Das Buch

Potzblitz! Pollys vierter Eckzahn wackelt, will aber einfach nicht ausfallen. Dabei könnte Polly gerade jetzt die neue Zauberkraft gut gebrauchen, denn das Wasser steht ihr bis zum Hals: Tante Winnies Hausboot sinkt, Familie Zappenduster droht zu verblassen und die gemeinen Finsterfürsten treiben sich in der Nachbarschaft herum! Als dann auch noch ein echter Wal im Kanal auftaucht, ist das Chaos perfekt. Gemeinsam mit ihren Freunden schlittert Polly in ein neues potzblitzgroßes Abenteuer – und muss lernen, dass die wichtigste Zauberkraft in keinem ihrer Zähne liegt …

Die Autorin

© Philipp Astner

Lucy Astner wurde 1982 in Hamburg geboren. Sie mag Schokolade essen, Trampolin springen und lachen, bis der Bauch wehtut. Und eben weil sie selbst so gerne lacht, hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht und schreibt Drehbücher für Kinofilme, mit denen sie viele andere Menschen zum Lachen bringt. Mit ihren beiden Töchtern und ihrem Mann lebt sie heute mitten in Hamburg-Eimsbüttel. Hier sind ihr nicht nur Kanalpiraten und Großstadtfeen begegnet, sondern auch ein kleines Mädchen mit potzblitzstarken Zauberzähnen: POLLY SCHLOTTERMOTZ. Und diesem Abenteuer konnte Lucy sich einfach nicht entziehen …

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Für all die Mädchen und Jungen, die mir mit ihrer POLLY-Post potzblitzgroße Freude gemacht haben – ihr seid toll!

»Potzblitz! Irgendwo muss der Aufsatz doch geblieben sein!« Energisch stellte Polly sich auf die Zehenspitzen und lehnte sich noch ein Stück weiter aus dem Fenster. »Ich habe ihn genau hier zum Trocknen in den Baum gehängt, da bin ich mir ganz sicher!«

Hinter ihr im Zimmer erklang Charlottes Gekicher. »Ein kleines bisschen noch, dann kannst du die Blattläuse im Baum mit der Nasenspitze begrüßen.«

»Oder die Fische unten im Kanal!«, korrigierte sie Isabella und stimmte vergnügt in das Lachen ihrer Schwester ein.

Polly fand das alles kein bisschen witzig! Die Zwillinge hatten zwar recht, ja: Die Blätter des umgeknickten Baumes vor ihrem Fenster kitzelten schon bedrohlich an ihren Nasenflügeln, aber davon würde Polly sich nicht aufhalten lassen. »Ich finde diesen potzblitzverflixten Aufsatz! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!« Entschlossen stieg sie auf das Fensterbrett und klammerte die Hände um einen dicken Ast.

Charlotte hielt erschrocken die Luft an, doch Isabella legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Immerhin kannte sie Polly schon eine ganze Weile und wusste, dass sich das kleine Vampirmädchen nicht so leicht aus der Ruhe bringen ließ – oder aus dem Gleichgewicht.

»Keine Sorge! Polly ist die weltallerbeste Baumkletterkünstlerin. Würd mich nicht wundern, wenn sie irgendwann auf einer Kokosnussplantage im Dschungel anheuert und den Äffchen Konkurrenz macht.«

Polly konnte das Kichern der Schwestern bis draußen im Geäst hören. Obwohl die ganze Angelegenheit überhaupt nicht lustig war, konnte auch sie sich ein klitzekleines Grinsen nicht verkneifen. Isabella kannte Polly einfach zu gut: Wenn es sein müsste, würde sie auch auf die Spitze des Wolkenzahns klettern, um an ihren Aufsatz zu kommen.

Vor zwei Wochen hatte ihre Klassenlehrerin Frau Grübchen die Aufgaben zum Thema »Unterwasserwelten« verlost. Polly liebte das Meer und alles, was mit dem Wasser zu tun hatte, immerhin hatte sie den größten Teil ihres Lebens auf dem Bauernhof ihrer Familie an der Ostsee verbracht. Sie konnte gar nicht genug kriegen von den glänzenden Muscheln im Sand, den fünfarmigen Seesternen am Meeresgrund und den abenteuerlustigen Delfinen, die sich immer mal wieder in die Ostseebuchten verirrten. Selten hatte Polly sich so auf eine Schulaufgabe gefreut! Doch als sie ihr Los endlich in den Händen gehalten hatte, war ihre gute Laune schneller verflogen als einer von Tante Winnies brandheißen Bohnenpupsen: Quallen! Ausgerechnet über die fiesen blauen Nesselquallen sollte Polly ihren vierseitigen Aufsatz schreiben? Das konnte doch nicht wahr sein! Wenn es ein Meereswesen gab, das Polly nicht ausstehen konnte, dann waren es die gemeinen Glibbertiere, die wie Gespenster aus Wackelpudding durch das Ostseewasser waberten und auf der Haut brannten wie tausend kleine Flohbisse. Natürlich hatte Polly versucht, mit ihren Klassenkameraden zu tauschen. Dem frechen Lukas wollte sie seinen »Hammerhai« abluchsen und mit der lieben Yutga hatte sie um den »Schweinswal« gewettet – vergeblich … Nicht mal eine ganze Kanne von Winnies heißer Schokolade hatte ihre chinesische Mitschülerin überzeugen können, mit Polly zu tauschen. Es wollte einfach keiner über die potzblitzblöden Quallen schreiben …

Und so hatte Polly sich schließlich mit viel Murren an die Arbeit gemacht. Zwölf Tage lang hatte sie sich durch die dicksten Bücher gequält, hatte über Nesselzellen, Plankton und Gift-Tentakel geschrieben und die schauerlichsten Quallenzeichnungen aufs Papier gezaubert. Doch als sie endlich fertig war, kam es noch schlimmer: Kaum hatte sie den Aufsatz zum Probelesen auf den Küchentisch gelegt, hatte Graf Zappenduster beim Anblick der feurigen Tentakel den Schreck seines Lebens bekommen.

»Hinfort mit den Fangarmen des Teufels!«, hatte er gebrüllt und Pollys Arbeit mit einem großen Glas von Winnies Mondwasser übergossen …

Seit Friedebald von Zappenduster, seine Frau Konstanze und Isabellas Zwillingsschwester Charlotte nicht mehr zu Stein erstarrt waren, rechnete der Graf beinahe stündlich mit einem Angriff der hinterhältigen Finsterfürsten. Dass die Schurken bei ihrer letzten Attacke an der Ostsee von Pollys Nachbar Justus auf die Größe von zwei Walnüssen geschrumpft worden waren, beruhigte Isabellas Vater dabei nicht im Geringsten. Und auch dass die Minifürsten gar nicht wussten, wo sich Familie Zappenduster versteckte, machte Graf Friedebald keinen Mut. Hinter jedem Vogelzwitschern vermutete er eine böse Überraschung, hinter jedem Mäusepups einen Kanonenangriff – und in Pollys Quallenbildern hatte er nun offenbar eine besondere Bedrohung erkannt.

»Die ganze Arbeit … alles umsonst!« Dicke Tränen waren aus Pollys Augenwinkeln geschossen. In zwei Tagen würde sie den Aufsatz abgeben müssen – und so kurz vorher sollte nun alles ruiniert sein?

Tante Winnie hatte Graf Zappenduster daraufhin einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen und eine Handvoll Wäscheklammern aus ihrer Schürze gezupft.

»Kopf hoch, Polly! Du hängst die Blätter jetzt in den Baum vor deinem Fenster und morgen sind die Seiten wieder so gut wie neu. Du wirst schon sehen!«

Das war gestern gewesen. Doch alles, was Polly jetzt hier draußen im Baum sah, war: nichts! Nichts außer einem Urwald aus saftig grünen Blättern und einem aufgeregten Mückenschwarm, der neugierig um Pollys Nasenspitze tanzte.

Wohin war der verflixte Aufsatz nur verschwunden? War er vielleicht ins Kanalwasser hinabgesegelt? Doch da schwamm nichts rum, was ihrem Aufsatz ähnlich sah. Auch im Gebüsch unten am Ufer konnte Polly nirgendwo die weißen Papierseiten entdecken. Wirklich merkwürdig, denn zumindest die Wäscheklammern müssten noch im Baum hängen, oder?

Als Polly sich ein Stück weiter hinunterhangelte, hörte sie plötzlich ein vertrautes Fiepen.

Das war doch … »Adlerauge!«

Tatsächlich! Kaum hatte Polly zur Seite gesehen, sauste auch schon der kleine Fledermäuserich durch das Dickicht und klammerte sich an ihren Ellenbogen.

»Polly, Polly, Polly! Wie nennt sich denn dieses lustige Spielchen? Abhängen im Abendrot? Oder Hangelspaß vorm Abendbrot?« Glucksend schob Adlerauge sich seine winzige Brille zurecht.

Polly blies sich seufzend eine Strähne aus der Stirn. »Wenn überhaupt, heißt dieses lustige Spiel Wo zum Teufel steckt mein potzblitzblöder Quallenaufsatz!«

»Quallenaufsatz …?« Adlerauge kräuselte verwundert die Nasenspitze. »Meinst du etwa dieses lose Blattwerk da hoch oben über deinem Zimmer?«

Polly schüttelte energisch den Kopf. »Nein, ich hab die Seiten gestern direkt vor mein Fenster gehängt, und als ich eben …« Potzblitz! Als Pollys Blick flüchtig nach oben wanderte, verschlug es ihr die Sprache.

Adlerauge hatte richtig gesehen! Ungefähr einen Meter über Pollys Zimmerfenster hingen die vier dicht beschriebenen Seiten an Winnies leuchtenden Wäscheklammern.

Aber wie war der Aufsatz über Nacht dort hinaufgekommen? Der Baum konnte unmöglich so schnell gewachsen sein – vor allem nicht, seit ihn die Siebenschläfer mit einem ihrer Warnblitze gespalten hatten. Wenn der Baum nun aber nicht gewachsen war, kam eigentlich nur eine Erklärung infrage. Eine Erklärung, die Polly kein bisschen gefiel. Konnte es etwa sein, dass Winnies Hausboot …?

Nachdenklich fuhr Polly sich mit der Hand übers Kinn – und vergaß dabei, dass sie immer noch im Baum hing! Erschrocken rauschte sie in die Tiefe und landete mit einem saftigen PLATSCH im Kanal …

»Du glaubst, das Hausboot sinkt?« Tante Winnie kicherte ungläubig, als Polly ihr von ihrem Verdacht erzählte.

Kaum war Polly ins Wasser gestürzt, waren Isabella und Charlotte die Treppe hinuntergeeilt und hatten Winifred alarmiert. An Winnies großem altem Rettungsreifen hatten sie Polly an Deck des Hausbootes gezogen.

Nun saß sie wie ein begossener Pudel am Küchentisch und nickte unglücklich.

»Eine andere Erklärung hab ich jedenfalls nicht! Warum sonst sollte der Aufsatz plötzlich weit über meinem Fenster hängen?«

Zu Pollys Füßen hatte sich bereits eine große Pfütze aus Kanalwasser gebildet. Schnell begrub Tante Winnie sie unter einem Berg flauschiger Handtücher.

»Vielleicht hat sich dein kleiner Putzlappen ja einen Scherz erlaubt und die Blätter höher gehängt?«

Oben auf dem Küchenschrank begann Adlerauge zu protestieren. »Ich darf doch sehr bitten! Erstens bin ich kein Putzlappen! Und zweitens kannst du der rothaarigen Drahtbürste sagen, dass ich dir niemals einen derartig bösen Streich spielen würde! Ich bin nämlich nicht so ein hitziger Kratzkopf wie deine Großtante, oh nein!« Beleidigt verzog er die Schnauze zu einem Schmollmund und flatterte zum Fenster hinaus.

Hitziger Kratzkopf? Polly musste sich ein Lächeln verkneifen. Zum Glück konnte Winifred kein Wort von dem verstehen, was Adlerauge sagte, sonst hätte sie ihm bei der nächsten Gelegenheit mit Sicherheit einen saftigen Schimpfwörter-Schluckauf verpasst. Pollys Großtante war nämlich selbst ein Vampir und der Schimpfwörter-Schluckauf war ihre Spezialzauberkraft. Leider half so ein Schluckauf bei einem sinkenden Hausboot aber kein bisschen weiter …

Betrübt ließ Polly den Kopf hängen. »Adlerauge hat nichts damit zu tun.« Sie seufzte. »Ich habe das ungute Gefühl, dass hier irgendwas nicht stimmt. Ich kann nur nicht sagen, was.«

Isabella und Charlotte sahen sich erschrocken an. Polly hatte ein sehr gutes Bauchgefühl, und wenn sie davon überzeugt war, dass etwas Verdächtiges in der Luft lag, dann hatte sie damit meistens recht. Hoffentlich steckten nicht die Finsterfürsten dahinter!

Tante Winnie aber verschwendete daran offenbar keinen Gedanken. Entschlossen schüttelte sie ihre roten Locken. »Also gut. Wenn wirklich etwas faul sein sollte mit meinem Hausboot, dann kann nur einer dahinterstecken!« Mit zusammengekniffenen Augen stampfte sie aus der Küche. Polly, Charlotte und Isabella warfen sich einen beunruhigten Blick zu. Dann sprangen sie auf und stolperten hastig hinter Pollys Großtante her.

Charlotte schnappte nach Luft. »Du denkst doch nicht etwa …?«

»Dass unser Papa etwas damit zu tun hat?«, beendete Isabella die Befürchtung ihrer Schwester.

Winnie lachte schnaubend auf. »Wer denn sonst? Ich bin mit diesem Kahn um die halbe Welt gereist, habe Piraten in die Flucht geschlagen und mit feuerspeienden Seeschlangen gerungen – aber niemals hat mein treues Boot Anstalten gemacht zu sinken!« Die Wände wackelten, als Winifred sich durch die engen Flure schob. »Und dann kommt euer Herr von-und-zu-Vater an Deck und schon ist mein Schiff dem Untergang geweiht! Dem werde ich die Flausen jetzt austreiben!« Polly hatte Winifred selten wütend erlebt, aber wenn es um ihr Hausboot ging, verstand sie einfach keinen Spaß. Armer Graf Zappenduster …

Isabella und Charlotte hielten sich besorgt an den Händen. Irgendwie konnte Polly Winnies Ärger auch ein bisschen nachvollziehen. Seit Friedebald von Zappenduster mit seiner Familie Unterschlupf auf dem Hausboot gefunden hatte, waren schon eine Menge merkwürdiger Dinge passiert – und die meisten davon waren auf dem Mist von Isabellas Vater gewachsen. Erst neulich hatte er das ganze Hausboot von oben bis unten mit Kleebeerengelee zugekleistert, weil er davon überzeugt war, eine Schutzschicht gegen böse Mächte entdeckt zu haben. Dummerweise hatte er nicht daran gedacht, dass der süße Anstrich unzählige hungrige Insekten anzog. Innerhalb weniger Stunden war das komplette Hausboot von Abertausenden Mücken, Fliegen und Krabbelkäfern bedeckt gewesen! Es kroch, kribbelte und surrte in jeder noch so kleinen Ritze. Erst als Winifred die Siebenschläfer, den Rat der sieben ältesten Vampire, überzeugt hatte, einen zweitägigen Regenguss zu zaubern, war der hartnäckige Kleister verschwunden. Noch heute juckte es Polly bei dem Gedanken an die winzigen Ameisen, die tagelang in ihr Hosenbein gekrabbelt waren. Nein, wenn Graf Zappenduster nun auch noch für das sinkende Hausboot verantwortlich war, hatte er sicher nichts zu lachen!

Tante Winnie war bereits die Kellertreppe hinuntergestapft und steuerte entschlossen auf die hinterste Tür zu. Dort hatte sich Graf Friedebald einen kleinen Bastelraum eingerichtet, in dem er sich gegen drohende Gefahren wappnete. Mit der Gefahr aber, die nun in sein kleines Reich platzte, hatte er nicht gerechnet. Wie ein Tornado aus Feuerfunken riss Winifred die Tür auf und wirbelte über die Schwelle. Doch bei dem Anblick, der sich ihr bot, verschlug es ihr augenblicklich die Sprache.

Tante Winnies abruptes Abbremsen führte dazu, dass Polly, Isabella und Charlotte von hinten in sie hineinrasselten. Mühsam rappelten sich die Mädchen wieder auf – und dann sahen auch sie, was hier vor sich ging. Potzblitz! Ungläubig rieb Polly sich die Augen. In der Mitte des Kellerzimmers stand Graf Zappenduster und hatte sich vom Scheitel bis zur Sohle in Alufolie eingewickelt! Auf dem Kopf trug er ein altes Nudelsieb. Aber nicht nur der Graf glänzte silbern, nein, auch die gesamte Einrichtung und die Wände hatte er mit der glitzernden Folie verkleidet.

Empört räusperte er sich und blinzelte die vier Eindringlinge an. »Hätten die Damen nicht anklopfen können?«

»Anklopfen? Das wird ja immer schöner!« Wütend stemmte Winnie die Hände in die Hüften. »Vielleicht hätte der Herr Graf von Dusselschuster ja anklopfen können, bevor er mein Hausboot versenkt?!«

Isabellas Vater schnappte nach Luft. Polly hatte das Gefühl, dass er unter seiner Folie rot anlief wie ein Pavianpopo. »Gnädigste! Ich möchte Sie bitten, die Fassung zu wahren! Immerhin stehen Sie hier vor einem waschechten Grafen mit edlen Absichten.« Eingeschnappt verschränkte er die Arme vor der knisternden Brust. »Niemals würde ich Ihr wertes Hausboot versenken!«

Winifred lachte auf. »Edle Absichten? Ihre Absichten sind höchstens so edel wie die Alufolie an Ihrem stocksteifen Hinterteil!«

Dem Grafen klappte die Kinnlade bis aufs Brustbein hinab. Polly und die Zwillinge mussten kichern.

Tante Winnie aber funkelte Friedebald von Zappenduster zornig an. »Jetzt spucken Sie’s schon aus: Wo ist das verflixte Leck?«

»Leck …?« Der Graf klimperte entrüstet mit den Wimpern. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Sie alter Hexenbesen!«

Die Mädchen hielten die Luft an. Hatte Isabellas Vater Winifred gerade Hexenbesen genannt?

Winnie aber schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Zielstrebig trat sie an den Grafen heran und drückte ihm ihren Finger auf die Brust. »Jetzt tun Sie bloß nicht so unschuldig! Wenn mein Hausboot sinkt, dann können nur Sie dafür verantwortlich sein! Also: Wo haben Sie ein Loch in die Wand gebohrt? Wo verstecken Sie das Leck?« Entschlossen wirbelte Winifred durchs Zimmer und riss die Alufolie von den Wänden.

Charlottes Vater versuchte hektisch, sie aufzuhalten. »Nicht doch, Sie machen alles kaputt! Das hier ist mein Schutzwall gegen böse Zauberkräfte, ja! Aber ein Loch habe ich nicht gebohrt, ich schwöre!«

Als Winnie die Wände freigelegt hatte, sah sie, dass er die Wahrheit sagte: Nirgendwo tat sich ein Loch auf. Nicht mal ein winzig kleines …

Graf Zappenduster starrte sie vorwurfsvoll an. »Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, dass Wasser eindringen müsste, wenn hier irgendwo ein Leck wäre? Die einzige Pfütze, die ich sehe, ist die zu Pollys Füßen!«

Tatsächlich! Jetzt erst fiel Polly auf, dass sich eine kleine Wasserlache um sie herum gebildet hatte. Sie war noch immer pitschnass von ihrem kleinen Abstecher in den Kanal und das Wasser tropfte kalt an ihr herab. Weitere Feuchtstellen aber waren im Kellerraum nirgendwo zu sehen …

Graf Zappenduster hüstelte Winifred eindringlich an. »Finden Sie nicht, eine Entschuldigung wäre angebracht?«

Pollys Großtante schien einen Moment darüber nachzudenken. Dann aber schürzte sie ihre rot bemalten Lippen und marschierte schnaubend auf die Tür zu. »Wenn hier etwas angebracht wäre, dann wohl eher ein saftiger Schimpfwörter-Schluckauf! Und den werde ich Ihnen auch ganz sicher verpassen, wenn Sie das Leck bis zum Abendessen nicht finden!« Mit diesen Worten verschwand Winnie zur Tür hinaus.

Graf Zappenduster sah ihr sprachlos nach. »Solch aufmüpfige Frauenzimmer hat es vor zweihundert Jahren noch nicht gegeben!«

Charlotte lächelte ihren Vater an. »Die Zeiten ändern sich eben, Papa.«

»Zum Glück!«, ergänzte Isabella. »Sonst würde der Welt nämlich eine ganze Menge Spaß entgehen – und viele gute Ideen!«

Polly grinste zustimmend. Und trotzdem zog sie im nächsten Moment das Handtuch enger um den nassen Körper. Sie wusste, dass Tante Winnie es ernst meinte. Wenn sie das Leck bis zum Abendessen nicht finden würden, könnte Graf Zappenduster sich warm anziehen. Potzblitz! Ein bisschen Alufolie würde dann bestimmt nicht reichen, um sich vor Winnies wilder Zauberlaune zu schützen …

Als die Sommersonne am Abend hinter dem Kanal abgetaucht war, lag Polly schlaflos in ihrem Bett. Neben ihr in der Hängematte träumten Charlotte und Isabella. Die Zwillingsschwestern waren sofort eingeschlummert, nachdem sie den ganzen Abend lang die Hausbootwände nach dem Leck abgesucht hatten. Aber nein, nichts hatten sie gefunden. Nicht mal das weltallerkleinste Wurmloch! Graf Zappenduster hatte recht: Nirgendwo drang Wasser von außen ins Hausboot. Aber warum schien es dann zu sinken?

Polly war ratlos. Zum Glück hatte sie Tante Winnie davon überzeugen können, dass Isabellas Vater keine Schuld traf. Grummelnd hatte Winifred sich daraufhin ihren Korb geschnappt und war zu einer nächtlichen Kleebeerensuche aufgebrochen. Konstanze von Zappenduster hatte sich mächtig ins Zeug gelegt und ihren Gatten, die Zwillinge und Polly mit einem leckeren Abendessen belohnt.

Während Graf Friedebald nur schwer damit zurechtkam, dass sich die Welt in den letzten zweihundert Jahren stark verändert hatte, genoss seine Frau die neuen Möglichkeiten! Begeistert nahm Konstanze an schwindelerregenden Yogastunden teil, deckte sich im Supermarkt mit exotischen Köstlichkeiten ein und zog sogar in Erwägung, einen Führerschein zu machen, um einen Job als Busfahrerin zu ergattern.

»Stellt euch nur vor«, schwärmte sie, wann immer ein Bus an der Osterstraße einen Schwarm Fahrgäste ausspuckte, »als Busfahrer triffst du unendlich viele Menschen! Ich könnte mir all ihre wunderbaren Geschichten anhören – und ich würde endlich etwas von der Welt sehen!«

Dass man als Busfahrer in einer Großstadt wie Hamburg hauptsächlich qualmende Auspuffrohre sah und mürrische Pendler zur Arbeit kutschierte, verschwiegen die Kinder ihr lieber …

Seufzend drehte Polly sich nun im Bett auf die Seite. Die Ereignisse des Tages ließen ihr keine Ruhe. Am liebsten hätte sie ihre beste Freundin Leni in Kalifornien angerufen, aber auch an der Ostsee war es längst Schlafenszeit und Leni war sicher schon in einen tiefen Traum gesunken. Nur Polly konnte einfach kein Auge zutun.

Wenigstens war ihr Quallenaufsatz gerettet! Sie hatte die Blätter gleich nach dem Abendessen aus dem Baum gepflückt und fein säuberlich zusammengeheftet. Man sah den Seiten kaum noch an, dass sie ein Bad in Winnies Mondwasser genommen hatten. Trotzdem stellte sich bei Polly keine Erleichterung ein. Warum nur war das Hausboot über Nacht abgesunken? Und viel wichtiger noch: Was, wenn es weiter sank? Ein dicker Knoten bildete sich in Pollys Magen. Das Boot war Tante Winnies Zuhause! Wenn sie es nun verlieren würde, dann …

Nein, Polly wollte es sich gar nicht erst ausmalen. Sie musste dieser potzblitzblöden Sache auf den Grund gehen – und zwar so schnell wie möglich!

Als Winifred am nächsten Morgen in Pollys Zimmer flatterte, wartete aber erst mal eine andere Überraschung auf die müden Mädchen: Der Wecker hatte verschlafen und nicht daran gedacht, zu klingeln! Jetzt erforderte es alleroberste Beeilung, damit Polly, Isabella und Charlotte nicht schon wieder zu spät in die Schule kamen. Während Graf Friedebald noch schnarchte und Mama Konstanze ihren Körper in einer Yogaübung verknotete, scheuchte Winnie die drei Freundinnen durchs Bad und in die Küche.

»Ich fürchte, du hast recht, Polly«, gab Winnie seufzend zu und bestrich eine Handvoll Pfannkuchen mit frischem Kleebeerengelee. »Das Hausboot liegt deutlich tiefer. Heute früh konnte ich die Holunderblüten durchs Fenster im ersten Stock pflücken! Sonst geht das nur im Erdgeschoss …«

Pollys Blick eilte zum Küchenfenster. Potzblitz! Die Uferbüsche thronten in der Tat erstaunlich weit oben. Gedankenversunken biss Polly in einen dicken Pfannkuchen. Im nächsten Moment stieß sie einen Schrei aus. »Aua!«

Winnie und die Zwillinge sahen sie überrascht an.

»Alles in Ordnung?« Vorsichtig legte Isabella ihr die Hand auf den Arm.

Polly fuhr sich mit der Zunge über den Oberkiefer, und dann spürte sie das Elend! Unglücklich verzog sie das Gesicht. »Mein Eckzahn wackelt …«

Winifred klatschte in die Hände. »Endlich mal wieder gute Neuigkeiten! Wenn wir Glück haben, fällt er bald aus und dein neuer Vampirzahn hilft uns dabei, dieses verflixte Leck zu finden!«