Der Glaube an
Übersinnliches

Anthologie

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Erste Auflage 2015

© Coverbild: Sandra Braun

Covergestaltung, Korrektorat

und Layout: net-Verlag

Auswahl der Geschichten:

Lysann Rößler & Leserteam

Klappentext: Michaela Weiß

© Illustrationen:

Iris Wassill (S. 162; 336)

Julia Jensen (S. 303)

Christa Reusch (S. 340)

© net-Verlag, Tangerhütte

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

ISBN 978-3-95720-069-3

Der Glaube an Übersinnliches

Wir können sie nicht sehen,

wir können sie nicht erklären,

und meist glauben wir nicht einmal daran.

Aber es gibt diese Dinge, die geschehen,

die viel mehr sind, als wir je begreifen werden.

Es sind Erscheinungen, die uns so irreal vorkommen,

von denen wir aber plötzlich spüren,

dass sie wahr sein müssen.

Manchmal sind diese Ereignisse gut, manchmal sind

sie böse. Und manchmal sind sie nichts von all dem.

Sie sind geheimnisvoll und unergründlich.

Sie sind nicht von dieser Welt.

Wir wünschen allen Lesern

einige unterhaltsame Stunden!

Ihr net-Verlag-Team

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Der Glaube an Übersinnliches

Marcus Watolla - Klara

Gabriel Maier - Der alte Freund

Brit Gögel - Der unsichtbare William

Martina Lukits-Wally - Das Wunschglöcklein

Carola Kickers - Das Spiegelhaus

Ursula Kollasch - Nachts, wenn sie kommen

Volker Liebelt - Der namenlose Berg

Claudia Christ - Friedrichs letzte Pilgerfahrt

Lucius Allan - Das Gericht

Andy Klemm - Die Vogelscheuche

Sabine Kohlert - Die Haarspange

Diana Busch - Kessie

Gudrun Hittinger & Karsten Beuchert - Der Brunnen

Christian Wolfgang Büge - Der Hexenkessel

Pia Euteneuer - Geistergeschichten

Michaela Weiß - Das Licht, das niemals bricht

Dominic Mertins - Traumdeutungen

Kuro - Der merkwürdige Oktober des letzten Jahres

Alexandra Innocenti - Slenderman

Claudia Lambert - Die vergessene Jacke

Angelika Schütgens - Ein letzter Besuch

Lily Beier - Nachtjagd

Barbara Hagen - Das Amulett

Gitte Hedderich - Geister, die ich rief

Matthias Holz - Himmelfahrt eines Depressiven

Sylvia Lietsch - Meine Geister

Elisa Bergmann - (Un)tote Liebe

Kerstin Paul - Das alte Herrenhaus

Britta Ahrens - Einsame Gefährten

Karsten Beuchert - Darius

Christa Reusch - Die Melodie

Andreas Thaller - Neujahrsspaziergang

Ezo Hein - Kartenlegen im Milieu

Autorenbiografien

Illustratorenbiografien

Buchempfehlungen

Marcus Watolla

Klara

Klara war für mich alles. Geliebte. Vertraute. Freund.

Vertraut wie Geschwister war unser Bund, der sich seit den ersten Tagen unserer Begegnung in erstaunlicher Eile geschaffen hatte. Es war Fügung des Schicksals, dass wir uns begegneten, und umso mehr Fügung höherer Geschicke, wie sich unsere Liebe entwickelte. Gab es da doch keine Geheimnisse zwischen uns, welche unausgesprochen blieben. Und auch wenn wir unseren Geheimnissen manches Mal keine Worte gaben, so offenbarten sie sich doch auf andere Art und Weise. Es war, als kenne der eine die Gedanken des anderen, als lese er in ihnen wie in einem offenen Buch.

Wir lustwandelten in unserer frühen Jugend, genossen uns mit einer Intensität, die seinesgleichen suchte. Leidenschaft und Zärtlichkeit gingen Hand in Hand, schickten uns auf Reisen in traumhafte Zeiten, in die wir eintauchten, um jede Sekunde davon zu kosten wie einen Tropfen süßen Weines.

Ein Glied hatte in das andere gegriffen. Nahtlos und in absoluter Harmonie, als seien sie füreinander geschmiedet worden. Ein Band festen Vertrauens und tiefster Zuneigung war gewoben worden, und wir gingen ineinander auf wie reife Blumen in gesunder, schwarzer Erde.

Ich liebte alles an ihr: ihren Geruch nach Jasmin, ihr ebenholzschwarzes Haar, wallend und lockig, in das ich mein Gesicht legte, wenn wir eins wurden. Ich liebte ihre Stimme, hell und klar, manches Mal flüsternd, wenn sie mir Dinge zuwisperte, die nur für meine Ohren bestimmt waren. Ihre ebenmäßige Haut, weich wie Samt und Seide.

Wir lebten wie in einem Traum. Alles andere um uns herum war nur Schemen und Schatten, von Unwichtigkeit und nebensächlicher Natur geprägt. Wir hatten uns, und uns war uns heilig. Wir waren der jeweilige Mittelpunkt des anderen, verstießen die Welt und lebten in unserer eigenen, in der wir uns sicher und geborgen fühlten.

Doch unsere Zeit war uns nicht wohlgesonnen.

Klara, von schwelender Krankheit befallen, die ihre Gesundheit unterwandelte und malträtierte, nahm immer mehr die Zeichen ihrer Beschwerden an. Ihre Kraft versiegte langsam wie ein von großer Dürre befallener Brunnen, von Tag zu Tag immer mehr. Ich musste hilflos mit zusehen, wie ihr feiner Körper immer mehr verfiel, auch wenn der Geist, noch voll zugegen, von der Krankheit aufgezehrt wurde. In ihren sonst so glanzvollen Augen spiegelte sich immer mehr der matte Glanz einer untergehenden Sonne. Ihre Berührungen wurden schwächer, ihre Stimme kraftlos und dünn, verriet mir im zunehmenden Maße die bittere Tatsache, dass sich ihr junges Leben vorzeitig dem Ende zuneigte.

Jede ärztliche Kunst versagte. Alle Maßnahmen, die zu ihrer Genesung eingeleitet wurden, verliefen kläglich im Sande. Gevatter Hein streckte langsam seine Hand nach meiner jungen Geliebten aus und machte auch keine Anstalten, uns mehr Zeit zu schenken.

Doch ich sah in ihren traurigen Augen nicht die Furcht vor dem Kommenden, sondern einen anderen Schatten, der ihre Seele umfangen hielt und aus ihrem Blick schüchtern hervorlugte.

»Was hast du?«, fragte ich, knieend vor ihrem Bett, ihre Hand haltend.

»Ich werde dich verlieren«, sprach sie mit schwacher Stimme. »Ich habe Angst, dich nicht nur körperlich zu verlieren. Ich fürchte mich davor, dass du mich eines Tages vergessen wirst. Ich habe Furcht, du wirst meine Liebe durch eine andere zu ersetzen suchen.«

»Niemals«, antwortete ich. »Ich schwöre dir, auf ewig nur dich zu lieben. Auf immer sollst du in meinen Gedanken sein.«

»Aber was wird sein, wenn du eine neue Liebe findest? Wirst du mich nicht zwangsläufig vergessen?«

»Ich werde dich immer lieben. Niemals wirst du aus meinen Gedanken verschwinden. Keine andere Frau soll jemals deinen Platz einnehmen.« So schwor ich.

»Ich werde aus dem Jenseits immer bei dir bleiben«, versprach sie mir, »und wenn ich dieses nicht darf, so werde ich dir zumindest ein Zeichen geben, dass auch ich dich niemals vergessen werde.«

Zwei Tage später verblich sie des Nachts.

Ich trauerte in meinem Verlust, der für mich die Welt bedeutete. Mir war, als sei ein Teil aus mir herausgerissen worden, als bestände ich nur noch zur Hälfte. Mir fehlte ihre Nähe, ihr Geruch nach Jasmin, ich vermisste ihre Nähe und die tiefsinnigen Gespräche, die sie so sehr ausgemacht hatten. Mein Verlust wog eine ganze Welt.

Der Tag wurde für mich zur unerträglichen Qual, erfüllt mit der Sehnsucht nach ihr. Leere umfing mich mit trostloser Trauer, der ich nicht zu entfliehen vermochte. Nichts und niemand konnte den Verlust aufwiegen, den ich erlitten hatte.

Verschlossen vor der Welt brütete ich über meinen Erinnerungen, die ich festhielt wie ein Ertrinkender den sprichwörtlichen Strohhalm. Ich malte in meinen Gedanken Bilder, konstruiert aus dem Erlebten vergangener Tage, süßte sie mit meinen eigenen Vorstellungen und schuf mir so eine Oase inmitten der Wüste meiner Traurigkeit.

Nachts erfuhr ich von Zeit zu Zeit so etwas wie Erlösung von meiner Pein, wenn ich sie wiedersah, wenn sie meine Hand hielt und mit mir sprach. In meinen Träumen lebte sie wieder, spendete mir Trost und sprach mir liebevoll zu. Ich fühlte dann ihre Nähe, spürte ihren Atem auf meiner Haut, roch den Duft des Jasmins, der sie umgab, und vernahm ihre Worte.

»Ich werde immer bei dir sein. Ich werde dich niemals vergessen.«

Diese Träume waren gesalbt mit Trost, gaben mir Kraft, den Tag zu überstehen, und ich betete, dass sie mich jede Nacht besuchen würde, auf dass ich nach der Entbehrung des Tages wieder ihre Nähe fühlen durfte.

So gingen die Jahre ins Land.

Ich verließ meine Heimat, studierte weit entfernt in der großen Stadt. Mit den vielen neuen Eindrücken, die mich umfingen, verblich auch ein Teil meiner schmerzvollen Erinnerungen an Klara. Obschon ich sie nachts immer wieder in meinen Träumen sah, wir sprachen oder uns nur festhielten, vermochte ich mich irgendwann nicht mehr an ihr Gesicht zu erinnern. Ihre Züge verschwommen in meiner Erinnerung zu einem schemenhaften, nebulösen Schatten.

Die vielen neuen Gesichter, mit denen ich es nun zu tun hatte, die vielen neuen Charaktere, die mich umgaben, nahmen mich vollends ein. Es kamen neue Freunde und damit einher auch neue Frauenbekanntschaften. Obwohl ich nie wieder diese intensive Nähe wie zu Klara spürte, verlangte meine Jugend doch ihren Preis, wollte mich die Einsamkeit um jeden Preis vergessen machen.

Ich lernte Irene, die Tochter eines Arztes, in meiner Verbindung kennen. Irene war ein reizvolles Geschöpf, etwas verträumt, doch mit wachem Verstand. Sie verstand es, durch die Mauer meiner selbstauferlegten Isolation zu stoßen, sanft und mit viel Geduld. Sie hatte wohl eine Schwäche für mich, den Düsteren, den Gedankenschweifenden, denn sie suchte meine Nähe immer öfter auf. Sie ließ auch nicht locker, als ich anfänglich nur kurz angebunden und fast sogar abweisend war. Mit sanfter Gewalt errang sie meine Aufmerksamkeit.

Als es mir bewusst wurde, empfand ich es als angenehm und schön, ließ es auch zu.

Sie hatte eine angenehme Weise, in der ich in stundenlangen Gesprächen aus dem Kerker meiner Einsamkeit entfloh, ohne dass es mir anfänglich bewusst wurde. Ihr Humor baute mich auf in den tristen Stunden meines Daseins, die mich so oft gefangenhielten. Ich erlernte wieder das Lachen, kostete vom Leben wie aus einem Becher mit süßem Wein. Meine Kleidung war bald nicht mehr schwarz, sondern ging auf in bunten Farben und Tönen. Ich begann wieder zu leben, und als es mir bewusst wurde, wie warm sich Irenes Hand in die meine legte, erkannte ich erst meine Wandlung.

Immer seltener träumte ich von meiner verflossenen Liebe, sah Klara in meinen Träumen bald nicht mehr jede Nacht. Wenn es denn geschah, so erinnere ich mich an ihre Traurigkeit. Ihre Worte waren bewegt und schienen aus unendlicher Weite an mein Ohr zu dringen.

Es geschah in einer Nacht, in der Irene das erste Mal bei mir geblieben war. Wir hatten uns, nachdem wir uns reif zugefallen waren, glücklich und erlöst in die Kissen gelegt und schliefen. Da war es mir, als ginge jemand im Zimmer auf und ab, weiche Schritte eines leichten Ganges waren im Zimmer zu hören.

Ich schreckte auf.

Doch niemand war da.

Da vernahm ich diesen Geruch, der mich wieder erinnern ließ an eine Zeit, die durch den Schleier der Zeit wieder in meine Gedanken fuhr. Ich roch dieses Aroma, welches ich einst so sehr geliebt hatte und mich sehnlicher erfüllt hatte, als das es je etwas anderes tun könnte. Ich roch Jasmin. Klaras Jasmin.

Und plötzlich war da eine Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien. Traurig. Ruhig. Flüsternd: »Gehe hin, mein Geliebter, und werde glücklich. Ich werde dir die Bürde deines Schwurs nehmen, denn es darf keine Seele geben, die einsam auf Erden weilt. Ich erwarte dich in einer Zeit, die zwischen allem liegt, und sehne mich des Tages hin, an dem wir uns wiedersehen werden.«

»Klara ...«, stammelte ich. Es war ihre Stimme gewesen. Ohne Zweifel. Nach all den Jahren hatte sie nichts von ihrer reinen Klarheit verloren. Doch niemand war im Raum außer diesem süßlichen Geruch des Jasmins, der langsam vom Nachtwind davongetragen wurde.

Gabriel Maier

Der alte Freund

Kurz vor meinem vierzigsten Geburtstag bezogen wir ein älteres Siedlerhäuschen in der Vorstadt. Nach langer und zum Ende schon fast quälender Immobiliensuche gingen meine Frau und ich davon aus, dass mit dem Auszug aus der viel zu kleinen Stadtwohnung für unsere Familie nun ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde. Wir hatten keine Ahnung, wie recht wir damit haben sollten – und welche schwere Zeit damit auf uns zukommen würde.

Die ersten Tage im neuen Heim liefen wunderbar! Die neuen Nachbarn erwiesen sich als freundliche und interessante Leute in unserem Alter und boten für den Umzug und die Eingewöhnung in der neuen Gegend gleich ihre Hilfe an. Auch mit dem Haus waren wir sehr zufrieden. Die Befürchtungen, dass das ältere Häuschen zu klein oder zu dunkel sein könnte, verflogen nach kurzer Zeit, und wir waren uns sicher, den richtigen Schritt getan zu haben.

Wir unternahmen gerade einen Spaziergang durch die Nachbarschaft, als Elfi uns das erste Mal von Herrn Kohlmann erzählte. Sie beschrieb ihn als kleinen, alten Kerl, der in ihrem Zimmer wohnte und sie nachts immer wieder aufweckte, um mit ihr zu sprechen.

Elfie war damals fünf Jahre alt. Sie hatte ohnehin eine lebhafte Fantasie und schon öfter von imaginären Freunden erzählt. Darum dachten wir uns erstmal nichts weiter dabei, als sie bald jeden Tag erwähnte, dass Herr Kohlmann wieder bei ihr gewesen war. Sie sprach davon, dass er seiner eigenen Aussage nach dieses Haus schon seit Jahrzehnten bewohnte und sich jetzt, wo wir lauter neue Möbel aufgestellt hatten, einen neuen Platz zum Wohnen unter Elfies Kinderschreibtisch gesucht hatte. Auch als unsere Tochter von nun an manchmal plötzlich nachts in unser Schlafzimmer kam und zu uns ins Bett wollte, weil sie behauptete, Herr Kohlmann würde sie nicht mehr schlafen lassen, ignorierten wir die Angelegenheit, so gut es ging. Wir schoben es einfach darauf, dass das kleine Mädchen die Umstellung noch nicht so gut verkraftete – vor allem, weil sie mit dem Umzug auch den Kindergarten gewechselt hatte. Daher gingen wir davon aus, dass Elfie einfach Zuflucht in ihrer Fantasie suchte.

Als sich Elfie allerdings nachts nur noch schwer trösten ließ und längere Zeit weinte, weil Herr Kohlmann schlimme Sachen zu ihr sagte, fing die Sache an zu nerven. Und als das Mädchen sich irgendwann auch tagsüber weigerte, ihr Zimmer zu betreten, weil Herr Kohlmann dort wartete, wurde es zu einem richtigen Problem.

Meine Frau Rosa stand zu dieser Zeit beruflich stark unter Druck, und als ich merkte, dass die Situation zu Hause immer angespannter wurde, setzte ich meinen Plan in die Tat um und verlegte mein Büro in Elfies Kinderzimmer und umgekehrt. Das Zimmer unserer Tochter verkleinerte sich dadurch zwar deutlich, aber dem Mädchen war dies egal – für sie zählte nur, dass sie nicht länger mit ihrem Herrn Kohlmann zusammen wohnen musste.

Ihr Zimmer lag nun direkt neben unserem Schlafzimmer, und wir versprachen, die Türen der beiden Räume nachts immer weit offen zu lassen, sodass Elfie beruhigt alleine bleiben konnte.

Es vergingen ein paar Tage, ohne dass Elfie nachts wieder zu uns ins Schlafzimmer kam. Unwillkürlich warf ich während der Arbeit in meinem neuen Büro immer wieder einen Blick zu der Stelle, wo Elfies Kinderschreibtisch gestanden hatte. Ich hatte dort meinen Plasmafernseher hingestellt. Sofern Herr Kohlmann also imstande war, das Gerät zu bedienen, konnte er sich nachts an zahlreichen Kanälen in HD-Qualität erfreuen, witzelte ich.

Eines Nachts aber wurde ich tatsächlich wach, weil ich etwas hörte. Nebenan flüsterte Elfie. Sie schien relativ aufgeregt zu sein, fast so, als würde sie streiten. Ich schüttelte mir den Schlaf ab, stieg aus dem Bett und schlich hinüber, blieb aber neben der offenen Türe stehen, um zu hören, was vor sich ging.

Elfie stritt tatsächlich mit jemandem, der allerdings auf keinen ihrer Vorwürfe antwortete. Das Mädchen beschuldigte sein Gegenüber, nur Unruhe zu stiften, und wies ihn an, gefälligst nicht so laut zu sprechen, da sonst die Eltern aufwachen würden.

Etwas verärgert betrat ich ihr Zimmer. Elfie saß auf ihrer Bettkante und flüsterte in Richtung ihres Kleiderschranks. Ich unterbrach sie einfach und schob sie wieder ins Bett zurück.

»Elfie, nachts wird geschlafen!« Ohne auf ihre Diskussion einzugehen, zog ich ihr die Decke bis unters Kinn.

Meine Tochter deutete in Richtung ihres Kleiderschranks und wollte mir klarmachen, dass Herr Kohlmann dort drüben solchen Krach gemacht hatte. Nur deshalb sei ich aufgewacht. Sie hätte bereits versucht, ihn zum Aufhören zu bewegen, aber auf ein kleines Mädchen würde er nicht hören. Überhaupt wäre es seine Absicht, hier so viel Unruhe zu stiften, bis die ganze Familie wieder ausziehen würde.

Ich atmete tief durch und setzte mich auf die Bettkante. »Elfie, mir ist klar, dass der Umzug und der neue Kindergarten für dich eine große Umstellung sind, aber der Quatsch mit deinem Herrn Kohlmann muss jetzt langsam aufhören. Mami und ich brauchen unseren Schlaf – und kleine Mädchen wie du ebenfalls! Außerdem habe ich eine Menge Geld für dieses Haus bezahlt, ganz zu schweigen davon, wie lange ich danach gesucht habe – hier bringt mich garantiert so schnell nichts und niemand mehr raus!« Ich sah Elfie mit gespielt ernster Miene in die Augen, aber das Mädchen ging nicht darauf ein.

»Ehrlich, Papi, Herr Kohlmann will, dass wir alle wieder ausziehen. Und wenn er hört, dass du dich weigerst, dann ...«

Eine leere Spielzeugschachtel fiel von Elfies Schrank auf den Parkettboden und ließ das Mädchen zusammenzucken.

»Schlaf jetzt!«, wiederholte ich und zog ihr demonstrativ die Decke noch mal bis zum Kinn.

»Bleibst du, bis ich eingeschlafen bin?« Elfie sah mich mit ihren großen Augen an, sodass ich nicht Nein sagen konnte.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ich mir sicher war, dass sie fest schlief und wieder ins Bett zurückging.

Die folgenden Tage und Nächte passierte nichts mehr. Ich hielt die Sache damit schon fast für gegessen, als das Wochenende kam und wir versuchten, einen ruhigen Samstag zu verbringen, um uns seit langem endlich vom beruflichen Stress zu erholen.

Ich hatte die Gartenmöbel sauber gemacht und wollte gerade mit einem Nickerchen beginnen, als meiner Frau die Kaffeekanne auf den Terrassenboden fiel und in tausend Teile zersprang.

Erschrocken fuhr ich zu ihr herum und sah, dass sie entsetzt nach oben schaute, wo Elfie ihr Zimmerfenster hatte. Ich sprang aus meinem Stuhl und folgte ihrem Blick, um einen Moment später ihr Entsetzen zu teilen. Elfie hatte ihr Fenster geöffnet und war auf den Sims geklettert. Sie hatte uns den Rücken zugewandt, als würde sie sich jeden Augenblick rückwärts hinunterfallen lassen.

Rosa schrie!

Ich verlor keine Sekunde und rannte ins Haus, die Treppe hinauf und zu Elfies Zimmer. Erst als ich schon ein paar Schritte hineingemacht hatte, richtete das Mädchen seinen Blick auf mich.

»Papi!«

»Ganz ruhig, meine Kleine ...« Vorsichtig ging ich weiter auf sie zu, um sie nicht zusätzlich zu erschrecken.

»Da!« Elfie zeigte auf eine leere Stelle vor ihrem Bett. »Er will, dass ich aus dem Fenster springe, sonst tut er dir und Mami weh!«

»Ganz ruhig, Elfie«, sagte ich beschwichtigend. »Mir tut keiner so schnell weh – und Mami und dir auch nicht! Jetzt bleib ganz ruhig dort stehen.«

Langsam war ich weitergegangen, bis ich sie erreicht hatte und zuerst am Handgelenk festhielt, dann sanft zu mir zog und sie in die Arme schloss.

Sie heulte los.

Rosa heulte unten auf der Terrasse ebenfalls.

Es folgte die schlimmste Zeit überhaupt. Elfie erzählte noch mehr von Herrn Kohlmann als je zuvor. Da diese imaginäre Person nun anfing, massiven Einfluss auf unsere Tochter auszuüben, stürzte Rosa in ein tiefes Loch und wurde depressiv. Sie meldete sich in der Arbeit immer öfter krank und wusste weder mit sich noch mit unserer Familie etwas anzufangen. Schließlich legte ich meine Matratze in Elfies Zimmer und verbrachte die Nächte dort, damit das Mädchen nachts nicht auf dumme Gedanken kam. Dafür wurden die Tage umso schlimmer.

Elfie sprang in unser Schwimmbecken, nachdem der imaginäre Mann ihr gesagt hatte, er würde sonst alle im Schlaf erwürgen. Es war reiner Zufall gewesen, dass ich vom Wohnzimmer aus die Wellen über den Beckenrand hatte schwappen sehen und hinausgegangen war, um nachzuschauen.

Als Elfie dann auch noch mit dem eingesteckten Fön in die Badewanne klettern wollte, rastete Rosa vor Beklemmung aus, zerschlug unsere Vitrine und warf einen Blumenstock durchs Wohnzimmerfenster, bevor ich sie zu fassen bekam und sie auf mich einprügelte, bis sie vor Entkräftigung zusammenbrach.

Ich legte sie auf unser Bett im Schlafzimmer, von wo sie nie wieder aufstehen wollte.

An dem Punkt beschloss ich, mir Hilfe zu suchen.

Ich schwankte noch dazwischen, bei Freunden oder Verwandten um Rat zu fragen oder mich im Internet über einen guten Therapeuten in unserer Gegend zu erkundigen. Bei einer Sache war ich mir jedoch einig: Elfie musste raus aus diesem Haus, zumindest eine Zeit lang. Sie musste wieder irgendwo hin, wo die Leute um sie herum gut zu ihr waren und wo sie eine vertraute Atmosphäre vorfinden konnte.

Also beschloss ich, sie zu meinen Eltern aufs Land hinaus zu fahren.

Ich packte Kleidung für sie und ihre liebsten Spielsachen zusammen und fuhr mit ihr los. Es war mir unwohl, Rosa einfach alleine zu lassen, aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.

Elfie rannte stürmisch auf meine Eltern zu, während mir ein Hauch meiner Kindheit entgegenwehte, als wir das alte Haus betraten. Ich bat meinen Vater, sich ein wenig mit Elfie zurückzuziehen, um meiner Mutter genauer zu schildern, was mein Anliegen war.

Ich erwähnte nichts davon, dass Elfie sich mehrmals in Todesgefahr begeben hatte, um sie nicht unnötig zu beunruhigen. Auch dass Rosa seit Tagen depressiv war, erläuterte ich nicht in aller Deutlichkeit. Nur dass zwischen mir und ihr momentan Spannungen wären, gesteigert durch den beruflichen Druck und den Stress des Umzuges, sodass wir gern ein paar Tage für uns allein hätten, um uns wieder zu finden.

Da Elfie jedoch sicherlich nicht die Klappe halten würde, fand ich es allerdings noch wichtig, meiner Mutter auch von Herrn Kohlmann zu erzählen. Ich stellte ihn aber als ihren imaginären Freund dar, der sie zu Schelmereien anstiftete, was die Situation zwischen Rosa und mir noch ein wenig zuspitzen würde. Elfie sei kurz gesagt aktuell etwas schwierig, da sie den Umzug schließlich auch erst verkraften müsse.

Die besorgte Miene von meiner Mutter wandelte sich um in ein Lächeln. »Da mach dir mal keine Sorgen deswegen«, beschwichtigte sie. »Das mit den eingebildeten Freunden gibt sich von selber wieder. Wenn ich daran denke, was du und dein imaginärer Freund uns damals für Sorgen gemacht haben ... Meine Güte! Aber auch das ist völlig von allein wieder vergangen!«

Ich runzelte die Stirn. »Mein imaginärer Freund?«, fragte ich ungläubig.

»Ja, natürlich!«, bestätigte Mutter. »Wie hieß er noch? Joey? Ja richtig! Joey, dein Clown! Weißt du das nicht mehr? Du hast damals dein ganzes Kinderzimmer demoliert und es einfach auf deinen eingebildeten Freund, den Clown, geschoben!«

Der Name klatschte in mein Gedächtnis wie ein fallendes Steinchen, das auf einem ruhigen Tümpel große Kreise zog. Der Name klang vertraut. Er stand auch in Verbindung mit einem Clownsgesicht. Es fühlte sich an, als würde ich einen kleinen Lichtstrahl sehen, der hindurchdrang zwischen vielen Felsbrocken, die meine Erinnerung blockierten.

Während Vater draußen mit Elfie spielte, besuchte ich mein altes Zimmer und versuchte, mich an Joey zu erinnern. Er war ein Clown gewesen, allerdings ein sehr, sehr kleiner. Winzig eher. Nur so groß wie eine Spielfigur. Joey hatte nie etwas gesprochen, nur immer auf seine stumme Art Clownereien getrieben. War über seine eigenen Füße gestolpert und hingefallen. Hatte versucht, bei der alten Barbie meiner großen Schwester zu landen und war trotz seiner zahlreichen Rückschläge immer gut drauf gewesen. Nur einmal war etwas Merkwürdiges passiert. Ich erinnerte mich an irgendeine Bedrohung, die ich nicht mehr benennen konnte. Irgendetwas, das mir wahnsinnige Angst gemacht hatte und das nicht mehr aus meinem Zimmer verschwinden wollte. Und dann war Joey den Gang entlang gekommen und hatte sich bücken müssen, um einen Blick durch meine Tür werfen zu können, so groß war er plötzlich gewesen. Mit grimmigem Gesicht hatte er seinen rundlichen Körper durch die Türöffnung gepresst und es mit dem namenlosen Grauen aufgenommen. Schränke und Regale waren dabei angeknackst worden, und der Stuhl meines Schreibtisches war zerbrochen. Joey hatte nie zuvor irgendwelche Gegenstände aus der realen Welt bewegt oder beeinflusst – es war, als wäre er vor lauter Wut plötzlich stark genug gewesen, um meine Sachen zu demolieren.

Meine Eltern hatten mir die Sache damals nicht geglaubt. Stattdessen waren sie davon ausgegangen, ich hätte in einem Tobsuchtsanfall meine eigenen Möbel kaputt gemacht.

Wohin war Joey dann verschwunden? Hatte ich ihn einfach mit all den anderen Kindheitserinnerungen beerdigt, als ich den Glauben an seine Existenz verloren hatte?

Ich hatte das Haus mit Anfang zwanzig verlassen, dementsprechend fand ich in meinem alten Zimmer nicht mehr viel von meiner Kindheit vor. Um Erinnerungsstücke an damals zu finden, musste ich also auf den Dachboden. Dort, zwischen angestaubten Kisten und Bücherstapeln, warteten die längst vergangenen Jahre.

Ich blätterte durch meine alten Schulhefte und kramte in Spielzeugschachteln. Immer mehr meiner frühen Erinnerungen kamen mir wieder in den Sinn. Welches Bilderbuch ich am öftesten angeschaut und welches Stofftier ich am liebsten gehabt hatte. Mein schönstes Spielzeugauto, mein Zauberkasten, mein erster Modellflieger. Dann konzentrierte ich mich auf die Zeit, die ich mit all dem Zeug verbracht hatte. Das Spielen, die Sommer und Winter im Garten hinter dem Haus, die vielen Stunden im Kinderzimmer, die dunklen Nächte allein im Bettchen.

Und plötzlich war Joey wieder bei mir.

Er marschierte hinter einem abgedeckten Bücherstapel hervor, als wäre er nie weg gewesen, zog seine Hosenträger stramm und ließ sie so zurückschnalzen, dass er mit gespielten Schmerzen das Gesicht verzog.

Er war wieder hier. Wie konnte ich den Glauben an ihn verloren haben?

Als ich ohne Elfie wieder zurückkam, war es bereits Nacht. Ich schaute zuerst nach, ob bei Rosa alles in Ordnung war. Sie hatte offenbar wieder Schlaftabletten genommen und lag auf dem Bett. Ihr Atem ging allerdings ruhig, und als ich sie anfasste, drehte sie sich zur Seite, schlief jedoch weiter.

Dann ging ich in Elfies Zimmer. Ich sah in ihrem Kleiderschrank nach und unter ihrem Bett, schaute in jede Ecke, aber konnte nirgendwo etwas Verdächtiges entdecken. Dann erinnerte ich mich daran, dass Elfie erzählt hatte, Herr Kohlmann würde noch immer dort wohnen, wo ihr Schreibtisch zuerst gestanden hatte. Also ging ich hinüber in mein Büro.

Dort, wo ich meinen Fernseher aufgestellt hatte, bewegte sich etwas.

Eine mittelgroße Gestalt huschte vorbei, sprang von einem Schatten in den anderen und zischte dabei, als würde sie etwas oder jemanden verfluchen oder beschimpfen.

Er schien meine Anwesenheit zu bemerken, denn als ich näher trat, blieb er im Mondschein stehen und sah mich eindringlich an, reagierte allerdings nicht weiter auf mich, sondern sah sich um, als würde er in der Dunkelheit etwas suchen.

»Mein Gott, bist du hässlich!«, fuhr es mir heraus.

Herr Kohlmann erstarrte. Dann drehte er sich langsam zu mir und warf mir einen giftigen Blick zu. »Du siehst mich?!«, zischte er ungläubig. »Das ändert gar nichts!« Er kam trotzig ein paar Schritte auf mich zu. »Ich werde nicht aufhören, deine Tochter zu terrorisieren, bis ihr endlich wieder aus dem Haus auszieht! Du hast keine Wahl! Nur weil du mich sehen kannst, kannst du mir noch lange nichts anhaben. Versuch mal, mich zu fangen – es wird dir nicht gelingen, weil ich aus einer ganz anderen Welt komme!« Er fing an zu grinsen. »Aber da du jetzt auch an den Buhmann glaubst, kann ich dich jetzt auch in den Wahnsinn treiben, wenn ihr nicht alle verschwindet!«

Ich war immer noch angewidert von seiner Gestalt und der Visage, aus welcher purer Hass herausstach. »Du bist der, der meine kleine Tochter erschreckt!«, stellte ich kaltblütig fest. »Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ich kann dir nichts anhaben. Aber ich habe jemanden dabei, der es kann! Jemanden aus deiner Welt!«

Herr Kohlmann sah sich etwas irritiert um, bis sein Blick in einer Ecke am Boden bei meinem Bücherschrank hängen blieb. Sein Gesicht verzog sich zu einem noch grässlicheren Grinsen. »Ein Clown!«, brach es aus ihm heraus.« Du denkst, ich fürchte mich vor einem winzigen Clown?!«

Joey kam ein Stück hervor. Trotz seiner winzigen Gestalt streckte er mir zwei erhobene Daumen entgegen und bedeutete mir, dass ich ruhig das Zimmer verlassen konnte.

Ich drehte mich um und ging zur Tür. Der Mondschein, der vom Fenster hereinfiel, wurde neben mir durch einen riesig werdenden Schatten immer mehr verdeckt. Ich wagte nicht, noch einmal zurückzusehen, sondern ging zum Schlafzimmer. Gerade als ich durch die Tür hindurch war, fing es im Nebenzimmer furchtbar zu krachen an.

»Was ist denn los?« Rosa räkelte sich benommen auf dem Bett.

»Komm, Schatz!« Ich zog sie am Handgelenk nach oben, legte ihren Arm um meine Schulter und zog sie aus dem Schlafzimmer. »Wir schlafen heute im Hotel!«

»Was? Wieso? Was ist das für ein Lärm?«

»Herr Kohlmann wird vertrieben«, sagte ich entschlossen. »Und morgen kaufen wir neue Möbel. Damit wird sich dann einiges ändern!«

Brit Gögel

Der unsichtbare William

Ich zähle nicht zu den langweiligen Müttern, die sich hinter Kochtöpfen verstecken und das Leben nach der Meinung ihrer bekannten und unbekannten Mitmenschen ausrichten. Ja, es ist mir sogar egal, was andere von uns denken.

Ich liebe meine Familie und versuche, mich jeden Tag an die eigene Kindheit zu erinnern. Allerdings stellt diese Erinnerung bei mir weniger eine Art des Gehirnjoggings dar. Vielmehr ist sie erforderlich, um im Kreise meiner Kinder zu überleben, zumal das Familien- und Haushaltsmanagement der Utopie oft näher stehen, als dem Realismus.

Ich verfüge auch über ein hohes Maß an Fantasie und bin gerne bereit, imaginäre Monster aus unaufgeräumten Kinderzimmerschränken zu vertreiben. Ebenso stört es mich nicht, mitten in der Nacht, nur in eine Bettdecke gewickelt, unter Kinderbetten zu kriechen. Mich dort ausführlich mit Geistern zu unterhalten und darauf zu hoffen, dass sie schnell verschwinden mögen, damit ich im Schlafzimmer dort weitermachen kann, wo ich kurz zuvor aufgehört habe.

Das alles erscheint mir gerade noch normal. Aber auch meine Toleranz hat ihre Grenzen, und diese wurden mit dem Erscheinen von William deutlich überschritten.

Es war der erste Weihnachtstag. Die Ankunft von Oma und Opa stand kurz bevor. Ich hatte das Verpackungschaos des Vorabends beseitigt und hoffte auf das baldige Eintreffen der Müllabfuhr. Der Tisch war festlich gedeckt, und selbst meine Kinder sahen auffallend brav gekleidet aus. Auf dem Ofen stand eine perfekt gelungene Weihnachtsgans, die nur darauf wartete, dass Matthias sie fachmännisch zerteilte.

Matthias! Wo steckte er denn schon wieder?

Ich fand ihn im Schlafzimmer. Meinen Augen bot sich der erschreckende Anblick eines viel zu kräftigen Menschen in viel zu enger Kleidung.

Gut, der Anzug vom letzten Jahr passte also nicht mehr. Kurzerhand steckte ich Matthias in eine Jeans und ein, nur geringfügig am Bauch spannendes, Hemd. Für die paar Stunden würde es schon gehen. Der Anblick meines leicht gequetschten Mannes war jedoch nichts gegen das, was ich Augenblicke später in der Küche sehen musste.

Kisha, unsere Boxerhündin, hatte in der Zwischenzeit die Weihnachtsgans gefressen. Genau genommen war die Gans spurlos verschwunden. Nur diverse, fettige Pfotenabdrücke auf dem Fußboden, an den Schränken sowie den Polstern unserer Couch ließen erahnen, dass Kisha in direkter Form mit dem Verschwinden des Weihnachtsbratens zu tun hatte.

»Amy!«

Amy war unser Nesthäkchen, fünf Jahre alt und das letzte von sechs Kindern. Ehrlich, wäre sie als Erste geboren, wäre sie ebenfalls mein letztes Kind gewesen. Amy war süß, schlau, fantasievoll und sehr energisch in allem, was sie wollte. Hätte sie sich als Dreijährige eine Audienz beim Papst in den Kopf gesetzt, wirklich, er hätte sie empfangen.

Also stürmten wir in ihr Zimmer. Ich lief wütend vorneweg, und Matthias folgte mir irritiert. Da saß sie, schaute sich unschuldig ein Buch an und war sich keiner Schuld bewusst.

»Wer, um alles in der Welt, hat Kisha an die Gans gelassen?«

Amy schaute mich erschrocken an: »Ich nicht ...«

Die Antwort hatte ich ja erwartet, aber das, was dem folgte, sprengte den Rahmen des Erträglichen.

»… das war William, der unsichtbare William!«

Na klar, der unsichtbare William war’s. Logisch! Wer sollte es denn auch sonst gewesen sein? Aber hätte es nicht wenigstens Prinz William sein können? Der wäre zumindest in der Lage gewesen, uns alle zum Essen einzuladen.

Ich bemühte mich, nicht die Fassung zu verlieren: »So, der unsichtbare William also! Sag mal, willst du mich für dumm verkaufen?«

Nein, sie wollte mich nicht nur für dumm verkaufen, sondern für total bescheuert erklären.

Amy erzählte uns nun ernsthaft, dass William seit gestern ihr Freund sei und jetzt bei uns leben würde.

Ich versuchte ebenso ernst zu antworten und fragte sie, warum der William denn unsere Weihnachtsgans an die Kisha verfüttert hat.

Offensichtlich konnte er die leidenden Blicke eines hungrigen Hundes nicht ertragen.

Matthias grinste: »Die Kisha guckt auch nach ’nem halben Schwein noch hungrig!«

Ich warf ihm für diesen unpädagogischen Beitrag einen bösen Blick zu und bestrafte seine Schadenfreude, indem er sich nun doch in den viel zu engen Anzug quetschen musste. Immerhin blieb uns jetzt nur noch der Gang ins Restaurant. Und wenn ich mich mit der Schadensbehebung rumzuärgern hatte, dann sollten die Leute wenigstens über ihn lachen.

Von diesem Tag an war William allgegenwärtig.

Nach dem chaotischen Weihnachtsfest wurde es etwas stiller um ihn. Gut, Amy forderte die doppelte Ration Süßigkeiten ein: »William will auch was haben!«, oder es passierten verschiedene Zwischenfälle, für die stets William verantwortlich gemacht wurde. Das war aber nichts Besonderes, denn Amy war ja sowieso nie an etwas schuld. Und so versuchte ich, seine Anwesenheit einfach zu ignorieren.

Das funktionierte etwa zwei Monate ganz gut, bis zu unserer Faschingsfeier.

Wir bastelten Papiergirlanden, malten Einladungskarten für Amys Freunde und konnten die lustige Kostümparty kaum erwarten.

Endlich war der Tag gekommen. Ich hatte alles nett vorbereitet, wenngleich ich hoffte, das große Spektakel möglichst schadenfrei zu überstehen. Einige Kleinigkeiten mussten noch besorgt werden, und dann konnten auch schon die kleinen Gäste unser Haus erobern.

Nichts ahnend kam ich vom Einkauf zurück und traute meinen Augen nicht. Von meiner Küchenlampe führte eine lange Schnur quer durch den Raum, weiter durch die Tür und endete dann schließlich im Wohnzimmer am Deckenleuchter.

An der Schnur baumelten unzählige, bunte Zapfen. Was auf den ersten Blick als geschmacksresistente Dekoration einzustufen war, stellte sich auf den zweiten Blick als eine bunte Aneinanderreihung von säuberlich ausgepackten und irgendwie kolorierten Tampons heraus. Während die blauen Exemplare eher staubig glitzerten, wirkten die roten leicht klebrig.

Eine böse Vorahnung überkam mich. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich zuerst nach den Resten meiner Schminke schauen oder die Kette weiblicher Hygieneartikel entfernen sollte. Gut, das Hunderterpack Tampons war ohnehin nicht mehr zu benutzen, aber vielleicht konnte ich einen Teil meiner Kosmetik retten.

Also lief ich zuerst ins Bad. Wie sich wenige Minuten später herausstellte, war dies eine der schlechtesten Entscheidungen meiner Karriere als Mutter.

Als wäre es nicht schlimm genug gewesen, dass die Reste meiner Schminke im gesamten Badezimmer verteilt waren, musste es in diesem Moment auch noch an der Tür klingeln.

Bevor ich den rettenden Schrei: »Nicht aufmachen!« ausstoßen konnte, hatte Amy schon die Tür geöffnet. In meiner Küche stand ein kleiner, dicker Indianer mit seiner großen, dicken Mutter. Die Kriegsbemalung des Kleinen verblasste förmlich gegen die Gesichtsfarbe der entsetzten Mutter. Während sie mit starrem Blick meine Tampons zu zählen schien, hatte ich das Gefühl, ihr ohnehin sehr ausladender Körper würde sich noch weiter aufblähen. Es fehlte nur, dass sie jetzt in meiner Küche geplatzt wäre.

Ich stellte mir vor, wie nach dem großen Knall auch noch ihre Unterwäsche neben den Tampons hängt, und musste unweigerlich lachen.

Ich weiß nicht, ob es mein Lachen oder die in ihr angestaute Luft war, jedenfalls schien sie nun wirklich zu explodieren, zumindest verbal. Drei Minuten später verließen ein weinender Indianer und seine schnaufende Mutter mein Haus.

Ich blieb erleichtert zurück und wusste jetzt, was ich bisher nicht wusste und was sicher auch bald alle anderen Mütter unserer Kita wissen werden: Ich war das Abbild des Verdorbenen, ein Beispiel mangelnder Intelligenz und fehlender Pädagogik!

Für einen Augenblick ärgerte ich mich, dass meine Kinder nicht auch noch Kondome als Luftballons aufgehängt hatten. Dann wäre ich sicher in den Genuss gekommen, diese ignorante Person wirklich platzen zu sehen. Schade!

Ich hoffte, dass den beiden auf ihrem Kriegspfad keins der anderen Kinder begegnet, und begann, eiligst die Tampons aus meiner Wohnung zu entfernen.

Nebenbei zitierte ich meine Unschuldsengel in die Küche. Diesmal mussten sie alle antreten. Während sich die Großen das Lachen nicht verkneifen konnten, meinte Amy nur ganz betroffen: »Das war William. Und Mami, ehrlich, er hat das nicht böse gemeint. Er wollte uns doch bloß eine Freude machen.«

Mir fehlte die Zeit für die Verteilung gerechter Strafen. Außerdem war klar, dass Amy dieses Ding nicht hätte alleine durchziehen können. Auch meine Großen hielten, zumindest bei Schandtaten, immer zusammen. Und so musste ich damit leben, den Täter des Übels nicht zu überführen.

Auf eine ganz unerklärliche Weise beschäftigte mich diese Angelegenheit dennoch. Einerseits machten meine Kinder derart üble Streiche nicht, und andererseits schien Amys imaginärer Freund langsam beängstigenden Besitz von ihr zu nehmen.

Die Tatsache, dass jeden Moment weitere Partygäste eintrudeln konnten, verdrängte meine Gedanken. Ich verteilte Wiedergutmachungsaufgaben, und binnen weniger Minuten wurde unser Haus wieder gesellschaftsfähig.

Während ich zufrieden aufatmete, klingelte es auch schon wieder an der Tür. Rotkäppchen und Pipi Langstrumpf, gefolgt von Cowboy und Sheriff, standen, nebst ihren freundlich lächelnden Müttern, vor der Tür. Ich lächelte nun auch, und zwar vor Erleichterung. Zum Glück waren sie nicht dem Indianerduo über den Weg gelaufen.

Die kleinen Partygäste eroberten mein Haus. Wie jedes Jahr bezweifelte ich, dass es die richtige Entscheidung war, mit Amys Freunden Fasching zu feiern, und freute mich auf den Augenblick, wenn alle wieder gegangen waren und ich aufs Sofa plumpsen konnte. Hätte ich in diesem Moment bereits gewusst, was mir die Stunden bis dahin noch alles bringen würden, wirklich, ich hätte einen akuten Magen-Darm-Virus simuliert und die Kinder sofort abholen lassen. Leider wusste ich es nicht. Und so war ich vorerst froh, als die ersten Kämpfe um die besten Sitzplätze ausgefochten waren und alle schmatzend am Tisch saßen.

Die kurze Ruhe wandelte sich zu einer Mischung aus Gelächter und Geschrei, als Pippi Langstrumpfs Sahnetorte zwischen Rotkäppchens Augen landete.

Mir platzte der Kragen, und entgegen allen pädagogischen Grundsätzen verlor ich die Beherrschung: »Was, zum Teufel, soll das?«

Kurzzeitig verstummte das Lachen. Der kleine Sheriff hatte sich so sehr erschreckt, dass er nun auch zu weinen anfing. Rotkäppchen schrie noch immer. Pippi Langstrumpf stotterte: »Ich w ... war das nicht!« Der Cowboy grinste schadenfroh, und Amy wurde auf ihrem Stuhl immer kleiner.

Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben: »Wer war das?«

Synchron antworteten mir vier Kinder: »Ich nicht!«

Nur das noch immer schreiende Rotkäppchen zeigte auf Pippi Langstrumpf: »Die war das!«

Ich gab dem Tortenopfer etwas zum Abwischen und bat Amy, mir ins Wohnzimmer zu folgen.

»Was ist passiert? Aber ehrlich!«

Amy schaute mich verstört an: »Also, die Jungs haben gemeint, dass eine Tortenschlacht ganz cool wäre. Na ja, und wir fanden es lustig. Aber wir haben das ja nur so gesagt. Gemacht hätten wir das nie!« Amy riss ihre Augen weit auf, zog ein entsetztes Gesicht und schüttelte wild den Kopf, als müsse sie mir beweisen, dass es wirklich nur ein Spaß war.

Langsam verlor ich die Geduld: »Jetzt tu mal nicht so unschuldig! Gemacht habt ihr es ja trotzdem. Und ich will endlich wissen, wer das war!«

Amys Augen füllten sich mit Tränen. Mein Kleine tat mir plötzlich leid. Vielleicht war ich doch zu streng?

»Nicht weinen. Ich schimpfe auch nicht. Wirklich.«

Amy schluchzte und erzählte mir, dass es William gewesen wäre. Er hatte gehört, wie toll die Kinder eine Tortenschlacht fänden, und einfach damit begonnen.

Sie erzählte es so überzeugend, dass ich inzwischen selbst an meinem Verstand zweifelte. Die vielen, skurrilen Dinge, die während der letzten Zeit in unserer Familie passierten ... Konnte das alles ein Zufall sein?

Nein, ich war erwachsen und vernünftig! Unsichtbare Wesen gibt es nicht, und ich wollte auch nicht anfangen, an solchen Unsinn zu glauben.

Bevor ich auf Amys Erklärung eingehen konnte, hörte ich erneutes Geschrei aus der Küche. Die Missverständnisse zwischen Rotkäppchen und Pippi Langstrumpf waren zwischenzeitlich zu einem handfesten Konflikt mutiert.

Als ich die Küche betrat, zogen sich die Mädchen kampflustig an den Zöpfen, und die Torte hatte sich gleichmäßig auf beiden Gesichtern verteilt.

»Hört sofort auf damit!«

Obwohl ich diese Aufforderung dreimal wiederholte, und das mit steigender Lautstärke, ließen die Mädchen nicht voneinander ab. Der Sheriff stand grinsend daneben, und der Cowboy rief begeistert: »Weibercatchen, cool!«

Jetzt reichte es mir endgültig. Auch auf die Gefahr hin, selber zum Opfer zu werden, stürzte ich mich ins Gemenge und trennte die Kampfhennen gewaltsam: »So, wenn ihr euch noch einmal an den Zöpfen zieht, dann schneide ich sie ab! Und jetzt vertragt ihr euch, geht ins Bad und macht euch sauber! Ihr seht ja aus wie kleine Ferkel.«

Ich hatte die Schlacht gewonnen. Zehn Minuten später waren alle Kinder wieder ein Herz und eine Seele. Ich freute mich über meinen Sieg und begann, zufrieden das Chaos in der Küche zu beseitigen. Meine unpädagogische Androhung, die Zöpfe abzuschneiden, hatte ich längst vergessen. Sie sollte aber kurze Zeit später wieder in den Fokus meines Mutterseins rücken.

Der restliche Nachmittag verlief unerwartet pannenfrei. Wir spielten Topfschlagen, Stuhltanzen und Blinde Kuh. Alle hatten ihren Spaß.

Bevor ich mich um die Zubereitung des Abendessens kümmerte, verteilte ich kleine Preise und schickte die Kinder für eine halbe Stunde in Amys Zimmer.

Die letzte Etappe lag vor mir. Noch eine gute Stunde durchhalten, und dann hatte ich alles überstanden.

Erleichtert traf ich die Vorbereitungen für das Essen. Hin und wieder wurde meine Arbeit durch aufflackerndes Gezanke in Amys Zimmer unterbrochen.

Ein lautes: »Ruhe da oben und lieb sein!« reichte, um den Frieden im Kinderzimmer wieder herzustellen. Zumindest bis zu diesem Moment.

Ich hatte gerade die letzten Bärchen-Servietten auf dem Tisch platziert, als das Geschrei einen beängstigenden Klang annahm. Genau genommen klang es bedrohlich. Mein Unterbewusstsein signalisierte mir, dass dies kein gutes Zeichen war, und so stand ich Sekunden später in Amys Tür.

Nur gut, dass ich den Türrahmen hatte. Ohne etwas, woran ich mich hätte festhalten können, wäre ich gewiss in Ohnmacht gefallen. Eigentlich war mir in diesem Moment eine Ohnmacht sogar lieber als das, was ich dort sehen musste.

Leider behielt ich das Bewusstsein, und so musste ich mich mit dem abfinden, was dort auf Amys Teppich zwischen einem schreienden Rotkäppchen und einer noch lauter schreienden Pippi Langstrumpf lag: vier abgeschnittene Zöpfe!

Für einen Moment schloss ich die Augen: »Lieber Gott, lass das einen schlechten Traum sein!« Es war kein Traum. An den Köpfen der beiden Mädchen ragten etwa drei Zentimeter lange Büschel waagerecht, wie kleine Bürsten, zur Seite. Der Rest lag auf dem Fußboden, zwei geflochtene Zopfreste und ein großer Haufen Haare.

Amy saß weinend auf dem Bett: »Sie haben sich wieder an den Zöpfen gezogen. Und dann hat William einfach alles abgeschnitten. Wie du es gesagt hast ...«

Ich stand noch immer versteinert da. Mir fehlten die Worte, und das sollte schon was bedeuten. In meinem Kopf kreisten die Gedanken: Wie erkläre ich das den Eltern? Ich konnte mich wohl kaum hinstellen und verkünden, dass ein unsichtbarer Freund meiner Tochter der Übeltäter war. Auch die Tatsache, dass Haare ja wieder nachwachsen und sonst keine Opfer zu verzeichnen waren, würde sie gewiss nicht beruhigen.

Seltsamerweise zweifelte ich nicht an Amys Worten. Offensichtlich wurde ich selber langsam verrückt. Auf jeden Fall gab es diesmal wirklich niemanden, der als Täter infrage kam. Mochte Amy auch ein kleiner Wirbelwind mit blühender Fantasie sein, sowas traute ich ihr nicht zu. Die beiden Buben konnten es auch nicht gewesen sein, da sie gerade auf der Toilette für kleine Königstiger waren.

In meinem Kopf tobte das Chaos. Hätte ich die Mädchen einfach adoptieren können, um dem Konflikt mit ihren Eltern auszuweichen, wirklich, ich hätte es getan. Aber so?

Rotkäppchen und Pippi Langstrumpf, die inzwischen eher wie Max und Moritz aussahen, konnte ich mit einigen zusätzlichen Geschenken ruhig stellen.

Während des Abendessens hatten sie bereits alles vergessen und lachten über sich selber. Die beiden Jungs fanden es ohnehin total lustig und belohnten mich mit den Worten: »Das war echt ’ne coole Party!«

Wie leicht man doch Kinder glücklich machen kann.

Die bittere Realität holte mich wieder ein, als es an unserer Tür klingelte. Zum Glück wurden zuerst der Cowboy und der Sheriff abgeholt. Es gelang mir, freundlich zu lächeln und die Frage: »War es schön?« mit einem verlogenen, aber ehrlich klingenden: »Ja!« zu beantworten.

Wenige Minuten später saßen dann zwei entsetzte Mütter in meinem Wohnzimmer.

Ich versuchte, mich zu entschuldigen und irgendwelche Erklärungen zu geben. Es hatte keinen Sinn. Sie redeten wütend durcheinander, hackten auf mir herum, gaben sich gegenseitig recht und machten mich dann vereint nieder.

Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie sich meine Kinder fühlen mussten, wenn sie von allen Seiten zurechtgewiesen wurden. Ich nahm mir fest vor, sowas in der Zukunft nicht mehr zu tun, und hoffte, dass die beiden Mütter mit ihrer Predigt bald fertig sein würden.

Sie waren es aber noch lange nicht. Nachdem ich über Verantwortungslosigkeit und Vernachlässigung meiner Aufsichtspflicht belehrt wurde, informierten sie mich über die traumatischen Vorgänge, die ihre Kinder nun durchleben müssten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde der heutige Nachmittag den Grundstein für ein gestörtes Selbstbewusstsein legen, das im schlimmsten Fall in Depressionen und Drogensucht endet. Die armen Kinder!

Ja, das dachte ich auch. Die armen Kinder, die nur ein Zimmer weiter lachend spielten und den Haarverlust längst vergessen hatten. Sie taten mir echt leid, bei den Müttern.

Ich überstand die Degradierung meiner Persönlichkeit und war erleichtert, als die Damen ihre Töchter einsammelten und sich mit den Worten: »Das wird noch ein Nachspiel haben!« in Richtung Ausgang bewegten.

Zu früh gefreut! Genau in dem Moment, als die Cowboymutter unsere Haustür öffnete, erschien Amy im Flur. Sie wollte sich ebenfalls entschuldigen und erzählte ganz selbstverständlich, dass der William es ja nicht besser wusste.

Nun hatte ich ein richtiges Problem und geriet in extreme Erklärungsnöte. Wer war denn bitte William und warum lade ich ein so unerzogenes Kind überhaupt ein?