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Über dieses Buch:

Wann hört man auf, vom Glück zu träumen? Das Leben hat es nicht immer gut mit Brian Davis gemeint – doch eines hat er nie vergessen: wie glücklich er sich damals fühlte, wenn er mit Norma auf die raue See hinaus fuhr, um Orcas zu beobachten. Norma, die Frau, an die er einst sein Herz verlor … und die er seit Jahrzehnten nicht gesehen hat. Als Brian, der inzwischen in einem Pflegeheim lebt, dem jungen Pfleger Tom davon erzählt, macht der ihm einen schicksalhaften Vorschlag. Und so machen sich die beiden auf die Suche nach Brians großer Liebe – im Gepäck ein Geständnis, das schon viel zu lange ungesagt blieb …

Michael Romahn entführt seine Leser auf eine berührende Reise von San Francisco bis in das malerische Campbell River an der Westküste Kanadas und schenkt einer verlorenen Liebe neue Hoffnung!

Über den Autor:

Michael Romahn wurde 1959 in Stade geboren und lebt seit vielen Jahren mit seiner Familie im niedersächsischen Harsefeld. Er arbeitet als technischer Redakteur im Flugzeugbau, seine Liebe jedoch gehört der Schriftstellerei.

Michael Romahn veröffentlicht bei dotbooks ebenfalls:

Die Melodie der Sehnsucht

Die Website des Autors: www.michael-romahn.de

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eBook-Neuausgabe März 2019

Dieses Buch erschien bereits 2004 unter dem Titel Die Rückkehr nach Campbell River bei Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt.

Copyright © der Originalausgabe 2004 bei Knaur Taschenbuch

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Krishna.Wu, lastdjedai, Soyka, Petra.Stockfoto

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-448-5

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Michael Romahn

Zwei Augenblicke Glück

Roman

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Danksagung

Lesetipps

Dieses Buch widme ich meiner Tochter Lena.
Ohne dich wäre mein Leben um einiges ärmer.

Was ist das Leben?
Es leuchtet auf wie ein Glühwürmchen in der Nacht
Es vergeht wie der Hauch des Büffels im Winter
Es ist wie der kurze Schatten, der über das Gras huscht
Und sich im Sonnenuntergang verliert

Sprichwort der Crowfoot-Indianer

Kapitel 1

San Francisco, August 1999

Wie ein verschwommenes Gemälde stieg die Golden Gate Bridge an diesem Augustmorgen aus dem weißen Nebel hervor, und das schimmernde Blau des Himmels drängte sich mehr und mehr durch die zerrissenen Wolken. Die Luft roch immer noch nach dem Regen der vergangenen Nacht, aber es versprach ein sonniger Tag zu werden.

Schon seit Tagen hockte der alte Mann auf der hölzernen Bank am Ufer der Bucht und starrte mit verlorenem Blick vor sich hin. Der schleichende Nebel verwischte die klaren Konturen des Nordufers. Der weiße Schleier trieb in dünnen, übereinander liegenden Schwaden über das Wasser, und es sah so aus, als würde die Brücke mit ihren roten, stählernen Pfeilern auf Watte getragen. Ihre schwermütige Schönheit hielt ihn gefangen, aber sie war nicht greifbar und zerfloss, sobald er die Hände nach ihr ausstreckte. »Denk mit dem Herzen«, mahnt ein altes indianisches Sprichwort. Doch wie, in Gottes Namen, fragte er sich wie so oft in den letzten Jahren, kann ein blutendes Herz einen klaren Gedanken fassen? Er schloss die Augen und sehnte sich danach, bis zur Mitte der Brücke zu gehen und von ihrem höchsten Punkt über der Bucht in eine unbekannte Welt zu springen. Dann malte er sich aus, wie sein alter Körper an der tiefsten Stelle ins kalte Wasser sank und still und unbeachtet unterging. Verbrauchte Luft würde seinem Mund entweichen und in sprudelnden Bläschen dem Tageslicht entgegensteigen. Nur die Augen würden durch die Wasseroberfläche dringen und sehen, wie die Sonne in Myriaden von funkelnden Sternen auf den Wellen trieb. In Gedanken versunken, hob er den Kopf aus dem Wasser, durchbrach das friedliche Spiegelbild der weißen Wolken und atmete die kalte, klare Luft des Morgens ein. Allein die Vorstellung, dass ein Teil seines Geistes bereit war, dem trostlosen Leben ein Ende zu machen, brachte sein träges Blut in Wallung, aber so sehr sich seine kranke Seele auch wünschte, der alternden Hülle für immer zu entschweben, der Selbsterhaltungstrieb des Menschen war stärker, als er geglaubt hatte. Der Alte fingerte das zerknitterte Foto aus der Manteltasche und betrachtete es lange. Es zeigte ein prächtiges Orcaweibchen, das umhüllt von glitzernden Schleiern durch die Wasseroberfläche brach und sich dem klaren, weiten Himmel entgegenstreckte. Normas Schrift auf der Rückseite war kaum noch zu entziffern.

Ich spüre ein sonderbares Gefühl tief in meinem Inneren,
und ich will nicht, dass es von mir weicht,
bevor ich nicht weiß, was es ist.
Norma

Jedes Wort hatte sich fest in sein Gehirn gebrannt, und dennoch wanderte sein Blick immer wieder über diese Zeilen. In diesem Moment kam ihm sein Leben wie eine einzige Sinneswandlung vor. Mit einem Mal sah er alles mit einer unbeschreiblichen Klarheit vor sich: Campbell River, das verträumte Fischerdorf mit seinen Holzhäusern, die schwankenden Boote am Pier, das leuchtende Blau in Normas Augen, ihr stilles, in sich gekehrtes Lächeln an jenem Nachmittag an Bord der Antonia. Normas Bild, das er vor sich sah, war so vollkommen, dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Sie war ihm plötzlich so nah, dass er glaubte die warme Haut ihres Körpers spüren zu können. Er steckte das Foto wieder ein und hob langsam den Kopf. Ein junges Mädchen joggte zu den hämmernden Rhythmen ihres Walkmans an ihm vorbei. Sie verlangsamte ihre Schritte und streifte ihn kurz mit ihrem Blick, aber es reichte, um in ihren rehbraunen Augen zu versinken. Sie war hübsch. Ihr langes weiches Haar fiel wie fließendes Wasser über ihre Schultern. Eine Weile sah er ihren wiegenden Hüften hinterher, dann verschwand sie wieder aus seinem Leben. Seine Augen entdeckten ein Pärchen, das eng umschlungen über den Uferweg schlenderte, verliebte Stimmen und Blicke, die ineinander verschmolzen. Er kümmerte sich nicht weiter um sie. Er hatte gelernt, allein zu sein.

Am Tag machte ihm die Einsamkeit nichts aus, denn das hektische Treiben der ruhelosen Stadt blendete mehr und mehr seine Sinne. Er zog ruhelos durch die Straßen, lebte von dem Geld, das ihm Fremde für ihre aufdringlichen Blicke zu Füßen warfen, und nahm im Getümmel Chinatowns ein paar Bissen zu sich. Erst in der Nacht, wenn die Leute in ihre Häuser zurückkehrten, spürte er, wie die Wärme aus seinen Gliedern kroch und eine erkaltete Hülle zurückließ. Er hatte es aufgegeben, die Tage zu zählen. Nichts erschien ihm mehr von solcher Wichtigkeit, dass es sich lohnen würde, seine schwindenden Kräfte dafür zu vergeuden. Seine harten Gesichtszüge früherer Jahre waren erschlafft, und tiefe, ineinander laufende Furchen gruben sich in seine Haut. Die dünnen Beine, die ihn mehr als fünfundsechzig Jahre durchs Leben getragen hatten, waren von dicken, schmerzenden Krampfadern durchzogen. Sie schlängelten sich wie ausgelaufene schwarze Tinte unter der Haut entlang und ließen jeden Schritt zur Qual werden. Aber es war nichts Besonderes in diesem Stadium seines Lebens. Er würde sterben, hier, an diesem Ort, an dem er niemals zu Hause war.

Wie an den Tagen zuvor hing das fleckige Hemd über den alten Jeans. Der zerschlissene Mantel und die ausgetragenen Stiefel halfen nur noch wenig gegen den rauen Pazifikwind. Wäre sein Vater noch am Leben, hätte er seinen erbärmlichen Anblick womöglich mit außergewöhnlicher Zufriedenheit zur Kenntnis genommen. Er war seit jeher davon überzeugt gewesen, dass sein Sohn es nie zu etwas bringen würde.

An diesem Punkt seines Lebens besaß er nichts weiter als das, was er am Leibe trug, und seinen Hund No Name. Der Mischling streckte die Vorderbeine von sich, stieß einen tiefen Seufzer aus und rollte sich wieder zusammen. Wenigstens er schien im Einklang mit sich selbst zu sein. Er hatte den Hund hinter den Müllcontainern einer Tankstelle gefunden, irgendwo nördlich von Sacramento, abgemagert, namenlos und vergessen wie er selbst. Und da ihm kein passender Name einfallen wollte, beschloss er, es auch dabei zu belassen. No Name war nicht viel größer als die Reifen eines gewöhnlichen Pick-ups, und sein Fell war so grau wie erkaltete Asche. Die Finger des alten Mannes gruben sich in das zottelige Fell, und No Name schien es zu genießen, denn er hob seinen Kopf, als wollte er den Mond anheulen, und legte die Ohren genussvoll an.

Der Alte blinzelte in die aufsteigende Sonne und stellte sich vor, wie die Frauen an den Gräbern ihrer geliebten Männer trauerten, wie sie das Unkraut jäteten und einmal in der Woche frische Blumen auf die schwarze Erde legten. Eines Tages würde man auch ihn begraben, und auf dem Grabstein würde nur ein belangloser Name stehen, den niemand kannte. Niemand würde je erfahren, was für ein Mensch er wirklich war, welches Leben er gelebt hatte, und das welke Laub der Bäume würde auf sein Grab wehen, vermodern und zerfallen, lange bevor der Winter seine weiße Decke über alles gelegt hätte.

Aus dem alternden Gesicht war das Lächeln gewichen, und das kräftige Grün seiner Augen war stumpf und durchscheinend geworden. Manchmal glaubte er zu spüren, dass ein Teil seines Gehirns allmählich vertrocknete wie ein abgebrochener Zweig. An schlechteren Tagen fiel es ihm sogar schwer, No Names Winseln, den hellen Glockenschlag einer Kirchturmuhr oder das Hupen entfernter Autos wahrzunehmen. Die Welt bestand dann aus gezähmten Tönen, dumpf und ineinander verschlungen wie Donnerschläge in der Ferne.

Der Trailer, in dem er noch vor einigen Wochen übernachtet hatte, war nur noch ein Haufen zusammengepresstes Aluminium. Pete Collins, ein wortkarger Pferdezüchter, den er in einer dunklen Bar in Santa Rosa getroffen hatte, hatte ihm angeboten, seinen Trailer auf dem Grundstück abzustellen. Im Gegenzug hatte sich der Alte ein wenig um die Pferdeställe gekümmert, die Tiere nach den Ausritten gestriegelt und gefüttert. Nach Collins' plötzlichem Tod gab es niemanden mehr, der sich um die Farm kümmerte. Die Bank verkaufte die Überreste einer glorreichen Zeit, um an ihr Geld zu kommen, und der neue Besitzer jagte ihn von einem Tag auf den anderen fort. Acht Wochen war es jetzt her, und in den kühler werdenden Nächten vermisste er den Gaskocher mit seiner bläulichen Flamme, einen Becher heißen Kaffee und ein warmes Essen, das Collins ihm jeden Mittag brachte. Sein Vater hatte Recht behalten. Er hatte versagt, ohne dass er die Gründe dafür benennen konnte.

Die müden Augen des alten Mannes folgten dem lautlosen Flug eines Kormorans. Er schwebte dicht über dem Wasser Richtung Norden, wachsam und bereit, sich im nächsten Moment auf die Beute zu stürzen. Er hatte plötzlich das Gefühl, als würde eine verschollene Erinnerung in sein Bewusstsein zurückkehren, aber es war schon zu lange her, um sie wieder in sich aufzunehmen. Es war so, ah würde er von der nächsten Welle unter Wasser gezogen. Er spürte das salzige Wasser, wie es sich wieder durch seine Kehle in den Körper fraß. Er fühlte stärker denn je, dass ihm das Leben mehr und mehr entglitt, dass es allmählich zerfiel wie ein verrotteter Baumstamm im Dickicht des Regenwaldes.

Plötzlich hörte er murmelnde Stimmen, dann gedämpfte Schritte auf dem weichen Gras, und schließlich spürte er eine kräftige Hand auf seiner Schulter. Officer Landsby, ein schwergewichtiger Koloss mit streichholzkurzen Haaren, baute sich vor ihm auf. Sein Kollege ging zum Streifenwagen, kam mit einer Wolldecke unter dem Arm zurück und legte sie über die Schultern des Alten. Er war ein wenig kleiner als Landsby, aber genauso breit. Er trat ein paar Schritte nach hinten und wartete mit steinerner Miene auf weitere Anweisungen. Landsby fragte freundlich lächelnd nach seinem Namen und wo er wohne, aber der Alte schwieg, sah ihn nicht einmal an. Der Officer wich ein Stück zurück, als hätte er eine unsichtbare Grenze überschritten. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, und der Alte bemerkte deutlich, wie die gespielte Freundlichkeit in nervtötende Routine überging.

Als sie auf dem Weg zum Department die Jackson Street kreuzten, schauten sich die Polizisten kurz an und nickten sich zu. Der Officer legte seine kräftige Hand auf die Schulter des Alten – eine Geste des Mitgefühls, aber er glaubte in Landsbys Augen einen Hauch von Verachtung zu erkennen. Vielleicht war es auch nur die alltägliche Arbeit, die solche Art von Emotionen mit der Zeit tötete.

»Jackson klingt nicht schlecht«, meinte Landsby und blinzelte dem Mann zu. »Natürlich nur, solange wir nicht wissen, wer Sie wirklich sind.« Der Officer schien auf eine Reaktion zu warten, doch der Mann würdigte ihn keines Blickes, sondern sah stumm aus dem beschlagenen Seitenfenster. Schließlich gaben es die Polizisten auf und ließen ihn in Ruhe.

Dem Alten fiel plötzlich ein Zeitungsartikel über einen kleinen Jungen ein, den man vor vielen Jahren auf einer Straße in Jacksonville in Illinois gefunden hatte. Er war taub und blind und außerstande, auch nur eine Silbe von sich zu geben. Da niemand seine wahre Identität herausbekam, nannte man ihn einfach John Doe Nr. 24, weil er der vierundzwanzigste unidentifizierte Mensch war. Das blieb er auch bis zu seinem Tod, und selbst an seinem billigen Grab gab es niemanden, der ein paar Worte hätte sagen können.

Im Büro des Officers reichten sie ihm einen Plastikbecher mit Kaffee. Er war dünn und viel zu heiß. Eine Ärztin kam durch die gläserne Tür. Er stand ihr den Rücken zugewandt am Fenster, aber er spürte die Vibrationen ihrer Schritte und ihren warmen Atem, als sie sich behutsam näherte.

Als er ein aufmunterndes »Hallo« vernahm, drehte er sich langsam zu ihr. »Dr. Connelly« stand auf dem kleinen Schild über ihrer linken Brust. Sie hatte ein schmales Gesicht mit dünnen, lang geschwungenen Brauen und wundervolles gelocktes Haar. Es war schwarz und glänzend wie der nächtliche Sternenhimmel über San Francisco, und für einen winzigen Augenblick dachte er daran, mit seinen Fingerspitzen über ihre zarte sonnengebräunte Haut zu streichen, weil er das Gefühl einer solchen Berührung schmerzlich vermisste. Ihre haselnussbraunen Augen flogen über den Bericht des Officers. Sie musterte ihn von oben bis unten, kontrollierte den Puls und bat ihn, das Hemd aufzuknöpfen.

»So weit ist alles in Ordnung«, sagte sie nach einer Weile, während sie die Enden des Stethoskops aus ihren Ohren nahm. »Aber es wird wohl noch ein paar Tage dauern, bis Sie wieder zu Kräften kommen. Außerdem würde ich Sie gern in meiner Praxis genauer untersuchen.«

Sie sah ihn erwartungsvoll an, aber er wusste nicht so recht, ob er das wollte. Er fürchtete, dass sie seine Seele auseinander brechen und sein Leben ausweiden würde, als wäre er ein totes Stück Vieh. Doch sie würde nicht ans Ziel kommen, solange er sich ihr nicht öffnete.

Gegen Mittag brachte ihn einer von Landsbys Leuten zu Dr. Connellys Praxis. Als sie ihre Untersuchungen beendet hatte, fragte auch sie, woher er komme, ob er Verwandte habe oder ob es jemanden in seinem Leben gebe, der sich um ihn kümmern könne. Der Alte nahm einen Stift in die zitternde Hand und schrieb die Frage nach seinem Hund auf ein Blatt Papier. Sie lächelte und antwortete, dass Tiere hier nicht erlaubt seien, aber dass er sich keine Sorgen zu machen brauche. Dann legte sie ihre Hand auf seinen Arm, unverbindlich und emotionslos, als würde sie ein Möbelstück berühren. Menschen müssen eine Funktion haben, eine Aufgabe, an der sie gemessen werden, aber er hatte noch nicht einmal ein Zuhause. Sie setzte sich verkehrt herum auf einen Stuhl und legte ihre Arme auf die Rückenlehne.

»Wollen Sie mir wirklich nicht sagen, wie Sie heißen? Ich bin Ärztin und unterliege der Schweigepflicht. Wenn Sie es nicht möchten, dass ich es jemandem erzähle, dann wird es auch niemand erfahren.« Ihre funkelnden Augen verrieten ihre Verärgerung, aber sie war klug genug, sich zurückzuhalten. »Mr. Jackson oder wie auch immer Sie heißen mögen, ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie nicht sprechen und sich an nichts erinnern können. Es deutet absolut nichts darauf hin. Sie haben Arthritis, okay, aber das ist nichts Außergewöhnliches in Ihrem Alter. Ein paar Kilo mehr auf den Rippen könnten Ihnen auch nicht schaden, aber alles andere ...« Sie unterbrach sich, machte eine kurze Pause und versuchte seinen Blick aufzufangen. »Ich möchte ein paar Tests machen, um zu sehen, was Ihnen wirklich fehlt, aber wenn Sie mir nicht ein klein wenig helfen, kann ich nichts für Sie tun.«

Er fühlte sich mit einem Mal elend, doch er konnte und wollte sein Schweigen nicht brechen. Vielleicht eines Tages, wenn überhaupt, aber nicht jetzt. Er hatte es noch nie jemandem erzählt – sechsunddreißig lange Jahre nicht. Als er die Augen von ihr nahm und durch das helle Fenster in den gepflegten Vorgarten der Praxis blickte, drückte sie mit einem resignierenden Seufzer eine Taste der Sprechanlage. »Lydia, rufen Sie bitte Mr. Thomstone an. Er soll einen Pfleger vorbeischicken.« Dann wandte sie sich erneut dem alten Mann zu. »Es ist ein schönes Heim, Mr. Jackson. Es wird Ihnen sicher gefallen. Ich werde morgen früh wieder nach Ihnen sehen.« Während sie das sagte, legte sie das Überweisungsformular mit einem Stift vor ihm auf den Tisch. »Unten rechts hätte ich gern eine Unterschrift.« Er betrachtete ihre Handschrift. Sie war schön und schnörkellos. Dann nahm er den Stift, bewunderte einen Augenblick lang ihr schönes Gesicht und unterschrieb mit dem Namen Jackson.

Die grob verputzte Fassade des zweistöckigen Gebäudes war vor nicht allzu langer Zeit weiß gestrichen worden. Die quadratischen Sprossenfenster lagen fast alle im gesprenkelten Schatten hoher Bäume, die bis zu den blassroten Dachschindeln hinaufragten. Ein weitläufiger Park mit blühenden Rosen und üppigen Büschen umsäumten das Haus. Davor, in eine niedrige Mauer eingelassen, grenzte ein Eisenzaun mit verschnörkelten Streben das Anwesen vom wirklichen Leben ab. Die schwere, von Efeu umrankte Eingangspforte war verschlossen. Aber die meisten, die man hier untergebracht hatte, waren ohnehin zu schwach, um davonlaufen zu können.

Nach der Anmeldung wurde der Alte von einem Pfleger auf sein Zimmer gebracht. Er hieß Tom, war Anfang zwanzig und hatte tiefschwarze, zum Pferdeschwanz zusammengebundene Haare. Tom war gut einen Kopf größer als er, hatte wachsame grasgrüne Augen und ein äußerst lebhaftes Lachen, das durch die Korridore hallte, obwohl er selbst nirgends zu sehen war. Seine bronzefarbene Haut verriet seine indianische Abstammung. Er trug, abgesehen von den Mokassins aus hellem Wildleder, die weiße Einheitskleidung des Pflegepersonals. Der Alte hielt Tom den Zettel mit No Names Namen hin.

»Ihr Hund?«

Der Mann nickte unsicher.

»Tut mir Leid, aber Hunde sind hier verboten. Doch ich bin sicher, dass man einen schönen Platz für ihn gefunden hat.« Tom lächelte ihm zu, aber an seiner verhaltenen Miene erkannte man sofort, dass er selbst nicht so recht daran glaubte.

Man hat uns also auseinander gerissen, schoss es dem Alten durch den Kopf. Zwei namenlose Vagabunden mit verlorenen Seelen. Die Gewissheit, dass sie ihm auch noch seinen letzten Freund genommen hatten, löste in ihm Bitterkeit aus.

Auf dem langen Flur kam ihnen eine alte Frau entgegen. Ihr Gang war schleppend, und sie zog ihr linkes Bein ein wenig nach. Sie blieb abrupt stehen, schlug ihre dünnen Arme um sich und starrte den Alten mit toten Augen an. Tiefe Furchen verzerrten ihr Gesicht und ließen es greisenhaft und unwirklich erscheinen. Sie musste einmal sehr schön gewesen sein, und der Gedanke an die Veränderung eines Menschen macht den Mann unendlich traurig.

Das Zimmer war karg, aber zweckmäßig eingerichtet. Ein runder Tisch mit zwei Holzstühlen, darüber ein gerahmtes Foto von der blühenden Lombard Street, ein schmales Bett, und gleich daneben auf dem Nachttisch lag eine in Leder gebundene Bibel mit goldfarbenem Kreuz. Direkt neben dem Kleiderschrank befand sich das durch eine Schiebetür abgegrenzte Bad. Der Alte drückte mit der Hand auf die Matratze. Sie war besser, als er erwartet hatte. Er musste sich in seinem Leben schon mit weit weniger zufrieden geben.

Tom legte das Waschzeug und die Handtücher ins Bad und verabschiedete sich. Er war schon fast verschwunden, als er seinen Kopf noch einmal durch die Tür steckte.

»Im Leben eines Indianers, hat Henry Old Coyote einmal gesagt, gibt es keine schlechten Tage. Auch wenn die Zeiten noch so schwierig sind – jeder Tag ist gut. Weil du am Leben bist, ist jeder Tag gut. Denken Sie mal darüber nach. Bis morgen also.«

Der alte Mann nickte schwach, zog sich aus und stopfte die verdreckten Kleider in einen blauen Plastiksack, den Tom dagelassen hatte. Er stieg in die Dusche und ließ das warme Wasser auf seinen Körper prasseln. Er wusste nicht, wie lange er dort stand, aber es schien ihm genau der richtige Ort zu sein, um über sein verlorenes Leben nachzudenken.

Es war, als würde sich ein Lichtstrahl direkt auf ihn zubewegen. Er strömte unaufhaltsam in die dunklen Kammern seines Gehirns und vertrieb für Augenblicke die Kälte und den ewigen Nebel. Er sah plötzlich einen Ort, die verwaschenen Farben des Himmels und die Gischt einer tosenden See. Eine Frau beobachtete ihn. Er wollte ihr Gesicht erfassen, aber es lag im grauen Schatten eines Dachüberstands. Er kniff die Augen so fest zu, dass die Muskeln zu schmerzen begannen.

In Momenten wie diesem tauchte plötzlich Normas Gesicht aus der Versenkung auf. Der Wind spielte mit ihrem Haar und wehte schwarze Strähnen vor ihre meerblauen Augen. Deutlich war der Gesang der Orcas zu hören, die vor der Küste von Vancouver Island vorbeizogen. Selbst die Stürme der Zeit konnten die Erinnerung nicht vertreiben. Sie war zu tief verwurzelt, als dass man sie vom Grund seines Herzens herausreißen könnte. Als er die Augen wieder öffnete, war Normas Antlitz verschwunden. Er spürte, wie die Kälte zurückkehrte und die Bilder gefroren.

Nachdem er sich abgetrocknet und rasiert hatte, zog er sich an. Tom hatte ihm ein kariertes Baumwollhemd und eine Jogginghose besorgt. Es war bereits kurz vor Mitternacht, und im Zimmer herrschte Totenstille. Er versuchte Geräusche von außen wahrzunehmen, aber die dicken Mauern hielten die Stille gefangen. Er öffnete das Fenster, und im nächsten Moment strömte die Klarheit der Luft in sein Gehirn. Von seinem Fenster aus sah man nicht einen einzigen Stern am Himmel. Eine Gruppe von ineinander gewachsenen Ulmen versperrte ihm die Sicht und warf einen ewigen Schatten auf die Mauern. Er befand sich in der Grauzone des Lebens und ließ sich durch trübe und sinnlose Träume treiben. Es war eine Wanderung durch eine verschleierte Morgenlandschaft, nur der weiße Nebel verflüchtigte sich den ganzen Tag nicht.

Sein Dasein beschränkte sich auf einen winzigen Moment. Er spürte eine tiefe Ruhe in sich, als würde er dem Tod allmählich entgegenschweben. Sein Leben raste durch die Weite der Zeit, ruhte für Momente an Orten, deren Namen er mittlerweile vergessen hatte. Er ließ sich aufs Bett fallen, starrte auf das nächtliche Grau der Zimmerdecke und lauschte dem Rhythmus seines eigenen Atems.

Die Nacht war seit langem seine Zuflucht vor der Ungewissheit, und der dumpfe Schmerz, der seinen Körper am Tag fest im Griff hatte, nahm etwas ab. Es herrschte eine tiefe Dunkelheit, wie auf dem Meeresgrund im zerfallenen Rumpf eines gesunkenen Schiffs. Am Ende eines Traums, dort, wo die Hoffnung der Verzweiflung wich, wachte er schweißgebadet auf. Sein linker Arm schmerzte. In seinen Ohren durchbrach ein seltsames Rauschen die Stille. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Wind das Herbstlaub von den Bäumen riss. Er wartete geduldig auf die Sonne und ein Licht, das ihm das Leben zurückbringen würde.

»Weil du am Leben bist, ist jeder Tag gut ...«, murmelte er vor sich hin, bevor der Schlaf ihn endlich überwältigte.

Am nächsten Morgen war er schon lange vor dem Wecken wach. Er wartete, bis sich die Korridore mit Leben füllten, und machte sich auf den Weg zum Frühstück. Im Vorübergehen hörte er gedämpftes Schluchzen. Hinter einer dieser weißen Türen, dachte er bei sich, stirbt gerade ein Traum. Wie in den vielen Jahren zuvor fragte er sich, was wohl aus Norma geworden war. Manchmal kam sie ihm in der Erinnerung so nah, dass er glaubte sie wieder an sich ziehen zu können. Aber sobald er versuchte seinen Arm nach ihr auszustrecken, zerfiel sie zu Staub und wurde mit dem Wind in unerreichbare Ferne davongetragen.

Im Aufenthaltsraum waren die Stühle und Tische in Reih und Glied aufgebaut. Auf dem Rollwagen neben dem Kücheneingang standen beschriftete Thermoskannen mit Kaffee und Tee, auf einem weiteren befanden sich das Geschirr, Besteck und frisches Obst. Auf den Tischen in kleine Portionen aufgeteilt waren Brot, Marmelade, Wurst und Käse. An den mattweißen Wänden hingen Fotos von vergangenen Weihnachtsfeiern – erstarrte Augenblicke, eingefrorenes Lachen von Menschen, die längst gestorben waren.

Eine verblichene Landkarte, die neben dem Bücherregal an der Wand hing, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Sein Zeigefinger glitt mechanisch über die endlosen Highways und die Küste Kaliforniens. Seine Augen schwebten über Orte, die ihm auf seltsame Weise vertraut erschienen. Er presste die Lippen zusammen, versuchte, zerrissene Bilder zu einem Ganzen zu formen. Tom, der ihn eine Weile dabei beobachtet hatte, trat an seine Seite.

»Eine Weisheit der Navajos sagt: ›Gehe aufrecht wie die Bäume, lebe dein Leben so stark wie die Berge, sei sanft wie der Frühlingswind, und bewahre die Wärme der Sonne im Herzen, dann wird der große Geist immer bei dir sein.‹«

Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht des Alten. Tom besitzt ein Gespür dafür, Menschen aufzuheitern, dachte er, zog Tom zu einem der Tische und schrieb auf die Rückseite des Speiseplans: »Du kannst den Regenbogen nicht haben, wenn es nicht irgendwo regnet – Pueblo-Indianer.«

Zuerst schien Tom seinen Augen nicht zu trauen. Der Alte sah es an seinem ungläubigen Blick, dass er nicht mit dieser Erwiderung gerechnet hatte. Dann aber lächelte auch er und schaute links und rechts über seine Schulter, als wollte er sich vergewissern, dass niemand in der Nähe war.

»Die meisten«, flüsterte Tom, »die zu uns kommen, haben sich längst ihrem Schicksal ergeben. Machen Sie nicht den gleichen Fehler.«

Der Alte musste sich zwingen, nicht nach Toms Hand zu greifen. Ein merkwürdiges Gefühl der Vertrautheit ergriff von ihm Besitz. Es kam ihm vor, als würde er erneut aus dem kalten schwarzblauen Wasser der Bucht auftauchen, nach Luft schnappend und glücklich, die Welt in ihren hellen Farben wiederzusehen. Von einer sonderbaren Befangenheit umhüllt, stand er wie angewurzelt da und bemerkte nicht einmal, dass Tom längst gegangen war.

Nach dem Frühstück begleitete ihn Tom in den Park. Eine Pflegerin mit rotem Pferdeschwanz schob eine alte Frau vor sich her. Sie saß zusammengesunken im Rollstuhl und starrte apathisch ins Nichts.

»Sie hat mir mal erzählt, dass sie gerne zu Hause sterben möchte«, sagte Tom leise. »Aber ihre Kinder haben die Ärzte gebeten, sie hier zu behalten. Sie sagen, dass sie keine Zeit hätten, sich um ihre kranke Mutter zu kümmern, und außerdem sei sie hier ohnehin am besten aufgehoben.« Tom blieb stehen und nagte gedankenverloren an der Unterlippe. »Ich frage mich die ganze Zeit, ob sie überhaupt in der Lage sind zu begreifen, was sie ihrer Mutter damit antun. Oder ist die Welt nur herzloser und kälter geworden?« Er legte den Kopf in den Nacken, als könnte ihm der Himmel eine Antwort darauf geben. Aber es war nichts zu sehen außer träge vorbeiziehende Wolken.

Kapitel 2

Kenia, August 1963

Es war heiß an jenem Morgen im Norden Kenias, wie an all den Tagen zuvor. Norma Tyler hockte mit angezogenen Beinen auf ihrem schmalen Bett und massierte ihre schmerzenden Knöchel. Wieder lag eine schwüle Nacht auf der zerschlissenen Matratze hinter ihr, das quälende Warten, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel. Aber er war wie so oft in den vergangenen Monaten zu kurz, um zu vergessen. Sie dachte für Augenblicke an Vancouver Island, die orangefarbenen Bergflanken der Coast Mountains, das Rotwild und die Waschbären in den grünen Wäldern der Insel. Sie vermisste plötzlich das gurgelnde Wasser an den Schiffsrümpfen, den schweren Geruch von Diesel und Fisch, das wütende Meer, das unaufhörlich gegen dunkle Felsen brandete.

Durch das milchige Fensterglas der Krankenstation drang das scharfe Sonnenlicht herein. Norma zog sich seufzend aus dem Bett. Es klang wie ein verzweifelter Seufzer aus der Einsamkeit, aber es war niemand da, der es hören konnte. Sie schleppte sich zum Fenster, sah gebrechliche Frauen, Mütter mit ihren Kindern, die im Gotteshaus Schutz suchten. Manche Frauen wussten noch nicht einmal, ob ihre Kinder den nächsten Tag erleben würden. Die meisten von ihnen gehörten zum Stamm der Turkana. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen zwei Missionare und bekreuzigten sich, sobald ihr Blick auf die armen Wesen fiel. Norma wandte sich ab, bevor die Wut in sie einsickerte, sich in ihr verankerte und sie nicht mehr losließ. Sie hatte abgenommen. Die brennende Sonne Afrikas hatte sie ausgemergelt. Ihre schwarzen Haare waren ausgebleicht. Es wurde von keinem bemerkt, dass das Licht aus ihren Augen längst verschwunden war. Ihr müder Blick fiel auf das zerknitterte Telegramm. Ihr Vater lag im Sterben. Sie wusste es, obwohl ihre Mutter es herunterspielte. Sie wusste auch, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Norma kannte ihre Mutter viel zu gut. Amie hätte nie ein Wort über Sams Gesundheitszustand verloren, wenn es ihm nicht sehr schlecht gehen würde. Norma fühlte sich elend, aber sie würde sich noch schäbiger fühlen, wenn sie die stumme Bitte ihrer Mutter ignorieren würde.

Normas Vater war Lachsfischer. Dreißig Jahre lang hatte er die Nächte auf See verbracht, im phosphoreszierenden Widerschein des Mondes gewartet, nur die kreischenden Möwenschwärme als ständige Begleiter. Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie daran dachte, wie er ihr wortlos einen halben Eimer roter Farbe und einen Pinsel in die Hand gedrückt hatte, nur weil ihr der froschgrüne Anstrich des Schiffsrumpfes nicht gefallen hatte.

Als sie vierzehn oder fünfzehn war, hatte er sie zum ersten Mal mit hinausgenommen. Sam erzählte von riesigen Schwärmen von Silberlachsen, die mit der Flut in den Kanal schwammen. Man konnte auch bei ablaufendem Wasser fischen, aber es war bei weitem nicht so ertragreich. Er zeigte Norma, wie man das Boot manövrieren musste, um das Netz nicht voller Seetang zu haben. Es war nicht so einfach während der stetig drehenden Winde, die das Meer aufwühlten. Unerfahrene konnten leicht die Orientierung verlieren und aus dem Schutz der Bergflanken aufs offene Meer hinausgetrieben werden.

Manchmal legte er für einen kurzen Augenblick die Hand um ihre Taille. Sie nahm seine Hand und drückte sie, so fest sie konnte. Sie erinnerte sich an das kurze Aufflackern väterlicher Zuneigung in seinem Gesicht, doch dann, als hätte er Angst, sich ihr zu offenbaren, zog er sie zurück. Später sah sie ihm dabei zu, wie er mit der Netzwinde den Fang aus dem Wasser hievte und sich geschickt über die nassen Planken bewegte. Sie bewunderte ihn, weil er sich auf dem Meer auskannte wie kein anderer. Er wusste alles über die Gezeiten, die Strömungen und die unberechenbaren Winde. Sam befreite das Kiemennetz vom Seetang, rieb das Fischblut vom Stahlhaken der Gaff und reinigte anschließend mit einem Wasserschlauch das Deck. Norma beobachtete, wie das Wasser durch die Speigatten ins Meer floss. Während der ganzen Zeit zog er an seiner Pfeife und sprach kein Wort mit ihr. Als sie in der Morgendämmerung in den Hafen einliefen, war der Laderaum voller silbern schimmernder Lachse.

Auch an diesem Morgen war das Krankenhaus überfüllt. Es befand sich dreihundert Kilometer nordwestlich von Nairobi, mitten in einem der unfruchtbarsten Landstriche Kenias. Vor einigen Tagen hatte sie ein Rudel Löwen beobachtet, wie sie sich gierig auf ein erlegtes Gnukalb stürzten und das blutende Fleisch von den Knochen rissen. Keine Viertelstunde später trotteten sie satt und träge in den Schatten der Dornensträucher und überließen den Geiern und Hyänen die kläglichen Überreste. Hier gab es nichts außer kargen Büschen, vereinzelten Affenbrotbäumen und verbrannter Erde. Die Menschen flüchteten vor der sengenden Mittagssonne in ihre schilfgedeckten Hütten, und sogar das Hochplateau am westlichen Horizont schien in der flirrenden Hitze zu schmelzen. An den windigen Tagen, wenn der Staub durch die trockene Luft wirbelte und über die Straßen fegte, wirkten die Dörfer wie verlassene Geisterstädte.

Im Vorübergehen lauschte Norma den Gebeten eines Priesters und fragte sich, wem sie wohl helfen würden. Der kleine Junge in ihren Armen rang nach Atem, versuchte angestrengt seinen Kopf zu heben, aber sein zum Skelett abgemagerter Körper ließ es nicht zu. Die durchscheinende Haut spannte sich zum Zerreißen um den Brustkorb. Das Schwarzwasserfieber hatte die Macht übernommen. Norma war bemüht, sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren, doch ihre Hände zitterten schon beim Anblick der weit aufgerissenen Augen des Jungen, die sie Hilfe suchend anstarrten. Zwei Tage später war der Junge tot, aber sein in die Ferne gerichteter Blick wollte nicht von ihr weichen. Der Gedanke daran verdunkelte ihre Seele, und in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie nie mehr dieselbe sein würde.

Sie musste wieder an das Elend in den abgelegenen Dörfern denken. Im Geiste sah sie Myriaden von Fliegen, die wie unheilvolle Vorboten des Todes über den Köpfen der Babys und Kinder surrten. Während der drei Jahre in Afrika hatte sie gelernt, ihre Anspannung zu verbergen. Sie zwang sich zu einem hoffnungsvollen Lächeln, obwohl sie wusste, dass es für einige keinen nächsten Morgen geben würde.

Ein junger Massai lehnte an der kalkweißen Wand. Er hatte sein rechtes Bein auf die Krücke gelegt. Eine Mine hatte sein Bein unterhalb des Knies zerfetzt. Sie sah seinen leeren Blick, senkte den Kopf und starrte auf das weiße Linoleum des Korridors.

Erst vor drei Tagen war ein Konvoi mit Hilfsgütern und Medikamenten überfallen worden. Kurz hinter Moyamba war er in einen Hinterhalt geraten. So jedenfalls hatte man es ihr erzählt, und es gab keinen Grund, an dieser Version zu zweifeln. Die Worte verhallten. Norma nahm sie nicht wahr, drehte sich schweigend um, als hätte sie eine überfällige Nachricht empfangen. Manchmal, in stickigen Nächten, ging sie in die Dunkelheit hinaus und forderte Antworten auf stumme Fragen. Doch selbst die Stille war Angst einflößend und unwirklich. Sie ließ die Tür des Untersuchungszimmers hinter sich ins Schloss fallen und stellte den Karton mit den Spritzen zurück in den Medizinschrank. Die Blutreserven waren fast aufgebraucht, und niemand wusste, wann die nächste Lieferung eintreffen würde. Auf der Station kam ihr Dr. Brandon entgegen. Er war der einzige ausgebildete Chirurg vor Ort, und sie fragte sich, was ihn von Philadelphia hierher getrieben hatte. Sie beneidete ihn um seine Besonnenheit, die Ruhe seiner Hände, die unermüdlich arbeiteten. Er war knapp über einsachtzig und für ihren Geschmack ein wenig zu dürr. Aber sie mochte ihn, auch wenn sie ihn am Anfang für arrogant und eitel gehalten hatte, und wusste auch, dass er dasselbe für sie empfand. Er gehörte zu denen, die nicht viele Worte verloren, und er wusste auch, wann er sich zurückhalten musste. In all der Zeit lag eine knisternde Spannung zwischen ihnen, Worte, die nicht ausgesprochen wurden. Norma nahm an, dass er befürchtete, die Arbeit könnte unter einer Beziehung leiden, und das würde er niemals zulassen. Sie hätte gern einmal erlebt, dass er die Beherrschung verlor, aber er wirkte selbst nach einer durchwachten Nacht noch erstaunlich bedacht. Er bewegte sich ruhig und gelassen, als würde er stets von einem inneren Rhythmus geleitet. Der tägliche Anblick des Elends schien ihn gefühllos gemacht zu haben, aber Norma wusste, dass er sich zusammenriss, um keine Fehler zu begehen. Brandon füllte die große Leere in ihrem Herzen, indem er ihr das Gefühl der Rastlosigkeit nahm. Die Arbeit auf der Station brachte ihr das verloren geglaubte Selbstwertgefühl wieder. Sie hatte von ihm gelernt, ihre Empfindungen hinter einer lächelnden Fassade zu verbergen.

In den Monaten bevor sie die Stelle in Kenia annahm, war ihr immer klarer geworden, dass sie ihr Leben endlich selbst in die Hand nehmen musste. Zu sehr hatte sie sich immer auf die anderen verlassen, war selbstzufrieden im Strom der Rastlosigkeit mitgeschwommen. Erst durch Brandon, der an ihrem Krankenhaus über seine Erfahrungen als Arzt in der Dritten Welt berichtete, wurde ihr bewusst, was sie zu tun hatte. Norma sprach ihn an, nahm seine Einladung zum Mittagessen an, und einen Monat später saß sie bereits im Flugzeug, flog von Vancouver über Minneapolis und dann über den Atlantischen Ozean nach Afrika. Und es erfüllte sie ein wenig mit Stolz, dass es ihr freier Entschluss war, dass sie selbst es war, die ihrem Leben einen neuen Sinn gab.

Wie in den Wochen und Monaten zuvor tauchte er in der Teeküche auf, schob seine Brille in die schwarzen Haare, rieb sich kurz über die Augen und schenkte sich einen Kaffee ein. Dann sah er sie mit seinen sanften braunen Augen an, als könnte er ihre Gedanken lesen.

»Wollen Sie mir nicht sagen, was Sie bedrückt?«

Einen Moment lang war sie so verblüfft, dass sie kein vernünftiges Wort zustande brachte. Als sie sich wieder gefangen hatte, erzählte sie ihm von dem Telegramm ihrer Mutter.

»Sie müssen zu ihm«, sagte er ruhig, aber diesmal schwang in seiner Stimme ein Hauch von Enttäuschung mit. »Obwohl ich es bedauere, dass Sie uns verlassen.«

Norma wurde ein wenig verlegen. Sie verspürte den Drang, nach seiner Hand zu greifen, aber er wandte sich ab.

»Ich komme wieder, wenn es meinem Vater besser geht«, versprach sie.

»Sie sollten nicht wieder hierher zurückkehren.«

»Warum nicht?«

Brandon machte eine flüchtige Handbewegung durch den Korridor. »Wir kämpfen hier gegen Windmühlen, und Sie sind zu jung, um daran zu Grunde zu gehen.«

Sie sah ihn fragend an. Er war ein Idealist, der für das kämpfte, woran er felsenfest glaubte, selbst wenn dies bedeutete, dass er sein eigenes Leben beinahe vollständig aufgegeben hatte. Sie konnte einfach nicht glauben, dass er seine Arbeit in Zweifel zog. Sie trat ein paar Schritte zurück, damit er nicht sah, dass sie am ganzen Körper zitterte. Die Hände tief in die Taschen ihrer khakifarbenen Hose vergraben, starrte sie aus dem Fenster.

»Glauben Sie nicht, dass irgendwann einmal der Wind nachlässt und die Flügel erlahmen?«

»Fragt sich nur, ob wir es noch erleben werden«, entgegnete er kurz zweifelnd, lächelte aber gleich wieder charmant. »Trotzdem werde ich Sie vermissen.«

»Es ist nett, dass Sie das sagen.«

»Ich sage es nicht nur, ich meine es auch so«, erwiderte er mit fester Stimme und nippte kurz an seinem Becher, bevor er den Rest in den Ausguss goss.

»Ich fühle mich trotzdem nicht wohl dabei, hier alles stehen und liegen zu lassen.«

»Ihr Vater braucht Sie jetzt dringender.«

»Dabei weiß ich nicht einmal, ob er mich überhaupt sehen will.« Norma lächelte ihn an, obwohl es keinen Grund dafür gab. »Er hat es nicht verstanden, dass ich meine Stelle für dieses Himmelfahrtskommando aufgegeben habe. Wissen Sie, was er mich einmal gefragt hat?« Dr. Brandon schüttelte den Kopf. »Er fragte mich, was ich damit zu tun hätte, ob es nicht bei uns genug Kranke gäbe, um die man sich kümmern müsste.«

»Und was haben Sie geantwortet?«

»Ich habe ihm eines der Fotos gezeigt, die Sie mir gegeben haben. Das mit dem kleinen Jungen, der am Hundebandwurm gestorben war. Dann habe ich mich wütend umgedreht und bin gegangen.«

»Ich kann Ihren Vater verstehen, ein bisschen wenigstens«, sagte er. »Ich habe mir oft diese Frage gestellt, und glauben Sie mir, ich suche bis heute nach der Antwort. Es ist ohnehin fraglich, wie lange die Station noch existiert.« Norma bemerkte, wie er einen Moment lang durch sie hindurch aus dem Fenster sah. »Sie haben immer noch nicht den Etat für das nächste Jahr genehmigt.«

Es dauerte einen Augenblick, bis sie verstand, was das bedeutete.

»Sie werden mir fehlen, Norma«, sagte er beim Hinausgehen. »Ihr Vater kann stolz auf Sie sein.«

Norma bewunderte Brandons professionelle Distanz, aber das traurige Lächeln, mit dem er sich abwandte, versetzte ihr einen Stich.

Sie stand in der Mitte des Untersuchungszimmers, die schwarzen Haare im Nacken hochgesteckt, und ließ ihre Augen ein letztes Mal umherwandern. Ihr verlorener Blick fiel in den Spiegel über dem Waschbecken. Durch den Schwung ihrer hohen Brauen lag in ihren Augen ein bleibender Ausdruck der Verwunderung. Aus irgendeinem Grund hatte sie Angst, wieder nach Campbell River zurückzukehren. Sie rief sich die Schönheiten dieses Fischerdorfs in Erinnerung, dachte an den Frühling, die nie zu heißen Sommer und an den Herbst, wenn die Bäume ihr Laub abwarfen und der Regen die Blätter über die wenigen Straßen spülte. Sie schloss die Augen und spürte kurz die wahrhaftige Stille, die es sonst nirgendwo gab, nicht einmal in Kenias einsamen Nächten. Vor ihren Augen fiel der Schnee, glitzernd, unberührt und fern von Fußspuren und Autoreifen. Norma öffnete die Augen und holte tief Luft. Vielleicht fürchtete sie, jedem erklären zu müssen, warum sie fortgegangen war und ihre Familie im Stich gelassen hatte.

Ihr Vater hatte es nie verstanden, warum sie wegen eines Herumtreibers wie Danny beinahe das College abgebrochen hätte. In seinen Augen war Danny nichts weiter als ein Taugenichts, der es in seinem Leben nie zu etwas bringen würde. Und schließlich war es Danny höchstpersönlich, der mit seinem Tod auf dem Highway Normas Vater die endgültige Bestätigung gab. Aber sie hatte sich vorgenommen, alles zu verdrängen, was einmal zwischen ihnen gewesen war. Sie wollte ihm mit einem Lächeln gegenübertreten, ihre Arme um seinen Hals legen und ihn zur Begrüßung auf die Wange küssen, wie es sich für eine Tochter gehört, die ihren Vater lange nicht gesehen hat. Einige Minuten rührte sich Norma nicht von der Stelle. Sie versuchte aus dem Sumpf ihrer konfusen Gedanken zu steigen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ein letztes Mal ging sie durch das Schwesternzimmer und ließ ihre Augen langsam durch den Raum wandern, als wollte sie selbst das kleinste Detail noch einmal in sich aufnehmen.

Es war Normas letzter Abend. Auf dem Stuhl neben dem Tisch lag eine Mappe voller Skizzen – Fragmente des Hungers, verzerrte Gesichter, ein weinendes Kind. Ein Bild zeigte eine Greisin, wie sie ihre gefleckten Hände flehend zum Himmel streckte. Norma hatte sie in den schlaflosen Nächten gezeichnet. Manchmal schreckte sie selbst davor zurück und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Auf dem Tisch lag eine zerknitterte Landkarte. Sie fuhr mit den Fingern über ausgetrocknete Flussläufe, über Dörfer mit Wellblechhütten, die schon lange nicht mehr existierten. Der Geruch von Desinfektionsmitteln hüllte sie ein, und wie so oft in den vergangenen Monaten kehrten die Erinnerungen an Danny zurück. Sein Tod war einer der Gründe, warum sie Brandons Angebot angenommen hatte. Sie wollte seinen Schatten abstreifen, einfach vergessen, aber sie vermochte sich nicht vorzustellen, dass es jemals dazu kommen könnte. Sie waren seit ihrer gemeinsamen Highschool-Zeit unzertrennlich gewesen, doch erst Monate später wurde ihr bewusst, dass sie nie zu seinem Inneren vorgedrungen war. Danny war zu sehr mit seinem Drang zur Selbstverwirklichung beschäftigt gewesen, als dass er sich mit so trivialen Dingen wie Liebe und Geborgenheit abgegeben hätte.

Einmal, auf einem Trip an die Küste, hatte sie ihn gefragt, ob er sich eines Tages Kinder wünsche, doch er hatte nur mit den Schultern gezuckt. Sie hatte ihm angesehen, dass er keinen Gedanken daran verschwendete.

Norma trug Dannys Tod nicht nach außen, sondern verschloss die Trauer in ihrem Herzen. In ihren Augen waren Tränen. Er hatte es provoziert, das Schicksal herausgefordert, bis er die Kontrolle darüber verlor.

Obwohl sein Tod schon mehr als fünf Jahre zurücklag, lebte sie immer noch allein. Ein paarmal war sie mit Männern ausgegangen, aber sie war einfach für eine neue Beziehung noch nicht bereit.

Neben Dr. Brandon arbeiteten noch Mary, eine Kinderpsychologin aus Cleveland, die Ordensschwester Gloria, Minou, eine Krankenschwester aus Mombasa, und Janala, ein schlaksiger Afrikaner vom Stamme der Kikuyu, auf der Krankenstation. Vor knapp einem Jahr hatten sie Janala kurz vor einem Blinddarmdurchbruch hierher gebracht. Er blieb aus reiner Dankbarkeit, weil ihm Brandon das Leben gerettet hatte. Sie alle waren ihr ans Herz gewachsen. In den ersten Nächten hatte Norma geweint, aber sie fühlte sich danach noch hilfloser als zuvor. Auf der Station lag ein kleiner Junge. Er war nicht älter als zehn Jahre. Ein Virus, vermutete Dr. Brandon, und es gab keine Hoffnung, dass er durchkommen würde. Beim Anblick der angsterfüllten Augen schnürte es ihr so die Kehle zu, dass es ihr fast den Atem raubte. Sie sah, wie sich die Lippen des Jungen bewegten, aber sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Sie verstand zwar ein paar Brocken Kiswahili, aber es reichte bei weitem nicht aus. Sie hatte nach Janala gerufen, weil er die meisten der Stammessprachen beherrschte, doch im nächsten Moment fiel ihr ein, dass er nach Maralal gefahren war, um einige Medikamente vom Flughafen zu holen. In jenem Augenblick glaubte sie dieses Gefühl der Hilflosigkeit niemals mehr ablegen zu können. Sie ging zum schmalen Fenster.

Norma hatte sich in Kenia angewöhnt, so selten wie möglich das Licht einzuschalten. Selbst wenn sie nicht schlafen konnte, stand sie im Dunkeln am Fenster, rauchte und schaute hinauf zum Sternenhimmel. Moskitos schwirrten unsichtbar in der Luft, die Nacht war getränkt mit dem Wimmern der Kinder, und die nächtliche Stille lastete so schwer und unheilvoll über dem Land, als wollte sie eindringlich vor dem nächsten Tag warnen.

Norma spürte, dass sie sich mit jedem Atemzug ein Stück mehr von Danny entfernte. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Sie stand zitternd am Fenster. Ihre Beine fühlten sich schwer wie Blei an. Vor ihren Augen tanzten verschwommene Formen, und draußen huschten dunkle Gestalten vorbei. Sie ging noch einmal hinaus in die Nacht. Das Knacken eines toten Zweiges durchbrach die Stille. Norma zuckte zusammen, aber es war nur die Nachtpatrouille. Als sie sie entdeckten, grüßten sie wortlos und setzten ihre Streife fort. Norma warf den Kopf in den Nacken und schaute in den Nachthimmel hinein. Nirgendwo, dachte sie, sind die Sterne so nah wie hier. Wieder ein Rascheln, aber diesmal drehte sie sich noch nicht einmal mehr um. Sie erinnerte sich an die ersten Eintragungen in ihrem Tagebuch. Die waren noch voller Hoffnung, vom unerschütterlichen Glauben getragen, es durchzustehen.

Norma hatte einen Bruder, Frank. Er war drei Jahre älter als sie, aber sie hatte sich trotzdem immer durchgesetzt. Sie trug wie die Jungs Jeans, Baumwollhemd und Turnschuhe, zog mit ihnen über die Friedhöfe und trank Bier aus Flaschen. Irgendwann kümmerte sich ihr Bruder nicht mehr darum, und letztendlich war er sogar ein wenig stolz auf seine kleine unerschrockene Schwester. Aber dies hier war etwas anderes. Es war die Hölle auf Erden, und der Gedanke daran lähmte sie. Die Bilder fraßen sich in ihre Seele, aber sie brauchte den Schlaf für den langen Weg nach Hause. Es war bereits kurz nach zwei Uhr in der Nacht, als die Müdigkeit sie übermannte. Noch ein paar Stunden bis zum Morgen – noch ein paar Stunden bis zum Aufbruch.