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Über dieses Buch:

Selbst die größte Unordnung kann ihrer guten Laune nichts anhaben! Valentine wohnt mit Ehemann Philip in einer Villa in Berlin-Grunewald – zusammen mit vielen Hunden, Katzen und der schrulligen Haushälterin Anna. Diese verbummelt die Autoschlüssel, verbraucht den ganzen Kaffee, ohne neuen zu kaufen, kurz: Anna muss öfter unterstützt werden, als dass sie selbst eine Hilfe ist. Valentine behält bei all dem Trubel trotzdem die Nerven. Doch nun ist sie schwanger … Und aus der starken Valentine wird ein richtiges Nervenbündel, sie kann sich schließlich nicht um alles kümmern! Zum Glück kommt Valentines guter Freund, der Tierarzt Hans, gerne zu Besuch – und kümmert sich nicht nur um die vierbeinigen Hausbewohner …

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten.
Ihr erster Roman »Die Zürcher Verlobung« wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Zürcher Verlobung«, »Der Bastian«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Drei sind einer zuviel«, »Brombeerzeit«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Die Melodie des Glücks«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Jennys Geschichte«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Zwillingsbruder«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Der Traum eines Sommers« und »Eine Handvoll Glück« sowie »Ein Stück vom Leben«, die auch im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Auch bei dotbooks erschienen ihre Erzählbände »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie« und »Ferien sind schöner« sowie der Sammelband »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«.

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eBook-Neuausgabe Juli 2016

Copyright © der Originalausgabe 1965 by Lothar Blanvalet Verlag, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/runzelkorn

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-678-2

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Barbara Noack

Valentine heißt man nicht

Roman

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So etwas wie eine Einleitung

Ich weiß schon, was Sie jetzt denken. Einleitungen sind meistens langweilig.

Meine Einleitung wird Sie dazu noch herrlich verwirren, weil so viele Namen in ihr vorkommen. Die Namen meiner zahlreichen Familie. Zuerst will ich aber unsere Kampfstätte vorstellen: Ruine Marschall, Stendhalstraße 7-9, Berlin-Grunewald.

Sie ist verspieltes Marzipanrokoko und sieht so aus, als ob man sie schon einmal hochgehoben, wieder fallen gelassen und die übriggebliebenen Teile zusammengekittet hätte. (Aber daran ist nicht unser turbulentes Familienleben, sondern der Krieg schuld.)

Französische Fenster öffnen sich auf eine Terrasse mit dicklichen Steinputten, die Blumenkörbchen schwenken und Blockflöte blasen, unbekümmert um die Tatsache, daß ihre Köpfe seit Jahren im Gras liegen. Die ganze Ruine wirkt wie ein Form gewordenes, im zwanzigsten Jahrhundert komponiertes Schäferliedchen – ein bißchen Sanssouci und ein bißchen kitschig.

Es ist gerade Mittag und die Luft erfüllt von trägem Spatzenschilpen, Blätterseufzen und wütendem Tellerklappern aus unserem geöffneten Küchenfenster. Dort mißhandelt Anna Krieger den Abwasch, und wenn ich nachher Scherben im Mülleimer finde, sagt sie bestimmt, es sind die Hunde gewesen. Die Spaniels haben bei uns an allem schuld. Sie zerschlagen nicht nur das Geschirr, sie verbrauchen den ganzen Kaffee, verbummeln Philips Autoschlüssel und…

Hören Sie? Eben rief der Pirol. Er ruft seinen Namen »Krischan Füerhoak«, was Kristian Feuerhaken heißt, aber Philip meint, man muß schon aus der Uckermark stammen, um ihn zu verstehen. (Das soll natürlich eine Spitze gegen meine bäuerliche Herkunft sein. Macht nichts.)

Der plattdeutsche Pirol und zahlreiche Spatzen wohnen zusammen mit einer Amsel in den hohen Bäumen unseres Gartens, der dringend eines Friseurs bedarf. Durch seine Struppigkeit zieht sich vom pompösen Schmiedeeisenportal bis zur Ruine herauf ein breiter Scheitel – die »Auffahrt«.

(Es ist zwar alles verwildert und ramponiert bei uns, aber die vornehmen Bezeichnungen von früher, wie »Auffahrt« für den breiten, verunkrauteten Kiesweg und »Gewächshaus« für ein paar Ziegelsteine mit besplittertem Gestänge darüber, haben wir beibehalten.)

Vor kurzem erwartete Philip einen sehr feinen Herrn aus Hamburg. Diesen Besuch nahm er zum Anlaß, sein Besitztum mit Feldwebelblicken zu durchstreifen, und nach dieser Musterung zeigte er sich sehr mißgestimmt und nannte unsere liebe Ruine einen Saustall. Er beschloß ihren Ausbau zum Herbst und ließ sich vom Gärtner einen Kostenvoranschlag für die Instandsetzung des Gartens machen. Nachdem er diesen gelesen hatte, entdeckte er die Reize seiner verwilderten Umgebung und bezeichnete sie fortan als »urwüchsig«, denn urwüchsige Reize kann man logisch vertreten, aber verwilderte –?

Gerade trottet die schöne, sanfte Anette über den Kiesweg und die wenigen Stufen zur Terrasse hinauf, schnuppert kurz an den überhängenden Füßen unseres schlafenden Hausvorstandes und streckt sich nach mehreren Umdrehungen im Schatten seiner Liegekarre aus.

Wenn ich Philip so betrachte – voilà un homme, möchte ich dann sagen. Voilà – ein erstaunlicher Mann, zumindest der Statur nach, wenngleich seine überhängenden Füße und ein wenig infantile Schlafmiene sein Äußeres auch beeinträchtigen. Philip ist kein adonischer Held – nichts mit Prädikaten wie markig, sehnig, strahlend jung. Er ist eher ein Gebäude – etwa Barockstil. Sein Brustumfang liegt schon jenseits jeder üblichen literarischen Brustumfangsschilderung eines Helden, sofern es sich bei diesem nicht um einen Preisringer handelt.

Es muß anstrengend sein und sicher eine Menge Mut und Kraft kosten, um die Hoffnungen nicht zu enttäuschen, die vor allem Frauen (Sie ahnen nicht, wie viele!) in seine Figur setzen. Dabei ist Phil auch ganz gern einmal feige. Wer ist das nicht außer den Leuten, die Denksprüche über den ununterbrochenen Mannesmut verfassen.

Wegen seines zufriedenen Grinsens und seiner beruhigenden Alltagsintelligenz, die nicht zu hohe Anforderungen an die seiner Mitmenschen stellt, ist er allgemein beliebt. Er hat viele Freunde, auch unter jenen Leuten, die man kennen muß, um »Wer« zu sein. Er ist sozusagen ein Mann mit guten Beziehungen und der noch besseren Einsicht, daß man mit den besten Beziehungen genauso gut verhungern kann wie ohne.

Übrigens ist Philip Modefotograf, ein immer bekannterer sogar, und im Augenblick hat er den Schlaf sehr nötig. Denn hinter ihm liegen die anstrengendsten Wochen eines Halbjahres: das Fotografieren der Herbst- und Winterkollektionen der Haute Couture und der Textilfirmen. Das hieß: sechsunddreißig Stunden Arbeit pro Tag.

Zuviel Kaffee und Zigaretten.

Ärger mit der Konkurrenz und den Moderedakteurinnen und seinem steifbeinigen Fotomodell Valentine (das bin ich).

Zu hoher Blutdruck.

Hetztouren nach Westdeutschland.

Als Ruhepol dazwischen ein kriegsinvalides Zuhause, in dem stündlich etwas Überraschendes geschieht:

Der Hund Dickie erstickt um ein Haar im Misthaufen.

Hausdrache Anna Krieger erhält eine Beleidigungsklage von Bäcker Przstulla. (Wir müssen unsere Semmeln jetzt drei Straßen weiter einkaufen.)

Spaniel Boogie buddelt sich in den angrenzenden Garten durch und pinkelt die Tomaten des Nachbarn an. Im Wiederholungsfalle soll Boogie erschossen werden, drohte der Nachbar.

Die Tigerkatze Emma hat sich in der vergangenen Mondscheinsaison mit dem schwarzen Mulle von Bäcker Przstulla eingelassen und verwechselt unser elegantes französisches Bett mit dem Kreißsaal. Anna Krieger ersäuft die Brut bis auf ein rotgestreiftes Kätzchen, das keine Ähnlichkeit mit dem schwarzen Romeo Przstullas hat.

Sie meinen vielleicht, das seien keine Gründe zur Aufregung? Für uns sind es welche, denn wir nehmen unsere kleine, unordentliche, engbevölkerte Welt sehr ernst.

Neulich war der Reporter einer Berliner Abendzeitung hier. Er schrieb einen Artikel über uns, in dem er die Ruine als »Arche Marschall« bezeichnete, in der alles zu finden sei, was nicht aussterben dürfe: liebenswerte Menschen und Tiere.

Das war sehr schmeichelhaft für uns, hätte aber gewiß anders geklungen, wenn Philip ihm nicht einen Kognak angeboten und versprochen hätte, seine Flanellhose reinigen zu lassen, an der Boogie seine Teerpfoten abgewischt hatte.

Anna Krieger hat sich den Artikel ausgeschnitten und trägt ihn ständig bei sich, um ihn all denen zu zeigen, die behaupten, sie wäre von einem liebenswerten Menschen so weit entfernt wie ein Rabenaas von einem Rotkehlchen.

***

Philip schläft noch immer. Eben hat er sehr höflich und halblaut im Traum »Wie bitte?« gefragt und sich dann auf die Seite gerollt. Ich gehe auf Zehenspitzen ins Haus.

Im Kaminzimmer blinzelt mich Boogie schläfrig durch das Gitter des zwar schäbigen, aber doch formschönen Windsorsessels an. Auf dem Schreibtisch liegt die Katze Emma und duftet nach Bückling. Und im Schlafzimmer treffe ich Eliza Doolittle und ihre Schwester Demoiselle. An den beiden ist noch alles weich und rund mit drei blanken Schuhknöpfen da, wo einmal Augen und Schnauze sitzen werden.

Eliza hat sich auf meiner frisch gebügelten Wäsche zusammengerollt, und Sellchen pustet friedlich in dem geöffneten Koffer, der auf dem Fußboden steht.

Und da fällt mir ein, daß ich Ihnen noch schnell die Geschichte unserer drei Jüngsten erzählen muß, die Geschichte von Eliza Doolittle, Demoiselle und ihrem verfressenen Bruder Dickie.

Philips treuester Kumpan und ständiger Reisebegleiter war der rote Spaniel Butler. Ein feiner, kluger, tapferer, schöner, unbestechlicher Hund. Seit seinem Tode sogar der klügste, feinste, schönste, tapferste Hund, den es jemals gegeben hat (fragen Sie Philip!).

Ehe Butler in diesem Frühjahr unter den Rädern eines Autos endete, betätigte er sich noch einmal als Bräutigam. Er hat seine Babys nicht mehr erlebt, und wir wollten sie anfangs auch nicht sehen. Philip wollte überhaupt keinen Hund mehr sehen – auch seine Anette und meinen Boogie nicht, dabei konnten die beiden doch nichts dafür, daß er sie nicht so liebte wie seinen Butler!

Und dann kam unsere Hochzeit, der bedeutende Tag, an dem ich Frau Marschall wurde. Und mit der Hochzeit auch die Frage: Was schenke ich Philip? Es sollte etwas ganz Besonderes sein. Etwas Beziehungsreiches. Gewiß, er wollte keinen Hund mehr, aber so ein winzigkleiner, hilfloser Butlerableger –?!

Er sollte nach der Trauung in die Ruine gebracht werden. Heimlich natürlich. In einem königsblauen Hutkarton mit weißen Sternchen.

Es war eine sinnige Idee. Aber leider hatte ich sie nicht allein. Philip beschloß ebenfalls, mir eins von Butlers Kindern zu schenken, und meine Schwiegermutter Elisabeth Marschall, die wir Lieschen nennen, beschloß – eben. Im Allgemeinen gelingt es uns nicht, ein Geschenk bis zu seinem Bestimmungstage geheimzuhalten. Diesmal gelang es. Leider.

So kam es, daß in dem Augenblick, als wir, von der Trauung kommend, von links in die Stendhal-Straße einbogen, von rechts ein klappriger Tempowagen heranratterte und statt einer gleich drei Hutschachteln vor Nr. 7 ablud. Darin hockten unsere verängstigten Hochzeitsüberraschungen. Sie waren ganz benommen von der Schuckelei im Auto und heilfroh, als ich sie aus ihrer königsblauen Geschenkverpackung schälte.

Keinem von uns hatte der Schreck die Stimme belassen, nur Hans Fichte, unser ehrenamtlicher Tierarzt, Trauzeuge und Philips bester Freund seit der Schulzeit. Hänschen seufzte: »Au fein, jetzt habe ich noch drei Patienten mehr, die ich umsonst behandeln darf.«

Philip beschloß, am nächsten Sonntag eine Verkaufsannonce unter der Rubrik »Tiermarkt« in die Zeitung zu setzen, denn alle drei Butlerkinder wollten wir auf keinen Fall behalten. Nur wußten wir nicht, welches wir abgeben sollten. Von meinem Geschenk Dickie wollte Phil sich aus Zartgefühl nicht trennen. Lieschen hätte ihm nie verziehen, wenn er ihr Präsent – Demoiselle – verkauft hätte. Ich wiederum bestand darauf, Eliza Doolittle, die Phil für mich ausgesucht hatte, zu behalten.

Somit wandelten die drei – »aber vorläufig, Tine!« sagte Philip ausdrücklich – in den Zwinger zu Boogie und Anette.

Das war vor einem Monat. Seitdem beißt und quietscht sich die Hundejugend durch die Ruine, ziept Boogie, stiehlt Anettes Fressen, und einzig dem Hahn Gustav, der mit seinen fünfzehn Hennen den Hof beherrscht, gelang es bisher, den Babys Respekt einzuhacken.

Jetzt kennen Sie alle Bewohner der Ruine – abgesehen von den Spinnen, Mäusen, Mücken, Ameisen und vor allem den Igeln, die meine vierbeinige Sonntagsschule laufend mit Flöhen versorgen.

Ach ja, etwas habe ich noch vergessen: mich selbst. Ich heiße Valentine, und das verzeihe ich meinen Eltern nie. Valentine heißt man ganz einfach nicht, und wenn, dann nur ab sechzig. Der Name riecht nach Baldrian, Naphthalin und Bärentraubenblättertee – aber wehre sich einer gegen den Geschmack seiner Eltern, wenn er gerade einen Tag alt ist und noch bedeutend größere Sorgen hat als einen Namen! Außerdem hätte mir mein Protest wenig genützt. Ich hatte nie viel zu sagen in meinem bisherigen Leben. Auch in der Ruine nicht. Zu sagen haben mein Mann Philip Marschall und Drache Anna Krieger.

Vor ein paar Tagen machte ich den schüchternen Versuch, das Kaminzimmer umzuräumen, doch Anna schob die Möbel mit so endgültiger Energie an ihren alten Platz zurück, daß ich vorerst keine neue Änderung wage.

Und all die schönen Vergrößerungen (auf Hochglanzpapier!) von unseren Hochzeitsbildern sammelte Philip mit entsetzter Miene von Kaminsims und Schreibtisch ein – mit dem Vermerk: »Die

darfst du meinetwegen aufstellen, wenn Vertikos wieder in Mode sind, Tine Schmidt aus Klein-Toppel.«

Valentine Schmidt aus Klein-Toppel, so hieß ich vor meiner Heirat mit dem feinen Haus Marschall, und so werde ich von Zeit zu Zeit genannt, wenn ich etwas Eigenmächtiges unternehme, das dem kultivierten Geschmack meines Mannes widerspricht.

Nebenbei gesagt, war Klein-Toppel ein achtbares, kleines Gut, und wenn wir es behalten hätten, wäre ich eine Partie mit Kühen, 4 Pferden, Landbesitz und kompletter Aussteuer gewesen.

Sehen Sie, jetzt sind Sie ganz verwirrt von all den Namen, die Ihnen noch gar nichts sagen, und darum wiederhole ich schnell noch mal: Philip Marschall ist mein Mann und Held, Valentine Marschall, geb. Schmidt, das bin ich, Anna Krieger ist unser unentbehrlicher Hausdrachen, Anette, Boogie, Dickie, Eliza Doolittle und Demoiselle sind unsere Spaniels, Hans Fichte ist unser Onkel Doktor med. vet. und herzhafter Freund, Gustav unser Hahn, Emma unsere Katze mit dem losen Lebenswandel und Krischan Füerhoak unser Sommergast.

… und jetzt muß ich die Koffer packen. Denn morgen fahren Philip und ich an die See. Es ist unsere erste gemeinsame Reise, auf der ausschließlich fürs Familienalbum fotografiert wird und nicht für Modefirmen. Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich darauf freue.

1. richtiges Kapitel

Seit einer halben Stunde geht Philip die stille Seitenstraße an der Eilenriede auf und ab und auf und …

Seine ein wenig abfallende Schulterlinie ist zwar modisch, drückt aber vor allem Verlassenheit aus, und im Augenblick trägt sein Gesicht einen »Schadet-mir-gar-nichts-Ausdruck«. Man hat ihn mit der fetten Hündin Antje auf die Straße geschickt, denn oben stört er.

Oben, das heißt im vierten Stock des trübe verputzten Mietshauses, vor dem unser bis zum Bauch verstaubter Wagen parkt, residiert seine Mutter Elisabeth. Lieschen Marschall ist eine zierliche, kapriziöse Dame, der man jede Extravaganz zugetraut hätte, nur nicht den barocken, schwerknochigen Philip als Sohn.

Sie sieht aus wie ein Porträt von Latour – weißes Haar, lebhafte, nußbraune Augen, viel Pastelltöne im Gesicht und dazu ein lavendelfarbenes Kleid mit rosa Wickensträußchen. Aber noch jugendlicher darf sie jetzt nicht mehr werden, hat Philip gesagt.

Unsere hannoversche Bleibe ist die erste und unbedachte Station auf der Reise an die Nordsee. Heute mittag sind wir angekommen, und Lieschen versprach uns hoch und heilig, daß wir ganz »entre nous« sein würden.

Zuerst waren wir es auch wirklich.

Ich sagte ihr viele aufregende Komplimente, die sie gern schluckte, und nach dem Essen wollte ich gleich abwaschen. Sonst bin ich weniger eifrig, aber fast neue Schwiegertöchter kehren eben besser.

Und dann klingelte es zum erstenmal. Eine Frau Schnetzer kam zufällig, aber wirklich nur rein zufällig vorbei, und wenn sie gewußt hätte, daß die liebe Elisabeth so lieben Besuch hat, wäre sie natürlich nicht gekommen.

Philip bedachte sie mit einem mißmutigen Gesicht, worauf ihm Lieschen so mahnend in die Wade trat, daß ich, die neben ihm stand, von dem Stoß noch was zu spüren bekam.

Frau Schnetzer sagte zu mir: »Ich hoffe, mein liebes Kind, daß Sie dafür sorgen werden, daß meine liebe Elisabeth jetzt öfter nach Berlin eingeladen wird. Schließlich gehört das Haus, in dem Sie wohnen, ja noch zur Hälfte ihr.«

(Ich wollte nicht fragen, welche Hälfte der Ruine sie meinte, die angeschlagene oder die total kaputt gebombte.)

Lieschen legte den Arm um mich: »Das wird Valentine schon tun«, und dabei lächelte sie (laut Philip) so »verdammt harmlos«.

Im ganzen kamen acht beste Freundinnen von ihr »rein zufällig« vorbei. Elisabeth hatte sie heimlich eingeladen, damit sie mich kennenlernen sollten, und ich fand’s ganz nett, den Mittelpunkt der Gesellschaft – sozusagen die preisgekrönte Gans – zu bilden.

Bloß mein Philip… Er saß im Schatten der Nichtbeachtung und kaute an seinem Ärger. Und mußte sich die Ratschläge anhören, die man mir über die Behandlung eines Ehemannes mit Mucken und einer reizenden, liebenswerten Schwiegermutter erteilte.

»Wir sprechen aus Erfahrung, liebe Frau Valentine, aus bittersüßer Erfahrung!«

Ab und zu sah ich Philip auf den Herrn blicken, der elegant und schwermütig aus dem breiten Silberrahmen auf Lieschens Barockkommode lächelte.

Der Herr soll einmal gesagt haben: »Eine Frau ist ein Geschöpf, wert der männlichen Rippe, aus der sie erschaffen wurde. Wenn man aber bedenkt, daß die Freundinnen dieser Frau ihre Abstammung auf die gleiche Rippe zurückführen…« Der Herr sprach aus Erfahrung, aus bittersüßer Erfahrung. Er war Philips Vater.

Als Lieschen und ich zum drittenmal Kaffee trichterten und neuen Kuchen aufschnitten, spürte uns Philip in der Küche auf.

»Du hast sie alle eingeladen, Elisabeth!« grollte er. »Du hast fest versprochen, wir würden ganz entre nous sein. Jetzt sind wir entre demi de Hannover.«

»Demi?« Lieschen legte erschrocken die Hände an die Ohren. »Wenn schon, dann sag lieber ›halb Hannover‹ obgleich es reichlich übertrieben ist. Aber demi! Das klingt unfein.«

Darauf warf Philip seine überlegene Ruhe ab und sagte eine ganze Menge zwischen den Zähnen, wovon nur der schreckliche Ausdruck »Alte Tunten« in Lieschens Ohr haften blieb. Dieser veranlaßte sie, Philip mit ihrer verfutterten Hündin Antje (einer Schwester von Anette) auf die Straße zu schicken, um mögliches Unheil zu verhüten.

Er tat mir so leid, und Lieschen tat mir auch leid. Es lag ihr alles daran, daß ihre Freundinnen nach diesem Besuch »Nein, was hat die liebe Elisabeth für reizende Kinder!« rufen sollten, und darum rannte ich nicht gleich dem schmollenden Philip hinterher, sondern spielte noch eine halbe Stunde – wenn auch etwas abgelenkt – die reizende Schwiegertochter.

Und dabei muß ich immerzu an meinen Mann denken, der groß, kräftig, angenehm zu betrachten, aber unerfreulich zu analysieren – zumindest sein augenblicklicher Gemütszustand – über das graue Pflaster trabt.

Sicher fühlt er sich verraten und verkauft. Sicher sehnt er sich nach seinem leichtfertig aufgegebenen Junggesellenleben zurück, zu dem der unermüdliche Hans Fichte gehörte, Anna Krieger und vor allem Butler, sein wundervoller Hund. Elisabeths Vorwürfe und Beanstandungen mußten vor dieser starken Festung der Freiheit kapitulieren.

»Entschuldigen Sie mich, bitte«, sage ich endlich und laufe an Lieschens fragenden Augen vorbei zur Wohnungstür, vier Treppen tief aus dem kühlen Hausflur in die warme, ein wenig dumpfe Abendluft.

Und ich finde, was ich befürchtet habe: einen ruhelos auf und ab tigernden Philip mit dem Schadet-mir-gar-nichts-warum-hab-ich-mich-einfangen-lassen-Ausdruck im Gesicht. Zwei Schritte hinter ihm trottet die fette Antje.

»Phil!« Ich bin atemlos vom Laufen und kann zuerst nicht mehr sagen, nur versuchen, seine Bittermiene fortzustreicheln. Er will noch nicht gleich versöhnt sein, das spüre ich an seiner zurückhaltenden Steifheit. Aber dann ist da endlich eine unentschlossene Hand an meinem Ellbogen.

»Tinchen?«

»Ich bin denen oben entwischt!«

»So.«

»Und ich verspreche dir, daß ich mir niemals Freundinnen zulegen werde, die gute Ratschläge geben, sondern nur Freunde, die nicht hetzen.«

Wir gehen langsam auf das Haus zu, in dem Lieschen wohnt.

»Weißt du, Tin«, sagt Philip. »Es ist nicht unbedingt nötig, daß du dir Freunde zulegst.«

***

Zu beiden Seiten der Straße wechseln Felder mit Wiesen, rotbunte Kühe mit schwarzweißen. Ein Fohlen schmiegt seinen Kopf zwischen die hölzerne Koppelumzäunung.

Und dann ein Dorf. Es heißt »Esso« oder »Leibnizkeks« wie das vorige, seinen amtlichen Namen verrät es auf keinem Schild.

Zwischen dem dunkelgrünen Laub der Hortensienbüsche in den kleinen Vorgärten taucht ein flachsblonder Jungenkopf auf, und gleich muß ich an das zukünftige Kinderzimmer in der Ruine denken. Es wird im ersten Stock liegen, Südseite nach vom hinaus. An die Fenster kommen blaue Leinenvorhänge mit breiten, bunten Bauernborten. Die Möbel streiche ich kornblumenblau und …

»Tine Marschall«, sagt Philip, »deine Miene ist von hundert Gedanken ganz zerzaust. Du hast doch nicht etwa die Ruine mit auf die Reise genommen?«

»Bloß das zukünftige Kinderzimmer. Was hältst du davon, wenn ich seine Möbel blau streiche?«

»Blau ist immer gut, aber ich meine, du solltest dir lieber die Landschaft angucken, statt noch nicht vorhandene Kinderzimmer für einen noch nicht vorhandenen Sohn einzurichten.«

»Ja«, sage ich folgsam.

Es wird schwierig mit den vielen Tieren, wenn Philip II. eines Tages ankommt. Ich werde mich dann weniger um sie kümmern können. Es ist überhaupt nicht ganz leicht mit unserer Sonntagsschule. Ich bitte Sie: fünf Hunde, eine Katze, sechzehn Stück Federvieh, das sind zweiundzwanzig immer hungrige Mägen. Und dann die Arbeit in der Ruine. Anna kann das gar nicht allein schaffen!

»Vorigen Sommer war die Nordsee bis Kapstadt zugefroren«, sagt Philip.

»Ach – «

»Bei Ebbe schmolz das Eis, und bei Flut fror es wieder zu kleinen Buckeln über den Wellen, das sah sehr komisch aus.«

»So.« Ich sehe Philip mißtrauisch von der Seite an. »Hast du da eben nicht was ziemlich Blödes gesagt?«

»Ich sagte, wenn du noch einmal, nur ein einziges Mal, an Kinderzimmermöbelfarben oder an unseren Viehbestand denkst, steige ich aus und fahre mit dem Zug weiter. Das soll eine ernste Drohung sein.«

Ich berücksichtigte sie nicht.

»Ich hätte jetzt nicht fortfahren dürfen, Phil. Ich denke immerzu daran, wie falsch es war, gerade jetzt fortzufahren, wo die Babys noch so klein und dumm sind. Und Anna kann mit ihren Gichtknochen nicht alles schaffen. Ich habe ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen.«

»Valentin!« sagt er mahnend, aber ich bin gerade so schön im Jammern drin.

»Du mußt mich verstehen, Phil. Mir ist wie einem Gärtner zumute, der seinen frisch gepflanzten Garten verläßt, ohne zu wissen, ob er auch pünktlich gegossen wird.«

Ich fliege gegen die Windschutzscheibe, so schroff bremst er den Wagen, greift hinter sich in den Fond, zieht seinen Mantel an einem Ärmel und einen international verklebten Koffer hervor und steigt aus.

»Wo willst du hin?«

»Allein weiterfahren, damit du zurück kannst, deine Pflänzchen begießen!« Er ist ernsthaft böse.

»Du bist verrückt, Philip Marschall«, sagte ich.

Er hat seinen Mantel über die Schulter geschlagen, den Koffergriff eine Spur zu forsch umspannt und geht über den Damm in eine Seitenstraße hinein.

Zu dumm, daß wir uns gerade in Itzehoe streiten mußten.

Auf der weiten Landstraße hätte er gewiß nicht soviel Konsequenz aufgebracht.

»Phiiilippppp!«