cover

INHALT

» Über den Autor

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks von Robert Seethaler

» www.keinundaber.ch

ÜBER DEN AUTOR

Robert Seethaler, geboren 1966, wurde 2007 für seinen Roman Die Biene und der Kurt mit dem »Debüt-Preis des Buddenbrookhauses« ausgezeichnet. Er erhielt zahlreiche Stipendien, darunter das »Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste«. Der Film nach seinem Drehbuch Die zweite Frau wurde mehrfach ausgezeichnet und lief auf verschiedenen internationalen Filmfestivals. 2008 erschien sein zweiter Roman Die weiteren Aussichten. Im Juli 2010 erschien sein dritter Roman Jetzt wirds ernst bei Kein & Aber. Robert Seethaler lebt in Berlin und Wien.

ÜBER DAS BUCH

Diese wunderbare, komisch-tragische Liebesgeschichte schildert die ungewöhnliche Begegnung zwischen der 16-jährigen, eigenwilligen, einem katholischen Mädchenheim entflohenen Biene und dem abgehalfterten Provinzbühnen-Rock-‘n’-Roller und Schlagersänger Kurt »Heartbreakin’« Dvorcak.

Gemeinsam tourt dieses merkwürdige Paar im scheppernden, aber glitzernden »Heartbreakin´-Mobil« durch die Provinz, spielt in Wirtshäusern, Altenheimen und Zuchttierhallen, trifft auf pralle Frauen, gewaltige Bauern, tanzende Polizisten, Wirtinnen in roten Overalls, auf über tausend Truthahnküken und erlebt auch sonst einige recht bemerkenswerte Abenteuer. Die Biene und der Kurt finden dabei immer mehr Gefallen aneinander, und nach diversen überwundenen Widerständen entwickelt sich zwischen den beiden eine seltsame, aber tiefe Liebe. In einer äußerst filmischen Sprache, der man sich kaum entziehen kann, erzählt Robert Seethaler eine atmosphärisch starke Geschichte, die von Freiheit erzählt, von Sehnsucht, von der Provinz, und von zwei Außenseitern, die alles mitbringen, um die Liebe niemals zu finden, sie aber schließlich doch bekommen.

»Eine wunderbar verschrobene Geschichte, die zur Abwechslung einmal schlauer ist, als sie tut.«

Der Tagesspiegel

EIN FRÜHMORGENDLICHER TANZ

Einen Polizeibeamten in Uniform, der irgendwo am verlassenen Landstraßenrand neben seinem grün-weißen Polizeiauto vor sich hin tanzt, sieht man eigentlich selten. Aber das kennt man ja: Wenn sich der Dienst wieder einmal hinzieht wie ein ausgelutschter Kaugummi, kann einem schon einmal langweilig werden! Vor allem, wenn man so ein junger, irgendwohin strebender und ziemlich ehrgeiziger Polizeibeamter wie der Leo ist. Und wenn es dann auch noch so morgendlich früh ist, dass noch nicht einmal ein Traktor die Straße entlangwackelt, geschweige denn ein Auto, dann wird es einem natürlich gleich noch ein bisschen langweiliger. Aber eines ist auch klar: Jeder Mensch hat einen Rhythmus in sich drinnen! Sogar ein ländlicher Polizeibeamter mit schweißigen Flecken unter den Achseln und roten Flecken im Gesicht. Und deswegen und wegen der Langeweile und weil er vor kurzem einen südamerikanischen Tanzkurs an der Volkshochschule belegt hat – weniger wegen des Tanzens als wegen der Frauen –, deswegen also dreht er sich jetzt in der frischen Morgenluft, der Leo. Ganz vorsichtig und langsam, mit Bedacht und sanftem Wiegeschritt, dann aber doch auch schon ein bisschen forscher und schneller. Und jetzt hebt er sogar die Arme hoch wie eine dickliche Primaballerina in Uniform und dreht sich recht gekonnt im Kreis. Immer mehr rührt der Rhythmus herum im Leo. Vor und zurück schwingt er seinen Hintern und die weichen Hüften, tänzelnd trippeln die schweren Beamtenschuhe über die Erde; nach links und nach rechts wirft der Leo seinen rotfleckigen Kopf mit der schönen Mütze, elegant schwingen sich die Arme darüber und geben die nassen Achseln frei.

So also tanzt Leo, der junge Polizeibeamte, vom inneren Rhythmus getrieben, einen selbstvergessenen Frühmorgentanz am einsamen Landstraßenrand.

Aber so eine ehrgeizige und ausgebildete Polizeibeamtenwachsamkeit kriegt auch kein noch so schön zusammenphantasierter Rhythmus klein! Deswegen reagiert jetzt der Leo auch ziemlich schnell, als plötzlich etwas raschelt im Gebüsch hinter dem Auto. Mitten in einer sehr anmutigen Bewegung bleibt er stecken, horcht ein bisschen hin zum Rascheln, lässt dann langsam die Arme sinken und schleicht sich mit ganz leisen Schritten um das Auto herum. Dass da drinnen auf dem Beifahrersitz der Hermann liegt, ist dem Leo jetzt egal.

Der Hermann ist auch ein Polizeibeamter. Und zwar schon ziemlich lange. Deswegen streiten sich schon die letzten grauen Haare mit der Glatze um den begrenzten Platz auf dem Hermannkopf. Und deswegen freut sich der Hermann schon sehr auf die Rentenbezüge und aufs Nichtstun. Obwohl er jetzt eigentlich auch schon nichts tut, außer ganz leise zu schnarchen. Weil er nämlich ein bisschen eingedöst ist, im gemütlichen Polizeiautositz. Das kann man sich ja auch einmal erlauben nach so einem anstrengenden Tag und nach so einem anstrengenden Beamtenleben.

Der Leo ist da anders. Der hat ja das Ganze noch vor sich. Der will noch was. Vor allem will er ein paar Sternchen mehr auf der Schulter kleben haben, irgendwann später. Und da kann so eine beständige Wachsamkeit eigentlich nicht schaden. Darum schleicht er sich jetzt also am Auto mit dem schlafenden Hermann vorbei, bleibt dann stehen und schaut ganz aufmerksam hinüber zum Gebüsch. Dass er die Hand dabei schon am Halfter hat, das weiß der Leo wahrscheinlich selber gar nicht. Das passiert automatisch, wenn einem das heiße Jagdfieber hineingekrochen ist in die Knochen.

Schon wieder raschelt es im Gebüsch. Leise. Und da tut der Leo das einzig Richtige: Er lässt sich auf das rechte Knie fallen, wurschtelt seine Waffe aus dem Halfter, streckt schulmäßig beide Arme nach vorne und legt an. Und eines ist klar: So eine Wachsamkeit, so eine nämlich, die dem Leo da hinter den Augen sitzt, die kann einem auch die beste Polizeischule nicht antrainieren! Das ist schon eine echte, ehrliche und angeborene Gabe. Die hat man oder hat man nicht. Der Leo hat sie. Deswegen entsichert er jetzt ganz langsam seine Waffe. Deswegen leckt er sich über die Lippen, und deswegen quetscht sich auch ein einsamer Schweißtropfen unter der Polizeimütze hervor und rollt die rotgefleckte Leostirn hinunter. Noch einmal raschelt es im Gebüsch. Noch einmal. Und noch einmal. Und dann hüpft ein kleiner Vogel hervor. Hüpft hervor, bleibt stehen, hebt eins von den dünnen Beinchen und schaut ein bisschen herum. Wahrscheinlich will der etwas von der Morgensonne haben. Dem Leo aber gefällt das. Der zieht langsam sein Gesicht zu einem ziemlich breiten Lächeln auseinander und kneift sein linkes Auge zusammen. Der Vogel schaut. Der Leo schaut. Und dann krümmt er seinen Zeigefinger.

Eigentlich schade für den Leo, dass sich in genau diesem Augenblick ein Schatten vor ihm auf dem Boden breit macht. Für den Vogel ist das nicht so schade. Der kriegt nämlich einen gehörigen Schrecken, fackelt nicht lange herum und fliegt weg. Da kann ihm der Leo noch so lange ein bisschen blöd hinterherschauen – der Vogel hat sich verabschiedet und ist höchstens nur mehr als kleiner, schwarzer, flatternder Punkt am blauen Himmel zu sehen. Wenn überhaupt.

Der Schatten gehört dem Hermann. Der ist nämlich doch irgendwann unwillig aufgewacht aus seinen Pensionistenträumen, hat sich aus dem gemütlichen Polizeiautositz herausgerappelt und steht jetzt hinter dem Leo. Die grüne Mütze zieht er sich über die Glatze nach hinten und schaut auf seinen jungen Kollegen hinunter. »Drei Wochen, Leo ...«, sagt er und kratzt sich ein bisschen im Nacken, dort, wo die Haare noch wollen. »In drei Wochen geh ich in Rente – dann beginnt von mir aus die Jagdsaison. Jetzt noch nicht!« Und dann gibt er dem Leo einen kleinen schiefen, aber freundlichen Wink mit dem Zeigefinger. »Stecks weg, hmh?«, sagt er zu ihm. Unten kniet der Leo noch immer im Landstraßenstaub. Was er sich da denkt, weiß er wahrscheinlich nicht so genau. Aber eines weiß er: Der Hermann hat ein oder zwei Sternchen mehr als er. Noch. Also schaut der Leo einigermaßen missmutig drein und steckt dann aber doch die Waffe in ihr Lederbett zurück. Das gefällt dem Hermann. Da schaut er zufrieden. »Brav!«, sagt er, und nickt dem Leo recht versöhnlich zu. Und dann streckt er sich, gähnt ein bisschen, legt seinen Kopf in den Nacken und blinzelt in die schöne Morgensonne hinein.

BIENE KRAVCEK

Eines ist klar: So eine Brille ist nicht zu übersehen! Gar nicht so wegen dem modischen Aspekt. Weil nämlich der Krankenkasse – wenn sie schon einmal ausnahmsweise und nach längerem behördlichem Gerangel eine Brille voll finanziert – die Mode mit all ihren Aspekten ziemlich wurscht ist. So eine Brille ist nicht zu übersehen, weil sie dick ist wie ein hochälplerischer Bierkrugboden. So dick ist diese Brille. »Siebzehn Dioptrien«, hat der Augenarzt damals gesagt, als er die schwere Brille in seiner rosigen Augenarzthand ein bisschen balanciert und sie dann der kleinen Biene auf die kleine Nase gesetzt hat. Drei Jahre war sie damals alt. Auch kein Alter eigentlich.

Jetzt ist die Biene sechzehn und hat auch einen Nachnamen. Kravcek. Die Brille sitzt der Biene Kravcek noch immer schwer auf der Nase und glänzt vor sich hin. Deswegen fällt es auch gar nicht auf, dass es sich darunter, mitten auf dem Nasenrücken, ein Pickel gemütlich gemacht hat. So ein Nasenpickel kann sich nämlich noch so sehr in den Vordergrund spielen wollen – gegen eine so glänzend dicke Bierkrugbodenbrille, hinter der sich so riesig vergrößerte braune Augen hin und her bewegen, kann der nur abstinken!

Der Pickel, die Brille und die riesigen braunen Augen sind aber auch schon das Einzige, was sich da hervortut. Sonst ist nämlich nicht viel los im Bienegesicht. »Eher blässlich«, würde jemand sagen, der sich die Biene einmal etwas genauer anschauen würde. Das tut aber nie jemand. Heute hat sie sich mit einem Gummi einen Pferdeschwanz gemacht. Das ist aber auch nicht außergewöhnlich. Den macht sie sich nämlich jeden Tag. Obwohl die blonden Haare fast zu kurz sind für einen Pferdeschwanz. Also ist das eigentlich eher ein Pferdestummel, der da schräg absteht vom Hinterkopf. Dafür ist die Stirn hoch, weiß und glatt. Da könnte man ein ganzes Stillleben oder so was draufmalen, wenn man die Zeit hätte und die Muße, auf diese Stirn. Ansonsten? Die Ohren sind klein, der Mund sowieso, das Kinn darunter auch nicht besonders groß, überhaupt ist die ganze Biene kein Riese. Ein Meter und sechsundfünfzig sind eben kein Gardemaß. Ein bisschen pummelig ist die Biene auch. Aber das macht ihr nichts aus.

Ein Tablett hält sie in den Händen. Auf dem Tablett steht ein Teller mit einem grauen Fleischlappen, einem gelben Erdäpfelpüree und einem grünen Erbsenhaufen drauf. Passt eigentlich farblich alles gut zu dem gelblich braunen Hemd, dem bräunlich gelben Rock, den weißen Stutzen und den schwarzen Schuhen, in denen die Biene steckt.

So steht sie also farblich einigermaßen abgestimmt da und schaut. Mitten in einem Saal steht die Biene. Genau in der Mitte von einem gewaltigen Speisesaal mit hohen grünlichen Wänden und fast genauso hohen grauen Fenstern. Da fallen ein paar staubige Sonnenstrahlen durch. Schräg liegen die im Raum herum und malen helle Vierecke an die Wände.

Mitten in einer der vielen Reihen zwischen den orangefarbenen Tischen und Plastikstühlen steht die Biene. Wahrscheinlich hat irgendwann mal irgendein Innenarchitekt eine ziemliche Wut auf irgendwas gehabt. Oder er hat sich vielleicht über die vielen frustreichen und brotlosen Innenarchitekturlehrjahre hinweg eine ziemlich verwirrte Farbwahrnehmung angesoffen. Sonst sind eigentlich dieses ganze Orange und dieses ganze Grünliche nicht so recht erklärbar.

Und eines ist auch nur natürlich: Speisesäle sind keine Orte der Einsamkeit! Und der Speisesaal von einem katholischen Mädchenheim zur Mittagszeit sowieso nicht. Deshalb ist die Biene auch nicht alleine. Weil sich nämlich überall um sie herum ein Haufen anderer Mädchen tummelt. Alle tragen sie genau die gleichen bräunlich gelben oder gelblich braunen Uniformen, genau die gleichen weißen Stutzen und schwarzen Schuhe. Ein paar stehen, ein paar gehen noch herum, die meisten aber sitzen schon da, vor ihren Tabletts, stochern ins Erdäpfelpüree hinein und reden ziemlich viel. Und als ob sich die ganzen hellen Mädchenstimmen irgendwie zusammengetan hätten, hängen die jetzt wie ein einziger Schwarm im Saal herum, wie ein einziger großer Mädchenstimmenschwarm.

Jetzt ist die Biene aber lange genug so herumgestanden. Hat auch genug geschaut, ob denn da irgendwo noch ein Platz frei ist. Ein Platz, wo sie ihre Ruhe haben kann und keine Nachbarn. Und jetzt hat sie einen solchen Platz gefunden. Ganz im Eck ist nämlich noch ein Tisch frei. Da geht die Biene hin. Dass beim Vorbeigehen ein paar Mädchen so komisch kichern, bemerkt sie gar nicht. Oder vielleicht will sie das auch gar nicht bemerken. Jedenfalls schaut sie nur ziemlich gerade vor sich hinunter und am Tablett vorbei auf den Boden, geht zum freien Tisch, setzt sich, sticht sich eine einzelne Erbse auf die Gabel, hält sie hoch und schaut sie sich von allen Seiten an. Und dann schiebt sie sich die grüne Kugel in den Mund hinein. So tief es geht.

IN DER BIENE ZERPLATZT ETWAS

So sitzt also die Biene alleine im Eck am Tisch und isst. Aber nicht lange. Bald schon hat sich das erledigt mit dem Alleinedasitzen. Weil sich nämlich jetzt ein großes Mädchen mit einem großen Granitschädel der Biene gegenüber hinsetzt und ihre wirklich großen Unterarme auf den orangefarbenen Tisch legt.

Hinter Bienes Stuhl haben sich noch zwei Mädchen postiert. Auch nicht schmächtig, haben die ihre Arme vor der Brust verschränkt und schauen auf die Biene hinunter.

Und die kann jetzt noch so angestrengt in ihren Teller hineinschauen und so tun, als würde sie da was Interessantes sehen im Püree – oft lässt sich die Wirklichkeit nicht einfach so wegphantasieren. Das ist schade. Weil die Wirklichkeit einem manchmal ganz schön den Tag versauen kann. Das Mädchen mit dem Granitschädel jedenfalls beugt sich jetzt ein wenig vor und zeigt auf Bienes Teller. »Meins ...?«, fragt sie. Gelb sind ihre Zähne und groß. Angeboren wahrscheinlich. Die beiden hinter der Biene gluckern mit bebenden Schultern ihre erwartungsvolle Erregung heraus. Es ist nämlich schön und angenehm, wenn man auf der richtigen Seite steht.

»Na ...?«, fragt der Granitschädel und ballt langsam eine von den fleischigen Händen zur Faust, dass es nur so knackt. Ihre Freundinnen gluckern. Die Biene schaut in ihren Teller hinein. Aber weil da drinnen jetzt auch keine Lösungen herumschwimmen und weil der Biene partout nichts anderes einfallen will, gibt sie sich einfach ganz spontan einem inneren Rucker hin, reißt sich los vom Teller, nimmt ihre Gabel, spießt damit den Fleischlappen auf und hält ihn in die Höhe. Da grinst der Granitschädel gleich noch ein bisschen breiter. Aber zu früh. Weil nämlich die Biene plötzlich ihre kleine rosige Zunge ausfährt und einmal quer drüberschleckt über das graue, fettige Fleisch. Quer drüber, von rechts unten nach links oben. Und dann hält sie es der anderen unter die Nase. »Ja. Deins ...!«, sagt sie.

Vielleicht hätte sie das aber doch nicht machen und sagen sollen. Weil die Granitene sich nämlich nur kurz von der Überraschung aufhalten lässt, ihren Ärger schnell zwischen den Kiefern zermalmt, den beiden Genossinnen hinter der Biene einen Blick zuwirft und das eckige Kinn nach vorne reckt. Und die beiden haben verstanden. Die packen jetzt die Biene. Von hinten packen sie sie an den Oberarmen, dass die Gabel mit dem Fleisch nur so purzelt, und halten sie ordentlich fest. Da kann die Biene jetzt noch so viel zappeln und sich auf und ab bäumen – fest steckt sie im harten Griff. Das gefällt natürlich wiederum dem Granitschädel gegenüber. Der kann gleich noch einmal die gelben Zähne zeigen. Und außerdem kann er hinüberlangen, kann mit den wurstigen Fingern fest in Bienes Haare hineingreifen und den Bienekopf mit Wucht in den Teller mit den Erbsen und dem Erdäpfelpüree tunken.

Die Biene prustet, schluckt und spuckt. Aber gar so schnell will das granitene Mädchen noch nicht aufhören. Da hat sie jetzt doch noch zu viel Spaß an der Sache. Also drückt sie die Biene eben so lange in den Teller hinein, bis die irgendwann mit dem Prusten, mit dem Schlucken und mit dem Spucken aufgehört hat und einfach liegen bleibt, mit dem Gesicht im gelblich grünen Matsch.

Etwas will die Granitene noch wissen. Etwas interessiert sie noch. An den Haaren zieht sie den Bienekopf hoch und beugt sich nah zu ihm hin. »Hats geschmeckt?«, fragt sie. Eigentlich höflich. Wobei: Könnte natürlich auch sein, dass das gar nicht so höflich gemeint ist, in diesem Moment.

Die Schergenmädchen haben die Biene losgelassen. Das ist ihr wahrscheinlich auch ganz recht. Da kann sie sich die verschmierte Brille wieder zurück auf die richtige Nasenstelle schieben. Und dann kann sie sich die da gegenüber ein bisschen anschauen. Das dunkle Zahnfleisch über dem Zahngelb zum Beispiel. Oder die breiten Nasenflügel. Kann sich anschauen, wie sich die Nasenlöcher bei jedem Einatmer aufblähen wie lebendige Saugnäpfe. Oder wie sich die dichten Augenbrauen heben vor Vergnügen, über den kleinen, hellblauen Augen. Das alles schaut sich die Biene an. Eine Weile. Und dann zerplatzt etwas in ihr. So etwas kennt man ja: Wenn plötzlich irgendetwas zerplatzt, oben drinnen im Hirn oder unten drinnen im Herz, und sich ausbreitet im ganzen Körper, ganz heiß, bis in die Fingerspitzen und sogar auch bis in die Zehenspitzen hinein. Das ist die Wut.

Und wenn so etwas erst einmal zerplatzt ist, dann geht das alles oft ganz schnell. Jetzt auch. Weil die Biene sich nämlich das Messer vom Tablett greift, mit einer unvermutet blitzartigen Geschwindigkeit über den Tisch und dem Granitschädelmädchen an die Gurgel springt und es mitsamt seinem gelbdunklen Grinser im Gesicht nach hinten umhaut. Und jetzt kniet sie schon auf ihm. Wie ein Käfer liegt die da unten auf dem Rücken und traut sich kaum, sich zu rühren. Der Grinser ist weg. Wenn einem nämlich einmal eine Messerspitze knapp vor dem Gesicht herumzappelt, hält sich der Zynismus gern vornehm zurück.

Aber eines ist auch bekannt: Die Sensationsgeilheit lässt sich von niemandem etwas vorschreiben! Auch nicht von der katholischsten Erziehung. Und deswegen sind die Biene und das Granitmädchen innerhalb der nächsten ungefähr zwei Sekunden von einem Haufen johlender und kreischender gelblich brauner oder bräunlich gelber Mädchen umringt. Der Biene macht das nichts. Die hält dem Käfer das Messer vors Gesicht und schaut knapp an der Klinge vorbei. Ganz so zufrieden sieht die da unten jetzt auch nicht mehr aus, wie sie so auf dem Rücken liegt, keucht und schwitzt. Gar nicht zufrieden. Und jetzt fasst die Biene das Messer ein bisschen fester an. Und hebt es hoch. Da johlen und kreischen die Mädchen rundherum gleich noch ein bisschen lauter und schlagen die kleinen Hände vor die kleinen Münder. Das Käfermädchen zuckt ordentlich zusammen, drückt, so fest es kann, die Augen zu und schließt innerlich schon ab mit allem Möglichen. Die kann ja auch nicht wissen, was die Biene vorhat, mit dem kalten Messer in der warmen Hand. Vielleicht würde die sonst ja anders reagieren.

Die Biene will nämlich gar nicht die Klinge hineinbohren ins Gesicht unter ihr. Die will etwas ganz anderes. Die krempelt sich einen Ärmel von ihrer Bluse hoch, streckt den kurzen weißen Unterarm, der da zum Vorschein kommt, in die Luft, hält sich die Messerspitze an diesen kurzen Unterarm und drückt sie in die Haut hinein. Und dann zieht sie die Klinge ein paar Zentimeter hinunter, in Richtung Ellbogen. Da lässt das Blut nicht lange auf sich warten. Das kommt gleich herausgeschossen, dunkel glänzend unterm Speisesaaldeckenlicht.

Die Biene hat aber jetzt genug geschlitzt. Die schmeißt das Messer weg, drückt dem großen Mädchen da unten ihren weiß-roten Unterarm unter die Nase und schmiert ihr das Bieneblut über das ganze Gesicht. Und so ein Gejohle, das da jetzt herausbricht aus all den Mädchenköpfen, so ein wildes Gekreische hat es wahrscheinlich auch noch nie gegeben in der ganzen langen Geschichte der katholischen Mädchenheimspeisesäle!

Deswegen fliegt jetzt auch mit einem ordentlichen Kracher die Saaltür auf. Und eines muss man sagen: Was da hereingestürmt kommt, das hat schon eine Wirkung! Eine gewaltige, sozusagen überdimensionierte Frau stürmt da herein. Das ist die Hilfsschwester Maria. Und wem bei diesem Anblick nicht der gehörige Respekt in die Knochen fährt, der muss schon tot sein. So ein Fleischberg ist die Maria. Sicher eins neunzig groß und schwer wie ein Kleinwagen. Aber nicht nur Fett. Auch Muskeln. In einem weißen Kittel steckt sie. Da will man über den Stoffverbrauch erst gar nicht nachzudenken beginnen. Auf ihrem riesigen, runden Kopf balanciert ein winziges weißes Steckhäubchen. Das sitzt da oben wie diese kleinen weißen Vögel auf den Nilpferdköpfen in Afrika.

Durch die Reihen mit den orangefarbenen Tischen und Stühlen stürmt diese Maria. Dabei schiebt sie eine Bugwelle flüchtender Mädchen vor sich her. Schon ist sie da. Schon hat sie sich die Biene geschnappt, hat sie vom Käfer weg- und hochgerissen und hat sie an ihren riesigen Leib gedrückt. Und jetzt stürmt sie schon wieder zur krachenden Tür hinaus. Weg ist sie, die gewaltige Hilfsschwester Maria mit der Biene unterm Arm. Das ist schnell gegangen. Zurück bleibt ein heilloses, tobendes und kreischendes, gelblich braunes oder bräunlich gelbes Mädchendurcheinander.

DIE MUTTER GOTTES UND DER WILDE WESTEN

Die Mutter Gottes hat sicher auch schon einiges gesehen. Wer schon einmal einen Sohn so ganz ohne Mann empfangen hat, den haut wahrscheinlich gar nichts mehr so schnell um. Und darum schaut die Mutter Gottes jetzt eher abgeklärt und ein bisschen gelangweilt in das Zimmer von der Frau Kämmerle hinein.

Die Frau Kämmerle wiederum schaut eher aufgewühlt zur Mutter Gottes hoch, die da in einem kleinen Baumarkt-Bilderrahmen an der Wand hängt und so heilig ihre Hände vor der Brust faltet. Dort oben, im sanften Gesicht, sucht die Frau Kämmerle Trost. Den braucht sie manchmal. Oder eigentlich ziemlich oft. Die Frau Kämmerle ist nämlich die Heimleiterin. Und eines ist ja bekannt in der religiös-sozialen Arbeitswelt: Heimleiterin von einem katholischen Mädchenwohnheim zu sein, ist schon so eine Sache! Da muss man dafür geboren sein. Oder ziemlich leidensfähig. Die Frau Kämmerle ist beides.

Das Soziale und das Religiöse sind ihr vor sechsundvierzig Jahren schon in die Wiege gelegt worden. Und irgendwann später hat sie sich hochgearbeitet und -gebetet durch die ganzen Kirchenstrukturen, die kleine, zarte, aber zähe Frau Kämmerle. Bis zur Heimleiterin eben. Viel weiter geht es nicht mehr für eine Frau im Katholizismus. Und gelitten hat sie auch genug. Weil sie nämlich nicht so eine Sozialbürokratin ist. Weil sie sich nämlich einsetzt für ihre Mädchen und ihre Hilfsschwestern. Da kennt die Frau Kämmerle gar nichts. Mitleid, Sorge und verzeihende Liebe sind praktisch Daueruntermieter im Kämmerlehirn. Und genau deswegen steht sie jetzt wieder einmal mit auf dem Rücken verschränkten Armen in ihrem Büro und schaut mit traurig-aufgewühltem Blick zu der Mutter Gottes im Baumarkt-Bilderrahmen hoch.

Noch zwei andere stehen im Zimmer. Gleich bei der Eingangstür. Die Biene und die Hilfsschwester Maria stehen da. Und so ein ungleiches Paar hat es wahrscheinlich noch nicht einmal im ausgedachtesten und überdrehtesten Hollywoodweihnachtstrickfilm gegeben! Die gewaltige Maria schaut erwartungsvoll aus ihrem roten Schädel heraus zu ihrer Chefin hinüber, während die gar nicht gewaltige Biene eher überhaupt nicht erwartungsvoll auf den Boden hinunterschaut. Ihr Arm ist fest mit einem weißen Verband umwickelt. Das hat die Maria gemacht. Die kann so was. Bluten tut da jetzt nichts mehr.

Ziemlich lange ist es ziemlich ruhig im Büroraum. Bis dann irgendwann die Frau Kämmerle seufzt. Und gleich noch einmal hinterher. Und dieser zweite Seufzer ist ihr jetzt schon besser gelungen. Den hat sie aus ihrer allertiefsten Seelenecke hervorgeholt. Und jetzt dreht sie sich um zur Biene und zur Maria. »Wunden muss man sich nicht selber schlagen!«, sagt sie. »Frag den Jesus!« Wirklich sehr traurig schaut die Frau Kämmerle drein. Die Biene findet ihre Schuhe wahrscheinlich recht interessant. Die Maria hat die Unterarme über ihrer Gebirgsbrust verschränkt und schaut irgendwohin. Ob sie überhaupt etwas findet oder denkt, ist unklar. Einmal noch schaut die Frau Kämmerle hoch zur Mutter Gottes. Dann geht sie zur Biene hinüber und stellt sich vor sie hin. Kaum größer ist sie als die Biene. Aber so ist das eben mit der Autorität: Die definiert sich ihre Größe selbst. Und der Glauben die seine sowieso.

Die Frau Kämmerle fasst der Biene unters Kinn, beugt sich ganz nah zu ihr hin und schaut ihr mitten ins Gesicht hinein: »Für diesmal bleibt die Geschichte unter uns. Aber das muss das allerletzte Mal gewesen sein! Nicht jede Blindheit währt ewig. Und die Güte sowieso nicht ...« Sanft streichelt sie der Biene über den Kopf. »Verstehst du?«

Die Biene schiebt sich ihre Brille mit dem Zeigefinger gerade, nickt ein bisschen und schaut sich wieder ihre Schuhe an.

»Wirst dich schon dreinfinden ...!« Ein bisschen verzwickt lächelt die Frau Kämmerle. Dann dreht sie sich um und geht zum Mutter-Gottes-Bild zurück. Die Maria hat verstanden. Die weiß schon, was zu tun ist. Die fasst jetzt die Biene an ihren Schultern und schiebt sie zur Tür hinaus. Weg sind sie. Und ruhig ist es wieder im kleinen Mädchenwohnheimleiterinnenbüro.

Alleine steht die Frau Kämmerle wieder da, an der Wand, unter dem kleinen, bunten Bild, und schaut hoch ins tröstende Gesicht. Eine Weile steht sie so da und bewegt sich nicht. Aber mit einem Mal stellt sie sich auf die Zehenspitzen, greift hoch und dreht die Mutter Gottes einfach um. Und das ist jetzt aber auch wirklich ungewöhnlich: Auf der Rückseite vom Baumarkt-Bilderrahmen steckt noch ein Bild! Genauso bunt und schön wie das von der Mutter Gottes. Oder vielleicht sogar noch ein bisschen schöner. Ein Bild von einem Cowboy steckt da. Ein braungebrannter Cowboy mit sehr blonden Haaren ist das. Der steht breitbeinig mitten in einer romantischen Wild-West-Dekoration, mit Wüste und Plastikkaktus und allem Drum und Dran, trägt eine strahlend bläuliche Uniform und einen strahlend bläulichen Cowboyhut und lächelt mit strahlend weißen Zähnen zur Frau Kämmerle hinunter.

»Romantic Cowboy« steht in großer goldener Zierschrift über dem Cowboy. Und darunter steht noch größer und noch goldener »T. T.«. Das gefällt der Frau Kämmerle. Weil sich jetzt nämlich ein rosiges Leuchten und ein ziemlich seliges Lächeln breit macht in ihrem Gesicht. Und dann sagt sie etwas Komisches. »Yeehaa«, sagt sie. Ganz leise sagt sie das zwischen dem seligen Lächeln hervor und zum schönen Cowboy hoch.

So angenehm beschäftigt ist die Frau Kämmerle, dass sie dabei fast überhört hätte, wie die Bürotür aufgeht. Aber eben nur fast. Also hüpft sie noch einmal auf die Zehenspitzen, dreht das Bild wieder um und tut schnell so, als ob nie irgendjemand anderes als die liebe Mutter Gottes aus dem Baumarkt-Bilderrahmen heraus und ins Büro hineingeschaut hätte.

Die Hilfsschwester Maria steckt ihren roten Riesenschädel mit dem winzigen Häubchen zur Tür herein. »Entschuldigung ...«, sagt sie, »Strafe ...?« Die Frau Kämmerle ist ein bisschen zerstreut. »Ach so ...«, sagt sie, faltet die Hände vor dem Bauch und denkt ein bisschen nach. »Ach so ...« Aber dann weiß sie was. »Schuhe!«, sagt sie mit fester Heimleiterinnenstimme. Und die dicke Maria hat verstanden. Die nickt zufrieden und schließt die Tür.

Zurück bleibt die Frau Kämmerle. Ein bisschen muss sie wieder seufzen. Schwer ist so ein Leben in Verantwortung und Frömmigkeit. Das weiß auch die Mutter Gottes. Deswegen schaut die jetzt wahrscheinlich mit einem gewissen Verständnis auf die kleine Heimleiterin hinunter.

UND JETZT GIB EINE RUH!

So ein komisches Geräusch im Dunkeln. »Ritsch ... ratsch ... ritsch ... ratsch ...« Ganz leise ritscht und ratscht es. Da kann einem schon ganz anders werden. Aber Gott sei Dank: Auch das Dunkle ist relativ. Weil so dunkel ist es jetzt auch wieder nicht. Hoch oben an der Decke hängt nämlich eine einzelne staubige Glühbirne. Die kann natürlich auch nicht gerade viel ausrichten gegen diese ganze Dunkelheit. Aber ein bisschen was schon. Der Biene reicht das für ihre Arbeit. Die sitzt direkt darunter im schütteren Glühbirnenlichtkegel. Mitten im Raum, auf einem Schemelchen sitzt sie, in der einen Hand einen kleinen schwarzen Schuh, in der anderen eine Bürste. »Ritsch ... ratsch ...« machen die Bürstenborsten auf dem schwarzen Kunstleder. Als ob das nicht schon genug glänzen würde. Aber Strafe muss sein.

Die Bieneaugen haben sich schon gewöhnt. Die könnten eigentlich schon über den Glühbirnenlichtkegelrand hinausschauen. Dann würden sie die Backsteinwände mit dem groben Verputz sehen. Und die Holzregale davor. Und die kleinen schwarzen Schuhe in den Regalen. Die vielen, vielen kleinen schwarzen Schuhe. Die stehen da nämlich aufgereiht drinnen, Paar für Paar, jedes auf seinem Platz, eine Mädchenhalbschuharmee. Und die Biene würde auch ganz hinten am anderen Ende vom Kellerraum die eiserne Eingangstür sehen. Und sie würde sehen, wie neben der Tür die Hilfsschwester Maria auf einem Stuhl hockt, das beeindruckende Kinn auf der Brust abgelegt wie einen Teigbatzen, und vor sich hin döst. Und wenn die Biene noch genauer schauen würde, dann würde sie vielleicht sogar sehen, wie der Maria ein zart glitzernder Speichelfaden aus dem Mund hängt und in einem dunklen Fleck auf dem Schwesternkittel verschwindet. Das alles würde die Biene sehen, wenn sie aus dem trüben Glühbirnenlichtkegel hinausund sich ein bisschen umschauen würde im Kellerraum. Aber die Biene schaut sich nicht um. Die hat keine Zeit für so was. Die hat noch viel zu tun. Die schaut hinunter auf den kleinen schwarzen Schuh und die Bürste in ihren Händen. Weil die Regale sind lang. Und die Nacht auch.

Blau liegt das Nachtlicht auf den vielen Bettgestellen, den Kissen und den Decken. Ein Bett steht neben dem anderen, aufgereiht, hinplatziert und angeschraubt. Da lässt sich nichts verrücken, da muss alles in Reih und Glied stehen. Weil nämlich die Ordnung das halbe Leben ist. Vor allem in einem Schlafsaal von so einem Mädchenwohnheim. Aber etwas lässt sich nicht ordnen, nicht einmal von einer unreformierten klerikalen Sozialbehörde: Das ist das Schnarchen. Wer nämlich behauptet, dass nur besoffene Männer schnarchen, der hat noch keine Nacht in einem Mädchenschlafsaal verbracht. Wie Insekten schwirren und schwärmen die hellen Mädchenstimmen im nachtblauen Saal herum. Seltsam klingt das. Komisch. Eine seltsam-komische Insektensymphonie. Und das hört auch nicht auf, als jetzt die Tür aufgeht und die Biene, gefolgt vom Hilfsschwesternberg Maria, hereinkommt.

Die Maria bleibt stehen an der Tür und schaut zu, wie die Biene weitertrottet, zwischen den Bettgestellreihen durch, direkt auf ihr Bett zu. Und wie sie sich hinsetzt auf den Bettrand, ein, zwei Mal den Hintern zurechtruckelt und die Beine hängen lässt. Dann hat die Maria genug zugeschaut. Und genug aufgepasst. Jede Strafe geht einmal zu Ende. Außerdem freut sich die Maria wahrscheinlich auch schon auf ihr mit Stahlstreben verstärktes Bett. Aber bevor sie jetzt geht, hebt sie noch einmal ihren wurstdicken Finger in die Höhe und sagt etwas zur Biene: »Man schläft immer einmal öfter ein, als man aufwacht im Leben – und das ist auch besser so. Und jetzt gib eine Ruh!« Das sagt die Hilfsschwester Maria. Dann dreht sie sich um und macht die Tür hinter sich zu.

Die Biene sitzt am Bettrand mit glänzender Brille und hört ein bisschen den Insekten zu. Aber das kennt sie ja. Also wurschtelt sie sich mit ein paar recht schnellen Bewegungen aus ihren gelblich braunen und bräunlich gelben Sachen heraus, kriecht in ein kurzes weißes Nachthemd hinein und lässt sich nach hinten auf die Matratze fallen. Und da liegt sie jetzt, die Biene. Wie ins Blau getaucht liegt sie auf dem Rücken und schaut. Zum Fenster schaut sie hin. Und zum Fenster schaut sie hinaus. Zum hohen, offenen Schlafsaalfenster, wo dieses ganze Blau hereinkommt schaut sie hinaus. Da draußen steht ein Baum. Der ist schwarz. Auf einem dicken Ast sitzt ein kleiner Vogel. Und der ist auch schwarz. Den schaut sich die Biene an. Und fast könnte man glauben, dass sich der Vogel auch die Biene anschaut. Vielleicht tut er das ja auch. Und hinter ihm hängt der große Mond. Hängt einfach so da, als könnte man ihn begreifen.

EIN ARSCH IM BAUM

Vorbei ist die Nacht. Im Speisesaal rumort schon wieder das Leben. Oder eigentlich will es rumoren. Weil da nämlich die Disziplin was dagegen hat. Bekanntermaßen sind die Disziplin und das Leben nicht die besten Freunde. Und jetzt herrscht eben gerade die Disziplin zwischen den langen orangefarbenen Tischreihen. Aufgereiht und ordentlich steht ein jedes Mädchen hinter seinem Essplatz. Geredet wird nicht. Das muss so sein, das will die Disziplin so. Die staubigen Sonnenstrahlen liegen auch wieder schräg im Raum. Aber die haben sowieso nie Lärm gemacht. An der Tür stehen die Frau Kämmerle und die Maria. Die Frau Kämmerle hat eine lange Namensliste in der Hand und hält den Morgenappell ab. Ganz ruhig und ganz liebevoll liest sie jeden einzelnen Namen von der Liste runter. »Hier!«, schreien die hellen Stimmen aus den Mädchengesichtern heraus, »hier!«, »hier!« und »hier!«. Vor einer halben Stunde haben die noch geschnarcht.

Und jetzt ist die Frau Kämmerle beim K angekommen. Da gibt es nicht viele. Da gibt es zum Beispiel die drahtige Kellinger. »Hier!«, schreit die. Oder die pickelige Korbes. »Hier!« Und die Kravcek. Aber die schreit nicht. Niemand schreit da. Noch einmal probiert es die Frau Kämmerle. »Kravcek ...?« Gar nichts passiert im Saal. Außer vielleicht so ein einzelnes verirrtes und undiszipliniertes Geschirrklappern. Sonst eben nichts. »Biene Kravcek ...?!« So schnell will die Frau Kämmerle nicht aufgeben. Aber die Stille hat den längeren Atem. Da antwortet keine Biene Kravcek. Und auch sonst keine. Da schaut die Frau Kämmerle. Eine Traurigkeit kriecht ihr langsam hoch ins Gesicht und zieht eine kleine Wut hinter sich her. Und dann dreht sie sich um und fliegt zur Tür hinaus, gefolgt von der schweren Hilfsschwester Maria.

Da krachen die Türen, da flappern die Gesundheitsschlappen über den steinernen Boden, da wehen knatternd die Röcke, da wirbelt der Staub aufgeregt herum im hellsanften Morgenlicht. Frau Kämmerle und Maria stürzen durch die Gänge. Und hinter ihnen her jagen die Mädchen mit flinken Beinen, roten Backen und schrillem Geschrei. Die Disziplin ist wahrscheinlich alleine zurückgeblieben im leeren Speisesaal.

So also ergießt sich ein aufgeregter Mädchenschwall in die Gänge und über die Treppen vom katholischen Mädchenwohnheim. Bis zur großen Schlafsaaltür. Hier stockt der Schwall. Und schon geht die Tür auf mit einem Kracher. Schon steht die Frau Kämmerle mittendrin zwischen den Bettreihen und schaut und fragt hinein in den morgenhellen Raum. »Kravcek ...?«

Aber da kann sie lange auf eine Antwort warten. Das Bienebett steht nämlich genauso leer wie alle anderen Betten. Gar nichts rührt sich im Schlafsaal. Außer den weißen Gardinen, die links und rechts vom hohen Fenster sanft und weich im Morgenlüftchen tanzen. Weil das Fenster nämlich offen steht. Ganz weit steht das Fenster offen. So weit, wie es wahrscheinlich noch nie offen gestanden hat. Und da geht die Frau Kämmerle jetzt hin. Schaut in den Sommermorgen hinaus. Auf den Baum schaut sie, auf den großen schönen Baum im Garten vor dem Mädchenwohnheim. Und dann verändert sich etwas im Gesicht der Frau Kämmerle. Etwas zieht ihr die Augenbrauen so hoch, dass man glaubt, die klettern an den Stirnfalten aufwärts und weiter, bis über den Haaransatz hinaus, irgendwohin. Das ist das Erstaunen.

Da draußen nämlich sitzt die Biene. Mitten im Baum, auf einem dicken Ast sitzt sie da, im Nachthemd, lässt die nackten Beine baumeln und schaut. Die Frau Kämmerle schaut auch. Aber anders als die Biene. Ganz anders schaut sie. Und jetzt rutschen die Augenbrauen doch wieder dorthin zurück, wo sie ursprünglich auch hingehören. Aus dem Fenster lehnt sich die Frau Kämmerle hinaus, so weit sie kann mit ihrem zarten Oberkörper, und schaut hinunter, zehn Meter hinunter, ins tauglänzende Gras. Und dann schaut sie wieder hoch zur Biene. »Kravcek ...«, sagt sie. »Wie bist du denn ...?«

Weiter kommt sie nicht. Da sind ihr die Worte irgendwo stecken geblieben vor lauter hilflos fragender Empörung. Die Biene hat trotzdem verstanden. Aber antworten will sie nicht. Die Biene schiebt sich nur die Brille hoch und schaut. Da gibt es ja auch genug zu schauen. Weil nämlich mittlerweile aus allen Heimfenstern Mädchenkopftrauben hängen und vor Vergnügen in den Morgen hinauskreischen.

Noch einmal versucht es jetzt die Frau Kämmerle. »Kravcek!«, schreit sie hinüber zur Biene im Baum. »Du kommst sofort, aber sofort und auf der Stelle herunter ...!« Und jetzt reagiert die Biene. Aber wahrscheinlich nicht unbedingt so, wie es sich die Frau Kämmerle vorgestellt hat. Die Biene steht nämlich auf, balanciert mit den nackten Füßen auf dem dicken Ast und ertastet sich mit den Zehen einen griffigen Platz auf der hartfaltigen Rinde. Gut steht sie da jetzt. Muss sich nicht einmal halten am Stamm oder an den Ästen über ihr. Und dann dreht sie sich langsam und mit winzigen Schritten um, lupft das weiße Nachthemdchen und zeigt der Frau Kämmerle und dem ganzen Mädchenwohnheim ihren relativ runden und weißen Arsch.

Das hätte sich die Frau Kämmerle auch nicht gedacht: dass ihr eigenes Gesicht an einem einzigen Morgen solche Wandlungen durchlaufen kann! Jetzt gerade zum Beispiel ist es verzerrt wie eine hölzerne selbstgeschnitzte und ziemlich grausliche Faschingsmaske aus einem Hochalpendorf. So eine, die den kleinen Dorfbuben und Dorfmädchen einen derartigen Schrecken einjagen soll, dass der dann viele Jahre später bei diversen Einzelsitzungen in gemütlichen Ledersesseln als Kindheitstrauma teuer wiederentdeckt und noch teurer bearbeitet werden kann. Eigentlich ein Wunder, dass die Frau Kämmerle mit so einem Gesicht überhaupt noch etwas sagen kann. Vielleicht ist ihre Aussprache aber deswegen jetzt ein bisschen langsam geraten. »Kravcek!«, sagt sie, und dabei reitet ihre Zunge auf jedem einzelnen Buchstaben herum. »Jetzt ...! Sofort ...! Herunter ...!« Mehr bringt sie nicht heraus. Aber der Biene ist das sowieso wurscht. Die lässt ihr Hemdchen wieder über den Hintern rutschen, dreht sich zurück und setzt sich wieder gemütlich hin auf den schönen dicken Ast. Gut fühlt sich die kühle Rinde an unter dem warmen Hintern. Die Frau Kämmerle aber erinnert sich wieder an ihr ursprüngliches Gesicht und nickt ein bisschen nachdenklich und traurig, aber auch sehr entschlossen vor sich hin. Da ist jetzt die Autorität wieder nach Hause zurückgekehrt. »Gut!«, sagt die Frau Kämmerle. »Ich werde warten. Ich kann warten. Ich hab ein Leben lang gewartet …!« Und dann breitet sie ihre zarten Arme aus und schließt das Fenster.

MITTEL UND WEGE

Jetzt fallen die Sonnenstrahlen schon sehr steil hinein ins Heimleiterinnenbüro. Ganz klein und mit ungesundem Rundrücken sitzt die Frau Kämmerle hinter ihrem Schreibtischklotz und schaut traurig zur Tür hin. Dort nämlich sitzt die Maria auf einem Holzstuhl. Die Maria wiederum ist nie traurig, aber oft müde. Darum sinkt ihr jetzt gerade wieder der Kopf auf die Brust, schwer wie ein Medizinball. Bei jedem Ausatmer blubbert es schon ein bisschen im Mundwinkel. Das also schaut sich die Frau Kämmerle an. Sehr traurig. Die Mutter Gottes im Baumarkt-Bilderrahmen weiß da jetzt gerade auch nicht weiter. Die Wanduhr sowieso nicht. Sieben Uhr und fünfzig Minuten zeigt die. Oft ist schon ein einziger Tag länger als die Geduld. Es zuckt etwas auf der Stirn von der Frau Kämmerle.

Und dann steht sie auf, mit einem derartigen Rucker, dass die Maria hochfährt aus ihrer blubbernden Schlafseligkeit und die Augen weit aufreißt, rennt zum Fenster hin und reißt es auf, so weit sie kann. Der Baum steht noch immer da. Und die Biene hat es auch noch gemütlich da oben. Vielleicht sogar noch gemütlicher als heute Morgen. Die liegt nämlich mittlerweile zusammengerollt auf dem dicken Ast, wie eine große, etwas hochgefütterte weiße Katze. Und so was kann der Frau Kämmerle natürlich nicht gefallen. »Kravcek!«, schreit sie, »Kravcek! Ich kriege deinen ...deinen ...ARSCH schon noch herunter auf den Boden …!« Kurz hat sie das Wort suchen müssen. Das war ja auch viele Jahre verschüttet unter der ganzen gläubigen Verantwortung. Aber gefunden hat sie es doch.

Die Biene hebt nur kurz den Kopf. Und dann rollt sie sich noch ein bisschen mehr ein. Ganz fest zieht sie die Knie an ihren Bauch. Die Frau Kämmerle setzt noch ein letztes Mal an. Ein allerletztes Mal. »Es gibt Mittel und Wege unter Gottes Himmel …!« Ein bisschen schrill kippt ihre Stimme und verklingt irgendwo in der warmen frühabendlichen Sommerluft.

Und sie hat ja auch Recht, die verantwortungsbewusste Frau Kämmerle: Es gibt Mittel und Wege. Und Telefone. Und deswegen saust nur wenig später mit Geheul und Blaulicht ein knallrotes Feuerwehrauto aus der untergehenden Sonne heraus, über das gelbe Feld am Horizont entlang und auf das Mädchenwohnheim zu. Und wenn man jetzt von weitem hineinschauen könnte in dieses Feuerwehrauto, könnte man sehen: Da sitzen Männer drinnen, die haben Helme auf und Stiefel an den dicken Waden und blonde Haare am Handrücken, oder dunkle. Bäuche haben die und breite, rote Nacken. Solche Männer sind das. Die haben schon ganz andere Sachen von Bäumen heruntergeholt. Ganz andere!

Deshalb fährt also dieses Feuerwehrauto ungefähr eine Stunde später ohne Geheul und ohne Blaulicht und ziemlich gemächlich ganz genau denselben Weg wieder zurück. Die Sonne hat sich schon verabschiedet. Die gelben Felder sind jetzt dunkelgrau, und hoch darüber stehen die Sterne. Drinnen im Feuerwehrauto sitzen die Männer, ohne Helme jetzt, und freuen sich schon auf ein oder mehrere Feierabendbiere. Die lange Leiter werden sie wahrscheinlich schon ausgefahren haben müssen. Und einer von den Männern – vielleicht der mit den dünnsten Waden – wird da wahrscheinlich auch hochgeklettert sein. Aber ansonsten war dieser Einsatz eher ein sogenannter Kinderfurz.

Darum sitzt die Biene in ihrem Nachthemd jetzt mitten in Frau Kämmerles Büro auf einem hölzernen Stuhl und zeichnet mit den Zehen allerhand Muster auf den Boden. Hinter ihr, an der Tür, steht die Maria, so breitbeinig, dass sich der Hilfsschwesternkittel spannen muss wie ein Großraumsegel. Hinter dem Schreibtisch sitzt die Frau Kämmerle. Die hat auch schon einmal eine bessere Laune gehabt. So viel Traurigkeit und so viel Enttäuschung in einem einzigen Gesicht. Aber sie bemüht sich sehr. Das merkt man. Die füllt förmlich den ganzen Raum aus, die Bemühung von der Frau Kämmerle. »Wo soll das denn hinführen, Biene, wenn die Barmherzigkeit beständig mit Füßen getreten wird?«, fragt sie. Die Biene weiß das aber wahrscheinlich auch nicht. Ganz genau schaut sie sich ihre sorgsam zehengemalten unsichtbaren Muster an.

Da muss die Frau Kämmerle ja seufzen. Da bleibt ihr ja gar nichts anderes übrig. Gleich ein paar Mal seufzt sie. Die kommt jetzt aus dem Seufzen gar nicht mehr heraus. Jedes Mal noch ein bisschen tiefer. Aber eines muss man schon sagen: So ein Verständnis wie das von der Frau Kämmerle und so eine Menschenfreundlichkeit gibt es auch selten in der gar nicht so kleinen katholischen Heimleiterinnenszene! Darum vergisst die Frau Kämmerle jetzt die Seufzerei wieder, nickt sehr verständnisvoll und schaut der Biene sehr menschenfreundlich mitten ins Gesicht hinein. »Aber weißt du, Biene …«, sagt sie, »weißt du, vielleicht ist es ja auch so, dass da etwas in dir ...also ganz tief in dir drinnen, meine ich ...nicht ganz ...nicht ganz so, wie es die Schöpfung nämlich ...ja …« Jetzt sucht die Frau Kämmerle nach dem richtigen Ausdruck. Weil der richtige Ausdruck schon seine Wichtigkeit hat in so einem Moment. Aber irgendwann hat man auch genug gesucht. Irgendwann muss dann alles heraus, egal ob richtig ausgedrückt oder nicht. »Jedenfalls habe ich mich ...haben wir uns entschlossen …« Einmal muss die Frau Kämmerle doch noch eine Pause machen. Nicht wegen der Spannung, sondern eher wegen des Pfropfens, der ihr auf einmal im Hals sitzt. Aber nicht einmal der dickste Pfropfen ist dick genug, um den dünnen Kämmerlehals ewig zu verstopfen. Ein bisschen dauert es, und ein bisschen komisch hört sich das an, wie die Frau Kämmerle da in ihre kleine Faust hineinkeckert. Aber dann ist der Pfropfen weggeräuspert.

»...haben wir uns entschlossen, dich in die Klinik zu schicken!«

Das sitzt. Das kennt die Biene. Das hat sie schon gehört. Oft. Die Klinik. Still stehen die Zehen, zeichnen keine Muster mehr. Und dann fährt mit einem Rucker der Bienekopf hoch. »Nein!«, sagt die Biene leise und schaut die Frau Kämmerle an mit riesigen Augen. Da ist etwas hineingefahren ins Herz von der Biene, etwas Heißes, und von dort hat es sich ziemlich schnell ausgebreitet im ganzen Körper, überallhin, bis ins Gesicht hinein. Das ist die Angst.

»Nein!«, sagt sie noch einmal, schon ein bisschen lauter jetzt, und schüttelt den Kopf dazu. »Nicht in die Klinik …!« Die Frau Kämmerle drückt sich ein Lächeln hervor. Das soll beruhigend wirken. »Ist doch nur vorübergehend, Bienchen! Weißt du, die Ärzte heutzutage, die sind doch nicht mehr so. So wie früher, meine ich. Die können hineinschauen, in deinen Kopf hineinschauen, weißt du …!« So redet die Frau Kämmerle auf die Biene ein, beruhigend. Aber die will sich jetzt nicht mehr so schnell beruhigen lassen. Die hört zwar, was die Frau Kämmerle ihr da erzählt. Irgendwie hört sie das. Aber die ganze Zeit schüttelt sie den Kopf dazu. Hin und her. Hin und her. Sinnlos natürlich. Weil: Wann hat so ein Kopfschütteln schon jemals etwas gebracht?

Das fragt sich vielleicht auch die Biene. Jetzt hört sie nämlich plötzlich auf mit dieser Kopfschüttelei und probiert etwas ganz anderes. Von ihrem Stuhl springt sie hoch, dass die nackten Füße nur so platschen bei der Landung auf dem glatten Holzboden, und den Computer von der Frau Kämmerle greift sie sich. Mit beiden Händen reißt sie den vom Schreibtisch und hebt ihn hoch über den Kopf. Und dann schmeißt sie ihn mit einem Kracher in die Ecke. Und eines ist klar: Eine derartige Behandlung kann auch der durchkonstruierteste Computer der Welt nicht aushalten! Schon gar nicht so ein ärmlicher Achtzigerjahre-Spendencomputer wie der von der Frau Kämmerle. Deswegen zerlegt es den jetzt auch in unvermutet viele Teile, die auch gleich nach allen Richtungen im Büro herumfliegen. Wie eine bunte, kleine Sprengung sieht das aus.

Aber die Biene hat jetzt keine Zeit für solche Betrachtungen. Die hat inzwischen schon wieder ganz was anderes zu tun. Die steht über den Schreibtisch gebeugt und schreit der Frau Kämmerle ins Gesicht. »Nie, niemals, nie geh ich in die Klinik!« Das schreit die Biene der Frau Kämmerle entgegen, dass ihr die Speicheltröpfchen nur so aus dem Mund herausspringen. Und dabei schlägt sie bei jedem Wort mit beiden Fäusten auf den Schreibtisch ein. Hurtig hüpfen die ganzen Heimleiterinnensachen über die hölzerne Platte. Papiere, Akten, Stifte, die Lampe, das kleine Radiergummitier – alles prügelt die Biene mit ihren Fäusten vom Schreibtisch. Und so würde das vermutlich auch noch eine ziemliche Weile weitergehen.

Da hat aber die Hilfsschwester Maria was dagegen. Die steht nämlich schon hinter der Biene und greift zu. Und zwar ordentlich. Fest umgreift sie die Biene von hinten und presst ihr die Oberarme an den Körper. Da kann die Biene noch so viel strampeln und herumtreten mit den nackten Beinen, die Maria ist stärker als die meisten Preisringer. Aber die Biene hat ja noch ihre Zähne. Die haut sie jetzt hinein in den Unterarm von der Maria. So eine Hilfsschwester ist aber wiederum einiges gewohnt. Die lässt sich auch von den tiefsten Bissen nur vorübergehend beeindrucken. Einmal kurz aufbrüllen, und die Sache hat sich. Also packt sie die Biene am Kiefer und drückt hinein. Und zwar richtig. Da muss ein jeder den Mund aufmachen. Das geht gar nicht anders.

Und jetzt mischt sich auch die Frau Kämmerle wieder ein ins Geschehen. Ein Döschen hat sie in der Hand, mit allerhand bunten Pillen drinnen. »Ruhig, Kind ...ganz ruhig …!«, sagt sie, nimmt mit spitzen Fingern eine winzige blaue Pille und schiebt sie der Biene an der Zunge vorbei, weit in den Mund hinein. Da würgt die Biene. Spucken aber kann sie nicht. Weil sich nämlich die Mariahand wie ein gewaltiger Fleischdeckel auf ihren Mund legt. Aber die Augen reißt die Biene auf. Ganz weit stehen die offen und schauen irgendwohin. Vielleicht der Frau Kämmerle ins Gesicht, vielleicht gegen die Decke, vielleicht aber auch ganz woandershin. Irgendwohin, wo es zum Beispiel kein Büro, keinen Schreibtisch, keine Maria und keine Mutter Gottes an der Wand mehr gibt. Und dann schluckt die Biene.

Und jetzt wird sie ruhiger in den Mariaarmen. Da entspannt sich alles. Die Pille kann das eigentlich noch nicht sein. So schnell wirkt keine Pille. Da kann sie noch so winzig und blau sein. Vielleicht hat aber die Biene irgendwas gesehen. Vielleicht hat die Biene sogar irgendetwas eingesehen. Weil jetzt sogar ihre Beine aufhören zu strampeln. Das ist der Maria natüüößäü