Rene Schickele

 

Benkal der Frauentröster

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2014

 

ISBN/EAN: 9783958706149

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

 

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I

Aus der Feuersbrunst, die das mittelländische Königreich zerstörte, flog ein Funke in den Himmel und blieb dort haften an dem Schilde des Ruhms als ein Stern, zu dem alle bekümmerten Frauen hilfesuchend emporblicken.

 

Bevor das tragische Missgeschick seines Volkes ihn solchermaßen erhöhte, war Benkal einer der gleichgültigen und unnützen Menschen, wie man deren im reichen Mittelland viel traf.

 

So hatte es wenigstens den Anschein, und so musste es jeder mit Benkal halten, der sich nicht gerade aufmerksam mit seinem Innenleben beschäftigt hätte. Daran dachte aber keiner, vielleicht, weil Benkal selbst gern und viel, wenn auch in schwer verständlichen Umschreibungen, von seinem Innenleben sprach.

 

Um es gleich zu sagen: Benkal war ein Schwätzer, den niemand ernst nahm, und da es von jeher Benkals Art war, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so gab er wohl auch Anlass zu der Meinung, dass er im Grund von sich nicht besser, wenn nicht gar geringer denke. Schuld hatte der gelbe Wein seiner Heimat, der so leicht aussah, wenn man ihn ihm Glas drehte, so leicht und durchsichtig wie das Gelb am Himmel nach Sonnenuntergang, und der einen so schweren und trüben Rausch erzeugte, darin Benkal wie zwischen den Fenstern einer verruchten Kapelle saß und Himmel und Hölle in Bewegung setzte.

 

Der Wein hatte schuld, der die Zunge eines eingeschüchterten und einsamen Jünglings im unrechten Augenblick löste, einen wilden Träumer zum tollpatschigen, von üblen Dünsten aufgeschwollenen Großsprecher machte und vor den erheiterten Blicken der Zuhörer das Bild eines überlebensgroßen Ehrgeizes enthüllte, das im zuckenden Feuerschein des Weingeistes hilflose Grimassen schnitt. Benkal, der klug war, bemerkte es wohl. Aber der Wein blieb stärker als die Scham, deren blitzartiges Einschlagen in den lichten Augenblicken des Rausches ihn nur ganz niederwarf und also demütigte, dass man ihn Verwünschungen gegen sich ausstoßen oder tränenselig um Mitleid bitten hörte. Da war es den anderen schon lieber, wenn er die Ungeheuer seines Traumes an den Hörnern vorzeigte und auf ihrem Rücken Sturm ritt. Sie atmeten auf, wenn Benkal seine Tränenlache, in die sie ihm überhaupt nicht folgen wollten, verließ, um sich in höheren Regionen zu bewegen, wo es lustiger zuging.

 

Benkal hielt sich daran und schränkte seine Darbietungen elegischer Art auf das seiner Gesundheit unbedingt nötige Maß ein.

 

Ein Märchenprinz, das Glas gelben Weins in der gehobenen Hand, war er unter Blumengirlanden und durch Triumphbogen in eine zauberische Landschaft eingefahren. Sie überwucherte, begrub ihn unter ihrem falschen Glanz. Der Wein, der ihn verführt hatte, wie eine Metze einen Knaben an sich fesselt, hielt ihn in unbarmherziger Gefangenschaft ... Oh, er konnte gehen, wann er wollte, sie hielt ihn nicht zurück, sie verursachte ihm Übelkeit, das wusste sie wohl, und sie rührte keinen Finger, wenn er aufstampfte und davonlief. Sie sandte ihm sogar einen aufrichtigen Freundesblick nach, worin Mitleid wie geronnene Liebe schwamm. Wusste sie doch gut, dass er sich jetzt erst recht elend und hundertfach verlassen fühlen werde, voll brennenden Verlangens, wenn nicht nach Liebe, so doch nach Schlaf. Er konnte aber nur in ihren Armen einschlafen.

 

Benkal verkam zusehends. Da er unfähig war, die geringste Arbeit zu verrichten, wäre er wahrscheinlich sogar im reichen Mittelland verhungert, wenn er nicht in einem älteren, gewerbefleißigen Bruder, dem ›Zahnfabrikanten‹, einen unwandelbar treuen Anhänger gehabt hätte, der ihn kleidete und nährte, mit Taschengeld versah und im Übrigen auf die Stunde wartete, die das Genie des bewunderten Bruders aller Welt offenbaren sollte ...

 

Wie die Benkal waren, ließ er sich seinen Glauben nicht anmerken, sondern sprach im Gegenteil mit weithin sichtbarer Überlegenheit von seinem Brüderchen. Dabei strich er mit den erfolgreichen Händen lächelnd über den sanft gewölbten Leib und stellte heimlich Gedanken darüber an, wie der Kleine das viele neuverdiente Geld am genussreichsten vertun könnte. Das einzige, was ihn bekümmerte, war, dass die Phantasie des Jungen im Geldausgeben selten über etwas so Althergebrachtes wie das Wirtshaus hinausreichte. Im Wirtshaus saß viel dummes und niedriges Volk, und es kränkte ihn, dass sein Bruder sich mit der Gesellschaft gemein machte.

 

Um die Ehre der Familie zu retten, musste Bra ebenfalls das Wirtshaus besuchen, zu einer Zeit, wo Benkal schlief. Bra stammte aus Benkals Heimat, mit ihm als Diener und Vertrauten hatte der Ältere vor Jahren sein Geschäft begonnen. Bra verehrte seinen Meister, er bemühte sich, auch den Jüngeren nach besten Kräften zu bewundern, ohne zu wissen, warum, nur seinem Herrn zuliebe, dessen hervorragende Eigenschaften er umso deutlicher erkannte.

 

»So«, sagte Benkal, »hat jeder seinen Gläubigen, jeder wirkt auf andere, und die Wirkung der kleinsten Welle in der Schöpfung ist nicht abzusehen. Spiritus flat! Der Geist weht.«

 

Da sein Bruder, der sich vielleicht verhöhnt glaubte, ihn misstrauisch ansah, fügte Benkal hinzu, und er wollte tiefer Weisheit damit eine handgreifliche Form geben: »Ganz abgesehen von den Tausenden, die du mit Zähnen versiehst ... Wieviel Schicksale, in die du eingegriffen hast!«

 

II

Das Wirtshaus, dessen niedriges Zimmer Benkal mit dräuendem Schweigen und prophetischem Lärm erfüllte, lag abseits von den Verkehrsstraßen im ältesten Viertel der Stadt und führte den Namen Zum kleinen Mittelländer.

 

Man betrat es von einer kleinen, nicht ganz sauberen Gasse aus, die das Sonnenlicht nie berührte, weil die Bewohner, Handwerker und Kleinbürger, ihm den schmalen Zugang mit gewaltigen Sonnensegeln verwehrten, die sie auf den Balkonen und vor den Fenstern aufspannten, um einander ihre vornehme Lebensart zu beweisen. Auch waren diese schmächtigen Balkone mit den Sonnensegeln darüber Festungen, hinter denen sie die heimlichen Schwächen der Nachbarn auskundschafteten und einander von Familie zu Familie kreuz und quer bekämpften.

 

Hinter dem Wirtszimmer des Kleinen Mittelländers, im Hof, der aber eher eine Höhle war, befand sich ein kleiner Hühnerstall, der die Gäste angenehm zerstreute. Die Plätze bei der großen Glasscheibe, wo man auf den Hof sah, gehörten Gästen, die dem Wirt die Eier abkauften, natürlich zu Liebhaberpreisen, wie es sich von selbst verstand bei Eiern, deren Herstellung man bei einem Glas köstlichen Weins beobachtet hatte. Der Liebhaber waren aber so viel, dass die Plätze alle zwei Stunden geräumt werden mussten und der Eierhandel des Wirts die Leistungsfähigkeit seines Hühnerhofs bei weitem übertraf. Es waren zumeist ältere Herren, die dort mit stillen, purpurnen Genickfalten am Fenster saßen. Sie bildeten einen Kreis für sich, und zwischen ihnen und den anderen Gästen klaffte dieselbe Kluft, die die Inhaber einer Loge vom großen Publikum des Theaters trennte.

 

Nur bei besonderen Anlässen, da fand eine Art Verbrüderung statt. Wenn sich im Hühnerhof etwas ganz Ungewöhnliches ereignete, schlugen die Fensterplätze Alarm, und alle Gäste strömten hinter ihnen zusammen, um unter lebhaftem Meinungsaustausch an dem Ereignis teilzunehmen ... Ebenso herrschte Einigkeit, sooft der Wirt den Sturm der empörten Umwohner auf seinen Hahn auszuhalten hatte, der in Wahrheit mit einem wunderbaren Organ prahlen konnte. Er war, wie Benkal sagte, eine Fanfare ... Darum lohnte es sich auch, dass die Gäste des Kleinen Mittelländers Geld zusammenlegten, um den Wirt große, aufregende Prozesse gegen das ganze Stadtviertel führen zu lassen. Sie wurden gewonnen, besser gesagt, Benkal gewann sie ... Der Hahn bekam einen Goldreif um das Bein, der die Pracht seines Ganges noch um einiges erhöhte. Jetzt erinnerte er wirklich an die großen Sänger des Mittellandes.

 

Das Ansehen Benkals aber, der sich früher einmal in der Nähe der Rechtswissenschaften herumgetrieben hatte und der in seinen guten Stunden für schlau gelten konnte, erreichte bei den Gästen des Kleinen Mittelländers eine Höhe, auf der sich kein ordentlicher Mensch, geschweige denn ein Trunkenbold wie Benkal hätte halten können. Nachdem er für einen Narren und Taugenichts gegolten hatte, durften bessere Menschenkenner ihn einen entgleisten Gelehrten nennen, ohne deshalb laut ausgelacht zu werden.

 

 

Der unvermeidliche Sturz wurde durch eine Unvorsichtigkeit der Kellnerin beschleunigt, die ihre Kammertür nicht abgeschlossen hatte, weshalb der Wirt sie eines Nachts mit ihrem Liebhaber, dem leidenschaftlichen Bra, ertappte und am anderen Tag, als er seine Rache genügend gekühlt hatte, davonjagte. Sie hieß Tertruhete und war eine Kremmin, nicht gerade schön, aber gutmütig, sowie von einer Arbeitskraft, die in der Phantasie eines Mittelländers Erinnerungen an Märchen von vorgeschichtlichen Riesen wachrief. Sie versorgte die Wirtsstube und den Hühnerhof, sie kannte die kleinen Gewohnheiten von Mensch und Tier, allen diente sie mit der gleichen üppigen Freundlichkeit. Sie lachte viel und aß viel, auch Wein vertrug sie nicht wenig ...

 

›Volk der Zukunft‹, pflegte Benkal sie anzureden oder auch nur einfach ›Volk‹. Und da keine mittelländische Zunge stark genug gewesen wäre, ihren Namen auszusprechen, so riefen auch die anderen Gäste sie ›Volk‹.

 

Der Name erschien ihnen umso witziger, als Benkal in Tertruhete ein Wesen feierte, deren großer Leib, ›diese gewaltige Maschine‹, Europa neu gebären werde. »Das Volk wird uns alle schlucken«, sagte er, »früh oder spät, wie Rom Athen geschluckt und mitsamt den anderen damals bekannten Kulturen verdaut hat ... Ihr lacht«, rief er und legte die Hand an die Hüfte des Mädchens, als ob er etwas Heiliges berührte, »ihr lacht, denn ihr wisst nichts, ihr seid eingebildet und habt eine Philosophie und eine Lebenskunst daraus gemacht, nichts weiter zu sehen als eure zierliche Nase. Ihr kennt zwar jenen römischen Kaiser, der einen Tempel baute, in dem er unter dem Vorsitz der Sonne alle, aber auch alle bekannten Religionen vereinigte, aber ihr haltet ihn natürlich für einen Mittelländer. Ihr irrt, es war ein Barbar, wie ihr sagt, ein Halbwilder. Nur Barbaren haben eine solche Kraft der Verdauung. Wir hatten auch einmal Muskeln. Aber die besten Muskeln nutzen sich ab ... Wir sind zu schön, um stark zu sein! Seht nur in den Spiegel, ob ich nicht Recht habe ... Im Grund ist es auch ganz und gar nicht von Belang, welches Volk nun gerade an der Reihe ist zu führen. Wir sind alle ein und dieselbe Kraft ... Ihr und das ›Volk‹, eure Töchter und ein stinkender Kanonier bei den Langnasen ... ›Volk‹, lasse dich von diesen Stehaufmännchen nicht einschüchtern, die Geschichte zu machen glauben, wenn sie aufgeregt auf ihrem Geldsack wippen ... Höre: Meine Söhne werden mit deinen Kindern die neue Art Europäer zeugen, denn« – er wandte sich vorwurfsvoll an Tertruhete: »Offengestanden, eure Männer gefallen mir nicht ... Das wird sich auch ändern.«

 

Aber dem ›Volk‹ gefielen seine Männer.

 

»Man sieht wenigstens, was sie sind ...«

 

Sie wagte nicht, in diesem Gedankengang fortzufahren, und sagte nur, indem sie lachend ihre großen weißen Zähne entblößte: »Na, du bist ja stark!«

 

Benkal blickte auf seine festen Hände hinunter und war zufrieden.

 

Als nun das ›Volk‹ mit Schimpf und Schande fortgejagt werden sollte, richtete Benkal sich an seinem Tisch auf, klopfte ans Glas und hielt eine Rede. Er sprach vielleicht noch besser, noch hinreißender als damals, wo er für den Hahn Zeugnis abgelegt hatte. Er fragte den Wirt, was er denn in der Kammer des Mädchens zu suchen gehabt habe, er rief, ohne die Antwort abzuwarten, mit erhobener Stimme den Ernst und die Naturliebe der Abonnenten am Hoffenster an ...

 

Das Mädchen hatte sich an der Tür neben ihr Köfferchen gesetzt und weinte, so dass Benkal schreien musste, um verständlich zu bleiben.

 

Vergeblich erinnerte er, auf das Mädchen weisend, dem sie ihren Geliebten nicht gönnten, an die heroischen Zeiten, wo sie, Schulter an Schulter mit ihr, einen Hahn gegen ein ganzes Stadtviertel verteidigt hatten ... »Wir sind doch keine Tiere«, riefen sie im Chor.

 

»Wir sind doch keine Tiere!« Die Genickfalten der Fensterplätze flammten vor Zorn.

 

Benkal brach seine Rede ab: »Ja, was seid ihr denn sonst«, fragte er höhnisch, ergriff den Koffer des Mädchens, öffnete die Tür und verließ mit ihm den Kleinen Mittelländer.

 

III

Benkal der Ältere hatte einen kleinen Garten angelegt, und eines Tages brachte er einen krummbeinigen Köter mit, den er zum Schutz gegen Blumendiebe in den Garten hineinsetzte.

 

Dieser Hund mit Namen Bullbull erweckte das Interesse Benkals, weil er ihn durch sein kleinliches Kläffen im Mittagsschlaf störte, und er beschloss, ihn durch strenge Zucht den Höhen der Zivilisation zuzuführen. Vorerst stieg er zu Bullbull hinunter und herrschte über ihn. Das war neu ... Davon hatten sie sich beide noch nie einen Begriff gemacht ... Bullbull gab zu erkennen, dass seine Neugierde im höchsten Grad gereizt sei, und ging bald von der einfachen Abwehr dazu über, den Tierbändiger in Benkal herauszufordern ... So ruhte er nicht eher, als bis der große Mensch den Kampf um die Knochen mit ihm aufnahm. Im hitzigsten Schlachtenlärm sagten seine Augen: Ich bleib' dabei – platz du! – Benkal musste ihn überwältigen bis zum Ende. Dem Hund ging es nicht immer gut dabei. Aber erst muss gesagt werden, wie es sich mit den Knochen verhielt.

 

Die Küche lag zu ebener Erde über dem Garten ... Nach Tisch kauerte Bullbull auf dem schönen Rasen und blinzelte durch das Viereck des Galgens, auf dem an fürchterlichen Samstagen, dem Tag der Erdbeben und Wirbelwinde, die Teppiche geklopft wurden, zum offenen Küchenfenster. Plötzlich ein Ruf: »Bull!«, von glitzernden Splittern umstoben, die auf den Rasen niedergingen. Die Knochen waren da. Manna fiel ... Die Zeiten hatten sich erfüllt ... Aber Bullbull rührte sich nicht.

 

Das war der erste Erfolg von Benkals Dressur.

 

Früher warf Bullbull sich wie ein Vieh über die Knochen her, wickelte sie in sich ein, als versuchte er, sie mit seinem ganzen Körper zu verschlingen, zitternd vor gemeiner Lust. Benkal hatte ihm Haltung beigebracht. Bullbull sah das Wunderbare in der Sonne leuchten und ließ es erst einmal ruhig liegen. Erst wenn er vor sich selbst den Beweis der Selbstbeherrschung erbracht hatte, erhob sich Bullbull, erhob sich und schritt gemessen zur Mahlzeit.

 

Er hielt sie proper, umsichtig und nahm sich Zeit dazu.

 

Sobald die letzten Fleischfasern von den Knochen herunter waren, rückte Bullbull einen Schritt von den Resten ab und bellte: zum Zeichen, dass Benkal nunmehr aufzutreten habe. Ob der nun dazu aufgelegt war oder nicht. Bullbull bestand auf seiner Mitwirkung. Er hörte nicht auf zu bellen, bis Benkal dicht vor den Knochen ihm gegenüberstand, so dass seine Kampfbereitschaft offenbar war.

 

Benkal lobte ihn: »Famose Bestie!«

 

Sie begannen ...

 

Bullbull unterschied nicht im Geringsten zwischen einem frischen und einem abgenagten Knochen. Beide umschloss sein Herz mit der gleichen Zärtlichkeit. Seine knirschende Hundewut war dieselbe, ob man ihm einen Fleischbrocken oder nur einen Knochensplitter zu entreißen drohte. Hiergegen galt es einzuschreiten. Ein neuer Wertbegriff musste ihm beigebracht werden, der mehr der Wirklichkeit entsprach ... Benkal sah sich vor die Aufgabe gestellt, Bullbull vom absoluten auf den relativen, sozusagen konstitutionellen Geschmack zu bringen, und er war sich gleich überhaupt klar, dass es sich hier um nichts Geringeres als um eine Revolution handelte. Er musste mit aller Energie gegen die weit über menschliche Vernunft hinausgehende Anmaßung des Köters einschreiten, ihn, wenn nötig mit der letzten Gewalt, einem senilen, von der Forschung längst entlarvten Vorurteil entreißen, so seine Unternehmung zu einem Ergebnis führen sollte.

 

Wie alle Weltverbesserer, an deren Name, sehr gegen ihren Willen, Blut haftet, versuchte Benkal es natürlich erst mit den von Gerechten wie von Feiglingen gleich hochgeschätzten Mitteln des gütlichen Zuspruchs. Er legte ihm zwei Knochen hin, einen säuberlich abgeschabten und einen anderen, der mit richtigen Fleischfetzen verbrämt war, und überredete nun Bullbull, seine Aufmerksamkeit auf den zweiten zu sammeln. Er langte mit der Hand danach, und wenn Bullbull ihn daraufhin mit aller Wucht anfiel, so gab er nach Ausführung eines kurzen, nur scheinbaren Gegenangriffs deutlich zu erkennen, dass er sein Unrecht einsah und von der Eroberung des fleischbehangenen Stückes Abstand nahm. Er streichelte ihn und sagte: »Ja, Bullbull, du hast recht, wehr dich, da gibt's für dich zu prassen. Friss nur.«

 

Und Benkal setzte sich zu ihm, nicht ohne seiner Anerkennung weitere ermunternde Worte und handgreifliche Liebkosungen über den Hunderücken folgen zu lassen, aus denen, seiner Meinung nach, die Anerkennung vollkommener Gleichberechtigung und, man könnte sagen, die Betätigung eines immanenten Rechtsgefühls klar hervorging.

 

Bullbull knurrte und schielte heimtückisch zum anderen, entblößten Knochen.

 

Zwar hatte es jedes Mal zu Beginn der Unterrichtsstunde in Benkals Absicht gelegen, Bullbull zuerst den fetten Bissen verzehren zu lassen und erst dann ihn von der Reizlosigkeit des benachbarten Knochens zu überzeugen. Der Hund war aber nicht zu bewegen, sich in der gewünschten Weise mit der zugestandenen Beute zu beschäftigen, solang die andere, für ihn augenscheinlich gleich kostbare Hälfte gefährdet schien. Beides gehörte ihm! Er tat keinen Bissen, sondern lag über dem einen und bewachte kampfbereit den anderen, mit gesträubten Haaren, schlurrend und knurrend, höllisch geschwollen von einem ›Das Privateigentum ist heilig‹, wofür Benkal ihm unter diesen Umständen seine Anerkennung versagen musste. So nützte es denn auch nichts, dass er das Verfahren änderte, ihm erst den trockenen Knochen gab und ihn von diesem zu dem einen Meter entfernten, in brauner Soße leuchtenden Leckerbissen hinüberzubringen suchte ... Zu Benkals großer Trauer traf er nicht einmal Anstalten, sich durch einen Biss auf das Knochenbein von der Nichtigkeit seines Besitzes zu überzeugen. Er lag patzig über dem einen und bewachte kampfbereit das andere. Beides gehörte ihm! ...

 

Da griff Benkal zum Besen. Es war ein Besen, womit man Steinfließen scheuert und Jagd auf Ratten macht. Selbst einem Wolf, einem Schakal, ja einem nicht ganz ausgewachsenen – Leopard hätte er sich wohl getraut, mit einem solchen Besen zu begegnen ... Der Besen selbst bestand aus harten, kurz geschnittenen Borsten, wie man sie für Rossbürsten nicht verwenden könnte, es sei denn, man hätte es auf die Zerfleischung des Gauls abgesehen ... Er war mit vier kräftigen Stiften an einen Holzschaft genagelt, woran Benkal wiederholt an schönen Abenden Klimmzüge ausgeführt hatte.

 

Von solcher Beschaffenheit war der Besen, den Benkal in der über Erwarten schwierigen Erziehung Bullbulls zum Helfer nahm. Er schlug ihn nicht damit, denn er wollte ihn nicht töten, sondern im Gegenteil ihm ein höheres Lebensideal zugänglich machen. Am Besen sollte Bullbull seine Wut auslassen, mit dem Besen sollte er still gehalten werden und Zeit für die ruhige Abwicklung von Gedankengängen bekommen ... Bullbulls Zorn war größer als Benkals Geduld. Und als der Hund ihm den Besen aus der Hand riss und mit solcher Gewalt gegen ihn ansprang dass sein Herr ihn gerade noch am Hals zu fassen bekam, verlieh Benkal Bullbull, um ihn nicht erschießen zu müssen, die volle Selbstverwaltung und zog sich, zitternd vor Erregung, auf sein Ledersofa zurück ...