In Ruuneds Reich - Chronik der Sternenkrieger #27

Alfred Bekker's Chronik der Sternenkrieger, Volume 27

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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Chronik der Sternenkrieger 27 | In Ruuneds Reich | von Alfred Bekker

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Chronik der Sternenkrieger 27

In Ruuneds Reich

von Alfred Bekker

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Ein CassiopeiaPress E-Book

Die abweichende Original-Printausgabe erschien in der Romanreihe „STERNENFAUST“ unter dem Titel „In Denuurs Reich“.

© 2005,2008,2013 by Alfred Bekker

© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)

www.AlfredBekker.de

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MITTE DES 23. JAHRHUNDERTS werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.

In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...

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ALFRED BEKKER schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im November 2012 erschien mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.

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„Austritt aus dem Sandström-Raum!“, meldete Lieutenant John Taranos, der Rudergänger des Sondereinsatzkreuzers STERNENKRIEGER. „Austrittsgeschwindigkeit beträgt 0,40043 LG.“

„Leiten Sie das Bremsmanöver ein“, befahl Captain Rena Sunfrost, die soeben die Brücke betreten hatte.

Der Erste Offizier Steven Van Doren hatte gerade Luft geholt, um selbst diesen Befehl zu geben.

„Willkommen auf der Brücke, Captain.“

„Danke, I.O.“

„Keine besonderen Vorkommnisse – aber mit denen müssen wir wohl auch erst jetzt rechnen.“

Rena Sunfrost setzte sich in den Sessel des Kommandanten und schlug die Beine übereinander. Währenddessen modifizierte der Ortungsoffizier Lieutenant Wiley Riggs die optischer Darstellung des näheren Weltraums auf dem Panorama-Bildschirm.

„Wir haben hier eine Sonne vom G-Typ“, meldete Riggs. „Einziger Begleiter ist ein mondgroßes Objekt, das ganz offensichtlich künstlichen Ursprungs ist.“

„Eine Mischung aus Raumstation und Riesenraumschiff“, kommentierte Van Doren. „Zumindest, soweit unsere Ortung das bis jetzt zu erfassen vermag.“

Ein einsames Objekt, das eine annähernd runde Form aufwies, kreiste um seine Sonne, die in den Sternkatalogen der K'aradan die Bezeichnung G’ajaran 4456 trug und bisher nicht weiter erforscht war. Riggs schaffte es, das Objekt näher heranzuzoomen. Oberflächenstrukturen wurden sichtbar. Es öffneten sich an zwei Stellen sternförmige Schotts. Mehrere gigantische Morrhm-Mutterschiffe drangen aus dem Inneren des Riesenobjekts hervor.

„Captain, uns erreicht gerade ein Funkspruch, in dem wir aufgefordert werden, uns zu ergeben“, meldete Susan Jamalkerim, die Kommunikationsoffizierin.

Captain Sunfrost nickte leicht. „Scheint, als hätten wir sie gefunden – die Wahlheimat der Weltraumbarbaren!“

*

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NACHEINANDER MATERIALISIERTEN jetzt auch die anderen Einheiten, die zu dem kleinen Flottenverband aus fünf Schiffen gehörten, die in die mehr als 1500 Lichtjahre entfernte Region jenseits des K'aradan-Reichs aufgebrochen war, um das Geheimnis jenes Volkes zu entschlüsseln, das vor einer Million Jahren weite Teile der Galaxis beherrscht hatte. Die Fash’rar aus dem Tardelli-System hatten ihm den Namen ‚Die Alten Götter’ gegeben, der sich auch unter den Menschen mittlerweile großer Beliebtheit erfreute. Sich selbst hatten diese geheimnisvollen und zweifellos technisch unvorstellbar weit überlegenen Wesen den Namen ‚die Erhabenen’ gegeben, was wohl auch einiges über die Einstellung aussagte, mit der sie einst ihren Hilfsvölkern gegenüber gestanden hatten, von denen manche nur zur Erfüllung bestimmter Aufgaben geschaffen worden waren.

Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte hatten sich Angehörige verschiedener interstellarer Völker zu einer solchen gemeinsamen Mission zusammengefunden. Die K'aradan unterstrichen dabei ihren Führungsanspruch, in dem sie mit der STOLZ DER GÖTTER das mit Abstand größte Schiff des Verbandes stellten. Alle anderen Schiffe wirkten gegen den 1,5 km großen, tellerförmigen Riesen wie Winzlinge. Insbesondere natürlich das Raumboot der insektoiden Ontiden. Ansonsten gab es noch Einheiten von Qriid, Shani und Fulirr, die an dieser Expedition teilnahmen.

Uralte Feinde hatten sich vorgenommen, zusammen zu arbeiten.

Wie lange das gut gehen würde und ob es sich letztlich als effektiv genug erwies, um ein ähnliches Unternehmen wiederholen zu können, stand buchstäblich in den Sternen.

Letztlich ging es natürlich darum, sich die überlegene Technologie der Erhabenen anzueignen. Falls es je gelang, einen Zugang dazu zu finden, war es in Renas Augen fraglich, ob die bislang bestehende Harmonie länger anhielt – zumal die Vorstellungen über den Umgang mit dieser Technologie verschiedener nicht hätten sein können. So lehnten die Qriid die Nutzung dieser Technik aus theologischen Gründen vollkommen ab und sahen darin einen unverzeihlichen Frevel. Schließlich waren die Erhabenen für sie Gottes erstes Volk, dass von Hybris ergriffen letztlich verstoßen worden war, woraufhin Gott der qriidischen Überlieferung nach ganz bewusst ein mit geringeren Fähigkeiten ausgestattetes Volk erwählte, um seine Ordnung im Universum zu verbreiten - die vogelähnlichen Qriid nämlich.

Aber noch waren das alles Sorgen, die man sich gewiss in der Zukunft machen musste – aber noch nicht jetzt.

Die STERNENKRIEGER und die anderen Schiffe des Verbandes waren nach und nach den Hinweisen nachgegangen. Zuletzt waren das die Koordinaten dieses Systems gewesen. Sie waren aus dem Funkverkehr der Rax herausgefiltert worden, einer Spezies, die in der Nähe das System einer Doppelsonne besiedelte und mit der man bisher nicht in Kontakt getreten war, da man aufgrund der analysierten Kommunikationsdaten vermutete, dass sie Verbündete der Morrhm waren.

Zunächst war es unter den Expeditionsteilnehmern umstritten gewesen, ob man dieser Spur überhaupt folgen sollte. Rena hatte die Videokonferenz zu diesem Thema noch in lebhafter Erinnerung. Aber schließlich war die Neugier stärker gewesen alles andere. Wir hätten es uns nie verzeihen können, diesen Hinweis einfach links liegen gelassen zu haben, ging es Rena Sunfrost durch den Kopf.

„Soll ich den Morrhm eine Antwort senden?“, fragte Lieutenant Jamalkerim. Sie drehte sich in ihrem Schalensitz halb zum Captain herum.

Rena Sunfrost schlug die Beine übereinander. „Versuchen Sie einen direkten Kontakt hinzubekommen. Ich möchte eine reguläre Kom-Verbindung. Wenn jemand von mir verlangt, dass ich mich ergebe, noch bevor überhaupt ein Schuss gefallen ist, möchte ich gerne sehen, wer das ist!“

„Kommunikationsersuchen ist abgesetzt, Ma’am“, meldete Susan Jamalkerim.

„Rufen Sie Bruder Guillermo auf die Brücke. Falls es tatsächlich zum Kontakt kommen sollte, dann hätte ich gerne seine Meinung dazu.“

„Aye, aye, Captain“, bestätigter Jamalkerim.

Und vielleicht brauchen wir ja auch sein diplomatisches Geschick, setzte sie noch stumm hinzu.

Aber die andere Seite schien an einem Kontakt nicht interessiert zu sein. Jedenfalls erfolgte keinerlei Reaktion. Dasselbe galt für einen ähnlichen Kommunikationsversuch, der von der STOLZ DER GÖTTER aus unternommen wurde.

Kommandant Noris Salot wandte sich über eine Konferenzschaltung an die anderen Kommandanten der Expedition  und gab bekannt, dass sein Ersuchen um Herstellung einer Kom-Verbindung ignoriert worden sei.

„Es scheint, dass man von vorn herein davon auszugehen scheint, dass es gar keinen Sinn hat, mit uns anderen Kontakt als einen kriegerischen aufzunehmen“, erklärte er. „Wir sollten uns also alle darauf einstellen, dass diese Drohungen auch in die Tat umgesetzt werden.“

„Wir werden unser Kommunikationsersuchen im permanenten Modus weitersenden“, erklärte Rena Sunfrost. „Es könnte ja sein, dass dieser Morrhm-Stamm in der Lage ist, dazu zu lernen und wir doch noch Kontakt bekommen.“

Noris Salot erklärte, ebenfalls in seinen Bemühungen um Herstellung einer direkten Verbindung fortzufahren. Die Konferenzschaltung wurde unterbrochen.

Lieutenant Riggs meldete, das Aussetzen mehrerer hundert Beiboote der gigantischen Morrhm-Mutterschiffe, die jetzt eine Formation bildeten, die einer Phalanx nicht unähnlich war. „Die greifen auf breiter Front an“, erklärte er. „Anders ist das nicht zu erklären.“

„Mister Ukasi, stellen Sie Gefechtsbereitschaft her“, befahl Captain Sunfrost an Lieutenant Commander Robert Ukasi gewandt. Der Waffenoffizier und insgesamt in der Hierarchie des Schiffes die Nummer drei an Bord, nickte und begann an seiner Konsole herumzuschalten, um den Einsatz der zehn schwenkbaren Gauss-Geschütze zu koordinieren, die sich an Bord des Sondereinsatzkreuzers STERNENKRIEGER befanden.

In diesem Augenblick erschien Bruder Guillermo auf der Brücke. Wie üblich trug der immer etwas vergeistigt und recht schüchtern wirkende junge Mann eine dunkle Mönchskutte, wie es unter Angehörigen des Wissenschaftler-Ordens der Olvanorer üblich war, der sich der Erforschung des Universums und seiner Völker verschrieben hatte.

Bruder Guillermo diente als wissenschaftlicher Berater an Bord des Sondereinsatzkreuzers, was einen gewissen Widerspruch in sich darstellte. Schließlich war der Olvanorer-Orden absolut pazifistisch ausgerichtet. Man sollte das Fremde zwar erforschen, aber keinesfalls unterjochen.

„Captain“, meldete er sich.

„Ich brauche Ihre fachmännische Einschätzung, sobald wir Kontakt zu den Morrhm-Verbänden haben, die gerade im Begriff sind, uns anzugreifen“, erklärte Sunfrost.

Wiley Riggs meldete sich zu Wort.

„Es materialisieren insgesamt vier Morrhm-Mutterschiffe einer halbe Astronomische Einheit achtern, Captain.“

„Offenbar nehmen sie uns als Gegner sehr ernst“, glaubte Van Doren. „Sonst würden sie nicht auch die in der Umgebung dieses Systems befindlichen Einheiten zurückziehen und hier her springen lassen.“

„Es ist auch denkbar, dass die Raumsprünge direkt aus dem Objekt heraus durchgeführt wurden“, äußerte Riggs eine Vermutung. Die schematische Darstellung des Objekts, die bisher nur einen verschwindend geringen Anteil an der Oberfläche des großen Panorama-Schirms auf der Brücke der STERNENKRIEGER hatte, wuchs jetzt so weit an, dass sie fast ein Drittel ausmachte.

Riggs hatte sie so herangezoomt.

Er ließ die Finger über die Sensorpunkte seines Touch Screen gleiten und markierte auf diese Weise einen bestimmten Bereich  des Objekts. „Hier orte ich einen beträchtlichen Hohlraum. Wenn man des Weiteren bedenkt, wie riesig die Hangar-Tore waren, die sich dort auftaten, dann haben wir da wohl noch einiges zu erwarten.“ 

Unterdessen erfragte Ukasi der Reihe nach die Gefechtsbereitschaft der einzelnen Gauss-Geschütze, deren Leitstände jeweils von einem Waffenoffizier besetzt wurden.

„Überall werden jetzt Sturm Shuttles und Jäger von den  Mutterschiffen ausgesetzt“, meldete Ortungsoffizier Lieutenant Wiley Riggs.

„Zumindest scheinen sich die hiesigen Morrhm in ihrer bevorzugten Kampftaktik nicht von denen zu unterscheiden, auf die wir bisher getroffen sind“, äußerte sich Steven Van Doren. Der Erste Offizier nahm ein paar Schaltungen am Touch Screen seiner Konsole vor und holte sich die Ortungsdaten direkt auf das Display. Dann ließ er sich dazu eine schematische Positionsübersicht zeigen, die deutlich machte, was die Morrhm bezweckte. „Sie kreisen uns ein und werden uns wohl einfach von allen Seiten angreifen.“

„Wir behalten den Kurs bei, solange das irgendwie möglich ist“, entschied Sunfrost. „Wir müssen die STERNENKRIEGER so nahe wie möglich an dieses künstliche Objekt heranbringen.“

Jede Lichtsekunde, die sie näher an das mondgroße Objekt herankamen, bedeutete, dass mehr Daten gesammelt werden konnten – und vielleicht auch mehr Klarheit darüber bestand, womit man es hier eigentlich zu tun hatte.

Bruder Guillermo hatte sich inzwischen zu Lieutenant Jamalkerim an die Konsole gestellt. Während Jamalkerim die reguläre Kommunikation überwachte, befasste sich der Olvanorer damit, den Funkverkehr der Morrhm unter bestimmten Kriterien auszuwerten. Alles, was von den Empfängern der STERNENKRIEGER aufgezeichnet werden konnte, wurde einer Analyse durch den Computer unterzogen. Bruder Guillermo hatte jedoch darüber hinaus seine eigenen Analysekriterien, von denen manche für einen Außenstehenden eher intuitionsgeleitet als systematisch wirkten.

„Captain, die Schiffe der Morrhm nehmen immer wieder mit dem Objekt Kontakt auf und erhalten von dort offenbar ihre Befehle. Allerdings beziehen sie sich dabei nicht auf irgendeinen Stammeshäuptling, sondern auf ihren höchsten Gott Ruuned.“

Captain Sunfrost hob die Augenbrauen.

„In wie fern?“

„Wenn ich das richtig deute, dann ist dieses Objekt Ruuned – oder Ruuned wohnt in ihm.“

„Die Morrhm erhalten direkte Befehle von ihrem Gott?“, hakte Van Doren verwundert nach.

Bruder Guillermo nickte. „Anders lässt sich der Funkverkehr kaum interpretieren.“

„Wir erhalten gerade eine Audiobotschaft!“, meldete jetzt Jamalkerim. „Mit der Option auf einen Antwortkanal!“

„Schön, dass Ihre Bemühungen um die Kommunikationsaufnahme Erfolg hatten“, sagte Captain Sunfrost. „Auf den Schirm damit, Lieutenant!“

„Aye, aye, Ma’am!“

Im nächsten Moment verschwand die Darstellung des nahen Weltraums auf dem Panorama-Schirm der STERNENKRIEGER-Brücke. Stattdessen erschien ein Bildausschnitt, der offenbar einen Teil der Zentrale eines Morrhm-Mutterschiffs zeigte.

Auf einem thronähnlichen Sessel, dessen Armlehnen an den Enden mit Nachbildungen von Morrhm-Totenköpfen im Maßstab 1:3 verziert waren, saß ein besonders großer Morrhm-Krieger in seiner Rüstung.

Sunfrost runzelte unwillkürlich die Stirn, als sie ihn sah.

Mit seinem Kopf stimmt irgend etwas nicht, war ihr erster Gedanke. Im ersten Moment konnte sie nicht sagen, was es eigentlich war. Der Morrhm drehte sein gewaltiges Haupt etwas zur Seite und dann war es deutlich zu sehen: Ihm fehlte ein Stück seines Schädels samt einem Auge und einem Teil des Hinterkopf sowie einem Ohr. Sein Kopf war an dieser Stelle vollkommen flach. Eine gerade Fläche von dreißig bis vierzig Zentimeter Durchmesser legte den Schluss nahe, dass dort irgendeine künstliche Platte eingesetzt worden war, um das Innere des Schädels zu schützen.

Offenbar die Folgen einer Verletzung im Kampf, dachte Rena. Bei den dauernden Konkurrenzkämpfen, die die Morrhm-Krieger untereinander um ihre jeweilige Position innerhalb der Stammeshierarchie ausfochten, war es nicht weiter verwunderlich, dass es zu solchen Verletzungen kam. Rena Sunfrost hatte schließlich lange genug als Sklavin auf einem Morrhm-Schiff zugebracht, um am eigenen Leib zu erfahren, wie das Zusammenleben dieser Spezies für gewöhnlich organisiert war. Das Erstaunliche ist, dass ein Morrhm solch eine Verletzung offenbar überleben kann, ging es ihr durch den Kopf. Aber vielleicht habe ich auch nur einfach den Standard der Morrhm-Medizin unterschätzt, weil ich davon als Sklavin nicht besonders viel mitbekommen habe!

„Hier spricht Tazaror Halbschädel, Unterhäuptling der Barar-Morrhm und getreuer Diener und Beschützer unseres Gottes Ruuned“, sagte dieser Koloss, der sich daraufhin zu voller Größe erhob. In voller Kriegsausrüstung stand er da – an der Seite das Mono-Schwert, das scharf genug war, um Moleküle zu spalten und das bei der Benutzung immer den bläulichen Flor um sich herum aufwies.

Die gewaltige Pranke des Morrhm-Unterhäuptlings legte sich um den Griff dieser Waffe, die er gewiss auch ohne zu zögern gegen Mitglieder der eigenen Besatzung einsetzte, falls sich darunter irgendjemand als Rivale erweisen sollte – oder gegen seine Frauen im Falle des Ungehorsams, der Notwendigkeit, einen Streit innerhalb seines Harems zu schlichten oder der Gotteslästerung.

„Ich bin Captain Sunfrost, Kommandantin des Sondereinsatzkreuzers STERNENKRIEGER, die zurzeit Teil eines  Verbandes von Forschungsschiffen ist.“

„Ihr seid Forscher?“, fragte Tazaror überrascht. Er öffnete sein gewaltiges, mit Hauern besetztes Maul. Speichel troff von einem dieser großen Eckzähne herunter. Ein tiefer, grollender Laut, den das Translatorsystem nicht mitübersetzte, drang aus der Tiefe seiner Kehle. „Eigenartig, aber weshalb glaube ich das nur nicht? Wenn ihr Forscher wärt, dann würdet ihr nicht mit einem so gewaltigen Tellerschiff hier ankommen. Ich bin bereit, mich allem und jedem im Kampf zu stellen und den Ausgang eines Kampfes zu akzeptieren. Wozu ich nicht bereit bin, sind Lügen wie die, die du gerade vorgebracht hast! Ruuned beansprucht eure Schiffe. Also ergebt euch oder wir werden unserem Gott mit Gewalt zu seinem Recht verhelfen!“

„Ich wiederhole, dass wir in friedlicher Absicht hier sind“, sagte Rena.

„Ruuneds Wille muss geschehen und ich werde euch nicht gestatten, dass ihr euch ihm widersetzt. Aber wir garantieren eine gute Behandlung, wenn ihr uns eure Raumschiffe ohne Beschädigungen durch das Kampfgeschehen überlasst.“

„Eine gute Behandlung?“, echote Rena. „Als Gefangene?“

„Als Vorzugsklaven.“

„Ich denke, unser Gespräch erübrigt sich damit. Sunfrost Ende. Lieutenant Jamalkerim?“

„Ja, Ma’am?“

„Unterbrechen Sie die Verbindung.“

„Aye, aye.“

Der Morrhm verschwand von der Bildfläche. Rena Sunfrost erhob sich aus ihrem Kommandantensessel. Vorzugssklaven! Sie erinnerte sich schmerzvoll an ihre Zeit als Morrhm-Sklavin. Ungeschützt war sie einer erhöhten Strahlung ausgesetzt gewesen und in den Sklavenpferchen hatte eine grausame Anarchie geherrscht, in der nur der Stärkste und Cleverste zu überleben vermochte. Manchmal kehrten diese Erlebnisse in ihren Träumen wieder. Dann erwachte sie schweißgebadet in der Nacht und es dauerte einige Augenblicke, bis ihr wieder klar wurde, dass sie nicht mehr an Bord des Mutterschiffs LASHGRA war, sondern längst zurück in ihrem alten Leben.

Ihrem eigentlichen Leben – dem einer Raumkommandantin des Space Army Corps der Humanen Welten.

„Sind Sie in Ordnung, Captain?“, fragte Bruder Guillermo, dessen einfühlsame Art einen manchmal glauben lassen konnte, dass er in der Lage war Gedanken zu lesen.

„Es geht schon“, murmelte Rena. Was ich jetzt nicht brauchen kann ist das einfühlsame Gequatsche eines Olvanorer-Empathen, ging es ihr dabei durch den Kopf. Aber offensichtlich war Bruder Guillermo sensibel genug, um auch das zu registrieren. „Es war nur so, dass ein paar Gedanken in mir hochkamen, als ich diesen Halbschädel auf dem Schirm etwas von ‚Vorzugssklaven’ faseln hörte.“

„Könnte es sein, dass da ein Übersetzungsproblem vorlag?“, fragte Van Doren.

Jamalkerim und Bruder Guillermo verneinten dies beinahe im selben Moment.

„Ausgeschlossen“, erklärte der Olvanorer. „Aber ich denke, aus subjektiver Sicht hat uns dieser Morrhm-Unterhäuptling tatsächlich ein großzügiges Angebot gemacht.“

„Dass ich leider nicht gewillt bin anzunehmen!“, fiel Captain Sunfrost ihm mit einer für sie eigentlich ungewohnten Heftigkeit ins Wort. Sie schüttelte den Kopf. „Was bilden sich diese Weltraumbarbaren eigentlich ein!“

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WIR WERDEN DIE SCHIFFE nicht ohne Kampfschäden bekommen“, sagte Montasrar, der Stellvertreter von Unterhäuptling Tazaror, der gleichzeitig Kommandant des Mutterschiffs GÖTTERZORN war und dafür bekannt, seine Einschätzungen sehr offen und ehrlich abzugeben. Aus irgendeinem Grund nahm Tazaror Halbschädel ihm nicht einmal offene Kritik übel. Für die meisten anderen Morrhm-Krieger an Bord der Götterzorn war das mehr oder minder ein Rätsel. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass Montasrar bislang so gut wie keine Aufstiegsambitionen gezeigt hatte, seit er der stellvertretende Schiffskommandant geworden war.

Unter den niederen Offizieren wurde gewettet, wie lange es wohl noch dauern würde, bis Montasrar die als taktisch angesehene Zurückhaltung aufgab.

Aber bisher war das nicht geschehen.

Montasrar hatte sich als loyaler Gefolgsmann des Kommandanten erwiesen und diesem sogar das Leben gerettet, als eine Gruppe niederer Offiziere versucht hatte, ihn in einem völlig legalen Kampf um die Führung umzubringen.

Tazaror aktivierte eine schematische Positionsübersicht. Nach einer Kampfformation sah dieser Verband fremder Raumschiffe tatsächlich nicht aus, obwohl das letztlich immer schwer zu beurteilen war und von der jeweiligen taktischen Doktrin abhing.

Tazaror ließ sich ein Schiff nach dem anderen in einer Großaufnahme zeigen. So detailreich, wie es die optischen Sensoren der Morrhm-Ortung eben hergaben. Die Schiffe der Fremden waren extrem unterschiedlich. Das größte Raumfahrzeug des Verbandes war ein gigantisches Tellerschiff, gegen das selbst ein Mutterschiff der Morrhm winzig wirkte.

„K'aradan“, murmelte er.

Der Ruf der K'aradan als Feinde der Morrhm war weit über die Grenzen des K'aradan-Reichs hinausgelangt. Tazaror war K'aradan nur als Sklaven begegnet, aber er hatte Aufzeichnungen davon gesehen, wie sie sich in Freiheit verhielten. Mitschnitte aus ihren Mediennetzen zumeist. Zuletzt hatten sich Nachrichten darüber verbreitetet, dass der geächtete, frevlerische Stamm der Zuur-Morrhm plündernd durch die Außenbereiche des K'aradan-Sternenreichs gezogen war und dort auf vielen Welten für Chaos und Verwüstung gesorgt hatte.

Tazaror argwöhnte, dass das Auftauchen der Fremden vielleicht damit in direktem Zusammenhang stand. Das Tellerschiff – vom Bordrechner der GÖTTERZORN eindeutig und mit einer Treffsicherheit von mehr als 99 Prozent als K'aradan-Schiff eingeordnet – führte vielleicht eine Strafexpedition an, die sich als eine Gruppe von Forschungsraumern tarnte.

Dass man tatsächlich eine so große Flottille rein zu Forschungszwecken ausschickte, hielt Tazaror für nicht plausibel. Kein vernunftbegabtes Wesen würde einen so unverhältnismäßig großen Aufwand dafür betreiben, etwas mehr an Erkenntnis zu gewinnen. Worüber auch immer.

Dass die Fremden ihre Prioritäten anders setzen, hielt er kaum für möglich.

„Ich will dieses gigantische Tellerschiff!“, sagte Tazaror. „Es soll ein Geschenk für Ruuned werden!“

„Es würde zumindest in die Sammlung passen“, gab Montasrar zurück.

„Du sprichst schon so respektlos wie ein Zuur!“

„Aber im Gegensatz zu den Zuur zweifele ich nicht an, dass Ruuned ein Gott ist!“

Der Funkoffizier des Morrhm-Mutterschiffes meldete sich. „Die ersten beiden Jägerstaffeln haben die Hangars verlassen. Die Sturmshuttle-Staffel folgt unmittelbar hinterher.“

„Das ist gut“, murmelte Tazaror. Auf der schematischen Übersicht erschienenen die Beiboote des Mutterschiffs bereits als ein Schwarm winziger Punkte, die wie Insektenschwärme wirkten, die sich manchmal aus unerfindlicher Ursache in den Sklavenpferchen eines Morrhm-Schiffes bildeten.

Tazaror war froh, dass die GÖTTERZORN derzeit keine Sklaven an Bord hatte. Schließlich war sie nicht auf einer Plünderfahrt gewesen, sondern zurzeit nur im Heimateinsatz zur Bewachung des Gottes Ruuned, der ebenso wie die anderen Götter der Morrhm seinen Aufenthaltsort im SITZ DER GÖTTER hatte – jenem Objekt, dass die einsame und planetenlose gelbe Sonne umkreiste.