Jörg Maywald/Bernhard Schön (Hrsg.)

Krippen: Wie frühe Betreuung gelingt

Fundierter Rat zu einem umstrittenen Thema

 

 

 

 

Impressum

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Copyright © Verlagsgruppe Beltz, Julius Beltz GmbH & Co. KG

ISBN der Printausgabe: 978-3-407-85861-0

E-Book ISBN: 978-3-407-22423-1

Einführung

Es gibt immer mehr Krippenplätze in Deutschland. Die Bundesregierung plant, in den kommenden fünf Jahren für etwa jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Platz in einer Krippe oder Tagespflegestelle vorzuhalten. Mit der quantitativen Zunahme dieser Betreuungsform geht eine aufgeladene Debatte um Nutzen und Gefahren einher. In diesem »neuen Krippenkrieg« wird mit harten Bandagen gekämpft. Den Versprechungen um »bessere Förderung« der Kinder und »mehr Gleichberechtigung« zwischen Männern und Frauen stehen die Warnungen vor »Fremdbetreuung« und »folgenreicher Mutterentbehrung« gegenüber. Der Idealisierung auf der einen entspricht eine Verteufelung nichtelterlicher Betreuung auf der anderen Seite. Der dabei geführte Kampf um Begriffe ist umso unübersichtlicher, als beide Seiten versuchen, die Orientierung am Kindeswohl für sich zu reklamieren.

Die Diskussion darüber, was Kindern in den ersten Lebensjahren in puncto Betreuung guttut, ist auch deshalb so aufgeregt, weil sie vor dem Hintergrund jeweils unterschiedlicher Lebenserfahrungen und verallgemeinernder Zuschreibungen geführt wird. Der Hinweis auf das tagsüber in einer Krippe aufgewachsene Kind, das sich zu einem erfolgreichen und einfühlsamen Erwachsenen entwickelt habe, fehlt in den Auseinandersetzungen meist ebenso wenig wie die Hochachtung vor der Hausfrau und Mutter, die durch Verzicht auf Selbstverwirklichung eine gesunde Entwicklung ihrer Kinder angeblich erst ermöglicht hat.

Auf der gesellschaftlichen Ebene erinnern die Auseinandersetzungen an erstarrte Positionen zu Zeiten des Kalten Krieges. Gegen den Vorwurf der Kollektiverziehung in staatlich gelenkten Kinderkrippen wird der Blut-und-Boden-Verdacht einer konservierten Mutterideologie in Stellung gebracht. Dabei fällt auf, dass diese harsche Auseinandersetzung so eigentlich nur in Deutschland geführt wird: Andere europäische Länder gehen sehr viel pragmatischer mit der Frage um, ab wann und unter welchen Bedingungen Kinder außerhalb ihrer Familie betreut werden sollten.

Bei näherem Hinschauen wird deutlich, dass es zum Ausbau der Krippenbetreuung in Deutschland keine sinnvolle Alternative gibt. Besonders im dritten und auch schon im zweiten Lebensjahr profitieren Kinder von dem Zusammensein mit Gleichaltrigen in einer anregungsreichen Umgebung. Von Voraussetzungen also, die für viele Kinder im häuslichen Milieu nicht (mehr) vorhanden sind. Und auch aus Sicht der Eltern ist ein Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für Kinder in den ersten drei Lebensjahren dringend erforderlich. Sofern nämlich im Anschluss an die Elternzeit keine Betreuungsplätze zur Verfügung stehen, lautet für viele junge Frauen und Männer die Alternative, ganz auf Kinder zu verzichten.

Was dringend nottut, ist ein realistischer Blick auf die Chancen, aber auch auf die Risiken von Krippenerziehung. Erst wenn es gelingt, jenseits ideologischer Positionen die Realität von Krippen in den Blick zu nehmen, kann ermessen werden, was Kindern unter welchen Bedingungen guttut und was nicht. Für eine solche nüchterne Betrachtung versammelt dieses Buch die Forschungsergebnisse und fachlichen Positionen ausgewiesener Wissenschaftler und Praktiker. Aktuelle Erkenntnisse aus Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung, Frühpädagogik und Sozialwissenschaften werden ebenso berücksichtigt wie Erfahrungen und zukunftsweisende Konzepte aus der Praxis. Ausgangs- und Orientierungspunkt aller Beiträge sind die Bedürfnisse und Rechte der in Krippen betreuten Kinder. Deren Interesse und Wohl mit Vorrang zu berücksichtigen ist Aufgabe gleichermaßen von Eltern, Fachkräften, Wissenschaft und Politik. Übersichten und Checklisten erleichtern die Entscheidung für die Eltern.

Unser Buch versteht sich als Plädoyer für einen bedarfsgerechten Ausbau der Krippenbetreuung, der sich an fachlich anerkannten und politisch abgesicherten, überprüfbaren und regelmäßig zu überprüfenden Qualitätsstandards orientiert. Die Realität sieht allerdings häufig anders aus. Vielerorts wird Krippenbetreuung durch Umwidmung bestehender Einrichtungen »aus dem Boden gestampft«, ohne dass konzeptionell, personell und räumlich die notwendigen Voraussetzungen geschaffen sind. Damit Kinder tatsächlich von Krippen profitieren können, bedarf es noch großer Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen, von der Schaffung struktureller Voraussetzungen über Aus- und Weiterbildung des Personals bis hin zu Information und Beteiligung der Eltern. Selbstverständlich sind dafür erhebliche finanzielle Mittel erforderlich, die allerdings gut angelegt wären, denn gegenüber dem sekundären und tertiären Bildungsbereich wendet Deutschland für den Bereich der frühen Bildung auch im internationalen Vergleich nur relativ geringe Mittel auf.

Bei der Schreibweise haben wir uns für den Begriff Erzieherinnen entschieden: Im Krippenbereich stellen sie fast 100 Prozent des Personals. Wie sich das ändern kann, dazu gibt es in diesem Buch ebenfalls Überlegungen.

Wir danken den Autorinnen und Autoren für ihre Bereitschaft, an dem Buch mitzuarbeiten, und dem Beltz Verlag, vor allem Dr. Claus Koch, dafür, dass dieses aktuelle Thema kurzfristig ins Programm genommen und mit allen Kräften unterstützt wurde.

 

Jörg Maywald und Bernhard Schön

 

Jörg Maywald

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Krippenerziehung in Deutschland – eine Bestandsaufnahme

Neuer Streit um ein altes Thema

Krippen sind im Gespräch. Und dieses Gespräch ist von heftigen Emotionen geprägt. Die Debatte über Krippenerziehung in Deutschland ist aufgeladen, häufig polarisiert. Während die einen nur die Potenziale sehen, entdecken die anderen vor allem die Risiken.

Worum geht es? In erster Linie natürlich um die Kinder zwischen null und drei Jahren, auch wenn deren Perspektive oft aus dem Blick gerät, vor allem, weil sie sich selbst nicht öffentlich zu Wort melden können. In zweiter Linie sind die Eltern betroffen, denen das Wohlergehen ihres Kindes am Herzen liegt und von denen immer wieder neue Entscheidungen verlangt werden, wie sie die bestmögliche Förderung und den Schutz des Kindes vor Überlastungen mit ihren eigenen Lebens-, Arbeits- und Beziehungsrealitäten und ihren Wünschen nach Zufriedenheit und Wohlsein in eine günstige Balance bringen können. Nicht zuletzt geht es – ohne dass dies immer ausreichend bewusst wird – in der Debatte um uns alle, sind wir doch alle einmal kleine Kinder gewesen und haben diese Zeit in einem jeweils spezifischen Betreuungssetting verbracht. Auch wenn wir an diesen meist weit zurückliegenden Lebensabschnitt keine Erinnerungen haben, so verbinden wir mit ihm doch in der Regel eine dezidierte Meinung.

Kaum ein anderes politisches Thema liegt so sehr an der Schnittstelle zwischen Privatheit und Öffentlichkeit und ist daher so sehr geprägt von den eigenen Erfahrungen bzw. von dem, was dafür gehalten wird, wie eben die Debatte über frühkindliche Betreuung. Immer wieder ist dabei eine Tendenz zur Idealisierung der eigenen und zur Geringschätzung der jeweils anderen Erfahrungen erkennbar. Die einen – vor allem im Osten Deutschlands – haben einen wichtigen Teil ihres Kinderlebens in der Krippe verbracht und verweisen darauf, wie sehr ihre Eltern und sie selbst von diesem Arrangement profitiert haben; andere – überwiegend im Westen der Republik – führen ins Feld, dass die ausschließliche Betreuung durch die Mutter in den ersten Jahren bei ihnen den Grundstein für persönliches und berufliches Glück gelegt habe. Wer den eigenen Standpunkt erkunden oder den anderer Menschen verstehen will, sollte (sich) daher zunächst fragen, welche biografischen Erfahrungen er oder sie in puncto frühe Tagesbetreuung vorweisen kann. Und auch Antworten auf die explizit gestellte Frage, ob das jeweilige Gegenüber ein eigenes Kind in die Krippe geben würde, sagen bereits viel aus über den persönlichen Background, der die Haltung zur Krippenfrage in aller Regel wesentlich bestimmt.

Die Streitpunkte

Der Streit um Krippenerziehung beginnt oft schon damit, dass keine Einigkeit über die Ebene des Problems besteht. Geht es um arbeitsmarktpolitische Fragen oder darum, Kinder mehr und früher mit Gleichaltrigen in Kontakt zu bringen? Soll geklärt werden, inwieweit der Ausbau von Betreuungseinrichtungen die beruflichen Chancen von Frauen erhöht, oder zielt die Diskussion darauf, ob Krippen einen Beitrag zur Verbesserung frühkindlicher Bildung leisten? Eine solche in vielen Auseinandersetzungen immer wieder anzutreffende Vermischung der Diskussionsebenen bringt es mit sich, dass einzelne, für sich genommen wichtige Aspekte aus dem Zusammenhang gerissen und frontal gegeneinandergestellt werden. Dies führt dann dazu, dass bspw. eine Neubestimmung der Rolle von Müttern und Vätern gegen die Trennungsempfindlichkeit kleiner Kinder oder die Chancengerechtigkeit durch frühe Bildung gegen die Kritik an der fortschreitenden Vergesellschaftung von Erziehung ausgespielt werden. Das Ergebnis solcher in der Regel frustrierender Diskussionen sind Entweder-oder-Positionen, bei denen bedenkenswerte Einwände abgewiegelt, Ambivalenzen nicht wahrgenommen und alte Ideologien transportiert oder neue geschaffen werden.

Demgegenüber muss darauf bestanden werden, dass sämtliche im Zusammenhang mit Krippenerziehung bedeutsamen Argumente aufgegriffen und geprüft sowie im Zusammenhang mit anderen wichtigen Aspekten abgewogen und bewertet werden müssen. Erziehung in der Krippe ist ein mehrdimensionales Geschehen, bei dem – in jeweils unterschiedlicher Gewichtung – die Perspektiven des Kindes, der Eltern und des Personals ebenso eine Rolle spielen wie Konsequenzen für die Rolle der Familie, den Arbeitsmarkt, die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes. Gerade weil hier alles mit allem zusammenhängt, ist es wichtig, die unterschiedlichen Aspekte auseinanderzuhalten, für sich genommen zu prüfen und anschließend in einer Gesamtschau zu bewerten.

Die Perspektive des Kindes

Einigkeit besteht darüber, dass in den ersten drei Jahren wichtige Weichen für das gesamte weitere Leben gestellt werden. Das Gefühl des Kindes, uneingeschränkt willkommen zu sein, anerkannt zu werden und etwas bewirken zu können, schafft die Grundlage für ein positives Selbstwertgefühl als Voraussetzung für gelingende (Selbst-)-Bildungsprozesse. Einig sind sich alle auch darüber, dass die Zeit der frühen Kindheit diejenige Lebensphase mit der bei weitem größten Lernfähigkeit ist. Kinder sind die besten Lerner der Welt, und zwar umso mehr, je jünger sie sind. Nie wieder ist ein Mensch im Leben so neugierig und offen, so lernfähig und kreativ wie in den ersten Jahren. Schließlich findet ungeteilte Zustimmung, dass Lernen besonders in den frühen Jahren in soziales Miteinander eingebunden ist und dass es daher sicherer Bindungen bedarf, damit ein Kind zuversichtlich und erfolgreich Schritt für Schritt in die Welt hinausgeht.

Aus Sicht des Kindes spricht für eine Betreuung in der Krippe, dass Kinder hier auf eine angereicherte und kindgemäße Umgebung treffen, in der sie mit anderen Kindern zusammen sein können und auf liebevolle und pädagogisch geschulte Erwachsene treffen, die für sie in Ergänzung zu den Eltern zu bedeutsamen Bezugspersonen werden. Voraussetzung dafür ist, dass der parallel sich vollziehende Aufbau sicherer Bindungen an die Eltern nicht beeinträchtigt wird und die Krippe notwendigen Qualitätsanforderungen in puncto Orientierungsqualität (Orientierung des Konzepts an den Bedürfnissen und Rechten der Kinder), Strukturqualität (u. a. Ausbildung des Personals, Gruppengröße, Erzieherinnen-Kind-Schlüssel, Ausstattung) und Prozessqualität (u. a. Eingewöhnung, pädagogische Aktivitäten, Erziehungspartnerschaft mit den Eltern) genügt. Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann die Betreuung in einer Krippe als günstige Erweiterung der Erfahrungen des Kindes gesehen werden und gut für die Sozialisation sein. Dies gilt insbesondere für Einzelkinder. Für Kinder aus wenig liebevollen, anregungsarmen und problemreichen Elternhäusern kann die Krippenbetreuung darüber hinaus in gewissem Umfang kompensierend wirken. Denn diese Kinder »erfahren in guten Krippen unter günstigen Voraussetzungen vielleicht sogar eine zuverlässige, liebevolle und wertschätzende Beziehung zu einem neuen Erwachsenen, eine Erfahrung, die ihnen im Elternhaus möglicherweise vorenthalten bleibt« (Grossmann 1998, S.12). Eine korrigierende Rolle kann die Krippe auch in isoliert lebenden Familien mit hohem Intimitätsdruck einnehmen, in denen die Mutter (seltener der Vater) dazu neigt, das Kind an sich zu fesseln oder in eine Partnerersatzrolle zu drängen. Aus Sicht des Kindes kann Krippenbetreuung hier eine befreiende Wirkung haben, der übermäßig kindfixierten Betreuung durch die Mutter bzw. den Vater zu entgehen und die Chance zu nutzen, sich in erweiterten sozialen Interaktionen auszuprobieren.

Krippenbetreuung ist aus Sicht des Kindes bedenklich, wenn dadurch der Aufbau sicherer Bindungen an die Eltern gefährdet ist, z. B. bei einer Kombination aus zu früher oder zu extensiver außerhäuslicher Betreuung einerseits und mangelnder Zeit der Eltern für das Kind in der häuslichen Umgebung andererseits. Für die Beurteilung der Krippenfähigkeit spielen die körperliche und seelische Konstitution sowie das Temperament des Kindes eine Rolle. Starke Verlust- oder Trennungsängste insbesondere beim Übergang in die Krippe sollten als Signal des Kindes verstanden werden, eine Betreuung außerhalb der Familie nach Möglichkeit aufzuschieben oder zu reduzieren. Ungünstig für das Kind wirkt sich auch aus, wenn Eltern die Krippe (innerlich) ablehnen, sich dafür schuldig fühlen oder mit den Krippenerzieherinnen rivalisieren. Bedenklich und aus Sicht des Kindes abzulehnen ist jede Form außerhäuslicher Betreuung, die anerkannten Mindeststandards nicht entspricht. In diesen Fällen sind Eltern und Aufsichtsbehörden aufgerufen, bei den verantwortlichen Trägern auf der Einhaltung solcher Standards zu bestehen.

Eltern, die sich aus unterschiedlichen Gründen gegen eine Krippenbetreuung entscheiden, brauchen nicht zu befürchten, dass dadurch die Bildungschancen ihres Kindes beeinträchtigt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Eltern ihrem Kind zumindest durchschnittliche Lernanregungen bieten und ihm altersgemäßen Kontakt mit anderen Kindern und Erwachsenen ermöglichen. Nach dem Stand der Forschung fördern durchschnittlich gute Eltern ihr Kind in den ersten drei Lebensjahren ebenso gut wie eine Krippe durchschnittlicher Qualität.

Die Perspektive der Eltern

Krippen sind ein wichtiger Bestandteil der Infrastruktur für Familien. Sie unterstützen die Eltern bei ihrer Erziehung und entlasten die Familie in zeitlicher Hinsicht. Für Krippenbetreuung aus Sicht der Eltern spricht, dass beide Eltern ganz oder teilweise berufstätig sein können und während dieser Zeit ihr Kind in guten Händen wissen. Dies gilt besonders für Eltern, die ihren Beruf gern ausüben und zu Recht befürchten, bei einer längeren Unterbrechung der Berufstätigkeit den Anschluss zu verlieren. Jenseits der beruflichen Selbstverwirklichung sind eine solide Ausbildung und die Ausübung eines Berufes ohne lange kindbedingte Pausen für einen großen Teil der Eltern aber auch unter ökonomischen Gesichtspunkten unverzichtbar. Bei einem Durchschnittsverdienst benötigen Eltern mit zwei Kindern heutzutage mindestens eineinhalb Einkommen, um nicht in den Armutsbereich abzurutschen. Hinzu kommt, dass bei der gegebenen hohen Trennungs- und Scheidungswahrscheinlichkeit jeder Elternteil für den Fall vorsorgen muss, später einmal ohne das Einkommen des anderen wirtschaften zu müssen.

Neben der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind Krippen eine wichtige Voraussetzung für eine größere Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, besonders aus Sicht der Frauen. Väter mehr als bisher für die Kindererziehung und den häuslichen Bereich zu interessieren und Müttern im Gegenzug mehr berufliche Freiräume zu eröffnen gelingt einfacher, wenn dafür zeitliche Spielräume bestehen.

Nicht zuletzt bietet die Betreuung des Kindes in einer Krippe den Eltern bzw. einem allein erziehenden Elternteil gute Möglichkeiten, unkompliziert andere Eltern in einer ähnlichen Situation kennen zu lernen. Gute Krippen, besonders wenn sie Teil eines Eltern-Kind-Zentrums oder eines Mehrgenerationenhauses sind, fördern den Erfahrungsaustausch zwischen den Eltern und bieten Anregung, Beratung und Hilfe bei vielen Fragen rund um das Kind und darüber hinaus.

Gegen die Betreuung des Kindes in einer Krippe kann aus Sicht der Eltern sprechen, dass lange Anfahrtswege oder hohe Kosten der Betreuung zu einem ungünstigen Verhältnis von Kosten und Nutzen führen. Aber auch Eltern, die sozial gut eingebunden sind und sich bewusst eine berufliche Auszeit gönnen möchten (und können), um sich eine Zeitlang besonders intensiv ihrem Kind zu widmen, haben gute Argumente gegen Krippenbetreuung. Für einen kleinen Teil zumeist gut verdienender Eltern ist auch denkbar, dass beide Eltern ihre Arbeitszeit deutlich reduzieren und dadurch – eventuell mit Unterstützung durch eine Kinderfrau – in den ersten drei Jahren des Kindes auf eine außerhäusliche Betreuung verzichten, eine Lösung, die allerdings bei mehreren Kindern schnell an Grenzen stößt. Auch Eltern, die aus unterschiedlichen Gründen nicht auszuräumende Vorbehalte gegen Krippen haben, sollten möglichst nach anderen Betreuungslösungen suchen, um nicht unnötig von Schuldgefühlen geplagt zu werden, die sich negativ auf ihr Verhältnis zum Kind auswirken können.

Die Perspektive der Erzieherinnen

Für Erzieherinnen kann die Tätigkeit in einer Krippe eine (neue) berufliche Herausforderung sein. Die Arbeit mit Kindern in sehr jungem Alter verlangt von ihnen spezifische entwicklungspsychologische und auf diese Altersgruppe bezogene pädagogische Kenntnisse, die ggf. (z. B. in Fortbildungen) erst erworben werden müssen. Einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Eltern von Krippenkindern kommt im Vergleich zu älteren Kindern ein noch höherer Stellenwert zu.

Erzieherinnen, die in diesem Arbeitsfeld tätig werden, sollten von den positiven Möglichkeiten von Krippenbetreuung überzeugt sein und nicht von ihrem Arbeitgeber gedrängt werden, in der Krippe zu arbeiten. Innere Reserviertheit und mangelndes Interesse an der Arbeit mit Säuglingen und Kleinkindern führen zu einer schlechten pädagogischen Qualität und sollten nicht in Kauf genommen werden.

Die Perspektive der Träger

Die Träger von Kindertageseinrichtungen erweitern mit der Einführung von Krippenbetreuung ihr Angebotsspektrum und stärken ihre Position im kommunalen Raum. Da Kinder im Vergleich zum klassischen Kindergarten in früherem Alter aufgenommen werden, haben die Einrichtungen länger Kontakt mit den Familien. Die Chance, dass mehrere Geschwisterkinder gleichzeitig die Kindertageseinrichtung besuchen, steigt. Eine konzeptionelle Öffnung der Einrichtung in Richtung Eltern-Kind- bzw. Familienzentrum stellt einen weiteren naheliegenden Schritt dar und wird durch das Angebot von Krippenbetreuung gefördert.

Voraussetzung für die Einführung von Krippenbetreuung sind entsprechende Vorbereitungen in konzeptioneller, personeller und räumlicher Hinsicht. In der Regel sind dafür erhebliche zeitliche und finanzielle Investitionen notwendig. Träger, die diese Investitionen nicht aufbringen können, sollten vom Betrieb einer Krippe Abstand nehmen. Frei gewordene Plätze im Kindergartenbereich einfach mit jüngeren Kindern unter drei Jahren aufzufüllen, ohne über die notwendigen Ressourcen zu verfügen, wird den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht und ist insofern fahrlässig.

Die Perspektive der Wirtschaft

In Zeiten wachsenden Fachkräftemangels liegt es im Interesse einer florierenden Ökonomie, gut ausgebildete Eltern, also »Humankapital«, ökonomisch nicht brachliegen zu lassen. Der Ausbau der Krippenbetreuung stellt insofern für die Wirtschaft eine wichtige Voraussetzung dar, um die beruflichen Potenziale insbesondere qualifizierter junger Frauen umfassender als bisher nutzen zu können.

Eine mit der extensiven Berufstätigkeit beider Elternteile einhergehende Gefahr besteht allerdings darin, dass Kriterien ökonomischer Effizienz – gewollt oder ungewollt – in das Familienleben und den Umgang mit den Kindern einfließen. Die in vielen Berufen zunehmend geforderte Hetze und Mobilität geraten dabei zwangsläufig in Konflikt mit den kindlichen Bedürfnissen nach Muße, Zeit-»Verschwendung« und ungeplanter Spontaneität. Ein beunruhigendes Anzeichen für eine solche Entwicklung ist die Tatsache, dass viele Kinder heute bereits früh unter eigentlich typisch erwachsenen Stresssymptomen wie z. B. Kopfweh oder Bauchschmerzen leiden.

Um der Tendenz einer »Durchkapitalisierung der Familie« zu entgehen, deren Ziel sich auf die Bereitstellung eines flexiblen, aber bindungsschwachen Menschen für die globalisierte Ökonomie (modernes Nomadentum) beschränkt, darf die Familie von der Wirtschaft nicht einseitig für arbeitsmarktpolitische Anforderungen instrumentalisiert werden. Eine nicht nur betriebswirtschaftlich orientierte, vorausschauende Wirtschaftspolitik muss erkennen, dass eine Anpassung der Familie an den Arbeitsmarkt mit einem familienkompatiblen Arbeitsmarktumbau einhergehen muss. Krippen dürfen deshalb von den Unternehmen nicht nur als externe positive Standortfaktoren betrachtet werden. Sie sollten ihrerseits von der Politik in die Pflicht genommen werden, den Beschäftigten auf die Familie abgestimmte Arbeitszeitmodelle anzubieten.

 

Volkswirtschaftlich betrachtet ist mit dem Ausbau der Krippenbetreuung ein deutliches Plus verbunden. Entsprechende Berechnungen z. B. des Deutschen Jugendinstituts (Rauschenbach u. Schilling 2007) zeigen, dass jeder in den Krippenausbau eingesetzte Euro zumindest wieder eingespielt wird. Ursächlich für diese positiven volkswirtschaftlichen Effekte sind vor allem die Erhöhung der Beschäftigungsrate von Müttern, die Reduzierung von Transferleistungen an Eltern(teile) mit Kindern sowie die Belebung des Arbeitsmarktes durch die Einstellung zusätzlicher Erzieherinnen.

Die gesellschaftliche Perspektive

Der Ausbau der Krippenbetreuung wird gerne in Verbindung gebracht mit der Hoffnung auf eine Erhöhung der Geburtenrate. Die Befunde hierzu sind allerdings widersprüchlich. Während die im Vergleich zu Deutschland (1,3 Kinder pro Frau) relativ hohen Geburtenraten in Frankreich (2,1 Kinder pro Frau) und Skandinavien (1,8 Kinder pro Frau) einen Zusammenhang mit dem sehr unterschiedlichen Ausbau des frühkindlichen Betreuungssystems – Deutschland schneidet hierbei schlecht ab – nahelegen, zeigt sich bei einem Bundesländervergleich innerhalb Deutschlands ein anderes Bild. In Sachsen-Anhalt, das einen gesetzlichen Anspruch auf Tagesbetreuung von Geburt an kennt und ein den Bedarf deckendes Angebot an Krippenplätzen vorhält, ist die Geburtenrate besonders gering. Es muss daher vermutet werden, dass der Stand der Betreuungsinfrastruktur nur ein Faktor unter mehreren ist, der die Entscheidung für Kinder beeinflusst.

Weiterhin wird gesellschaftspolitisch immer wieder argumentiert, dass der Ausbau der Kindertagesbetreuung zu einer Verstaatlichung von Erziehung und damit zu einer Entmündigung der Eltern führt. Es bestehe, so die Argumentation weiter, die akute Gefahr, dass die Eltern ihre Erziehungskompetenz und ihr Selbstvertrauen verlieren und Erziehungsaufgaben immer weiter an Experten delegieren. Demgegenüber muss gefragt werden, ob nicht angesichts eines in den zurückliegenden Jahrzehnten übertriebenen Abdrängens von Erziehung in den Bereich des Privaten eine Korrektur längst überfällig ist mit der Folge, die öffentliche Mitverantwortung in der Erziehung wieder deutlicher zu machen. Außerdem ist die Debatte hier nicht frei von Widersprüchen, wird doch zugleich im Zusammenhang mit Misshandlungen von Kindern regelmäßig gefordert, die staatliche Kontrolle der Familien zu verstärken.

Die Beantwortung der Frage schließlich, ob die Elternverantwortung durch den Ausbau der Krippenbetreuung geschwächt oder im Gegenteil sogar gestärkt wird, hängt vermutlich von der Einbeziehung der Eltern in das Krippengeschehen ab. Wenn es tatsächlich gelingt, Eltern und Erzieherinnen in eine Verantwortungsgemeinschaft im Sinne einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zu integrieren, dann könnten davon nicht nur die Kinder profitieren, sondern der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt würde gestärkt.

Ein neuer Begriff für Krippe?

Die Erwähnung des Begriffs »Krippe« löst sehr unterschiedliche Reaktionen aus, je nachdem, welche Erfahrungen und Assoziationen damit verbunden werden. Für die einen ein normaler Ort der Kleinkindbetreuung, ist die Krippe für andere Sinnbild einer ärmlichen Behausung, Ort des Abfütterns und der Aufbewahrung. Notbehelf in garstigen Zeiten (in Anlehnung an die Geschichte vom Jesuskind in der Krippe) oder anregende Lernumgebung für Kleinkinder: Die Bilder könnten kaum gegensätzlicher sein.

Viele Menschen, vor allem im Süden, Westen und Norden Deutschlands, können und wollen den Begriff Krippe nur schwer akzeptieren. Einmal vorausgesetzt, die Krippe dient dem Wohl der in ihr betreuten Kinder, hat sie doch in weiten Kreisen ein Imageproblem. Was ist zu tun? Soll der Begriff aufgegeben und durch einen anderen ersetzt werden? Würden die damit verbundenen negativen Assoziationen entfallen?

Nicht zuletzt ist dies eine Frage der Alternativen. Zur Verfügung stehen die mancherorts gebräuchlichen alternativen Bezeichnungen »Kindernest« und »Krabbelgruppe«. Eine Lösung für das Image-Problem bieten sie nicht. Während der dem Tierreich entlehnte Begriff des Nestes Schutz und Pflege betont und die sich parallel vollziehende allmähliche Erkundung der Welt außer Acht lässt, bezieht sich der Begriff der Krabbelgruppe ausschließlich auf den relativ kurzen Entwicklungszeitraum des Krabbelns und schließt damit die noch nicht krabbelnden und die bereits auf zwei Beinen laufenden Kinder aus. Auch der bisweilen vorgeschlagene Begriff »Kinderhaus« löst das Problem nicht, da er wenig trennscharf ist und sich nicht allein auf die Altersgruppe der Kinder in den ersten drei Lebensjahren bezieht.

Es wird daher vorgeschlagen, den Begriff Krippe für diejenigen institutionellen Angebote der Tagesbetreuung beizubehalten, die sich spezifisch an Kinder unter drei Jahren richten. Die Anstrengungen sollten darauf gerichtet sein, diese Angebote durch eine Verbesserung der Qualität so attraktiv zu machen, dass sich die damit verbundenen Konnotationen positiv verändern und der Begriff Krippe in weiten Teilen der Bevölkerung auf Akzeptanz und Zustimmung stößt. Zugleich sollten Einrichtungen, die verschiedene, möglicherweise altersgemischte Angebote der Tagesbetreuung für Kinder unterschiedlichen Alters vorhalten, weiterhin entsprechend der Formulierung im Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VIII) summarisch als Kindertageseinrichtung, eventuell auch als Kinderhaus oder – sofern zutreffend – als Eltern-Kind-Zentrum bezeichnet werden.

Ein weiteres begriffliches Problem stellt sich in Zusammenhang mit dem auch in den Medien häufig verwendeten Begriff der Fremd- bzw. Tagesfremdbetreuung, der für alle Formen nichtelterlicher Betreuung unabhängig vom Alter des Kindes benutzt werden kann, sich jedoch besonderer Beliebtheit im Kontext von Krippenbetreuung erfreut. Fremdbetreuung, also die Betreuung bei Fremden oder durch Fremde – das muss den Eindruck erwecken, als handele es sich dabei um eine Abgabe des Kindes an Fremde, die dem Kind nicht anvertraut werden (können). Dies ist allerdings sachlich grob falsch, denn die Bindungsforschung kommt übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass (1) die Entstehung von Bindungen nicht an (Bluts-)Verwandtschaft gebunden ist und (2) Kinder auch in den ersten Lebensjahren mehrere – in ihrer Bedeutung in der Regel unterschiedene – Bindungen zu denjenigen Personen eingehen, die dem Kind alltäglich vertraut werden. Es versteht sich von selbst, dass dies eine Krippenerzieherin ebenso einschließen kann wie bspw. einen im Alltag des Kindes präsenten Großvater oder eine Tagesmutter. Darüber hinaus muss betont werden, dass auch Personen in der Umgebung des Kindes, zu denen das Kind keine Bindung aufnimmt (z. B. die Erzieherin in einer Nachbargruppe oder eine sporadisch erscheinende Reinigungskraft), dem Kind dadurch nicht fremd sein müssen, sondern zu denjenigen Menschen gehören, die das Kind als seinem vertrauten Umfeld zugehörend empfindet.

Der Begriff Fremdbetreuung entbehrt also jeder sachlichen Grundlage. Er wird als ideologischer Begriff mit dem Ziel der Stimmungsmache vor allem gegen Krippenerziehung benutzt. Deshalb sollte er gänzlich vermieden werden.

Ein Blick zurück

Seit Menschengedenken werden Kinder bereits in Ergänzung zur leiblichen Mutter von anderen Personen betreut – auch schon in ihren ersten Lebensjahren. Meist handelt es sich um Mitglieder der erweiterten Familie (Vater, ältere Geschwister, Großeltern und weitere Angehörige), die das Kind in der Regel seit seiner Geburt kennen und dadurch zu sekundären Bezugspersonen werden. Aber auch Ammen, Freunde, Nachbarn, Zugehfrauen sowie weiteres Haus- und Dienstpersonal wurden und werden in unterschiedlicher Art und Weise für die Betreuung kleiner Kinder eingesetzt, häufig ohne deren Wohl im Blick zu haben. Nicht zuletzt spielt bis heute die wechselseitige Hilfe unter Müttern eine gewichtige Rolle: Während eine Mutter sich um mehrere Kinder kümmert, gehen die anderen ihrer Arbeit bzw. ihren Besorgungen nach.

Mit dem Zurückdrängen der landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften und der beginnenden Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert stießen die ausschließlich privat organisierten Betreuungsarrangements an ihre Grenzen. Die ökonomische Sphäre löste sich immer mehr vom Familienhaushalt ab und wurde in Werkstatt, Fabrik, Geschäft und Büro verlagert. Eine klare organisatorische und räumliche Trennung von Arbeitsort und Ort der Familie mit den dazugehörenden Anfahrtswegen war die Folge.

Das Auseinanderfallen von Leben und Arbeiten führte zu einem Problem der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie, vor allem und mit besonderer Dringlichkeit für die Frauen. Die vorherrschende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die dem Mann die Ernährerrolle und der Frau die Zuständigkeit für Haushalt und Kinder zuschrieb, verhinderte allerdings lange Zeit, dass dieser Konflikt offen ausbrach und zu einem Politikum wurde.

Allein erziehende Mütter sowie Mütter in armen Familien hatten als Erste existenzielle Probleme, Kindererziehung und Berufstätigkeit zu verbinden. Der Konflikt zwischen Geschlechtsrollennorm (Hausfrau und Mutter) und Geschlechtsrollenrealität (Hausfrau, Mutter und Arbeitnehmerin) war jedenfalls für diese Gruppe von Frauen nicht mehr zu kaschieren. Um das notwendige Geld für ein minimales Auskommen der Familie verdienen zu können, waren sie auf eine frühe und verlässliche außerhäusliche Betreuung ihrer Kinder dringend angewiesen. Dies galt insbesondere für Not leidende Familien in den sich bildenden großstädtischen Ballungsräumen in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die ersten Krippen wurden folgerichtig Mitte des 19. Jahrhunderts von privaten Trägern mit dem Ziel gegründet, die massenhafte Armut und ihre Begleiterscheinungen besonders in den großen Städten zu mildern. Ihr Motiv bestand darin, auf der einen Seite den Müttern Erwerbsarbeit zu ermöglichen, auf der anderen Seite die Kinder während der Zeit der mütterlichen Abwesenheit zu pflegen, zu beaufsichtigen und zu erziehen.

 

In Europa wurde die erste Krippe (Crèche) am 14. November 1844 in Paris in Betrieb genommen. Initiator war der französische Jurist Firmin Marbeau, der als Mitglied einer »Commission zur Berichterstattung über die Kleinkinderbewahranstalten« über die Situation der Fürsorgeanstalten für kleine Kinder in Paris Bericht zu erstatten hatte. Bei seinen Untersuchungen stellte er fest, dass viele Kinder erwerbstätiger Mütter tagsüber in anderen Familien betreut wurden und die Mütter für diese zumeist schlechte Pflege einen großen Teil ihres Lohns aufbringen mussten, der damit für die materielle Versorgung ihrer Familie fehlte. In seinem Bericht schreibt Marbeau: »Mit welcher Sorgfalt, sagte ich mir, wacht nicht die Gesellschaft über die Kinder der armen Classen! Von zwei bis sechs Jahren nimmt dieselben die Kleinkinder-Bewahranstalt auf, dann bis zur erreichten Mündigkeit die Elementar-Schule. (...) Aber warum sorgt man nicht auch für das Kind in der Wiege? Die mütterliche Sorge weiß am besten, was dem Säugling frommt (...), aber wenn die Mutter gezwungen ist, außer ihrer Wohnung zu arbeiten, was geschieht dann mit den armen Kleinen?« (Marbeau 1846, zit. nach Reyer und Kleine 1997, S. 18).

Nur sieben Jahre nach Gründung der ersten Krippe sollen in Frankreich schon über 400 Krippen bestanden haben. Frankreich kennt seit der Französischen Revolution eine starke Tradition außerfamilialer (Internats-)Erziehung und kann bis heute zu Recht als Land der Krippen bezeichnet werden. Eine während der Pariser Weltausstellung 1867 eingerichtete Musterkrippe fand auch international große Beachtung.

Die erste Krippe in Deutschland entstand 1849 in Wien, das damals noch zum Deutschen Bund gehörte. Der Gründer und erste Leiter, der Arzt Dr. Carl Helm, wollte mit der Einrichtung die hohe Sterblichkeitsrate der so genannten Kostkinder (Pflegekinder) reduzieren. Nach seiner Überzeugung stellten die »Säuglingsbewahr-Anstalten« im Vergleich zu Pflegefamilien einerseits und Säuglingsheimen andererseits die bessere Betreuungsalternative für Säuglinge und Kleinstkinder erwerbstätiger Mütter dar. Zwei Jahre nach der Gründung gab es in Wien bereits acht Krippen. In schneller Folge entstanden 1851 in Dresden und Leipzig, 1852 in Berlin und Hamburg, 1853 in Frankfurt am Main, 1855 in München und 1857 in Nürnberg ähnliche Einrichtungen.

Die Mehrheit der damaligen Bevölkerung sah Krippen als Notlösungen, die dazu dienten, ein noch größeres Übel – die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie bzw. in einem Säuglings- oder Kinderheim – zu verhindern. Entsprechend sollte durch Überwindung der Armut und Bildung der vom »rechten Weg« abgekommenen erziehungsuntüchtigen Mütter die Einrichtung von Krippen überflüssig gemacht werden. Denn, so argumentierte man, wäre erst »ein neues erziehungstüchtiges Geschlecht von Müttern« heranerzogen, dann wäre »es eine Freude, diese Werkstätten des Reiches Gottes zu schließen« (Hübener 1888, zit. nach Reyer und Kleine 1997, S. 16). Ein eigenständiges elementarpädagogisches Motiv, Kinder in Krippen zu betreuen, existierte im Gegensatz zu der sich stürmisch entwickelnden Pädagogik des Kindergartens kaum.

Diesem Denken entsprach eine hohe Beteiligung von Ärzten an der Leitung und Beaufsichtigung der Krippen. Die Verwaltung bestand üblicherweise aus den für die Gesundheit zuständigen Ärzten, Frauen als Aufsichtsdamen und Herren als Direktoren und (in Personalunion) Vertreter der die Krippe unterhaltenden privatrechtlichen Vereinigungen. Die Pflege und Betreuung der Kinder erfolgte zunächst durch »Kindswärterinnen« und »Kindsmägde«, später durch Säuglingsschwestern (vgl. Reyer und Kleine 1997, S. 25). Demzufolge wurde die Güte einer Krippe nicht an pädagogischen, sondern überwiegend an pädiatrischen, hygienischen und diätetischen Kriterien gemessen: Wichtigstes Erfolgskriterium war, dass die Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeit unter den Krippenkindern – gemessen am Durchschnitt der Bevölkerung – niedrig sein mussten.

Da Krippen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in erster Linie als sozialhygienische Einrichtungen der Säuglingsfürsorge für mittellose oder erziehungsunfähige Mütter angesehen wurden, führten sie ein Jahrhundert lang in Deutschland ein Nischendasein. Bis kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs entstanden gemäß einer Zählung aus dem Jahr 1912 nicht mehr als 234 Einrichtungen, in denen Schätzungen zufolge etwa 2.800 Säuglinge und 4.700 Spielkinder betreut wurden. Diesem Angebot stand ein Bedarf gegenüber, der sich daraus errechnen lässt, dass allein in den industriellen Ballungsgebieten mindestens 35.000 Säuglinge aufgrund der Erwerbstätigkeit ihrer Mütter betreuungsbedürftig waren (vgl. Reyer und Kleine 1997, S. 47). Aus diesen Zahlen lässt sich schließen, dass die große Mehrheit der betroffenen Mütter ihr Kind damals in privat organisierte Betreuungsarrangements zweifelhafter Qualität abgegeben hat.

Trotz stetig steigender Frauenerwerbsquote hat sich an dem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auch in der Weimarer Republik und erst recht in der Zeit des Nationalsozialismus nichts geändert. Im Gegenteil, die Betreuung von Kindern unter drei Jahren blieb fast ausschließlich den Familien überlassen, und das Verhältnis zwischen erwerbstätigen Müttern mit kleinen Kindern einerseits und zur Verfügung stehenden institutionellen Betreuungsplätzen andererseits verschlechterte sich sogar noch.

 

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm die Entwicklung des Krippenwesens in dem dann geteilten Deutschland einen geradezu gegensätzlichen Verlauf. Während die Krippenbetreuung in der DDR, jedenfalls im zweiten und dritten Lebensjahr, zur Normalbiografie der meisten Kinder gehörte, waren Krippen in der Bundesrepublik – abgesehen von der Situation in Westberlin, wo Ende der 1980er-Jahre immerhin für ein Viertel der Kinder unter drei Jahren ein Krippenplatz bereitstand – weiterhin ein randständiges Phänomen.

Wie unterschiedlich zur Zeit des Kalten Krieges die Entwicklungen in Ost und West verliefen, zeigt ein Blick auf die Zahlen. In der DDR existierten im Jahr 1950 insgesamt 194 Krippen für knapp 5.000 Kinder, was einer Versorgungsquote von etwa 6 Prozent entsprach. Diese Quote wurde Schritt für Schritt erhöht und betrug 1985 rund 50 Prozent (knapp 340.000 Plätze in 7.315 Einrichtungen). Im gleichen Ausgangsjahr 1950 gab es in der Bundesrepublik 170 Einrichtungen mit rund 7.500 Plätzen. Die sich daraus ergebende Versorgungsquote von 0,4 Prozent erhöhte sich bis 1986 nur unwesentlich auf 1,6 Prozent (rund 28.000 Plätze in 1.028 Krippen).

Der massive Ausbau des Krippenwesens in der DDR erfolgte überwiegend aus nicht kindbezogenen Motiven. Entscheidend dafür war vielmehr der große Bedarf der DDR-Wirtschaft an weiblichen Arbeitskräften und damit zusammenhängend die Forderung nach Gleichstellung der Frauen im Beruf. Erst ab den 1970er-Jahren wurden – nicht zuletzt aufgrund der ernüchternden Ergebnisse in der DDR-Krippenforschung – die Risiken extensiver außerhäuslicher Betreuung (u. a. Krankheitsanfälligkeit, Stressbelastung durch lange Betreuungszeiten, mangelnde individuelle Zuwendung und Bindungsangebote, Defizite in der sprachlichen und emotionalen Förderung) allmählich und oft nur gegen erhebliche ideologische Widerstände zur Kenntnis genommen.

Die Folge waren eine stärker an entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten ausgerichtete Krippenpädagogik (u. a. Einführung von Eingewöhnungszeiten, größere Rücksichtnahme auf individuelle Eigenarten und Gewohnheiten des Kindes) und vor allem – nach Einführung der ersten Stufe des so genannten Babyjahres im Jahr 1976 – ein massiver Rückgang der Betreuung von unter einjährigen Kindern in Krippen. Tatsächlich waren 1986 in der DDR lediglich noch zwei Prozent der Kinder in Krippen jünger als ein Jahr alt, gegenüber 22,5 Prozent im Jahr 1975. In der zum Ende der DDR geltenden »Krippenordnung« von 1988 hieß es, dass in der Krippe Kinder »in der Regel vom 13. Lebensmonat an bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres« (zit. nach Reyer und Kleine 1997, S. 129) aufgenommen werden.

In der alten Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung blieb es demgegenüber unverändert bei der marginalen Position der Krippenbetreuung. Wo und wie kleine Kinder erwerbstätiger Mütter tagsüber betreut wurden, blieb weiterhin dem persönlichen Geschick der betroffenen Eltern(teile) überlassen. Während lediglich 1,6 Prozent der Kinder unter drei Jahren in Krippen betreut wurden, davon fast ein Drittel allein in Westberlin, hatten viele Kinder bei ihrem Eintritt in den Kindergarten bereits vielfache, stark von der finanziellen Situation abhängige individuelle Arrangements zwischen Großeltern, älteren Geschwistern, Nachbarschaft, Kinderfrau, Babysitterin und/oder Au-pair-Betreuung hinter sich. Eine gewisse Entlastung brachten die durch ein Modellprojekt des Deutschen Jugendinstituts in den 1970er-Jahren initiierte Ausbreitung von Tagesmüttern sowie die Gründung selbstorganisierter Elterninitiativen. Die weitaus meisten Familien blieben allerdings darauf angewiesen, ihre Betreuungsprobleme auf zum Teil abenteuerliche Weise familienintern zu lösen.

Die politische Rechtfertigung und fachliche Begründung für den eklatanten Notstand in puncto Kleinkindbetreuung im Westen Deutschlands bestand aus einem Mix aus überkommenem Familienideal, mangelnder Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften und einer häufig selektiven Rezeption von Forschungsergebnissen. Zwar nahm die Argumentationskraft pädiatrischer Bedenken gegen Krippenerziehung (Krankheitshäufigkeit) ab, an ihre Stelle traten jedoch vermehrt psychohygienische Argumentationsmuster, die unter Berufung auf (häufig einseitig oder sogar falsch interpretierte) Ergebnisse der Bindungsforschung vor einer »Mehrfachbemutterung« warnten. Studien, welche die Chancen familienergänzender Kleinkindbetreuung betonten, wurden kaum zur Kenntnis genommen oder konnten keine politische Wirkung entfalten.

Wandlungen in Familie und Gesellschaft

Im Zuge der Auflösung der starren Blockbildung in Ost und West und des Endes des Kalten Krieges verblassten allmählich die stark ideologisch geprägten Argumentationsmuster sowohl der extremen Krippengegner als auch der ausschließlichen Krippenbefürworter. In dem nun wiedervereinigten Deutschland fanden sich gänzlich unterschiedliche Traditionen und Erfahrungen hinsichtlich Krippenbetreuung plötzlich unter einem staatlichen und gesellschaftlichen Dach zusammen. Die Gelegenheit war günstig, nun endlich gleichermaßen Chancen und Risiken der Institution Krippe in den Blick zu nehmen und zu einer nüchternen Bewertung zu kommen.

Aber nicht nur politisch kam vieles in Bewegung. Ebenso bedeutsam sind tief greifende Wandlungen in den Familien und in deren Verhältnis zu Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Veränderungen deuteten sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, in ihrer ganzen Wucht wurden sie aber erst an dessen Ende spürbar. Wichtige Indikatoren dieses Wandels sind:

Steigerung der Lebenserwartung

Der medizinische Fortschritt und mit ihm verbunden ein drastischer Rückgang der Mütter- und Säuglingssterblichkeit führten innerhalb nur eines Jahrhunderts zu einer Steigerung der Lebenserwartung um rund zwanzig Jahre. Während Mütter früher selten die Pubertät des letzten Kindes erlebten, beträgt die durchschnittliche Nachkinderphase heute rund dreißig Jahre. Bezogen auf die gesamte Lebenszeit hat die Kinder- bzw. Familienphase relativ gesehen stark abgenommen.

Starker Geburtenrückgang

Die Abkoppelung von Sexualität und Reproduktion durch Einführung der Pille und anderer Verhütungsmittel ging mit einem starken Geburtenrückgang einher. Die Zahl der gewollt oder ungewollt Kinderlosen nahm deutlich zu, die der Mehrkinderfamilien ging erheblich zurück. Während zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch etwa jede zweite Familie vier und mehr Kinder hatte, ist dies heute nicht einmal mehr in jeder zwanzigsten Familie der Fall. Etwa ein Drittel aller Frauen und Männer, darunter viele Akademiker(innen), bleibt heutzutage lebenslang kinderlos. Obwohl die meisten Jugendlichen sich für ihre Zukunft ein Leben mit Familie und zumeist zwei Kindern wünschen, wird dieser Wunsch später häufig nicht realisiert.

Verkleinerung der Haushalte

In mehr als einem Drittel aller Haushalte lebt gegenwärtig nur eine einzige Person. Vor allem in den großen Städten sind in mehr als drei Viertel aller Haushalte keine Kinder mehr anzutreffen. Die Verkleinerung der Haushalte ist auch durch die Zunahme von allein erziehenden Eltern mitbedingt.

Hohes Niveau an Eheschließungen, Ehescheidungen und Wiederverheiratungen

Während die durchschnittliche Ehedauer aufgrund der höheren Lebenserwartung stieg, wurde zugleich die Eheauflösung durch Tod in ihrer zahlenmäßigen Bedeutung abgelöst durch eine Orientierung an befristeten Partnerschaften. Immer mehr entwickelt sich die aus Erwachsenen und Kindern verschiedener Herkunft zusammenlebende, sich auflösende und neu sich zusammensetzende Fortsetzungs- oder Patchworkfamilie zum Leitbild modernen Familienlebens.