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Umschlaggestaltung: Michael Beautemps

Bildnachweis: Adobe Stock, Annkatrin Rymell

1. Auflage 2019

ISBN (E-Book): 978-3-8280-3496-9

Printed in Germany

Fällt ein Frosch in ein Glas mit Milch, hat er genau zwei Möglichkeiten: Er nimmt dieses Schicksal an, bleibt sitzen, jammert noch ein bisschen und stirbt.

Oder er fängt an zu strampeln und strampelt so lange, bis aus der Milch Butter wird und er oben auf dem Berg Butter sitzt und in die Welt lächelt.

Geschafft.

Diese zweite Möglichkeit kann ich nur empfehlen, sie wirkt.

Genau das habe ich gemacht.

Geboren wurde ich im Sommer 1947.

Meine Mutter hat alles versucht, um mich abzutreiben.

Diesen ganzen Ablauf hat mir später meine Tante erzählt.

Im Mutterleib hab ich schon um mein Leben kämpfen müssen.

Meine Mutter hat mir ständig vorgeworfen: „Dass ich dich auch noch kriegen musste!“

Mit meinen Schwestern Hedi und Marga sowie unserem Hund Rex bin ich auf unserem Bauernhof aufgewachsen.

Hedi, die Älteste, war der Liebling meiner Mutter.

Sie wurde von klein auf bevorzugt und verhätschelt.

Marga und ich litten bis zum Tod unserer Mutter unter dieser Situation.

Unser Bauernhof wurde in zweiter Generation von meinen Eltern bewirtschaftet.

Sie haben den verschuldeten Hof von meiner Oma übernommen, nachdem sich mein Opa, der sehr dem Schnaps zugetan war, erhängt hatte.

Das passierte alles kurz vor meiner Geburt.

Meine Oma stand nach dem Tod ihres Mannes mittellos da.

Sie durfte auf dem Hof bleiben, musste ihn aber mit bewirtschaften.

Sie war es auch, die uns Kinder aufgezogen hat.

Besonders Marga, die Zweitälteste, hing an ihr.

Sie wich ihr oft nicht von der Seite und hing immer an ihrem Schürzenzipfel.

Leider wurde sie schwer krank.

Ich kann mich nur noch erinnern, dass ihre Fingerspitzen immer mit weißem Mull umwickelt waren.

Als ich zwei Jahre alt war, starb sie an Magenkrebs.

Für meine Schwestern brach eine Welt zusammen.

Die Person, die sie liebevoll umsorgt hatte, war nicht mehr da.

Marga litt besonders stark, da sie ein sehr inniges Verhältnis zu ihr hatte.

Sie ist nach dem Tod der Oma jeden Tag zum Friedhof gegangen, hat ihr alles erzählt und ihren ganzen Kummer dort gelassen.

Marga hat mir später erzählt, dass sie nichts mehr essen konnte und nachts viel geweint hat.

Verständnis von unseren Eltern hat sie nicht bekommen.

Im Gegenteil, sie wurde nur angeschnauzt, es sei jetzt genug, sie solle sich nicht so anstellen, das Leben sei halt so.

Marga erzählte mir auch, dass die Oma sie beim Essen immer mit ihrem Stück Butter versorgt hat, damit sie zu Kräften kommen würde.

Wir Kinder bekamen das nämlich nicht.

Wir waren so arm, dass wir nur das Nötigste zum Essen hatten.

In den Nachkriegsjahren war die Versorgung ja überall schwierig, aber bei uns herrschte immer akuter Geldmangel, sodass es an allem fehlte.

Im Garten wurden das Gemüse und die Kartoffeln angebaut.

Im Herbst wurde ein Schwein geschlachtet und verwurstet.

Allerdings bekamen wir Kinder nur sehr selten davon etwas ab.

Das ging immer alles an meinen Vater.

Durch die Geldnot gab es bei meinen Eltern sehr häufig heftige Streitereien.

Meine Mutter bekam von meinem Vater oft einen Tritt in den Allerwertesten oder eine Ohrfeige.

Mein Zimmer lag vor dem Elternschlafzimmer, dadurch bekam ich die Streitereien hautnah mit.

Mein Vater beschimpfte meine Mutter häufig auf das Übelste und schrie sie an.

Nach solchen Streitereien lief meine Mutter weinend durch mein Zimmer, die Treppe hinunter in die Küche zum Küchenschrank.

Dort wurden die Medikamente aufbewahrt.

Ich bin immer heulend hinter ihr hergelaufen.

Sie stand dann in der Küche und schrie nur: „Ich bring mich um.“

Die Tabletten habe ich ihr dann aus der Hand gerissen und sie im Flur in einem Bottich versteckt.

Flehend habe ich vor ihr gehockt und bitterlich geweint, bis sie endlich wieder zu sich kam und vernünftig wurde.

Als Kind war das für mich eine mehr als unerträgliche Situation.

Ich lebte ständig in der Angst, nach der Oma auch noch meine Mutter zu verlieren.

Nach einer solchen Nacht ging ich dann am nächsten Morgen mit verheulten Augen in die Schule.

Oft haben die Mitschüler und Lehrer gefragt, warum ich geweint hätte.

Ich hab es dann auf den Schulweg geschoben, auf den Wind oder die Kälte und damit meine roten Augen erklärt.

Wie oft habe ich mir Liebe und Frieden in unserer Familie gewünscht.

Die Oma war nicht mehr da, mir blieb als Zuflucht nur die Liebe zu den Tieren, hier bekam ich die Wärme, die ich von meinen Eltern nicht bekam.

Wir hatten einen Rauchfang auf dem Speicher, in den nach dem Schlachten der Schinken und die Wurst aufgehängt wurden.

Dahin jagte mein Vater meine Mutter und schrie: „Häng dich endlich hier auf.“

Ich bin dann hinterher, hab meine Mutter an ihrem weißen Nachthemd so lange gezogen, bis sie sich auf einen Hocker setzte.

Meinen Vater habe ich dann mit Blicken getötet und ich weiß noch genau, wie ich ihn bespuckt habe.

Als Kind war das meine einzige Waffe.

Danach hat er sich schnaufend entfernt.

Ein anderes Mal kam der Hauklotz mit dem Hackbeil drauf, in die Furdell (Flur zwischen Kuhstall und Küche) und mein Vater stand da – so was von bösartig – und schrie meine Mutter an: „Ich schlag dir jetzt den Kopf ab.“

Erneut hat dann meine Mutter so viele Tabletten genommen, dass sie im Loch (so hieß die Wiese) bewusstlos in einem Steinhaufen lag.

Hätte unsere Nachbarin sie nicht zufällig gefunden, wäre sie gestorben.

Im Krankenhaus bekam sie dann den Magen ausgepumpt.

Meine Mutter ist trotzdem meinem Vater immer wieder in den Hintern gekrochen.

Er bekam bei jedem Essen immer das größte Stück Fleisch oder zwei Würstchen.

Wir Kinder bekamen Gemüse mit Kartoffeln.

Nachmittags ging er im Flur an den Vorratsschrank, holte sich eine Dose Fisch heraus und belegte sich damit sein Brot.

Ich bekam eine zusammengeklappte Scheibe Schwarzbrot mit Zucker, ohne Butter!

Im Küchenschrank hatten wir eine große Tasse mit Kleingeld.

Daraus klaute ich heimlich die Pfennige und kaufte mir im Nachbarort ab und zu ein Brötchen.

Die Streitereien hörten bei uns nie auf.

Einmal ging es darum, dass ein neuer Weidezaun gekauft werden musste.

Doch wie immer fehlte das Geld.

Daraufhin wurde mein Vater so aggressiv, dass er uns alle aus dem Haus warf.

Meine Mutter sagte zu uns: „Wir gehen zur Tante.“

Der Weg führte durchs Tal an einem Teich vorbei.

Sie ging mit uns bis zum Rand des Teiches, stellte uns nebeneinander und sagte, wir sollten hineinspringen.

Daraufhin hat meine älteste Schwester fürchterlich geschrien und uns weggezogen.

Zitternd liefen wir zum Wegrand und eilten so schnell wir konnten zu meiner Tante.

Meine Schwester erzählte ihr den Vorfall, daraufhin wollte unsere Tante dann die Polizei rufen, um meiner Mutter mal einen Schock zu versetzen.

Unsere Tante hat uns drei dann in Decken gehüllt, eine Suppe gekocht und wir haben die Nacht dann auch bei ihr geschlafen.

Meine Mutter ging wie immer zu meinem Vater zurück und kroch unter seine Bettdecke.

Wie oft habe ich als Kind die Versöhnungen mit anhören müssen.

Abstoßend und eklig fand ich es, wenn ich mir als Kind abends das Gestöhne anhören musste.

Meine Mutter wurde tagsüber von meinem Vater mit der Heugabel attackiert und abends hatte sie dann Sex mit ihm.

Für mich als Kind unverständlich.

Ich kann mich noch gut an folgende Situation erinnern: Ich hatte die Grippe und meine Nase lief fürchterlich.

Die Taschentücher lagen in der Kommode im Elternschlafzimmer.

Ich öffnete die Tür und sah, wie mein Vater auf meiner Mutter lag und abartig stöhnte.

Völlig geschockt ging ich in mein Bett und weinte fürchterlich, habe dann mein Nachthemd als Taschentuch benutzt.

Für nichts in der Welt wäre ich da noch einmal reingegangen.

***

Mit sechs Jahren wurde ich zusammen mit meinen Freunden Peter, Dieter und Melanie eingeschult.

Auf dem Dorfplatz trafen wir uns zur Einschulung.

Meine Freunde standen mit wunderschönen Schultüten dort.

Ich hatte eine Zwiebacktüte der Marke Brandt, bei der der Boden mit Heu gefüllt war und obendrauf etwas Süßes lag.

Für mehr hat auch hier das Geld bei uns nicht gereicht.

Ich stellte mich sofort hinter die drei, da ich mich für diese Schultüte so sehr schämte.

Tränen kamen mir in die Augen, die ich dann schnell wegwischte.

Doch meine Freundin merkte, wie traurig ich war.

Sie nahm ein Klebeherzchen von ihrer Tüte und klebte es auf meine Zwiebacktüte.

Ich bin gerne zur Schule gegangen und habe mit großem Eifer gelernt.

Meine Gedanken waren immer: Wenn ich was lerne, werde ich ein besseres Leben haben.

Dieser Gedanke trieb mich immer wieder an, wenn ich mutlos oder verzagt war.

Jeden Mittag, wenn ich aus der Schule kam, musste ich auf dem Dorfplatz die Milchkanne mit der Nr. 402 abholen.

Morgens kam der Milchwagen und brachte die Milch zur Genossenschaft.

Es wurde dann pro Liter Milch ein gewisser Betrag bezahlt.

Bevor die Milch in die Kanne kam, wurde ein Sieb oben auf den Rand eingehängt und ein Seihtuch eingelegt, um den Schmand von der Milch zu trennen.

Für viele war das eine Köstlichkeit; wenn ich es hätte trinken müssen, so hätte ich mich vor Ekel übergeben.

Nachdem ich gegessen hatte und meine Schulaufgaben erledigt hatte, musste ich Kühe hüten.

Das Geld für den Weidezaun war immer noch nicht vorhanden und wir litten weiterhin unter Geldnot.

Die Kühe wurden von mir auf die Wiese im Stockholz getrieben, so hieß der Ort.

Diese Wiese war von dicken Tannen umgeben, an denen sich der Wald anschloss.

Im Herbst, wenn die Dämmerung kam, war es sehr gruselig und ich habe mich oft gefürchtet.

Zwar waren mir Tiere aus Feld und Wald bekannt, aber mit einsetzender Dämmerung kamen die unheimlichsten Geräusche aus dem Gebüsch.

Hinter jedem Baum vermutete ich ein wildes Tier.

Aber auf meine Ängste haben meine Eltern keine Rücksicht genommen.

Ich wurde nur ausgelacht.

Trotz zunehmenden Alters ließen die Ängste aber leider nicht nach.

Bis zum Ende meiner Schulzeit musste ich immer wieder die Kühe hüten.

Meine Freunde trafen sich nachmittags oft zum Schwimmen oder zum Sport, aber immer ohne mich.

Ich habe früh gelernt, selbstständig zu werden und Gefühle wie Sehnsucht nach den Eltern, Verlassenheit und Einsamkeit nicht zum Ausdruck zu bringen.

Im Frühjahr und Sommer war es auf der Wiese und im Wald allerdings sehr schön.

Es floss ein Bach durch die Wiese, in dem sich viele Frösche tummelten.

Gespielt und gezankt habe ich mit ihnen und manchmal habe ich meinen Frust an ihnen ausgelassen und sie gequält.

Das tut mir heute noch sehr leid.

Es wurden aber meine liebsten Weggefährten.

Sie gaben keine Widerworte und konnten mir auch keine runterhauen.

Ebenso habe ich die Kaninchen, Rehe, Hasen und auch die Vögel geliebt.

Sie waren sehr zutraulich und liefen nicht fort, wenn ich kam.

Ich hatte oft den Eindruck, sie kannten mich und wussten, dass von mir keine Gefahr ausging.

Aufregend war es auch, wenn im Frühjahr die Wildschweine mit ihren Frischlingen durch den Wald liefen.

Es war ein unbeschreiblich schönes Erlebnis.

Allerdings musste ich immer aufpassen, dass sie mich nicht bemerkten.

Das Gefährlichste ist nun einmal eine aufgebrachte Wildschweinmutter.

Im Wald hatte ich mir eine Bude gebaut, wo ich mich bei schlechtem Wetter aufhalten konnte.

Das war mein geliebter Zufluchtsort.

Hier habe ich oft von einem besseren Leben geträumt und mir ausgemalt, wie es sein könnte, wenn wir doch endlich etwas Geld hätten.

Abends durfte ich dann mit den Kühen nach Hause kommen, es war dann Zeit, dass sie gemolken wurden.

Dann kam der Tag, an dem ich das Melken lernen sollte.

Meine Mutter stellte mir den Melkschemel vor das Euter der Kuh.

Ich saß noch nicht ganz auf dem Melkschemel, da schlug die Kuh den Schwanz durch mein Gesicht und trat mit dem Hinterfuß so gegen den Melkeimer, dass dieser durch den Kuhstall rollte.

Entsetzt sprang ich auf.

Diese Attacke hat dafür gesorgt, dass ich das Melken nicht lernen musste.

Manchmal muss man auch Glück haben.

Wenn eine Kuh tragend war und sich die Geburt ankündigte, wurden die Männer aus der Nachbarschaft gerufen.

Diese bekamen kleine Stricke mit Schlaufe, die das Kälbchen dann um die Hinterbeine bekam und dann damit aus dem Mutterleib herausgezogen wurde.

Nachdem es geboren war, leckte es die Mutter mit ihrem Speichel sauber.