Wenn du einen Esel siehst,

der mit seiner Last im Dreck feststeckt,

so bedaure ihn aus vollem Herzen,

aber stell dich nicht vor seinen Kopf hin und frage:

»Wie ist es bloß gekommen, dass du feststeckst?«

Geh besser um ihn herum bis zu seinem Schwanz,

und zieh ihn aus dem Dreck.

Sheikh Saadi

Gulistan – Der Rosengarten

Überfall!

Jetzt gehe ich rein. Die Sparkasse bei Karstadt ist richtig voll, das sieht man schon durch die Scheiben. Der Mann im Vorraum macht mir die Tür auf. Ich werfe ihm zehn Cent in seinen Coffee-to-go-Becher und er verbeugt sich ein bisschen und grinst. Und wie im Film ertönt jetzt über allem eine Stimme. Eine gut gelaunte Männerstimme, die sagt: »Sehen Sie dieses Mädchen? Das ist Hani. Sie ist zwölf Jahre alt und sie wird jetzt eine Bank überfallen …«

Der Tür-auf-Mann zuckt zusammen und sieht nach oben. Er ist ein bisschen verrückt, das weiß jeder. Natürlich hört außer ihm und mir niemand irgendwas.

Hier drinnen gibt es hundert Geldautomaten, vor denen die Leute Schlange stehen. Aber nur einen einzigen Tresen mit einem echten Menschen dahinter.

Also, was soll ich jetzt machen? Einfach an allen vorbeidrängeln? Ich mache die Augen zu. Mir ist ein bisschen schwindelig.

»… und weil sie nicht weiß, wie man das am besten macht, stellt sie sich erst mal hinten an«, sagt die Stimme von oben. Okay, danke. Ich stelle mich in die Schlange. In der Mitte des Raums steht ein Security-Mann. Er sieht auf den Boden und hat die Hände hinter dem Rücken versteckt. Was wird er machen, wenn ich gleich mein Messer heraushole?

Ich schiebe meine Hand in die Hosentasche. Ja, mein Messer passt in meine Hosentasche. Es ist das Messer, mit dem ich immer Tomaten schneide, das einzige Messer bei uns zu Hause, das wenigstens ein bisschen so aussieht, als könnte man sich damit wehtun. Moma isst keine Tomaten mehr, seit Mama weg ist. Ich schneide jeden Tag eine klein und dann mache ich aus den Teilen eine Blume auf dem Teller. Mama hat sogar immer noch ein Gurkenstück als Stiel dazugelegt, aber ich spare mir das, er isst es sowieso nicht. Er schüttelt nur den Kopf und streckt die Zunge raus. Ich weiß gar nicht, warum ich das noch mache. Jeden Tag. Am Ende esse ich die Tomate immer selbst.

Jetzt wird Moma eine Weile auf seine Blume verzichten müssen. Papa wird ihn aus der Kita abholen und dann werden sie heute Abend in der Küche sitzen und essen, und vielleicht wird Moma sich fragen: Häh? Da fehlt doch was? Wo ist eigentlich die Tomate, die ich immer nicht esse? Und Papa wird denken: Hatten wir nicht mal ein Messer, extra für Tomaten? Vielleicht. Sie werden dann noch nicht mal wissen, dass ich weg bin. Sie denken, ich bin auf Klassenfahrt. Und wenn sie es dann merken, dann ist es zu spät, dann bin ich schon bei Mama. Ein kleiner Stich in meinem Bauch, es tut weh und gleichzeitig fühlt es sich gut an.

»Ganz schön verrückt!«, sagt die Stimme über allem.

Jetzt bin ich gleich dran. Vor mir am Tresen ist nur noch eine Oma. Sie bewegt sich wie in Zeitlupe. Bückt sich und kramt in ihrem Einkaufsdings herum und zieht einen Zettel heraus. Die Frau hinter dem Tresen ist genervt. Das sieht man, sie streckt schon die Hand aus und nimmt der armen Oma den Zettel aus der Hand, als die noch nicht mal wieder richtig oben ist. Sie schaut ihrem Zettel hinterher, als wäre er ein kleiner Vogel, der ihr davongeflogen ist.

Ich könnte jetzt einfach gehen. Mich umdrehen und rausspazieren. Nur der Tür-auf-Mann würde wissen, dass ich zu feige war. Und dem glaubt sowieso niemand. Meine Beine haben sich eigentlich schon entschieden. Sie gehen schon weg, während mein Kopf noch in der Schlange steht, ich ziehe mich lang wie eine Comicfigur, und gleich macht es Swusch und ich bin raus. Aber genau jetzt ist die Oma fertig und nickt und zieht ihr Einkaufsdings davon. Ich bin auf einmal dran. Die Frau hinterm Tresen werkelt noch irgendwas, dann ruckt ihr Kopf nach oben und sucht den nächsten Kunden, mich. Ich bin komplett aus Gummi.

»Bitte!«, sagt die Frau. Und nickt zwei, drei Mal dabei, als ob sie damit alles beschleunigen könnte. In meiner Tasche mache ich eine Faust um das Tomatenmesser. Also gut. Ich gehe zum Tresen.

»Was kann ich für dich tun?«, fragt die Frau. Sie lächelt und beugt sich ein bisschen herunter.

Ich ziehe das Messer heraus und strecke meine Hand hoch, das Messer zeigt genau auf ihre Nase.

»Überfall!«, sage ich. Meine Stimme klingt kratzig, wie von einem kleinen Raben. Lächerlich. Also pumpe ich mich richtig voll, ich ziehe die komplette Luft aus dem Raum in mich hinein und schreie: »ÜBERFALL

Das war jetzt gut. Der ganze Raum wird still, ich spüre alle Blicke, keiner bewegt sich. Als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Zwei, drei Sekunden lang.

»Was?«, sagt die Frau leise. Sie lächelt immer noch. Kapiert es nicht.

»Noch mal sag ich es nicht«, sage ich. »Geld her!« Und wackle ein bisschen mit dem Messer.

»Hör mal …«, sagt die Frau und geht einen Schritt zurück. Sie sieht mich gar nicht an, sie schaut auf irgendwas hinter mir. Guckt so komisch. Ich spüre es wie einen Schatten, es kribbelt hinten am Kopf und dann spüre ich eine Hand auf meinem Arm.

»Ganz ruhig«, sagt eine Stimme direkt in mein Ohr. Ich will mich umdrehen, aber die Hand hält mich fest. »Wir bleiben jetzt ganz ruhig.«

Der Security-Mann. Er nimmt mir das Messer aus der Hand. Ganz nett macht er das. Ich komme gar nicht auf die Idee, mich zu wehren. Der ganze Laden tuschelt. Ohne Witz, ich höre sogar ein paar Leute kichern. Die Tresenfrau zupft an ihrer Bluse herum.

»Und so endete der Überfall, bevor er richtig begann«, sagt die Stimme von oben gut gelaunt. Und am Eingang zuckt der Tür-auf-Mann zusammen und sieht nach oben. Als ob dort jemand wäre.

Nicht im Gefängnis

Ich bin die Wurst, links von mir sitzt ein halbes Brötchen und rechts sitzt ein halbes Brötchen. Wie ein Hotdog, die zwei Polizisten und ich, sitzen wir auf den Stühlen vor einem Schreibtisch, auf dem einfach alles ordentlich ist. Würde man mit einem Lineal nachmessen, dann wäre zwischen jedem Stift der gleiche Abstand. Sogar die Papiertürme sind alle genau gleich hoch. Und hinter dem Schreibtisch sitzt ein Mann und der sieht mich an. Ein Auge ist größer als das andere, und er zwinkert nicht, glotzt nur und schüttelt den Kopf, wie in Zeitlupe, seine Augen fallen ihm gleich vorne raus. Voll der Zombie, echt.

Er macht den Mund auf und eine Weile kommt nur Luft heraus.

»Mit einem Buttermesser?«, sagt er dann. Nicht zu mir. Er sieht das Würstchen an, aber reden will er mit dem Brötchen.

Die rechte Brötchenhälfte ist eine Polizisten-Frau.

»Eher so ein Gemüsemesser«, sagt sie. Sie rutscht ein bisschen von mir weg und macht sich größer, indem sie ihren Po nach hinten drückt. »Die Leute in der Bank hatten wenig Schwierigkeiten, sie zu entwaffnen.«

Sie sagt entwaffnen, aber es klingt wie auslachen. Sie grunzt sogar dabei, wie jemand, der auf einer Beerdigung an einen Witz denken muss und sich vor den anderen zusammenreißen will.

»Sie überlegen sich dennoch, Anzeige zu erstatten.«

Der Zombie sieht immer noch mich an. Als ob auf mir etwas draufstehen würde. Glotz nicht oder so. Auf die Backen geschrieben.

»Und was wollen sie dann jetzt von mir?«

»Sie hat keine Papiere bei sich«, sagt der andere Polizist. Der mit dem Vollbart.

»Und?«

Der Vollbart schmatzt kurz. Hat wohl schnell eine Fliege verschluckt.

»Sie sind das Jugendamt.«

»Das weiß ich«, sagt der Zombie. Hat immer noch kein einziges Mal geblinzelt, ich schwöre.

»Sie sind zuständig«, die Frau jetzt.

»Aha!« Nur dieses Aha. Aber wenigstens sieht er jetzt von mir weg und zu ihr. Das Aha fliegt durch den Raum und knallt boing boing ein paarmal gegen die Wände und landet auf dem Schreibtisch, ganz vorn auf der Kante, und sitzt da und lacht uns aus.

»Sie wollen jetzt, dass ich Ihnen die Arbeit abnehme«, sagt der Zombie.

»Wir wollen, dass Sie Ihre Arbeit tun«, die Frau macht sich noch ein bisschen größer. Gleich fällt ihr der Po ab.

»Und die wäre?«

»Kriegen Sie raus, wer sie ist!«

Der Zombie nimmt einen Stift vom Tisch und zeigt damit auf mich, als wäre das ein Zauberstab, mit dem er mich wegzaubern könnte.

»Haben Sie sie denn schon gefragt?«

Der Polizist steht jetzt auf. Ganz plötzlich, den Wind, den er dabei macht, könntest du noch im Weltraum spüren.

»Sie spricht nicht, das sehen Sie doch!«

»Hören, meinen Sie wohl«, sagt der Zombie und beugt sich in meine Richtung: »Wie … heißt … du?«

Ich habe jetzt so lange nur zugehört, dass ich erst mal gar nicht merke, dass er mich meint. Und als es mir klar wird, will ich einfach nur loslachen, so blöd sieht er aus. Aber ich reiße mich gerade noch zusammen. Sehe einfach hinter ihm an die Wand und warte und kämpfe gegen das Wackeln in meinem Bauch.

Der Polizist zuckt mit den Schultern.

»Sehen Sie? Sie übernehmen, wir halten Ihnen die Journalisten vom Leib. Viel Erfolg.« Er setzt sich seine Mütze auf und sieht seine Kollegin an. Die steht jetzt auch auf. »Alles Gute!«, sagt sie in die Luft, und schon sind sie draußen. Haben nicht mal Tschüs gesagt.

Der Zombie spielt weiter mit seinem Stift. Er wippt ihn zwischen den Fingern, sodass aus dem Stift ein Fächer wird. Wedelt sich Luft zu.

»Alles Gute«, sagt er leise. Dann nichts mehr. Bleibt einfach sitzen, wackelt mit dem Stift und starrt vor sich hin.

Wenn ich jetzt aufspringe und zur Tür laufe, könnte ich abhauen. Einfach raus und den Polizisten hinterher. Ihnen sagen, dass sie mich wieder mitnehmen sollen. Ich rutsche mit dem Po auf meinem Stuhl nach vorn. Meine Zehenspitzen sind jetzt schon auf dem Boden. In meinem Kopf fängt es an zu kribbeln. Als ob da oben die Drähte anfangen zu glühen, alle auf einmal. Ich rutsche weiter nach vorn und hänge halb sitzend, halb stehend vor meinem Stuhl, da schmeißt der Zombie den Stift auf den Tisch und steht auf. Ich setze mich sofort wieder richtig hin. Er ist größer, als ich dachte, und er kommt um den Schreibtisch herum. Er bleibt kurz vor mir stehen. Dann geht er zur Tür und reißt sie auf.

»Mira!«, brüllt er raus in den Gang. Nichts tut sich. Er steht da, mit dem Rücken zu mir, und ich denke automatisch daran, ihm mit irgendwas in den Rücken zu stechen. Manchmal habe ich solche Gedanken, keine Ahnung. Wenn ich das Messer noch hätte, würde ich es vielleicht sogar machen.

Draußen bleibt es still.

Der Zombie knallt die Tür zu und geht wieder um seinen Tisch herum. Er nimmt den Telefonhörer ab und wählt. Wartet. Sieht dabei mich an, als ob er gerade bei mir im Kopf anruft und jetzt erwartet, dass ich drangehe. Dann macht sein Gesicht so einen Sprung, man weiß beim Zusehen, dass jetzt jemand am anderen Ende ist.

»Kommst du mal?«, sagt er und legt wieder auf. Er lehnt sich mit den Armen nach vorn auf den Tisch und pustet die Backen auf.

Weil er nicht mit mir spricht, kommt es mir vor, als wäre eine Scheibe zwischen uns. Ich bin nur eine Zuschauerin, die gerade zufällig eingeschaltet hat. Die Zombie-Show auf Pro- Sieben oder so. Einschalten, zurücklehnen und zuschauen.

Die Tür geht auf und eine Frau kommt rein. Jünger als Mama und voll hübsch geschminkt.

»Was gibt’s?«

Der Zombie hebt nur einen Finger in meine Richtung.

»Oh, hallo!«, sagt sie. »Kundschaft!« Nettes Lachen hat sie.

»Gib dir keine Mühe. Sie spricht nicht«, sagt der Zombie. »Ich möchte, dass du die Klientin zum Kindernotdienst begleitest.«

Die Klientin.

»Die sind aber total voll im Moment«, sagt die Frau.

»Da kommt es doch jetzt auf eine Person mehr oder weniger auch nicht mehr an.« Eine Person. »Oder hast du eine bessere Idee?«

»Ich weiß doch gar nicht, was los ist«, sagt sie.

Er winkt sie zu sich, sie beugt sich über den Schreibtisch. Und, ohne Witz, jetzt tuschelt er ihr was ins Ohr. Sie dreht sich zu mir, und ihre Augenbrauen wandern nach oben, immer weiter, bis sie keine Stirn mehr hat.

»Wow«, sagt sie. Und dann flüstert sie noch mal: »Wow!«

»Solange wir nicht wissen, wo sie hingehört, wird sie untergebracht«, sagt der Zombie. »Und ich bezweifle, dass sie dir das verraten wird. Ich lasse euch kurz allein.«

Der Zombie steht auf und geht zur Tür. Er grüßt nicht, sieht mich nicht mehr an, er schlurft einfach raus und ist weg.

»Den sind wir los«, sagt die Frau und grinst mich an. »Also, willst du in den Notdienst oder nach Hause?«

Es ist schwer, nicht zu antworten, weil sie so nett aussieht. Ich will ins Gefängnis, dröhnt es in meinem Kopf.

Sie legt den Kopf ein bisschen schief, wie eine Katze, und macht: »Hm?«

So kriegt sie vielleicht ihre Oma rum.

»Also gut«, sagt sie und hört auf zu grinsen. »Okay. Wir machen es anders.«

Bring mich ins Gefängnis, denke ich. Bring mich ins Gefängnis!

Und sie so: »Du kommst jetzt erst mal mit zu mir.«

Mein Name

»Normalerweise sieht das hier nicht so aus!« Sie schüttelt ihre Schuhe ab und kickt sie neben die Tür. Und dann rennt sie durch die Wohnung, keine Ahnung, wieso. Sie zieht die Vorhänge zu und macht alle Türen auf und räumt hier ein Glas weg und da wirft sie ihre Handtasche auf das Sofa. Ein Sofa mit lauter Kuscheltieren drauf!

»Okay, es sieht hier immer so aus. Aber mach dir nichts draus, bitte, ja? Ich bin ein bisschen unordentlich. Ich habe einfach nie Zeit zum Aufräumen!«

Ich bleibe an der Tür stehen, wie ein Paket, das sie hier erst mal abgestellt hat, weil sie sich das Aufmachen für später aufsparen will. Ich weiß gar nicht, warum sie so viel redet, so schlimm ist es gar nicht. Es sieht wie in einem Kinderzimmer aus. Vor dem Aufräumen halt. Sie nimmt eine leere Colaflasche vom Sofatisch und stellt sie zwei Meter weiter auf eine Kommode, ihre nackten Füße machen kleine Erdbeben auf dem Teppich. Da tanzen jetzt die Flöhe und feiern Technoparty.

»Setz dich doch!« Sie kommt auf mich zu, als wollte sie gleich auf mich draufspringen. Ich gehe einen Schritt zurück, aber da ist die Tür an meinem Rücken. Vielleicht ist sie verrückt? Man weiß nie, immerhin hat sie eine Bankräuberin in ihre Wohnung gebracht! Sie bleibt ganz dicht vor mir stehen. Streckt mir auf einmal ihre Hand entgegen.

»Ich bin Mira, wer bist du?«

Fast hätte ich geantwortet, ganz automatisch, ich kann gerade noch die Lippen zusammenhalten. Gott sei Dank.

»Ich will dir helfen«, sagt sie. Mira. »Du musst nur mit mir sprechen, dann können wir das regeln.«

Was will sie denn regeln? Soll sie mich einfach ins Gefängnis fahren, dann wäre alles klar.

Sie seufzt und ihre Hand fällt wieder nach unten und baumelt neben ihr wie ein schlaffer Luftballon.

»Hey, ich riskiere wegen dir meinen Job. Sag mir wenigstens deinen Namen. Das bist du mir schuldig.« Sie merkt, dass ich nichts sagen werde, und ihre Schultern fallen jetzt auch nach unten.

»Puh«, macht sie. Sie zieht mich durch den Raum und setzt mich auf das Sofa, zwischen all die Bärchen und Mäuschen, als wäre ich eins von ihnen. Sie greift nach ihrer Handtasche und holt etwas heraus, ein Heft und einen Bleistift. Sie legt beides auf meinen Schoß.

Sie lächelt mich an. »Ich hole uns jetzt was zu trinken und du schreibst deinen Namen hier rein.« Und damit geht sie aus dem Raum, nach hinten in die Wohnung.

Ich höre sie irgendwas irgendwo reinschütten und blättere in dem Heft, es ist leer. Leere Seiten mit Karomuster. Ich nehme den Stift und spiele eine Weile damit, stelle mir vor, er könnte Laserstrahlen abfeuern, und schieße ein paar Dinge in der Wohnung ab. Eine rosa Vase, ein gelbes Plüschschwein und die Wanduhr müssen dran glauben. Dann schreibe ich auf der letzten Seite ganz unten meinen Namen rein, winzig klein. Komplett nicht ganz dicht.

Als sie zurückkommt, liegt das Heft wieder zugeklappt auf meinem Schoß. Den Laserstift habe ich eingesteckt. Sie stellt zwei Gläser auf das Tischchen vor dem Sofa. Auf den Gläsern steht Coca-Cola drauf, aber es ist Fanta drin.

»Darf ich?« Sie nimmt das Heft so vorsichtig von mir herunter, als könnte es aufwachen und wegfliegen. Als sie es aufschlägt, macht sie erst ein enttäuschtes Gesicht, aber dann blättert sie ein bisschen herum und entdeckt meinen Namen. Sie kneift die Augen zusammen, dann lacht sie. Ich kann nicht anders, ich muss grinsen.

»Hani!«, sagt sie. Ich nicke. Sie streichelt mit ihrem Finger über das Blatt. Über meinen Namen, ein, zwei Mal. Dann klappt sie das Heft zu und legt es wieder zurück in ihre Tasche. Sie strahlt mich richtig an.

»Danke, Hani!«

Ekelfraß

Wie kann man so viele Bücher haben? Eine ganze Wand ist voll davon. Das in meiner Hand heißt »Probleme sind Lösungen« und es ist so groß wie unser DVD-Player.

»Keine große Auswahl, fürchte ich«, ruft sie von nebenan herüber.

Ich stelle das Buch wieder ins Regal zurück, ein paar andere fallen dabei hinten runter. Ich versuche, durch den Spalt an die Bücher ranzukommen, aber es klappt nicht. Egal. Bei so vielen Büchern merkt sie das ganz sicher nicht, oder? Ich gehe zur Küche und stelle mich in den Türrahmen. Sie hält eine Karotte in der Hand. Die Karotte biegt sich schon, sie ist so schlaff, dass man wahrscheinlich einen Knoten reinmachen könnte. In dieser Küche könnte ich auch nichts kochen. Überall steht Krimskrams herum, den kein Mensch braucht, zum Beispiel Blumen. Was zu essen sehe ich nirgends, nur diese Karotte in ihrer Hand. Als sie merkt, dass ich da bin, dreht sie sich weg. Will wohl nicht, dass ich die Karotte bemerke.

»Ich koche nicht so oft«, sagt sie. Sie geht zum Herd, nimmt einen Löffel und hebt den Deckel vom Topf. Dampf kommt heraus und sie rührt ein bisschen im Topf herum, mit der gleichen Bewegung könnte sie auch einen Pinsel schwingen und ein Bild malen.

Ich gehe zu ihr und sehe hinein.

Eine rote Soße, wahrscheinlich Ketchup oder so. Sie wird wahrscheinlich jetzt die Karotte da reinwerfen. Und das will sie dann essen oder wie?

»Ist gleich fertig«, sagt sie und sieht mich von der Seite an.

Ich stecke meinen Finger in die Soße und schlecke ihn ab. Und wahrscheinlich, ich kann nichts dafür, wahrscheinlich habe ich so ein Gesicht gemacht, dass man dann auch nichts mehr dazu erklären muss.

»Ich rufe den Pizzadienst«, sagt sie. Und das ist, finde ich, eine gute Idee.

 

»Einmal die Neunzehn mit Artischocken und einmal …«, sie legt die Hand auf den Hörer und sieht mich an.

»Thunfisch und Zwiebeln«, sage ich. Oh Mist.

»Thunfisch und Zwiebeln«, sagt sie in den Hörer, und dann merkt sie es erst und legt auf. Mein Gesicht wird total heiß, ich drehe mich weg.

»Du hast gesprochen«, sagt sie. Ich kann nur raten, was sie wohl gerade für ein Gesicht macht. Meine Stimme flattert immer noch durch den Raum und sucht sich eine Ritze zum Verstecken.