Edmund Edel

Der Skandal im Viktoria-Klub

Der Roman eines Spielers

Inhaltsverzeichnis

Autor

1. Kapitel.

2. Kapitel.

3. Kapitel.

4. Kapitel.

5. Kapitel.

6. Kapitel

7. Kapitel.

8. Kapitel.

9. Kapitel.

10. Kapitel.

11. Kapitel.

12. Kapitel.

13. Kapitel.

14. Kapitel.

15. Kapitel.

16. Kapitel.

17. Kapitel

Autor

Edmund Albert Edel (1863–1934) war ein deutscher Karikaturist, Illustrator, Schriftsteller und Filmregisseur. Er stammte aus einer jüdischen Arztfamilie, die 1864 nach Charlottenburg gezogen war, das damals noch nicht zu Berlin gehörte. Nach einer kaufmännischen Ausbildung versuchte er sich in Paris und München als Künstler. In Paris freundete er sich u. a. mit Toulouse-Lautrec an. Aus dessen Künstlerkreis schöpfte er auch seine Inspirationen zur Plakatmalerei. Über frühe Erfolge als Illustrator und Gebrauchsgrafiker gelangte er Anfang des 20. Jahrhunderts auch zur Schriftstellerei und zum Film. Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 fand sich der bis dahin bekannte und geschätzte Künstler und Autor zunehmend antisemitischen Anfeindung ausgesetzt. Er starb wenige Monate darauf.

1. Kapitel.

Der Generalkonsul frühstückte.

Mit der den alten Junggesellen eigentümlichen Sorgfalt schälte er das Ei, das in einem braunen Fayencebecher steckte, aus der Schale und löffelte es bedächtig.

Dann trank er einen Schluck Tee, aß eine Scheibe blutroten Schinken und griff zur Morgenzeitung.

Die Zigarre bildete den Schlussakkord dieses kleinen lukullischen Auftaktes zur Behaglichkeit des Tages. Eines Tages, wie es ein von den Unbilden der Zeitläufe nicht zu arg berührten Bürgers darstellte.

In die Stille dieser Behaglichkeit, die das sonnenerhellte Speisezimmer erfüllte, trat Werner.

Lässig, etwas im müden schleppenden Ton, sagte er:

»Guten Morgen, Onkel!«

Der Generalkonsul blickte unter dem goldenen Einglas, das seinem alten Bonvivantgesicht eine gewisse Forsche gab, erstaunt und zugleich neugierig auf den Eingetretenen.

»Schon auf oder – noch auf?«

Der Generalkonsul liebte es, den Ernst des Lebens durch einen an richtiger Stelle angebrachten Scherz zu mildern.

Werner setzte sich dem Onkel gegenüber. Der alte Diener Fritz, ein Inventar des Hauses, so abgebraucht wie die Teppiche und Möbel hier in der Villa, aber ebenso gediegen in der Qualität wie diese Gegenstände, legte lautlos ein Gedeck auf und servierte dem jungen Herrn das Frühstück.

»Wie Du willst, Onkel – schon auf – aber auch noch auf. Ich habe wenig geschlafen.«

Der Generalkonsul wusste sofort, um was es sich handelte.

»Natürlich wieder die alte Geschichte?«

Werner holte die Tasse zu sich heran, rückte mit dem Stuhl.

»Also wie viel?« fragte der Onkel.

Werner lächelte verlegen. Nannte eine Summe. Eine starke, kräftige vierstellige Zahl. Der Generalkonsul blickte ihn überrascht an.

»Verspielt? – – Ehrenschulden?«

Werner nickte.

Der Generalkonsul erhob sich brüsk. Trat zu seinem Neffen, legte ihm die Hand auf die Schultern.

»Das geht so nicht weiter, Werner!«

Werner zuckte mit den Schultern.

Der Generalkonsul stieß den Rauch in einer mächtigen Wolke gegen die Decke des Zimmers.

»Ich verstehe Dich nicht – man muss in Deinen Jahren wissen, was man tut – – wenn man überhaupt etwas tut …?«

Dieses Lotterleben dulde er nicht mehr. Er wäre, das wüsste der Neffe, selbst in seinem Leben kein Freund von Traurigkeit gewesen, er hätte alle Dummheiten mitgemacht, die auf der Welt nur möglich waren. Aber schließlich hätte er gearbeitet. Und wäre zu etwas gekommen. Wenn der Mensch an die Dreißig rückt, muss er daran denken, festen Fuß zu fassen. Das Schulden machen wäre kein Beruf für einen Kerl, der Begabung und Intelligenz zeigt. Beim Teufel: das ginge so nicht weiter, wiederholte der Generalkonsul.

Es war eine richtige Moralpredigt. Dabei durchmaß der alte Herr das Zimmer von einem Ende zum andern, saugte an der dicken Zigarre und erfüllte den Raum mit graublauen Rauchwolken.

Werner saß schweigend am Tisch, auf seine Teetasse gebückt.

»Du wirst Dich mit Liddi Leitner verloben – schleunigst, mein Junge! Der alte Kommerzienrat hat neulich in einem Brief an mich wieder angetippt!«

Werner schob die Teetasse mit einer plötzlichen Bewegung zurück und lehnte sich an den Rücken des Sessels. Schaute zu seinem Onkel hinüber, der sich wieder an den Tisch gesetzt. Werner sagte kein Wort.

»Na, das Schlimmste ist das auch nicht, mein Sohn! Das Mädel ist wie eine Puppe, allerhand Hochachtung!«

Der alte Lebemann schnalzte mit der Zunge.

Werner musste ungewollt lächeln.

Der Onkel blitzte ihn unter dem Monokel wie ein lüsternes Teufelchen an.

»… und ein goldenes Püppchen dazu, mein Junge!«

Der alte Leitner wolle seinen Schwiegersohn in den Betrieb mit hineinnehmen. Mitdirektor der großen Leitnerschen Werke zu werden, wäre immerhin wert, in den sauren Apfel der Ehe zu beißen – und dieser saure Apfel sei außerdem zuckersüß …

Der Generalkonsul lachte in lauten Wirbeln über diesen Witz und schlug sich mit der Hand auf den Schenkel, dass es klatschte.

Als Werner keine Anstalten machte, sich zu äußern, sondern vielmehr weiter wie eine Pagode stumm vor ihm saß, sprang der Onkel auf, blieb stehen. Seine Züge verloren den Ausdruck der Milde und überlegenen Weltweisheit, sie wurden hart und entschlossen.

»Entweder oder: Du heiratest und wirst ein anständiges Mitglied der Gesellschaft –!«

Werner wusste, dass das letzte gekommen war. Er kannte seinen Onkel und seine kalte Rücksichtslosigkeit in Geschäftsangelegenheiten. Wenn er einmal einen Entschluss gefasst, eine Sache bis zu einem gewissen Punkt geführt, gab es für ihn kein Zurück mehr. Biegen oder Brechen, das war das Leitmotiv aller Handlungen des Generalkonsul Kunzmann gewesen, der trotz aller Bonhomie und äußeren glatten Umgangsform mit eiserner Willenskraft sein Lebenswerk besorgt hatte.

Werner dachte an die blonde junge Dame, die er im Vorjahre im Hotel Stephanie in Baden-Baden kennen gelernt. Mit der er einen Tanzpreis erstritten, den silbernen Pokal im Tennisturnier erkämpft, im Golfklub in Oos auf den entzückenden Nachmittagstees geflirtet hatte. Ein Flirt, wie so viele andere. Weiter nichts!

Man beneidete ihn um die hübsche Blondine und um den Goldfisch, denn die Düsseldorfer Leitners waren »schwer«, wie sie im »Internationalen« erzählten. Aber Werner dachte über die Affäre nicht weiter nach. Der Internationale Klub und die Iffezheimer Rennen nahmen ihn zu sehr in Anspruch, als dass er diesem Flirt mehr als nötig Rechnung trug. Auch hatte er verteufeltes Pech während der ganzen Zeit und er verwünschte diese Liebelei, die dem Spielglück schon, um das Sprichwort nicht zu entkräften, nicht zum Heil dienen konnte.

Schon vor kurzem hatte der Onkel ihm angedeutet, dass der Kommerzienrat, Liddis Vater und des Generalkonsuls alter Jugendfreund, geschrieben hätte, seine Tochter schiene eine ernste Neigung zu Werner gefasst zu haben.

Die arme junge Dame, dachte Werner. Sie überschätzt mich. Sie hält mich einer Liebe für wert, zu der ich mich in keiner Weise verpflichtet fühle.

Er hatte niemals geliebt. Er pflückte die Frauen, schnell, im Sturm, vorübergehend. Ließ sie wie ausgerupfte Blumen, an deren Farbe und Duft man sich ergötzt, am Boden liegen, schritt über sie hinweg.

Er empfand keine Leidenschaft für die Frauen, kannte die Grundtiefen der Liebe nicht, nippte an der Liebe nur, wie am Sekt, dessen aufsteigende Perlen ihn in flüchtigen Rausch versetzten.

Seine Leidenschaft war das Spiel, Karten und Pferde – – –

Der Generalkonsul hielt seinen Neffen mit festem Blick in Bann. Wie mit einer eisernen Klammer drückte er ihm die Notwendigkeit des Entschlusses aus.

Werner sah keinen Ausweg.

Nervös lächelte sr.

»Die blonde Liddi liebt mich noch immer?« sagte er endlich, wieder mit diesem nachlässig müden Tonfall, der ihm zur Gewohnheit geworden.

»Dann wird mir wohl nicht anderes übrig bleiben«, fuhr er fort.

Über des Generalkonsuls Gesicht streifte ein Sonnenstrahl. Tauchte es in goldenes Flimmern. Fing sich zu einem Blitzlicht in dem runden Einglas.

»Bravo, mein Junge, das ist vernünftig. Ich werde gleich an den alten Leitner telegrafieren – – – Und den Scheck kannst Du Dir nachher im Büro abholen – – Ich hoffe bestimmt, dass es der letzte Scheck sein wird, mit dem Du Spielschulden bezahlen wirst – zukünftiger junger Ehemann und Direktor der Leitnerwerke!!«

Werner stand auf, um seine Lippen zog sich ein leiser Zug von Ironie. Aber er bezwang sich. Er steckte sich eine Zigarette an und versuchte die innerliche Erregung, die ihn gepackt, mit ein paar Zügen Nikotin herunterzuschlucken. Es war ein Ereignis in sein Leben getreten, das aus der glatten Bahn, die er bisher sanft gerutscht war, ein Hindernis darstellte.

Nun wohl, er wollte sehen.

Aus der heutigen Patsche war er wieder heraus.

Das eine Loch konnte er mit des Onkels Scheck wieder zustopfen.

Und die Heirat?

Gott! Er hatte so manchesmal sein Letztes aus eine Karte gesetzt!

Glück? – – Kartenglück? – – Lebensglück? …

2. Kapitel.

Man war in ausgezeichneter Stimmung. Das Diner, vom Direktor des Hotel Adlon für Generalkonsul Kunzmann, den altgewohnten Gast, besonders zusammengestellt, hatte die Erwartungen übertroffen. Aber der Generalkonsul wollte diesem Abend, an dem sein Neffe und Erbe seinen Lieblingswunsch erfüllte, ein persönliches Gepräge geben. Seine Note war das Epikuräertum. Gut Essen und Trinken, ein Lebensideal neben der schweren und verantwortungsvollen Arbeit, die ihn zu großem Vermögen und Ansehen gebracht hatte.

Man trank einen vorzüglichen Grand Marnier1 – zur Verdauung von dem »ganzen Zeug«, wie der Generalkonsul sagte und Fräulein Liddi Leitner lachte wie ein Wasserfall, der in glucksenden Kaskaden von der Höhe kullerte.

»Wie ein Wasserfall – – ja« meinte Werner »oder wie eine verliebte Nachtigall im Busch … gerade so klingt Dein Lachen, Liddi.«

»Gott, wie poetisch!« hänselte ihn Liddi. »Das hast Du doch jetzt nicht mehr nötig, wo wir nun ehrsam Braut und Bräutigam sind, Werner! Das hätte Dir beim Flirten einfallen müssen, damals, als Du noch keine sogenannten reellen Absichten hattest …«

Mit ihrem breiten melodisch ausklingenden rheinischen Akzent schien sie eine Atmosphäre von sorgloser Fröhlichkeit um sich herum zu zaubern. Ein gewandtes Menschenkind, gerecht in allen Sätteln gesellschaftlicher Kunst, nicht auf den Kopf gefallen, gescheit und schlagfertig. Sie liebte Werner mit der Leidenschaft, die junge Mädchen aus guter Familie für den ersten, der aus dem Instrument ihrer Seele leise Akkorde anzuschlagen versteht, eben lieben. Sie glauben, dass dieser erste der letzte sein würde, und dass damit das männliche Ideal erschöpft bliebe.

Liddi blickte aus munteren graublauen Augen in die Welt wohlgesitteter Kulturmöglichkeiten, sie war, unter normalen Ansprüchen, ein schönes Mädchen mit schlanken Hüften, etwas zur Fülle neigender Büste und prachtvollem, goldblondem Haar.

Die beiden alten Herren am Tisch machten abwechselnd der jungen Dame den Hof. Sodass selbst Werner, der frischgebackene Bräutigam, einen schweren Stand hatte, seiner Galanterie den richtigen Ausdruck zu verleihen. Es war beinahe komisch, wie der Papa Kommerzienrat seine Tochter, die einzige Gefährtin nach dem Tode seiner Frau, nicht wie ein Kind, sondern wie eine verehrungswürdige junge Dame behandelte, der man jeden Wunsch und jede Laune von den Augen abzulesen sich beeilt. Dabei behandelte Liddi den armen Papa mit souveränem Übermut, den der gute Kommerzienrat, in seinem Großbetrieb ein strenger Lenker von vielen tausend Arbeiterschicksalen, mit Geduld ertrug. Der Generalkonsul aber war ganz aus dem Häuschen. Er hatte Liddi mit kostbaren Geschenken überschüttet und die beiden Tage, seitdem sie mit ihrem Vater in Berlin weilten, zu wahren Stunden des Glückes gemacht.

Werner, nachdem er einmal die Notwendigkeit eingesehen, hatte sich von Liddis Lebensfreude, von ihrer zügellosen Lust nach der Schönheit, von ihrem Hunger nach Sensation und Abwechselung mitreißen lassen. Wie in einem Mahlstrom wurde er willenlos umhergeschleudert durch Liddis sprudelndes Temperament. Manchmal glaubte er sogar, dass er sie liebte. Jedenfalls war sie ihm nicht unsympathisch und das versüßte ihm immerhin die bittere Pille, die ihm die Aufgabe seiner Freiheit bedeutete.

»… es bleibt ein angebrochener Nachmittag …« sagte der Generalkonsul, »man müsste noch irgendetwas unternehmen?«

Zum Theater war es zu spät. Also wollte man eine Bar aufsuchen.

»Ach ja, Musik und Tanz!«

Liddi warf die Zigarette auf den Teller und klatschte in die Hände, wie ein kleines Kind, das mit diesem Händeklatschen seine Freude ausdrücken will.

»Das habe ich mir schon längst einmal gewünscht, so ganz nahe diese Nachtbummelei mitanzusehen – – so ganz nahe dem Sündenfall!«

Sie zeigte ein Spitzbubengesicht, als wenn sie sich über die drei Herren lustig machen wollte.

»Eigentlich müsstest Du damit warten, bis Du verheiratest bist« warnte der Generalkonsul.

»Wie altmodisch, Onkel Kunzmann!«

Liddi zuckte mitleidig mit ihren schönen Schultern, die perlmuttersilbern unter dem elektrischen Licht schillerten.

Sie erhob sich und den Herren blieb nichts anderes übrig, als ihrer Tyrannin zu folgen.

Das Auto brachte sie hinaus auf den Kurfürstendamm. In der Diele der Kabarettbar drängten sich die Menschen Tisch an Tisch. Der Sekt perlte in den Gläsern und die dickbäuchigen Flaschen guckten wie schelmische Kobolde mit ihren roten, goldenen und silbernen Köpfen aus den Kübeln. In den Korbsesseln saßen elegante Herren im Abendanzug, junge und verlebte alte Frauen in kunstvollen Haarfrisuren, in faltenreichen seidenen Kleidern, die den Oberkörper fast nackt dem Beschauer darboten, lehnten sich in weichen Kissen zurück, blickten mit kalten, weltgewöhnten Augen um sich oder ließen diese Augen, hinter denen sie das Intrigenspiel ihrer Seele verbargen, für kurze Augenblicke diese Seele verraten, wenn sie wie Schlangen das Opfer einer neuen Begierde erspähten.

Ein Musikorchester schien einen betäubenden Lärm hervorzubringen. Es schien so dem Neuankommenden. Auch Liddi mit ihren Herren dröhnte die Musik in die Ohren, als sie in den Raum traten. Das Cymbal klimperte im höchsten Falsett und der Primgeiger wimmerte wie eine Katze, der man die Liebesgefühle durch unvorsichtiges Betreten ihres Schwanzes vergällt.