Ulrike Anderssen-Reuster Michael von Brück

Buddhistische Basics für Psychotherapeuten

Mit einem Geleitwort des Dalai Lama

Impressum

Dr. med. Ulrike Anderssen-Reuster

Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie

Städtisches Klinikum Dresden

Heinrich-Cotta-Straße 12

01324 Dresden

Ulrike.Anderssen-Reuster@klinikum-dresden.de

Prof. Dr. Michael von Brück

Ludwig-Maximilians-Universität München

buero@michael-von-brueck.de

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Schattauer

www.schattauer.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von © Hilma af Klint
»Buddhas Standpunkt auf Erden«

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

Lektorat: Dr. Petra Kunzelmann

Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani

ISBN 978-3-608-40055-7

E-Book ISBN 978-3-608-11685-4

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20531-2

Denke das Nicht-Denken
und sei, was Du noch nicht bist.

Meiner Tochter Lea-Sophie

Ulrike Anderssen-Reuster

Meinen Kindern und Enkeln

Michael von Brück

Foreword of the Dalai Lama

I am often asked whether the teachings of the Buddha, which he gave in India more than 2500 years ago, continue to be relevant in this present day and age. I believe they are because the ultimate purpose of Buddhism is to serve and benefit humanity. Even more important is how Buddhists can contribute to society according to our own values and ideas.

The key is inner peace. If we have peace of mind, we can face whatever happens with calm and reason, our tranquillity undisturbed. The teachings of love, kindness and tolerance, the conduct of non-violence, and especially the Buddhist theory that all things are relative and dependently arisen are a source of that inner peace. Buddhist teachings can be viewed as dealing with Buddhist science, philosophy and religion. The first two categories may be of interest to scientists and other researchers, whereas the third is only the concern of Buddhists.

There is a great deal to be learned from the Buddhist science of mind. I think our emotions today are much the same as they were a couple of thousand years ago. Buddhist science has much to teach about how to control our destructive emotions and prevent their disturbing our peace of mind. So, when I speak of Buddhist science what I really mean is ›science of the mind‹. This is something modern scientists, and especially neuroscientists and psychotherapists, are showing increasing interest in.

The important thing for us to know, if we are to achieve mental health and well-being, is how the mind works and how the emotions affect it; which ones calm and assist the mind and which ones cause disturbance. This book, drawing on Buddhist sources, seeks to show how we can use our human intelligence in the best way we can and how emotions can be transformed in a positive way.

3 July 2021

Vorwort des Dalai Lama

Man fragt mich häufig, ob die Lehren, die der Buddha vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren in Indien verkündete, in unserer heutigen Zeit überhaupt noch relevant sind. Ich bin sicher, dass dies der Fall ist, denn das letztgültige Ziel des Buddhismus ist es, der Menschheit zu dienen und zu nutzen. Von größerer Bedeutung ist daher die Frage, wie sich Buddhisten im Einklang mit ihren Werten und Vorstellungen für die Gesellschaft einsetzen können.

Der Schlüssel zu allem ist der innere Frieden. Wenn wir geistigen Frieden finden, können wir allem, was geschieht, mit Vernunft und innerer Ruhe begegnen, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten. Eine Quelle dieses inneren Friedens sind die Lehren der Liebe, Güte und Toleranz, das Eintreten für Gewaltlosigkeit und vor allem die buddhistische Theorie, dass alle Dinge relational sind und in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander entstehen. Der gesamte buddhistische Dharma kann als Lehre über buddhistische Wissenschaft, Philosophie und Religion betrachtet werden. Die beiden ersten Bereiche können für Naturwissenschaftler und andere Forscher von Interesse sein, während der dritte nur Buddhisten selbst betrifft.

Von der buddhistischen Wissenschaft des Geistes können wir sehr vieles lernen. Ich denke, dass unsere Emotionen weitgehend die gleichen sind wie vor mehreren tausend Jahren. Die buddhistische Wissenschaft hat eine Fülle von Erkenntnissen darüber gewonnen, wie wir unsere destruktiven Emotionen kontrollieren können, um so zu verhindern, dass sie unseren Geistesfrieden stören. Wenn ich hier von der buddhistischen Wissenschaft spreche, meine ich damit die »Wissenschaft vom Geist« – etwas, für das sich moderne Wissenschaftler und insbesondere Neurowissenschaftler und Psychotherapeuten mehr und mehr interessieren.

Eine wichtige Voraussetzung, um geistige Gesundheit und mentales Wohlbefinden zu erreichen, ist die Kenntnis davon, wie unser Geist funktioniert und wie er durch Emotionen beeinflusst wird – welche Emotionen ihn beruhigen und stärken und welche Emotionen Störungen verursachen. Gestützt auf buddhistische Quellen, versucht dieses Buch zu zeigen, wie wir unsere menschliche Intelligenz bestmöglich nutzen können und unsere Emotionen auf positive Weise transformieren können.

3. Juli 2021

Einleitung

Psychotherapie ist im Wandel. Psychotherapeuten sind es auch. Nichts bleibt, wie es ist, auch wenn uns das gelegentlich Unbehagen bereitet. Diese Sätze scheinen trivial. Nicht aber die Frage, was daraus für die konkrete Lebensgestaltung folgt und was es für die psychotherapeutische Praxis bedeutet: Warum bin ich, wie ich bin? Geprägt von der Vergangenheit, vom kulturellen wie individuellen Gedächtnis zutiefst konditioniert – oder gar determiniert? Unfrei und vorbestimmt – oder dem Zufall ausgesetzt? Es sind Augenblicke, die, aneinandergereiht, das Leben ausmachen, und ein einziger Augenblick kann das Leben radikal verändern, zum Guten wie zur Katastrophe. Jedes Ereignis hat aber Ursachen und Wirkungen, die wiederum die Ursachen verändern. Und gibt es das: den Wink des Schicksals? Oder geschieht alles ohne erkennbaren Sinn? Wie können Psychotherapeuten dazu beitragen, diesbezüglich Licht in so viel Dunkel zu bringen, das uns nicht nur umgibt, sondern durchaus auch in uns selbst wahrzunehmen ist?

Menschen tendieren dazu, das Erleben in der Gegenwart im Licht der Erfahrungen der Vergangenheit zu interpretieren oder mit Erwartungen auf Zukünftiges zu befrachten. So wird das Wachsein in der Gegenwart versäumt, und es fehlt an Präsenz. Vergangenheit und Zukunft wirken in unserem Geist in die Gegenwart hinein, doch alles Erleben, das daraus folgt, wird bestimmt vom Zustand unseres Bewusstseins. Haben wir Möglichkeiten, diese Zustände zu beeinflussen, zu verändern? Denn dann, und nur dann, könnten wir auch unser Erleben, unsere Gefühle, unsere Euphorie und Depression, kurz unsere Interpretation unserer selbst und unserer Welt gestalten, um freier zu werden von bedrückenden Vergangenheiten und Zukunftserwartungen.

Es ist das Anliegen des Buches zu erforschen, wie innere Befreiung gelingen kann und ob eine moderne, wissenschaftlich fundierte und interkulturell inspirierte Psychotherapie zu einer Praxis beitragen kann, die Lösungen anbietet, die mehr sind als Symptombehandlungen. Können wir uns Ziele setzen, die Schritte zu mehr Freiheit und Erfahrung von Schönheit, zu mehr Toleranz und Verbundenheit, vielleicht auch zur Wahrheit ermöglichen? Und das trotz unserer psychischen Belastungen durch Ängste, durch Traumata, durch Verunsicherung? Schritte, die sich dann auch hilfreich auf unsere Mitwelt auswirken?

Lebe deinen Traum! Was aber, wenn die Träume Albträume sind, Ängste und apokalyptische Untergangsphantasien? Menschliches Handeln, auch wenn es von besten Absichten gelenkt ist, geht mit Folgen einher, die mitunter weder erwünscht noch beabsichtigt sind. Pandemien, ökologische Krisen und soziale Verwerfungen gehören dazu, denn sie sind Folgeerscheinungen unseres menschlichen Zusammenlebens. Individuelle wie auch soziale Krisen erzeugen meist Leiden; sie sind jedoch auch Antrieb der Veränderung und des Wandels. Sie fordern uns heraus und können dadurch Kräfte freisetzen, die eine veränderte Lebensweise ermöglichen, zum Beispiel eine achtsame Umgangsweise mit der begrenzten Zeit und den Ressourcen der Natur. Ein solcher Wandlungsprozess kann uns dazu zwingen, den bisherigen Lebensstil infrage zu stellen und die Komfortzone gegenwärtiger Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten zu verlassen. Das betrifft unsere geistige Innenwelt ebenso wie unsere Um- und Mitwelt.

Soziale Umbrüche und kultureller Wandel mit teils dramatischen Folgen kennzeichnen die Geschichte der Menschheit. Philosophische Weisheitstraditionen und Religionen haben sich dabei die Frage gestellt, wie das Leben trotzdem gelingen kann, wie die Herausforderungen klärend und formend kreatives Potential freisetzen können. Wie kann man – trotz Unsicherheit und Angst – psychisch stabil und belastbar bleiben und die Verantwortung für das eigene Leben, seine Nachkommen, seine Schüler sowie seine Patienten in einer guten Weise wahrnehmen? Wie kann man im eigenen Bewusstsein und im persönlich gestalteten Leben zur Balance der widerstreitenden Kräfte gelangen? Immerhin war auch für antike Philosophen und religiöse Reformer klar, dass ihr Denken und ihre Handlungsempfehlungen einen Zweck hatten: die Therapie, also die Heilung von Verletzungen und Krankheiten, von Unwissenheit, lähmendem Gefühlschaos und Vertrauensverlust, die einem guten Leben im Wege stehen.

Auch der Buddhismus hat sich in einer Zeit des Umbruchs und der Veränderung entwickelt und ein System geformt, das das menschliche Leiden als Ausgangspunkt für einen individuellen und sozialen Transformationsprozess gesetzt hat. Leiden bezeichnet dabei die Frustration daran, dass die Dinge nicht so sind, wie wir sie gerne hätten. Diese Unzufriedenheit kann abgewehrt, verleugnet und mit egozentrischem Agieren kompensiert werden, was die sozialen Verwerfungen nur noch verschärft. Es gelingt aber nicht, die »Welt da draußen« von sich fernzuhalten, denn die äußeren sozialen und ökologischen Folgen einer falschen Lebensführung bleiben nicht äußerlich und die inneren psychischen Folgen bleiben nicht innerlich. Außenwelt und Innenwelt bilden sich gegenseitig ineinander ab und prägen unser gemeinsames Leben und Erleben.

Die buddhistische Antwort auf diese Herausforderungen ist eine Lebenskunst, die manches zusammenführt, das in unserer Kultur üblicherweise auseinandergehalten wurde: rationale Erkenntnis, das Bemühen um eine sozial ausgewogene Lebensführung sowie introspektive meditative Vertiefung(1). (1)Das Hauptanliegen der buddhistischen Lehre ist es, dem Leiden nüchtern zu begegnen, menschliches Leben zur Reife zu bringen und eine Dynamik der Freiheit zu eröffnen, in der die Begrenzungen der Zeitlichkeit in einem grenzenlosen Bewusstseinsraum aufgehoben sind. Der Buddhismus verzichtet auf das Postulat eines Schöpfer-Gottes, er richtet all seine Energie vielmehr darauf, die Potentiale des Bewusstseins auszuschöpfen. Seine Kausalitätslehre orientiert sich an einem logisch einsichtigen Bedingungsgefüge von Ursache und Wirkung, das individuell beeinflussbar ist. Dogmatische Wahrheiten stehen nicht im Zentrum, sondern überprüfbare Erkenntnis und meditative Praxis.

Wir nähern uns dem Buddhismus aus einer psychotherapeutischen Perspektive und verfolgen das Ziel, seine Erkenntnisse in den Dienst der Heilung psychischen Leidens zu stellen, das allerdings immer mit gesellschaftlichen Konstellationen verknüpft ist. Es geht um ein gutes oder zumindest ein besseres Leben. Dabei stehen anwendungsorientierte und praktische Aspekte im Vordergrund und keine historisch-systematischen Fragestellungen. Dies gilt auch für die Übersetzungen der Texte, die natürlich verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zulassen. Um zur Überwindung des Leidens konkret beizutragen, hat sich die Lehre des Buddhismus den Bedürfnissen und Prägungen der Menschen immer wieder neu angepasst. So scheint es uns erlaubt, den großen Schatz der Weisheiten und geschickten Mittel auch für die klinische Praxis zu übersetzen. Obgleich der Bezugsrahmen theoretisch anspruchsvoll ist, kann die Praxis im klinischen Kontext gut anwendbar sein. Die Lehre ist kein Selbstzweck, sie soll – unserem Verständnis nach – dazu dienen, Orientierung und praktische Hilfestellungen für Menschen mit verschiedenen Nöten zu bieten. Glaubensbasierte Aspekte spielen dabei keine Rolle. Man muss also weder Buddhist sein noch werden, um von dieser »Religion ohne Gott« zu profitieren.

Im Umgang mit alten Texten sowie deren Übersetzungen zeigt sich, dass Sprache immer im Fluss ist. Die Übertragungen und Auslegungen sind jeweils abhängig von den eigenen expliziten und impliziten Voraussetzungen des Verstehens. Auch die Sprache, die wir gebrauchen, ist davon betroffen und kann unterschiedlich empfunden werden; dies gilt beispielsweise auch für die aktuelle Debatte zur genderkorrekten Sprache. Wir erleben dabei, dass alte Regeln hinterfragt werden, neue Gepflogenheiten aber noch nicht eingespielt sind. Wir lassen uns leiten von dem, was wir selbst als sprachlich stimmig empfinden. Selbstverständlich wollen wir dadurch niemanden sprachlich ausgrenzen und hoffen, dass sich das im Text inhaltlich zeigt.

Wir beschränken uns bei der Vermittlung der buddhistischen Basics auf die wesentlichen Grundlagen, die von allen Schulen anerkannt werden. Die ersten Kapitel dienen dieser Übersicht. Im mittleren Teil wird ein Überblick über die bisherige Auseinandersetzung verschiedener psychotherapeutischer Strömungen mit dem Buddhismus sowie zur aktuellen Forschung dargelegt. Der letzte Teil beleuchtet die Kernelemente von Achtsamkeit, Mitgefühl und (Selbst-)Erkenntnis für die klinische Praxis. Dazu werden Übungen, die auch als Audio-Datei heruntergeladen werden können, vermittelt. Manchmal wird es Wiederholungen geben, da auf zentrale Aspekte der Lehre immer wieder aus verschiedenen Perspektiven geblickt wird. Buddhistische Kernbegriffe werden in ihrer ursprünglichen Sprache vermittelt. Dabei stehen die Pali-Begriffe in den Klammern vor den Sanskrit-Begriffen, abhängig vom Kontext steht manchmal nur der Pali- oder Sanskrit-Begriff. Auf diakritische Zeichen wird verzichtet. Die Kapitel bauen zwar aufeinander auf, können aber auch unabhängig voneinander gelesen werden.

Beide Autoren praktizieren buddhistische Meditationswege, vor allem die Achtsamkeits- und Mitgefühlspraxis und das Zen, haben aber unterschiedliche professionelle Voraussetzungen und Lebenserfahrungen. Wir versuchen hier, dieselben in einem gemeinsamen Text zusammenzuführen. Unser Ziel ist es, den großen Erfahrungsschatz der buddhistischen Welt vor allem für unsere Klienten und Patienten fruchtbar zu machen. Dabei hat die klinische Psychotherapeutin und Ärztin einen anderen Hintergrund als der Religionshistoriker, Hochschullehrer und Zen-Lehrer. All das setzt unterschiedliche Rahmenbedingungen. Aber uns eint ein gemeinsamer Horizont, zumindest suchen wir die »Horizontverschmelzung«, ein glücklicher Begriff, den Hans-Georg Gadamer für das Verstehen des anderen, mithin auch des Fremden, geprägt hat. Und das ist therapeutische Praxis: Im Austausch verschiedener fachlicher Perspektiven bildet sich eine Brücke von einem Ufer zum anderen. Diese Brücke soll auch für den Leser begehbar sein – von beiden Seiten her. Wir hoffen, diese »Übersetzung« möge spannend und aufschlussreich sein, und wünschen uns, dass die Erkenntnisse zum Wohle der Patienten wirken.

Am Ende bleibt der Dank unseren Lehrern gegenüber, die uns geprägt haben. Wir stehen auf den Schultern derer, die uns gelehrt haben, über eigene Beschränkungen und die unvermeidlichen perspektivischen Differenzen hinausblicken zu können. Dazu gehören die Lehrer der Meditation ebenso wie die der professionellen Ausbildung, die ungezählten Lektüreerlebnisse wie menschliche Begegnungen, die unsere Biografien als unentwegten Dialog erscheinen lassen. Sie alle zu nennen, ist nicht möglich und auch nicht nötig – ihre Präsenz wird in den folgenden Erörterungen spürbar sein. Es sind aber vor allem auch die Begegnungen mit unseren Patienten, Klienten und Schülern. Im gemeinsamen Ringen um ein erfülltes Leben lernen alle, die sich dieser Dynamik aussetzen, Leben zu gestalten. Die Leser werden eingeladen, sich diesen Prozessen anzuschließen, so sie denn mögen.

Besonderer Dank gilt den Kollegen Sabine Meck, Matthis Wankerl, Senta Kästner sowie Antje Völkel für ihr Probelesen und Mitdenken. Danken möchten wir auch Nadja Urbani vom Schattauer Verlag, die das Projekt ermöglicht und von Anfang bis Ende engagiert unterstützt hat.

1 Religiosität und Spiritualität in der psychotherapeutischen Praxis

Die Lampen mögen verschieden sein, doch das Licht ist gleich.

(Rumi)

In früheren Zeiten bot die selbstverständliche Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft die Möglichkeit, sich angesichts existentieller Ängste auszutauschen und durch Glauben und Rituale Sinnstiftung zu erfahren. Dies ist heute schwieriger geworden, da immer weniger Menschen konfessionell gebunden sind. Die Amtskirchen geben den meisten Menschen keine Orientierung mehr, verfügen sie doch kaum noch über die erforderliche Autorität. Menschen mit existentiellen Fragen tauchen deshalb immer häufiger in psychotherapeutischen Praxen auf und treffen dort auf Behandler, die unsicher sind, wie sie mit diesen Anliegen professionell umgehen sollen.

1.1 Religiosität und Spiritualität als Ressource

In einer bundesweiten Befragung (1)(1)niedergelassener Psychologischer Psychotherapeuten wird berichtet, ein Fünftel der Patienten(1)(1) bringe religiöse oder spirituelle Themen(1)(1) in die Behandlung ein (Hofmann 2009). Die befragten Psychotherapeuten vermitteln aber auch, dass der Umgang mit religiösen und spirituellen Themen für sie selbst ungewohnt und tendenziell überfordernd sei, denn diese Thematik sei kein Inhalt des Psychologiestudiums oder der Psychotherapieausbildung. Wenn Patienten also über Fragen sprechen wollen, die mit therapeutischen Techniken nicht »behandelbar« sind, führt das nicht selten zur Unsicherheit aufseiten der Behandler und zur Vermeidung dieses Themenkomplexes. Zu vermuten ist darüber hinaus, dass diese existentiellen – also berechtigten und nicht-neurotischen – Ängste der Patienten die eigenen Ängste(1) und die eigene Ratlosigkeit aktivieren, was ein weiterer Grund dafür sein kann, sich nicht näher auf entsprechende Themen einzulassen.

Fragen ohne Antworten und Probleme ohne Lösungen sind schwer auszuhalten. Da es der Anspruch von Helfern ist, Veränderung zu ermöglichen und Wege aus Krisen aufzuzeigen, fehlt manchmal die Fähigkeit, in einer gemeinsamen Verbundenheit einfach bei den Fragen zu verweilen und den Sorgen Raum zu geben – ohne gleich Lösungen anzubieten. Zudem gilt in Deutschland die religiöse und weltanschauliche Neutralität auch für die Richtlinienpsychotherapie. Es steht weder Ärzten noch Psychologen zu, eigene religiöse Überzeugungen zu vermitteln oder therapeutische Arbeit mit spirituellen oder religiösen Ansätzen zu vermengen.

In anderen Ländern ist das anders. Besonders in den USA hat sich eine Szene entwickelt, die bewusst religiöse Themen(2) und Glaubensvorstellungen in die Psychotherapie einbringt und davon überzeugt ist, dass es der Glaube und die damit verbundenen Erfahrungen sind, die Heilung ermöglichen. Unterdessen lassen sich in Deutschland auch schon einige glaubensbasierte Psychotherapieangebote finden. Genannt seien zum Beispiel die christlich-integrativen Angebote der de ’ignis-Kette, die den Anspruch hat, fachliche Kompetenz mit Gottvertrauen zu verbinden (https://www.deignis.de/). Auch eine islamische Psychologie und Psychotherapie(1) scheint sich herauszubilden (Rothman & Coyle 2018), ebenso wie eine »Buddhistische(1) Psychotherapie« (BPT)(1), (Ennenbach 2011). Neben diesen Verfahren, die sich an den religiösen Lehren ihrer Tradition orientieren, gibt es eine große Fülle von Therapiemethoden, besonders aus der humanistischen Richtung, die explizit spirituelle Erfahrungen vermitteln wollen. Transpersonale Psychotherapi(1)emethoden, wie zum Beispiel die »Initiatische Therapie(1)« von Graf Dürckheim, sowie Holotropes Atmen(1)(1) und psycholytische Psychotherapien, die von Stanislav Grof entwickelt wurden, gehören beispielsweise dazu. Bei letzteren werden mitunter auch bewusstseinserweiternde Drogen genutzt.

In den vergangenen Jahren hat es auch immer wieder glaubwürdige Berichte über Schäden religiöser Praktiken im Zusammenhang mit psychotherapeutischen Interventionen gegeben, so dass sich das österreichische Gesundheitsministerium veranlasst sah, vor der Aufgabe wissenschaftlicher Standards in der Psychotherapie ausdrücklich zu warnen und esoterische Inhalte, spirituelle Rituale und religiöse Methoden in der Psychotherapie(1)(1)(1) zu verbieten (Österreichisches Bundesgesundheitsministerium 2014). Diese Situation hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) dazu bewogen, 2013 ein »Referat für Religiosität und Spiritualität in Psychiatrie und Psychotherapie« ins Leben zu rufen. In diesem sollten sowohl das gesundheitsfördernde Potential von Religiosität und Spiritualität als auch die damit verbundenen Gefahren und Fragen wissenschaftlich untersucht werden. Dabei wurden die verwendeten Begriffe folgendermaßen definiert:

Unter Religion wird (1)eine Gemeinschaft verstanden, die Traditionen, Rituale, Texte teilt (Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus u. a.).

Religiosität meint(2) über die institutionelle Religionszugehörigkeit (1)hinaus eine persönliche Gestaltung und Lebenspraxis von Religion.

Spiritualität wird in den (2)Gesundheitswissenschaften allgemein als Container-Begriff verstanden, der die persönliche Suche nach dem Heiligen, nach Verbundenheit oder Selbsttranszendenz(1) meint und ausdrücklich auch Weltanschauungen außerhalb der institutionalisierten Religionen einschließt (Bucher 2014; Pargament et al. 2013).

Existentiell werden (Grenz-)Erfahrungen genannt, die mit Sinn-Krisen(1)(1) einhergehen, insbesondere im Kontext von Krankheit und Tod (La Cour 2012; Schnell 2016).

1.2 Religiosität und Spiritualität in Psychiatrie und Psychotherapie

Die Geschichte der Auseinandersetzungen(1)(1) zwischen Religion und Psychotherapie reicht ins 19. Jahrhundert zurück und kann hier nicht behandelt werden: Wir haben es sowohl mit gegenseitiger Kritik, Abgrenzung und Polemik als auch mit vorsichtiger Annäherung zu tun.

Psych-Fächer in Bezug auf Glaubensfragen sind insgesamt ambivalent. Einige Gründerväter der Psychologie und Psychotherapie wie William James, Pierre Janet oder auch Carl Gustav Jung haben sich höchst differenziert mit der menschlichen Religiosität und Sehnsucht nach Transzendenz auseinandergesetzt. Sie trafen aber auf das psychoanalytische Lager, das seinerzeit ein Bollwerk gegen die »schwarze Schlammflut des Okkultismus« errichten wollte und Irrationalismen aller Art bekämpfte. Freud betrachtete religiösen Glauben als infantil und regressiv. Die psychoanalytisch geprägte Psychotherapie(1), aber auch die Verhaltenstherapie haben deshalb religiöse Themen bis zur Jahrtausendwende weitgehend ausgeklammert.

Das kritische und aufklärerische Potential der Psychoanalyse hat nach dem Zweiten Weltkrieg sicherlich maßgeblich dazu beigetragen, dass die Auseinandersetzung mit autoritären und faschistischen Strukturen stattfinden konnte. Man hat aber im Bemühen, alle Irrationalismen zu vermeiden, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und viele wirksame nonverbale Methoden der Selbsterfahrung(1) ignoriert oder ausgegrenzt. Etliche therapeutische Strömungen, die Körperarbeit oder Meditation integrierten, mussten sich im außerakademischen Raum weiterentwickeln, was zur Folge hatte, dass in den verschiedenen Nischen mancherlei unüberprüfter Wildwuchs gedieh. Es fehlte in diesem Umfeld die wissenschaftliche Ergänzung durch Theoriebildung, Grundlagenforschung und kritischen Diskurs. Umgekehrt entwerteten die geschmähten »Schmuddelkinder« die empirische Forschung und deren Vertreter. Die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen diesen Lagern dauerten ungefähr bis zur Jahrtausendwende.

Seit etwa 20 Jahren gibt es mehr Begegnung und Austausch. Die frühere skeptisch-kritische Haltung von analytisch und verhaltenstherapeutisch geprägten Psychiatern, Psychosomatikern und Psychotherapeuten in Bezug auf Religion(2)(1)