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bini adamczak
KOMMUNISMUS
kleine geschichte, wie es endlich wird

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in
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bini adamczak: Kommunismus
ebook UNRAST Verlag, September 2015
ISBN 978-3-95405-020-8

4., überarbeitete Auflage, Jubiläumsausgabe, Oktober 2014
© UNRAST-Verlag, Münster 2004, 2006, 2010, 2014
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text & zeichnungen: bini adamczak
satz & layout: oliver schupp
soundtrack: tanja kämper
schrift-art: utopia & avantgarde
korrekturen: daniel, tanja, mario, alek, flo, marc-oliver, rahel, martin, christian, nadja, thomas, christel, holger, willi, dennis, chris, christoph, reini, doris, charly, katja, swaantje, mo, betti, mayan, marco, konz, nico, micha, elske, anna, jasmin, oli für: nadine

bini adamczak

KOMMUNISMUS

kleine geschichte, wie es endlich anders wird

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Was ist der Kommunismus?

Der Kommunismus ist die Gesellschaft, die alle Übel abschafft, unter denen die Menschen in der heutigen Gesellschaft – dem Kapitalismus – leiden. Es gibt viele verschiedene Vorstellungen davon, wie diese kommunistische Gesellschaft aussehen sollte. Aber wenn der Kommunismus die Gesellschaft ist, die alle Übel abschafft, unter denen die Menschen im Kapitalismus leiden, dann ist die beste Vorstellung vom Kommunismus die, die die meisten dieser Übel abschaffen kann. Es ist wie bei der Heilung einer Krankheit. Wenn der Kapitalismus eine Krankheit wäre – was er nicht ist –, dann wäre derjenige Kommunismus das beste Medikament, der die Menschen ganz gesund machen kann und nicht nur zu einem Drittel oder zur Hälfte. Allerdings ist ein Mensch in der Regel gesund, bevor er krank wird, und das Medikament soll ihn nur wieder gesund machen, ihn also in den Zustand versetzen, in dem er sich befand, bevor er krank wurde. Das ist in unserem Beispiel nicht der Fall. Denn vor dem Kapitalismus mussten die Menschen auch leiden, wenn auch unter anderen Übeln. Deswegen hinkt der Vergleich ein wenig. Außerdem ist der Kommunismus zwar ein sehr gutes Mittel, aber er ist kein Allheilmittel, sondern nur eines gegen die Übel des Kapitalismus. Wenn ein Mensch beispielsweise Husten und Schnupfen hat und er nimmt ein Mittel gegen Husten, dann geht nur der Husten weg, nicht aber der Schnupfen. Der Kommunismus heilt also nicht alle Leiden, sondern nur die, die der Kapitalismus verursacht.

Um zu verstehen, was der Kommunismus ist und um zu entscheiden, welche der kommunistischen Vorstellungen die beste ist, müssen wir also verstehen, was der Kapitalismus ist und wie er den Menschen Leid verschafft.

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Was ist der Kapitalismus?

Den Kapitalismus gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt und er heißt Kapitalismus, weil er die Herrschaft des Kapitals ist. Das ist etwas anderes als die Herrschaft der Kapitalistinnen oder die Herrschaft der Kapitalistinnenklasse. Im Kapitalismus gibt es zwar noch Menschen, die mehr zu sagen haben als andere, aber es gibt keine Königin mehr, die an der Spitze der Gesellschaft stehen würde und allen befehlen könnte. Wenn es aber nicht mehr die Menschen sind, die über die Menschen herrschen, wer dann? – Es sind die Dinge. Das ist natürlich nicht im wörtlichen Sinne gemeint, denn selbstverständlich können Dinge gar nichts tun, schon gar nicht einen Menschen beherrschen, denn es sind ja nur Dinge. Es sind auch nicht alle Dinge, die die Menschen beherrschen, sondern nur ganz bestimmte oder besser: eine ganz bestimmte Form der Dinge. Diese Dinge fallen nicht vom Himmel und sie kommen auch nicht mit UFOs auf die Erde geflogen und beschießen die Menschen mit Laserstrahlen. Es sind vielmehr Dinge, die die Menschen selbst hergestellt haben, damit sie ihnen das Leben erleichtern, ihnen gute Dienste erbringen, also ihnen dienen. Aber mit der Zeit vergessen die Menschen, dass sie es waren, die diese Dinge hergestellt haben und sie fangen an, ihnen selbst zu dienen. Wir können uns das ungefähr so vorstellen: Ein Mensch geht zu seinem Schreibtisch und schreibt auf ein Blatt Papier: »Trink ein Glas Wasser!« Nach ein, zwei Stunden kehrt der Mensch an seinen Schreibtisch zurück und findet das Blatt Papier. Wenn er jetzt den Satz liest, dann erinnert er sich nicht mehr daran, dass er diesen Satz geschrieben hat und er denkt, dass er machen muss, was dort steht. Vielleicht ist er anfangs auch noch ein bisschen skeptisch und er geht zu einer Freundin und fragt sie: »Muss ich jetzt wirklich ein Glas Wasser trinken? Ich bin doch gar nicht durstig.« Die Freundin wird ihm antworten: »Das weiß ich auch nicht. Moment, ich schau mal nach.« Sie wird zu dem Blatt Papier gehen und lesen, was dort draufsteht. Dann wird sie wieder zurückgehen und sagen: »Ja, hier steht es geschrieben. Du musst ein Glas Wasser trinken.« Wenn der Mensch jetzt ein wenig zu oft an dem Blatt Papier vorbeiläuft, dann wird er bald ganz schnell einen Wasserbauch haben, der ihm Schmerzen verursacht. Und dann wird der Mensch von den Dingen beherrscht und er leidet darunter.

Das klingt natürlich erstmal ein bisschen seltsam, denn warum sollte der Mensch plötzlich vergessen haben, dass er diesen Satz geschrieben hat, warum sollte er seine eigene Handschrift nicht mehr wieder erkennen? In der Wirklichkeit ist natürlich alles etwas komplizierter als in diesem Beispiel, denn die Menschen leben und arbeiten nicht alleine, sondern in der Gesellschaft. In der Wirklichkeit ist es also nicht so, dass der Mensch ganz alleine diesen Satz aufs Papier schreibt, sondern zusammen mit ganz vielen anderen Menschen. Deswegen lässt sich die Herrschaft der Dinge vielleicht besser an einem anderen Beispiel erklären (auch darin kommt ein Glas vor), am Beispiel des Gläserrückens. Beim Gläserrücken sitzt eine Gruppe von Menschen um einen Kreis mit Buchstaben herum, in dessen Mitte ein Glas steht. Alle Menschen legen ihre Hand oder einen Finger ihrer Hand auf das Glas, und weil alle ein kleines bisschen zittern, beginnt sich das Glas wie durch eine unsichtbare Hand gezogen langsam von einem Buchstaben zum anderen zu bewegen. Die Menschen, die sich nicht erklären können, dass sie es selbst waren, die das Glas bewegt haben – weil sie alleine nie durch ihr Zittern ein Glas bewegen könnten –, denken, dass es ein Geist war, der ihnen dadurch geheime Botschaften zukommen lassen wollte.

Dieses Beispiel eignet sich sehr gut, um deutlich zu machen, wie das Leben der Menschen im Kapitalismus funktioniert. Eigentlich sind es die Menschen selbst, die das Glas verrücken, aber sie könnten es nicht alleine, sondern nur alle zusammen. Nur durch ihr Zusammenspiel, ihre Beziehung zueinander, bewegt sich das Glas. Und dieses Zusammenspiel ist so beschaffen, dass die Menschen es gar nicht wirklich bemerken. Es vollzieht sich gewissermaßen heimlich oder hinter ihrem Rücken. Würden sich die Leute zusammensetzen und gemeinsam überlegen, was sie schreiben wollen, dann würde vermutlich nicht nur etwas sehr anderes herauskommen, es bestünde auch gar keine Unklarheit darüber, wer diesen Text geschrieben hat. So aber wird der Text wie durch unsichtbare Hand geschrieben, und weil sich die Menschen das nicht erklären können, schieben sie es einer fremden Macht zu, eben einem Geist oder einem Gespenst.

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Daran lässt sich sehen, dass nicht jedes Zusammenspiel, nicht jede Beziehung oder nicht jede Arbeit den Dingen eine besondere Macht über die Menschen verleiht, sondern nur eine besondere Form des Zusammenspiels oder der Beziehung. Eben das Gläserrücken und nicht das gemeinsame Texteschreiben. Und genauso ist auch nicht jede Gesellschaft durch die Herrschaft der Dinge gekennzeichnet, sondern nur die kapitalistische. Nur die Form der Beziehungen oder der Arbeit im Kapitalismus erschafft die Dinge in einer Form, dass sie die Menschen beherrschen können. Wir müssen uns also fragen, was das Besondere an den Beziehungen der Menschen im Kapitalismus ist und was sie von den Beziehungen der Menschen zueinander in anderen Gesellschaften unterscheidet.

Um das zu verstehen und um zu erkennen, dass es den Kapitalismus noch nicht ewig gibt – was schon mal ein großer Vorteil ist –, ist es am besten, wenn wir uns angucken, wie der Kapitalismus denn überhaupt entstanden ist.

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Wie ist der Kapitalismus entstanden?