Otto W. Bringer

Das Rätsel Frau

Nur – weil sie anders ist?

Imprint

Das Rätsel Frau
Otto W. Bringer

Published by: epubli GmbH, Berlin
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Titelgestaltung und Fotos vom Autor

E-Book Konvertierung:
sabine abels www.e-book-erstellung.de

Inhaltsverzeichnis

Geständnis des Autors

Zuerst war der Mann

Die aus der Rippe kam

In biblischen Zeiten

Als Hure verdächtigt, Kaiserin geworden

Visionärin mit praktischem Verstand

Neunzehnjährige befreit das Land

Das rätselhafteste Portrait, eo ipso

„Ich bin die Mode“

Opfer eines Patriarchen

Sie malte sich tot und lebendig

Frau erobert Männer-Domäne

Der Mann im Nebenzimmer

Lobby für ledige Frauen

Bis dass der Tod euch scheidet

Neue Männer braucht das Land

Alice, Alice!

Quintessenz

Handschrift des 10. Jahrhunderts.
Im Archiv der Kathedrale von Gerona, Katalonien.

Eva reicht Adam die verbotene Frucht.
Gemälde eines unbekannten Meisters um 1300, Uffizien, Florenz, Italien

Sara, Erzmutter Israels genannt. Als Frau Abrahams gebar sie Isaak, den Stammvater der Juden.
Im Bild eine Israelitin aus Kanaan.

In biblischen Zeiten

Also vor ca. 4000 Jahren, war es Aufgabe der Frau, sich um Haushalt und Familie zu kümmern. Gesellschaftliche Normalität noch bis weit ins zwanzigste Jahrhundert. Frau rechtlich und sozial weitgehend abhängig vom Mann.

Aus heutiger Sicht damals eine katastrophale Lage für Frauen. Sie waren den Männern der Familie ausgeliefert. Nicht nur dem Ehemann. Eine Frau musste möglichst viele Kinder gebären. Bekam sie keine, konnte ihr Mann sie verstoßen. Oder sich scheiden lassen. Was Frau nicht durfte. Ein Mann konnte mehrere Frauen haben, die Frau nur einen einzigen. Sie gehörte ihrem Mann wie andere materielle Güter der Familie ihres Mannes. Er konnte mit ihr machen, was er wollte. Brüder, Schwäger nutzten sie aus im Alltag.

Es ist anzunehmen, dass in den meisten Ländern des alten Europas vergleichbare Zustände herrschten. In islamisch geprägten ganz sicher.

Kleisthenes, ein griechischer Politiker gründete die erste taugliche Demokratie. Schon 500 vor der Zeitrechnung. Aber Frauen durften nicht wählen. Waren Dienerinnen ihres Mannes, Kyros = Herr genannt. Hohepriesterinnen die Ausnahme. Dienten den Göttern in Tempeln. Ermahnten Könige, Gesetze zu ändern. Krieg zu führen oder Frieden zu schaffen. Solche Frauen hatten Macht, die Männer für göttlich hielten. Sie verehrten, um nicht von den Göttern bestraft zu werden.

In biblischen Zeiten hatten nur sehr wenige Frauen einen Beruf. Hebamme zum Beispiel. Gut vorstellbar, dass ihnen niemand dreinredete. Kinder waren die Zukunft des Volkes und Sicherheit fürs Alter. Mit der Botschaft „Du hast einen Sohn bekommen“ erhielten sie vom Erzeuger alles, was sie sich wünschten. Setzten es geschickt ein und wurden vermögend. Knaben waren den Vätern alles wert. Ob sie gemerkt haben, dass sie „manipuliert“ wurden?

Zur Zeit Jesu schien es besser zu laufen für Frauen. Konnten Besitztümer erwerben und Geschäfte machen. Brauchten aber vor Gericht einen Vormund, um Verträge zu bestätigen. Oder 10000 Schekel zu investieren. Emanzipierte Frauen von heute schütteln den Kopf, wenn sie davon hören oder lesen und gehen zur Tagesordnung über. Immerhin waren diese Frauen bereits ein Stück weiter als die Mehrheit.

Dass sie dabei weibliche Taktiken einsetzten, ist anzunehmen. Taktiken, die Männern nicht geläufig waren. Weil sie anders fühlten, sich die falschen Gedanken machten. Heute nicht anders bei den meisten Männern. Lassen das Rätsel Frau im Hinterkopf, wollen sich mit Problemen die Laune nicht verderben lassen. Tun Frau jeden Gefallen, jeden. Um verschont zu bleiben von Jammern, Forderungen, Erwartungen. Schon in der Bibel liest man von starken Frauen. Die selbstbewusst auftraten, Mann und Gesinde beherrschten. Pures Matriarchat. Da ist z.B. Sara, die Frau Abrahams und Hagar, ihre Dienerin. Sara, schon hochbetagt, konnte keine Kinder bekommen. Schlägt ihrem Mann vor, Hagar zu schwängern. Um die Nachkommenschaft zu sichern.

Der Deal gelang, Hagar gebar einen Sohn, Set. Der schlug aus der Art und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Sara war trotzdem neidisch auf die Jüngere. Verjagte sie in die Wüste. Eine Quelle bewahrte Hagar vor dem Verdursten. Folgte dem Ratschlag eines Engels: „Kehre zurück, demütige dich und tue, was Sara dir sagt.“ Hagar brachte Sohn Ismael zur Welt, als Abraham 88 Jahre alt war.

Auch Sara wurde ein Sohn prophezeit. Obwohl sie zu alt war für eine Geburt, bereitete sie sich darauf vor. Aß gesundes Obst, betete jede Stunde und absolvierte den täglichen Bauchtanz. Schwangerschaftsgymnastik im Orient. Isaak ward ihr verheißen und geboren. Gilt als der Stammvater des jüdischen Volkes. Ismael Stammvater aller arabischen Völker. Alles nur Männer. Zum Schein? Viele ihrer Frauen zogen die Strippen. Waren es Wunder oder bewundernswerte Eigenschaften, die sie dazu befähigten? Rätselhaft?

Heute glaubt niemand mehr an solche Wunder. Obwohl sechzigjährige Frauen schwanger werden. Ist es ihre Natur? Oder ein verborgender Trick? Man nimmt es hin und feiert den Ausnahmefall in Zeitungen und Fernsehen. Des Herrn Wege sind unerforschlich, so die Kirche. Und meint die Frauen. Weil sie Ämter wollen, um mehr Gutes tun zu können. Zahlreiche Frauen in der Geschichte besaßen quasi den Ruf von Priestern. Taten Gutes, haben die Menschheit weitergebracht. In fortschrittlichem Denken und sozialem Handeln. Mutter Theresa, das klassische Beispiel in heutiger Zeit.

Der Mann muss sie nicht verstehen. Respektieren wäre schon viel. Als die, die sie waren und sind. Das Rätsel Rätsel sein lassen. Und sich den Frauen von heute zuwenden. Es gibt genug Aufgaben und Probleme, die Mann und Frau nur gemeinsam lösen können. Ärger in Verständnis, Egoismus in Zuwendung, Gleichgültigkeit in Anteilnahme zu verwandeln. Auch wenn es nur punktuell geschehen kann. In der Familie zum Beispiel. Am Arbeitsplatz. Zehn Minuten lang am Tag wären schon viel für den Anfang.

Ein letztes Mal zurück ins Alte Testament. Da ist Debora, eine Frau, die sich gegen tradierte Verhaltensnormen wehrte und das Richteramt studierte. Begabt und weise in ihren Urteilen, wie es Männer in solchen Positionen selten sind. Wägen mehr als sie wagen. Als Tyrann Jabin von Hazur, der zwanzig Jahre Kanaan unterdrückt und ausgeraubt hatte, Schwäche zeigte, bewies Debora Stärke. Überzeugte den israelitischen Feldherrn Barak, einen Aufstand zu wagen. Zog mit ihm in den Krieg. Die Israeliten gewannen die Schlacht und ihre eigene Zukunft. Frau kann auch Mann sein. Manche Männer akzeptieren es dankbar.

Hildegard von Bingen empfängt göttliche Inspiration.
Miniatur im Rupertsberger Kodex. Um 1200.

Visionärin mit praktischem Verstand

Nicht dass Sie zu der Ansicht gelangen, nur Heilige seien Frauen, über die zu schreiben lohnt. Wenn ich hier über eine Heilige spreche, hat es einen triftigen Grund. Hildegard von Bingen war anders als die meisten Frauen ihrer Zeit. Gerade weil sie eine Frau war. In einer Person Nonne und Frau von Welt. Obwohl ihr Zuhause im Jenseits lag. Rätselhaft genug, denkt man.

Noch rätselhafter, wenn man liest, sie hätte seherische Fähigkeiten gehabt. Damals geglaubt, heute von höchster kirchlicher Instanz bestätigt. Benedict XVI. ernannte sie 2012 zur Kirchenlehrerin. Gleich wichtig wie Augustinus. Bei beiden sind es ihre Bekenntnisse, die sie berühmt machten. Vorbild und Ratschläge für ein menschenwürdiges und gottgefälliges Leben. Beim Mann – wie kann es anders sein – aus der Vermessung dieser Welt und Jenseitsspekulationen resümiert. Hildegard hatte Visionen. Solange Rätsel, bis sie Wirklichkeit wurden. In den Herzen der Menschen.

Begegnungen im Virtuellen, sagt man heute. Sie sah Gott, die Gottesmutter Maria. Lauschte ihren Stimmen und verinnerlichte es. Heute begegnet man im Virtuellen Seinesgleichen per Selfie. Vergisst sie sofort, weil neue Selfies da sind. Neue Explorationen der Selbstgefälligkeit.

Hildegard sah nicht nur, sie hörte Stimmen, die sie ängstigten im ersten Augenblick. Glücklich letzten Endes. Worte von Engeln, Worte des Herrn, den sie ihren Bräutigam nannte. Ihm zuhörte mit zitterndem Herzen. Schrieb alles wortgetreu auf, um allen Menschen neue Hoffnung zu geben. Fleißig mit Tinte und Gänsekiel wie Bücherschreiber in Klöstern. Deklarierte es bescheiden als Wort Gottes. Predigte das, was sie sah und hörte. Glanz und Glorie, Stimmen, Musik. Interpretierte es mit den Erfahrungen einer lebensklugen Frau. Ihre Liebe zur gesamten Schöpfung war spürbar. Auch Kaiser Barbarossa holte sich bei ihr Rat.

Nur ihre Bischöfe protestierten gegen die Veröffentlichung solchen Teufelswerks. Beschwerten sich bei Papst Eugen III. Der gab sie nach kurzer Prüfung zur Veröffentlichung frei. Ihre Art, die Welt zu betrachten war ihm sympathisch. Meditativ statt rational. Dieser Mann muss weibliche Gene gehabt haben.

So sehr Hildegard sich als Geschöpf Gottes zurücknahm, so konkret arbeitete und entschied sie als Managerin ihres Klosters. Warb in Gesprächen, mit der Modernisierung des Klosterlebens neue Mitgliederinnen an. Drei Mahlzeiten statt zwei bisher. Neben Gemüse und Obst auch Fisch und Fleisch. Was bis dato Benediktinische Regeln untersagten. Kürzere Gebetszeiten. Sinnvolle Beschäftigung im Klostergarten. Kurz nach ihrem Profess – Gelübde - als Äbtissin- vertrat sie den inhaftierten Erzbischof von Mainz. Beispiellose Karriere einer Frau im 12. Jahrhundert.

Auf dem Gebiet der Pflanzenkunde forschte sie ihr Leben lang. Ließ im Klostergarten vielfältige Gemüse- und Obstsorten anbauen. Säte, pflegte und erntete in ihrer freien Zeit. Kontrollierte die Resultate nach Verzehr und Verdauung bei Nonnen und Dorfbewohnern. Registrierte Wohlgefühl und Spannkraft, Beschwerden in Leib und Gedärm, Müdigkeit? Zog die Konsequenzen. Änderte den Speiseplan. Erkannte, Ernährung und Gesundheit, Krankheit, Körperlichkeit und Sexualität gehören zusammen, bedingen einander.

In ihrem Buch „Physica“ schrieb sie Regeln gesunder Lebensführung auf. Der Historiker Bergemeister hält ihre Resultate für bedeutungslos. Hippokrates hätte schon 1300 Jahre zuvor Rezepte zur gesunden Ernährung veröffentlicht.

Neurologen unterstellen, ihre Visionen seien Ausgeburten fiebernder Fantasie. Migräneanfälle als Folge von Lichterscheinungen. Andere Experten interpretieren Hildegards Visionen als Scoton. Gefäßverschluss in Nervenzellen. Der halluzinatorische Lichtphänomene hervorrufe. Zu solchen Schlüssen können nur Männer kommen. Formeln und Vorurteile im Kopf und nichts sonst.

Interessant also zu beobachten, zu welchen Resultaten außergewöhnliche Eigenschaften einer Frau bei Männern führt. Verunsichern den, der glaubt sicher zu sein. Sodass er das Rätsel, das Unverstandene ignoriert. Oder eine Formel daraus bastelt, die er versteht. Der Historiker mit seiner Kenntnis von Namen und Daten. Der Neurologe mit dem, was er bis dato untersucht hat. Mit Röntgen, Kernspinn und anderen Tomographen. Nur materielles. Immaterielles überlassen sie den Frauen. Sollen sie sehen wie sie zurechtkommen. Lange verstorbene sowieso.

Das Kapitel Hildegard von Bingen soll nicht geschlossen werden, bevor von ihrem musikalischen Talent, ihrer Kunst des Büchermachens die Rede ist. Sie verfasste Texte und komponierte die Musik dazu. Spielte selbst auf Leier oder zitterähnlichem Hackbrett. Wie Abbildungen in Miniaturen zeigen. Neue Töne waren es. Hinreißende, bewegte und bewegende Gesänge. Mehrstimmig und doch transparent in der Stimmführung. Revolutionäres Neuland gegenüber bis her üblichem eintönigem Gregorianischen Singsang. Lange vor Monteverdi und Bach.

Ihr Hauptwerk „Scivias“ ist seit dem zweiten Weltkrieg verschollen. Mit ihm aber nicht ihre Ratschläge für ein menschenwürdiges und gottgefälliges Leben. Eine originalgetreu reproduzierte illustrierte Kopie von 1939 ist erhalten und in der Abtei Hildegard in Eibingen zu besichtigen. In Auszügen käuflich zu erwerben. Beispiel für zauberhaft schöne Buchmalerei des zwölften Jahrhunderts. Es trägt die Handschrift Hildegards. Kein Wunder, dass Mann das Weite sucht.

Gehe ich weiter durch die Jahrhunderte, fällt mir eine Frau des 15. Jahrhunderts ein. Oder ist es ein Mädchen? In allen Schulbüchern lebendig. In Theaterstücken und Opern. Auf aberhundert Gemälden, Kupferstichen. Im bronzenen Denkmal:

Mona Lisa von Leonardo da Vinci, gemalt ca. 1503-1506. Musée du Louvre Paris.

Gabrielle, genannt Coco, Chanel, französische Mode-Designerin und Unternehmerin von internationalem Ruf, 1883 geboren in Saumur an der Loire, Frankreich. Gestorben 1977.

„Ich bin die Mode“

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