Frithjof Siering
© 2017 Frithjof Siering
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback: | 978-3-7345-6231-0 |
Hardcover: | 978-3-7345-6232-7 |
e-Book: | 978-3-7345-6233-4 |
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Grabsteinszenen aus Jammerland
In einem Land
in dem
das Jammern
ganz GROSS geschrieben wird
müssen wir uns
Gedanken machen
wie wir den Jammernden
zeigen
was Ihnen alles NICHT
passiert ist
Langsam zog ich den Knoten wieder auf und mir den drei Zentimeter dicken Strick wieder über den Kopf. Ich stieg von meinem Stuhl und setzte mich drauf. Dafür hatte man ihn schließlich gefertigt, dafür hat jemand irgendwo auf der Welt seinen Lohn erhalten und ernährt seine Familie. So etwas Wertvolles sollte man nicht unbedacht missbrauchen. Sie fragen sich jetzt, warum ich überhaupt auf den Stuhl gestiegen bin, mit dem Strick um den Hals, der jetzt vom Dachbalken baumelt wie der Pendel einer Uhr, der Weltenuhr. Um ihnen das zu erklären, bin ich hier und habe mich gesetzt. Vor mir steht meine alte Schreibmaschine und ein großer Stapel Papier auf dem am Ende alles stehen wird. Ich werde dafür weit ausholen, damit sie verstehen warum mich diese Welt so deprimiert hat. Ich werde ihnen von Bekanntschaften erzählen, von Menschen denen ich begegnet bin und mit denen ich ein Stück gegangen bin. Lauter kleinere Schicksale in einer Welt, die so voller Unrecht und Misstrauen ist. Wo Menschen an falscher oder an zu geringer Nahrung sterben, in der Versprechen gegeben und gebrochen werden, in der Freiheit und Demokratie propagiert werden, aber Verfolgung und Auftragsmord herrschen, in der keiner dem anderen vertraut, sondern jeder jeden belauscht. Ich habe immer gezweifelt und bin bis heute überzeugt, dass der Mensch schlecht ist. Er ist nie zufrieden, solange er sieht, dass es anderen besser geht. Wobei alles was er selber nicht hat als besser bezeichnet wird, egal ob es das für einen selber tatsächlich auch wäre, egal was alles damit zusammenhängt. Einfach auch haben wollen ist die Devise. Eigentlich reicht den Meisten aber das auch noch nicht, es muss ein kleines wenig besser sein als das, was der Andere hat, der muss es sehen und er muss sichtbar leiden, das gefällt dem Menschen, warum auch immer. Da der Großteil der Menschen aber relativ wenig von dem hat was als Luxus bezeichnet wird, jammern sie wie schlecht es ihnen geht und die Medien machen gerne mit. So bejammert man sich jeden Tag auf vielen Sendern zum mit gucken, kranke Welt. Es gibt aber auch Menschen, die ihr Schicksal annehmen und damit leben und kämpfen, die zufrieden sind trotz aller Rück- und Tiefschläge, die sich nicht unterkriegen lassen wollen und gegen die Unzufriedenen anlächeln. Sie haben es nicht leicht wie alle Minderheiten überall auf der Welt. Sie werden ausgegrenzt, verfolgt oder an den Pranger gestellt. Ich habe viele getroffen die auf der Strecke geblieben sind. Die meisten von Ihnen hätten allen Grund gehabt aufzugeben, manche haben es getan, andere hat man weggesperrt und einige hat das Schicksal direkt mitgenommen. Wenn sie mögen erzähle ich ihnen von einem Menschen, der so viele kennengelernt hat, die er gar nicht kennenlernen wollte, damit sie verstehen warum ich in diesem Land der Jammernden auf den Stuhl steige und hoffe in einem anderen Leben auf fröhliche Wesen zu treffen, die ehrlich und respektvoll miteinander umgehen. Sicherheit gibt es dafür nicht. Seien sie mir am Ende nicht böse, es ist eine traurige Geschichte.
Leise plätschert das Rheinwasser an mir vorbei, die kleinen Wellen von den großen Booten klatschen Beifall am Ufer. Ich sitze auf einer Bank und höre ihnen zu. Ich rauche ein paar Zigaretten und genieße die Ruhe an diesem Morgen. Das Thermometer zeigt bereits 21 Grad und ich habe die Jacke ausgezogen. Ich bin vor drei Stunden aus meinem Schlafsack gekrochen, habe mich leise aus dem Zelt gestohlen in dem zwei weitere ihren Rausch ausschliefen. Ich hatte gestern auf ihr Zelt aufgepasst als sie loszogen um Geld zu beschaffen, dafür bekam ich was zu trinken und durfte mich mit ins Zelt legen. Heute wollte ich weiter, wir hatten uns nicht viel zu sagen, ich war ihnen zu jung, zu jung für die Straße, zu jung um zu bleiben. Also schlich ich mich raus, nahm meine Sachen und ging eine Stunde weiter, bis ich mich auf diese Bank setzte und den Morgen genoss. Ich gehörte auch nicht auf die Straße, nur ab und an nahm ich mir die Zeit, meinen Schlafsack und zog los. Übernachtete wo es eben ging und besah mir die Menschen. Nur konnte ich jederzeit zurück in mein Heim, in dem es mir ebenso gut ging. Ich hatte genug zum Leben und wahrscheinlich auch noch etwas mehr.
Ein junger Mann setzte sich zu mir und schaute aufs Wasser. Er war großgewachsen und sportlich gekleidet, aus seinen Augen liefen ein paar Tränen, sie waren hellblau und wirkten ängstlich. Ich mische mich nicht in andere Angelegenheiten und so schwiegen wir eine Weile und lauschten dem Applaus des Rheins. Nach einer Weile fing er an zu erzählen. „Wenn Du Zeit hast und zuhören kannst, dann erzähle ich Dir meine Geschichte, wenn Du mich unterbrichst, stehe ich auf und gehe und Fragen beantworte ich keine.“ Ich nickte nachdenklich, nachdem sich die erste Überraschung über den gehörten Satz gelegt hatte und sah aufs Wasser. Ich hatte Zeit und war im Zuhören geübt. „Ich erinnere mich an meinen vierten Geburtstag, mein Vater ging mit mir in den Keller in dem ich die folgenden vierzehn Jahre zubringen sollte. Freilich wusste ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es hieß, er habe ein Geschenk für mich dort unten. Meine Mutter, zumindest dachte ich zu diesem Zeitpunkt dass es sich um meine Mutter handelte, lag, glaube ich, auf der Couch und schlief, aber daran erinnere ich mich nicht mit Sicherheit. Zumindest ließ sie mich mit Vater in den Keller gehen und holte mich erst vierzehn Jahre später wieder raus. Als wir unten ankamen fragte ich, wo denn mein Geschenk nun sei, dazu drehte ich mich um. Vater stand mit dem Rücken zu mir an der Tür und fummelte am Schloss rum, ich begriff nicht, wollte aber unbedingt mein Geschenk sehen. Vater drehte sich um und lächelte mich an, du wirst es gleich bekommen, kam es von seinen Lippen, die komisch lächelten. Er sagte, dass ich in meinem Geschenk stehen würde, es wäre das Zimmer, das jetzt meines wäre. Ich sah mich um und tatsächlich in der Ecke stand ein Bett und in einer anderen war eine Toilette auf die ich plötzlich musste. Ich fragte, ob ich sie benutzen dürfe und Vater lachte. Natürlich, es wäre ja nun meine Eigene, sprudelte es aus ihm heraus. Er ging zu einer Wand, an der eine Kette angebracht war. Er nahm sie in die Hand und ich sah eine Art Armreif an einem Ende. Er nahm dieses Ende und kam damit zu mir, die Kette rasselte auf dem Boden, ich starrte ihn an, dann nahm er meinen linken Arm und schon klickte der Armreif, der sich als Handschelle herausstellte, um meinen kleinen Arm. Vater sagte, dass alles was ich jetzt erreichen könne mir gehört, was ich sonst noch brauche würde er mir bringen. Dann ging er mit mir zum Bett und setzte sich neben mich, er nahm meine Hand und legte sie sich in den Schritt, er sagte er würde bald wieder kommen und wir würden dann viel Spaß haben. Er ging und schloss hinter sich die Kellertür zu. Ich hörte wie sich der Schlüssel im Loch drehte, ich atmete schwer und verstand gar nichts mehr. In einer Ecke standen meine Spielsachen aus meinem Zimmer, bisherigen Zimmer. Ich war es gewohnt alleine zu spielen, von daher hatte sich nicht viel verändert. Ich hatte nie Besuch von anderen Kindern und ich ging auch nicht in den Kindergarten. Irgendwie hatte es auch etwas Gutes, hier unten hört man nicht, wenn sich Vater und Mutter streiten und er sie verprügelt, das brauchte ich nicht mehr miterleben. Doch leider war ich hier unten meinem Vater völlig ausgeliefert, mich hörte auch keiner mehr, da konnte ich schreien wie ich wollte, und Vater gab mir in den nächsten Tagen viele Gründe zum Schreien. Wenn Vater da war hörte ich auf zu essen, ich traute mich nicht mehr auf die Toilette, es kam so viel Blut und die Schmerzen waren kaum auszuhalten. Manchmal waren die Pausen zwischen seinen Besuchen so groß, dass ich anfing an Normalität zu glauben und dann kam er manchmal drei oder viermal an einem Tag zu mir runter. Manchmal brachte er noch jemanden mit, dann war es am schlimmsten. Das Schlimmste, so im Nachhinein betrachtet war, dass ich all das für normal hielt. Ich wusste nicht, dass es in anderen Familien anders war, woher auch, ich kannte ja keine anderen Familien. Als ich sechs Jahre alt wurde brachte mir mein Vater Schulbücher mit, die ich durcharbeiten sollte. Er prüfte mich mit kleinen Tests, die ich alle bestand. Das Lernen brachte mir eine angenehme Abwechslung und ich hatte mich an die körperlichen Qualen gewöhnt. So ging es weitere Jahre und ich lebte in meinem Keller und Vater sagte mir eines Abends, an dem er sich wieder an mir vergangen hatte, dass meine schulischen Leistungen erstklassig seien und ich hätte bereits ein Schuljahr übersprungen. Er streichelte mich am Kopf und ging durch die Kellertür, es sollte das letzte Mal sein, das ich ihn sah. Ich hatte vergessen dass es im Leben auch eine Mutter gab. Ich hatte keine mehr seitdem ich in diesem Keller war. Die Tage vergingen und ich lernte mit Hilfe der Bücher, doch ich näherte mich den letzten Seiten und erschrak. Ich hatte seit einigen Tagen nichts Frisches mehr für meinen Kühlschrank bekommen und die letzte warme Mahlzeit lag ebenfalls schon mehrere Tage zurück. Was war geschehen? Zu Trinken hatte ich, zumindest Wasser aus der Leitung, trotzdem war es in all den Jahren nicht vorgekommen, dass Vater mich so lange nicht besuchte, ich wusste nicht ob ich mir Sorgen machen sollte. Ich wusste ja nicht einmal was Sorgen sind. Ich hatte ein Gefühl, dass man laut den Büchern als Angst bezeichnen durfte. Ich schritt immer unruhiger durch mein kleines Reich. Irgendwann überwand ich mich und klopfte zaghaft an die Kellertür, doch ich wusste, dass mich keiner hören würde. Ich fing an schlecht zu schlafen und der Hunger wurde allmählich größer. Es mussten inzwischen zehn oder zwölf Tage vergangen sein, als ich ein Geräusch an der Tür hörte, ich sprang von meinem Bett und zitterte am ganzen Körper, die Normalität der vergangenen Jahre hatte mir Sicherheit gegeben, doch die war wie weggeblasen. Ich hörte wie verschiedene Schlüssel ins Kellertürschloss gesteckt wurden und dann wieder hinausgezogen, keiner schien zu passen. Ich kauerte mich in die hinterste Ecke und wartete. Dann knackte es und der Schlüssel drehte sich im Schloss, langsam ging die Tür auf und ein mir bekanntes männliches Gesicht schob sich durch den Spalt, von weiter hinten hörte ich eine weinerliche Frauenstimme, die fragte, ob er noch lebte, wahrscheinlich meinte sie mich. Das Gesicht nickte, weil es mich erblickt hatte. Es war einer der Männer, die Vater ein paarmal mitgebracht hatte. Er kam durch die Tür und schloss sie hinter sich, die Frauenstimme blieb draußen. Er kam langsam auf mich zu und setzte sich dann auf mein Bett. Er sah mich an und sagte, dass ich mir jetzt keine Sorgen mehr machen bräuchte, er würde weiter für mich Sorgen. Ich verstand nicht und schaute ihm fragend in die Augen. Er senkte den Blick und sagte, dass der Pastor bei einem Thailand Urlaub ums Leben gekommen sei und er sich gefragt hat, ob denn außer ihm noch jemand von mir wusste und hat die Haushälterin gebeten ihm die Schlüssel zu geben, damit er sich um mich kümmern könne. Als ich ihn fragte, ob er meine Mutter meine, da lachte er. Meine Mutter kenne er nicht und auch meinen Vater würde er nicht kennen. Der Pastor hätte mich wohl bei sich aufgenommen, nachdem ich vor der Kirche abgelegt worden war. Die Haushälterin war eine Drogenabhängige die nicht mal sicher war, dass es hier im Keller einen Jungen gäbe, die habe eigene Sorgen mit dem überleben. Jetzt würde aber alles gut werden und er würde sich fortan um mich kümmern. Ich hörte auf zu zittern und glaubte wieder in der Normalität angelangt zu sein. Ich setzte mich zu dem Mann auf mein Bett und nahm seine Hand. Er war vorsichtig mit mir und es war alles wie immer. Bevor er ging sagte ich ihm noch, dass ich die Schulbücher für das neue Schuljahr bräuchte, er lachte beim raus gehen. Im Grunde hatte sich nicht viel verändert, ich bekam meine Bücher, allerdings nur Naturwissenschaftliche, über das normale Leben sollte ich nichts wissen und so hielt ich mein Leben weiter für normal. Mit den Besuchen wurde es allerdings anders, immer öfter wurde ein fremder Mann zu mir gelassen, der dann nach einer Stunde wieder raus gelassen wurde. Mir wurde ein paarmal erklärt wie ich mich zu verhalten hätte und auf welche Wünsche ich wie einzugehen hatte. Wenn ich meine Sache gut machen würde, gäbe es eine Belohnung. Die Belohnung war dann meistens ein besonderes Essen, ein großes Eis oder neue Bücher, über die ich mich am meisten freute. So gingen weitere Jahre ins Land und ich hörte nach einiger Zeit auf meinen Vater zu vermissen. Ich schrieb ein paar wissenschaftliche Arbeiten und eines Tages kam der Mann mit einer Auszeichnung zu mir und einer Einladung zu einem Kongress, auf dem ich über meine Arbeit berichten sollte. Ich fragte, was denn ein Kongress sei und der Mann sagte, dass dort viele Männer in einem Saal sitzen würden und mich anschauen und mir zuhören wollten, hinterher würden alle zu mir kommen, um mit mir zu reden. Bei der Vorstellung bekam ich Angst, was Männer von mir wollten wusste ich ja genau, ich sagte, dass ich nicht zu diesem Kongress wolle. Der Mann meinte, dass es schwierig sei, man müsse mich jetzt langsam an die Öffentlichkeit bringen. Er würde auf mich aufpassen, ich dürfte nur auf gar keinen Fall ohne ihn auf irgendwelche Fragen antworten. Es wäre absolut wichtig mein bisheriges Leben geheim zu halten. Ich verstand nicht und wollte darüber nachdenken, er ging. Ich sollte also meinen Keller verlassen, die Handschelle war schon lange nicht mehr an meinem Arm, aber ich wollte sowieso nicht weg. Mir reichte was ich hatte und noch mehr Männer wollte ich auf keinen Fall sehen. An meinem neunzehnten Geburtstag kam meine Mutter, nein die Haushälterin des Pastors zu mir in den Keller und legte mir ein paar neue Kleider hin. Sie sagte ich solle das mal anziehen, man würde mich bald abholen kommen. Sie betrachtete mich und meinte das ich groß geworden sei und ein hübscher Junge, dann ging sie wieder. Eine Weile später kam der Mann und meinte, ich solle einen Stoffsack über meinen Kopf machen, er würde mich mitnehmen, doch ich müsse mich langsam ans Tageslicht gewöhnen, also tat ich es. Ich stolperte hinter ihm hergezogen die Treppen nach oben und erkannte das Knarren wieder. Dann traf mich etwas Warmes, es ging überall durch mich durch und ich fing an zu schwitzen, dann war es wieder weg. Ich wurde auf einen Sitz geschoben, der gepolstert war und hinter mir knallte eine Tür, aus der anderen Richtung ging eine auf und jemand drehte mich auf dem Sitz von sich weg und zog meine Arme auf den Rücken, er band meine Hände locker zusammen und verschwand dann wieder. Nun klappte eine Tür vor mir und der Sitz ruckelte kurz, es gab ein Brummen und wir schienen uns zu bewegen. Ich musste in einem Automobil sitzen und was ich hörte musste der Motor sein, ich war fasziniert. Wir fuhren eine ganze Weile, wie lange kann ich nicht sagen, Faszination schlägt Zeitgefühl. Als wir anhielten war ich wie berauscht, die Tür ging auf und eine Hand zerrte mich von dem Sitz, ich fiel auf etwas Weiches. Eine Stimme sagte, ganz dicht an meinem Ohr, es wäre nun soweit, ich sei auf mich allein gestellt. Die Vergangenheit müsse nun ruhen und sollte ich versuchen ihn zu finden, würde mir das nicht sonderlich gut bekommen. In dieser Welt gebe es für jeden einen Zeitpunkt an dem man einen Schnitt macht und mit dem Leben beginnt, dieser sei nun bei mir gekommen. Anschließend bekam ich noch einen Tritt in die Seite und etwas Hartes traf mich am Kopf, so dass ich das Bewusstsein verlor. Als ich wieder zu mir kam waren meine Hände frei und auch mein Kopf steckte in keinem Sack mehr. Wieder durchströmte mich diese Wärme, ich schlug die Augen auf und kniff sie gleich wieder zusammen. Ich lag auf einer Wiese vor einem Kiefernwald, die Sonne schien auf mich herab. Neben mir ein paar tiefe Furchen, die mussten von dem Auto sein, das mich hierher gebracht hat. Was sollte ich jetzt machen, Neben mir lag eine Tasche, darin war eine Brotdose und eine Flasche Wasser. Außerdem lag dort meine Ausarbeitung und die Einladung zu dem Kongress. Doch da ich nicht wusste was wir für ein Datum hatten, wusste ich auch nicht ob der Kongress bereits war oder nicht. Zum Anderen hatte ich keine Ahnung wo ich war und wo überhaupt irgendetwas war, ich hatte das erste Mal außerhalb meiner Bücher einen Wald vor mir. Ich ging los, ziellos auf den Wegen, die sich vor mir ausbreiteten und sah dann erst einen Fluss und später Häuser in der Entfernung, das musste eine Stadt sein. Ja es war eine und es war eine Große. Ich ging durch die Straßen und wunderte mich über all die Kinder die überall umherliefen und dann die vielen Frauen, ich kannte bis jetzt nur Männer. Nun kannst Du dir sicherlich vorstellen, dass ich relativ ängstlich war und nicht wusste was ich tun sollte. An dem Schild am Rande der Stadt erkannte ich das hier der Kongress stattfinden sollte und an einem Zeitungsstand wusste ich dann, dass mein Termin am nächsten Tag war. Somit hatte ich ein Ziel, auch wenn ich nicht wusste was ich mit diesem Ziel anfangen sollte, so hatte ich doch irgendwie keine andere Wahl. Ich erkundigte mich also wo dieses Hotel war, in dem der Kongress stattfand und ging direkt dorthin. Ich ging durch die große Glastür und schaute mich in dem riesigen Raum um. Als ich gefragt wurde, ob man mir helfen könne, sagte ich meinen Namen und zeigte die Einladung. Man fragte mich, ob ich ein Zimmer gebucht hätte, was ich verneinte, trotzdem gab man mir eines und ein junger Mann begleitete mich dorthin, verwundert sah ich das er an der Tür kehrt machte und mir einen angenehmen Aufenthalt wünschte. Ich legte mich auf das Bett und schlief auf der Stelle ein. Ich schreckte hoch als es an der Zimmertür klopfte, ich strich mir durchs Haar und streifte meine Kleider ein wenig glatt, dann ging ich zur Tür. Der Herr vor der Tür stellte sich als Professor irgendwer vor und fragte, ob er kurz mit mir reden könne, ich ließ ihn rein. Er fragte mich ein paar fachliche Sachen zu meinem Vortrag, auf die ich offensichtlich passende Antworten hatte, wir diskutierten das eine und andere bis er fragte, was denn meine Eltern machen würden und dass die ja mächtig stolz auf mich sein müssten. Ich verstand erst nicht und versuchte mir eine schnelle Strategie zu überlegen und sagte meine Eltern seien in Thailand ums Leben gekommen und ich habe die Zeit alleine in meinem Keller zugebracht, den hatte mein Vater mir zu meinem vierten Geburtstag geschenkt. Der Professor sah mich verständnislos an und meinte kurzerhand, dass er gehen müsste, wir würden uns am nächsten Abend sehen, er ging. Als ich am nächsten Tag an der Rezeption vorbeikam fragte man mich wie lange ich bleiben wolle und wie ich gedenke zu bezahlen. Beide Fragen waren ein wenig zu viel für mich und ich zuckte die Schultern und ging durch die Glastür. Als ich am Nachmittag wieder kam erwartete man mich offensichtlich bereits. Zwei Uniformierte standen vor meinem Zimmer und baten mich mitzukommen. Ich sagte ihnen, dass ich am Abend aber wieder hier sein müsse, man erwarte einen Vortrag von mir, der eine Beamte nickte und so ging ich mit. Auf der Polizeiwache wollte man meine Personalien aufnehmen und fragte mich nach meinem Namen, ich sagte ihnen den, den ich kannte, doch sie schüttelten den Kopf. Der Name sei nirgends registriert, ich sollte jetzt langsam mal mit der Wahrheit rausrücken, sonst müssten sie mich da behalten. Daraufhin erzählte ich ihnen wer ich meiner Meinung nach sei und wie ich meine letzten vierzehn Jahre verbracht habe, sie glaubten mir kein Wort. Es wurde langsam Abend und ich hatte mich nach dem Gespräch mit dem Professor auf den Abend gefreut und war am Tage draußen am Fluss meine Ausarbeitung nochmal durchgegangen, doch jetzt schien das alles wieder in weiter Ferne zu sein. Plötzlich stand der Professor im Raum, er sagte er würde mich mitnehmen und dafür garantieren, dass ich nicht abhaue, wie er sich ausdrückte, das Hotelzimmer sei bezahlt und sonst sei ja noch kein Schaden entstanden. So fuhr ich mit dem Professor zurück zum Hotel, dort entschuldigte man sich bei mir und ich hielt am Abend einen Vortrag der mit viel Beifall endete. Anschließend stürmten viele Menschen und es waren nicht nur Männer, nein auch Frauen, auf mich zu und feuerten unendliche Fragen auf mich ab. Irgendwann kam der Professor dazwischen und brachte mich in einen Nebenraum. Wir setzten uns und er fragte, was denn das nun eigentlich für eine Geschichte mit meinem Namen und meinen Eltern sei. Ich sagte ihm, dass ich darüber nicht reden könne, es sei schmerzhaft, aber Vergangenheit und das sei gut so, er nickte. Irgendwie müssen wir das aber der Polizei klar machen, er wolle sich darum kümmern und dann wollte er wissen, was ich denn nun eigentlich vorhätte. Ob ich nicht an seine Universität kommen wolle. Dort könne ich an meinen Theorien weiter arbeiten und Vorlesungen abhalten, damit hätte ich ein geregeltes Einkommen. Ich wusste zwar nicht so recht was er meinte, nahm aber gerne an. Und nun stehe ich oft auf dem Unigelände rum und genieße die herrliche Luft, die Stimmen der jungen Frauen und die Wärme der Sonne. Mein Leben ist lebenswert geworden, auch wenn ich weiß, das man mir Unheil angetan hat, doch Einen hat die gerechte Strafe ja ereilt und der Andere hat mich am Ende ja befreit, wenn auch wahrscheinlich nur, weil er mit mir nichts mehr verdienen konnte.“ Der junge Mann stand auf, bedankte sich kurz und ging dann Richtung Rheinbrücke. Ich sah noch, wie er große Steine aus seinen Hosen- und Jackentaschen nahm und in die Büsche schmiss, das Erzählen hat ihm wohl
gut getan und das Leben vorerst gerettet. Ich blieb noch eine Weile sitzen und ein junges Paar kam vorbei und jammerte lauthals darüber wie schwierig es sei die richtigen Schuhe zu finden für den blöden siebzigsten Geburtstag der Oma, ich stand auf und ging in die andere Richtung.
Tief in Gedanken versunken ging ich eine Zeit lang am Rheinufer entlang, bis zu einer Autobrücke auf der blieb ich stehen und schaute den Schiffen zu, wie sie ihre Wellen schlugen. Ich ging die Geschichte des jungen Mannes nochmal durch. Er hatte seine ganze Jugend in diesem Keller verbracht und wusste nicht was ihm alles entgangen ist, doch er kannte es ja nicht anders, würde er ohne die Erfahrungen, die man in dieser so wichtigen Zeit macht, in dieser Welt eine Chance haben. Er wirkte intelligent, aber er hatte ja nur das Wissen aus Büchern, vom Zwischenmenschlichen kannte er nur das Ausgenutzt werden von seinem angeblichen Vater, alles Andere war ihm fremd. Würde es fehlen oder konnte man so zurechtkommen? Zumindest hatte er ein Lächeln auf dem Gesicht als er gegangen war. Es hatte ihm offensichtlich gut getan Alles zu erzählen, wahrscheinlich war es das erste und letzte Mal, dass er über seine Vergangenheit sprach. Sollte er zur Polizei gehen, sicher konnten die herausfinden wo er eingesperrt war und dann eventuell auch die Haushälterin und den anderen Mann ausfindig machen und diese zur Rechenschaft ziehen, aber würde ihm das helfen. Der angebliche Vater war tot und würde nun die Strafe vom Schöpfer erhalten, wenn es die gab, oder ist das nur eine Ausrede der Kirche und es gibt keine Hölle in die solche Menschen nach ihrem Tod einfahren müssen, vielleicht gibt es ja für alle nur das Paradies. Das kann einem bis zum heutigen Tag keiner mit Sicherheit sagen und das ist auch gut so. Gibt es die Hölle mit Sicherheit würde sich die Menschheit nahezu geschlossen nach ihrem Tod dort tummeln und die meisten würden mit grauenvoller Angst sterben. Gibt es sie mit Sicherheit nicht, wäre die Wahl des Freitodes für viele eine viel zu frühe Lösung. Ich überlegte, ob ich ein wenig im Internet forschen sollte, welcher Priester in den letzten Jahren in Thailand ums Leben gekommen sei und behielt diese Option im Hinterkopf. Ich ging von der Brücke und wollte aus der Stadt. Ich ging zur Autobahnauffahrt und stellte mich mit dem Daumen im Wind an den Rand.
Besucher
Eine Stimme, hinter mir, oder vielmehr von überall her, fragte mich was ich denn jetzt hier machen würde. Ich erschrak und drehte mich in alle Richtungen, doch es gab keine Person zu der Stimme. Was hatte das zu bedeuten, war ich irre, fing ich an Stimmen zu hören, ich fiel auf mein Knie und musste mich sammeln, ich hatte das Gefühl mich jeden Moment übergeben zu müssen, fing mich aber rechtzeitig selber wieder auf und setzte mich ins Gras am Rand. Ich überlegte, ob ich eine Frage stellen musste und tat es, ich wollte wissen ob jemand da sei. Die Antwort kam schnell, da ich fragte muss ich ja wohl etwas gehört haben, also muss ja wohl jemand da sein, die Frage sei ein wenig befremdlich, klärte die Stimme mich auf. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu erinnern, ob ich die Stimme kannte, doch war sie ein wenig wie durch einen Nebel gesprochen und daher nicht so klar, trotzdem kam sie mir ein wenig bekannt vor und dann erschrak ich. Es war die Stimme des Jungen von eben, ich wurde bleich. Du hast mich also erkannt, stellte die Stimme fest und atmete aus. Zumindest hörte ich das Geräusch, das entsteht wenn man tief ausatmet.“ Ich habe Dich gefragt was Du hier tust, hast Du mir denn eben gar nicht zugehört, sollte Dein Weg nicht zur Polizei sein, um eine Anzeige zu erstatten, wo willst Du denn jetzt hin“, hörte ich aus dem Nichts. „Was soll ich denn bei der Polizei, ich kenne ja nicht einmal Deinen Namen und wer sagt mir denn, das es sich bei dem was Du mir erzählt hast um eine wahre Geschichte handelt“, stellte ich in den Raum. „Du glaubst so etwas kann es nicht geben, wie naiv bist Du denn, habe ich mir einen Trottel ausgesucht, dem ich meine Geschichte erzähle, helfen sollst Du mir und nicht weglaufen.“ Ich fühlte mich ein wenig vor den Kopf gestoßen und sagte: „nun mach aber mal halblang, ich kenne Dich doch überhaupt nicht, ich weiß nicht wo Du herkommst, ich kenne nicht einmal Deinen Namen, selbst wenn ich wollte könnte ich ja doch nichts unternehmen.“ „Ach so leicht ist das, gibt es denn kein Internet wo man sich mal auf die Suche machen kann, ich glaube schon, dass Du da was herausbekommen könntest, womit Du dann zur Polizei gehen kannst.“ Ich schluckte und sagte ihm, dass er verschwinden soll, ich hatte mich zwar bereit erklärt ihm zuzuhören und das habe ich auch getan, und meine Gedanken habe ich mir auch gemacht, aber das war es dann auch und jetzt solle er mich gefälligst wieder in Ruhe lassen, ich hätte meine eigenen Sorgen. „Du wirst von mir hören, ganz bestimmt“, die Stimme schien sich zu entfernen, sie wurde immer leiser und ich sah mich nochmal in alle Richtungen um, aber niemand war zu sehen.