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Die Autorinnen

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Dr. paed. Evelyn-Christina Becker hat Erziehungswissenschaften, Germanistik und Geschichte studiert, in der Kommunikationspsychologie promoviert und arbeitet als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin sowie Paar- und Familientherapeutin in eigener psychoanalytischer Praxis in Leipzig. Sie ist als Dozentin, Lehrtherapeutin und Supervisorin an der Akademie für Psychotherapie in Erfurt, bei SIMKI e. V. an der Hochschule Mittweida und für die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer (OPK) tätig.

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Gabriele von Maltzahn studierte Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie an der Universität Tübingen und war als Diplom-Pädagogin in selbständiger Arbeit tätig. Schwerpunkte waren die gruppendynamische Arbeit mit Vorschulkindern, Beratung und Fortbildungen für Eltern sowie langjährige Vortragstätigkeit und Supervision. Nach der Weiterbildung zur analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin am C. G. Jung Institut in Stuttgart ließ sie sich in eigener Praxis nieder. Neben der Einzeltherapie mit Kindern und Jugendlichen umfasst ihre Arbeit die Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie (SKEPT, Frühe Hilfen).

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Christiane Lutz studierte in Zürich Heilpädagogik. Nach einer zweijährigen Tätigkeit mit geistig behinderten Kindern in der Ostschweiz folgte das Studium der Analytischen Psychologie an der Akademie für Tiefenpsychologie in Stuttgart. Seit 1971 arbeitet sie als analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin sowie als Dozentin und Supervisorin am C. G. Jung Institut Stuttgart. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher und Artikel in Fachzeitschriften.

Evelyn-Christina Becker, Gabriele von Maltzahn, Christiane Lutz

Symbolik in der psychodynamischen Therapie von Kindern und Jugendlichen

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030639-4

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-030640-0

epub:     ISBN 978-3-17-030641-7

mobi:     ISBN 978-3-17-030642-4

Inhalt

 

 

 

  1. Einleitung
  2. 1 Der Begriff des Symbols unter Berücksichtigung verschiedener therapeutischer Perspektiven
  3. 1.1 Symbolik im personalen Kontakt
  4. 1.1.1 Symbolik der Erscheinung
  5. 1.1.2 Symbolik des Abschieds und der Beendigung der Therapie
  6. 1.1.3 Selbstsymbole: Baum, Mensch, Hand
  7. 1.1.4 Zuhören, Reden, Schweigen, Staunen
  8. 2 Symbole des täglichen Lebens
  9. 2.1 Symbole der Ruhe und Bewegung
  10. 2.1.1 Symbolik der Behausung
  11. 2.1.2 Symbolik des Weges
  12. 2.1.3 Symbolik der Brücke
  13. 2.2 Symbole der Natur
  14. 2.2.1 Symbolik des Waldes
  15. 2.2.2 Symbolik der Pflanzen
  16. 2.2.3 Symbolik der Steine
  17. 2.3 Symbolik der Naturerscheinungen
  18. 2.3.1 Symbolik von Sonne, Mond und Sternen
  19. 2.3.2 Symbolik von Blitz und Donner
  20. 2.3.3 Symbolik von Nebel, Eis und Schnee
  21. 2.3.4 Symbolik von Wind und Sturm
  22. 2.4 Tiersymbolik
  23. 2.4.1 Hund und Katze
  24. 2.4.2 Raubtiere
  25. 2.4.3 Insekten, Spinnen, Schlangen
  26. 2.4.4 Pferde
  27. 3 Symbolik des Symptoms
  28. 3.1 Ängste
  29. 3.1.1 Dunkel- und Einschlafängste
  30. 3.1.2 Trennungs- und Verlustängste
  31. 3.1.3 Phobien
  32. 3.1.4 Identitätsängste
  33. 3.2 Aggressionen
  34. 3.2.1 Eruptive Entladungen, fehlende Impulskontrolle
  35. 3.2.2 Destruktive und autodestruktive Entladungen
  36. 3.2.3 Eifersucht, Neid, Rivalität
  37. 3.3 Psychosomatik
  38. 3.3.1 Kopfschmerzen und Bauchschmerzen
  39. 3.3.2 Einnässen, Einkoten und Stuhlverhalten
  40. 3.3.3 Magersucht, Bulimie und Übergewicht
  41. 4 Symbolik des kindlichen Spiels
  42. 4.1 Rollenspiele und archetypische Repräsentanten
  43. 4.1.1 Verstecken – Entdecken und Schatzsuche
  44. 4.1.2 Symbolik des Rollentauschs
  45. 4.1.3 Orale und anale Thematik
  46. 4.2 Puppen und archetypische Gestalten
  47. 4.2.1 Kasper, Polizist, Teufel, Räuber, Krokodil
  48. 4.2.2 Hexe, Zauberin, Fee, Großmutter, Prinzessin
  49. 4.2.3 Magier, König, Königin, Königskind
  50. 4.3 Der Umgang mit Elementen
  51. 4.3.1 Symbolik von Sand- und Schlammspielen
  52. 4.3.2 Symbolik des Formens mit Ton
  53. 4.3.3 Symbolik von Feuer- und Wasserspiele
  54. 5 Symbolik der Gesellschaftsspiele
  55. 5.1 Brett- und Würfelspiele
  56. 5.1.1 Symbolik von Gewinnen und Verlieren
  57. 5.1.2 Symbolik von Schuld- und Wiedergutmachung
  58. 5.2 Symbolik von Macht- und Dominanzstreben
  59. 5.2.1 Geldspiele
  60. 5.2.2 Kartenspiele
  61. 6 Schluss
  62. Literaturverzeichnis
  63. Stichwortverzeichnis
  64. Anhang

Einleitung

 

 

 

»Symbol ist für mich der sinnlich wahrnehmbare Ausdruck für ein innerliches Erlebnis« (Jung, Briefe I, S. 86).

Lassen Sie uns mit einem Blick auf drei ausgewählte Therapiesequenzen beginnen:

Ein Neunjähriger, den ich bisher erst zwei Stunden kennenlernen durfte, kam vorsichtig schleichend, gebeugt, den Kopf weit nach vorn gestreckt, die Hände auf dem Rücken, durch die Tür und kontrollierte den Raum. Er flüsterte: »Hier könnten sie sich versteckt haben«. Ich erkannte während seines Kontrollganges auf seinem Rücken ein mitgebrachtes Holzschwert, das er ablegen konnte, nachdem er sich von der Ungefährlichkeit des Raumes überzeugt hatte. Dann teilte er mir mit, dass er dringend einen schwarzen Bart brauche, den er sich dann auch blitzschnell mit Wasserfarben vor dem Spiegel anmalte.

So viele Symbolisierungen in der Körperhaltung, in der Fantasie und im Tun des Jungen sind einzigartige Geschenke aus dem Unbewussten. Man könnte daraus schließen, dass er sich unbewusst als Vertreter des Heldenarchetyps erlebte. In dieser Rolle war er Schützer und Retter des Weiblichen in Gestalt einer positiven Projektion auf die Therapeutin. Auf der anderen Seite belebte er aber auch den negativen Aspekt des Weiblichen, gegen das man sich als »ganzer Mann« mit Bart und Schwert wehren musste. Und schließlich könnte es auch darum gehen, die Therapeutin für sich zu erobern, sie als Vertraute zu gewinnen in einem Raum, der Sicherheit und Geborgenheit garantierte.

Die Perspektive der Analytischen Psychologie C. G. Jungs erlaubt immer eine Vielfalt möglicher Interpretationen, weil jede Symbolik durch einen Plus- und einen Minuspol gekennzeichnet ist. Man kann zumindest davon ausgehen, dass in den gemeinsamen Stunden die Frage nach Nähe und Distanz, nach Sicherheit und Gefahr, nach Vertrautheit und Misstrauen eine wichtige Rolle spielen wird. Unausgesprochen geht es auch um die Frage nach Anpassung oder aggressiver Abgrenzung. Darf die Therapeutin neben ihrer schützenden Funktion auch eine Gegnerin sein, die im Kampf besiegt werden muss, wie es viele Märchen und Mythen in archaischen Drachenkämpfen beschreiben? Finden Ängste vor Bedrohung ebenso Raum wie mutige, vielleicht sogar provozierende Kampfhaltungen?

Ein siebenjähriges Mädchen, Adoptivkind, berichtete bedrückt von Gespenstern, die nachts unter ihrem Bett hervor kämen. Sie habe dann immer furchtbare Angst und müsse zu den Eltern ins Bett flüchten. Plötzlich nahm sie den Zeichenblock und meinte, sie habe eine Idee: Sie malte die Gespenster in all ihrer Gefährlichkeit und äußerte, dass sie das Bild mitnehmen müsse. Dann wünschte sie, das »Schwarzer Peter« Quartett ausleihen zu dürfen. Von der Mutter erbat sie ein Päckchen Gummibären. In der nächsten Stunde weidete sie sich an der Unfähigkeit der Therapeutin das Rätsel ihres Tuns zu lösen. Dann erklärte sie, dass sie nachts mit den Gespenstern »Schwarzer Peter« spiele. Der Gewinner bekäme immer ein Gummibärchen. Und, fast staunend, stellt sie fest: »Die Angst ist weg!«

Wenn wir davon ausgehen, dass die Gespenster, die nachts hervorkriechen, die unterdrückten Triebimpulse sind, so konnte das Mädchen seine eigenen selbstheilenden Kräfte aktivieren und eine Lösung erfinden. In dem Augenblick, als es in der Lage war, mit den Gespenstern in einen spielerischen Austausch zu gehen, verloren sie ihre Schrecken. Sie gehörten dann als Partner zur bewussten Individualität. Das Mädchen konnte sich mit ihnen austauschen und ihnen sogar Gewinnchancen einräumen.

C. G. Jung weist immer wieder auf die selbstheilenden Kräfte der Psyche hin. Manche Konflikte können, wenn man sich ihnen offen stellt, auch »überwachsen«, das heißt, ohne aktives Tun gelöst werden.

In einer Therapiegruppe Sechzehn- bis Achtzehnjähriger gab es ein Ritual: die Jugendlichen erzählten nach einjähriger Arbeit regelmäßig ihre Träume. Nachdem eine Siebzehnjährige das eigene Versagen in Prüfungssituationen, das Scheitern in Auseinandersetzungen mit Autoritätsfiguren, die Konfrontation mit dem Tod als wütendes, hässliches Skelett ausführlich geschildert und gezeichnet hatte (image Abb. 1), beschrieb ein gleichaltriger Jugendlicher in seinem Traum seine großartigen Fahrkünste im technisch unerlaubt aufgerüsteten Fahrzeug. Mit unerhörter Geschwindigkeit sei er über die Straßen »gebrettert« und von einer Gruppe Mädchen am Straßenrand bewundert und beklatscht worden.

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Abb. 1: Der Sensenmann will mein Blut

Im gemeinsamen Reflektieren wurde deutlich, wie sehr sich die Träume des Mädchens von dem des jungen Mannes unterschieden. Wurde in eher introvertierter Perspektive der Traum des Mädchens als Kampffeld gegen die eigene Person verstanden, demonstrierte der junge Mann gegenläufig in extravertierter Form die eigene Großartigkeit. Hans Hopf (2007) hat sehr eindrücklich die Geschlechtsunterschiede bei weiblichen und männlichen jungen Menschen beschrieben.

In beiden Perspektiven wurde jedoch die Sehnsucht nach Bestätigung, Anerkennung und Wertschätzung deutlich. Eine Fülle von Symbolbildern unterstrich Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die durch polare äußere Bilder erlebbar und nachvollziehbar wurden.

Zur Dynamik einer Jugendlichengruppe gehört auch, dass es nicht allein beim Reflektieren bleibt, sondern dass sich immer auch persönliche Auseinandersetzung ereignet. »Typisch Macho und typisch zickig«, diese Verallgemeinerungen erlauben einen weiteren Blick auf das Problem, sich abgrenzen zu wollen und gleichzeitig Anerkennung und Bestätigung seitens des anderen Geschlechtes zu erlangen.

Das Arbeiten mit Symbolen und symbolisch zu verstehendem Verhalten eröffnet ein weites Feld, denn die innere Welt der Bilder und Symbole ist reichhaltig und differenziert, voller Emotionen und umfasst weit gespannte Möglichkeiten im Prozess der Heilung und Selbstwerdung.

Die Symbolsprache ist eine Sprache, in der innere Erfahrungen, Gefühle und Gedanken so ausgedrückt werden, als ob es sich um sinnliche Wahrnehmungen, um Ereignisse in der Außenwelt handelten. Es ist eine Sprache, die eine andere Logik hat als unsere Alltagssprache, die wir tagsüber sprechen. Die Symbolsprache hat eine Logik, in der nicht Zeit und Raum die dominierenden Kategorien sind, sondern Intensität und Assoziation. Es ist die einzige universale Sprache, welche die Menschheit je entwickelt hat und die für alle Kulturen im Verlauf der Geschichte die gleiche ist. Es ist eine Sprache mit sozusagen eigener Grammatik und Syntax, eine Sprache, die man verstehen muss, wenn man die Bedeutung von Mythen, Märchen und Träumen verstehen will. Aber der moderne Mensch hat diese Sprache vergessen, nicht wenn er schläft, aber wenn er wach ist (Fromm, Band IX, S. 174).

Die therapeutische Arbeit, die den heilenden Hintergrund von Symbolen und Archetypen erschließt und interpretiert, unterscheidet sich wesentlich vom Alltag der Kinder und Jugendlichen, in denen der Fokus überwiegend auf messbare Leistungen gelegt wird. Evaluation erfolgt über standardisierte Prüfungen und Tests, bestmögliche Notendurchschnitte und Aufnahmeprüfungen. Nachhilfe- und Förderunterricht gehört zum Alltag. »Lebenslaufoptimierung« nennt es Gray (2015).

Das vorrangig funktionale Denken und Handeln in Gesellschaft und Pädagogik geht an der Wirklichkeit unseres Lebens vorbei. Das Sehnen nach einem erfüllenden Gehalt des Lebens kann jedoch im symbolischen Erfahren der Alltagswelt, in Fantasien und Träumen, im Malen und Schreiben, in Musik und Bewegung Ausdruck finden.

Sich selbst zu finden und diejenige Persönlichkeit zu werden, als die man einst gedacht wurde, ist Weg und Ziel des Umgangs mit Symbolen.

Der therapeutische Begleiter auf diesem Weg, einst »Psychopompos« oder Seelenführer genannt, kann als Archetyp des Heilers ermutigen und bestätigen.

1          Der Begriff des Symbols unter Berücksichtigung verschiedener therapeutischer Perspektiven

 

 

 

C. G. Jung sah in den archetypischen Bildern und Symbolen eine kreative Leistung des Menschen, die nicht als etwas Feststehendes zu betrachten ist, sondern verschiedene kulturelle Ausprägungen widerspiegelt. Symbole entstehen aus Jungs Perspektive unbewusst aufgrund des Zusammentreffens von persönlichen Erfahrungen, Emotionen, Sinneseindrücken, aber immer in einem kollektiven kulturellen Kontext: »Die Symbole wurden nie bewusst ersonnen, sondern wurden vom Unbewussten produziert auf dem Wege der sogenannten Offenbarung oder Intuition.« (Jung, 1928, § 92) Den Umgang mit dem Symbol sah Jung als die älteste geistige Tätigkeit des Menschen überhaupt, als eine psychische Verarbeitungsstätte, die helfe, den Menschen zu beruhigen und seine Mitte wieder zu finden (Jacobi, 1959, S. 100).

Das Hauptanliegen C. G. Jungs war die Frage, wozu ein Symbol gebraucht wird. Der Vielfalt und Komplexität wird man, so seine Überzeugung, nicht gerecht, wenn Symbole lediglich als ein Hinweis auf verdrängte libidinöse und aggressive Triebimpulse interpretiert wird. Im Verständnis der Analytischen Psychologie kann sich Psychisches symbolisch in Träumen, Imaginationen, Geschichten, Märchen, Bildern, Handlungen, in der Geste oder im Tanz widerspiegeln. Der Begriff »Symbol« und das »archetypische Bild« entsprechen sich dabei in einer über sich selbst hinaus weisenden Bedeutung.

Das Symbol ist etwas Zusammengesetztes und leitet sich von dem griechischen Wort symballon = zusammenfügen ab. In alter Zeit diente das Zusammenfügen der zwei Teile einer Münze als Hilfe, sich nach langer Zeit wieder zu erkennen. Aus psychologischer Perspektive könnte damit das Symbol im übertragenen Sinn auch als Zusammenklang eines materiellen und eines geistigen, ideellen Teils verstanden werden. Diese Bedeutung umfasst sowohl den Aspekt eines bewussten, überwiegend realitätsorientierten, als auch den eines unbewussten, intuitiv erahnten Gehaltes (image Abb. 1.1).

Es ist ein Ausdruck, »der bestmöglich einen komplexen und durch das Bewusstsein noch nicht klar erfassten Tatbestand wiedergibt« (Jung, 1995, Bd. 8 § 148).

Das Symbol kann auf ein zurückliegendes Geschehen und Ereignis oder auch auf eine möglicherweise vorübergehend unterbrochene Beziehung hinweisen, deren Einmaligkeit im Symbol und dem darüber möglichen Wiedererkennen bewahrt wird.

Die komplexe Bedeutung des Symbols zeigt sich in seiner Gegensätzlichkeit. Jedes Symbol hat einen Plus- und einen Minuspol. Es besitzt eine Bedeutsamkeit für das Individuum und verfügt zugleich auch über eine kollektive Gültigkeit. Es kann ebenso eine eindeutige Aussage machen, wie vieldeutig sein. Symbole haben gleichermaßen einen Ausdrucks- und Eindruckscharakter, »indem sie einerseits das innerpsychische Geschehen bildhaft ausdrücken und andererseits dieses Geschehen, nachdem sie Bild geworden sind, sich gleichsam in einen Bildstoff ›inkarniert‹ haben, durch ihren Sinngehalt beeindrucken und dadurch den Strom des psychischen Ablaufs weitertreiben.« (Jacobi, 1989, S. 97)

Jacobi beschreibt zwei Merkmale von Symbolen: sie seien Transformatoren des psychischen Geschehens und gleichzeitig Ausdruck von persönlichen Erfahrungen und Kindheitserinnerungen, »denn das Symbol hat einen Archetypus, einen unanschaulichen, aber energiegeladenen Bedeutungskern in sich« (Jacobi, 1989, S. 97 ff.).

Verena Kast geht davon aus, dass Symbole ihre Wichtigkeit für eine gewisse Zeit behalten. Lebensabschnitte können im Zusammenhang mit diesem Symbol bedeutsam werden. Dies kann jedoch in den Hintergrund treten, wenn anderes wichtiger wird. Sie betont, dass, wenn Menschen mit Symbolen leben, »die Lebensgeschichte anhand der Symbole rekonstruiert werden (kann)«. Kast weist darauf hin, dass »Symbole eine Ursprungszeit, einer Blütezeit und eine Zeit des Vergehens haben« (Kast, 1996, S. 22).

Moderne Diskussionen zu den Symbolen in der Analytischen Psychologie beinhalten heute den Bezug zu entwicklungspsychologischen, neuropsychologischen und anthropologischen Erkenntnissen und sind seit den 1990er Jahren in der amerikanischen und englischen Forschung (George Hogenson, Joe Cambray, Linda Carter, Jean Knox u. a.) mit dem Begriff der Emergenz verbunden.

Emergenz (lat. ›emergere‹ – etwas auftauchen lassen, erscheinen) tritt nach Erkenntnissen des Biochemikers B. H. Weber dann auf, »wenn neue Eigenschaften in einem System auftauchen, die vorher nicht da und auch nicht vorhersehbar aufgrund der Komponenten des Systems gewesen waren« (Weber, 2003, S. 311). Es entstehe ein neues Phänomen, was neue Eigenschaften besitzt und anderen Gesetzen entspricht.

Bezogen auf die therapeutische Arbeit nach C. G. Jung werden unter der Emergenztheorie intrapsychische und intersubjektive Prozesse verstanden, die zu qualitativen, spontanen und überraschenden Sprüngen in der Therapie führen, die vorher nicht unbedingt zu vermuten waren.

Nach Hogenson ist mit dem Begriff der Emergenz die Tiefe einer Transformation durch archetypische Symbole, wie sie in Träumen oder Imaginationen vorkommen, deutlicher beschreibbar. Das Auftauchen von Symbolbildern ermöglicht in einem emergenten Prozess das Bewusstwerden von Zusammenhängen und Wirkungen und kann helfen, eine neue Entwicklung zu befördern.

Hogenson vermutet weiter, dass die Natur und die Funktion von Symbolen mit mathematischen Operationen und Vorstellungen aus biologischen, chemischen und physikalischen Zusammenhängen vergleichbar seien (Hogenson, 2005, S. 278). Er stützt sich auf Erkenntnisse von Deacon, der das Symbol mit Primzahlen vergleicht, die einfach da sind, aber entdeckt werden müssen (Deacon, 2003). Hogenson schlägt vor, die Welt der Symbole oder der archetypischen Bilder als etwas zu sehen, das innerhalb der Psyche existiert, das sich für den Menschen je nach Umweltbedingungen konstelliert. Er steht damit konträr zu den Vertretern der Objektbeziehungstheorie, für die Symbole Abbilder einer inneren Repräsentanz darstellen.

Joe Cambray und Linda Carter (2004, S. 119 f.) betonen ebenso, dass Symbole »Mediatoren zwischen Unbewusstem und Bewusstem« seien und dass sich archetypische Muster, die sich in Märchen und Mythen, vor allem in Narrativen zeigen, emergente Eigenschaften aufweisen und eine Art ›Knotenpunkte‹ darstellen.

Jean Knox (2003) bezieht bewusst, anders als die voran Genannten, entwicklungspsychologische, neuropsychologische und kognitive Forschungsergebnisse sowie Erkenntnisse der Bindungsforschung ein und koppelt sie mit Überlegungen zur Emergenz des Psychischen. Auf der Basis des kindlichen Symbolisierungsprozesses im Aufwachsen, bedingt durch das Sammeln, Vergleichen, Sortieren von Informationen, gibt es eine Unmenge an symbolischen Bildern und Bedeutungen. Sie sind individuell abhängig von interaktional weiter gegebenen kulturell und kollektiv gefärbter Mythen, Märchen und Geschichten.

Knox erklärt, dass komplexe symbolische Bilder um ein »Bildschema« herum konstruiert werden, das langsam von der Psyche aufgebaut würde. Das Ergebnis sei ein ›inneres Arbeitsmodell‹ der persönlichen Identität und der Beziehungen (Bowlby, 1973). So entstünden symbolische Erfahrungen, die emotional konnotiert sind.

Es gibt verschiedene Narrative, die einem Kind in seiner Biografie begegnen. Entwicklungspsychologisch entstehen symbolische Muster. Es wird ein Archetyp konstelliert, der die Erfahrungen mit Mutter, Vater, Geschwistern, Großmutter, Großvater widerspiegelt und im impliziten oder expliziten Gedächtnis in einem Prozess der inneren repräsentativen Wiederbeschreibung abgespeichert wird. Bovensiepen (2006) betont, dass durch lebensbiografische Erfahrungen in einer Psyche verschiedene Teilpsychen entstehen, die untereinander nicht vernetzt sein müssen und die je eigene Gefühle, Wahrnehmungsfähigkeiten, Erwartungsfantasien, Abwehrmechanismen, Gedächtnisinhalte und mentale Repräsentationen beinhalten.

Das bedeutet, dass uns Narrative und die darin enthaltenen archetypischen Bilder prägen können. Nach Knox wäre es möglich, über die ›Bildschemata‹ die vorhandenen Narrative zu kategorisieren.

Symbole berühren uns Menschen ganzheitlich. Gefühl, Verstand, Intuition und Empfindungen werden durch Symbole aktiviert und erzeugen innere Bilder.

Das Symbol als »Ausdruck des dialogischen Prozesses nach Innen« ist bereits »autonome Therapie« (Eschenbach, 1978, S. 29 f.) und ermöglicht Kindern und Jugendlichen, Wahrgenommenes gestalterisch bildhaft wiederzugeben. »Ein Symbol umfasst nicht und erklärt nicht, sondern weist über sich selbst hinaus auf einen noch jenseitigen, unfasslichen, dunkel geahnten Sinn, der in keinem Wort unserer derzeitigen Sprache sich genügend ausdrücken könnte.« (Jung, GW 8, S. 383) Symbole sind damit Projektionsträger für unbewusste seelische Inhalte.

Die bewusste Assoziationsarbeit im therapeutischen Setting ermöglicht, sich im Berührungsfeld zwischen Bewusstem und Unbewusstem schrittweise zurechtzufinden, um Verschlüsseltes gemeinsam zu erkennen und zu interpretieren.

Das Symbol kann auch vordergründig als Teil bewusstseinsnahen Geschehens stehen, zum Beispiel für etwas Gewünschtes, Erhofftes, Befürchtetes vor dem Hintergrund seines familiären Umfeldes. So gewinnen Symbole nicht selten auch einen individuellen Charakter, der Hinweise auf die Ich-Entwicklung in der Herkunftsfamilie enthalten kann. Der eigentliche Symbolcharakter stellt aber immer den Bezug zum archetypischen Kern des Symbols über äußere Wirkfelder her. Eschenbach formuliert: »Die Fähigkeit zur symbolischen Gestaltung enthält das zentrale Regulativ der Psyche, wobei gerade die energetische Verbindung zwischen Gewordensein (Anamnese) und Aktualsituation (Konflikt) im Symbol die genaue Dosierung für die Erweiterungsmöglichkeit der psychischen Seinssituation enthält.« (Eschenbach, 1978, S. 32)

1.1       Symbolik im personalen Kontakt

»Du bist ja gar keine Zauberin«, rief ein entsetzter Zehnjähriger. Nach einem Umzug in ein anderes Bundesland traf der schwer traumatisierte Junge zur Fortführung seiner Therapie auf mich, die neue Analytikerin. »Frau S. hatte immer einen Zaubermantel, einen spitzen Hut und einen Zauberstab.« Enttäuscht möchte er wieder gehen. Nicht nur wir beobachten unsere Patienten, auch sie haben Vorstellungen, die sich oft in der gewünschten Form nicht erfüllen.

Der Anfang einer jeden Therapie ist eine ganz besondere Situation: Kinder kommen selten aus eigenem Wunsch, meist auf Empfehlung der Ärzte oder Lehrer und Erzieher, oft aus Not der Eltern, die erschöpft sind und mit dem Symptom des Kindes oder Jugendlichen nicht mehr umgehen können.

Dann stehen sie vor unserer Praxistür: Ein Vierjähriger erschien, die Mutter weit hinter ihm, mit einem Plüschkrokodil, das mich zur Begrüßung in die Hand biss. Ein vor Freude Hüpfender sprang an mir hoch und sagte: »Siehst du, es mag dich.«

Und ich dachte an das Sprichwort »Angriff ist die beste Verteidigung«. Er konnte seine Angst unter Kontrolle halten, indem er sich mit Krokodil als verlängertem Ich stark fühlte. Er schuf eine erste Distanz, die rasch ins Gegenteil verkehrt wurde.

Eine Siebenjährige kam zum ersten Mal ins Kindertherapiezimmer. Sie folgte mir mühevoll, den Blick auf den Boden gerichtet. rannte dann los und verschwand schweigend unter dem Tisch. Sie wollte offensichtlich unsichtbar sein und verweigerte jeglichen Kontakt. Erst fünfzehn Minuten später konnte ich sie in sicherem Abstand über ein imaginatives Telefon, das in leiser Melodie klingelte, erreichen. Das Mädchen brauchte in der neuen Situation offensichtlich Schutz und Akzeptanz, gleichzeitig zeigte es jedoch, dass sie gesucht und gefunden werden wollte.

Ein zwei Jahre älter wirkender hagerer Dreizehnjähriger mit gestyltem blonden längerem Haar, hautengen schwarzen Hosen mit breitem Nietengürtel und anliegendem rotem T-Shirt, was seine Magerkeit betonte, saß ernst und traurig neben den Eltern, die sich über sein ›ständiges Lügen‹ beklagten. Der Junge meinte, sich über gar nichts mehr richtig freuen zu können. »Keiner hat mehr Geduld mit mir, dabei will ich keinen Streit. Aber wenn ich sage, was wirklich ist, gibt es Ärger.« Der Blick zu mir machte deutlich: ›Ich bin das Opfer hier, dabei bin ich so lieb.‹ Wurde damit im ersten Kontakt bereits ein Konflikt zwischen Täter und Opfer, zwischen Macht und Ohnmacht angedeutet?

Ein sechzehnjähriges junges Mädchen mit glattem tiefschwarzem Haar, das sich nach einem stationären Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie auf Empfehlung der Hausärztin bei mir vorstellt, wirkt zerbrechlich, dünn und blass. Sie kann keinen Blickkontakt halten. Die Kleidung im Lolita-Gothic-Stil, eine Prinzessin in Rüschen und Schwarz. Sie schaut zu Boden und ist kaum zu verstehen, so leise spricht sie: »Ich brauche weiter Hilfe. Aber ich will nicht zunehmen. Ich will meine Depressionen in den Griff bekommen.« Die Jugendliche signalisiert, komm mir nicht zu nah und sei mir Helferin dort, wo ich es zulassen kann – möglicherweise ganz behutsam, einer Mimose gleichend.

Ein groß gewachsener Siebzehnjähriger begegnet mir erstmalig nach seiner Anmeldung im Mailkontakt in beeindruckender Form: Das Haar ist von einer schwarzen Strickmütze verdeckt, in beiden Ohren befinden sich übergroße Piercings Ober- und Unterlippe sind gepierct, beide Arme vollständig tätowiert. Die Hände verbergen sich in den Hosentaschen. Er nickt mir kurz zu und betritt die Praxis. Dabei wirkte er betont distanziert und separiert, bei akzentuierter äußerer Autonomie und Individualität. Wird das äußere Bild mit dem inneren übereinstimmen?

Eine hübsche, schlanke, zurückhaltende neunzehnjährige junge Frau mit halb langem blonden Haar und schweißnassen eiskalten Händen stand mir beim Erstkontakt gegenüber. Ein dicker Schal, mehrmals um den Hals gewunden, verdeckte Kinn und Mund. Sie schob ihn ganz wenig weg. Ihr Blick wirkte unsicher und fragend, aber sie lächelte tapfer. Die Fingernägel waren stark abgekaut, an zwei Fingern blutete das Nagelbett. Sie trug eine Binde am linken Handgelenk. In mir entstand das Bild einer verwundeten Kämpferin.

Szenen der Begegnung, mit der Chance, Beziehung aufzunehmen und eine gemeinsame Arbeit zu versuchen. Es bleibt immer ein Wagnis, dessen Ausgang wir nicht im Voraus wissen können, sei es bei einem Kind, der Arbeit mit den Eltern, dem Jugendlichen oder dem jungen Erwachsenen.

1.1.1     Symbolik der Erscheinung

Bereits wenn das Kind das Therapiezimmer betritt, wird in symbolischer Form eine Vielzahl von Informationen vermittelt.

Insgesamt gibt es bereits in diesen Erstkontakten auf nonverbaler Ebene wichtige Mitteilungen, die verstanden werden wollen. Darum ist es lohnend, sehr aufmerksam wahrzunehmen ohne vorzeitig zu interpretieren oder zu werten.

Unterschiedliche Körperhaltungen und Gesten können über das seelische Befinden Aufschluss geben und ermöglichen häufig über einen sprachlichen Ausdruck hinaus einen tieferen Einblick in ein innerpsychisch konflikthaftes Erleben.

Ein lärmendes Hereinstapfen weist spürbar darauf hin, dass das Kind gehört werden will. Auf der anderen Seite vermittelt es möglicherweise auch das Gegenteil, nämlich über etwas hinweg zu gehen und problematisches Erleben nicht offenbaren zu wollen. Ein leises, fast geräuschloses Anschleichen kann ebenso sehr Schüchternheit, wie Eigenständigkeit symbolisieren. Auf diese Weise bestätigt sich erneut, dass jedes Symbol immer über das polare Phänomen von plus und minus verfügt.

Wir können im äußeren Erscheinungsbild zunächst den Habitus erkennen, wie groß und wie schwer ist der Patient, was spiegelt der Körperbau wider, liegt eine altersgerechte Entwicklung vor, welche Subkultur und welche Kleidung mit welchen Farben wird gewählt?

Bei Jugendlichen ist es auch wichtig, die Symbolik ihrer Kleidung als Ausdruck ihrer Zugehörigkeit zu Jugendkulturen zu erkennen, die sich schon immer in deutlicher Opposition zur vorherrschenden Konsenskultur befinden. Oftmals werden sie als eine sukzessive Abfolge unterscheidbarer Styles (Punk, Gothic, Hip-Hop usw.) beschrieben, die als Akt symbolischen Widerstands gegen gesellschaftliche Normen aufgefasst werden (»Cool aussehen«, 2012). Durch die Gestaltung der Haartracht, die Wahl der Bekleidung und Praktiken der Körpermodifikationen wie Tätowierungen und Piercings erkennen wir über den demonstrierten Style eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und Individualität; die Jugendlichen wirken authentisch und kreativ.

Piercings, Tatoos, Scarification, Branding und Implants treten mit unterschiedlicher Bedeutung auf – einerseits als Zeichen kollektiver Identität in »segmentären Gesellschaften« (Dürkheim, 1992), die sich durch territoriale Gebundenheit auszeichnen, oftmals als Erkennungszeichen, um die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu symbolisieren. Das Aushalten des Schmerzes beim Erwerb des verbindlichen Symbols einer sozial determinierten Identität ist von zentraler Bedeutung. Andererseits finden wir diese Zeichen in modernen Gesellschaften, nicht als Teil eines Rituals oder als gruppenspezifischer Zwang, sondern eher freiwillig. Die Jugendlichen wollen »anders sein«, als eine Spielart der Individualisierung und Abgrenzung von einer tradierten Norm, aber auch von den Eltern oder der Herkunftsfamilie. Die moderne ›Lolita‹ (ursprünglich der Romanvorlage von Vladimir Nabokov entlehnt) auch gemischt mit Anteilen der Figur der ›Alice‹ (Lewis Carroll) besticht durch Symbole der Heraldik mit Lilien, Rosen, Kreuzen, Ornamenten, Wappen, Schlüsseln und erinnert an Märchenfiguren wie Schneewittchen oder Dornröschen. Das unschuldige Image hat heute auch ein Gegenstück: Gepaart mit ausgestopften Tieren in Glaskästen, in Kunstharz ausgegossenen Insekten, verwelkten Blüten und entstellten oder misshandelten Puppen zeigt sie in den Mangas von Mitsukazu Mihara die Abgründe der menschlichen Seele.

Mythos Magerkeit und der geschlechtslos wirkende Körper begegnen uns durch die Bevorzugung der Flucht vor der Realität in Fantasiewelten. Es gibt kein aktives Rebellieren, dafür eine betont exzentrische, weiblich konnotierte Art, sich zu kleiden und eine ideale androgyne Körperform zu zeigen. Die Soziologin Waltraud Posch (2009) schreibt:

Seit Ende des 20. Jahrhunderts bezieht sich das Schönheitsideal erstmals nicht auf den bekleideten, sondern auf den nackten Körper. […] Es ist nicht mehr unmodern, die falsche Kleidung zu tragen […]. Aber es ist ein grobes Vergehen, den falschen Körper zu haben […]. Das Sprichwort ›Kleider machen Leute‹ müsste längst ›Körper machen Leute‹ heißen.

Die Symbolik der Erscheinung bei Kindern kann bereits im persönlichen Stil zwischen »Ronja Räubertochter und Lillyfee«, zwischen Neugier und Expansionsbedürfnis oder Zurückhaltung bis zur Anklammerung an Mutter oder Vater schwanken.

Der erste Eindruck löst auch beim Therapeuten Gefühle aus: Spontane Sympathie und Zugewandtheit oder Vorsicht, Distanz oder gar Antipathie? Es dauert nur eine Zehntelsekunde, um einen ersten Eindruck zu gewinnen, weisen Kommunikationsforscher nach (Willis/Todorov, 2006).

Die Motorik eines Patienten ist ebenso im Blickpunkt und lässt Schlüsse über die Koordination, die fein- und grobmotorische Geschicklichkeit und den Antrieb zu. Liegen Stereotype vor, beeindrucken eine Tic-Störung oder die Hyperaktivität des Kindes als Symbole averbaler Kommunikation und als Möglichkeiten für die Abfuhr aggressiver Spannungen? Mimik und Gestik können synchron, aber auch asynchron erfolgen: Der Patient, der traumatische Erfahrungen beschreibt und dabei lächelt und gleichzeitig in die Tonlage des Kleinkindes regrediert.

Welche symbolischen Bilder tauchen neben den nonverbalen und verbalen Botschaften des Patienten und seiner Familie auf?

Kinder und Jugendliche sind abhängig und beeinflussbar von ihren Eltern und wichtigen Bezugspersonen, wie Geschwistern, Pflegepersonen, Erziehern und Lehrern. Als Vorbilder prägen sie modellhaft den Umgang mit den unterschiedlichsten Gefühlen wie Freude und Angst, Zärtlichkeit und liebevolle Geborgenheitserfahrung, Scham und Schuld, Eifersucht und Neid. Sichtbar wird rasch, welche Koalitionen, welche Loyalitäten und Allianzen, auch transgenerativ (»Er ist so stur wie sein Großvater«; »so arrogant wie mein großer Bruder«) als Muster nach innen und nach außen entstanden und projektiv wirksam sind. Ist eine Bezogenheit im Geben und Nehmen spürbar oder übernehmen Einzelne des Systems altruistisch für Andere immer wieder Aufgaben und Verantwortung und erscheinen im Bild des Aschenputtels.

Mütter und Väter können im Erstkontakt authentisch, aber auch maskenhaft erscheinen, sich in einem gefälligen Bild präsentieren oder in einer Haltung des Anspruchs Ablehnung provozieren. Aus therapeutischer Perspektive erhebt sich die Frage nach der symbolischen Aussage. Was reflektiert diese Oberfläche? Was ist das Eigene dieses Kindes aber auch dieser Eltern? Spielen sie im Erstkontakt eine Rolle, die ihnen auch im jeweiligen Beruf Sicherheit gibt?

In Herlinde Koelbls Ausstellung »Kleider machen Leute« (2009) beschreibt die Fotografin, dass bei der Gegenüberstellung der Aufnahmen im beruflichen und privaten Kontext ein Mensch in seiner Uniform (Berufskleidung, Robe, Ornat) jemand anderer ist, als im privaten Stil. Die berufliche Uniform ist wirksam als Symbol – sie gibt Anerkennung, Respekt, Sicherheit, wirkt magisch und stiftet Vertrauen. Blendung durch Kleidung kann wirken.

Dabei wird sichtbar, dass weder der Name noch das Aussehen, weder der Beruf noch die Adresse wirklich eine verlässliche Auskunft über die eigene Identität geben. Ob Banker, Koch, Ärztin, Polizist – in ihren Berufsrollen werden individuelle Lebensaufträge erkennbar. Koelbls Fotografien zeigen die identitätsstiftende Kraft von Uniformen, sie helfen Menschen in scheinbarer Selbstbestimmtheit Selbstwert zu demonstrieren.

Die Kehrseite ist die Teenie-Mama, die im Erstkontakt wie die Zwillingsschwester der jugendlichen Patientin gekleidet vor uns sitzt. »Wir sind Freundinnen.« demonstriert bereits das äußere Bild und zeigt die Vermischung von Generationsgrenzen.