Für die junge Staatsanwältin Sophie Wolf ist es der erste richtige Fall: Sie soll die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes bei einem illegalen Waffengeschäft leiten. Daß der BKA-Präsident ihr Vater ist, zu dem sie seit ihrer Kindheit keinen Kontakt hat, macht es nicht leichter. Der Einsatz endet in einem Desaster: Zwei hohe Mafiabosse werden liquidiert, ein Ermittler stirbt, ein Informant wird erschossen. Alles verweist auf ein neues Kartell, das mit Erpressung, Korruption und Mord den internationalen Waffen- und Drogenmarkt zu erobern versucht. Der BKA-Präsident geht einen gefährlichen Weg: Er gründet die Gruppe Rubikon. Nur Sophie und vier seiner engsten Mitarbeiter wissen davon. Vielleicht einer zuviel …

Ein explosiver Thriller mit elegant verwobenem Plot und voller Insiderwissen – perfekt choreographiert, fesselnd, atemberaubend, faszinierend.

Andreas Pflüger wurde 1957 in Thüringen geboren, wuchs im Saarland auf und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Er ist einer der renommiertesten deutschen Drehbuchautoren und schrieb die Vorlagen für über dreißig Filme, darunter viele Tatorte. Außerdem zeichnete er mitverantwortlich für die mehrfach preisgekrönten Werke Der neunte Tag und Strajk, beide in der Regie von Volker Schlöndorff.

Zuletzt erschienen: Endgültig (2016)

Andreas Pflüger

OPERATION
RUBIKON

Thriller

Herausgegeben von
Jürgen Haase

Suhrkamp

Der Titel erschien erstmals 2004 im Herbig Verlag.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe

des suhrkamp taschenbuchs 4740

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Suhrkamp Taschenbuch Verlag

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Umschlagfoto: Marcello Bertinetti / Getty Images

Umschlag: zero-media.net, München

Printed in Germany

eISBN 978-3-518-74847-3

www.suhrkamp.de

Für Anne

PROLOG

Wolf erwachte von seinem eigenen Schrei. Naß von Schweiß richtete er sich im Bett auf und starrte in die Dunkelheit. Die Gardine wurde vom Wind gebauscht, der von den Hängen des Taunus kam und klamm und kalt in das Zimmer stieß. Ein leiser, singender Ton erfüllte die Luft. Wolf fröstelte und fühlte den trommelnden Herzschlag in seiner Brust. Es dauerte einen Moment, ehe seine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten und er die Umzugskartons erkannte; zusammengerollte Teppiche, in Tücher eingeschlagene Bilder, Verpackungsmaterial. Der Singsang kam von dem arabischen Mobile, das vor dem Fenster hing und vom Wind gegen das Glas gedrückt wurde. Ein Beduinenfest, Tänzer, die in Stammestracht herumwirbelten. Er würde es zuletzt abhängen. Morgen. Leise stöhnend setzte er die Füße auf den Boden. Stemmte sich hoch, um ins Badezimmer zu schlurfen. Neonlicht zuckte auf. Wolf beugte den Kopf über das Becken und ließ Wasser über seinen Nacken fließen.

Als er sich wieder aufrichtete und in den Spiegel blickte, lief ein zittriges Rinnsal seinen Rücken hinab. Wolf sah einen Mann von Mitte Sechzig. Schüttere Haare umrahmten ein Gesicht, das von tiefen Kerben durchzogen war. Sie kamen von langen, einsamen Nächten, in denen er Entscheidungen treffen mußte, und von weiteren Nächten, in denen er mit seinen Dämonen allein war. Selbst jetzt, in der barfüßigen Lächerlichkeit eines alten Mannes, dem die Beine der Schlafanzughose bis hinab auf den Boden schlabberten, hielten sie seinen Schmerz am Leben.

Du hast getötet, was du liebst, damit lebt, was du haßt.

Draußen fiel der Schnee dicht und grau. Der Wind wälzte ihn über den mit Natodraht gesicherten Doppelzaun, fort aus dem Lichtkreis der Scheinwerfer, hinaus in die Finsternis, wo er sich in einem schimmernden Wirbel verlor.

Wolf konnte die unteren Stockwerke des terrassenförmig in den Berg getriebenen Gebäudekomplexes sehen, in dessen siebter Etage er seine Wohnung hatte. Das war einmal mein Reich. Ein Gefängnis, das er vorher nie als solches empfunden hatte. Eine hell erleuchtete Glasfront stach aus der Wand aus Schnee. Das kalte Licht eines Vernehmungsraumes drang durch eine Jalousie. Als Wolf die Augen zusammenkniff, konnte er schemenhaft zwei Beamte erkennen, die einen Verdächtigen bearbeiteten. Wolf wußte, daß sie ihre Jacketts abgelegt hatten. Er wußte, daß ihre Hemden von den Waffenholstern zusammengeschnürt wurden, während sie dem Mann ihre Fragen entgegenhämmerten. Fast glaubte er, ihre monotonen Stimmen zu hören: »Wann und wo? Wann und wo? Wann und wo?« In diesem Augenblick beneidete er niemanden auf der Welt so sehr wie diesen Mann, der den Kopf erschöpft auf die Tischplatte sinken ließ. Es wäre so einfach. Er müßte nur alles zugeben und das Protokoll unterschreiben. Dann würde man ihn wieder in seine Arrestzelle führen und ihn in Ruhe lassen. Er hätte seine Schuld gestanden und wäre nicht mehr mit ihr allein.

Welch eine Gnade.

Angst und Schmerz überfluteten Wolf wie eine Welle, und er spürte, wie das Zimmer sich bewegte.

Schuld.

Hatte er sich jemals zuvor gefragt, wie sie sich anfühlt? Er war sich nicht sicher. Er hatte Verantwortung für mehr als fünftausend Männer und Frauen getragen, doch dieses Gewicht hatte er nie auf seinen Schultern gespürt. Nicht wirklich. Sicher, wenn nötig, hätte er jederzeit die politische Verantwortung für sein Haus übernommen. Eine anständige Pension, vielleicht eine kleine Gastprofessur, eine gute Zigarre, abends ein Glas Rotwein, das wäre sein Leben gewesen.

Dieses Leben würde er niemals führen.

Als der Morgen anbrach, hatte es aufgehört zu schneien. Der Himmel war farblos wie gebleichtes Leinen. Krähen kreisten über dem Berg, ihre Schreie zerschellten in der eisigen Luft. Wolf hatte einen Mantel um die Schultern geschlungen und stand auf seiner Terrasse, die wenig mehr war als eine kleine, betonierte Freifläche auf dem Dach des Hauptgebäudes. Männer mit Maschinenpistolen unter den Achseln patrouillierten entlang des stählernen Zaunes, der das Gelände umschloß. Eine Böe fuhr unter die große, halbmast geflaggte Deutschlandfahne. Sie knatterte gegen den Mast und erzeugte einen peitschenähnlichen Knall, ehe sie wieder zusammensank und nur noch lautlos zappelte.

Wiesbaden lag schlafend unter ihm. Es war schon fast sieben, doch die wenigen Autos, die auf der Danziger Straße den Berg hochkrochen, hatten noch die Scheinwerfer an. Bald vierzig Jahre lebte er hier, und erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er die Stadt immer nur von ferne gesehen hatte. Aus dem Hubschrauber. Oder aus der Panzerlimousine. Rasende Fahrt über Wilhelmstraße und Dambachtal. Fast immer war er in seine Akten vertieft gewesen. Meist war es der Fahrer, der ihn darauf hinweisen mußte, daß sie angekommen waren und bereits in der Tiefgarage standen. »Herr Präsident, wir sind da!« Das war sein Leben gewesen. Präsident. Er hatte dieses Wort so oft gehört, daß er es als Vorsilbe zu seinem Namen empfand. »Ihre Verantwortung, Präsident Wolf. Ganz allein Ihre Verantwortung!« Wie lange war das her? Tage, Monate, Jahre? Er wußte es nicht mehr.

Sein Blick suchte unwillkürlich das Waldstück zwischen dem Opelbad und der griechischen Kapelle, deren mattgoldene Kuppeln von Schnee bedeckt waren. Fünfhundert Meter, auf denen der Wald bis an die Serpentinenstraße wucherte. Ein idealer Ort für einen Anschlag. Wolf hatte immer gedacht, wenn es ihn einmal erwischte, dann hier. Er war einer der bestgeschützten Männer der Bundesrepublik gewesen, sein Schutzkommando hatte aus acht Bodyguards bestanden. Zwei Panzerlimousinen. Doch natürlich hatte er sich deshalb niemals sicher gefühlt. Man kommt an jeden Mann heran, das wußte TUAREG genausogut wie die Männer, die bereit sein mußten, ihr Leben für ihn zu geben. Aber seine Sherpas hatten ihm wenigstens die Illusion gelassen, hatten es zumindest versucht, und dafür war er ihnen immer dankbar gewesen.

»Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?«

Wolf schloß die Augen. Der eisige Wind betäubte seine Haut. »Herr Vorsitzender, dürfte ich als der in diesem Prozeß Angeklagte eine Bitte äußern? Ich möchte nicht mehr als PRÄSIDENT angesprochen werden. Diesen Titel habe ich stets mit Stolz getragen. Doch das kann ich jetzt nicht mehr. Es geht nicht, verstehen Sie? Ich ertrage es nicht länger!«

»Aber Herr Präsident, das ist doch hier kein Prozeß. Und Sie sind nicht angeklagt. Also antworten Sie bitte auf meine Frage: Wer hat den Einsatzbefehl erteilt? Wer, Herr Präsident?«

Das Bewußtsein seiner Schuld überwältigte ihn, und Wolf erkannte, daß es für ihn keine Erlösung geben konnte.

Keine Erlösung. Verwundert und von einem dunklen Taumel erfaßt, sah er auf diesen Gedanken wie auf einen Zettel, der aus dem Fenster eines rasenden Zuges gerissen wird. Er hörte das Klatschen der Fahne aus großer Ferne, vom anderen Ende des Tunnels, in den der Zug eingetaucht war. Wolf sank auf die Knie. Er versuchte zu schreien; kein Laut kam heraus. In seiner Brust stampften die Kolben des rasenden Zuges. Der Schmerz war so groß, daß er den Drang hatte, sich zu übergeben. Er würgte, doch alles, was austrat, war dünner, wäßriger Schleim.

Dann war es vorbei. Der Zug stand still, und Wolf lag da, zusammengekrümmt wie ein Baby, und weinte.

Erstes Buch
MAULWURF

Tausend Feinde außerhalb des Hauses

sind besser

als einer drinnen.

MAROKKANISCHES SPRICHWORT

EINS

Das Fest war vorbei. Abdullah Bucak und seine Freunde waren die letzten, die noch zwischen Luftschlangen und Resten vom Hammelbraten auf dem Boden saßen. »Kopf« hieße, in Völklingen, im Haus von Bucaks Schwester, deren vierundzwanzigsten Geburtstag sie gefeiert hatten, zu übernachten, »Zahl« dagegen, noch in der Nacht nach Saarbrücken zurückzufahren.

In Wirklichkeit hieß Kopf Leben und Zahl Tod.

Doch das ahnten sie nicht.

Bucak warf die Münze. Kopf gewann. Da er aber das enttäuschte Gesicht von Mesut sah, befand Bucak, daß das Geldstück auf den Teppichrand gerollt und damit »verbrannt« sei. Es sei also nötig, noch einmal zu werfen. Alle grinsten, denn sie wußten, daß Mesut, den sie nur »Mäuschen« nannten, in ein Mädchen aus dem Studentenwohnheim verliebt war. Mäuschen hatte Augen wie schwarze Perlmuttknöpfe und Ohren, die so weit abstanden, daß sie vorwitzig aus den Wuschelhaaren hervorspitzten. Jeden Morgen war er schon um sechs im Gemeinschaftsraum, wo er mit Herzklopfen wartete, bis das Mädchen endlich kam und er sich »zufällig« zu ihr setzen konnte, um mit ihr zu frühstücken. Das wollten sie ihm nicht verderben. So mußten sie, unter Aufbietung immer absurder werdender Regeln, bei denen sie sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten, drei weitere Male werfen, bis endlich Zahl oben lag. Lachend nahmen sie Mesut in die Mitte und traten die Heimfahrt an. Es hätte sich sowieso kaum noch gelohnt, ins Bett zu gehen.

Krustiges Eis schmolz auf der Kühlerhaube von Bucaks altem Opel, als sie auf dem Parkplatz des Studentenwohnheims ausstiegen. Sie kamen nicht einmal bis zum Eingang. Die Männer tauchten aus dem Nichts auf. Ehe Bucak wußte, was geschah, raste der Schmerz wie eine Flutwelle durch seinen Körper. Die Muskeln wurden schlaff, und sein Darm entlud sich. Dann wurde er bewußtlos. Die Männer packten die fünf jungen Kurden, die sie mit Bullenschockern paralysiert hatten, in einen Ford Transit. Fünf Minuten später waren sie auf der Stadtautobahn, die sie in Güdingen, einem Vorort von Saarbrücken, wieder verließen.

Als Bucak die Augen öffnete, sah er, daß er auf einer dunklen Ladepritsche lag. Neben sich hörte er das leise Stöhnen seiner Freunde. Sie waren alle mit Tape gefesselt und geknebelt. Es war, als sei sein Körper eine einzige Wunde, doch Bucak zwang sich, den Kopf zu heben. Er starrte in die Gesichter von drei Männern. Sie trugen keine Masken.

Einer von ihnen sagte lächelnd: »Bozkurtlar gelior.«

Da wußte Bucak, daß sie alle sterben würden.

Der Ford Transit hielt an einer Ampel. Zwei Sekunden später stoppte ein Streifenwagen daneben. Der Beamte, der am Steuer saß, registrierte mit einem müden Blick, daß die Reifen des Fords heruntergefahren waren. Vorne hockten zwei Türken, junge Burschen, die vermutlich zur Frühschicht auf die Halberger Hütte fuhren. Einen Moment lang überlegten die beiden Polizisten, die ihren Dienst schon beendet hatten und auf dem Rückweg zum Revier in Kleinblittersdorf waren, ob sie eine Anzeige schreiben sollten. Doch die Aussicht auf zwanzig Minuten draußen in der schneidenden Kälte konnte mit dem heißen Kaffee, der auf sie wartete, nicht konkurrieren. Sie bogen nach rechts ab, und der Lieferwagen fuhr weiter in Richtung französische Grenze.

Auf einem Feld, dicht an der Saar, wurden Abdullah Bucak und die anderen aus dem Auto gezerrt. Raben kauerten auf dem braunen Gras, Nebel stieg vom Fluß hoch. Das einzige Geräusch, das Bucak hörte, war sein eigenes, herzrasendes Fiepen, das unter dem Knebel hervordrang. Die Männer zwangen die Kurden auf die Knie und verlasen – im Namen des türkischen Volkes – die Todesurteile. Dann ging es schnell. Dreien von Bucaks Freunden schossen sie in den Kopf; Mesut, der auf allen vieren zu fliehen versuchte, wurde in einem Bach ertränkt. Bucak sah es mit an. Seine Augen flehten um Gnade, doch das Messer, mit dem sie sich an ihm zu schaffen machten, löschte alles aus.

Der Polizeibeamte, der als erster am Tatort eintraf, stand kurz vor seiner Pensionierung. Er dachte, er hätte in seinen vierzig Dienstjahren alles erlebt. Doch als er sah, was man Bucak, der im Alter seines eigenen Sohnes war, angetan hatte, mußte er sich wegdrehen und schluchzte.

Dies ereignete sich am Morgen des 6. Dezember.

Abdullah Bucak hatte dreizehn Messerstiche in Brust, Hals und Bauch. Neben ihm auf dem Acker hatte das gelegen, was sie abgeschnitten hatten.

Aber er überlebte.

Nach einer Woche war er vernehmungsfähig. Bucak hatte für die Studentenzeitung der Universität Saarbrücken mehrere kritische Artikel über türkische Polizeiwillkür und über staatlich sanktionierte Folterungen an Kurden geschrieben. Die »Grauen Wölfe« hatten ihn schon seit längerem bedroht. »Bozkurtlar gelior« – die Grauen Wölfe kommen! Das war die Parole der Männer, die seine Freunde getötet hatten.

Damit gehörte der Fall in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft.

Von der Nacht an, in der Bucak seine Aussage im Saarbrücker Krankenhaus Winterberg machte, sollte dieses Land nicht mehr dasselbe sein.

ZWEI

Der Tag begann mit der Farbe Grau. Mit dem Asphaltgrau der menschenleeren Brauerstraße, auf der das Regenwasser trocknete, dem verwaschenen Grau der hohen Mauer, die das Gebäude der Karlsruher Bundesanwaltschaft umgab, mit den grauen, übernächtigten Gesichtern der Wachschutzbeamten, die an der Eingangsschleuse Dienst taten. Darüber spannte sich die Wolkendecke wie graues Reispapier auf einem Paravent und verbarg die Wintersonne, die seit Wochen niemand mehr gesehen hatte.

Sophie stoppte ihren Mercedes SLK neben dem Magnetscanner der Schleuse. Sie erwiderte das stumme Nicken der mit Maschinenpistolen bewaffneten Beamten, während sie ihre Chipkarte aus der Handtasche fingerte und in den Schlitz schob. Zwei Sekunden später hob sich die Schranke, und Sophie fuhr auf das Gelände. Vor ihr öffnete sich die Mauer zu einem Innenhof. Im Zentrum befand sich eine kreisförmige Rasenfläche mit Brunnen. Die Hälfte des Areals wurde von dem sandsteinfarbenen, vierstöckigen Bau eingenommen, in dessen Vorderfront ein gläserner, nach innen gewölbter Rundbogen eingelassen war. Von der Außensicherung abgesehen, hätte es eine Bank sein können oder die Zentrale einer Versicherung. Tatsächlich war es der Sitz der obersten Strafverfolgungsbehörde der Bundesrepublik Deutschland.

Die Tiefgarage war an diesem Sonntag so gut wie leer. Als Sophie den Mercedes einparkte, sah sie die beiden Panzerlimousinen und den schwarzen Porsche, die zur Fahrzeugkolonne des Generalbundesanwaltes gehörten. Also war Steindorff im Haus. Solange Sophie hier arbeitete, bald dreieinhalb Jahre, war das für ein Wochenende mehr als ungewöhnlich. Der Generalbundesanwalt wohnte die Woche über zwar in einem kugelsicheren Penthouse auf dem Dach der Bundesanwaltschaft, verbrachte seine »freien« Tage jedoch üblicherweise in der ehelichen Villa in Bad Herrenalb, zwanzig Autominuten vom Amt entfernt, wo sein Begleitkommando schon Freitag abends einen dicken Karton mit Akten ablieferte, die er dann bis Montag durcharbeitete.

Der GBA war detailbesessen und hatte ein juristisches Gedächtnis, das bis ins Justizministerium berüchtigt war. Sophie war erst ein einziges Mal bei einer Besprechung dabeigewesen, an der er teilnahm, und sie erinnerte sich an ihre Verblüffung, als Steindorff scheinbar mühelos und aus dem Stand Leitsätze aus Urteilen zitierte, die an irgendeinem Oberlandesgericht vor Jahren ergangen waren. Natürlich war ihr klar, daß er das durchaus kalkuliert tat, um seine Umgebung zu beeindrucken.

Jetzt mußte Sophie unwillkürlich lächeln, als sie daran dachte, wie der GBA, der Leiter dieser mächtigen Behörde, am Stirnende des Konferenztisches gethront hatte, das Kreuz kerzengerade, die Hände fuchtelnd in der Luft, und sein Wissen präsentierte wie ein Einserschüler. Steindorff konnte man respektieren, bewundern konnte man ihn nicht.

Sie blieb neben dem Fahrstuhl stehen und schob erneut ihre Karte in einen Scanner. Als die Tür auffuhr, drückte sie auf »2. Stock«, lehnte den Kopf gegen die Kabinenwand und fühlte, wie müde sie war. Die halbe Nacht hatte sie zu Hause in ihrer kleinen Ettlinger Wohnung Akten gewälzt, bis sie gegen vier ins Bett gefallen war. Nach drei Stunden hatte das Telefon sie aus dem Schlaf gerissen. »Entschuldigung, falsch verbunden.« Ihr Frühstück hatte aus einer verschrumpelten Pampelmuse bestanden, dazu Kaffee aus der Espressomaschine, die sie letztes Jahr zu einem sündhaften Preis in Mailand gekauft hatte. Sie war, abgesehen von dem SLK, der luxuriöseste Gegenstand, den Sophie besaß.

Ihre Schritte hallten von den Wänden des Rundgangs wider, der um das Atrium herumführte. Die einzigen Farben waren Sandstein und Schwarz und das Blau von Sophies Wollmantel, den sie noch im Gehen auszog, weil das Gebäude hoffnungslos überheizt war.

In der Etage unter ihr befanden sich die Büros der Abteilung Spionage, über ihr saßen die Kollegen, die für Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof zuständig waren. Sophies Abteilung ermittelte Staatsschutzdelikte, präzise: Terrorismus, und war die personell stärkste im Haus. Außer ihr arbeitete hier in der Regel sonntags niemand. Sophie schaute unwillkürlich nach oben, wo der GBA im vierten Stock sein Amtszimmer hatte. Sie hörte Schritte und sah Lorenz Binkle, der aus der Bibliothek kam und gedankenverloren, den Kopf über ein Schriftstück gebeugt, sein Büro ansteuerte.

Binkle war irgendwo in den Vierzigern, ein dürres Männchen, das die wenigen Haare, die ihm geblieben waren, wagemutig von links nach rechts über den kahlen Schädel drapiert hatte. Sophie hatte vor Jahren, als sie frisch zur Bundesanwaltschaft abgeordnet worden war, ein Praktikum in seinem Referat absolviert, und er hatte sich sehr um sie gekümmert. Anders als seine Kollegen besaß er nicht den Standesdünkel der »Revisionisten«, für die ihre Profession die hohe Schule der Wissenschaft war, dieweil die »Erstinstanzler«, zu denen Sophie gehörte, rohes Metzgerhandwerk betrieben. Daraus hatte sich eine Art kollegiale Freundschaft entwickelt, die jedoch ihr jähes Ende fand, als Binkle auf einer nächtlichen Zugfahrt, die sie von einer Besprechung beim Münchener Verfassungsschutz zurück nach Karlsruhe brachte, Sophie schlafend gewähnt und eine Hand auf ihre Brust gelegt hatte.

In diesem Moment wandte Binkle den Kopf und starrte Sophie an. Ertappt, als müsse sie ein schlechtes Gewissen haben, formte sie die Lippen zu einem stummen »Guten Tag«, ehe sie in ihrem Büro verschwand, wo sie den Mantel aufhängte, sich in den Schreibtischsessel fallen ließ, nach ihren Gitanes griff und die Akte Bucak aufschlug.

Aktenzeichen URS/1204/up. Zusatz zur Aussage von Bucak, Abdullah. Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). VS – Verschlußsache.

Die Grauen Wölfe (Bozkurtlar): Antikommunistische und militante Gruppierung, Schößling der türkischen Mutterpartei MHP, die für ein großtürkisches Reich kämpft. Langjähriger Führer: Alparslan Türkes, 1997 verstorben. Ehrentitel: »Basbug« – Führer. Glühender Verehrer von Adolf Hitler. Sachlage: Auf das Konto der Gefolgsleute von Türkes gehen mehrere tausend Morde an Oppositionellen sowie Massaker im Kurdengebiet. Mentalität: Fanatisch. Ideologie: Rassistisch. Zielobjekte: Kurden. Linksgerichtete Türken im In- und Ausland. Einfluß auf höchste Regierungskreise. Enge Verflechtung mit dem türkischen Geheimdienst MIT.

Auch der Papstattentäter Ali Agca war einer von ihnen gewesen.

Bei der Bundesanwaltschaft waren fünf Staatsanwälte mit den aufsehenerregenden Morden befaßt, die sich im Saarland zugetragen hatten. Sophie hatte nicht gerade den Zuckerguß vom Kuchen abbekommen. In Karlsruhe führten die Bundesanwälte das Wort, und eine Oberstaatsanwältin, zumal eine, die erst so kurze Zeit fest dabei war, durfte keine allzu großen Ansprüche stellen. Da zwei der wissenschaftlichen Mitarbeiter, die ihnen normalerweise zuarbeiteten, krank waren, hatte Sophie deren Job übernehmen müssen. Fast eine Woche hatte sie damit verbracht, das Bundeszentralregister nach Prozeßakten zum Thema Graue Wölfe zu durchforsten. Danach war ihr die Ehre zugefallen, in der Bibliothek des Bundesgerichtshofs zu recherchieren. Eingemummelt in ihren Wintermantel hatte sie endlose Stunden in den unbeheizten, düsteren Katakomben gehockt, die sich unter dem erzherzöglichen Palais an der Karlsruher Herrenstraße erstreckten, und hatte den alten Kopierer gequält.

Oberstaatsanwältin mit vierunddreißig. Die meisten meiner früheren Kommilitonen würden sagen: Die hat’s geschafft. Aber was bedeutet das großartige Schild an meiner Tür? In Karlsruhe – gar nichts. Tatsache ist, ich trete auf der Stelle. Zwar hatte ihre bisherige Karriere steil nach oben geführt, doch nun bewegte Sophie sich in einer Luft, die so dünn war, daß man lernen mußte, darin zu segeln wie ein Langstreckenflugzeug, dem der Sprit ausgegangen ist; Tausende von Kilometern, wenn es sein mußte. Es konnte passieren, daß man schließlich vom Radar verschwand, abstürzte und von niemandem vermißt wurde. Man konnte aber auch Glück haben, wurde entdeckt und in der Luft aufgetankt, um das Ziel endlich zu erreichen.

Vorgestern, nach Feierabend, als sie gerade die Tür zu ihrer Wohnung aufschloß, hatte ihr Telefon geklingelt.

»Axel Gusner. Störe ich?«

Gusner. Sie hatten zu Studentenzeiten zusammen in einer Berliner WG gewohnt und sich dann, als Sophie nach Stanford ging, aus den Augen verloren. Inzwischen hatte er es zum persönlichen Referenten von Fritz Limmer, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, gebracht.

»Ihr ermittelt doch in der Sache Bucak«, sagte Gusner. »Seid ihr da weitergekommen?«

Sophie hielt kurz den Atem an. Sie überlegte, wie sie reagieren sollte, und entschied sich dann, auf Zeit zu spielen und abzuwarten.

»Warum interessiert euch das?« fragte sie und hörte ein Rascheln am anderen Ende der Leitung, das klang, als ob Gusner eine Akte umblätterte.

Er räusperte sich. »Ich habe da vielleicht was für dich. Etwas, mit dem ich nicht zu deinem Referatsleiter gehen will.«

»Aha.«

»Sieh mal, die Sache ist ganz einfach. Hör es dir an, und mach damit, was du willst. Du kannst deinen Chef informieren, kannst es aber auch für dich behalten, okay?«

Sophie zögerte, dann sagte sie: »Ich höre.«

Fünf Minuten später tigerte sie durch ihre Wohnung, in der sie so wenig Zeit verbrachte, daß sie noch immer aussah wie kurz nach dem Einzug. Schließlich traf sie eine Entscheidung und rief Bundesanwalt Siegfried del Mestre an, der genau wie sie am Fall Bucak arbeitete.

»Schießen Sie los«, sagte del Mestre in seinem bedächtigen badischen Dialekt. »Ich bin ganz Ohr.«

Sophie erzählte ihm, ohne Gusners Namen zu nennen, was sie soeben erfahren hatte: Sedat Yilmaz, ein Türke, der in Ankara ein Import- und Exportgeschäft besaß, hatte zwei Tage zuvor mit einem Landsmann in Pirmasens telefoniert. Dabei war der Name Ufuk Catli gefallen. Möglicherweise war er der Drahtzieher der Güdinger Morde. Yilmaz jedenfalls hatte Kenntnisse, daß es sich bei ihm um einen Aktivisten der Grauen Wölfe handelte. Catli war kurz vor dem Überfall auf die kurdischen Studenten nach Deutschland eingereist. Und zwar mit einem Diplomatenpaß, den ihm der türkische Geheimdienst MIT besorgt hatte.

»Ist Ihre Quelle sicher?« fragte del Mestre.

»Absolut«, sagte Sophie und verschwieg, wie sie es Gusner versprochen hatte, daß Yilmaz als Undercoveragent auf der Lohnliste des BfV stand. Die Verfassungsschützer hatten ihn abgehört, weil er seit längerem im Verdacht stand, gleichzeitig für den MIT zu arbeiten und doppelt zu kassieren. Natürlich konnten sie diese Information nicht über offizielle Kanäle laufen lassen, denn Auslandsaufklärung war allein Sache des Bundesnachrichtendienstes, und die Tatsache, daß das BfV in der Türkei eigene Undercoveragenten führte, würde beim BND wie eine Bombe einschlagen. Präsident Julius Boehnke, der gewöhnlich keinem Streit aus dem Weg ging, würde stante pede zum Kanzleramtsminister rennen und dem Verfassungsschutz jede Menge Ärger machen.

Sophie hörte das leise Kratzen eines Stifts, als del Mestre sich Notizen machte. »Weiß Ihre Quelle, wo dieser Catli jetzt ist?« fragte er.

»In Frankfurt, sein Bruder betreibt dort ein Reisebüro. Mein Informant hat erfahren, daß er erst in einer Woche wieder zurück in die Türkei reisen wird.«

»Okay, ich werde das BKA veranlassen, den Mann zu observieren. Alles weitere dann Montag.« Er brach ab, und einen Herzschlag lang dachte Sophie schon, daß er auflegen würde. Doch dann hörte sie seine Stimme noch einmal. »Gute Arbeit. Sollte sich der Verdacht erhärten und der Mann festgenommen werden, gehe ich zu Bresser und sorge dafür, daß Sie mit der Vernehmung beauftragt werden.«

Vor Sophie lag eine schlaflose Nacht, in der sie dreimal ihren Aschenbecher leerte und Espresso trank wie Leitungswasser. Der türkische MIT kooperierte, wie sie aus einem VS-Papier wußte, eng mit dem BND, und sie beschlich die dunkle Ahnung, daß hinter den Güdinger Morden mehr steckte als ein Racheakt von Fanatikern.

Catli war mit einem falschen Diplomatenpaß eingereist.

Kaum vorstellbar, daß der BND hier nicht seine Finger drin hatte.

War es möglich, daß das Tankflugzeug Sophie gefunden hatte? Vielleicht. Konnte sie del Mestre vertrauen? Eine gute Frage, für die es jetzt aber zu spät war. Ihr blieb nichts übrig, als bis Montag zu warten und zu hoffen, daß er bei der Weitergabe der Information an den GBA nicht vergaß zu erwähnen, woher er sie hatte. Diese Sache konnte eine Tür für sie aufstoßen. Das wußte sie, aber das wußte auch del Mestre, und sie fragte sich, ob das in seinem Interesse lag. Zwar wurde in der Bundesanwaltschaft Kollegialität großgeschrieben, aber doch bloß auf dem Briefpapier, während in Wirklichkeit, durchaus zivilisiert, mit Säbel und Florett gefochten wurde und manchmal auch der Dolch zu seinem Recht kam.

Wie auch immer: Ein Erfolg im Fall Bucak würde die Karriere desjenigen, der ihn auf seine Fahnen heften konnte, mächtig nach vorne bringen, und Sophie, die betete, sie möge diejenige sein, sank erst, als der Morgen schon dämmerte, in einen schwitzigen Schlummer und träumte von dem düsteren Schloß ihrer Kindheit, in das sie vielleicht schon bald zurückkehren würde.

Als sie jetzt zum erstenmal von ihren Akten hochschaute, war es kurz nach eins. Ihr Magen knurrte. Sie verließ das Büro, um im Keller, wo die Sherpas des GBA ihre Aufenthaltsräume hatten, einen Müsliriegel aus dem Automaten zu ziehen. »Sherpas«. Wer hat sich den Namen wohl einfallen lassen? Auf Steindorffs Jungs paßt er jedenfalls besser als »Bodyguards«. Bei ihm müssen sie mehr schleppen als nur die Verantwortung für sein Leben.

Sophie fuhr mit dem Fahrstuhl bis ins Erdgeschoß. Sie ging an der Bronzetafel vorbei, die man zum Andenken an den 1977 von der RAF ermordeten Generalbundesanwalt Buback angebracht hatte, und sah, daß der Reinigungsdienst bei der Arbeit war. Das schmatzende Geräusch der Maschine, die über das Schachbrettmuster des Granitbodens glitt, begleitete sie die Treppe hinunter, bis Sophie im Keller angelangt war, sich nach links wandte und die Arrestzellen passierte, in denen gelegentlich auch Untersuchungshäftlinge vernommen wurden.

Sophie wollte gerade Geld in den Automaten werfen, als sie ein Geräusch hörte. Sie drehte sich um und sah, wie ein Mann von zwei Polizisten aus einer der Zellen geführt wurde. Er trug Business, war vielleicht vierzig Jahre alt und unschwer als Südländer zu erkennen. Del Mestre, bei einer Größe von knapp eins siebzig gut und gern zwei Zentner schwer, tauchte hinter dem Mann auf und wollte die Beamten zum Ausgang begleiten, als er Sophie entdeckte und stehenblieb.

Alles in ihr krampfte sich zusammen. »Das war doch Catli, nicht wahr?« fragte sie tonlos, nachdem del Mestre den Vollzugsbeamten einen Wink gegeben hatte und sie mit ihrem Häftling in der Tiefgarage verschwunden waren, um ihn mit einer grünen Minna zurück ins Gefängnis zu bringen.

»Ja, das war er. Ich gratuliere Ihnen, Sie haben …«

»Sie Scheißkerl! Sie verlogenes Miststück! Wie konnte ich nur so dumm sein, Ihnen zu vertrauen! Wir warten bis Montag, ja? Ich werde die Vernehmung durchführen, ja? Sie sind ein solches Schwein! Ein richtiges Schwein!« Sie spürte, wie ihr vor Wut und Enttäuschung die Tränen in die Augen schossen, und haßte den Gedanken, daß del Mestre sie so sah.

»Vielleicht sollten wir uns«, sagte er, »ehe Sie sich noch weitere Beleidigungen für mich einfallen lassen, zuerst einmal in Ruhe in mein Büro begeben. Ich fürchte, Sie verstehen nicht ganz, was hier passiert.«

»Ach, halten Sie doch einfach den Mund, dann denken die Leute, Sie hätten Charakter! Meinen Glückwunsch, ich muß zugeben, daß Sie das sauber eingefädelt haben! Ansonsten hoffe ich, Sie ersticken an Ihren Lorbeeren!«

Del Mestre hob nur leicht die Augenbrauen und rückte seinen Gürtel zurecht, über dem die kräftige Wampe sich wölbte.

»Sind Sie jetzt fertig?«fragte er.

»Ja, das bin ich. Mit Ihnen bin ich fertig, da können Sie sicher sein!«

»Gut, freut mich, das zu hören.«

Er wandte sich ab und ging zur Treppe, wo er noch einmal kurz stehenblieb. »Übrigens – Sie sollen zu Voigt hochkommen«, sagte er und ließ Sophie allein.

Sie stieß einen hilflosen Fluch aus, trat mit voller Wut gegen den Automaten und wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, als ein Müsliriegel in den Auswurfschacht fiel.

Der Fahrstuhl stoppte im fünften Stock. Sophie atmete durch. Das war der schwärzeste Tag ihrer Karriere. Del Mestre hatte ihr en passant klargemacht, daß sie die Spielregeln immer noch nicht kannte. Vor allem aber, das war das Schlimmste, daß man das Spiel ohne sie spielen würde. Sie zog den Schminkspiegel aus der Handtasche und sah die steile Kerbe auf ihrer Oberlippe, wo sich die weiche Haut zu einer trotzigen Schnute kräuselte. Die muß weg! dachte sie. Jetzt durfte sie alles mögliche sein, nur nicht trotzig. Selbstbewußt. Aber nicht verletzlich! Sie straffte das Kreuz, verließ die Kabine und steuerte mit festen Schritten das Büro der persönlichen Referentin des Generalbundesanwaltes an.

»Herein!« Susanne Voigt saß hinter ihrem Schreibtisch, hatte trotz der Kälte das Fenster einen Spaltbreit offen und arbeitete Akten durch. Als Sophie eintrat, hob sie nur kurz den Kopf und wies mit dem Kinn auf den Besuchersessel. »Bitte, Frau Wolf.« Sophie setzte sich, indes Voigt in aller Ruhe einige Dokumente abzeichnete und Sophie warten ließ wie bestellt und nicht abgeholt.

Sie war eine schlanke Frau von Mitte Vierzig. Alles an ihr vermittelte Strenge: das gedeckte, sicher irrsinnig teure Kostüm von Escada, der blonde Dutt in ihrem Nacken, der kleine schmallippige Mund, der immerfort spöttisch zu lächeln schien und grenzenloses Selbstbewußtsein signalisierte. Sie qualmte drei Schachteln Marlboro am Tag, und ihr größtes denkbares Unglück war laut Flurfunk, wenn der Zigarettenautomat in der Cafeteria kaputt war. Manche sagten, sie käme mit drei Stunden Schlaf aus, andere behaupteten, sie schliefe nie.

Voigt war Mitglied der Kanzlerpartei, Kreisvorsitzende in Heidelberg und Kandidatin für den nächsten Bundestag. Ihr Spitzname in der Bundesanwaltschaft war »Stalin«. Sophie versuchte sich die Frau im verrauchten Hinterzimmer einer badischen Gastwirtschaft vorzustellen, wo die Honoratioren des Ortsvereins bei Grauburgunder und Maultaschen tagten. Daß Voigt in ihrem Escada-Kostüm hinter einem Resopaltisch sitzen und aus einem Eckwertepapier zitieren sollte, war eine einigermaßen bizarre Vorstellung, bei der Sophie unmerklich lächeln mußte.

Stalin legte den Stift weg. Sie lehnte sich zurück und klopfte eine neue Marlboro aus der Packung. »Frau Wolf, Sie sind mit der Sache Bucak befaßt und wissen, daß wir in dieser Angelegenheit unter erheblichem Druck der Medien stehen. Wir konnten bis dato noch keine Festnahmen präsentieren, was uns vier Wochen nach der Tat ziemlich dumm aussehen läßt. Nun ja, wie es scheint, hat das Glück uns doch nicht ganz verlassen. Ich habe gestern mit Herrn del Mestre gesprochen, und er …«

»Frau Voigt, vielleicht sollten Sie erfahren, daß die Information, die zur Festnahme von Ufuk Catli führte, von mir stammte«, platzte Sophie heraus und verfluchte sofort ihre vorlaute Klappe.

»Ich weiß«, sagte Voigt spöttisch lächelnd, »Herr del Mestre hat mir davon erzählt und nicht vergessen, Ihren Anteil an diesem Erfolg gebührend zu würdigen.«

Sophie wäre am liebsten im Erdboden versunken.

»Das BKA hat in Mainz ein Treffen zwischen Catli und drei Männern observiert, die den Täterbeschreibungen von Bucak entsprechen«, fuhr Voigt gelassen fort. »Wir haben also vier Festnahmen. Bucak hat Catlis Kontaktleute anhand von Fotos einwandfrei identifiziert. Sie haben in ersten Vernehmungen bereits gestanden, an den Güdinger Morden beteiligt gewesen zu sein. Nur stellt sich ein weiteres Problem: Der Bruder von Catli ist beim BKA kein Unbekannter. Er verdient sich als V-Mann für die Wiesbadener ein bißchen was dazu und hat, wie es der Zufall will, schon vor Wochen von einer Waffenlieferung berichtet, die für die Frankfurter Dependance der Grauen Wölfe bestimmt ist. Keine Unbekannten für uns. Die Gruppe operiert unter dem Deckmantel eines deutsch-türkischen Freundschaftsvereins namens ›Türk-Föderation‹. Der Lieferant ist ein Zypriote, Dimitri Fasoulas. Er gehört zur Organisation von Anton Czarny. Die Waffen – vermutlich Sturmgewehre – werden in drei Tagen von Krakau nach Deutschland geliefert. Das BKA hat zwei verdeckte Ermittler in Krakau, die an Fasoulas bereits seit Monaten dran sind. Sie haben sein Vertrauen gewonnen und bereiten genau diesen Transport als ›kontrollierte Lieferung‹ vor. Die Fachaufsicht lag bisher beim Berliner Generalstaatsanwalt. Der GBA hat sein Evokationsrecht ausgeübt und den Fall in unsere Zuständigkeit überführt, wir haben Akteneinsicht … Tja, Frau Wolf, die Welt ist manchmal klein. Es sieht so aus, als hätten wir dank Ihrer Hilfe die Chance, eine Presse zu bekommen, an der wir uns in kalten Winternächten die Füße wärmen können.«

Sie drückte die Kippe aus, klemmte sich die nächste zwischen die dünnen Lippen und inhalierte tief, ehe sie weitersprach. »Sie sind jetzt etwas mehr als drei Jahre bei uns. Meines Wissens haben Sie bisher noch nie eine Aktion des Bundeskriminalamtes geleitet. Ist das korrekt?«

»Ja«, sagte Sophie, bemüht, Voigt ihre Erregung nicht spüren zu lassen.

»BKA-Präsident Richard Wolf ist Ihr Vater. Könnte das ein Problem darstellen?«

»Nicht für mich.«

»Gut. Dann werden Sie morgen nach Wiesbaden fahren. Die Aktion wird von der Abteilung OA durchgeführt. Gruppenleiter Thom ist Ihr Ansprechpartner. Ich glaube, Sie kennen sich von früher?«

»Er war ein Freund der Familie«, sagte Sophie steif.

»Wie nett, auf diesem Wege können Sie ja alte Freundschaften auffrischen. Das wäre dann alles.«

Sophie stand auf und ging zur Tür.

»Ach, Frau Wolf, nur ein kleiner Rat: Vielleicht wäre es angemessen, sich bei Herrn del Mestre zu entschuldigen.«

Voigt vertiefte sich wieder in ihre Akten, und Sophie zog die dick gepolsterte Tür hinter sich zu. Sie ging zum Fahrstuhl und sah, daß im Erdgeschoß die Reinigungsmaschine noch immer leise über den Boden schmatzte. Als sie wieder in ihrem Büro war, hatte sie das Gefühl, am Ende einer langen Reise zu sein.

Doch sie empfand keinen Triumph.

Angst kroch in ihr hoch und füllte sie vollkommen aus.

Sie ging zum Fenster und starrte hinaus und war ganz still. Die Scheiben vibrierten, als eine Straßenbahn vorbeifuhr. Sophie dachte an Bruckheimer, Reed & Macintire, die Anwaltskanzlei in Baltimore, bei der sie nach dem ersten Staatsexamen ein Praktikum absolviert hatte, an jene Nacht, in der sie von der Weihnachtsfeier kam und über die Thames Street ging und es so kalt war, daß ihre Hände in den Handschuhen froren.

Ihr Handy hatte vibriert. Sie hatte seine Stimme gehört. »Ich brauche dich. Ich weiß nicht, was mit mir ist. Hilf mir, bitte.«

Die Stimme hatte schwach und flehend geklungen. Sie konnte nicht glauben, daß es ihr Vater war. Sie hatte kein Wort gesagt. Dann war nur noch Rauschen in der Leitung gewesen, und Sophie hatte dagestanden, das Handy in der Hand, zitternd, ohne daß sie etwas dagegen tun konnte.

Die ganze Nacht über hatte sie überlegt, was sie tun sollte, war schon soweit gewesen, einen Flug nach Deutschland zu buchen, und tat doch nichts. Am nächsten Tag erfuhr sie aus dem Internet, daß ein Attentat auf ihren Vater verübt worden war. Es hieß, daß er nur leicht verletzt sei und er sein Leben einem seiner Sherpas verdankte. Dazu wurde ein Bild eingeblendet, auf dem ihr Vater rosig und gesund aussah.

Das war neun Jahre her. Sophie lehnte ihre Schläfe gegen das kalte Fensterglas und fühlte nichts und merkte an dem salzigen Geschmack in ihrem Mund, daß sie weinte.

DREI

Sie stand im Morgengrauen auf, trank eine Tasse Espresso, duschte und hockte dann eine halbe Stunde vor dem Kleiderschrank, ohne sich entscheiden zu können, was sie anziehen sollte. Schließlich entschied sie sich für ein Businesskostüm, das ausreichend Förmlichkeit ausstrahlte, packte Unterwäsche, Jeans und einen Pullover zum Wechseln in ihren kleinen Rimowa-Koffer und legte das Dossier über Fasoulas und Czarny sowie die Kurzakte Bucak obenauf. Eine Viertelstunde später war sie auf der Autobahn. Gegen neun passierte sie das Mannheimer Kreuz, die Nachrichten brachten das Übliche: »… tappen die Ermittlungsbehörden auch vier Wochen nach den brutalen Morden von Güdingen noch immer im dunkeln …« Es gab keine Meldung über die Verhaftungen in Frankfurt, was nicht verwunderte, denn Sophie war mit del Mestre, der ihre Entschuldigung huldvoll angenommen hatte, übereingekommen, eine Informationssperre zu verhängen, um die verdeckten Ermittler in Krakau nicht zu gefährden.

Stalin hatte von einer »kontrollierten Lieferung« gesprochen. Es bedeutete, daß das BKA den Waffentransport verdeckt und in Eigenregie organisierte. Ziel war, die Abnehmer dingfest zu machen – ein Standardverfahren, das zum Tagesgeschäft der Wiesbadener gehörte. Doch seit gestern dachte Sophie unentwegt darüber nach, warum ihr die Ermittlungsführung nicht von ihrem Referatsleiter Rupert Bresser, sondern von Voigt übertragen worden war. Sehr ungewöhnlich. Der GBA war im Haus gewesen. An einem Sonntag! Natürlich, er hatte die kontrollierte Lieferung evoziert, also in seine Verantwortung gezogen, doch das hätte er nicht persönlich machen müssen, Bresser übernahm so etwas normalerweise. Voigt, Steindorffs »general dogsbody«, hatte ihr Ohr stets dicht am Mund des Alten. Das Ganze lief also mit Sicherheit über die Chefetage, und man hatte Sophie den Fall gegeben, obwohl oder gerade weil man wußte, daß sie die Tochter des BKA-Präsidenten war.

Grund genug, auf der Hut zu sein.

Sie nahm die Abfahrt Wiesbaden-Erbenheim. Links des Autobahnzubringers sah sie die Shelter der Kampfflugzeuge auf der amerikanischen Airbase. Gewerbeparks, Tankstellen und Großmärkte huschten vorbei und machten an der sechsspurigen Mainzer Straße den Betonpalästen von Banken und Versicherungen Platz. Es war kurz vor elf, als Sophie die Stadt ihrer Kindheit erreichte.

Sie hatte noch fünfundvierzig Minuten Zeit, wollte auf keinen Fall zu früh sein und nahm deshalb den Umweg über das Nerotal, wo sie den Mercedes abstellte und ein Ticket für die Bergbahn löste. Zusammen mit einer amerikanischen Touristengruppe ruckelte sie in einem der kleinen historischen Waggons den Berg hoch. Die Bahn gewann ächzend an Höhe, das dichte Grün der Tannen, die zu beiden Seiten die Gleise säumten, brach schließlich auf und gab den Blick auf Wiesbaden und Darmstadt frei.

Der Himmel war klar und weit und mit zartem weißen Firn bedeckt. Sophie erinnerte sich, daß sie als kleines Mädchen manchmal mit ihrer Mutter hier hochgefahren war. Sie stieg an der Endstation aus und ging die wenigen Schritte zu dem griechischen Tempel, der auf dem Aussichtspunkt thronte. Sie setzte sich auf eine Bank, kuschelte sich in ihren Mantel, rauchte, und ihre Augen verweilten auf der schläfrigen Bürgerlichkeit der Stadt.

Über Dimitri Fasoulas, den Mann, der hinter dem Krakauer Waffentransport stand, war in Deutschland kaum etwas bekannt. Ein Zypriote, der bisher erst einmal aufgefallen war. Man hatte Mitte der Neunziger bei einer Grenzkontrolle in seinem Handschuhfach eine Beretta gefunden, für die er keinen Waffenschein besaß, doch das Verfahren wurde, da Fasoulas kein deutscher Staatsbürger war, gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Im BKA waren seine Fingerabdrücke lediglich routinemäßig in der AFIS-Datei gespeichert und zehn Jahre später, nach Ablauf der gesetzmäßigen Frist, ebenso routinemäßig wieder gelöscht worden.

Aber natürlich kannte Sophie den Namen des Mannes, für dessen Organisation Fasoulas arbeitete: Anton Czarny. Er war so berüchtigt wie geheimnisumwittert. Die Disc, die ihr bereits kurz nach dem Gespräch mit Voigt in der Geschäftsstelle der Bundesanwaltschaft ausgehändigt worden war, hatte jedes verfügbare Material enthalten, das es über ihn gab.

Czarny wurde als Sohn eines Tschechen und einer Russin in Moskau geboren und wuchs im sibirischen Omsk auf, wo sein Vater als Elektroniker in einer Rüstungsfabrik arbeitete, die Scarp-Raketen fertigte. Er ging schon früh zur Armee, kam zu den »Truppen besonderer Bestimmung« – jener Eliteeinheit, die man unter dem Namen »Spetsnaz« kannte – und absolvierte im Anschluß auf der Militärakademie Frunse eine Ausbildung zum Verhörspezialisten. 1984 wurde seine Einheit nach Afghanistan versetzt, wo sie Operationen hinter den feindlichen Linien durchführte. Man wußte mit Sicherheit, daß Czarny mit den Mudschaheddin ein Kompensationsgeschäft betrieb: Kalaschnikows gegen Heroin. Drei Jahre später setzte er sich von der Truppe ab. Seine Spur verlor sich im Nahen Osten.

Erst 1991 tauchte Czarny wieder auf. Er hatte auch nach dem Ende der Sowjetunion beste Verbindungen zu russischen Armeekreisen und lieferte Waffen an einen Neffen des libanesischen Premierministers. Dieser war das Oberhaupt der örtlichen Mafia, auf deren Lohnliste auch der Verteidigungsminister und der Chef des Nachrichtendienstes standen. Der Clan kontrollierte die libanesische Armee sowie den Polizeichef von Tripoli. Von dort wurde der Stoff, mit dem man Czarny für seine Waffenlieferungen bezahlte, über die Heroinpipeline nach Europa gepumpt. Aus dieser Zeit datierte auch der Beginn seiner Geschäfte mit den Grauen Wölfen. Deren Mutterpartei MHP hatte fünfzehntausend Mann ihrer Spezialeinheiten in den Osten der Türkei geschickt, wo sie einen gnadenlosen Vernichtungskrieg gegen die Kurden führten. Czarny half mit AK-47-Gewehren und Handgranaten. Der Legende nach sollte er sogar mit Alparslan Türkes, dem »Basbug« der Grauen Wölfe, befreundet gewesen sein.

Sophie schaute auf ihre Uhr, sah, daß es Zeit war, und ging mit dem Gedanken, daß ein ehemaliger sowjetischer Obrist und ein fanatischer Antikommunist wie Türkes ein hübsches Paar abgegeben haben mußten, zurück zur Bahnstation. Fünfzehn Minuten später saß sie wieder in ihrem Wagen. Die Straße schraubte sich in Serpentinen den Neroberg hinauf. Gründerzeitvillen lösten Sechziger-Jahre-Bauten aus Waschbeton ab.

Die Scheiben des Mercedes waren beschlagen, und Sophie fror.

Vor etwa zehn Jahren hatte Czarny sein Geschäft mit dem »Narco-Terrorismus« aufgegeben und sich ausschließlich auf Waffen spezialisiert. Laut BKA war er heute der größte Waffenhändler der Welt. Er hatte beide Parteien des Kaschmirkriegs, Indien und Pakistan, mit Panzern und Geschützen ausgestattet, sein Lieferkatalog aus dem letzten Geschäftsjahr las sich wie die Inventarliste eines russischen Armeearsenals: Panzerabwehrraketen für die Taliban, AKM-Gewehre, Katjuscha-Werfer und BMP-Schützenpanzer an Nordkorea, Stabminen, die für die Abu Sayyaf bestimmt waren. Sein Meisterstück war jedoch eine Ladung von russischen SA-6-Raketen, die er über die EOS-Trade in Tallinn, eine Tarnfirma des Dschihad-Terroristen Aslam Ghaffar, in die USA schickte. Dort wurde das Waffensystem von der US-Armee auf ihrem Übungsgelände in Fort Irwin/Kalifornien zur Gefechtssimulation genutzt. Daß die CIA dabei ihre Finger im Spiel hatte, war mehr als eine Vermutung.

Czarny besaß Wohnsitze in Asien, Rußland und auf Barbados, wo er unter der persönlichen Protektion des dortigen Innenministers stand. Er wurde von einer Art Privatarmee bewacht, die aus früheren Spetsnaz- und KGB-Leuten bestand, und war vermutlich einer der bestgeschützten Männer der Welt. Sophie fragte sich, wo Fasoulas in der Hierarchie der Organisation stand. Vermutlich nicht besonders hoch, denn die Lieferung von ein paar Maschinengewehren war für Anton Czarny wirklich keine große Sache.

Vor ihr tauchte der massige Gebäudekomplex des BKA auf. Noch war der Hauptsitz des Amtes in Wiesbaden. Aber der Umzug nach Berlin war bereits beschlossene Sache. Damit würde Sophies Vater sich nicht mehr herumschlagen müssen, nur sein Nachfolger. Er ist der letzte Präsident, der auf dem Neroberg herrscht, ein Relikt der alten Bundesrepublik.

Sie parkte in der Thaerstraße, atmete einmal kräftig durch und steuerte, den Rimowa-Koffer fest in der Hand, den Haupteingang an. Sophie legitimierte sich bei den Beamten, die an der Detektorschleuse Dienst taten. Sie erhielt einen Hausausweis, heftete ihn an und passierte, die neugierigen Blicke in ihrem Rücken spürend, die Röntgenkontrolle. Normalerweise bewegte sie sich mit der selbstsicheren Gelassenheit einer Frau, die weiß, daß sie schön ist. Sie war es gewohnt, daß Männer ihr nachschauten, doch diese Blicke, hier, hatten einen anderen Grund, das wußte sie.

»Frau Wolf?«

»Ja?«

»Entschuldigung, aber wir wurden soeben informiert, daß Sie zuerst zum Präsidenten sollen.« Sophie zögerte kurz, nickte dann und ging weiter. »Kennen Sie sich im Haus aus?« rief der Beamte ihr hinterher.

»Ja, ich kenne mich aus«, sagte Sophie. Sie erreichte über den gläsernen Verbindungsgang, BKA-intern »Beamtenlaufbahn« genannt, den Neubau am Tränkweg, betrat einen der Fahrstühle und fuhr hoch in den siebten Stock. Zu ihrer eigenen Verwunderung registrierte sie, daß ihre Hände nicht zitterten. Sie war ganz ruhig.