Buchcover

Hans Leip

Begegnung zur Nacht

Erzählungen

Saga

Irrlicht am Kanal

Spät gelangten wir mit unserer Jolle vor die Schleusen bei Brunsbüttelkoog. Ery hatte sich vorgenommen, schon bei Tagesanbruch in der Ostsee zu baden. Wir machten an der Südmole fest, und ich biesterte mit den Vermessungspapieren auf die Schleusenwache. Man gähnte mich an. Eine Schleppgelegenheit? Vor morgen früh kaum. Und segeln darf man nicht im Kaiser-Wilhelm-Kanal. Wir redeten dies und das. Der Wachthabende wurde munter. Er war als junger Mann in Panama gewesen. Jedoch hier sei alles größer. Ich stimmte ein in das Lob der Heimat. Wir sprachen von Seeschifffahrt und Überseehandel. Aber es nützte alles nichts.

So mußte ich denn unverrichteter Sache über die Schleusenbrücken zurück. Wo aber unlängst ein guter breiter Weg gewesen, klaffte jetzt der Schlund der Nacht. Ein russischer Dampfer war inzwischen eingelaufen und lag am Nordkai. Er sah nicht bedeutend aus in den Schluchten der Schleusenkammern, darin die »Europa« und »Bremen« und die mächtigsten Schiffe der Welt Platz haben. Doch vor den Schleusentoren sind alle gleich. Ich hatte zu warten. Uferauf und -ab die runden Lampen blühten wie die Blume Trollius in den Fischergärten hinterm Deich, gelb, rund und auf langen Stielen. Ich sah hinunter, wo sie sich zittrig spiegelten, tief unten, wo das Wasser schwärzlich schwappte, ohne daß man sein Glucksen vernahm, so tief lag es.

Endlich wurde das Schleusentor geschlossen. Es fuhr als mietskasernengroße Schiebetür von jenseits aus der Dunkelheit heran, geräuschlos; man erblickte keinen Mann Bedienung. Es war ein unheimlicher Vorgang. Und auf einmal war wieder eine bequeme, mild erleuchtete Straße, wo soeben nichts als Abgrund gelauert.

Ery war sehr enttäuscht. Sie hatte keine Lust, die Nacht im Boot zu bleiben. Sie sagte, sie wolle auf die Lotsenstation. Vielleicht wisse man dort besser Bescheid über die Möglichkeit, weiterzukommen. Wir wurden uns nicht einig, und sie verließ das Boot und entschwand die eiserne Molenleiter empor und sozusagen in den Himmel.

Sie ist erwachsen genug. Dann soll man wissen, was man tut, sagte ich mir. Schließlich wurde mir die Zeit lang. Auch vermeinte ich, oben Stimmen zu vernehmen, die mir nicht unbekannt schienen. Ich kletterte also ebenfalls die Sprossen hinauf. Ery stand oben auf den Steinen und neben ihr Lotse Prott, den wir von Hamburg-Altona-Oevelgönne kannten.

»Hallo!« sagte ich.

Aber die beiden sahen, ohne sich stören zu lassen, angestrengt nach dem fernen Ende der Mole, nach dem Signalmast dort, der die beiden Arme waagerecht ausstreckte und gegen den Westhimmel aussah wie ein riesiges Kreuz, mit einem gelben Lampenpunkt links und rechts an den Enden.

»Könnte gleichsam zum Gedenken für Skagerrak sein!« äußerte ich, näher tretend, obschon ich wußte, daß es nichts weiter bedeute als »Einfahrt wird freigemacht«. Prott warf mir einen knurrigen Blick zu, und Ery schüttelte den Kopf.

»Ein Irrlicht!« flüsterte sie aufgeregt.

»Ein Irrlicht? Nanu!« Ich vermochte nichts zu erkennen. Und nach einer Weile sagte auch Lotse Prott: »Nö, Deern, nu is es djä denn woll rein weggepust.«

Lotse Prott war ein Berg von Mensch, und sein Brösel qualmte wie ein Vulkan. Sein Benehmen war grobdrähtig und seine Seele die eines Kindes. Er war als abergläubisch verrufen. Darum nahm ich die Sache nicht weiter für ernst, und wir gingen zu dritt zur Station, um die Nachtkühle durch einen Grog aufzuheben.

Die Gaststube war voll Tabaksqualm und Rumdunst. Die roten Gesichter, die darin glommen, lachten Ery zu und gröhlten: »Mönsch, Prott, is dat dien Irrlicht?« Prott schien es für richtig zu halten, die Sache so beizudrehen, und erklärte dröhnend, das könne ein Taubstummer mit dem Stocke riechen, daß es diesem Fräulein ihr Haar gewesen sei, was da auf der Mole geleuchtet habe. Und er legte besitzergreifend eine Pranke um Erys dünne Schulter, und jedermann wollte auf der andern Seite neben ihr sitzen.

Notgedrungen wurde auch mir voll eingeschenkt.

Ich warf matt ein, sie könne nicht viel vertragen. Aber die Runde der dreizehnmal um Kap Hoorn gepökelten Salzwassermäuler lachte, daß die Glasstäbe in den Gläsern tanzten und die Segelschiffbilder an den Wänden musizierten.

Ery glühte mitten dazwischen und ließ sich den walfischgroben Hof machen. Ihr Haar stand wie eine gelbe Flamme über dem Sofa. Und sie erzählten ihr Geschichten von der Urwaldjagd auf Halmahara und von den spaßigen Sitten der Damen auf den Nengonengoinseln. Sie hörte zu, wie ein Schiffsjung so tapfer, sie, die sonst empfindlich war wie Seidenpapier; die Garne spannen hart an der Grenze zwischen Großmamas Schaukelstuhl und Störtebekers Stammtisch.

Ab und an wurde einer der Lotsen aufgerufen; dann war sein Törn da, und er mußte in die dunkle Veranda und durchs Glas nach den von See kommenden Schiffen luchsen wie eine Spinne nach Mücken. Und andere wurden dann gerufen und mußten hinaus in die Nacht und auf die Lotsenbarkasse und weit in den Strom an die Dampfer heran und die Jakobsleiter mühsam hinauf an Bord, um Mensch und Fracht sicher hinzugeleiten elbauf durch Untiefen und Leuchtfeuer zum Hamburger Hafen.

Und ehe er sich’s versah, war auch Lotse Prott an der Reihe, um auf Ausguck in die Veranda zu gehen. Er erhob sich schwer. Ich sah meine Zeit ebenfalls gekommen und wollte an Bord.

»Recht so, Jung!« meinte Prott väterlich: »Sieh nach die Boot. Anne Süd is ümmer ekligen Sog. Aberst dein Deern laß man noch’n büschen hier!«

Der Beifall der Runde übertönte jeden Einwand. Ich ging zum Boot, zog die Leinen nach, machte die Schlafplätze bereit und wartete. Es war eine windstille Nacht. Nein, wenn wir auch hätten segeln dürfen, das Morgenbad in der Ostsee war unerreichbar. Hinter der hohen Schleusentür zischte der russische Dampfer. Sein Signal heulte in die Nacht. Warum schrie er so? Warum lag er noch da? War wohl nicht alles in Ordnung? Hatte er noch jemand an Land?

Ich hatte auch noch jemand an Land. Doch sah ich keinen Grund zum Heulen. Obschon ich mir die Reise anders vorgestellt hatte. Oben auf der Mole klangen leichte rasche Schritte auf. Ach, mein Herz blies jeden Groll von dannen und sang das alte Kinderlied, ob es wollte oder nicht:

Wenn wir fahren auf der See,

wo die Fischlein springen,

freuet sich mein ganzes Herz,

lauter Heil und Singen.

Ery, Ery, wir sind hier,

die Fischlein, die Fischlein, die fangen wir.

Aber was war das? Die Schritte oben entfernten sich. Kein Zweifel. Sie konnte unser Boot nicht finden. Das kam von dem verfluchten Grog. Ich turnte die Molenleiter hinauf.

»Ery!« rief ich.

Sie wandelte schon fern und gerade auf die Schleusenbrücke zu. Sie wandte sich nicht um, hatte ihren Schal um den Kopf geschlungen. Das tat sie sonst nicht, das mußte auch vom Grog kommen. Und da! Träumte ich? Sie trug ein flackerndes Licht in der Hand, ich sah es deutlich, als sie in der Biegung des Weges den Kurs änderte, sah hell ihre andere Hand, die sie vor die Kerze hielt, den Zug abzufangen. War das ein Spuk? Hatte Lotse Protts abergläubischer Klabauterzauber einen Scherz in ihr entfesselt?

»Ery!« schrie ich.

Sie eilte unentwegt weiter.

»Ery!«

Wollte sie etwa, ich sollte hinter ihr hertürmen wie ein verliebter Affe?

»Ery! Verflixt!«

Sie lief glatt auf die Schleusenbrücke zu, die, großer Gott, im nächsten Augenblick sich katzenleise öffnen würde, um den Dampfer herauszulassen. Nun rannte ich doch hinterher.

»Ery! Ery!«

Ihre schmale Gestalt war umflossen von flackerndem Schein. Jetzt war sie am Brückeneingang. Die Aufbauten dort entzogen sie jäh meinem Blick. Dünn und schrill hörte ich das Glockensignal der Schleusenöffnung.

Ohne Atem langte ich an beim Brückenkopf. Vor mir gähnte der Abgrund, tief unten das Wasser, die schauernde Schlucht der Nacht, darin ein paar Fetzen Licht zuckten wie verlöschende Kerzen.

Drüben, kleiner und kleiner schwand das Schlußstück des Schleusentors zum andern Ufer.

»Ery!«

Stand sie nicht da? War sie gerade noch hinaufgelangt und, obwohl es verboten ist, mitgefahren, das tolle Balg? Eben bevor der Spalt aufriß zwischen Leben und Tod? Wahrhaftig, da flackerte drüben das kleine Licht, huschte am andern Ufer entlang. Klar, sie wollte über die obere Brücke wieder zurück, zu mir zurück. Jetzt verbarg sie der lange schwarze Rumpf des russischen Dampfers, dessen Rauch aus dem langen Schlot keuchte. Seine Maschine rummelte schon. Eine sonderbare Angst überkam mich, Ery würde mit diesem Dampfer durch die aufgestoßene Schleuse auf Nimmerwiedersehn davonfahren.

»Nanu? Stehst du hier?«

Eine Stimme und eine Hand tupften mich an. Es war Ery. Ich mußte mich sammeln und stotterte, sämtliche Olympiaden seien nichts gegen sie, so rasch die ganze Schleuse zu runden, und daß ich jeden Ulk schätze, daß sie jedoch hier erbarmungslos hätte hineinfallen können.

»Schnack!« erwiderte sie, und es war ein merkwürdig sanfter Klang in ihrer Stimme: »Hineingefallen bist augenscheinlich du, mein Lieber. Läufst du in solchem Tempo fremden Mädchen nach? Das war nämlich nicht ich mit der Kerze, das war das Irrlicht von der Mole, verstehst du? Das war eine Russin von diesem Dampfer. Da geht er raus, er hat wohl auf sie gewartet. Denn sie hat hinten auf der Mole gebetet, weil es da wie ein Kreuz aussieht.«

»Aussah!« entgegnete ich, zufrieden, meiner Erleichterung und meiner Beschämung Luft zu geben. Das Kreuz nämlich hatte in diesem Augenblick die Arme gesenkt und seine Lampen in Grün gewandelt zum Zeichen, daß nunmehr die Einfahrt in die Schleuse frei sei oder, was für den russischen Dampfer in Betracht kam, die Ausfahrt.

»Ganz gleich!« fuhr Ery eifrig fort: »Der kleinen Maruschka war es mehr als ein Signal und mehr als ein Zufall. Du solltest Achtung haben vor der Einfalt gläubiger Herzen. Die Lotsen haben natürlich gelacht. Der Schleusenwärter kam eben ins Lotsenhaus, und wärst du dageblieben und hättest mich den Haifischen und Walrössern nicht so lieblos eifersüchtig allein überlassen, so hättest du es selber hören können, und daß die Arme es wegen ihres Mannes getan hat, der im KZ sitzt. Verstehst du?«

Ich verstand und verstand auch nicht. Ich sah den langgestreckten, schwarzen, sonderbar mageren und fast lichtlosen Dampfer sich zum Strom hinschieben. Er schrie böse auf. Mir war, als flöge der dünne Schein des Irrlichtes aus dem Schlot empor, eine bleiche, verstörte Flamme, die sich aufmachte, den Himmel zu suchen.

Erys leichte Hand drückte auf meine Schulter. Sie sagte etwas Freundliches, etwa, daß man von den Irrlichtern zu den guten Positionslaternen zurückkehren müsse. Und daß in einer Viertelstunde ein Schlepper nach Holtenau gehe und uns in Schlepp mitnehmen könne; sie habe es am Telephon mit Hilfe des Schleusenwärters schon alles ollreit. Und nach dem Grog müsse sie nun endlich redlich schlafen, und ob ich im Boot auch alles dafür ollreit hätte. Und nun könnten wir also doch den Morgen schon in der Ostsee baden. Das Irrlicht habe Glück gebracht.

»Hoffentlich hat es selber Glück!« murmelte ich betreten.

Wir machten das Boot fertig, und der Schlepper kam, und wir saßen stumm nebeneinander unterm Persennig. Der Himmel hinter schwärzlichen Flören schien mir wie ein Panzergewölbe, hart und golden vernietet. Und es war fraglich, ob es je den Schlüssel zum höchsten Gut gegeben habe.

»Hoffentlich hat es Glück!« wiederholte Ery leise. Ich glaubte, sie schlafe längst. Doch sie wiederholte es nochmals, und sogar angstvoll und flehend. Sie richtete sich halb auf, ohne Rücksicht auf die Schwierigkeit, das Persennig wieder so vorteilhaft hinzustauen.

»Schlaf doch!« sagte ich bedrückt, indem ich das Ruder bediente. Aber sie starrte in das zischende Wasser vorm Bootsbug, darin die Hecklampe des Schleppers sich spiegelte und wie ein Irrlicht tanzte.

»Gibt es den alten Mann dort oben?« fragte sie durch die Zähne.

»Hinter der Panzertür – vielleicht –« murmelte ich. Was sollte ich auch antworten?

Sie legte sich still zurück. Wir hatten unseren Ferienausflug so leichthin begonnen. Es schien uns an nichts zu fehlen. Und nun war uns ein Irrlicht hineingehuscht.

Ich wollte fluchen. Ich hatte keine Lust, mich um viel andere Dinge zu bekümmern als um das angenehme Mädchen, das Ery hieß. Aber es schien nunmehr weit von mir abgerückt, so fröstelnd es sich auch an mich drängte. Traurig lagen wir da, haltlos fortgezogen in das Ungewisse aller Zukunft. Und über uns das Irrlicht stieg und stieg wie eine Pfeilspitze scharf und war glühender als unsere Wünsche und zerbrach die besternten Panzer der Ewigkeit und sengte an den Füßen der Engel, daß sie sich aufmachen sollten, das Böse von der Erde zu tilgen.

Das kleine Bonnet

Wir saßen bei von Appen in Blankenese, hinten in der gemütlichen Ecke. Da fragte einer, ob jemand ein Schifferklavier zu bändigen verstehe.

»Julus von Dalben!«

»Der? Seit wann?«

»Ich hab es selber gehört«, sagte ich.

Julus stand auf, weiß im Gesicht. Er war aus Blankenese, begütert und nicht alt. »Schweig von dem kleinen Bonnet, verflucht, du und sie!« lachte er unsicher und ging davon.

Ich erzählte nichts, und wir tanzten nach den unpersönlichen Platten. Aber nun, da er sich anderweitig verheiratet hat, ist es besser, alles klarzustellen.

Julus hatte sich nämlich damals verknallt in eine der Gondefros. Die Gondefroschen Töchter sind, nehmen wir an, alle blond wie Manilahanf und schlank wie Schilf. Und wie Schilf ist auch, daß man sich manchmal fürchterlich dabei schneidet. Sie sind eine große Familie, uralte Segelreederei, Salpeter, Zement, vormals Tee- und Sklavenhandel, die Gondefros.

Julus war nur Mitbesitzer einer netten Fischräucherei. Aber er pochte auf sein »von«. Alle Blankeneser heißen mehr oder weniger »von«. Es ist ein gewöhnliches Bauern- oder Fischer-Von. Doch Herr von Dalben hielt seines für ungewöhnlicher. Er ließ ein Wappen in seine Briefbogen pressen (nicht auf die Umschläge, um sich nicht bei der Post zu blamieren). Und danach lud er »sie« schriftlich zum Segeln ein.

Man muß es ihm lassen, er ist ein ausgeluvter Segler, der gute Julus, und seine Sloop ist eine der gelecktesten zwischen Hamburg und Helgoland. Aber eines hätte er wissen müssen, man tauft sein Boot nicht von einem Tag zum andern um; es bringt kein Glück. »Nasser Kater« ist ein annehmbarer Name für ein Boot. Aber als die schneeigen Schuhe der Gondefro übers Schanddeck ins Cockpit schritten, da stand am Spiegel mit frischer Farbe »Alwel«. Und so hieß sie. Sie haben sonderbare Namen, die Gondefros. Ihr Bruder beispielsweise hieß Pipp. Sie hatte ihn kurzerhand mitgebracht. Er war zwölf Jahre. Mir war es gleich.

Was ich dabei sollte? Ich sollte die Fock bedienen und so, damit er sich ausgiebiger ihrem Anblick widmen könne; denn von Unterhaltung kann bei Julus nicht viel die Rede sein, was er wohl wußte; darum gedachte er, mich als Spaßmacher zu verbrauchen. Auch sollte ich, er sagte es mir hinter der Hand, und hinter der Hand sag ich es wieder, ich sollte bei Gelegenheit eine kleine Empfehlung seiner Person mit einfließen lassen.

Es war ein hübscher, heißer Tag, es briste sanft achterlich, und wir rutschten mit der letzten Ebbe elbabwärts und kamen nach Glückstadt, als der Wind schralte und von Nord uns anhustete. Da zeigten wir, was wir konnten, hüpften über den Schwell und kratzten mit drei Schlägen in den Hafen. Aber als Julus auf den Streckbug über Stag ging, da klang mir sein »Ree!« weiß der Teufel zu schnauzig, und ich sah, wie sich Fräulein Alwels angenehmer Mund leicht spöttisch gegen mich hob. Somit fierte ich die Fockschot ein wenig spät, und wir schrapten um Fingerbreite an der Mole längs und nahmen ein dickes Stück Wasser über. Nun, an Julus schwappte es leider vorbei, der Knabe Pipp hatte sowieso nichts an, da er für ein zu erwartendes Indianerfest »röten« wollte, aber Alwel Gondefros herrliche Beine, die traf es.

Julus war sehr in Kragen, Schlips und Jacke. Sie zog die Strümpfe lachend aus und die Schuhe über die bloßen Füße. Auf halbem Wege zum Essen meinte er, ob ich nicht lieber den ganzen Lunch ins Boot besorgen könne. Und man sah ihm an, daß er aus seiner puren Auffassung von Vornehmheit ihre mangelnden Strümpfe bedachte. Ich sagte ruhig und plump genug, wir sollten uns freuen, daß alle Leute uns mit einer Gondefro in bloßen Beinen zu sehen kriegten, die hübscher seien als der teuerste Strumpf.

Er wollte mich übertrumpfen und verglich sie mit der Fortuna, die oben auf der goldenen Kirchturmskugel statt des Gockels steht, und ich beneidete ihn schon, da aber entgegnete sie kühl, er verwechsle es hoffentlich nicht mit seinem Wappen. (Auf demselben war nämlich eine Duckdalbe, ein Anlegepfahl, und eine Möwe darauf sitzend.) Und die Dame dort oben habe eine zu unmoderne Figur, obwohl sie Tennis mit dem Morgenstern zu spielen scheine, und überdies hießen nach Morgenstern alle Möwen höchstens Emma.

Nach so viel Geist und Schnippigkeit verstummten wir ein bißchen. Und nur der gute Junge Pipp half uns beim Essen darüber hinweg, indem wir uns in ein nachhaltiges Gespräch verwickelten über die in Indianerreservaten bevorzugten Automobilmarken.

Julus war in sich gekehrt. Ich sagte, um Luft zu schaffen, wir würden, wenngleich schmerzlich, so doch es begreifen, wenn Fräulein Gondefro mit der Bahn anstatt mit unserer Kuff nach Hause fahre.

Julus sprang wie ein harpunierter Schweinsfisch in die Höhe. Aber die unendlich kühle und schöne Alwel winkte lässig ab. Sie denke gar nicht daran; wir und das süße Boot, das mache ihr wirklich Spaß.

Somit seilten wir elbauf zurück, und Julus überließ mir gnädig die Pinne, um dem ungerührten Segelweiß der Angebeteten die Grundlagen seiner Existenz zu unterbreiten.

Ihre Hautschatten waren bronzen wie die Tönung kantonesischer Glocken, ihre Augen weit und silbergrau wie die Nordseekimm bei Westernwind. Die Sonne durchleuchtete ihre Gobbymütze und ihre dikken Schläfenhaare. Es war ein milder Tag voll Ausflugdampfermusik und voll der großmächtigen Bässe abgesalzener Überseer aus aller Welt. Aber unser Wind wurde flauer, und knups, schlief er ein. Pipp, der unverblümte Knabe, ritt auf der Großbaumnock seiner Vollendung als Rothaut entgegen, klimperte an der Dirk und flötete nach Taifun und Hurrikan.

Noch schob uns die Flut. Ich sah abwechselnd auf das verschämt killende Achterliek und auf Alwel, die verträumt dasaß, während Julus still und vergeblich nach Worten rang. Auf einmal schrie er: »Wir wollen Wein trinken, Wein, ich weiß ein molliges Lokal. Höher an den Wind, mein Gott, wir kriechen ja in Sirup!« Damit war sein erkünstelter Überschwang auch schon verpufft, und er kratzte belämmert am Mast, mein Segeltalent in Zweifel ziehend.

»Hissen Sie ein kleines Bonnet!« lächelte Alwel. »Die Gondefroschen Kapitäne auf den Teeklippern haben gute Erfahrungen mit kleinen Bonnets gemacht.«

Wir lagen still auf dem Rücken, nicht weit voneinander, sie und ich, und blickten in die Sterne und die Stromlichter. Pipp schlief. Aber Julus schlief nicht. Was er nie im Beisein anderer fertiggebracht hätte, er zog eine Ziehharmonika hervor und spielte herzzerreißend die ganze Nacht. Daher eben weiß ich es.

Eine Handharmonika in einer lauen Nacht überm Wasser bei Schiffslichtern, die vorüber in die unbekannte Ferne gleiten, das ist nicht ungefährlich für ein junges Mädchen. Ich hörte es wohl, wie Alwel schwerer zu atmen begann. Oho, Julus war doch ein Hund.

Ob ich sie fragte? Natürlich! Jedoch der Mensch ist ein böses Tier von Jugend auf. Ich fragte sie, wie es sei mit ihr und – mir. Und daß ich, an der Flaggleine meines Daseins ihre kleinen seidenen Sachen in Ewigkeit als Nationale zu führen, als mein Ziel ansehe und verrückt sei wie ein entseelter Hering.

Sie weinte ein wenig an meinem Halse, das schöne Kind. Es sei dies der Abschied von uns allen, sagte sie. Denn die andere Woche, da fahre sie nach Makassar. Und ich solle es auch Herrn von Dalben mitteilen, daß nämlich die Gondefros nicht gern in Hamburg und Blankenese heiraten, sondern lieber in der weiten Welt.