseangeboten. Die Reiseveranstalter betreiben marketingtechnisch ein regelrechtes Exotikmanagement, um das Fremde dem Touristen zu möglichst profitablen Preisen schmackhaft zu machen. Material für die Kreation von Exotik gibt es genug und dankenswerterweise bemühen sich Touristen kaum, ihren Bildungsstandard merklich zu erhöhen. Ihnen genügt der Schein und das Klischee, das durch die Medien vermittelt wird. Die Prospekte lügen deshalb nicht, für Europäer ist die asiatische Kultur tatsächlich faszinierend und prickelnd fremdartig, die Strände sind palmengesäumt, die südostasiatischen Metropolen pulsieren und man kann grandios (und teuer) in Singapur einkaufen.

Man kennt die touristischen Destinationen in Thailand und Bali. Man hat seine Tour durch Vietnam absolviert und mit dem Traumschiff den indischen Ozean durchpflügt. Und man kann all die Sightseeing-Plätze im Schlaf hinunterleiern. Aber über politische, soziale und historische Entwicklungen und Hintergründe in Südostasien wird man in den Hochglanzprospekten nichts finden. Genau genommen besteht kaum Interesse auf Seiten der Touristen, Man will unterhalten werden und einen leichten Schauer verspüren über die Fremdheit der Kulturen. Man will einen Ausbruch aus der Lebenswelt zuhause, um angenehm erholt wieder zurück zu kehren.

Doch wie steht es mit den „dunklen“ Seiten Südostasiens? Der Vietnamkrieg und die roten Khmer haben bereits den Eingang in die Geschichtsbücher gefunden. Doch Schlagwörter wie „Palmöl“ und „Regenwald“ finden noch Aktualität in den Printmedien, nicht zu reden von den Streitereien in der südchinesischen See (gehört das noch zu Südostasien?). Doch wenig wird über die Urbanisierung und den Auswirkungen des Klimawandels berichtet und noch weniger über die Probleme der Landwirtschaft. Es gibt anscheinend viele Themen, die angeschnitten werden müssen, aber wie?

Klar und deutlich traten die Konturen einer Idee und einer Methode vor mein geistiges Auge. Doch wie diese umsetzen? Der Anthropologe Clifford Geertz schrieb, dass kleine Fakten über großen Fragen etwas besagen können, weil man sie dazu veranlasst. Mein Ziel wird es deshalb sein, vor Ort in Südostasien die kleinen Fakten zu suchen und wie in einem Puzzle diese kleinen Steinchen zu einem größeren Bild, den großen Fragen zusammen zu fügen. Es wird keine lang geplante und durchorganisierte Reise werden. Vielmehr werde ich mich dem Detail, dem bescheidenen Hinweis zuwenden. Zurück in der Heimat wird sich die Gelegenheit bieten, diese Fragen mit den Erkenntnissen der Wissenschaft zu ergründen.

Am Ende soll eine spezielle Art Reisebericht entstehen, nicht nur ein Bericht über eine Weltregion, sondern auch ein Bericht einer Reise durch die virtuelle Welt des Wissens über Südostasien darstellen soll. Es ist nicht nur eine Reise von realen Ort zu realen Ort, sondern auch eine Reise von Thema zu Thema, sowie von Problem zu Problem. In diesem Sinne setzt sich dieses Buch das ehrgeizige Ziel, eine intensive, wenn auch selektive Einführung in das moderne Südostasien zu bieten. Immerhin wird eine breite Palette an Themen berührt, die von der Geschichte bis zur Waldökologie reichen und in den wenigsten Gebieten wage ich die Behauptung, ein Experte zu sein. Dieses Buch wurde deshalb nicht aus der Position des Experten oder Wissenschaftlers geschrieben. Der Blick auf Südostasien war nicht durch die Expertenbrille vorgeformt und durch ein Fachstudium zurecht geschliffen worden.. Die Analysen mit den Hintergrundinformationen und Forschungsergebnissen wurden nach dem Ende der Reise am Schreibtisch im Prozess des Nachdenkens und der Literaturrecherche eingearbeitet.

Doch bemühe ich mich, in erster Linie auf das Erzählen zu konzentrieren. Die Wahl des literarischen Stiles des Sachbuches gibt mir als Autor gewisse Freiheiten gegenüber dem streng wissenschaftlichen Stil. Erstens ist ein spekulativer Stil in der Formulierung der Thesen gestattet. Mag die eine oder andere These nicht ausreichend von wissenschaftlichen Daten belegt sein und spekulativen Charakter besitzen , so wird sie doch als Illustration und Information für den interessierten Leser gebracht. Zweitens erlaubt ein Sachbuch die Nichtbeachtung der Zitatregeln zugunsten der besseren Lesbarkeit des Textes. Der Experte wird in der Lage sein, die entsprechenden Stellen in der Literatur nachzuschlagen. Drittens unterscheidet sich Wissenschaft (besonders Sozialwissenschaft) nur graduell von Belletristik. Auch die Wissenschaftler erzählen, Cliffort Geertz als Anthropologe erklärte das Erzählen zur Methode und nennt es „dichte Erzählung“. Für den Historiker Hayden White existieren regelrechte Erzählschemata, die den Wissenschaftlern eine Leitlinie bilden und die er „Meisterzählungen“ nennt. Nicht zufällig findet sich diese Idee ihren Ursprung in der französischen Philosophie, wobei Sozialwissenschaftler immer schon auf das Erzählen angewiesen sind. Selten genug können sie auf das bewährte Mittel der Naturwissenschaftler zurückgreifen und eine oder mehrere mathematische Formeln präsentieren.

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Eine selbstverständliche Pflicht soll noch in diesem Prolog erfüllt werden. Es gilt allen jenen zu danken, die die Entstehung dieses Buches unterstützten oder sich daran beteiligten. Dieser Dank gebührt an erster Stelle Hermine, die als Lebens- und Reisebegleiterin unermüdlich an meiner Seite jede Ecke Südostasiens mit durchstöberte. Auch wenn das Buch zwecks besserer Lesbarkeit aus der persönlichen Perspektive geschrieben wurde, Hermine befand sich immer an meiner Seite. Ebenso muss allen jenen gedankt werden, die sich bereitwillig durch das Manuskript quälten, um auch nur den kleinsten Fehler heraus zu filtern. Ich hoffe, sie haben nicht allzu sehr gelitten.

Dieses Vorwort neigt sich nun dem Ende zu, trotzdem möchte ich noch einen Gedanken einfügen. Zwar meinte der österreichische Philosoph Peter Heintel, dass ein Vorwort in der Regel von Autor erst am Ende der Erstellung seines Werks geschrieben werde, aber in diesem Fall schrieb ich diesen Prolog, bevor noch der erste Satz des langen Textes seine Formulierung fand. In diesem Sinne besitzen Sie, lieber Leser und liebe Leserin, und ich etwas Gemeinsames. Wir beide wissen noch nicht, was noch folgt. Lassen Sie uns diese Reise beginnen.

Erstes Kapitel

Der Beginn einer Reise - Hongkong

Dunkel und schwer hängen die Regenwolken über der Skyline von Hongkong. In der Ferne kann man undeutlich und grau regenverhangen die Hügel von Kowloon erkennen, die wie eine Barriere zu dem fernen oder doch nicht so fernen China wirken. Es ist November und ich stehe in einer lange Schlange am Taxistand des Hongkong International Airports. Gelegenheit genug mich zu fragen, was ich um Gottes Willen hier denn tue. Immerhin kann man Hongkong beim besten Willen nicht als Teil Südostasiens zählen. Das Schicksal in Form der Tarifgestaltung der Fluggesellschaften brachte mich hierher an diesen Taxistand. Der Flugpreis überzeugte, Hongkong klang exotisch genug und die Reise kann man in Hongkong so gut wie an jedem anderen Ort beginnen.

Aber nicht nur am Himmel, auch in den Straßen braut sich Ungemach zusammen. Es ist die stürmische Zeit der Umbrella-Revolution (Umbrella = Regenschirm, der gelbe Regenschirm als Symbol passend zum trüben Wetter), eine Bürger-Protestbewegung gegen Eingriffe der chinesischen Regierung in die Selbstverwaltung der Stadt, die seit September die Innenpolitik Hingkongs gefangen nimmt. Vor der Tür des kleinen, bescheidenen Hotels am Fuße des Peaks, des Hügels auf der Insel Hongkong, betreiben die Demonstranten ein Protest-Camp. Dieser Stadtteil wird nach der britischen Tradition Admiralty genannt, wobei nach einem Blick in den Stadtplan auffällt, dass man die britischen Bezeichnungen für die verschiedenen Vierteln der Hauptinsel weitgehend beibehalten hatte.

Es ist einfach, mit den Studenten im Camp ins Gespräch zu kommen. Bereitwillig erzählen mir die Studenten in einem ausgezeichneten Englisch den Beginn dieser Protestbewegung. Die Ursache findet sich in der komplexen Wahlstruktur der Sonderverwaltungszone. Das Stadtoberhaut, Chief Executive genannt, wird gewöhnlich von einem Wahlkomitee von 1200 sorgfältig ausgesuchten Mitgliedern gewählt. Das soll sich 2017 ändern, aber quasi als Vorbereitung dazu erließ die Regierung in Peijing eine „Reform“, durch die nur vom Komitee abgesegnete Kandidaten antreten dürfen. Das betrachten die Bürger-rechtler und Intellektuellen Hongkongs als Einmischung Pekings und Bruch der Selbstverwaltung und marschieren seitdem in den Straßen auf.

Abseits vom Protestcamp versammeln sich gelangweilt Polizisten, mehr an ihren Smartphones interessiert als an den Demonstranten. Das macht Konfrontationen schwierig, ein englischer Professor für Anthropologie der Hongkong-University berichtete im Hongkong-TV, wie sehr er sich bemühte, verhaftet zu werden. Es gelang ihm einfach nicht. Selbst nach Provokationen weigerten sich die Polizisten, ihn zu verhaften. Dieser Professor ist keine Einzelerscheinung in der Umbrella-Bewegung, in den Protestcamps (wie ich erfahre, gibt es auch in Mong Kok in Kwoolong eines) sammeln sich jeden Abend Studenten und Intellektuelle und veranstalten Diskussionsrunden und andere Events. Eine Beziehung zu den weniger privilegierten Schichten Hongkongs scheint kaum zu bestehen. Es fällt auf, dass außer Studenten und akademischen Lehrern sich kaum andere Personen im Camp aufhalten. Das wirkt umso erstaunlicher, da in Hongkong deutliche Einkommensunterschiede herrschen und die Stadt mit hohen Wohnkosten und Inflation zu kämpfen hat. Nicht zu vergessen die Kriminalität, die als Problem wahrgenommen, aber nicht angesprochen wird. Bedingt durch den fehlenden Raum konzentriert sich die Wohnbevölkerung in dreißig- bis vierzigstöckige Wohntürme, die mehrfach durch Alarmanlagen gesichert sind. Selbst die Wohnungstüren weisen mehrere Schlösser und Gitter auf. Der Wohnungseinbruch ist ein beliebtes Thema in den Fernsehsendungen und Videoclips.

Schließlich nutzt die Regierung in Peijing die die schwache (oder fehlende) Verankerung der Umbrella-Bewegung in der Bevölkerung und das Abflauen des Interesses der internationalen Medien und läßt eine Woche nach meinem Abflug die Camps dann doch gewaltsam von der Polizei räumen. Es gelang den Aktivisten nicht, ihr Anliegen so in der Bevölkerung zu verankern, das eine Volksbewegung entstehen konnte. Aber wie auch, selbst die Briten vermieden es, die Bevölkerung in einen demokratischen Prozess einzubeziehen. Nur rund ein Prozent der Hongkonger (eine ausgewählte Elite) konnten sich in den Stadtratswahlen unter britischer Herrschaft beteiligen, wodurch sich aus der Sicht des gewöhnlichen Hongkongers ändert sich nichts. Ob die geeigneten Wahlkandidaten der unergründlichen Weisheit der britischen Kolonialbeamten oder der chinesischen Regierungsbeamten in Peijing entspringen, erscheint ihm gleich. Dies fällt dem Durchschnitts-Hongkonger umso leichter, da ihm die Chance der Emigration weitgehend verschlossen bleibt, während die Oberschicht sich weitgehend mit fremden Reisepässen versorgte (Größte Beliebtheit erfreute sich der Reisepass des Königreichs Tonga mit der amtlichen Eintragung: „Gültig für alle Staaten, ausgenommen dem Königreich Tonga“). Erst der letzte britische Governor Christopher Patten führte ab 1992 umfangreiche demokratische Reformen durch, aber da war es für eine Formung einer demokratischen Kultur in Hongkong zu spät. So findet die Umbrella-Bewegung ein eher unauffälliges Ende ohne besondere Proteste aus der Bevölkerung.

Eines ist aber unbestritten, Chinesen verstehen sich auf Inszenierung. Das Protestlager wirkt kriegerisch mit Barrikaden und flatternden Fahnen (Chinesen lieben Banner), aber gleichzeitig werden die Gehsteige sorgfältig freigehalten, um die Geschäfte der vielen kleinen Shops und Restaurants nicht zu stören. Auch das Camp selbst wurde so gewählt, dass der Verkehr im Zentrum der Metropole möglichst wenig gestört wird. Keine leichte Aufgabe, denn zwischen dem Peak und dem Hafen verlaufen höchstens vier bis fünf Straßenzüge.

Vieles an Hongkong wirkt wie eine Inszenierung. Vielleicht kann man die „Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China“ (wie Hongkong offiziell heißt) als eine einzige große Inszenierung sehen. Als die Briten (konkret eine Gruppe von Opium-Händlern) 1843 die Kronkolonie gründeten, meinten sie es jedenfalls todernst. Sie blickten nach Norden auf das altehrwürdige chinesische Reich und benötigten einen Stützpunkt, um diesen riesigen Markt zu erschließen. Denn die Aufhebung der strikten Zugangskontrolle der chinesischen Zentralregierung zum Inlandsmarkt betrachteten die Briten als zivilisatorischen Auftrag, die Chinesen sollen in die internationale Gemeinschaft von freien Produzenten und Konsumenten eingebunden werden (Globalisierung ist keine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts). Die Herrschaft über die Insel Hongkong befreite sie von der Kontrolle der chinesischen Zentralgewalt und brachte über die Konstruktion sogenannter Vertragshäfen britisches Recht bis tief ins chinesische Festland hinein (Kurioserweise besaß der Governor von Hongkong keine Zuständigkeit für die chinesischen Vertragshäfen. Dies behielt sich London vor.)

Jetzt nutzen die Chinesen diese Stadt, um weit nach Süden zu blicken. Ihr Trachten ist auf die Erschließung des südostasiatischen Marktes und, wenn es geht, nach Europa gerichtet. Einen ähnlichen Gedanken pflege auch ich, nämlich Hongkong als Tor zu Südostasien zu nutzen. Zunächst gilt es aber, in die nicht so lange Geschichte Hongkongs einzudringen. Als die britischen Truppen die Insel Hongkong besetzten, lebten auf dieser Insel (einer der vielen vor der Küste) nur rund 7500 bescheiden dahin lebende Menschen in zwanzig Dörfern. Diese Insel erschien so bedeutungslos, dass die Briten kurzzeitig sogar die Rückgabe an China erwogen. Letzten Endes bauten sie Hongkong zu einem bedeutenden Handelszentrum für den asiatischen Raumaus. Handel war die Ursache der Gründung der Stadt, Handel bildet bis heute die Existenzgrundlage. So erscheint es gerechtfertigt, Hongkong über den Handel zu erkunden und der beste Weg dazu scheinen die vielen Einkaufsmalls zu sein..

Nicht weit von meinem kleinen Hotel, nur ein paar Blocks entfernt, befindet sich eine luxuriöse Einkaufsmall, “The Landmark” genannt. Diese Mall richtet sich an Einkaufsschichten, deren Budget weit oberhalb meiner finanzieller Möglichkeiten angesiedelt ist. Vor 150 Jahren stand an dieser Stelle ein nicht besonders beeindruckendes Bürogebäude, der Hauptsitz des ehrwürdigen Handelshauses Dent und Co, welches mit dem China-Handel groß wurde (Tee, Seide, Indigo und vor allem Opium) und zu den drei wichtigsten Handelshäusern (hong) in Hongkong zählte. Der Gründer Thomas Dent zählte zu den wenigen europäischen Händler, die mit China Handel betrieben. China reglementierte seinen Außenhandel strickt und beobachtete die ausländischen Händler mit größtem Mißtrauen. Die Europäer durften nur über Kanton (dem heutigen Guanzhou) als Hafen ihre Geschäfte abwickeln und das nur mit einer ausgewählten Gilde chinesischer Kaufleute („Hongs“). Es war den Europäern untersagt, in Kanton u leben und mussten regelmäßig nach Macao auspendeln.

Dent löste 1839 den ersten Opiumkrieg aus (indem er sich weigerte, sein Opiumlager in Kanton auf Befehl des chinesischen Gouverneurs zu zerstören) und siedelte das Unternehmen als Profiteur des Krieges bereits 1841 in Victoria City an, bevor die Insel ein Jahr später durch den Vertrag von Nanking britisch und später zur Kronkolonie Hongkong erhoben wurde. Die Weigerung Dents erfolgte übrigens durchaus kalkuliert, da Dent mit der Unterstützung von William Jardine (Inhaber von Jardine, Mathieson and Co, spezialisiert auf Opiumhandel) rechnete, welcher der massiv Lobbying für den Krieg in London betrieb.

Es bleibt übrigens ein großes Geheimnis der Historie, weshalb Opium in China solchen Zuspruch fand. In China wurde Opium seit mehr als tausend Jahren in der Provinz Yünnan angebaut und im gesamten Reich gebraucht, aber der Konsum stieg erst mit dem brtischen Handel von Opium signifikant an. Davor bewegte sich der Opiumkonsum im bescheidenen medizinischen Rahmen. In Indien und Malaya scheiterten die Briten mit ihrem Opium, Inder und Malaien nahmen das Suchtgift nicht an. Die Ost-Indische Kompanie führte den Opiumanbau in Indien bereits 1773 ein, doch fanden sie kaum Absatz bei der indischen und malaiischen Bevölkerung. Ein zweites historisches Mysterium, das nie gelöst wurde. Für die Briten entwickelte sich der Opiumhandel mit China zur Goldgrube. Bisher mußten sie ihre Importe mit Silber oder Baumwolle bezahlen, deren Ersatz durch ein ansonsten kaum brauchbares Produkt wie Opium brachte fette Gewinne.

Dieses Handelshaus gab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts einem abenteuerlustigen deutschen Kaufmann namens Gustav Overbeck eine Anstellung, die ihn zu Ansehen brachte. Nach einer langen Tour aus dem heimatlichen Hessen über London und New York, durchquerte er die USA auf dem Weg nach Hawaii, um letztlich in Hongkong zu landen. Dort fand er vor Ort bereits deutsche Kaufleute vor, denn es bestanden zu dieser Zeit mehrere deutsche Handelshäuser wie Ben Meyer oder die Norddeusche Lloyd, in Südostasien. Er nahm eine höhere Stellung bei Dent und Co ein, immerhin wurde er preußischer Vice-Konsul und später österreichischer Konsul. Sein Protest gegen Preußen wegen des Krieges 1866 brachte ihm den österreichischen Freiherrntitel durch Kaiser Franz Josef ein.

Sein Blick richtete sich aber nicht nach Norden nach China mit den traditionellen Geschäftsfeldern seines englischen Arbeitgebers, sondern nach Süden, nach Borneo. Den Anstoß dafür bildete eine US-Konzession für Nordborneo, deren Umsetzung durch die US-Amerikaner scheiterte. Konkret erhielt der US-Konsul für Brunei 1865 einen Pachtvertrag für Nordborneo mit dem Ziel der Gründung einer US-Kolonie. Overbeck plante als erste Idee ursprünglich eine Übernahme dieser Kolonialkonzession, aber dieses Vorhaben stieß auf Probleme mit den Konzessionsbesitzern.. Mit kaufmännischem Verhandlungsgeschick sicherte er sich eine neue Konzession für Nordborneo vom Sultan von Brunei (und um sicherzugehen auch vom Sultan von Sulu, wodurch er den Grundstein für einen zwischenstaatlichen Konflikt zwischen Malaysia und den Philippinen 100 Jahre später legte). Er verhandelte mit Geldgebern in Wien (wodurch Österreich um ein Haar Kolonialmacht geworden wäre), aber die Briten handelten schneller und sein ehemaliger Arbeitgeber als neuer Partner, Sir Alfred Dent, erwarb eine Charter (Gründungsurkunde) für diese Gesellschaft in London. Overbecks Weitblick erwieß sich als richtig, Hongkong wurde der wichtigste Markt für Nordborneo und ohne dem Holz aus Borneo wäre der Ausbau der chinesischen Eisenbahnen nicht so schnell erfolgt.

Ich erahne das feine Beziehungsgeflecht, das die Briten in ihrem Empire aufbauten. Ökonomisch gesehen war Hongkong als Handelsplatz für das britische Empire unverzichtbar, das Handelsvolumen allein über Kanton steigerte sich zwischen 1719 und 1833 um das Dreizehnfache, mit den Vertragshäfen nach 1850 vergrößerte sich der Handel um das Mehrfache. War Hongkong für die Briten der Endpunkt einer Handelsroute („China Station“), die sich von Großbritannien über Indien bis nach China erstreckte, beginnen nun die Chinesen im 21. Jahrhundert dasselbe umgekehrt anzudenken. Für sie ist die Stadt einer der Ausgangspunkte des ambitionierten Projekts der maritimen Seidenstraße, die sich exakt an derselben Route der Briten orientiert (nur mit dem Endpunkt Venedig statt London). Der einzige Unterschied zu den Briten besteht darin, die Häfen an der Strasse nicht zu erobern, sondern zu kaufen. Hongkong ist noch heute eine Stadt des Handels und des Kapitals. Noch mehr, diese Stadt ist ein Knotenpunkt für die dichten ökonomischen und kulturellen Netzwerken der Auslands-Chinesen in Südostasien (im Westen „Bambus-Netzwerke“ genannt, mehr dazu im Kapitel „Singapur“), das die chinesischen Communities in Süd-Ost-Asien und den westlichen USA mit dem Mutterland verbindet.

Trotzdem bemühen sich die Hongkong-Chinesen, einen britischen Lebensstil aufrecht zu erhalten. Es gelingt ihnen so gut, dass ich da und dort Briten treffe, die diese Stadt als Alterssitz auswählten und hier leben. Es gibt immer noch viele Briten in der Stadt, nicht nur Pensionisten. Viele arbeiten in gut dotierten Positionen in einer der vielen multinationalen Gesellschaften, als gäbe es das Empire immer noch. An den Bushaltestellen bilden die Hongkong-Chinesen immer noch eine Warteschlange und an den Englisch-Kenntnissen kann man sie von den Festlandchinesen unterscheiden. Typisch britisch ist neuerdings auch das Eintreten der Hongkong-Chinesen für bestimmte Bürgerrechte. Da kann es leicht geschehen, dass man in einen Demonstrationszug mit vielen Plakaten und Slogans (natürlich in Chinesisch) hinein stolpert, um am Ende zu erfahren, dass für die Rechte von Lesben und Homosexuellen eingetreten ist (wie es uns passierte). Es überrascht nicht, dass diese britisch-demokratische Kultur mit den Demokratie-Vorstellungen in Peijing in Form der Umbrella-Revolution kollidierte.

Andererseits pflegen die Hongkong-Chinesen einen Kult des kapitalistischen Konsums. Die Schriftstellerin Han Suyin schreibt bereits über das Hongkong von 1949: „Die Läden sind zum Bersten voll mit allem, wonach es einem gelüsten könnte. Kameras, Badeanzüge Lippenstifte, Parfüms, Uhren, Schuhe, Strümpfe, Brokate, Nylons und nochmals Parfums breiten sich in Haufen auf den Ladentischen. Hongkong ist das Paradies der Käufer“. Man füge noch Elektronik und Designer-Fashion hinzu und man erhält eine ausgezeichnete Beschreibung von Hongkong von heute. Nahezu an der jeder Ecke präsentiert sich ein Einkaufszentrum oder eine Mall, die praktisch zu jeder Tag- und Nachtzeit frequentiert werden. Wir durchwandern die eine oder andere Mall und sind über die herrschende Konsumwut fasziniert. Nebenbei gestehe ich ein, dass auch ich diesem Glanz erlag und einen sehr günstigen Laptop erwarb (dieser dient mir noch heute als zuverlässiger Reisebegleiter).

Die glänzende Konsumgesellschaft überstrahlt die ungeliebte schmuddelige Schwester, die Wegwerfgesellschaft. So schnell die Chinesen kaufen, so schnell werfen sie auch weg. Die Stadtregierung versucht derzeit in Anbetracht der gewaltigen Müllmengen, wenigstens die Mülltrennung einzuführen, von Müllvermeidung ist noch lange nicht die Rede. Derzeit produziert die Metropole 3,7 Millionen Tonnen Müll pro Jahr mit steigender Tendenz. Die bestehenden Mülldeponien werden aber in den nächsten fünf Jahren ihre Kapazitätsgrenze erreichen und Pläne wie eine Müllverbrennungsanlage auf Lantau-Island finden wenig Gegenliebe in der Bevölkerung. Man hofft jetzt, durch eine massive Erhöhung der Müllentsorgungsgebühren den Recyclinggedanken in der Bevölkerung stärker zu verankern und den Müllberg um ein Drittel zu verringern.

Trotz der Rückkehr in den Schoß des chinesischen Mutterlandes ist Hongkong zutiefst kapitalistisch geblieben. Noch mehr, es hat seine Rolle im globalen Kapitalismus halten und ausbauen können. Ein scheinbarer Widerspruch zu dem noch immer kommunistischen Mutterland, aber China hat Hongkongs weltwirtschaftliche Position durch die Schaffung der Sonderwirtschaftszone Shenzen noch gestärkt. Direkt an der Grenze werken zwölf Millionen Menschen in der, in kürzester Zeit aus dem Boden gestampften Metropole für den Weltmarkt. Aber auch in Hongkong wird ständig gebaut, allein 40% des jährlichen Imports besteht aus Baumaterial. Allerdings fehlt die Baufläche, das Bauwesen hat die Wachstumsgrenzen erreicht. Um Fläche zu gewinnen, hat man alte Friedhöfe aufgelöst und den neuen Flughafen ins Meer hinaus gebaut. Es überrascht auch nicht, dass der Hongkong-Airport als der weltweit führende Frachtflughafen gilt.

Verkehrstechnisch erfolgt nicht nur die intensivere Anbindung nach Norden, sondern auch nach Westen über das Perl-Fluss-Delta hinweg. Das gewaltige Bauvorhaben der Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke wurde im September 2016 fertig-gestellt und verbindet die Stadt mit Macau und Zhuhai (einer Stadt mit 1,6 Millionen Einwohnern) in der Provinz Guandong. Da diese Brücke den Hongkong-Airport an das westliche Ufer anbindet, wird der Flughafen an Bedeutung gewinnen.

Der Mangel an Fläche wie in der Sonderverwaltungszone ist ein typisches Merkmal für Metropolen. Üblicherweise greifen Metropolen in das Umland aus und entwickeln einen ziemlichen Appetit an Fläche, aber Hongkong besitzt kein Umland. Hongkong muss sich mit der Insel Victoria und der Halbinsel Kowloon (und einigen anderen kleineren Inseln) begnügen, mit der Zwölf-Millionen-Stadt Shenzen im Norden sind der Stadt definitiv Grenzen des Wachstums gesetzt. Will sich die Metropole weiter ausdehnen, bleibt nur mehr das Mutterland im Norden oder das Meer.

Das wirkt sich entscheidend auf die Lebensmittel-Versorgungssituation der sieben Millionen Einwohner aus. Da ich mich intensiv auch mit Ernährung beschäftige, interessiert mich die Ernährungssituation Hongkongs und die ist beeindruckend: Täglich benötigt die Stadt 931 Tonnen Reis, 1.980 Tonnen Gemüse, 34 Tonnen Geflügel, 4.130 Schweine und 79 Kühe. Gewaltige Mengen, von denen 90% importiert werden muss, überwiegend aus dem Mutterland (94% der importierten Menge). Diese Mengen an Lebensmitteln finden wir täglich nicht nur in den Supermärkten, sondern in den hunderten Märkten in den Straßen der Stadt. Neben einem gewaltigen Angebot zeichnen sich diese Märkte durch eine außergewöhnliche Sauberkeit und Hygiene aus. Dieser, für Asien eher ungewöhnlichen Umstand finden wir bei den Rundgängen bemerkenswert und nicht nur das. Der chinesische Verbraucher besteht auf eine hohe Qualität der Lebensmittel. Billigangebote kommen kaum vor.

Damit werden die politischen Grenzen der Demokratiebewegung in Hongkong deutlich. Die Stadt verdankt seine Existenz dem britischen Empire, als dessen Endpunkt und Tor zu China Hongkong diente. Das Empire versorgte und schützte sie durch das dichte Netzwerk eines Weltreichs. Hongkong war auch das Tor des Empires für die chinesische Emigration nach Südostasien. Zehn-tausende wurden über diese Stadt angeworben, um danach in die Strait Settlements gebracht zu werden. Jetzt dient Hongkong wieder als Endpunkt und Tor, aber diesmal für China und seinem Zugang zur internationalen Ökonomie. Das Wohl und Wehe wird von der Regierung in Peijing bestimmt, das setzt der Demokratie Grenzen und wenn es nur die Grenzen des Hungers sind. Trotz allem darf man nicht vergessen, dass Hongkong eine chinesische Metropole ist und das übermächtige Mutterland keinen Zweifel an diesem Faktum lässt. Einzig die weltwirtschaftliche Position der Stadt als führender Finanzplatz sichert ihr ein gewisses Eigenleben (vielleicht bildet deshalb der Royal Hongkong Jockey Club das wahre Machtzentrum der Stadt und nicht das Parlament). Das hat man auch in den Universitäten Hongkongs erkannt und konzentriert sich vornehmlich neben den Business-Studien auf die Analyse der Beziehungen Chinas zum ASEAN-Raum. Die Schaffung von ökonomischen und technischen Know-How als Produktionsleistung der Stadt wird als essentiell gesehen.

Trotzdem bleibt die Zukunft der Metropole ungewiss. Bereits in den 90er Jahren sah der Soziologe Manuel Castells die Entstehung einer Metropolitan Region von mehr als 50.000 Quadratkilometer und 50 Millionen Einwohnern um Hongkong mit Shenzen, Guangzou und Macao am Horizont im Entstehen. Die chinesische Regierung hat längst diesen Ball aufgenommen und Premier Li Keqiang spricht vom großen Plan der „Greater Bay Area“. Elf chinesische Großstädte sollen zu einer einzigen, großen Region zusammengefasst werden. Seit 2011 denkt man nun über den Zusammenschluß von Hong Kong, Macau, Shenzen, Dongguan, Guangzhou, Zuhai und Zhongshan nach.

Immerhin wurden in dieser Mega-Region bis jetzt fünf neue Flughäfen mit einer Kapazität von mindestens 150 Millionen Passagieren pro Jahr und fünf neue Containerhäfen mit den größten Hafenkapazitätem der Welt gebaut. Logischerweise bildet eine solche Metropolitan Region den gewichtigen Ausgangspunkt der künftigen maritimen Seidenstraße. Aber noch wird Peking den Status Hongkongs nicht antasten, da die Stadt in diesem politischen Zustand als Knotenpunkt der globalisierten Ökonomie einen großen Wert für die Volksrepublik besitzt (gemäß der Sino-Britsh Declaration von 1986 zumindest bis 2047). Trotzdem zählt Hongkong schon jetzt zu den Metropolen der Welt. Im Index für Global Cities nimmt die Metropole regelmäßig Platz fünf, noch vor Singapur und knapp hinter Tokyo, ein.

Für das Mutterland China wäre eine solche urbane Strategie nichts Ungewöhnliches. In der chinesischen Geschichte dominierten immer die Städte und die Ballung von mehreren Siedlungen galt und gilt als Regel. Bereits der spanische Jesuit wunderte sich zu seiner Zeit im 17. Jahrhundert über die urbanen Verdichtungen entlang der Wasserstraßen, wo oft genug eine Stadt in die nächste überging. Kleinstädte entwickeln sich rasch und so kann ein Landstädtchen wie Hefei, nur drei Autostunden von Schanghai entfernt, zu einer Metropole mit fünfeinhalb Millionen Einwohner heranwachsen. Allerdings muss man erwähnen, dass chinesische Städte nie den Status einer Selbstverwaltung genossen, sondern sie bildeten und bilden immer einen Teil einer größeren Verwaltungseinheit die sie mitverwaltet, Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, dass die chinesische Regierung in ihrem Entwicklungsplan für die Zeit von 2014 bis 2020 fünf Megacities entwickeln will (eine ziemlich bürokratische Mega-Maßnahme).

Ich nehme diese Stadt oder besser City als fibrierende und pulsierende Wirtschaftsmetropole wahr, aber es fehlt der zündende Funke, der nicht überspringen will. Hongkong erzeugt in mir nicht das Gefühl, dabei zu sein und eintauchen zu wollen. Diese Stadt verweigert sich und will nicht, dass die Sehnsucht nach ihr geweckt wird. Hongkong bleibt in der Erinnerung derzeit nur als nettes Stop-Over, aber nicht mehr.

Ich verlasse Hongkong, eine Stadt, in der die Bürger gegenüber der Regierung in Peking bemüht sind, ihre Rechte einzufordern. Rechte, an deren Gewährung das ferne England in der der Zeit der Kolonialherrschaft nicht im Traum gedacht hätte. Unsere Absichten konzentrieren sich auf Südostasien, Hongkong dient uns nur als Tor in den Süden. Aus diesem Grund lasse ich Macao im wahrsten Sinn des Wortes „links“ (oder besser “rechts”, weil in Flugrichtung zur rechten Hand) liegen. Ein unverdientes Schicksal, denn über Macao wurde bereits im 16. Jahrhundert der erste direkte Handel zwischen Europa und China durch die Portugiesen organisiert. Von 1557 an (mehr als 250 Jahre vor Hongkong!) diente Macao als Handelsstützpunkt für China. Allerdings hielt sich der China-Handel selbst für die „Estado da India“ (Portugiesisch-Indien) in überschaubaren Umfang. Eine viel größere Bedeutung besaß Macao ab 1570 als Stadion und Stapelhafen für den viel wichtigeren Handel mit Japan und den Philippinen (Manila, gegründet 1571, verband den asiatischen Markt mit den Silberminen von Potosi. Silber spielte nach Ansicht führender Wirtschaftshistoriker eine wichtige Rolle im Chinahandel). Mit dem Niedergang der kolonialen Macht Portugals ging auch ein Niedergang des portugiesischen Handels mit Ostasien einher und die Gründung Hongkongs versetzte auch dem letzten Chinahandel über Macao den Todesstoß.

Macao rettete sich mit der Legalisierung des Glücksspiels über die Runden, das seltsamerweise die Briten in Hongkong nicht duldeten (abgesehen von Pferdewetten). Selbstverständlich wäre es interessant gewesen, das Zentrum des Glücksspiels in Asien kennen zu lernen. Aber abgesehen von seiner Geschichte bietet Macao, bequem mit Fähre erreichbar, wenig mehr als touristische Attraktionen, in einem Tag erkundet. Seit die Briten die Insel Hongkong übernahmen, hat sich das portugiesische Macao zu einer Fußnote in der chinesischen Geschichte verwandelt und existiert wieder als Teil des chinesischen Mutterlands mit der Kosmetik einer Selbstverwaltung. Dies passierte ohne großer Beachtung und völlig reibungslos und die Stadt lebt sehr gut mit seinem Status.

Eine wichtige Erkenntnis kann ich jedenfalls gewinnen. Geografisch gesehen bildet Hongkong auch keinen Bestandteil Südostasiens, es bleibt ein integrales Element Ostasiens. Doch die koloniale und ökonomische Geschichte bindet die Stadt unwiderruflich an Südostasien. Hongkong wurde gegründet, um China an die (von den Briten kontrollierten) Handelsströme in Südostasien, Indien und Europa anzubinden. Weshalb man Hongkong in diesem Sinne als Element sowohl von China, als auch von Südostasien sehen kann. Keine andere Kolonialmacht, weder die Portugiesen, noch die Niederländer, schufen einen solchen Platz und gaben ihm eine Schlüsselrolle zwischen zwei Welten. Auch wenn Hongkong geografisch nicht zu Südostasien gerechnet werden kann, zählt es doch durch seine Geschichte und den vielfältigen engen Beziehungen zu dieser Region im Gegensatz zu Macao dazu. Die Stadt ist ostasiatisch und chinesisch, keine Frage. Aber mit einem gewissen Recht kann man sie auch zu Südostasien zählen. Ein Blick auf die Landkarte zeigt Hongkong im äußersten Süden Chinas angesiedelt, genau genommen kaum ein idealer Ort des Handelszugangs zum chinesischen Markt. Der damalige britische Premierminister Palmerston bezeichnete Hongkong „öde Insel mit kaum einem Haus drauf“.

Die britischen Handelshäuser nahmen die Insel aber als erste Gelegenheit wahr, um ihre Präsenz auszubauen. Als Teil des britischen Empires existierten weit stärkere Beziehungen zu Singapur und Malaya als zu China. Dieses seltsame Schicksal verschaffte Hongkong ihren Reichtum, aber auch ihre politische und historische Tragik.

Aber nun muss ich Honkong seinem Schicksal überlassen. Mit der vertrauten Fluglinie Air Asia heben ich recht komfortabel ab und nehme Kurs in Richtung Kuala Lumpur. Ich will dorthin, wo Südostasien begann: Nach Malakka.

Zweites Kapitel

Ein Meer im Zentrum des Weltgeschehens