Geschichte der USA

Inhalt

Vorwort

Vor 25 Jahren von Jürgen Heideking begründet, ist die Geschichte der USA nach dessen völlig unerwartetem Tod von dem Münchner Historiker Christof Mauch betreut worden. Während der letzten 20 Jahre hat Christof Mauch den Band im Rahmen von Neuauflagen kritisch durchgesehen, aktualisiert, ergänzt, mit Illustrationen und Tabellen versehen, mehrfach aber auch gekürzt, um den Umfang in Grenzen zu halten. Mit der neuen Auflage, ab der Präsidentschaft von Donald Trump, übernimmt die Historikerin Anke Ortlepp die Geschichte der USA. Damit wird die Betreuung des Bandes in einer Art Stafettenlauf von einer HistorikerInnen-Generation zur nächsten weitergegeben: Christof Mauch hatte bei Jürgen Heideking in Köln habilitiert, Anke Ortlepp bei Christof Mauch in München, und seit einigen Jahren hat Anke Ortlepp den ehemaligen Lehrstuhl von Jürgen Heideking in Köln inne.

Die Durchsicht des Textes haben Christof Mauch und Anke Ortlepp gemeinsam vorgenommen. Das Kapitel zum ersten afroamerikanischen Präsidenten Barack Obama und dessen historischer Bewertung stammt von Christof Mauch, das neue Kapitel zur Präsidentschaft von Donald Trump und die kommentierte Bibliographie, die neben aktueller Literatur auch Klassiker enthält, von Anke Ortlepp. Wie in früheren Auflagen wurden auch einige Kürzungen vorgenommen, vor allem in den Kapiteln zum ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert.

Im 21. Jahrhundert, in der Ära von #MeToo und #BlackLivesMatter, sind Leserinnen und Leser für individuelle Befindlichkeiten, für kulturelle Minderheiten und für rassistische und sexistische Diskriminierungen in einer Weise sensibilisiert wie dies bei der ersten Niederschrift der Geschichte der USA noch nicht der Fall war. Vor diesem Hintergrund wurden einzelne politisch konnotierte Ausdrücke ausgetauscht und diverse kulturelle Bewertungen abgeschwächt. Bei all dem haben die AutorInnen allerdings Sorge getragen, dass der Tonfall und der sprachliche Duktus des Texts sowie besonders der Inhaltskern der ursprünglichen Darstellung erhalten blieben.

Bei der Aktualisierung des Anhangs, vor allem der kommentierten Bibliographie, haben uns die Kölner Doktorandin Dorothee Schwieters und die wissenschaftlichen Hilfskräfte Maria Wiegel und Stefan Draskic engagiert unterstützt. Die Endredaktion des Textes hat die Münchner Doktorandin Stefanie Schuster mitübernommen. Die Aktualisierung des umfangreichen Registers wurde von Charlotte Huber an der LMU München besorgt. Ihnen allen danken wir herzlich. Unser Dank geht weiterhin an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Narr Francke Attempto Verlags unter Leitung von Herrn Gunter Narr, die dem Projekt großes Interesse entgegengebracht haben, allen voran an Dr. Valeska Lembke und Corina Popp, die die Überarbeitung durchgängig kompetent und zügig begleitet haben.

Das Vorwort zu diesem Band schreiben wir im August 2020, während der Parteitag der Demokratischen Partei Joseph Biden als Präsidentschaftskandidaten und Kamala Harris als erste schwarze Vizepräsidentschaftskandidatin für die Wahlen im November nominiert. Der Ausgang der Wahlen wird darüber entscheiden, wie die Regierung in Washington sich den vier historischen Krisen der Gegenwart stellt: der Corona-Pandemie, der größten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression, dem Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und dem drohenden Klimawandel.

 

München und Köln, im August 2020    Christof Mauch und Anke Ortlepp

Kapitel 1: Kolonien und Empire

Die Autoren der UnabhängigkeitserklärungUnabhängigkeitserklärung und US-amerikanischen VerfassungVerfassung werden häufig als „Gründungsväter“ bezeichnet. Mit ihnen beginnt im strengen Sinne die Geschichte der Vereinigten Staaten. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts gaben sie den politischen Rahmen für die Entwicklung der USA vor, der bis heute Gültigkeit hat. Im Vergleich zur langen Geschichte des nordamerikanischen Kontinents erscheinen die Ereignisse der 1780er Jahre allerdings sehr gegenwartsnah.

Schon vor etwa 20.000 Jahren gab es Amerikaner, die über die Beringstraße eingewandert waren. Die Ureinwohner des Kontinents lebten anfangs von der Jagd, vom Beerensammeln und vom Fischen. Etwa 1000 Jahre vor unserer Zeitrechnung betrieben sie bereits Landwirtschaft. Als sich die ersten europäischen Entdecker – 500 Jahre vor KolumbusKolumbus, Christoph waren dies die Wikinger – für ein paar Jahre in Siedlungen an der Küste NeufundlandsNeufundland niederließen, hatten die Native AmericansNative AmericansKolonialzeit bereits weite Teile des nordamerikanischen Kontinents besiedelt und vielfältige Wirtschaftsformen entwickelt.

Nach verschiedenen vergeblichen Anläufen unternahmen die Engländer im frühen 17. Jahrhundert den Versuch, permanente Kolonien in der „Neuen Welt“ einzurichten. Die vermeintlich großen Schätze des Kontinents, die weiten Räume, die Aussicht auf freie Ausübung der ReligionReligion und auf einen persönlichen Neubeginn wirkten wie ein Magnet. Im Gegensatz zu den Siedlungen der Spanier und Franzosen, die sich enger mit den Ureinwohnern verbanden, suchten die Siedler aus EnglandGroßbritannien die gesellschaftlichen Einrichtungen und die ökonomische Praxis von der alten in die neue Welt zu „transplantieren“. Dies gelang ihnen nur bedingt. Da sie mit der britischenGroßbritannien KroneGroßbritannien nur indirekt verbunden waren, entwickelten sie – in ihrer neuen Umgebung und im ständigen transatlantischen Austausch – neue politische und soziale Institutionen. Der Zusammenprall der Kulturen auf dem nordamerikanischen Kontinent, die regionale, ethnische und religiöse Vielfalt der Siedlerkolonien und die Stellung der Kolonien im Herrschafts- und Wirtschaftsverband des englischenGroßbritannien Weltreiches bildeten so eine Art Präludium zur amerikanischen Nationalgeschichte.

1 Der Zusammenprall dreier Kulturen am Rande der atlantischen Welt

Die Kolonialgeschichte gehört zweifellos zu den Epochen, deren wertende Darstellung von Historikern und Publizisten am gründlichsten überprüft und – begleitet von heftigen Debatten – am stärksten revidiert worden ist. Anfangs wurde sie fast ausschließlich aus europäischer Perspektive und mehr oder weniger in der Form eines Heldenepos erzählt, das die Entdeckung und Erschließung eines „jungfräulichen“ Kontinents durch tapfere Seefahrer und Siedler verherrlicht. Die Kritik an diesem „Eurozentrismus“ hat eine Verlagerung des Interesses und der Sympathien hin zu den Leidtragenden des epochalen Geschehens bewirkt, den indianischen Ureinwohnern und den versklavten African Americans, die bis in die 1980er Jahre meist nur am Rande der historischen Betrachtung auftauchten. Es bleibt zwar unbestritten, dass sich die „weiße“ Kultur durchsetzte, aber man fragt heute doch viel bohrender als früher nach den Schattenseiten und Kosten dieses Erfolges, und man versucht zugleich, auch die langfristigen Wirkungen zu ergründen, die der Zusammenprall und die Interaktion von indianischer, europäischer und afrikanischer Kultur in Nordamerika zeitigten.

Am härtesten traf es die Ureinwohner, die den aus Europa und AfrikaAfrika eingeschleppten Krankheitserregern hilflos ausgeliefert waren und deren Ethnien oft schon nach den ersten Kontakten durch Seuchen dezimiert und später durch Kriege, Vertreibungen, Hungersnöte und Alkoholismus immer mehr geschwächt und nicht selten ganz vernichtet wurden. Die Beziehungen zu den vordringenden Siedlern waren uneinheitlich und wechselhaft: Sie reichten von friedlichem Handel und temporären Bündnissen gegen gemeinsame Feinde bis zu gegenseitigen Terror- und Ausrottungskampagnen, die von den Weißen häufig grausamer, vor allem aber „effizienter“ durchgeführt wurden. An der englischenGroßbritannien Siedlungsgrenze (FrontierFrontier), wo der „Landhunger“ am größten war, hatten gelegentliche Missionierungs- und Zivilisierungsversuche noch weniger Erfolg als im französischenFrankreichKolonien oder spanischenSpanien Einflussbereich. Hier nahm während der Kolonialzeit ein Teil der demographischen Katastrophe ihren Lauf, zu der sich die „Entdeckung“ Amerikas für die Ureinwohner des Kontinents entwickelte. Die BevölkerungszahlenBevölkerungsentwicklung können nur geschätzt werden, aber sie sind in den letzten dreißig Jahren von der Forschung deutlich nach oben revidiert worden. 1965 ging man noch davon aus, dass zur Zeit des KolumbusKolumbus, Christoph auf dem Gebiet der heutigen USA und KanadasKanada zwischen 900.000 und 1,5 Millionen Ureinwohner lebten. Inzwischen variieren die Schätzungen zwischen 5 und 12,5 Millionen, wobei die Mehrheit der Wissenschaftler 6 bis 7 Millionen als realistisch betrachtet. Ähnlich verhält es sich mit Untersuchungen zur indianischen Gesamtbevölkerung Nord- und Südamerikas um 1490, die neuerdings auf 45 bis 60 Millionen beziffert wird. Als die englische Kolonisation im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts begann, waren die großen Indianerreiche Südamerikas bereits zerstört und die Bewohner der KaribikinselnKaribik weitgehend ausgerottet. Die indianischen Kulturen im MississippiMississippi (Fluss)-Tal hatten ihren Höhepunkt offenbar schon um 1350 überschritten, aber der rapide demographische Niedergang setzte auch hier erst mit der europäischen Kolonisierung ein. Als „Faustregel“ gilt, dass sich die Zahl der Native AmericansNative AmericansKolonialzeit innerhalb von hundert Jahren nach dem ersten Kontakt mit Europäern um etwa 90 Prozent verringerte. Lebten beispielsweise um 1570, zur Zeit der frühesten englischenGroßbritannien Siedlungsversuche an der Festlandsküste, östlich des MississippiMississippi (Fluss) 3 Millionen IndianerIndianer, so waren es 1670 gerade noch 300.000. Im südlichen NeuenglandNeuengland (s.a. Nordosten, Regionen) schrumpfte die Zahl der Ureinwohner im selben Zeitraum von ca. 120.000 auf 12.000. Hier trafen die PuritanerPuritaner auf eine indianische BevölkerungBevölkerungsentwicklung, die durch von Entdeckungsreisenden und Abenteurern eingeschleppte Krankheitserreger so sehr geschwächt war, dass sie kaum noch Widerstand leisten konnte. Als sich der Stamm der PequotsPequots im ConnecticutConnecticut-Tal 1637 dennoch gegen die weiße Landnahme zur Wehr setzte, töteten puritanische Milizen und verbündete IndianerNative AmericansKolonialzeit etwa 500 Männer, Frauen und Kinder und verkauften viele Überlebende als Sklaven auf die KaribikinselnKaribik. Dieses brutale Vorgehen wurde mit dem Hinweis auf die „Sündhaftigkeit“ der „Wilden“ und einem aus der Bibel abgeleiteten Anspruch auf „ungenutztes“ Land gerechtfertigt. Die Geistlichen deuteten die militärischen Erfolge ebenso wie das Massensterben der IndianerNative AmericansKolonialzeit an Pocken oder anderen Epidemien als Fingerzeig Gottes, dass die Wildnis für das „auserwählte Volk“ der Puritaner vorbestimmt sei.

Abb. 1: Das Dorf Pomeiock, ca. 1590

Ähnliche Folgen zeitigte das Zusammentreffen von Europäern und Native AmericansNative AmericansKolonialzeit in der südlicher gelegenen ChesapeakeChesapeake-Region, obwohl es den Siedlern der VirginiaVirginia Company ohne die anfängliche Unterstützung durch den Häuptling PowhatanPowhatan und dessen Tochter PocahontasPocahontas kaum gelungen wäre, dauerhaft Fuß zu fassen. Ein indianischer Aufstand im Jahr 1622 diente dazu, die systematische Bekämpfung und Dezimierung der einheimischen Stämme zu rechtfertigen. Das Bild des „edlen Wilden“, das in Europa von den Befürwortern der Kolonisierung propagiert wurde und das viele Engländer mit nach Amerika brachten, schlug innerhalb weniger Jahre in ein aggressives Feindbild um. Dabei schrieben die Siedler den IndianernNative AmericansKolonialzeit häufig negative Eigenschaften wie Grausamkeit, Heimtücke und Habgier zu, die sie selbst in ihrem Verhalten gegen die Ureinwohner an den Tag legten. Die Zerstörung der indianischen Stammeskulturen konnte nicht ohne negative moralische Rückwirkungen auf die kolonialen Gemeinschaften selbst bleiben, die doch in vieler Hinsicht – etwa durch die Übernahme der NutzpflanzenLandwirtschaftKolonialzeit u. Revolutionsepoche Mais und Tabak – von den Native Americans profitiert hatten.

Karte 1: Die Indianerkulturen Nordamerikas

Als mindestens ebenso schwere und anhaltende, bis in die Gegenwart fortdauernde Belastung sollte sich die Versklavung von AfrikanernAfroamerikanerAfrika erweisen, die auf dem nordamerikanischen Kontinent in nennenswertem Ausmaß erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann. Die Schwarzen, die ab 1619 nach VirginiaVirginia gebracht wurden, waren rechtlich zunächst nicht wesentlich schlechter gestellt als die weißen Knechte (indentured servantsindentured servants), die über eine bestimmte Zahl von Jahren die Kosten ihrer Schiffspassage abdienen mussten. Einige AfrikanerAfroamerikanerAfrika erlangten sogar, zumeist wohl als Belohnung für ihren Übertritt zum Christentum, die völlige Freiheit. Sexuelle Kontakte von Schwarzen und Weißen und sogar Mischehen waren keine Seltenheit, obwohl für solches Verhalten Kirchenstrafen und (im Fall der AfrikanerAfroamerikaner) Peitschenhiebe drohten. Seit den 1660er Jahren wurde der Status der Schwarzen jedoch durch Gerichtsurteile und auf gesetzlichem Wege immer mehr verschlechtert, bis sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Konzept der chattel slavery fest etablierte, das die AfrikanerAfroamerikanerKolonialzeitAfrika zu „beweglichem Besitz“ (personal property) und zur Ware degradierte. Hierbei handelte es sich um die einzige gravierende Abweichung vom englischenGroßbritannien common lawCommon Law, denn die Institution der chattel slavery existierte nicht im Mutterland, sondern wurde von den KaribikinselnKaribik übernommen.

Die schrittweise Einführung der SklavereiSklaverei (s.a. Afroamerikaner) auf dem nordamerikanischen Festland muss im größeren Zusammenhang eines Systems der Zwangsarbeit gesehen werden, mit dem die europäischen Mächte (SpanienSpanien, PortugalPortugal, NiederlandeNiederlande, Frankreich, EnglandGroßbritannienSklavenhandel) seit dem 16. Jahrhundert die gesamte „Neue Welt“ überzogen. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an setzten sich die EngländerGroßbritannienKolonialreich immer erfolgreicher gegen ihre Konkurrenten durch und legten mit dem Kolonial- und Sklavenhandel den Grundstein für den wirtschaftlichen Aufschwung GroßbritanniensGroßbritannienKolonialreich. Im Vergleich zu den Zuckerinseln in der KaribikKaribik wie etwa BarbadosBarbados und JamaicaJamaica, auf denen eine regelrechte „Vernichtung durch Arbeit“ praktiziert wurde, mutet das Schicksal der SklavenAfroamerikanerKolonialzeit in den Festlandskolonien noch einigermaßen erträglich an. Während die hohe Todesrate auf den Inseln nur durch ständige Neuzufuhr aus AfrikaAfrika ausgeglichen werden konnte, nahm die Sklavenbevölkerung in der ChesapeakeChesapeake-Region ab 1720 auf natürliche Weise zu. Weiter südlich, in den malariaverseuchten Reisanbaugebieten South CarolinasSouth Carolina, herrschten härtere Bedingungen, und die Lebenserwartung war entsprechend geringer. Dabei wäre den Weißen die Kultivierung von Reis (und später auch Indigo) ohne die Erfahrung und die Hilfe der AfrikanerAfroamerikanerKolonialzeit gar nicht gelungen. South CarolinaSouth Carolina entsprach auch insofern am ehesten den Zuckerkolonien, als hier schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Zahl der Sklaven diejenige der weißen Pflanzer und Farmer überstieg. Immer mehr Plantagenbesitzer zogen sich nach Art der spanischenSpanien und englischenGroßbritannien absentee landowners in Städte wie CharlestonCharleston, South Carolina und SavannahSavannah, Georgia zurück und überließen die unmittelbare Kontrolle ihren Verwaltern und Sklavenaufsehern.

Obgleich Nordamerika nur etwa 5 Prozent der fast 11 Millionen in die westliche Hemisphäre verschleppten AfrikanerAfroamerikanerBevölkerungsentwicklungAfroamerikanerKolonialzeit aufnahm, handelte es sich doch um weit mehr als nur ein Rinnsal im großen EinwandererstromEinwanderungKolonialzeit. Bis zum UnabhängigkeitskriegUnabhängigkeitskrieg gelangten ca. 300.000 Sklaven als unfreiwillige Immigranten auf das nordamerikanische Festland, gegenüber ca. 500.000 Europäern, die als freie Einwanderer, indentured servantsindentured servants oder Sträflinge (convicts) kamen. Um 1770 lebten (bei einer Gesamteinwohnerzahl von 3 Millionen) etwa 500.000 SklavenBevölkerungsentwicklung in den dreizehn Kolonien, die sich zu den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenschlossen. Sie machten ein gutes Drittel der Bevölkerung der südlichen Kolonien aus, deren WirtschaftssystemWirtschaft zu dieser Zeit bereits ganz auf der Ausbeutung von Sklavenarbeit beruhte.

Die ökonomischen Vorteile, die dieses extreme Herr-Knecht-Verhältnis den Weißen einbrachte, mussten mit moralischen und psychologischen Schäden erkauft werden. Niemand erkannte besser als Thomas JeffersonJefferson, Thomas, selbst ein Sklavenhalter, wie tief sich dieses Übel bereits in das Bewusstsein der Menschen eingefressen hatte: In seinen Notes on the State of VirginiaNotes on the State of Virginia (1786) beklagte er 1786, die SklavereiSklaverei (s.a. Afroamerikaner) gebe weißen Herren und schwarzen Knechten täglichen Anschauungsunterricht „in den ungezügeltsten Leidenschaften, im schlimmsten Despotismus auf der einen und in herabwürdigender Unterwerfung auf der anderen Seite“. Andererseits konnte sich der liberale Aufklärer JeffersonJefferson, Thomas aber ebenso wenig wie die meisten seiner weißen Landsleute vom Vorurteil einer „natürlichen Minderwertigkeit“ der schwarzen Rasse befreien. Die Sklavengesetze (slave codes) der Kolonien sahen bereits für geringe Übertretungen grausame Strafen vor, um Fluchtversuche zu unterbinden und individuellen oder kollektiven Widerstand im Keim zu ersticken. Im Unterschied zu den amerikanischen Ureinwohnern war die schwarze Bevölkerung nicht in ihrer physischen Existenz bedroht, sondern „nur“ zu extremer Anpassung gezwungen. In den nördlichen Kolonien, wo – mit Ausnahme von New YorkNew York – die Zahl der Schwarzen relativ gering blieb, vollzog sich diese erzwungene Abkehr von den afrikanischenAfrika Wurzeln schneller als in den Gebieten südlich von PennsylvaniaPennsylvania. Dort entwickelten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts eigenständige Kommunikationsformen und Lebensweisen sowie Ansätze einer afroamerikanischenAfroamerikanerKultur Kultur. In South CarolinaSouth Carolina und GeorgiaGeorgia schufen Schwarze aus verschiedenen Teilen AfrikasAfrika die Sklavensprache GullahAfroamerikanerKulturGullah, und auf den Reispflanzungen konnten sich die in großen Gruppen zusammenlebenden Sklaven eine gewisse Autonomie bewahren. Dagegen verschmolzen in VirginiaVirginia, MarylandMaryland und DelawareDelaware, wo Weiße und Schwarze auf Tabakplantagen oder Familienfarmen in engen Kontakt kamen, europäische und afrikanischeAfrika Bräuche, Techniken und Denk- und Verhaltensweisen am ehesten zu neuen Lebensformen. Trotz der gesetzlichen Verbote fand auch – meist als Folge sexueller Ausbeutung von Sklavinnen durch ihre weißen Herren – eine Rassenvermischung statt. Von einer gegenseitigen kulturellen Bereicherung konnte im Zeichen der SklavereiSklaverei (s.a. Afroamerikaner) aber kaum die Rede sein. Der großen Mehrzahl der weißen Siedler war der Preis für das Überleben und die Entwicklung der Kolonien – die Verdrängung der Ureinwohner und die Unterdrückung der AfrikanerAfroamerikanerKolonialzeitAfrika – nicht zu hoch. Die positiven Möglichkeiten, die das Zusammentreffen dreier Kulturen in sich barg, blieben damit weitgehend ungenutzt.

2 Regionale, ethnische und religiöse Vielfalt

Nicht Einheitlichkeit und Homogenität, sondern mosaikartige Vielfalt war das hervorstechende Merkmal der englischenGroßbritannienKolonialreich Festlandskolonien. Ihren Ausgang nahm die Besiedlung – nach einigen gescheiterten Experimenten – von JamestownJamestown im Süden (1607) und PlymouthPlymouth im Norden (1620), und beide Regionen, das nach Elisabeth I., der „jungfräulichen Königin“, VirginiaVirginia genannte Gebiet um die ChesapeakeChesapeake Bay und das „Neue EnglandGroßbritannien“ (New EnglandGroßbritannien) der PuritanerPuritaner, trugen von Beginn an einen ganz unterschiedlichen Charakter.

Der SüdenSüden

Die Gründung JamestownsJamestown war das Werk von Kaufleuten und adligen Investoren, die, in der Londoner Virginia Company zusammengeschlossen, 1606 eine königliche Charter erwirkt hatten. Bei der Planung des Unternehmens spielten Hoffnungen auf Goldfunde, rasche Profite und die Errichtung einer idealen Feudalgesellschaft eine wichtige Rolle. Stattdessen entstand in den feucht-warmen, fruchtbaren Küstenstrichen von Virginia und MarylandMaryland – einem Teil des Charter-Gebiets, das nach dem Rückzug der Virginia CompanyVirginia Company 1632 von der KroneGroßbritannien als Lehen an den katholischen Lord BaltimoreBaltimore, George Calvert Earl of vergeben wurde – eine profitable, auf den Export von Tabak spezialisierte Plantagenwirtschaft. Die meisten Landbesitzer lebten auf ihren Pflanzungen (plantations), die im Schnitt 500 acres (200 Hektar) groß waren. Den Mangel an Arbeitskräften behoben sie durch den Import von indentured servantsindentured servants aus Europa und dann, als diese Quelle gegen Ende des 17. Jahrhunderts wegen der günstigen Wirtschaftsentwicklung in England zu versiegen begann, zunehmend durch den Kauf von Sklaven aus AfrikaAfrika und der KaribikKaribik. Für die Vermarktung ihres Hauptprodukts Tabak blieben die Pflanzer der ChesapeakeChesapeake-Region weitgehend auf englische und schottische Kaufleute angewiesen.

Einige Jahrzehnte später als an der ChesapeakeChesapeake Bay begann die Kolonialentwicklung in den südlich anschließenden Gebieten, für die acht englische Handelspartner 1663 von Charles II.Charles II. eine Charter erwarben. Diese zu Ehren des Königs „Carolina“ genannte Kolonie wurde 1691 (formell 1712) in North CarolinaNorth Carolina und South CarolinaSouth Carolina aufgeteilt. Während in North Carolina kleine und mittlere Farmen und Pflanzungen überwogen, dominierten in South Carolina die von Sklaven bewirtschafteten großen Reisplantagen, und das günstig gelegene CharlestonCharleston, South Carolina stieg zum wichtigsten Ausfuhrhafen auf. Noch später, erst 1732, kam die Kolonie GeorgiaGeorgia (nach König George II.George II. benannt) hinzu, die als militärischer Puffer gegen das spanische FloridaFlorida gedacht war, deren Einwohner aber rasch auch in anhaltende Feindseligkeiten mit den CherokeeCherokee- und CreekCreek-IndianernNative AmericansKolonialzeit verwickelt wurden.

Politisch und gesellschaftlich gaben im SüdenSüden die Plantagenbesitzer den Ton an. Auf Grund der relativ geringen Lebenserwartung in dem ungesunden Klima verloren die Kinder häufig schon früh einen Elternteil oder sogar beide Eltern. Da sich in solchen Fällen in der Regel die weitere Familie ihrer annahm, erlangten Verwandtschaftsbeziehungen und Sippenloyalitäten eine immer wichtigere Bedeutung. Aus ihnen erwuchs die so genannte VirginiaVirginia AristocracyVirginia Aristocracy, eine durch Blutsbande und wirtschaftlicheWirtschaft Interessen eng verknüpfte Eliteschicht, die sich auch mittels guter Bildung, kultivierter Lebensart und Sinn für elegante Vergnügungen wie Pferderennen, Jagdgesellschaften und Bälle von der übrigen weißen Bevölkerung abhob. Trotz erheblicher Besitzunterschiede hielten sich die sozialen Spannungen aber in Grenzen, weil die Farmer, Handwerker und Händler ganz im Sinne einer traditionellen StändegesellschaftGesellschaftStändegesellschaft die Pflanzer als sozial Höhergestellte anerkannten und ihnen mit Respekt und ehrerbietiger Fügsamkeit (deference) begegneten. Die Pflanzerelite wiederum nahm ihre Verantwortung für das Gesamtwohl ernst (abgesehen von der im gesamten Süden unterentwickelten SchulbildungBildungswesen) und bemühte sich, die Führungs- und Leitbildfunktion zu erfüllen, die ihr im Rahmen dieser patriarchalischen deferential society zukam. Außerdem wirkte die SklavereiSklaverei (s.a. Afroamerikaner) der Entstehung einer potenziell gefährlichen Schicht besitzloser weißer EinwandererEinwanderungKolonialzeit entgegen.

WirtschaftlichWirtschaft geriet die Virginia AristocracyVirginia Aristocracy im Verlauf des 18. Jahrhunderts allerdings unter Druck, denn die Notwendigkeit, alle größeren Investitionen (und teilweise auch den anspruchsvollen Lebensstil) mit Hilfe von Krediten aus EnglandGroßbritannien zu finanzieren, trieb viele Familien in chronische Verschuldung. Die Auslaugung der Böden durch den Tabakanbau zwang zur ständigen Erweiterung der Anbaufläche oder zum Kauf neuer Plantagen, und sie verführte gelegentlich auch zu riskanten Landspekulationen in den westlichen Gebieten. In MarylandMaryland und Teilen VirginiasVirginia fanden viele Farmer und Pflanzer im Getreideanbau eine günstige Alternative, was allmählich den gesamten Charakter der ChesapeakeChesapeake-Region mit ihrer aufstrebenden Hafenstadt BaltimoreBaltimore veränderte. Gegen Ende der Kolonialzeit unterschied man deshalb schon einen Upper SouthUpper South (Maryland, Virginia, DelawareDelaware), in dem die SklavereiSklaverei (s.a. Afroamerikaner) relativ an Bedeutung verlor, von dem Lower SouthLower South (s.a. Süden) (die Carolinas und GeorgiaGeorgia), der strukturell eher den karibischen Sklavenkolonien ähnelte. In ethnischer Hinsicht stellten die Engländer den größten Bevölkerungsanteil, gefolgt von den AfrikanernAfroamerikanerKolonialzeit, die nicht nur in den Küstenebenen, sondern – in geringerer Zahl – auch auf Farmen des Hinterlands arbeiteten. Dort siedelten vor allem SchottenEinwanderungEthnienSchotten, deren Vorfahren das nördliche Irland kolonisiert hatten (und die deshalb Scots-Irish genannt wurden), sowie DeutscheEinwanderungEthnienDeutsche, die, zumeist aus PennsylvaniaPennsylvania kommend, durch das ShenandoahShenandoah River-Tal nach Süden vordrangen. Das religiöse Leben wurde eindeutig von der Anglikanischen KircheAnglikanische Kirche bestimmt, der englischenGroßbritannien Staatskirche (Church of EnglandGroßbritannien), die in den südlichen Kolonien als einzige offizielle Kirche anerkannt war. Die meisten Iro-SchottenIro-Schotten waren PresbyterianerPresbyterianer, die Deutschen entweder LutheranerLutheraner oder ReformierteReformierte (wie die Mährischen BrüderMährische Brüder, die sich unter anderem in Salem, North CarolinaNorth Carolina, niederließen), doch dies blieben – zusammen mit den KatholikenKatholiken in Maryland – eher Einsprengsel in einer gemäßigt konservativen anglikanischen Kultur. Das Monopol und die Steuerprivilegien der Anglikanischen KircheAnglikanische Kirche gerieten erst im 18. Jahrhundert ins Wanken, als sich mit den MethodistenMethodisten und BaptistenBaptisten neue, dynamische Glaubensgemeinschaften bildeten, die vor allem im einfachen Volk Anhänger fanden und an einigen Orten sogar Sklaven aufnahmen. Gemeinsam wehrten sich die Siedler gegen die Einsetzung eines anglikanischen Bischofs, die ihre religiöse und politische Autonomie von EnglandGroßbritannien gefährdet hätte. Diese Frage blieb bis in die Revolution hinein ein offener Streitpunkt.

Am Vorabend der Revolution lebten einschließlich der Sklaven gut 50 Prozent der BevölkerungBevölkerungsentwicklung der Festlandskolonien im SüdenSüden. Städte und selbst größere Ortschaften blieben in der Plantagen- und Farmwirtschaft eine Seltenheit. Aufs Ganze gesehen bot die Region eine erstaunliche Mischung aus patriarchalischer Gentry-Kultur und profitorientierter Sklavenhaltergesellschaft. Die wirtschaftliche Monokultur, der Anbau der staple crops Tabak, Reis und Indigo, band die Kolonien fest an das Mutterland und die europäischen Märkte. Trotz dieser Abhängigkeit wuchs aber das Selbstbewusstsein der Pflanzerelite, die sich im Laufe der Zeit eher noch fester zusammenschloss und gegen ehrgeizige Aufsteiger abzuschirmen suchte.