Eigentlich ist ein Plus ja eine ganz gute Sache. Auf der Gästeliste im Club zum Beispiel, auf dem Konto oder auch in der Wirtschaft. Zu den wenigen Ausnahmen gehören das Weltklima und die Fashion-Welt. In Letzterer ist ein Plus ungefähr so obszön, wie der Verzehr von Kohlenhydraten nach 18 Uhr. Hier macht es unmissverständlich klar, dass man sich außerhalb der Norm und abseits des gängigen Beauty-Standards befindet. Hier herrscht immer noch das stöckchendürre Maß: Size Zero. Wer auf den Runways in Mailand, Paris oder New York mitlaufen oder in Hochglanzmagazinen wie Vogue oder Elle in den neusten Trends fotografiert werden will, muss in ein enges Raster passen. Jeder kennt den Dreiklang 90/60/90, mit dem man Model-Maße beschreibt. Dieses Traummaß stand vielleicht mal in den Neunzigerjahren für die perfekte Figur. Der Brust-, Taillen- und Hüftumfang, den dieser Zahlencode in Zentimetern beschreibt, ist längst auf 79/60/88 abgesackt. Und das alles am besten noch bei einer Körpergröße von 1,80 Meter. In Kleidergrößen gesprochen, ist dies das Schrumpfmaß XS, in der Modeindustrie ist die Rede von Sample Size. Ganz praktisch betrachtet, produziert jedes Label ausschließlich eine Kollektion in einer Standardgröße. Damit wird dann eine Modenschau ausgestattet oder die ganzen Shootings für Modemagazine. Es wäre für die Unternehmen viel zu kostspielig, auch andere Größen anzubieten, denn jede Musterkollektion verschlingt Hunderttausende. Das heißt nicht, dass das Standardmaß so, wie es ist, okay ist. Es erklärt aber, warum jeder Körper, der diese Werte überschreitet, bei Castings, dem Auswahlverfahren von Models für eine Show oder ein Shooting, mitunter für Schockstarre sorgen kann. Obwohl: Auf dem Gebiet Plus-Size tut sich selbst in der High Fashion gerade ziemlich viel.
Hätte ich diese Zeilen vor drei Jahren geschrieben, wären wohl noch niemand folgende Namen bekannt gewesen: Ashley Graham, Georgia Pratt, Marquita Pring oder Tara Lynn. Heute kennt diese Frauen jeder, zumindest hat sie jeder bestimmt schon mal gesehen. Wenn man in irgendeiner Stadt im Stau steht, sieht man sie am Straßenrand auf Plakaten italienische Spitzenwäsche vorführen, wenn man auf den Bus wartet, auf einem Billboard, wie sie ihre Haare in den Nacken werfen und ein neues Parfüm aufsprühen. Sie zieren längst nicht nur Kampagnen, sondern auch Cover von den weltgrößten Lifestyle-Magazinen. Erst kürzlich räkelte sich Ashley Graham, die heimliche Königin der Curvy-Models, für die einmal im Jahr mit Hochspannung erwartete Swimwear-Ausgabe der amerikanischen Fitnesszeitschrift Sports Illustrated am Strand von Malibu. Warum das eine Sensation ist? Weil es das in der Geschichte des Magazins und von kurvigen Models bisher noch nie gegeben hat.
Auch meine Modelkarriere wäre schon zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt angefangen hat. Wenn mir vor zwei Jahren jemand gesagt hätte, dass ich mal in Modekampagnen auf meterhohen Video-Screens am New Yorker Times Square zu sehen sein würde, wie letzten Sommer in einer Werbung für das Label Forever 21, in Modestrecken in internationalen Fashion-Magazinen wie Glamour oder von Khloé Kardashian für ihre Modemarke gebucht werden würde, hätte ich nur verwundert den Kopf geschüttelt. Ich? Ein Supermodel? Bei einer Körpergröße von 1,74 Meter und einer Kleidergröße von 42 war es undenkbar, dass ich bei kommerziellen Magazinen oder sogenannten Fast-Fashion-Marken überhaupt mal einen Job bekommen würde. Weil dahinter Weltkonzerne mit Millionenumsätzen stecken, die den Massengeschmack bedienen. Und massentauglich waren eben nur gazellenschlanke Models. Jahrelang wurde mir von Modelagenten und Modekunden ziemlich unverblümt gesagt, ich müsse abnehmen, sonst könne ich mir das mit dem Modeln abschminken. Aber jetzt hat sich eine Revolution in der Mode vollzogen. Scheinbar aus dem Nichts sind überall Curvy-Models aufgetaucht.
Hinter dem neuen, positiven Körperverständnis verbirgt sich eine politische Bewegung, die unter dem Schlagwort Body Positivity in den USA schon länger für Schlagzeilen sorgt und sich jetzt langsam ihren Weg auch nach Deutschland bahnt. Sie ist Teil eines noch viel größeren Trends in der Mode: Diversity. Die renommierte US-Tageszeitung Washington Post und die Branchenwebseite Business of Fashion haben sogar ein Zeitalter der Diversity ausgerufen. „Vielfalt“ lautet das neue Zauberwort in der Modewelt. Die Ära, in der nur weiße, heterosexuelle, dünne Models gefragt sind, soll vorbei sein. Ein Blick in Modemagazine und auf Laufstege scheint dies zu bestätigen. Plötzlich sieht man immer mehr afro- oder lateinamerikanische Models auf den Runways und in Werbekampagnen. Transgender-Models wie Hari Nef oder Andreja Pejić sind Superstars, spielen in Hollywood-Serien mit und ergattern millionenschwere Deals in der Kosmetikindustrie. Und seit Neustem sind nun eben auch wir kurvige Models big in business.
Wie die Website The Fashion Spot recherchiert hat, liefen bei den Modenschauen im Frühjahr 2017 so viele Curvy-Models über die Runways in New York, London und Paris wie nie. Insgesamt 93 wurden gezählt. Okay, 53 Curvy-Models, deutlich mehr als die Hälfte von ihnen wurde von Modelabels wie Addition Elle oder Torrid gebucht, also Marken, die sich komplett auf große Größen spezialisiert haben. Aber: Es bleiben eben noch 37 Schauen, bei denen High Fashion gezeigt wurde – und das ist rekordverdächtig. Von Michael Kors über Prabal Gurung oder Anna Sui: Bei der New York Fashion Week fügten sich die Kurvenstars Ashley Graham, Sabina Karlsson und Candice Huffine mühelos in das übliche Casting elfengleicher Topmodels ein. Und selbst in Paris, wo die Modegesetze härter sind als in jeder anderen Stadt, wurden bei der Alexander-McQueen-Show erstmals zwei sogenannte inbetweeniemodels gesichtet, das heißt solche, bei denen die Größen in Richtung curvy liegen.
Dann ist ja alles easy, könnte man jetzt meinen. Curvy-Models sind so erfolgreich wie nie, endlich in der High Fashion angekommen. Aber von wegen! Das alles mag ein Anfang sein, aber Diskriminierung, Ablehnung und Body Shaming sind leider immer noch Thema. Bestes Beispiel: Seit wir plötzlich in der Öffentlichkeit stehen, liest man in Tratschmagazinen immer wieder folgende Headline: „Plus-Size-Model veröffentlicht Cellulite-Foto!“ In dem Zusammenhang fällt dann meist ein bestimmtes Wort: „mutig.“ Aber jetzt mal ehrlich: Was soll eigentlich ein „Cellulite-Foto“ sein? Das ist einfach ein Foto im Bikini, auf dem unter anderem auch eventuell ein kleines bisschen Cellulite zu sehen ist. Ich frage mich, was daran mutig sein soll. So sehen wir doch alle am Strand aus, nicht wahr?
Dass es mutig sein soll, legt etwas ganz anderes nah: dass es nicht schön ist. Sonst müsste man den Frauen ja wohl kaum Mut zugestehen. Das Social-Media-Model Gigi Hadid, wie man zu Model-Stars auf Instagram sagt, wurde jedenfalls noch nie für ihren Mut, sich im Bikini zu zeigen, gefeiert. Sobald wir Curvy-Models uns in einen Badeanzug oder Bikini schmeißen, sind wir mutig und gehören dafür auf ein Podest. Da will ich aber überhaupt nicht draufgestellt werden! Hinter der Anerkennung verbirgt sich nichts anderes als Fat Shaming, nur netter verpackt. Denn Plus-Size, diese paar Nummern zu viel auf dem Größenetikett, steht immer noch für Maßlosigkeit, Disziplinlosigkeit und Übergewicht. Man denkt dabei sofort an schmuddelige Grabbeltische in den hintersten Ecken von Kaufhäusern, in denen Klamotten in Übergröße verkauft werden, als wären sie Sexheftchen. Die Botschaft: Wer Plus-Size trägt, soll sich bitte schön schämen! Aus diesen Gründen gefällt mir das Wort auch nicht. Ich bin nicht maßlos, undiszipliniert oder übergewichtig und schäme mich nicht für meinen Körper. Ich denke gar nicht daran! Er ist einfach von Natur aus kurviger. Ich bin stolz auf meinen Po, der sich so deutlich hervorwölbt wie bei Kim Kardashian, auf meine Brüste, die, auch wenn ich nackt bin, vollbusig aussehen, oder auf meine hip dips, diese sanften Wölbungen unterhalb meiner Hüftknochen, dort, wo die Hüfte auf den Oberschenkel trifft. Ganz gleich, ob man sie nun Vertiefungen oder Hüftkurven nennt: Mein Körper folgt einem genetischen Masterplan. So bin ich einfach gedacht. Aus einem Kürbis wird schließlich auch niemals eine Gurke.
Meine Model-Kollegin und Teenie-Star Barbie Ferreira brachte es neulich in einem Interview mit der Onlineseite von Teen Vogue auf den Punkt: „Ich bin Model und posiere zufällig für kurvige Mode. Aber am Ende des Tages stehe ich wie jedes andere Model vor der Kamera und mache meinen Job.“ > Stimmt, es wäre nur konsequent, wenn man uns einfach Model nennen würde, ohne Wenn und Aber. Schön wär’s! In den Artikeln, die über mich in Deutschland erschienen sind, werde ich immer in die Plus-Size-Schublade gesteckt. „So erfolgreich ist Plus-Size-Model Sarina Nowak“ oder „Plus-Size-Model Sarina Nowak hat ohne GNTM mehr Erfolg“ heißt es dann oft. Jedes Mal, wenn ich über mich lese, dass ich Plus-Size bin, boxt mir ein dumpfer Schlag in den Magen, und ich merke, wie Hitze in mir aufsteigt. Vor Wut. Denn Plus-Size, das klingt, als wäre ich ein Mängelexemplar. Bei dem Begriff schwingt immer mit, dass es nicht normal ist, so auszusehen, und man von der Norm abweicht.
Dass es auch anders geht, beweist die weltbekannte Model-Agentur IMG Models, bei der Topmodels wie Gisele Bündchen und Alessandra Ambrosio unter Vertrag sind. Dort gibt es kurvige Models wie Ashley Graham und Candice Huffine, aber keine eigene Abteilung für sie. Das gilt übrigens auch für das eingangs erwähnte Transgender-Model Hari Nef, das dort ohne irgendein Label zwischen Hailey Baldwin und Hilary Rhoda gelistet ist. Auch ein ergrautes Best-Ager-Model wie Maye Musk wird dort ganz selbstverständlich gelistet. Das ist vorbildlich, und mein Wunsch wäre, dass es überall so ist. Dass Agenturen in Zukunft einfach sagen: „Das ist unser Model, diese Größe trägt es, ihr könnt es gern buchen und bitte so anziehen wie alle anderen Models auch.“ Noch sind wir zu wenige Kurvenfrauen, um eine ganze Industrie zu verändern. Gerade sorgen wir vielleicht eben so für eine Delle. Aber um das Business zum Umdenken zu bringen, dass wir genauso einen gesunden und schönen Körper haben wie jedes andere Model, müssen wir noch viele mehr sein. Es ist normal, so auszusehen wie wir. Das ist unsere Botschaft, unsere Mission.
Zu meinem Job gehört es längst nicht mehr nur, eine gute Figur zu machen. Meine Figur ist auch ein politisches Statement. Ich verstehe mich als Body-Positivity-Aktivistin, als poster girl für ein gesundes, positives Körperbild in den Medien. Ich möchte jungen Mädchen und allen Frauen Mut machen, sich schön zu fühlen, ganz gleich, welche Maße sie haben. Was mich dazu motiviert? 79 Prozent meiner Follower auf Instagram sind inzwischen weiblich. Vor einem Jahr waren es noch halb so viele. Das zeigt mir, dass ich ein Rolemodel geworden bin und anderen Frauen ein positives Gefühl gebe. Und diese Rolle nehme ich sehr ernst. Ich möchte für mehr Akzeptanz werben und anderen Frauen Mut machen. Auch indem ich hier meine eigene, ganz persönliche Geschichte erzähle.
Es war für mich ein langer, schwerer Weg, mich selbst schön zu finden und glücklich zu werden. Als ich vor acht Jahren beim Casting von der vierten Staffel von Germany’s Next Topmodel vor einem Millionenpublikum in der Düsseldorfer Messe mit einer Rolltreppe auf Heidi Klum und die Jury zugerollt kam, war ich noch das kleine, schüchterne Mädchen aus einem kleinen Ort bei Uelzen. Ich war erst 15 Jahre alt, wusste gar nicht, worauf ich mich einlassen würde, und wäre beinahe an den harten Anforderungen des Business kaputtgegangen. Ich hatte kaum Jobs, kein Geld und noch viel schlimmer: kein Selbstwertgefühl. Ich bin krank geworden bei dem Versuch, dem vorherrschenden Schönheitsideal zu entsprechen. Weil ich permanent gegen meinen natürlichen, kurvigen Körper angekämpft habe. Es gab lang keinen Platz für mich im Model-Business, und das habe ich auch deutlich zu spüren bekommen. „Sarina, du bist leider zu dick für den Job“, wurde mir nicht nur einmal von Model-Agenturen gesagt. Das Problem: meine Hüfte. Sie war ein paar Zentimeterchen zu breit. Um genau zu sein, lächerliche ein, zwei Zentimeterchen, die mich davon trennten, Model zu sein. Mit aller Gewalt habe ich einige Jahre versucht, den strengen Maßen zu entsprechen, bis mein Körper irgendwann zusammenbrach. Schließlich habe ich dann doch noch die Kurve gekriegt, und ich möchte dich daran teilhaben lassen, wie ich es geschafft habe, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Glaub mir, es lohnt sich. Als ich lernte, mich in meiner eigenen Haut wohlzufühlen, passierte das Unvorstellbare: Ich wurde als Model gefragter denn je und startete richtig durch.
Der Begriff Plus-Size hat übrigens nie dazu beigetragen, dass ich mich mit meinem Normalgewicht und meinen Kurven wohlgefühlt habe. Er ist einfach negativ besetzt. Daher wehre ich mich dagegen, so bezeichnet zu werden. Ich bin kurvig, Punkt. Immerhin drückt curvy aus, dass jeder Körper anders gebaut ist. Bei Fotoshoots mit anderen Curvy-Models vergleiche ich und stelle immer wieder fest, dass die Rundungen bei jeder anders verteilt sind. Es gibt dort kleine Brüste, große Hüften und flache Pos oder große Brüste, kleine Hüften und pralle Pos. Diversity gibt es eben auch bei den Körpern von uns Kurvenfrauen. Aber leider gelten für uns im Business immer noch ganz andere Gesetze. Man erwartet von uns, dass wir kommerziell hübsch aussehen. Andere Models dürfen androgyn, puppenhaft oder edgy sein. Von uns fordert man eine Rubens-Figur, einen superflachen Bauch und ein zuckersüßes, schmales Gesicht.
Was die Maße angeht, gibt es allerdings auch bei uns Regeln, denn auch bei großen Größen gibt es Musterkollektionen. Bei einer Größe von 1,76 Meter sollte man eine Kleidergröße zwischen 42 und 46 haben. Und für Jobs bei Hochglanzmagazinen am besten keine kurzen Haare. Dass die immer noch ein K. o.-Kriterium sind, zeigt das Model Rachel Spencer. Auf ihrem Instagram-Profil @kathleen.rach schilderte sie im Winter 2017 ihre emotionale Reise von ihrer wilden Mähne zu einem Pixie.
„Ich weinte bitterlich, nachdem mir die Haare geschnitten worden waren“, schreibt sie. „Und ich weinte noch bitterlicher, als mir bewusst wurde, dass ich diese Veränderung dringend nötig hatte. Ich hatte mich die ganze Zeit hinter meinen langen Haaren versteckt. Und das, obwohl sie eigentlich fisselig und kaputt waren. Ich war es leid, mich nur mit langen Haaren selbstbewusst und wie ein Model zu fühlen.“
Die Sensation: Rachel ist heute erfolgreich wie nie, weil ihre Schönheit durch den Kurzhaarschnitt erst richtig rauskommt. Aber sie ist eine Ausnahme im Curvy-Business. Denn unsere Attribute sind immer noch klar definiert: weiblich, sexy, sinnlich. Und dazu gehören eben schulterlange Haare.
Auf Selbstzweifel in Sachen Körper haben natürlich nicht nur wir Curvy-Models ein Abo. Ich kenne keine Frau, die mit ihrer Figur zu 100 Prozent zufrieden ist. Wir unternehmen höchste Anstrengungen, kurz bevor es zum Strand oder auf ein Date geht: panisches Sporteln, plötzliche Zuckerabstinenz, Last-Minute-Waxing. Wir stehen alle unter einem enorm hohen Beauty-Druck, ganz gleich, ob Model oder nicht. Es gibt eine ganze Industrie, die uns einreden will, dass wir nicht genügen, nicht schön genug sind – und damit sehr viel Geld an uns verdient. Von Diätratgebern bis zu Abnehmpulvern: Fast jede Frau hat schon mal versucht, ihren Körper zu optimieren. Nur so erklärt es sich, dass nicht nur in Deutschland Unsummen für Abnehmmittel ausgegeben werden. Selbst jetzt, in Zeiten, in denen man ständig zu hören bekommt: Jede Frau, jeder Körper ist schön. Das klingt super, aber eben nur in der Theorie. Hier verhält es sich recht ähnlich wie die Realität in Bezug auf Rollenverteilungen in Beziehungen oder Gleichberechtigung im Job. Nur weil wir das Thema viel diskutieren, sind die Veränderungen innerhalb der Gesellschaft eine vor sich hin kriechende Angelegenheit, für die wir noch Zeit brauchen werden. Ich spreche da aus Erfahrung. Es gab auch in meinem Leben Momente, da fühlte ich mich fett, weil ich es mal wieder nicht ins Fitnessstudio geschafft oder zu meinen geliebten Nudeln gegriffen hatte. In denen ich diese Panik spürte, wenn ich mich auf eine Waage stellte, zusah, wie sich die kleinen Striche im Display zu einer Zahl zusammenpuzzelten. Eine Anspannung, als schaute ich gerade einen Thriller. Und alles, weil ich einem sportlich schlanken Körperbild entsprechen wollte.
Heute kümmert mich mein Gewicht nicht mehr, und ich besitze schon lang keine Waage mehr. Natürlich gibt es noch immer Tage, an denen ich denke, ich bin die unattraktivste Person auf diesem Planeten. Aber dann ist das meist bei einem Job, wenn ich vor der Kamera stehe und eine Einstellung mal nicht sofort klappen will, es mir nicht gelingt, mich von meiner Schokoladenseite zu zeigen. Es ist eine nette Pointe meiner Biografie, dass das, wofür ich bekannt geworden bin – meine Körpergröße – etwas ist, das ich heute so gar nicht wahrnehme. Daher finde ich es auch nicht mutig, Bikini-Fotos von mir zu posten. Mut ist ohnehin eine ehrenhaftere Tugend, als sich öffentlich im Bikini zu zeigen. Sie gebührt dem Arzt, der in Krisengebiete reist, um zu helfen, oder dem Mädchen, das nachts Hilfe an der U-Bahn-Station holt, um eine Prügel-Gang zu stoppen. Ich bin inzwischen einfach selbstbewusst, das hat mit Mut nichts zu tun. Aber fair enough, vor über einem Jahr hätte ich mir es selbst gar nicht vorstellen können, so natürlich damit umzugehen. Denn da stand ich vor den Scherben meiner Karriere, meiner eigenen Biografie. Ich war gerade nach Los Angeles gezogen und hatte plötzlich kein Geld, keine Freunde, keine Heimat mehr. Ich hungerte mich runter, dann schaufelte ich mir wieder haufenweise Süßigkeiten und Snacks rein. Mein Körper schwankte extrem zwischen Unter- und Normalgewicht, bis er irgendwann vollends aufgab. Ich wollte alles hinschmeißen und hatte nur noch den verzweifelten Wunsch, glücklich und gesund zu werden. Ich hatte schon beinahe meine Koffer gepackt und ein One-Way-Ticket nach Deutschland gebucht. Doch dann sollte alles ganz anders kommen.