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Wind im Gesicht


Wind im Gesicht


1. Auflage

von: Heinz Kruschel

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 10.12.2017
ISBN/EAN: 9783956551444
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 404

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Der Autor Heinz Kruschel, bekanntgeworden durch Romane und Erzählungen, erzählt in diesem Roman die Geschichte des Biologen Robert Karnel, der seine eigene Dissertation verwirft, weil er einem außerordentlich interessanten und volkswirtschaftlich wichtigen mikrobiologischen Problem auf die Spur gekommen ist und es lösen helfen möchte. Gleichzeitig hat Karnel Studenten zu erziehen, Biologie-Lehrer von morgen; auch dies versucht er auf neue Weise, er kämpft an gegen den toten Wissensballast einer bloß beschreibenden Wissenschaft; er sucht der Hochschulreform an seinem Institut schneller zum Durchbruch zu verhelfen. Gelegentlich erweist er sich dabei als Einzelgänger wider Willen, gelegentlich aber verbauen er und seine Freundin Jane sich auch selbst den Weg zu neuen Formen kollektiver Arbeit, die sie ja eigentlich anstreben. Es gelingt dem Autor, mit diesem Roman aus dem Milieu junger sozialistischer Wissenschaftler in einer spannenden Handlung Probleme jener Zeit zu gestalten. Immer geht es dabei um die Probleme und Konflikte von Menschen und um ihre Lösung.
Heinz Kruschel, 1929–2011, Sohn eines Bergmanns und späteren kaufmännischen Angestellten der Staßfurter Salzbergwerke, entging nur knapp dem für seine Generation typischen Schicksal, im finalen Aufgebot der letzten Kriegstage - dem "Volkssturm" - verheizt zu werden.
Noch ehe er seine Modelltischlerlehre beendet hatte, beschloss die Partei, in die er jung eingetreten war, dass er Neulehrer zu werden habe, und ließ ihn 1949/50 am Lehrerbildungsinstitut in Staßfurt studieren. Anschließend war er Lehrer in Sandersdorf - den Schülern jeweils ein Kapitel im Lehrbuch voraus -, danach in Magdeburg und Egeln sowie Direktor einer Erweiterten Oberschule in Havelberg.
Nach einem berufsbegleitenden Fernstudium der Germanistik war er Journalist und Kulturredakteur bei der "Volksstimme" in Magdeburg. Ab 1963 lebte er als freier Schriftsteller in Magdeburg, bereiste im Auftrag von Illustrierten wie der "Für dich" Ungarn, Bulgarien, Usbekistan und Kuba und schrieb zahlreiche Erzählungen und Romane für Jugendliche und Erwachsene.
Sein Roman "Das Mädchen Ann und der Soldat" wurde 25 Jahre lang immer wieder neu aufgelegt, während Bücher wie "Der Mann mit den vielen Namen" oder "Leben. Nicht allein" erst nach erbitterten Auseinandersetzungen mit jenen Behörden, die Literatur zu genehmigen hatten, erscheinen durften.
Sein Roman "Gesucht wird die freundliche Welt", der als erster in der DDR das Thema des Umgangs mit straffällig gewordenen Jugendlichen thematisierte, wurde 1978 von Erwin Stranka unter dem Titel "Sabine Wulff" verfilmt.

Auszeichnungen:
Erich-Weinert-Preis der Stadt Magdeburg
Theodor-Körner-Preis
Banner der Arbeit
Literaturpreis des FDGB
Vaterländischer Verdienstorden
Karnel fuhr zu einer Tagung nach Berlin. Über dem Lande lag dichter Nebel, das Wetter war novemberhaft. Der D-Zug schlich, stoppte vor größeren Stationen, die Sichtweite betrug keine fünfzig Meter, und erst am späten Vormittag lösten sich die milchigen Schwaden vom Boden. Karnel fuhr gern mit der Eisenbahn. Hier konnte er ungestört Menschen beobachten, das Päckchen gekaufter Zeitschriften durchblättern und sich über die Gleichheit der Thematik ärgern, man konnte auch bloß nach draußen sehen auf die gleitenden Wälder und Baustellen, Brücken und Flüsse, dabei konnte man denken, wenn man wollte. Wenn man musste, wie in seinem Falle. Er dachte an das Gespräch, das er gestern Abend mit Doktor Itter geführt hatte. „Ich habe bei der Assistentin Turk hospitiert, man muss ihr wohl helfen.“
Karnel war nicht überrascht von dem Besuch. Janne hatte ihm von der Hospitation erzählt. „Sie verlangt viel, nichts dagegen zu sagen, aber sie glänzt, sie glänzt mit ihrem Wissen, mit brillanten Wendungen, mit vielen, nach meiner Meinung zu vielen Fremdwörtern, sie wird nicht von allen verstanden; ich fürchte, sie verzichtet auch allzu schnell auf die Mitarbeit der Studenten, die ihr nicht folgen können. Begreifen Sie meine Sorge?“
Der Zug fuhr in das Randgebiet Berlins ein. Der Nebel war völlig gewichen, der Himmel strahlte blau.
Jannes Verhalten war keineswegs abnorm, fand Karnel, sie hatte eine einfache Straße gehabt, der Schotter und die Feldsteine auf dem Wege kommen erst noch, Karnel wusste, was Itter und andere an ihr schätzten: ihre Offenheit, ihre Sucht nach Wahrheitsfindung. Aber er wusste auch, was man mit Misstrauen registrierte: ihren Fanatismus (es gibt im Leben nun mal keine vollkommene Konsequenz) und ihre Ich-Bezogenheit (das war eine Unterstellung, eine Behauptung ohne schlüssigen Beweis).
Auch darüber hatte Itter mit ihm gesprochen, und Karnel hatte erwartet, dass der Lehrstuhlleiter etwas zu dem „Fall Karnel“ sagen würde, mindestens aber zu dem Puschendorf-Artikel, aber darüber verlor Itter kein Wort, und er, Robert Karnel, hatte auch keine Lust, ihn danach zu fragen. Für Itter war so etwas ein Kavaliersdelikt, mindestens aber eine „unwissenschaftliche Art“. Peinlich, Herr Kollege, also redet man nicht darüber. Im Lehrstuhl wollen wir im Februar unsere Vorschläge für die Reform ausarbeiten.
Karnel blickte durch das Fenster und blinzelte in die Sonne.
Es wird Zeit, dass sich der Lehrstuhl dazu aufrafft, alles geht zu schlaff und zu langsam. Warum hatte Itter überhaupt bei Janne hospitiert? Das war nicht üblich, Janne gehörte zu einem anderen Lehrstuhl ...

Die Tagung fand in der Universität statt, und Karnel kam trotz der Zugverspätung noch zum Hauptreferat des greisen, massigen Gelehrten zurecht, der über die Kybernetik in der molekularen Biologie sprach, ruhig, mit sonorer Stimme, fast frei. Der Greis wirkte wie ein ehrwürdiger Priester, der einem alten Gemälde entstiegen war. Karnel liebte solche Tagungen. Er konnte seine eigenen Ansichten mit den hier ausgesprochenen Aufgaben der Biologie konfrontieren und fühlte sich froh, wenn er sie bestätigen konnte.
Als der Gelehrte zum Schluss seines Vortrages kam, entdeckte Karnel Posalaky im Raum, der Ungar hob grüßend einen Finger.
In der Pause kam Doktor Posalaky auf Karnel zu. „Gratuliere“, sagte der schmächtige Ungar, packte Karnels Rechte mit beiden Händen und schüttelte sie.
„Danke, danke“, sagte Karnel, „aber wozu denn?“
„Erstens hast du mir deine Schrift geschickt, die über Probleme der Theoretischen Biologie, exzellent. Zweitens habe ich hier in Berlin von deinen Forderungen erfahren, die eine Zeitung veröffentlicht hat - gute Gedanken. Wie sagt man bei euch? Du bist ein Schritthalter, nein, ein Schrittlaufer ...“
„Ein Schrittmacher.“
„Richtig, ein Schrittmacher der Schulbiologie und der Hochschulreform, Karnel-Robert, mein Freund.“
„Ach was. Manche Leute bei uns meinen, ich sei ein Stänkerer und würde das eigene Nest beschmutzen, ich würde viel zu viel verlangen und wäre ein Utopist ...“
Der Ungar lächelte und wiegte den Kopf. „Sie haben nicht ganz unrecht, die Utopie ist bei neuen Sachen immer mit im Bunde, deine Forderungen sind auch zum Teil Fernziele und nur nacheinander zu verwirklichen, und was die angeht, die meinen, du würdest stänkern ... Sie werden eines Tages auch zu denen gehören, die alles begreifen, die Menschen sind verschieden, lieber Karnel-Robert, es sind nicht die schlechtesten, die lange zögern und wägen.“
„Vielleicht.“
Die Konferenz dauerte noch vier Stunden. Einer der Assistenten des Gelehrten lobte in seinen Ausführungen den Vorstoß des Lehrerbildners Robert Karnel „von der Basis her“ und meinte: „Wir dürfen nicht mehr dastehen wie Schmiede, die mit Hämmern eine Uhr reparieren wollen, wir müssen an die richtigen Werkzeuge, an die modernsten Methoden für die künftigen Biologielehrer denken. Mit Althergebrachtem geht das nicht mehr. Gewiss, das wird ein langwieriger Prozess sein, aber das darf uns nicht abhalten zu fordern, denn die sozialistische Gesellschaft fordert von uns die höchsten Leistungen ...“
Karnel schien äußerlich ruhig zu sein, aber in ihm glühte es, in ihm war viel Freude.

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