Marie de Sade; Marie: Die Gruft

Metainformationen zum Buch

Buchidentifikation: (EBI)
[Marie de Sade|Marie: Die Gruft (Textausgabe)|4] [2016-04-19T19:31:05Z] [20|z1m00-3721-I152-3j09]
Sprache
de
Buchtitel
Marie: Die Gruft
Buchuntertitel
Textausgabe
Beschreibung
In der nicht-linearen Erzählung können die Leser an verschiedenen Stellen zwischen alternativen Handlungssträngen auswählen.
Kernhandlung: Florian hat bei der Partnersuche im Netz Marie kennengelernt und hat ihr unter anderem über sein besonderes Interesse an Filmen und Literatur der Genres Horror, Vampire und Zombies erzählt. Marie organisiert ein unvergeßliches Treffen auf einem Friedhof in der Gruft eines Mausoleums und spielt zur Prüfung des Kandidaten skurrile Spiele mit ihm.
Dies ist eine vereinfachte Textausgabe, einmal abgesehen vom Titelbild ohne Graphiken und als Voreinstellung nur eine einfache Stilvorlage ohne Farbangaben, besonders geeignet für Präsentationsprogramme, Geräte und Konversionsskripte, die EPUB nur sehr rudimentär interpretieren können.
Autorin (Text, Vorwort, Auszeichnungssprachen)
Marie de Sade
Mitarbeiter (Vorwort, Auszeichnungssprachen, Titelgraphik, Korrekturleser)
Dr. Olaf Hoffmann
Mitarbeiterin (Korrekturleserin, Muse)
Inken S.
Impressum
Kontakt bei BookRix: M.d.S. http://www.bookrix.de/-if4897c4a0f7965/
email: mds@kdwelt.de
Mehr Bücher von M.d.S. bei BookRix:
http://www.bookrix.de/books;user:if4897c4a0f7965.html
Erstellt
2016-02-21/04-30, 2017-03-27/31, 2017-04-06, 2017-04-22/23, 2017-04-29, 2017-05-03/04
Letzte Bearbeitung
2017-05-08T22:00:00Z
Format
application/epub+zip
Werktyp
Text
Schlüsselwörter, Themen
Anekdote, nicht-lineare Erzählung, auswählbar, interaktiv, nicht-linear, nichtlinear, Textadventure, Partnersuche im Netz, online-dating, erstes Treffen, Klartraum, Meditation, Friedhof, Mausoleum, Gruft, Spiel, Mißverständnis, scheitern, versagen, fesselnd, atemberaubend, Zombie, Vampir, Horror, Fetisch, Erotik, Dominanz, Sadist, SM
Publikum, Zielgruppe
Jugendliche, Erwachsene

Marie: Die Gruft

Epigraph

Jede Seele, sie durchwandelt der Geschöpfe Stufenleiter:
Formentauschend, rein und reiner, immer höher, hell und heiter,
Lebt sie fort im Wurm, im Frosche, im Vampir, im niedern Sklaven,
Dann im Tänzer, im Poet, im Trunkenbold, im edlen Streiter …
Sehet: eine gleiche Reihe Seelenhüllen, Truggestalten
Muß der Dichtergeist durchwandeln, stets verklärter, stets befreiter:
Und er war im Werden Gaukler, war Vampir und war Brahmane,
Leere Formen läßt er leblos und strebt höher, wahrer, weiter …
Aber wissend seines Werdens, hat er werdend auch erschaffen:
Hat Gestalten nachgebildet der durchlaufnen Wesensleiter:
Den Vampir, den niedern Sklaven, Gaukler, Trunkenbold und Streiter.

Hugo Laurenz August Hofmann, Edler von Hofmannsthal

Der Zombie ist wohl auch das Schaf im Wolfspelz in uns.
Zusammengedrängt in einer Herde tun wir wild und mächtig und werden doch immer unwiderstehlich und willenlos zur Schlachtbank der Reklame, des Konsums und der Industrie gelockt.

Bertine-Isolde Freifrau von Brockelstedt

Vampir und Zombie - mit einem kühnen Biß die Welt verändern, das Monster in uns allen ans Licht zerren.
Wenn es nur so einfach wäre.
Was für eine naive Illusion der Unterhaltungsindustrie …

Balthasar Maria Bernhard Freiherr von Brockelstedt

Zombies, Vampire, Fabelwesen - irgendwie die Schrödinger-Katzen der Trival-Unterhaltung!

Dr. Olaf Hoffmann

Die Furcht ist das Unglück, deshalb ist nicht Mut das Glück, sondern Furchtlosigkeit.

Franz Kafka

Denn wer begehrt, der fürchtet auch. Und wer in Furcht lebt, ist für mich nicht frei.

Quintus Horatius Flaccus (Horaz)

Vieles wird aus Furcht vor Lebensgefahr oder Krankheit unterlassen.

Georg Christoph Lichtenberg

Was Macht hat, mich zu verletzen, ist nicht halb so stark wie mein Gefühl, verletzt werden zu können.

William Shakespeare

Die Angst beflügelt den eilenden Fuß.

Johann Christoph Friedrich von Schiller

Das einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.

Michel Eyquem, Seigneur de Montaigne

Sind wir doch nach etwas ausgestandener Angst stets merklich heiter.

Arthur Schopenhauer

Und war die Freude noch so süß –
Ein Wölkchen kommt gezogen,
Und vom geträumten Paradies
Ist jede Spur verflogen.

Emanuel Geibel

Die Angst wird sich immer Götzen schaffen.

Honoré de Balzac

Im Laufe des Lebens verliert alles seine Reize wie seine Schrecken; nur eines hören wir nie auf zu fürchten: das Unbekannte.

Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

Heutzutage hat jeder vor sich selber Angst.

Aus: ‚Das Bildnis des Dorian Gray‘ von Oscar Wilde

Angst ist für die Seele ebenso gesund wie ein Bad für den Körper.

Alexej Maximowitsch Peschkow (Maxim Gorkij)

Erst in der größten Pein magst du erkennen,
was dich im Innersten zusammenhält.
Erst in der größten Not magst du erkennen,
ob es dich im Innersten zusammenhält!

Dr. Olaf Hoffmann

Scheuen wir schon vor unseren eigenen Abgründen zurück,
wie könnten wir die der ganzen Welt erdulden?

Marie de Sade

Vorwort

Zum Inhalt

Diese Erzählung knüpft an ein Erlebnis der Autorin Marie an, gleichwohl ist die Angelegenheit nicht so simpel, daß man den Inhalt einfach biographisch verstehen könnte. Marie besteht auf Distanz zwischen ihren eventuellen Erlebnissen und ihrem Hier und Jetzt. Es steht ein Konjunktiv im Raum, das Erlebnis kann nahezu so stattgefunden haben, es kann auch künstlerisch verdichtet sein. So dient auch die Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Handlungssträngen als eine Art absichtlicher Verfremdungseffekt, um sowohl der Autorin als auch den Lesern etwas Distanz zur Reflexion zu verschaffen. Offenbar kann ja in unserer klassischen Welt nicht alles gleichzeitig passiert sein, wie sich Quantenzustände überlagern können, bis diese Superposition durch Messung auf einen Zustand festgelegt wird. In dieser Erzählung verschwinden die anderen Möglichkeiten natürlich nicht, wenn eine ausgewählt wird, so wird also allein anhand der Erzählung nicht herauszufinden oder gar festzulegen sein, welche Variante wirklich eingetreten ist, aber das tut ja der Unterhaltung und Kurzweil keinen Abbruch.

Marie bewahrt die Distanz auch, indem sie auf eine Ich-Erzählung verzichtet, der Erzähler bleibt abstrakter und hat Einblick in verschiedene Gedankenwelten, wie sie Marie als Autorin leicht haben mag, Marie als Protagonistin müßte hingegen sehr scharfsinnig sein, um immer zu ahnen, was genau in den Köpfen der Menschen vorgeht, mit denen sie es zu tun hat - oft ist das zum Zeitpunkt des Erlebens auch von untergeordneter Bedeutung. Marie würde sich da schriftlich nie so genau festlegen.

Die Namen anderer Beteiligter wurden zum Schutz ihrer Privatsphäre natürlich verändert, entsprechend und analog die gegebenenfalls verwendeten Portraits. Auch die Abbildungen von Gebäuden und sonstigen Örtlichkeiten entsprechen nicht dem Ort des tatsächlichen Geschehens, sind aber nach Ähnlichkeit ausgewählt. Die Örtlichkeiten sind also auch absichtlich verschleiert, um die Privatsphäre zu schützen.

Nutzungshinweise

Dieses Buch enthält eine nicht-lineare Erzählung, in welcher Leser an einigen Stellen interaktiv auswählen können, welchem Handlungsstrang sie folgen möchten. Daher gibt es für die eigentliche Erzählung keine lineare Lesereihenfolge. Leser können gerne sowohl genau einem Handlungsstrang folgen als auch beliebig Alternative ausprobieren, Schleifen gibt es allerdings nur wenige, Alternativen sind unter Umständen am einfachsten über die Inhaltsverzeichnisse zu erreichen.
Zusatzinformationen und Einstiegskapitel sind allerdings der Tradition folgend linear angeordnet, um den Einstieg in das Buch zu erleichtern, sie sind allerdings auch untereinander mit den typischen, kleinen Navigationslisten verbunden, die dem sonstigen Konzept des Buches folgen, auch hier ist es also nicht notwendig, die lineare Lesereihenfolge einzuhalten.

Die Auswahl eines nicht-linearen Handlungsstranges erfolgt im normalen Lesefluß durch Auswahl eines Verweises einer Liste am Ende eines Kapitels, für welches es verschiedene Alternativen als Fortsetzungen gibt. Zusätzlich gibt es zu allgemeinen Orientierung im Inhaltsverzeichnis eine Übersicht über sämtliche Kapitel und ihren Zusammenhang mit übergeordneten Kapiteln in Listenform.

Das klassische Inhaltsverzeichnis als Liste mit Texteinträgen ist allerdings nur begrenzt nützlich und fungiert primär als Hilfe, Zusatzinformationen, Einstieg ins Buch und die graphische Visualisierung der Inhaltsstruktur auszuwählen oder auch ein aktuell zu lesendes Kapitel bei einer Unterbrechung wiederzufinden.

Darstellungsprogramme für EPUB haben meist eine zusätzliche Blätterfunktion, um bei einer linearen Erzählung von einem Kapitel zum nächsten zu gelangen. Dies ist bei einer nicht-linearen Erzählung nicht nützlich. Aufgrund von fehlerhaften Implementierungen kann es allerdings auch bei als nicht-linear gekennzeichneten Inhalte vorkommen, daß solch eine Blätterfunktion auch weiterhin verfügbar ist. Diese führt dann in der Regel allerdings zu falschen Ergebnissen. Von einer Nutzung ist bei diesem nicht-linearen Buch also abzuraten.

Bedingt durch die Struktur und das Konzept des Buches ähneln sich einige Abschnitte oder Kapitel, das kann zu einer Art Déjà-vu-Erlebnis führen, wobei die jeweiligen Kapitel dann bei näherer Betrachtung im Detail doch unterschiedlich ausdifferenziert sind. Also keine Panik, zudem ist eine gewisse Verwirrung der Form ‚hier war ich doch schon einmal!‘ durchaus beabsichtigt. Es gibt allerdings auch wenige Schleifen, wo ein solches Déjà-vu dann keine Täuschung ist, man also nicht auf ein neues, eigenständiges Kapitel stößt, sondern auf ein früheres zurückverwiesen wird. Aber keine Panik!
Das gehört zum Konzept!

Warnhinweise

Das Buch enthält Schilderungen, wie eine Person in Panik oder Angst versetzt wird.
In einigen Handlungssträngen werden auch Praktiken aus den Bereich Sadismus und Masochismus geschildert.
Eine Nachahmung wird ausdrücklich nicht empfohlen. Verantwortung für eine Zuwiderhandlung gegen diese Empfehlung kann von der Autorin nicht übernommen werden.
Nicht nur bei Personen mit angegriffener Gesundheit kann ein solches Erschrecken oder eine fehlerhafte sadistisch-masochistische Quälerei gravierende körperliche Folgen haben, welche eine unmittelbare Behandlung durch Fachpersonal notwendig machen kann. Es können auch psychische Probleme beim Opfer auftreten oder aufgedeckt werden, die dann behandlungsbedürftig sind.

Insbesondere die sadistisch-masochistischen Praktiken und Spielereien sind absichtlich nicht besonders detailliert geschildert, um Nachahmung durch Laien zu vermeiden. Diese Methoden erfordern Erfahrung und Disziplin in der Ausführung, zudem gewisse medizinische Grundkenntnisse und eventuell auch medizinisches Gerät für den Notfall, um auf Überreaktionen des Opfers angemessen reagieren zu können. Es wird hier absichtlich nicht präzise aufgelistet, welche Kenntnisse, Maßnahmen und Geräte verfügbar sein sollten, um im Notfall angemessen reagieren zu können, gerade weil von einer Nachahmung dringend abgeraten wird.
Das Buch ist also auf gar keinen Fall als Anleitung oder Empfehlung für derartige Aktivitäten zu verstehen. Als Bestandteil des Lebens der Protagonistin sind diese aber - so weit für den Fortgang der Handlung erforderlich - angedeutet.
Wer Interesse an derartigen Praktiken hat, der sei zum einen an einschlägiges Fachpersonal verwiesen, aber auch auf peinliche, treffsichere und treffende Fachliteratur.
In diesem Zusammenhang sei auch noch betont: Viele fühlen sich berufen, doch nur wenige sind befähigt. Und dann gibt es noch den Unterschied zwischen den Gesandten und den Geschickten. Es kann fatale Folgen haben, wenn bei einer peinlichen Behandlung die Gesandten keine Geschickten sind.
Ausgeprägt psychopathische Sadisten sollten nur unter Aufsicht quälen und Masochisten sollten sich solchen Personen in keinem Falle unter unkontrollierten, unbeaufsichtigten Bedingungen anvertrauen.

Einige Handlungsstränge schildern auch sexuelle Aktivitäten etwas ausführlicher, die allerdings nicht über den üblichen Rahmen hinausgehen. Zur Meidung für in dieser Hinsicht eher desinteressierte Leser sind diese Handlungsstränge in der Auswahl jeweils mit einem (e) versehen.

Technisches

Bei diesem Buch handelt es sich um eine vereinfachte Textausgabe. Anders als die Originalausgabe enthält dieses, einmal abgesehen vom Titelbild, keine Graphiken und als Voreinstellung nur eine einfache Stilvorlage ohne Farbangaben. Diese Ausgabe ist besonders geeignet für Präsentationsprogramme, Geräte und Konversionsskripte, die EPUB nur sehr rudimentär interpretieren können. Für Programme, die das Format EPUB korrekt interpretieren, ist dringend die Originalausgabe zu empfehlen.

Probeliegen

Die Kälte kroch langsam von unten über das allerdings kaum feuchte Gras in Maries Leib und zerrte bereits ein wenig mit zaghaften Krallen nach ihrem Lebenspuls. Es war irgendwie schon wieder Herbst geworden, aber heute war noch ein ganz schöner Tag, obwohl schon kühl, schien doch die Sonne noch recht entschlossen durch die teils schon leicht verfärbten Blätter der Bäume, die somit bereits schon auf die etwas morbide Stimmung von Vergänglichkeit des anstehenden, tristen, düsteren Herbstes einstimmten. Milde und sanft raschelte etwas Wind durch die Blätter, ein ungleichmäßiges Rauschen als Hintergrundgeräusch dieses stillen Momentes beisteuernd.

Für Marie war diese Mischung aus anfangender Herbstmelancholie und sommerlicher Reminiszenz ganz in Ordnung. Sie mochte alle Jahreszeiten. Alles hatte seine Zeit, auch die morbide Stimmung mußte die ihre haben. Und diese lag ihr ohnehin, da gab es keinen Zweifel. Vielleicht genoß sie darum um so intensiver die warmen Sonnenstrahlen und die fröhlichen Momente im Leben. Sie nutzte die noch milde, melancholische Herbststimmung einfach schon einmal, um auf dem Friedhof probezuliegen. Sie hatte sich dazu im Parkbereich des großen Stadtfriedhofs in eine stille Ecke zurückgezogen und sich ins Gras gelegt.
Sie lag auf dem Rücken, die Beine nur leicht auseinander, die Arme etwas vom Körper weg gewinkelt, so war es am einfachsten. Wenn man sich nicht selbst berührt und nur noch still liegt, kommt recht schnell das Gefühl der Entspannung und Leere auf, ja eine gewisse Loslösung vom Körper selbst. Eine Illusion natürlich, aber eine Stimmung, die Ruhe und Erholung verspricht.

Die Augen geschlossen, konnte Marie so leicht ihre Gedanken treiben lassen. Von hier aus gab es verschiedene Möglichkeiten, man hätte konzentriert in die umgebende Natur hineinlauschen können, intensiv das nur leicht feuchte Gras spüren und den kalten Boden darunter. So konnte man gut die willkürliche Trennung zwischen dem Ich und der Welt etwas verwischen oder nahezu ganz auflösen. Das Ich konnte nie wirklich eins mit der Welt sein, aber man konnte Versöhnung anstreben und die Akzeptanz der Illusion, vom Rest separiert zu sein und man selbst zu sein.
Marie aber zog sich gern weiter zurück und trotzte einmal mehr der Zeit, die immer zäher wurde, erst noch munter sickerte, dann nur noch tropfte, immer zäher, erst vielleicht noch wie Honig, dann wie Pech oder gar Eis oder Glas. Irgendwann schien gar die Zeit vor ihr zu zaudern und so einen Bogen um sie zu schlagen, die einfach bewegungslos lag und so in sich zurückgezogen war, daß sie gerade noch so eben genießen konnte, daß sie beinahe nicht mehr war. Das war die Auflösung im Nichts, auch eine Illusion natürlich, denn man konnte nicht Nichts sein und gleichzeitig sein, ent- oder weder. Beides zusammen - unmöglich. Aber man konnte sich an das Nichts heranschleichen wie ein Dieb oder Meuchelmörder und ein wenig die Illusion genießen, Nichts zu sein, während man doch ganz sicher gleichzeitig ist. Ein hinterlistiger Betrug zwar, aber was zählt das, wenn es niemandem schadet und man dadurch diese einmalige Ruhe genießen kann, eben dahintreiben wie nichts oder Nichts auf der Welt.

Marie hätte schon recht genau schätzen können, wieviel Zeit draußen um sie herum vergangen war, dort, wo die Zeit nicht zauderte und einem Bogen um sie machte, aber hier in ihrer Stille war das nicht so wichtig. Das beinahe Nichts erfrischte sie, sie gewann Distanz zur Welt und auch zu sich selbst und den Bedeutungen, die man all den Dingen des Alltags gab, wenn man nicht ab und an mal so einen Schritt zurücktrat und mit innerem Lächeln sein Vergnügen darin fand, die eigene Mühen und Bestrebungen so skurril und amüsant zu sehen, wie sie nun einmal waren - auch nicht weniger als all die der anderen Menschen da draußen außerhalb ihres Kopfes. Denen billigte sie immerhin zu, daß sie auch jemanden, ein Ich in ihrem Körper, ihrem Kopf haben würden, nur eben jemanden anderen - warum nicht, sollten sie doch. All diese Ichs da draußen waren natürlich ähnlich geniale Selbsttäuschungen wie ihr eigenes Selbst, aber was zählte das, wenn man sicher fühlte, daß man war?
Das mochte sie wohl auch schon den anderen gönnen. Aber sie wollte es auch nicht überbewerten. Das Ich ging stetig dahin wie die Zeit. Nur wenn man ganz nahe beim Nichts war, zauderte die Zeit und das Ich trat auch erstaunt darüber zurück, wie nichtig es im Grunde war, wie klein und belanglos. Aber hatte das Universum mehr Bedeutung als das eigene Selbst?
Warum sollte es, es machte so ohne Sinn und Verstand dahin, also mal abgesehen vom Verstand in den halbwegs intelligenten Wesen darin, aber der Rest war doch nur ein bunter Reigen von Energie und Materie, was eben tat, was man inzwischen so an Naturgesetzen herausgefunden hatte. Natürlich, das Selbst als Teil davon brachte nichts anderes zustande als der ganze Rest, aber subjektiv hatte man schon immer wieder den Eindruck, entscheiden zu können, eine weitere geniale Illusion und Erfindung des Ichs, um sich von der Welt zu separieren.

Heute hatte Marie sich allerdings etwas anderes vorgenommen, als nur dem Nichts nahe zu sein. Das Leben wollte mit Erleben erfüllt sein, mit Sensation.
Das Leben will gelebt sein.
Das Leben will erlebt sein.
Das Leben will genossen sein, in Freude, Lust und Schmerz, gleichviel, man hat ja nur eines, also besser nichts davon verschwenden, nichts als verfehlt, belanglos, nichtig zurückweisen. Weil es das eigene ist, ist das Leben relevant, nicht weil es notwendig ganz anders als das all der anderen ist, einzigartig oder besonders. Das ist es doch nur, weil es das eigene ist, subjektiv erlebt, erfahren, erforscht, erobert.

Es muß etwas im Leben passieren, man muß etwas vom Leben wahrnehmen. Das Selbst geht in die Irre ohne regen Austausch mit dem Rest der Welt. Und die Sensationen, die Informationen von der Welt müssen im Gehirn verarbeitet und einsortiert werden.
Sie befand sich heute in diesem Zustand der Zurückgezogenheit nicht, um beinahe Nichts zu sein. Dieser kontemplative, meditative Zustand war sehr leicht in einen Klartraum zu überführen, bei dem das Unterbewußtsein, der Rest des Körpers irgendwann davon ausgeht, daß man schläft. Der Körper testet dann, jedenfalls die wenig trainierten Laien, es kribbelt hier und drückt dort, daß man sich bewegen möchte, um das abzustellen. Widersteht man dem überzeugend ohne Bewegung, hat auch der Laie ganz gute Chancen, diesen Zustand des Klartraums zu erreichen, in welchem man wiederum mehrere Möglichkeiten hat. Man kann seinem Unterbewußtsein sozusagen beim Träumen und dem Sortieren der Gedanken über die nicht vorhandene Schulter schauen und im Bedarfsfalle etwas eingreifen und steuern, wohin das alles geht, in eventuell bereits von selbst einsetzende Träume eingreifen und gezielt darin agieren. Die andere Möglichkeit besteht darin, selbst aktiv zu werden und einen Traum, eine Aktion zu initiieren und komplett zu steuern. Da sich der Körper im Schlaf wähnt, folgt er Bewegungskommandos nicht, weshalb man in diesem Zustand und in diesem Bewußtsein seiner selbst die Illusion aufbauen kann, den eigenen Körper zu verlassen und so jenseits des Materiellen dasselbe von außen zu beobachten.

Auf einen solchen ausgedehnten Klartraum hatte Marie sich gut vorbereitet. Sie hatte sich sehr detailliert Karten und Satellitenbilder von Friedhof und Umgebung angesehen und war damit auch aufgrund vorheriger Spaziergänge recht vertraut, der letzte Spaziergang von eben hatte auch dazu gedient, nicht nur diesen ruhigen Platz aufzusuchen, sondern auch, um sich einen aktuellen Eindruck zu verschaffen. Nun brach sie einfach auf. In diesem Klartraum verließ sie ihre körperliche Hülle und stieg ein wenig auf, bis in die Äste des Baumes, unter welchen sie ihren Körper gelegt hatte. Sie drehte sich und schaute auf ihren Körper zurück, wie dieser friedlich, scheinbar schlafend oder gar tot lag. Sie war zufrieden und stieg weiter auf. Von oben ließ sie den Blick zunächst über den Friedhofspark schweifen, Bereiche mit Bäumen und Büschen, geschwungene Wege, dann den See mit seiner kleinen Insel, diverse repräsentative Grabanlagen. Sie stieg höher, so konnte man dann auch die Abteilungen mit den einfachen Gräbern überschauen, auch die größeren Sektionen mit Gräbern und Gedenkmälern noch von oder für die beiden Weltkriege. Von noch weiter oben waren dann bald die Grenzen, teils Mauern, teils Zäune des Friedhofs erkennbar und die Stadt drumherum. Dort waren auch die Schienen der Straßenbahn, die im Innenstadtbereich nur zu Untergrundbahn wurde, hier weiter draußen aber nur neben der Straße ihren eigenen Verkehrsweg hatte, teils in weniger ausgebauten, engeren Bereichen auch die Straßen mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen mußte. Um den Friedhof herum waren im wesentlichen mehrstöckige Wohnhäuser, im Bereich des Haupteingangs des Friedhofs mit seiner prächtigen Kapelle auch die üblichen einschlägigen Geschäfte. In die richtige Richtung gedreht reichte der Blick von hier ein ganzes Stück weiter bis zur Innenstadt, wo man den Standort des Hauptbahnhofs grob anhand eines benachbarten, heute schon außer Funktion gesetzten Funkturms erkennen konnte. Der deutlich größere, noch in Betrieb befindliche war deutlich weiter draußen in einem anderen Stadtteil, auch den aber konnte man von hier oben gut erkennen, wie auch den See südlich der Innenstadt, die Waldgebiete, welche die Stadt weiträumig durchzogen. Ja, hier konnte man sich wohlfühlen, nicht zu groß und doch pulsierend lebendig, jedenfalls jenseits der Stille der Friedhöfe.

Marie hatte genug vom Ausblick genossen und kam wieder weiter herunter, machte nun einen kleinen Ausflug über den See des Friedhofs, auch vorbei an diversen Grabskulpturen, von denen es hier einige prächtige besonders bei den repräsentativen Anlagen rund um den See gab. Auch die Insel im See durchstreifte sie flüchtig, hier gab es eher auch aufgrund des begrenzten Platzes nur etwas einfachere Grabmale, aber die Lage war natürlich schon sehr schön, eigentlich recht albern für Gräber, in denen doch letztlich nur noch tote Knochen lagen, die nichts mehr von der schönen Parkanlage haben konnten. Die Besucher konnten dies natürlich. Das mochte es auch erfreulicher machen, die verbliebenen Reste der verstorbenen Verwandtschaft oder Bekanntschaft ab und an einmal zu besuchen. Marie hatte hier auf dem Friedhof nur eine Bekannte, die leider an Krebs verstorben war. Auch bei deren Grab hatte sie heute schon kurz persönlich vorbeigeschaut.
Nun aber sauste sie munter am See einer Libelle nach, eine Mosaikjungfer wohl, die das schöne Wetter noch gut ausnutzen konnte und sich dann auch nur flüchtig mit einem Blaupfeil stritt, bis man verärgert übereinander, aber unentschieden in verschiedene Richtungen flog. Wasserläufer zappelten in der Nähe der Ufer, kleinere Fische waren im See zu erkennen und natürlich die Blätter der Seerosen und auch die Enten, auch Schwäne.

Marie genoß das Naturschauspiel hier im Park noch eine Weile. Natürlich war dieser Park auch eine Inszenierung, aber jedes Tier und jede Pflanze wußten die Bühne schon ganz gut für ihr eigenes Stück zu nutzen, bis auch sie irgendwann das Schicksal ereilte, wie all jene, denen hier großzügig Grabmäler gesetzt worden waren.
Marie drehte ohne Eile eine weitere Runde über den Park, dann ging es zurück zu ihrem Körper. Sie mußte gar erst etwas suchen, da sie diesen recht gut verborgen vor Blicken niedergelegt hatte. Aber dann war sie doch an der richtigen Stelle durch die Baumwipfel durch, drehte sich und legte sich wieder in ihren Körper hinein. Es war ja ohnehin nur ein Klartraum, von daher war sie natürlich nie weg, allein, es fühlte sich gerade so an, als sei sie von einem Ausflug gerade wieder heimgekommen.
Ihr kam eine philosophische Logelei in den Sinn - was, wenn sie innerhalb eines solchen Klartraums in einen anderen Körper führe und dort scheinbar erwachte?
Was, wenn sie nur scheinbar im Traum in ihren eigenen Körper zurückkehrte und nur träumte, aus dem Klartraum zu erwachen?
Der Gedanke machte ihr schon Spaß, aber sie schob ihn dann doch beiseite. Sie befand sich in ihrem Körper, so oder so.

Der Körper war starr, kalt und wie tot. Marie verharrte noch einen Moment und nahm dieses Gefühl tief in sich auf. Das war sozusagen probeliegen, wobei die Vorstellung wörtlich genommen natürlich recht albern war, denn war man tot und der Leib verbrannt oder verscharrt, gab es da nichts mehr, kein Ich, von daher war es egal, wortwörtlich brauchte man nicht probieren - und doch hatte es eine gewisse Faszination, die sie auch etwas amüsierte. Und danach fühlte man sich umso lebendiger, wenn man diesem Nichts noch einmal von der Schippe gesprungen war. Wenn man tot war, war man keineswegs Nichts, man war einfach nicht mehr, hatte also auch kein Bewußtsein mehr darüber, nicht mehr zu sein. Über den eigenen Tod und das Nichts kann nur reflektieren, wer es nicht ist.

Aber Marie hatte heute noch etwas Praktischeres vor, so beendete sie langsam ihren Klartraum und ihre kontemplative Meditation. Die Kälte hatte wirklich inzwischen mit mächtigen Klauen nach ihrem Leib gegriffen, der starr und fröstelig geworden war, so war es gar nicht so einfach, da überhaupt wieder Leben und Bewegung hineinzubringen. Nur sehr zögerlich reagierte ihr Körper dann doch und Marie konnte ihn wieder bewegen, obgleich er sich noch immer recht taub anfühlte. Aber das war nicht so schlimm. Dann konnte sie doch aufstehen und bewegte sich nun ordentlich, schüttelte alles durch, rubbelte über Arme und Beine, um das Blut wieder ordentlich in Bewegung zu bringen. Offenbar ließ sich der Körper im Grunde recht schnell davon überzeugen, hier probezuliegen oder gar auch liegenzubleiben. Da galt es dann schon aufzupassen, das wieder unter Kontrolle zu bringen.

Marie schaute auf die Uhr. Alles war so weit in Ordnung und die angegebene Zeit entsprach recht genau ihrer Schätzung. Sie hatte noch etwas Zeit, bis sie Lotte treffen würde. So schlenderte sie gemütlich los, einen weiteren Bogen nehmend, der sie dann irgendwann zu jenem Mausoleum führen würde, wo sie sich verabredet hatte. Sie hatte natürlich schon früher einen Blick in das Mausoleum geworfen und sich einen Eindruck verschafft, hatte daher schon recht genaue Vorstellungen, wie es ablaufen sollte, hatte selbst schon ein paar Sachen dort deponiert und mit Lotte grob abgesprochen, was gemacht werden sollte, so war eigentlich bis jetzt alles gut vorbereitet. Mit Lotte zusammen konnte es dann weitergehen, das Mausoleum und die Gruft kurz mit ihr besichtigen, dann konnte sie loslegen. Sie würde ihren Spaß haben. Dafür war Lotte zu haben und sie würde dann ja auch nicht bleiben, bis ihre Bekanntschaft eintreffen würde.

Sie hatte sich hier mit Florian verabredet, mit dem sie Kontakt über eine Partnerbörse im Netz bekommen hatte. Florian war eigentlich ein ganz lieber, netter Kerl, knuffelig und knuddelig. Er war - wie übrigens zahlreiche andere auch - vor ihrem ehrlichen und offenen Profil nicht zurückgeschreckt. Die Unterhaltung über Nachrichten war recht kurzweilig. Irgendwann hatte Florian dann vorgeschlagen, daß sie sich doch einmal treffen könnten. Marie war skeptisch gewesen. Florian war aber nett und dann in dem Punkt auch noch hartnäckig, so hatte sich Marie schließlich überreden lassen, also wurde eine Treffen zu ihren Bedingungen verabredet. Und dann hatte sie organisiert.

Ihr Bogen führte sie am Mausoleum vorbei. Sie würde gleich weitergehen, Lotte entgegen, denn sie wußte, welchen Eingang diese nehmen würde.
Im Klartraum verwischte immer ein wenig, was jetzt Traum war und was profanes Jetzt. Sie brauchte immer ein wenig, um genau festzulegen, daß sie nun wieder im Jetzt war. So hielt sie vor dem Mausoleum ein wenig inne und fokussierte ganz auf das Hier und Jetzt. Im Klartraum hatte man eher den Überblick und wie man die Zeit zaudern fühlte, wurde auch der Raum eventueller und nicht mehr so eindeutig präsent. Selbst wenn man dann schon wieder eine Weile unterwegs war, fühlte sich immer noch alles an, als sei es nicht ganz echt, nicht ganz profan, sondern irgendwie wie hingedacht, wie von einem Impressionisten hastig und doch mit Leidenschaft und Einfühlungsvermögen für die Stimmung auf eine Leinwand gebannt, allerdings beweglich und veränderlich, begreifbar. Mit Fokussierung wurde dann aus dem Impressionisten kurzfristig ein Hyperrealist, der alles viel zu genau machte, als daß man es genau hätte erfassen können, aber dann nur noch ein kleiner Ausschnitt, der in seinem Detailreichtum, in der Abstraktion dieser Details eigentlich ähnlich rätselhaft erschien wie der Überblick aus der distanzierten Sicht des Klartraums, wo sie virtuos in die Schubladen ihres Seins greifen konnte, um alles hervorzuholen und um den kleinen Finger gewickelt gelten zu lassen.

Marie griff mit der linken Hand, mit der Funkuhr dran, in die Tasche, um den Schlüssel für das Mausoleum zu ziehen und dann mit einem Blick die Zeit zu fixieren, womit dann schlagartig der Überblick über das Ganze wieder verwischen würde und sie wieder eintauchen mußte in die profane Bestimmtheit des Alltags und schwelgen in der Gestaltung des heutigen Tages …

Der Wind rauschte leicht durch die Blätter der Bäume.
Ein Eichhörnchen zischte vorbei und schaute nur kurz irritiert.
Die Zeit signalisierte, daß sie nicht länger zaudern mochte?
Sie gab sich zu erkennen, daß sie nicht länger einen Bogen um sie schlagen mochte?
Marie schaute auf.
Doch wohl eher nur ein ganz normaler Windhauch an einem sonnigen Herbsttag.
Sonnenstrahlen kitzelten mild und lustig ihr Gesicht und Marie mußte lächeln und zog entspannt und gelassen die Hand aus der Tasche…

Ende

Der Text ist zuende. Aufgrund technischer Mängel von Darstellungsprogrammen kann es allerdings sein, daß Seiten aus dem Inhalt in alphabetischer Reihenfolge angeboten werden und nicht in der Reihenfolge der Erzählung. Diese Anordnung kann komplett ignoriert werden. Im Navigationsmenü gibt es eine Übersicht.

Die Auswahl eines nicht-linearen Handlungsstranges erfolgt im normalen Lesefluß durch Auswahl eines Verweises einer Liste am Ende eines Kapitels, für welches es verschiedene Alternativen als Fortsetzungen gibt. Zusätzlich gibt es zu allgemeinen Orientierung im Inhaltsverzeichnis eine Übersicht über sämtliche Kapitel und ihren Zusammenhang mit übergeordneten Kapiteln in Listenform.

Das klassische Inhaltsverzeichnis als Liste mit Texteinträgen ist allerdings nur begrenzt nützlich und fungiert primär als Hilfe, Zusatzinformationen, Einstieg ins Buch und die graphische Visualisierung der Inhaltsstruktur auszuwählen oder auch ein aktuell zu lesendes Kapitel bei einer Unterbrechung wiederzufinden.

Nutzungshinweis

Diese Seite sollte eigentlich nicht angezeigt werden, da es sich um eine nicht-lineare Erzählung handelt. Die Navigation innerhalb der Erzählung erfolgt nur über die Liste der Verweise am Ende eines jeden Kapitels. Im Navigationsmenü gibt es eine Übersicht.

Die Auswahl eines nicht-linearen Handlungsstranges erfolgt im normalen Lesefluß durch Auswahl eines Verweises einer Liste am Ende eines Kapitels, für welches es verschiedene Alternativen als Fortsetzungen gibt. Zusätzlich gibt es zu allgemeinen Orientierung im Inhaltsverzeichnis eine Übersicht über sämtliche Kapitel und ihren Zusammenhang mit übergeordneten Kapiteln in Listenform.

Das klassische Inhaltsverzeichnis als Liste mit Texteinträgen ist allerdings nur begrenzt nützlich und fungiert primär als Hilfe, Zusatzinformationen, Einstieg ins Buch und die graphische Visualisierung der Inhaltsstruktur auszuwählen oder auch ein aktuell zu lesendes Kapitel bei einer Unterbrechung wiederzufinden.