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Titelseite

1

Die Trommeln hallten durch die Flure der Highschool von Shadyside. Während Eva Whelan in Richtung Treppe stürmte, wurde das tiefe, rhythmische Dröhnen immer lauter.

Eva lächelte. Um sie herum liefen auch andere Schüler dem Trommeln entgegen. Sie konnten es kaum erwarten, zur Turnhalle zu kommen, wo die Band sich gerade auf ihren Auftritt vorbereitete.

Alle lieben dieses besondere Schultreffen, dachte Eva. Nicht nur, weil der Unterricht früher zu Ende ist, sondern auch, weil wir heute endlich erfahren werden, welches Mädchen dieses Jahr Homecoming Queen wird.

Die Homecoming Queen wurde jedes Jahr anlässlich des wichtigsten Footballspiels der Saison gewählt und eröffnete zusammen mit dem Homecoming King den anschließenden Ball, dem die ganze Schule entgegenfieberte.

Wieder lächelte Eva und spürte, wie die Aufregung durch ihren Körper schoss. Sie bog um die Ecke und eilte auf die Treppe zu, die nach unten in die Sporthalle führte.

„Hey, Eva! Warte auf mich!“

Als Eva sich umdrehte, entdeckte sie ihre beste Freundin, Tania Darman, die ihr über die Menge hinweg zuwinkte. „Warte auf mich!“, rief Tania noch einmal.

Eva winkte zurück und drängelte sich zur Wand durch. Gegen eine Reihe von Schließfächern gelehnt, wühlte sie in ihrer Hosentasche nach einem Haargummi.

Sie sah zu, wie ihre Freundin sich einen Weg durch die Menge bahnte. Tania sah umwerfend aus, wie immer: schlank, mit glatten, schulterlangen blonden Haaren und ihrem hübschen Gesicht mit dem offenen, freundlichen Ausdruck.

„Ist das nicht irre?“, rief Tania, als sie Eva erreicht hatte. „Alle sind total aufgedreht!“

Eva band ihre dichten dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Du etwa nicht?“, fragte sie.

„Na klar!“, erwiderte Tania. Ihre grünen Augen funkelten begeistert. „Immerhin habe ich die Chance, zur Homecoming Queen gewählt zu werden. Ich kann das immer noch nicht glauben!“

„Ich hoffe, dass du gewinnst, Tania. Ich drück dir jedenfalls ganz doll die Daumen.“ Eva hob demonstrativ beide Hände.

„Was? Sonst nichts?“ Tania warf ihr Haar zurück und grinste. „Wie wär’s mit einer deiner berühmten Eingebungen? Kannst du nicht voraussagen, ob ich gewinne oder nicht?“

Eva schüttelte den Kopf. Einige ihrer Freunde glaubten, sie hätte übernatürliche Fähigkeiten, weil sie ab und zu von seltsamen Vorahnungen überfallen wurde. Sie konnte jedes Mal deutlich spüren, wenn etwas nicht stimmte, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, was es war.

Zum Beispiel letzte Woche, als Tania und sie unterwegs waren, um sich Kleider für den großen Ball zu kaufen. Als sie in einem der teuersten Läden des großen Einkaufszentrums in der Division Street waren, überkam Eva plötzlich ein heftiges Angstgefühl. Obwohl es keinen Grund dafür gab, war sie die ganze Zeit wahnsinnig nervös.

Als sie den Laden gerade verlassen wollten, schrillte die Alarmanlage los und eine Gruppe von Jugendlichen wurde von drei Kaufhausdetektiven des Ladendiebstahls überführt.

Eva hatte diese Vorahnungen nicht allzu häufig. Doch wenn sie sie verspürte, vertraute sie ihnen blind.

Letzten Endes war es nichts weiter als ein Gefühl, denn sie konnte nicht exakt vorhersagen, was geschehen würde.

„Das mit dem Blick in die Zukunft funktioniert leider nicht“, erinnerte sie Tania. „Ich hab schließlich keine Kristallkugel oder so.“

„War doch bloß Spaß“, erwiderte Tania und ging langsam auf die Treppe zu. „Aber weißt du was? Eigentlich ist es mir gar nicht so wichtig, ob ich Homecoming Queen werde oder nicht.“

Eva starrte sie verblüfft an. „Spinnst du?“

„Na ja, es wäre natürlich cool“, räumte Tania ein, „aber davon hängt nicht mein Leben ab. Richtig glücklich macht mich, dass Mum im Juli wieder geheiratet hat und wir in dieses neue, tolle Haus gezogen sind. Ich mag meinen Stiefvater und habe außerdem noch einen wunderbaren Stiefbruder bekommen. Was will man mehr?“

Das kann man wohl sagen, dachte Eva sehnsüchtig. Sie war unsterblich verliebt in Tanias Stiefbruder Jeremy mit dem kastanienbraunen Haar und dem schüchternen Lächeln.

Sie kannte ihn noch nicht besonders gut, aber das wollte sie unbedingt ändern.

„Und dann ist da noch Sandy“, fuhr Tania fort. „Ich konnte es zuerst gar nicht glauben, als er mich gefragt hat, ob ich mit ihm ausgehen will. Und jetzt sind wir tatsächlich zusammen. Ich meine, immerhin ist er einer der begehrtesten Typen der Schule.“

Eva nickte. Sandy Bishop, der gut aussehende Kapitän des Footballteams, war echt cool. Da waren sich alle einig.

Einschließlich Sandy, dachte Eva. Er weiß genau, dass er beliebt ist, und genießt es, dass sich die Mädchen reihenweise in ihn verknallen. Aber er scheint wirklich verrückt nach Tania zu sein. Also, was soll’s, wenn er ein bisschen eingebildet ist?

„Es ist toll, als Homecoming Queen nominiert zu sein, aber es ist mir nicht so wichtig, ob ich gewinne“, wiederholte Tania. „Im Augenblick ist alles perfekt, so wie es ist. Hey, ich habe gestern sogar eine Eins in Französisch geschrieben!“

Eva lachte. „Ich freu mich für dich, Tania. Du verdienst es, glücklich zu sein. Aber jetzt lass uns mal in die Turnhalle gehen. Dir ist es vielleicht egal, wer gewinnt, aber mir nicht.“

Oben an der Treppe drängten sich noch mehr Schüler.

Als Eva hinter Tania ihren Fuß auf die oberste Stufe setzte, schubste sie jemand von hinten. „Hey, pass doch auf!“, rief sie empört.

Im nächsten Moment spürte sie, wie sie unsanft beiseitegedrängt wurde. Die Bücher fielen ihr aus der Hand und der Rucksack rutschte ihr von der Schulter.

Während Eva noch darum kämpfte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, nahm sie aus dem Augenwinkel eine verschwommene Bewegung wahr.

Eine Gestalt, die sich von der Menge abhob.

Zwei ausgestreckte Arme.

Tania stieß einen Schrei aus. Eva fuhr herum – und sah, wie ihre Freundin die Treppe hinunterstürzte.

2

Tania stolperte vorwärts. Ihre Arme ruderten wild durch die Luft. Einige Schüler schrien erschrocken auf und sprangen beiseite.

Eva griff geistesgegenwärtig nach dem Pullover ihrer Freundin. Und verfehlte ihn.

Tania schlitterte ein paar Stufen hinunter und versuchte mit hektischen Armbewegungen ihr Gleichgewicht wiederzufinden. In letzter Sekunde gelang es ihr, mit einer Hand die Metallstange des Geländers zu packen.

Von ihrem Schwung getragen, flog sie ein Stück durch die Luft und krachte dann mit voller Wucht gegen die Wand.

„Hey, alles in Ordnung?“, fragte jemand.

Tania nickte und rang sich ein mühsames Lächeln ab.

Eva stürmte die Stufen hinunter. „Was ist passiert?“, rief sie mit schriller Stimme.

„Es war meine Schuld“, sagte eine Stimme hinter ihnen.

Eva und Tania fuhren herum.

Leslie Gates stand oben an der Treppe und sah mit besorgter Miene auf sie herab. „Es war meine Schuld“, wiederholte sie. „Ich bin ausgerutscht. Es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht schubsen, Tania.“

Kann schon sein, dachte Eva, während sie zu Leslie hinaufstarrte. Aber wenn Tania tatsächlich gestürzt wäre und sich ernsthaft verletzt hätte, wärst du bestimmt nicht in Tränen ausgebrochen, oder? Immerhin hätte es deine Chancen erhöht, selbst Homecoming Queen zu werden.

„Es tut mir furchtbar leid, Tania, wirklich“, beteuerte Leslie und schob nervös die Ärmel ihres roten Sweatshirts hoch. „Ist alles okay?“

Tania strich sich das Haar aus den Augen. „Ja, ich glaube schon.“

„Dann ist es ja gut.“ Leslie stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Bis gleich, in der Sporthalle“, fügte sie hinzu und trabte dann die Stufen hinunter.

Eva beobachtete sie, als sie an ihnen vorbeieilte. Die hochgewachsene Leslie mit ihrer perfekten athletischen Figur und dem seidigen braunen Haar war Tanias größte Konkurrentin.

In mehr als einer Hinsicht, schoss es Eva durch den Kopf.

Wenn man Leslie so reden hörte, bekam Tania immer alles, was sie wollte. Sie hatte mehr Freunde als Leslie und machte im Gegensatz zu ihr im Frühling eine Klassenfahrt nach London. Außerdem hatte Tania ein eigenes Auto, während Leslie sich höchstens mal ab und zu den klapprigen Familienkombi ausleihen konnte.

Und zu allem Überfluss hatte Tania ihr auch noch Sandy weggeschnappt, den Jungen, hinter dem Leslie schon seit Monaten her war.

Eva wusste, dass die beiden früher mal die dicksten Freundinnen gewesen waren. Doch dann war Leslie immer neidischer geworden und hatte schließlich die Freundschaft beendet. Jetzt sprach sie kaum noch mit Tania.

Eva wandte sich an ihre Freundin. „Bist du sicher, dass du dich nicht verletzt hast? Du bist ziemlich heftig gegen die Wand geknallt.“

„Ach ja? Das habe ich gar nicht so gemerkt. Ich glaube, ich bin viel zu aufgeregt, um irgendetwas mitzubekommen.“ Tania zupfte ihren Pullover zurecht und strich sich die Haare hinter die Ohren. „Wie sehe ich aus?“

„Super“, versicherte ihr Eva.

„Okay. Ich glaube, ich sollte mich jetzt langsam mal in der Turnhalle blicken lassen. Bis später.“

Mit einem aufgesetzten Lächeln drehte Tania sich um und stürmte die Treppe hinunter.

„Hey! Viel Glück!“, rief Eva ihr hinterher.

Sie hat mich gar nicht gehört, dachte Eva bedrückt. Tania ist viel zu aufgedreht. Zu glücklich.

Doch wie lange würde ihr Glück noch anhalten?

Während sich die nächste Schülergruppe an ihr vorbeidrängte, überlief Eva plötzlich ein kalter Schauer. Das Gelächter und die Rufe rückten unvermittelt in weite Ferne und die Geräusche der Band drangen nur noch als leises Rauschen zu ihr durch.

Es kam ihr so vor, als hätte sich von einer Sekunde zur anderen eine große, düstere Wolke über ihr aufgetürmt.

Dieses seltsame Gefühl dauerte gerade mal eine Sekunde. Dann nahm sie alles um sich herum wieder ganz deutlich wahr.

Das war keine von deinen „Eingebungen“, versuchte Eva sich zu beruhigen. Du bist hungrig, weil du nichts zu Mittag gegessen hast. Und aufgeregt wegen Tania. Sonst nichts.

Es ist alles in Ordnung.

Es wird nichts Schlimmes passieren.

Eva atmete tief durch, trabte die Treppe hinunter und reihte sich in die Menge der Schüler ein, die auf die Sporthalle zuströmten.

Die Schulband saß in einem eigenen Bereich auf der Tribüne und war immer noch damit beschäftigt, ihre Instrumente zu stimmen, während die Cheerleadertruppe der Highschool auf dem Spielfeld eine ihrer Nummern vorführte. Sie hüpften, sprangen und wirbelten durcheinander und brachten das Publikum dazu, laut mitzugrölen. Die hölzernen Tribünen erzitterten, als die Menge im Takt mit den Füßen stampfte.

Mitten auf dem glänzenden Holzboden der Turnhalle war eine Art Podium errichtet worden. Darauf stand Jason Thompson, der am Tag zuvor zum Homecoming King gewählt worden war, neben dem Trainer der Footballmannschaft.

Hinter den beiden saßen Tania und drei andere Mädchen in einem Halbkreis. Alle vier lächelten nervös und winkten ihren Freunden auf der Tribüne zu.

Doch eigentlich hätten dort fünf Mädchen sitzen müssen.

Eva musterte die Gesichter auf dem Podium. Tania. Julia Moran. Mei Kamata. Doris Bradley.

Aber keine Leslie.

Wo ist sie?, fragte sich Eva. Leslie ist vor uns die Treppe hinuntergegangen und jetzt ist sie nicht hier.

Hastig ließ sie ihren Blick über die Menge schweifen. Sei nicht albern, dachte sie. Leslie wird doch nicht irgendwo auf der Tribüne sitzen. Sie kann es gar nicht erwarten, zur Homecoming Queen gewählt zu werden. Nach allen Regeln der Logik müsste sie längst dort unten auf dem Podium sein und so tun, als hätte sie die Krone schon auf dem Kopf.

Aber warum war sie dann nicht da?

Wieder überkam sie das Gefühl einer drohenden Gefahr. Eva biss sich auf die Unterlippe und zwang sich zu einem Lächeln, als Tania ihr vom Podium aus zuwinkte.

Während sie zurückwinkte, drängelte sie sich durch die Menge und stieg die Stufen zur Tribüne hinauf.

Als sie an der Band vorbeikam, plärrten ihr die Trompeten ins Ohr. Die Musik wurde lauter und brach dann abrupt ab.

Durch die plötzliche Stille hallte ein anderes Geräusch.

Ein ohrenbetäubender Knall, der von den Wänden der Sporthalle zurückgeworfen wurde.

Ein Schuss! Eva schrie entsetzt auf.

Ein Pistolenschuss!

3

Evas Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an. Das Blut pulsierte dröhnend in ihren Ohren.

Eine Waffe!, dachte sie voller Panik. Jemand hat eine Waffe in der Turnhalle abgefeuert!

Entsetzt wollte sie einen weiteren Schrei ausstoßen.

Und erstarrte mitten in der Bewegung, als ein Junge, der in der Reihe neben ihr saß, etwas metallisch Glänzendes vom Boden der Tribüne aufhob.

Eine zerbeulte Coladose.

Beschämt klappte Eva ihren Mund wieder zu.

Der Junge hatte nur mit dem Fuß eine Getränkedose zertreten. Dieses Geräusch hatte sie doch schon tausendmal gehört. Wie hatte sie es bloß für einen Schuss halten können?

Weil du nervös bist, beantwortete sie ihre eigene Frage. Weil hier irgendetwas nicht stimmt.

Reiß dich gefälligst zusammen, befahl sich Eva. Kann schon sein, dass an deinen Vorahnungen bis jetzt immer etwas dran gewesen ist. Na und? Dann ist es diesmal eben anders. Alles ist in bester Ordnung. Sieh dich doch um.

Plötzlich blitzte am Rand ihres Blickfelds etwas Rotes auf. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie Leslie lächelnd und winkend durch die Turnhalle flitzte. Als die Menge daraufhin begeistert klatschte, errötete Leslie vor Freude. Sie erklomm das Podium und setzte sich zu den anderen Kandidatinnen.

Eva verdrehte die Augen. Typisch Leslie! Sie war mit Absicht zu spät gekommen, um sich einen großen Auftritt zu verschaffen.

Angewidert schüttelte Eva den Kopf. Sie wandte sich ab und stieg weiter die Stufen hinauf. Dabei fiel ihr Blick auf Keith Hicks. Keith, ein dünner Junge mit dunklen welligen Haaren, trug wie üblich Schwarz. Schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarzes Cap. Die einzigen Farbkleckse an ihm waren der schimmernde Goldring in seinem linken Ohr und seine durchdringenden blauen Augen.

Eva grinste und fühlte sich augenblicklich viel besser. Nicht wegen Keith, den sie auch ganz gerne mochte. Nein, wegen des Jungen, der neben ihm saß.

Es war Tanias neuer Stiefbruder.

Der große, schlaksige Jeremy hatte die Arme auf die Knie gestützt und blickte wie gebannt zum Podium hinunter. Sein lockiges braunes Haar schimmerte im Licht.

Der andere Platz neben Jeremy war leer.

Na los, feuerte Eva sich an. Sieh zu, dass du ihn dir schnappst, bevor jemand anders es tut.

Während die Band wieder zu spielen begann, sprintete sie die Stufen hoch und drängelte sich zu Keith und Jeremy durch. „Hi, Leute“, sagte sie und unterbrach Keith mitten im Satz.

„Hi, Eva“, erwiderte er und warf ihr ein zerstreutes Lächeln zu.

Als Jeremy ihr ebenfalls zulächelte, bemerkte sie ein süßes Grübchen neben seinem rechten Mundwinkel. Leider wandte er sich gleich wieder ab und starrte geradeaus.

Setz dich hin, redete Eva sich gut zu. Mach ihn auf dich aufmerksam. Flirte ein bisschen mit ihm.

Und dann frag ihn, ob er mit dir zum Ball geht.

Während sie innerlich betete, dass Jeremy nicht schon mit einer anderen verabredet war, rutschte sie auf den Platz neben ihm und stützte die Füße auf ihren Rucksack. „Lass mich raten“, wandte sie sich an Jeremy. „Wetten, Keith hat dir gerade etwas über Filme erzählt?“

Damit konnte sie gar nicht falschliegen. Keith wollte Regisseur werden. Er redete immer über Kino und Filme.

„Stimmt.“ Jeremy nickte. „Aber ich habe nicht richtig zugehört.“

„Wow, echt nett von dir“, murmelte Keith beleidigt.

„Hack nicht auf ihm rum, Keith“, schaltete Eva sich ein und rutschte ein Stück näher an Jeremy heran.

„Ich bin viel zu aufgeregt, um zuzuhören“, gestand Jeremy. Er zeigte auf das Podium. „Ich hoffe so sehr, dass Tania gewinnt. Meint ihr, sie schafft es?“

Evas Schultern sackten enttäuscht herab. Er ist so damit beschäftigt, ob sie gewinnt, dass er mich überhaupt nicht wahrnimmt, dachte sie.

„Ich weiß nicht“, antwortete sie. „Ich hoffe es auch. Aber ich glaube, es würde ihr nicht viel ausmachen, wenn es nicht klappt. Hat sie dir das nicht erzählt?“

„Doch, hat sie“, sagte Jeremy. „Aber ich möchte, dass sie gewinnt. Sie ist schließlich meine Schwester. Na ja, genauer gesagt, meine Stiefschwester, aber das macht keinen Unterschied. Wir haben ein total enges Verhältnis, seit mein Vater und ihre Mutter diesen Sommer geheiratet haben.“

„Das ist schön“, murmelte Eva.

„Ja, das ist es“, stimmte er begeistert zu. „Es klingt vielleicht komisch, aber es ist wunderbar, endlich eine Familie zu haben. Für mich ist es das erste Mal. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ein Baby war, und meinen Vater habe ich praktisch nie zu Gesicht bekommen, weil er immer gearbeitet hat. Er ist jetzt viel öfter zu Hause.“

Warum erzählt er mir das alles?, fragte sich Eva.

„Tania ist darüber auch sehr glücklich“, fuhr Jeremy fort. „Das ist einer der Gründe, warum es ihr nicht so wichtig ist, ob sie Homecoming Queen wird. Sie sagt, in letzter Zeit seien so viele gute Dinge passiert, dass es darauf gar nicht ankommt.“

Keith stieß einen lauten Seufzer aus. „Wenn das hier ein Kinofilm wäre, würde jetzt die kitschige Musik einsetzen.“

Eva knuffte Keith hinter Jeremys Rücken in den Arm. „Hey, was soll das denn heißen? Magst du etwa keine Geschichten mit Happy End?“

„Doch“, erwiderte Keith schulterzuckend. „Aber richtig gute Filme brauchen vor allem Dramatik.“

„Filme vielleicht, aber das hier ist das wahre Leben“, erinnerte ihn Jeremy.

„Was du nicht sagst“, schnaubte Keith. „Aber ich denke da mehr an mein Video.“

„Was für ein Video?“, fragte Eva.

„Na das, das ich drehen werde“, antwortete Keith. „Und das mir ein Stipendium an der Filmakademie sichern wird. Davon habe ich Jeremy eben erzählt.“

Er warf seinem Freund einen intensiven Blick aus seinen strahlend blauen Augen zu. „Weißt du, was echt super wäre?“

Jeremy schüttelte den Kopf.