Buchcover_DasSchicksalduscht-eBookCover

Das Schicksal duscht

25 Geschichten,

die Ihnen gerade noch gefehlt haben

Susanne Feiner

spiritbooks


Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheber­rechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.


© 2016 spiritbooks, 70178 Stuttgart

Verlag: spiritbooks, www.spiritbooks.de

Autorin: Susanne Feiner

Lektorat: PCS Schmid, www.pcs-books.de

Buchsatz/Layout/eBook-Konvertierung: PCS Schmid, www.pcs-books.de

Covergestaltung: Corina Witte-Pflanz, www.ooografik.de

Autorenfoto: Susanne Feiner privat

Cover-/Kapitelgrafiken: Footprints © Eyematrix – fotolia.com, Set of various brown torn note papers with adhesive tape on white background © flas100 – fotolia.com, Premium, quality retro vintage labels collection © totallyout – fotolia.com, Eco resurs bath, vector drawing© svetabl – fotolia.com, Dirty old feet © Danomyte – fotolia.com, Shower Stall © theblackrhino – fotolia.com



1. Auflage

Vers. 1.0

ISBN: 978-3-946435-02-0

Inhaltsverzeichnis

Auf den Sommer

Das Schicksal duscht

Alles nur wegen Annette

Gernot vom Gute-Laune-Planeten

Arme Würstchen

Schwebebeine

Sommerwind

Teufelskerl

Eine Frage der Disziplin

Einsam im Herbst

Sichtweisen

Rot

Pistazieneis

Kleinvieh

Ende der Vorstellung

Isabell (Eine Art Märchen)

Happy Anfang

Anbieter­wechsel

Ottilie steht auf

Hi, sagte die Angst

Das Tulpen-Phänomen

Herr Winzig und der schräge Vogel – Eine Schmunzelgeschichte für Schüchterne

Die Angst vor Zimt

Heilige sind auch nur Menschen

Tun Sie‘s nicht! Sieben Gründe, warum Sie auf keinen Fall eine Schriftstellerin heiraten sollten

Dank

Die Autorin

Werbung

AufdenSommer

Jetzt gibt es tatsächlich ein Fundbüro für Träume in unserer Stadt! Unten im Rathaus. Vor Kurzem stand es in der Zeitung. Ist ein Pilotprojekt. Die sammeln dort herrenlose Träume, und nach einiger Zeit, wenn sich kein Eigentümer gemeldet hat, werden sie versteigert. Wenn man Glück hat, kann man für wenig Geld einen wunderbaren Traum bekommen, oder sogar mehrere.

Gestern war schon die erste Versteigerung, ich bin natürlich gleich hin. Eigentlich wollte ich Betty mitnehmen, sie wohnt neben mir, aber sie wollte nicht. Das sei nichts für sie, Träume könne sie sich nicht leisten. Sie sei schon froh, wenn sie ganz normal, also ohne Träume, einigermaßen zurechtkäme. Ich sagte, so günstig kommst du nie wieder an einen Traum, überleg’s dir! Aber sie wollte trotzdem nicht.

Ein bisschen konnte ich’s ja verstehen. Sie hatte schon genug Probleme mit ihrem idiotischen Freund Giovanni, was sollte sie da noch mit einem Traum, der ja vielleicht doch nie wahr würde? Andererseits, hoffen kann man ja immer. Und träumen auch. Das sagte ich Betty, aber sie winkte ab. „Mach du nur“, hieß das, und es war klar, dass sie mich für einfältig und naiv hielt. Trotzdem, ich fuhr zur Versteigerung. Schließlich war es eine Chance, die konnte ich mir nicht entgehen lassen. Dabei wusste ich gar nicht so genau, was ich mir erhoffte. Ich glaube, ich wollte einfach mal wieder überrascht werden.

Jedenfalls, da gab es verschiedene Päckchen, immer gleich mehrere Träume in einem, Doppelpacks, Dreierpacks, sogar einen Zehnerpack, aber mannomann, gleich zehn, das war selbst mir zu viel. Zehn Träume auf einen Schlag, da ist schon die Gefahr groß, dass man abhebt, glaube ich. Und noch dazu wusste man ja gar nicht, was man bekam! Man durfte erst zu Hause auspacken. Bestimmt wollten sie nicht, dass die Träume dann unkontrolliert vor dem grauen Rathaus herumschwirrten. Das hätte ja auch peinlich werden können, wenn da zum Beispiel der Traum von einem ansprechend gestalteten Rathausplatz rumfliegt, von begrünten Fassaden, von Sitzgelegenheiten unter Laubbäumen.

Aber so einen Traum hätte ich eh nicht unbedingt gewollt, ich hoffte irgendwie auf etwas Persönlicheres.

Ein schönes rotes Paket hatte es mir angetan, ein Dreierpack, darauf wollte ich bieten. Mindestgebot drei Euro. Neben mir war eine Frau im lila Mantel und mit Goldohrringen, und ich habe ihr gleich angesehen, dass sie das Paket auch wollte. Auf keinen Fall wollte ich mich von ihr überbieten lassen. Tatsächlich, als das rote Paket an die Reihe kam, hob sie gleich die Hand.

„Vier Euro sind geboten!“, rief der Auktionator.

Ich bot mit. „Fünf Euro!“

Die Frau mit den Klunkern rief: „Sechs!“

Abwechselnd gaben wir Handzeichen.

„Acht Euro!“, rief der Auktionator, „die Dame im lila Mantel!“

Meine Hand schoss nach oben.

„Neun Euro! Die Dame im blauen Pullover!“

Das war ich. Im gleichen Moment düdelte ein Handy, und die Frau neben mir begann hektisch in ihrer Handtasche zu wühlen. „Neun Euro zum Ersten, zum Zweiten …“

Mach schon!

„Zum Dritten! Dieses Traumpaket geht für neun Euro an die Dame im blauen Pulli. Herzlichen Glückwunsch!“

Ich hatte es! Ich warf meiner Konkurrentin noch einen triumphierenden Blick zu. Sie zuckte nur mit den Schultern. Wahrscheinlich ersteigerte sie sich jetzt den Zehnerpack, aber das bekam ich nicht mehr mit. Ich holte nur mein Paket ab und düste nach Hause, um nachzusehen, was ich bekommen hatte.

Im Wohnzimmer löste ich gleich die Schnur von der Schachtel. Ich hob den Deckel ganz vorsichtig an, nur einen Spaltbreit, und spähte hinein. Drei Träume schwirrten darin herum, für ein ungeübtes Auge nicht leicht zu sehen, aber ich war gut im Träume-Erkennen. Als Erstes hatte ich den Traum von einem freien, selbstbestimmten Leben erwischt. Schade, den brauchte ich nicht, ich war ja schon frei und selbstbestimmt. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Keiner redete mir drein. Manchmal fehlte mir das, dass mir einer dreinredete. Einer, der sich ein bisschen kümmerte und interessierte für mich. Na ja, aber wenn ich mir dann Betty ansah mit ihrem bescheuerten Giovanni … da war mir mein Leben allemal lieber.

Aber ich hatte ja noch zwei Träume in der Schachtel. Aha, der zweite war der Traum von der großen Liebe. Aber den hatte ich ja schon! Ewig lang hatte ich den schon, diesen Traum, und doppelt konnte ich ihn wirklich nicht gebrauchen. Blöd irgendwie. Blieb nur noch ein Traum übrig.

Mal sehen. Oh, das war gut. Ja, den dritten Traum, den würde ich behalten: den Traum vom Sommer! Wie er duftete und leise summte, herrlich! Ich holte ihn vorsichtig aus der Schachtel und balancierte ihn auf meiner Handfläche. Dann pustete ich ihn an, ganz sachte, mit Träumen muss man behutsam umgehen. Goldgelb und warm breitete er sich in meiner Wohnung aus. Na ja, ein Traum von dreien, die Ausbeute war nicht so üppig, wie ich gehofft hatte, aber immerhin. Man kann ja nicht immer einen Volltreffer landen.

So, und was sollte ich jetzt mit den beiden anderen machen? Mit dem Traum vom selbstbestimmten Leben und dem von der großen Liebe? Vertrugen die sich überhaupt miteinander? Ich lauschte an dem Karton, aber ich hörte nur Kichern und ein paar leise Töne. Die beiden passten anscheinend bestens zusammen. Plötzlich musste ich wieder an Betty denken. Die keine Träume wollte. Aber die beiden hier in meiner Schachtel, die wären doch genau die richtigen für Betty gewesen! Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee. Der Zeitpunkt war günstig, ungefähr eine Stunde noch, bis Giovanni nach Hause kam. Ich schrieb Bettys Namen in Großbuchstaben auf das Paket, schlich damit auf den Flur und legte es vor ihrer Tür ab. Dann drückte ich den Klingelknopf und huschte zurück in meine Wohnung. Ich hörte, wie Betty öffnete.

„Hallo?“, fragte sie. Dann ging die Tür wieder zu. Vorsichtig lugte ich noch einmal um die Ecke. Das Paket war weg. Sehr gut. Hoffentlich packte sie es aus, bevor ihr Freund auftauchte.

Eine Stunde später hörte ich ihn die Treppe heraufpoltern. Wie jeden Abend dauerte es nicht einmal zehn Minuten, bis der Streit losging. Aber diesmal war es anders. Diesmal hörte ich nicht nur Giovanni herumschreien, wie sonst immer. Betty schrie ihn auch an. Und dann – warf sie ihn raus.

Er schimpfte auf dem Flur herum, aber es klang ein bisschen eingeschüchtert. Dass Betty sich wehrte, war neu für ihn. Aber jetzt hatte sie Träume.

Nach einer Weile entfernten sich Giovannis Schritte. Vom Fenster aus sah ich, wie er das Haus verließ. Betty warf ihm ein paar Klamotten hinunter und seine Zahnbürste.

Dass es so schnell ging, überraschte mich fast ein bisschen. Da sah man es mal wieder: Man soll Träume eben nicht unterschätzen.

Kurz darauf klingelte es an meiner Tür. Betty stand draußen, mit einer Flasche Wein.

„Da war vorhin so ein Paket vor meiner Tür“, sagte sie.

„Und?“

„Als ich es aufgemacht habe, war nichts drin.“

„Echt nicht?“

„Aber auf einmal wusste ich, dass ich Giovanni rausschmeißen muss.“

„Ich weiß das schon lange“, sagte ich und ging Gläser holen. Betty folgte mir in die Küche. Verwundert sah sie sich um. „Irgendwie riecht es bei dir schon nach Sommer“, sagte sie.

Ich schenkte uns ein und erhob mein Glas. „Auf den Sommer.“ Betty nickte. „Auf den Sommer“, sagte sie, und unsere Gläser klangen hell aneinander.

Da wusste ich, dass es jetzt nicht mehr lange dauern konnte, bis der Sommer wirklich kam.

DasSchicksalDuscht  

Der Typ saß plötzlich auf meiner Couch. Ein richtig hässlicher Kerl, abgerissen, zottelig, unsympathisch. Wirkte latent aggressiv. Er war einfach so aufgetaucht. An irgendjemanden erinnerte er mich, aber ich kam nicht drauf. Ich musterte ihn missbilligend, doch er blieb völlig unbeeindruckt.

„Was wollen Sie hier?“, fragte ich.

„Ich bin zufällig vorbeigekommen“, sagte er. „Ich bin der Zufall.“

„Das ist lächerlich!“

„Doch, doch!“, beharrte er.

„Pff!“

„Also gut. Nicht ganz zufällig“, gab er zu.

Aha, wusste ich’s doch. Ein Hochstapler also.

„Ich wollte es dir ja nur schonend beibringen: Das Schicksal hat mich hergeschickt.“

„Schon klar. Das Schicksal. – Das reicht jetzt. Verschwinden Sie! Oder ich rufe die Polizei!“

Er seufzte. Aber nicht schuldbewusst, sondern eher so, als hätte er Mitleid mit mir. Das irritierte mich ein wenig.

„Die Wahrheit ist“, sagte er, „ich bin es selbst.“

„Äh, was jetzt genau?“

„Das Schicksal. Ich bin das Schicksal.“

Mir wurde doch etwas mulmig. Das hatte ich nicht erwartet. Dieser Penner sollte das Schicksal sein? Womöglich mein Schicksal? Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Wie der Kerl schon aussah! Düster und irgendwie völlig am Ende. Aber – nicht unbedingt wie ein Hochstapler.

„Vielleicht haben Sie sich in der Tür geirrt?“, fragte ich vorsichtig. Er schüttelte langsam den Kopf.

Das war heftig. Das Schicksal saß auf meinem Sofa. Und es sah nicht gut aus.

Ich musste diesen Typen loswerden. Er sollte einfach wieder gehen, ich hatte ihn schließlich nicht eingeladen.

„Ich brauche keine Einladung“, sagte er.

Ups! Konnte er jetzt auch noch Gedanken lesen?

„Ja, kann ich“, sagte er.

Mir wurde schwindlig. In meinen Knien waberte rote Grütze. Ich musste hier raus! Wenn er nicht ging, würde ich eben gehen. Solange ich noch konnte.

„Das nützt auch nichts“, sagte er. „Man kann dem Schicksal nicht entkommen.“

Er stand auf und machte einen schnellen Schritt in meine Richtung. Dabei ballte er eine Hand zur Faust.

„Halt, warten Sie!“, rief ich. Irgendwie musste ich Zeit gewinnen, bevor das Schicksal zuschlug. „Machen Sie es sich doch erst mal gemütlich!“

Das Schicksal stutzte einen Moment. „Ich mach uns einen schönen Tee. Kuchen ist zufällig auch noch da.“ Das Schicksal starrte mich verblüfft an. Mit einem solchen Angebot schien es nicht gerechnet zu haben. Womöglich war das meine Chance. Vielleicht konnte ich es ja günstig stimmen. In seinem vernachlässigten Zustand fühlte es sich doch bestimmt nicht besonders wohl.

„Und wenn Sie vielleicht vorher noch duschen wollen – da geht’s ins Bad!“, sagte ich. Das Schicksal roch nämlich auch nicht besonders gut. Ich nutzte den Überraschungsmoment, schob den Kerl kurzerhand ins Badezimmer und schloss die Tür hinter ihm.

Angespannt wartete ich ein paar Sekunden. Jeden Augenblick rechnete ich damit, dass er wieder herausgepoltert kam, um seinen Auftrag – oder wie auch immer man das nennen sollte – doch noch auszuführen oder mich zumindest kräftig zu beuteln.

Nichts dergleichen geschah. Vielleicht hielt er meinen Vorschlag wirklich für eine gute Idee, oder ich hatte ihn einfach nur überrumpelt. Wie auch immer. Während ich den Tee aufbrühte, hörte ich ihn unter der Dusche singen. Es klang eigentlich gar nicht so schlecht.

Eine Viertelstunde später saß ich mit meinem frisch geduschten Besucher bei Tee und Kuchen am Tisch, und – was soll ich sagen? – da sah das Schicksal schon viel besser aus.