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Über dieses Buch:

In den Südstaaten 1875: Die schöne Skylar ist auf der Flucht vor den Schatten ihrer Vergangenheit. Ihr einziger Hoffnungsschimmer ist der Mann, dem sie versprochen ist: Lord Andrew Douglas. Doch bevor sie sich in seine Arme retten kann, wird ihre Kutsche in der Wildnis angegriffen und Skylar verschleppt. Sie schwört, sich niemals ihrem Entführer zu ergeben – aber der Unbekannte mit den dunklen Augen, so unergründlich wie der Himmel bei Nacht, scheint ganz andere Pläne mit ihr zu haben … Weiß er mehr über Lord Douglas, als er zugeben will? Skylar ist sich sicher, dass ihr Entführer ein Geheimnis hütet – doch wie soll sie es ihm entlocken, wenn er ihr mit seinen fordernden Küssen die Sinne raubt?

Über die Autorin:

Heather Graham wurde 1953 geboren. Die New-York-Times-Bestseller-Autorin hat über zweihundert Romane und Novellen verfasst, die in über dreißig Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Heather Graham lebt mit ihrer Familie in Florida.

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eBook-Neuausgabe Juni 2019

Dieses Buch erschien bereits 1997 unter dem Titel »Der Indianerlord« bei Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1995 Heather Graham

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1995 unter dem Titel »No other Man« bei Avon Books.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1997 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Boiko Olka, orxy, ESOlex, blue pencil und Imichman

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (cg)

ISBN 978-3-96148-841-4

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Heather Graham

Der Ungezähmte und die Schöne

Roman

Aus dem Amerikanischen von Eva Malsch

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Kapitel 1

Spätsommer, 1875

Der Allmächtige bestrafte sie. So einfach war das. Und so schrecklich.

Ruckartig hielt die Kutsche, und Skylar fragte sich, ob sie die Todesart wirklich verdiente, die ihr nun drohte. Nein, niemand verdiente ein solches Schicksal. Und was sie getan hatte, war gewiß nicht so schlimm ... .

Sie hatte die Indianer mit der bunten Kriegsbemalung auf den schnellen Ponys heransprengen sehen, den ungeheuerlichen Schlachtruf gehört und gebetet, die Postkutsche möge ihnen irgendwie entrinnen. Aber wie konnte der liebe Gott ihr Gebet erhören, nachdem sie jenen Betrug begangen hatte?

Plötzlich wurde der Wagenschlag aufgerissen. Ein eiskalter Schauer fuhr ihr durch die Glieder, und das Sonnenlicht blendete sie. Aber was sie sah, genügte vollauf, um ihre Furcht in wilde Panik zu verwandeln.

Ein riesiger Schatten füllte die Tür. Gewaltig, grauenhaft ...

Dies war das Land der Sioux. Natürlich wußte sie, daß Wilde im Westen lebten und von der US-Army bekämpft wurden, die den Siedlern zu Hilfe geeilt war. Immer mehr Weiße zogen in die Badlands, wo man Gold gefunden hatte. Sie kannte auch all die Indianergeschichten. Im Osten erschienen zahllose Zeitungsartikel über die Komantschen, die Cheyennes, die Pawnees, die Crow, die Assiniboins ...

Und die Sioux. Unentwegt drangen sie nach Westen vor und kämpften sich mit anderen Stämmen um die Jagdgründe. Den alten Traditionen treu, hetzten sie auf ihren Ponys hinter den Büffeln her, bemalten sich mit grellen Farben und erwarben sich in kühnen Schlachten höchste Ehre. Skylar hatte auch gehört, daß es gute Indianer gab, die sich nicht gegen die Weißen erhoben und in ihren Reservaten blieben. Doch die feindlich Gesinnten erkannten die vertraglich festgelegten Grenzen nicht an, überfielen die Siedlungen der Weißen und ermordeten sie, wann immer sich eine Gelegenheit bot. Und sie griffen Postkutschen an.

O Gott, obwohl sie das alles wußte, war sie bierhergekommen.

Sie hatte sich nicht gestattet, an die Indianer zu denken oder Angst zu empfinden. Sie hatte sich einfach nur an das Leben geklammert und was sie dazu getan hatte, war falsch gewesen. Um der Gefahr im Osten zu entfliehen, war sie zwei Wochen lang auf Umwegen nach Westen gereist, während eine Zugfahrt nur die halbe Zeit gekostet hätte.

Und jetzt ... Sie blinzelte, versuchte die gigantische Gestalt in der Kutschentür klarer zu sehen. Unglaublich muskulös, bronzebraun. Ein bemaltes Gesicht, rot und schwarz. Glattes schwarzes Haar fiel auf die breiten Schultern, eine Rehlederhose umspannte die Schenkel, die Waden steckten in perlenbestickten Stiefeln. Auf der nackten Brust prangten schwarzrote Ornamente.

Und ein Blick in seine glitzernden Augen erweckte in ihr eisige Todesangst. Nur zu deutlich erinnerte sie sich an all die Schauergeschichten über die Indianer, die mit Frauen und Kindern ebenso grausam verfuhren wie mit weißen Soldaten.

Hatten sie vielleicht ein Recht dazu? Angeblich attackierte das Heer der United States die Indianerlager ebenso brutal. Überall rühmte man den jungen General Custer, der während des Krieges zwischen den Nord- und den Südstaaten solche glorreichen Taten begangen hatte. 1868 griff er am Washita River ein Cheyenne-Lager an und erzielte einen weiteren ›grandiosen Sieg‹ für die Weißen – man hatte im Camp einige Habseligkeiten von massakrierten Weißen gefunden. Aber es existierten auch Berichte über unschuldige, während des Angriffs skrupellos niedergemetzelte Indianerfrauen und -kinder.

Aber sie hatte niemanden ermordet!

Trotzdem stand nun ein roter Mann vor ihr, verdunkelte das Sonnenlicht und jagte ihr Todesangst ein. Aber es gelang ihr, einen hysterischen Schrei zu unterdrücken. Sie würde nicht kampflos sterben – und auch nicht versuchen, Mitleid zu erregen. Nach allem, was sie gehört hatte, würde dieser Indianer ihren Tod um so mehr genießen, wenn sie um Gnade flehte.

Als er sie aus dem Wagen zerren wollte, erinnerte sie sich an ihre Hutnadel, zog sie blitzschnell heraus und zielte damit auf sein Auge. Bevor sie zustechen konnte, packte er ihr Handgelenk und drückte es so fest zusammen, daß ihre Knochen zu brechen drohten. Als sie einen Schmerzensschrei ausstieß, lockerte er seinen Griff ein wenig.

Doch sie konnte sich nicht befreien. So verbissen sie sich auch wehrte, er zog sie aus der Kutsche. Durch Skylars heftigen Widerstand landeten beide auf dem staubigen Boden. In seinem Gürtel steckte ein Messer, was sie ihm aus der Scheide riß. Wieder rettete er sich rechtzeitig von ihrem Angriff und hielt ihr Handgelenk fest. Mit seinem ganzen Gewicht warf er sich auf sie und preßte ihre Hand auf den harten Boden, bis die Waffe ihren Fingern entglitt. Dann saß er rittlings auf ihren Hüften, hielt sie mit seinen Schenkeln fest und umklammerte auch ihren anderen Unterarm. Erbost wand sie sich umher. »Bastard, elender Heide, Barbar, widerwärtiger Dämon aus dem Höllenfeuer – lassen Sie mich los!«

Und wenn er sie wirklich losließ, was dann? Drei seiner Gefährten warteten nur wenige Schritte entfernt auf ihren bemalten Ponys und beobachteten Skylars verbissenen Kampf mit unbewegten Mienen. Falls sie den einen Krieger abwehren konnte, würden sich die anderen auf sie stürzen. »Feiglinge!« zischte sie, während sie sich mit aller Kraft gegen ihren Angreifer stemmte. »Über eine alleinstehende Frau herzufallen! Und den armen alten Kutscher zu ermorden!« Hatten sie ihn tatsächlich getötet? Offensichtlich, denn ihr Blick suchte ihn vergeblich, und er kam ihr nicht zu Hilfe. Vielleicht mußte sie sogar dankbar sein, weil sie nirgendwo seine verstümmelte Leiche sah. »Verdammte Bestien! Dafür sollt ihr büßen! Sobald die Kavallerie hierherkommt, werdet ihr alle sterben – ganz langsam ...«

Würden die Soldaten rechtzeitig eintreffen, um sie zu retten? Daran zweifelte sie. Nun, solche Drohungen erhielten sie am Leben. Aber wie lange noch? Wenn sie ein bißchen Zeit gewann, würde sie eben einige Minuten später einen grausamen Tod erleiden. »Oh, ich werde zurückkehren, aus dem Himmel oder aus der Hölle, und mich rächen ...« Sie verstummte, rang nach Atem. Und in diesem Moment sah sie seine Augen.

Seltsame Augen für einen Indianer, dunkelgrün wie die Wälder der Black Hills. In seinen Adern mußte weißes Blut fließen. Würde das ihr Leben retten? Wohl kaum. Mühsam schluckte sie ihre Tränen hinunter. »Schurke! Lassen Sie mich los – oder töten Sie mich!«

Sonderbar – als sie verwirrt in seine Augen gestarrt hatte, war sein harter Griff lockerer geworden. Sie konnte sogar ihre Arme befreien. Mit beiden Fäusten trommelte sie gegen seine Brust, ihre Nägel zerkratzten seine Haut. Da stieß er einen Wutschrei aus, hielt ihre Handgelenke wieder fest, sprang geschmeidig auf und zog sie mit sich hoch. Sie versuchte ihn erneut anzugreifen, aber er war schneller, warf sie über seine Schulter und trug sie zu seinem Pony. Ihr staubiger Hut blieb am Boden liegen, und ihr langes, honigblondes Haar löste sich aus den letzten Nadeln. Wild zerzaust fielen die Locken in ihr Gesicht, ihre Fäuste schlugen wirkungslos auf den Rücken des Indianers.

Dann wurde sie bäuchlings über die Flanken des Ponys geschleudert, und er stieg hinter ihr auf. Als sie sich zu erheben versuchte, spornte er das Tier mit einem kräftigen Schenkeldruck an und versetzte ihrem Hinterteil einen demütigenden Schlag, der sie trotz der üppigen Tournüre aus schwarzem Taft heftig schmerzte.

Unter den schnellen Hufschlägen wirbelte Staub auf. Skylar hustete und würgte. Lächerlicherweise klammerte sie sich am Knie des Indianers fest, damit sie nicht abgeworfen und zertrampelt wurde.

Wie weit oder wie lange sie ritten, wußte sie nicht. Raum und Zeit verloren jede Bedeutung während des rasenden Galopps gegen den Wind. Endlich, in der Abenddämmerung zügelte der Indianer sein Pony. Sie hatten das felsige Flachland verlassen und die Berge erreicht. Als er abstieg und ihren mittlerweile gefühllosen Körper vom Pferd zerrte, sah sie den rötlichen Schein des Sonnenuntergangs über den hohen Bäumen, die eine kleine Hütte umgaben.

Er stellte sie auf den Boden, und sie starrte die Hütte an und fragte sich, wann er die einstigen Bewohner ermordet hatte. Denn dies war zweifellos das Heim weißer Menschen gewesen, vielleicht eines Trappers und seiner Familie oder einer Lehrerin, die den Kindern der weit verstreut lebenden Goldsucher, Banker, Farmer und Rancher Unterricht erteilt hatte. Aus der Hütte drang schwaches Licht. Brannte ein Feuer im Herd, um müde Heimkehrer willkommen zu heißen?

Plötzlich merkte Skylar, daß sie frei war. Der Indianer führte sein Pony in ein Gehege neben der Hütte und nahm ihm das Zaumzeug ab, damit es ungehindert das Heu aus der Futterkrippe fressen konnte. Seine drei Gefährten waren davongeritten. Blitzschnell drehte sie sich um, wollte in den Wald fliehen, ins Dunkel.

Aber wohin? Das spielte keine Rolle. Schon nach drei Schritten schrie sie gequält auf. Der Indianer packte ihr Haar und zerrte sie zurück. »Oh, zum Teufel mit Ihnen!« kreischte sie und wehrte sich vergeblich. Sie wurde wieder über seine Schulter geworfen, und er trug sie mühelos in die Hütte. Dort drückte er sie auf ein Bett mit einer dicken Pelzdecke, nahm einen Lederstreifen aus seinem Gürtel und fesselte ihre Handgelenke.

»Nein, nein, nein!« protestierte sie – jedoch ohne Erfolg. Er kniete nieder und verknotete den Riemen so fest, daß sie die Hände kaum bewegen konnte. Dann stand er auf und wärmte sich am Herdfeuer. »Sie haben diese armen Leute ermordet, nicht wahr? Die früheren Bewohner dieser Hütte ...« Warum forderte sie ihn heraus? Sie würde so oder so sterben. Worauf wartete er? Und doch – solange sie lebte, durfte sie hoffen. Sie sollte schweigen, ihn besänftigen ... Besänftigen? Einen Wilden, der ihre Worte nicht verstand? Nein. Sie mußte reden, Zeit gewinnen und beten, seine Wachsamkeit würde irgendwann nachlassen.

»Gemütlich haben Sie's hier, Sie primitiver Affe!«

Aber er schien nichts zu hören und starrte reglos in die Flammen. Sie schaute sich um, entdeckte ein Laken aus Baumwolle unter der Pelzdecke, und ein sauber bezogenes Kissen. Vor dem Herd standen ein Tisch und eine Sitzbadewanne, an den vier Fenstern hingen schlichte Gardinen. Neben einer Holztheke, auf der offenbar das Essen vorbereitet werden sollte, entdeckte sie eine Pumpe, vermutlich mit einem Brunnen außerhalb der Hütte verbunden. An mehreren Nägeln über der Theke hingen Schinkenkeulen und Käsestücke, einige Regale enthielten Konserven und Weinflaschen. Ein Schrank und eine Truhe hinter dem Bett vervollständigten die Einrichtung. Alles in allem wirkte der Raum erstaunlich sauber und komfortabel.

Als sie etwas plätschern hörte, wandte sie sich wieder zu dem Indianer. Er hatte einen großen Kessel vom Herd genommen und goß dampfendes Wasser in die Wanne. Dann schlüpfte er aus seiner Hose und stand splitternackt da, den Rücken zu Skylar gewandt. Ihr Atem stockte, und ihr Herz schlug rasend schnell. Aber sie konnte den Blick nicht von ihm losreißen. Fasziniert betrachtete sie seine breiten Schultern, die schmalen Hüften, die muskulösen Glieder.

Er stieg in die Wanne, lehnte sich seufzend zurück, und sie beobachtete ihn ungläubig. Ein wilder Krieger, der ein Bad nahm, ehe er seine Gefangene tötete, das paßte nicht ganz zu all den schaurigen Indianergeschichten. Viel mehr als die kraftvollen Schultern und das nasse glatte Haar konnte sie nicht sehen.

Offenbar schrubbte er seinen Körper. Wusch er die schwarzroten Ornamente weg? Warum? Würde er sich anders bemalen, bevor er sie umbrachte?

Gab es für die Gefangennahme einer weißen Frau und ihre Ermordung verschiedene Farben? Sollte sie auf besondere Art und Weise sterben, eine Opfergabe für heidnische Götzen? O Gott ...

Sie stand auf und streckte die gebundenen Hände aus, um sich gegen die Tür zu werfen. Wie sollte sie sich da draußen, hilflos und gefesselt, vor wilden Tieren schützen? Würde ihr ein noch schlimmeres Schicksal drohen als in der Hütte?

Auch diese Überlegung spielte keine Rolle. Ehe sie die Tür erreichte, sprang er aus der Wanne, packte sie und drehte sie zu sich herum. Wütend starrte sie in seine Augen, weil sie nicht wagte, ihren Blick über seinen Körper wandern zu lassen. »Sie können mich hier nicht festhalten! Glauben Sie, ich sehe tatenlos zu, wie ein Wilder, der mich niedermetzeln will, seelenruhig badet? Ich bin es, die ein Bad braucht, um den Schmutz Ihrer Hände wegzuspülen ...«

Und dann verstummte sie entsetzt. Er umfaßte ihre Schultern und schüttelte sie so heftig, daß die feine schwarze Seide ihres Trauerkleids am Rücken zerriß. Sie rang nach Luft, schaute in seine sonderbaren grünen Augen und nahm zum erstenmal sein Gesicht richtig wahr.

Sein Alter konnte sie nicht schätzen. Vielleicht war er Ende zwanzig. Sie musterte sein kantiges Kinn, die hohen Wangenknochen, die breite Stirn. Leuchtend hoben sich die ungewöhnlichen Augen von der bronzebraunen Haut ab. Sie wurden von schön geschwungenen, blauschwarzen Brauen überwölbt. Die Nase war lang und gerade, der Mund voll und wohlgeformt. Ein faszinierendes Gesicht – hätte es nicht so bedrohlich gewirkt ...

Und nun verzogen sich die Lippen zu einem spöttischen Lächeln, das einen Schauer über Skylars Rücken jagte. Sicher hatten viele schöne junge Indianerinnen diesem skrupellosen Krieger ihr Herz geschenkt. Und doch – irgend etwas in seinen höhnischen Augen schien auf eine tödliche, dunkle Vergangenheit hinzuweisen, die ihn vielleicht bewog, seinesgleichen ebenso grausam zu behandeln wie die weißen Feinde.

»Verdammter Bastard!« schrie sie und trat mit aller Kraft gegen sein Schienbein. Aber er zuckte nicht einmal mit der Wimper, hob sie hoch und warf sie aufs Bett.

Trotz ihres verzweifelten Widerstands zog er ihr die schwarzen Schuhe aus. Dann holte er ein Messer unter dem Bett hervor und hielt es an ihre Brust, direkt über dem Herzen. Würde er zustechen?

In ihren Augen brannten heiße Tränen. »Die weißen Soldaten werden Sie töten und in Stücke reißen – oder skalpieren und verbluten lassen ...«

Obwohl sie glaubte, seine Lippen zucken zu sehen, verriet sein Blick nicht, was er dachte. Als sie die Messerspitze auf der Brust spürte, senkte sie schreiend die Lider, wartete auf den tödlichen Stich. Statt dessen hörte sie Seide reißen und öffnete verblüfft die Augen. Säuberlich hatte er ihr Trauerkleid vom Kragen bis zum Saum aufgeschnitten.

»Nein!« stöhnte sie und versuchte sich einzureden, das ruinierte Kleid sei dem Tod vorzuziehen. Trotzdem schlug sie mit ihren gefesselten Händen nach dem Indianer. Aber er drehte sie ungerührt auf den Bauch. Während er sie mit einer Hand festhielt, riß er ihr mit der anderen die schwarze Seide und Spitze vom Leib, das Hemd, den Unterrock, das weiße Leinen des Korsetts, die Unterhose, die rosaroten Strumpfbänder. Dann rollte er sie wieder auf den Rücken und musterte ihren nackten, von Stoffetzen umgebenen Körper.

»Die Soldaten werden Ihnen das Herz aus der Brust schneiden und an die Schweine verfüttern, Sie Schurke!« fauchte sie und kämpfte immer noch mit den Tränen. »Nein, das mache ich selber, sobald ich ein Messer zwischen die Finger kriege ...«

Erschrocken unterbrach sie sich, als er sie auf die Arme nahm und zur Wanne trug. Wollte er sie ertränken? Er setzte sie ins Wasser, packte ihr Haar – wahrscheinlich, um ihren Kopf unterzutauchen. Nein, er hob es im Nacken hoch und ließ es über den Wannenrand fallen. Dann holte er den dampfenden Kessel.

Also würde er sie verbrühen ... Aber er goß nur ein bißchen heißes Wasser ins Bad, um es zu erwärmen, stellte den Kessel auf den Herd zurück und warf ihr ein Stück Seife zu.

»Töten Sie lieber saubere Frauen?« fragte sie ihn bitter. »Nein ...« Sie schrie angstvoll auf, denn er kniete neben der Wanne nieder.

Plötzlich blitzte wieder das Messer in seiner Hand. Doch er benutzte es nur, um ihre Fesseln zu durchschneiden. »Nun, dann werde ich mich eben waschen, bevor Sie mich ermorden«, spottete sie und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.

Er stand auf, ging zum Herd, und seine Nacktheit schien ihn nicht im mindesten zu stören. Um so mehr wurde sie durch die Tatsache, daß sie beide nackt waren, gequält. Nun, wenigstens würde sie Zeit gewinnen. Sie spülte den Schmutz von ihrem Gesicht, seifte ihre Arme ein und überlegte verzweifelt, wie sie fliehen könnte.

Und dann roch sie köstlichen, verlockenden Kaffeeduft. Sie schaute zum Herd hinüber. Erstaunt runzelte sie die Stirn. Der Indianer hatte sich angezogen. In einem langen Schlafrock lehnte er an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt. Seine grünen Augen gaben nicht einen seiner Gedanken preis.

Sein prüfender Blick trieb ihr das Blut in die Wangen, weckte Gefühle, die sie selber nicht verstand. Denn sie empfand nicht nur Angst ... Ohne ihre Nacktheit zu beachten, sprang sie impulsiv aus der Wanne und rannte zur Tür.

Natürlich schaffte sie es nicht. Als er sie diesmal einfing, schlug sie schluchzend gegen seine Brust. Sein Schlafrock öffnete sich, und sie spürte seine warme Haut, roch seinen Seifenduft. Zu ihrer Bestürzung fürchtete sie sich zwar vor ihm, fand ihn aber nicht abstoßend.

Er legte sie wieder aufs Bett. Verbissen rangen sie miteinander. Als er in ihrem Haar und sie in seinem Schlafrock verwickelt war, sank er auf sie herab, und sie spürte seine Kraft. Ein seltsames Feuer erhitzte ihren Körper. Beklommen hielt sie den Atem an, wand sich umher und versuchte verzweifelt, ihn wegzustoßen.

Aber er umklammerte ihre Handgelenke, hielt sie hinter ihrem Kopf fest, schlang ein Bein um ihre Hüften. Erschöpft von ihrem vergeblichen Kampf, gab sie den Widerstand auf und fauchte: »Ich werde Sie töten, Sie niederträchtiger Barbar!«

Seine Augen verengten sich. Wenn er ihre Worte auch nicht verstand, so erriet er doch, daß sie ihm drohte. Und das brachte ihn in Wut.

»Ja, ich werde Sie töten ...« Verwirrt unterbrach sie sich. Diese grünen Augen ... Irgendwie erschienen sie ihr vertraut – sie mußte sie schon einmal gesehen haben. »Oh, ich werde sie zerstückeln, Arme und Beine abhacken und Ihnen bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Ihre Hände verfüttere ich an die Hunde, und ich schneide Ihren ...«

Endlich beendete er sein Schweigen. »Madam, noch eine einzige Drohung gegen meine Anatomie«, begann er in perfektem Englisch, »und ich sehe mich gezwungen, sie zu nutzen, bevor sie zu existieren aufhört.«

»Was?« rief sie entgeistert. O Gott, er beherrschte ihre Sprache. »Sie – Sie elender ...«

»Vorsicht«, mahnte er.

»Bastard! Wer zum Teufel sind Sie?«

Die seltsam vertrauten Augen starrten sie an – kalt und gnadenlos. Und seine Stimme wirkte ebenso gefährlich. »Eigentlich müßte die Frage lauten: Wer zum Teufel sind Sie

Kapitel 2

Nein, sie durfte nicht zittern, sie mußte tapfer sein ...

»Wer ich bin? Was für einen Unterschied macht das schon? Sie haben den Fahrer der Postkutsche ermordet und mich entführt. Also werden Sie hängen und wenn Sie noch so gut Englisch sprechen.« Aber vielleicht war eine solche Drohung die falsche Taktik. Da er ihre Sprache verstand, konnte sie versuchen, vernünftig mit ihm zu reden. »Andererseits – wenn Sie mich gehen lassen, würde ich ein gutes Wort für Sie einlegen ...«

»Haben Sie mir nicht zugehört?« unterbrach er sie ungeduldig. »Wer sind Sie?«

Obwohl sie beschlossen hatte, keine Angst zu zeigen, fing sie wieder zu zittern an. »Skylar Douglas.«

»Lügnerin!«

Seine Stimme klang so wütend und überzeugt, daß sie ihn erschreckt anstarrte. Was interessierte es diesen Indianer, wie sie hieß?

Dann wurde ihr die hoffnungslose Situation wieder bewußt, und sie fragte leise: »Werden Sie mich töten?«

Sein Blick wanderte über ihren nackten Körper, und sie glaubte zu brennen. »Das habe ich noch nicht entschieden. Erst mal will ich wissen, wer Sie wirklich sind und was Sie hier draußen machen.«

»Und wer zum Teufel sind Sie?« Helle Empörung verdrängte ihre Angst.

»Ein Mann, der viel größer und stärker ist als Sie und außerdem ein Messer besitzt. Das sollte vorläufig genügen. Ich stelle hier die Fragen.«

Immer noch verwirrt und von neuer Furcht erfaßt, schloß sie die Augen. Nein, sie ertrug es nicht mehr, seine Nähe zu spüren, seine lebensgefährliche Kraft, die Hitze seines Zorns. Sie zwang sich, in möglichst ruhigem Ton zu sprechen. »Wenn Sie mich töten wollen, bringen wir's hinter uns.«

»Beantworten Sie meine Frage.«

»Das habe ich schon getan.«

Er fluchte, dann sprang er plötzlich auf, und sie seufzte erleichtert. Während er zum Herd zurückkehrte, verknotete er den Gürtel seines Schlafrocks. »Sie sind nicht Lady Douglas.«

»Doch.« Großer Gott, warum nahm er das so wichtig?

»Nein!«

»Wie können Sie da so sicher sein?« Sie richtete sich auf, dann wurde ihr bewußt, daß sie völlig nackt war. Hastig zerrte sie das Kissen unter der Pelzdecke hervor und preßte es an ihre Brust. Als er zu ihr zurückkam, zuckte sie erschrocken zusammen. Aber er blieb am Fußende des Betts stehen, öffnete die Truhe und zog einen Schlafrock hervor, den er ihr zuwarf. Zitternd schlüpfte sie hinein. Der Indianer schlenderte wieder zum Herd, füllte zwei Steingut-Becher mit heißem Kaffee und goß etwas Whiskey dazu.

Als er ihr einen Becher hinhielt, rührte sie sich nicht. »Falls ich beschließe, Sie zu töten, werde ich Sie bestimmt nicht vergiften«, versicherte er. Doch sie saß reglos da, und er zuckte die Achseln. »Können Sie keinen Drink gebrauchen?« fragte er höflich. »Ich schon ...«

Plötzlich änderte sich der Klang seiner Stimme. »Lassen Sie das Theater und kommen Sie her! Sie müssen sich stärken.«

Zögernd stand sie auf, ging zu ihm und nahm den Becher entgegen. Der Kaffee schmeckte wundervoll, und der Whiskey erwärmte sie.

Kaffee – ein Hauch von Normalität inmitten des Wahnsinns.

Oder war es vielleicht der Alkohol, der ihr die Sinne trübte? Skylar spürte den forschenden Blick des Indianers und wich unbehaglich zurück, bis sie die Kante des Betts an den Waden spürte. Obwohl sie sich nicht setzen wollte, sank sie auf die Bettkante, da ihre Beine sie einfach nicht mehr tragen wollten. »Ich begreife nicht, was hier geschieht. Wenn Sie mir erklären würden ...«

»Haben Sie's vergessen? Ich stelle hier die Fragen.«

»Verraten Sie mir doch wenigstens, was Sie sind. Sie geben vor, Sie wären ein wilder Indianer ...«

»Oh, ich bin ein Indianer«, fiel er ihr täuschend sanft ins Wort. »Ein Sioux. Und das sollten Sie stets bedenken. Was meine Wildheit betrifft – manche Menschen sind von Natur aus wild, andere nicht. Die Rasse hängt nicht damit zusammen.«

»Dann sollten Sie Ihr Verhalten vielleicht ändern«, schlug sie in honigsüßem Ton vor und nahm noch einen Kaffee. »Bis jetzt haben Sie sich abscheulich benommen, wie ein barbarischer Heide.«

»Tatsächlich? Soweit ich mich entsinne, habe ich nicht bestritten, daß ich zu den Wilden gehöre.« Er lächelte sarkastisch. »Eigentlich wollte ich nur auf die Neigung der Weißen hinweisen, eine Gesellschaft, die sich von ihrer unterscheidet, ›wild‹ zu nennen – obwohl sie sich oft viel schrecklicher und grausamer aufführen. Und ehrlich gesagt, es ist mir völlig egal, ob Sie mich für einen Wilden halten oder nicht. Aber zurück zu meiner Frage. Wer sind Sie, und warum geben Sie sich als Lady Douglas aus?«

Skylar holte tief Atem. »Weil ich Lady Douglas bin.«

»Verheiratet mit ...?«

»Natürlich mit Lord Douglas.«

»Natürlich?«

Sie trank den Becher aus, dankbar für die belebende Wärme, die ihr neue Kraft spendete. »Genaugenommen bin ich seine Witwe. Lord Douglas ist gestorben.«

»Nach der Hochzeit?«

»Offensichtlich!« fauchte sie. »Auf diese Weise wird man Witwe.«

»Wann und wo haben Sie ihn geheiratet?«

»Das geht Sie nichts an«, erwiderte sie kühl.

»Antworten Sie!« befahl er.

Skylar seufzte resigniert. Was spielte es schon für eine Rolle, wenn er eine Information erhielt, die ohnehin amtlich registriert war. »Vor gut zwei Wochen, in Maryland.«

»Und dann starb er. Sehr angenehm für Sie!«

»Wie können Sie es wagen ...«

»Und wie hieß ihr Mann mit dem Vornamen?« unterbrach er sie.

»Andrew.«

»Sind Sie sicher?«

»So steht es zumindest auf der Heiratsurkunde.«

»Und Sie wissen ganz genau, daß er gestorben ist?«

»Ich war dabei.«

»Ah!« Dieser Ausruf klang seltsam bedrohlich. Glaubte der Indianer, sie hätte etwas mit dem Tod ihres Mannes tun?

»Starren Sie mich nicht so an! Ich war dabei ...«

»Zweifellos«, stimmte er höhnisch zu.

»Sie haben kein Recht, mir irgend etwas vorzuwerfen!« rief sie entrüstet. »Wer immer Sie auch sein mögen – ich bin eine amerikanische Staatsbürgerin und hab's nicht nötig, mir diesen Unsinn anzuhören.« Entschlossen erhob sie sich und stellte den Becher auf den Tisch. Nur der Whiskey verlieh ihr den Mut, den sie brauchte, um mit erhobenen Schultern zur Tür zu gehen.

»Bleiben Sie lieber hier, Lady Douglas.« Kaum hatte sie die Tür geöffnet, als sie auch schon wieder zugeworfen wurde. Sie fuhr herum, und der Indianer stemmte seine Hände gegen die Tür, zu beiden Seiten ihres Kopfes.

»Allmählich habe ich dieses Spiel satt«, zischte sie.

»Oh, Sie glauben, es ist ein Spiel?«

»Sie müssen mich freilassen!«

»Keineswegs.« Er packte ihren Arm und zerrte sie zum Bett zurück. Dabei öffnete sich ihr Schlafrock, und sie band hastig den Gürtel zusammen.

»Da draußen ist die Army stationiert. Und sobald man Sie findet, wird man Sie hängen.«

»Wohl eher Sie

Da verlor sie den letzten Rest ihrer Beherrschung. Schreiend stürzte sie sich auf ihn und riß ihre rechte Hand hoch, um ihn zu ohrfeigen. Als er ihr Handgelenk festhielt, versuchte sie es mit der linken. Auch das nützte ihr nichts. Sie spürte, wie sie hochgehoben wurde. Mit aller Kraft wehrte sie sich. Ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihren ganzen Körper, ein heftiges Schwindelgefühl stieg ihr zu Kopf. Zuviel Whiskey im Kaffee ... Nun mußte sie für die Tollkühnheit büßen, die ihr der Alkohol verliehen hatte.

»Lassen Sie den Unsinn!«

Wie aus weiter Ferne hörte sie seine Stimme. Doch sie konnte nicht aufhören, hysterisch zu schluchzen und mit beiden Fäusten auf ihn einzuschlagen.

Plötzlich lag sie wieder auf dem Bett. Der Indianer saß rittlings auf ihren Hüften und umklammerte ihre Handgelenke. Atemlos bäumte sie sich auf. Ihr Schlafrock fiel auseinander, seiner ebenso; und sie spürte, wie sich seine warme, muskulöse Brust an ihre weiche Haut preßte. Immer lauter pochte ihr Herz, während sie auf der zerknüllten Pelzdecke miteinander kämpften.

Das Pochen ... Nein, es war nicht ihr Herz. Jemand klopfte an die Hüttentür. Und dann flog sie auf.

»Hawk?« rief eine sorgenvolle Stimme, und der Indianer drehte sich um.

Als Skylar an ihm vorbeispähte, sah sie zwei Männer auf der Schwelle stehen – in Uniform! Der eine war jung und blond, das Gesicht glattrasiert, der andere älter, mit gepflegtem grauem Schnurrbart.

O Gott, die Kavallerie war gekommen! Skylar schrie auf.

»Tut mir leid, Hawk«, entschuldigte sich der ältere Soldat und stieß den jüngeren an. »Er ist – beschäftigt. Mit einer Lady.«

Beschäftigt? Mit einer Lady? Glaubten sie etwa ...? »Nein!« würgte sie hervor. Das Gewicht des Indianers schnürte ihr den Atem ab. Deshalb konnte sie nicht erklären, warum sie halbnackt auf dem Bett lag, unter diesem Wilden.

Natürlich. Die Situation mußte einen völlig falschen Eindruck erwecken. Entsetzt starrte sie in seine spöttischen grünen Augen.

»Beruhige dich, meine Liebe«, bat er in zärtlichem Ton. »Diese galanten Gentlemen werden Stillschweigen bewahren.«

»Aber ...«

»Reg dich doch nicht so auf, Liebling«, flüsterte er dicht an ihrem Mund. Dann schob sich seine warme Zunge zwischen ihre Lippen. Seine Finger, mit ihren verschlungen, hielten ihren Kopf fest. Und so vermochte sie dem Kuß nicht auszuweichen, der ihr den Atem nahm. Plötzlich begann sich der Raum zu drehen ... Endlich richtete er sich auf, und sie rang mühsam nach Luft.

»Alles in Ordnung, meine Liebe, du brauchst dich nicht zu genieren.«

»Verdammt!«

»Bitte, Ma'am, verzeihen Sie ...« Der ältere Mann räusperte sich verlegen. »Hawk, wir hatten keine Ahnung, daß Sie weibliche Gesellschaft genießen ...«

»Wirklich, Captain, Sie müssen sich nicht entschuldigen«, fiel ihm der erstaunlich beredsame Indianer ins Wort. »Es war mein Fehler, daß ich Sie nicht kommen hörte.«

»Das ist es ja, was mir Sorgen bereitet. Normalerweise hören Sie, wenn ein Pony in weiter Ferne schnaubt.«

»Gewiß, aber soeben war ich tatsächlich sehr beschäftigt.«

Der Captain lachte. »Gerade die Sioux wissen doch, wie gefährlich die Frauen sind, die den Männern den Kopf verdrehen und ihre Sinne betören können.«

»Allerdings, und ich schäme mich, weil ich so unachtsam war.«

»Nun, das beweist wenigstens, daß auch Sie ein Mensch sind.«

»Ein Mensch?« fragte Skylar erbost.

Sofort preßte sich das Gewicht des Indianers noch schwerer auf ihren Körper, so daß sie nicht mehr weitersprechen konnte.

»Vielen Dank, Captain«, entgegnete er. »Vielleicht habe ich eine einleuchtende und durchaus respektable Erklärung für mein Verhalten. Dies ist Lady Douglas.« Belustigt schaute er in ihre Augen.

»Lady Douglas!« rief der Captain. »Ich wußte doch nicht ...«

»Ja!« stieß sie hervor. Jetzt würde sie ihm endlich klarmachen, was hier vorging und daß sie gerettet werden mußte. Triumphierend erwiderte sie den spöttischen Blick des Indianers. »Ich bin Skylar Douglas, und ich bitte Sie, Sir ...«

»Davon hatten wir nichts gehört. Bitte, Ma'am, verzeihen Sie. Hawk, die Angelegenheit ist zwar wichtig, aber ich werde Sie in ein paar Tagen noch einmal aufsuchen. Tut mir leid. Nun wollen wir Sie nicht länger stören.«

»Schon gut, mein Freund. Natürlich wären wir vorerst lieber allein.« Der ältere Kavallerieoffizier zog den jüngeren aus der Hütte und schloß die Tür.

»Nein, warten Sie!« schrie Skylar und versuchte den Indianer wegzuschieben. Als ihr das mißlang, biß sie in seine Schulter.

Heftig zog er sie an den Haaren. »Tun Sie das nie wieder, Lady!«

»Dann lassen Sie mich gehen!«

Zu ihrer Verblüffung rückte er beiseite. Sie sprang aus dem Bett, rannte zur Tür und riß sie auf. »Warten Sie, Gentlemen! Bitte, Sie müssen mich anhören. Hilft mir denn niemand? Ich schwöre, ich bin Lady Douglas ...«

Bronzebraune Finger umfaßten ihr Handgelenk und zerrten sie ins Zimmer zurück.

»Mein Gott, warum retten sie mich nicht?« kreischte sie. »Das sind Kavalleristen von der US-Army – und Sie sind ein Indianer. Ist denn die ganze Welt verrückt geworden?« Vergeblich wehrte sie sich gegen den harten Griff, während Hufschläge in der Nacht verklangen. »Ich muß den Soldaten nachlaufen – und ihnen begreiflich machen ...«

»Aber sie würden Ihnen nicht helfen.«

»Oh doch, wenn sie erfahren, daß Sie mich entführt und beinahe – vergewaltigt haben. Dann werden sie mich vor Ihnen retten.«

»Nein – auch wenn Sie Lady Douglas sind. Und schon gar nicht, weil Sie Lady Douglas sind.«

Skylar holte tief Atem.« Und warum nicht, verdammt noch mal?«

»Weil Andrew Douglas nicht tot ist, meine schöne kleine Goldgräberin«, erwiderte er und zog sie an seine Brust. »Ich bin Lord Andrew Douglas, Ihr innig geliebter Ehemann.«

»Lügner! Lord Douglas ist tot. Und Sie können gar kein Lord sein. Sie sind ein – ein ...«

»Ein Indianer?«

»Ja! Ein wilder, abscheulicher Indianer!«

»Das bin ich allerdings. Aber auch Lord Douglas.«

Sie starrte in seine Augen. Grüne Augen. So vertraut. Augen, die sie in einem älteren Gesicht gesehen hatte. Und dann färbten sie sich schwarz.

Kapitel 3

Wer zum Teufel mochte sie sein? Andrew Douglas, von seinen Sioux-Verwandten und seinen weißen Freunden ›Hawk‹ genannt, schüttelte den Kopf. So tapfer hatte sie gekämpft und dann die Besinnung verloren, als ihr die volle Bedeutung seiner Worte bewußt geworden war. Jetzt lag sie auf dem Bärenfell, eine ätherische und – glücklicherweise – schweigende Schönheit. Sie ist gefährlich schön, dachte er bitter.

Er verstand die Zusammenhänge noch nicht ganz. Aber sein Vater war dieser Frau offenbar begegnet. Irgendwie mußte sie eine Trauung erzwungen haben, im Glauben, sie würde den alten Lord heiraten.

Was war geschehen?

Das würde sie ihm erzählen, in allen Einzelheiten. Am liebsten hätte er sie geschüttelt, um ihr die Wahrheit zu entlocken.

Doch er beherrschte sich und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Das hatte er im Lauf der Jahre gelernt – eine lebensnotwendige Fähigkeit für einen Wanderer zwischen zwei völlig verschiedenen Kulturen. Und die Ausbildung auf der Militärakademie West Point hatte sein logisches Denkvermögen gefördert.

Woher kam diese Frau? Alle zärtlichen Gefühle, die ihre Schönheit wecken könnte, erloschen angesichts der Tatsache, daß Lord David Douglas tot war.

Wie Hawk von Henry Pierpont, dem Anwalt seines Vaters, erfahren hatte, war David vor zwei Wochen in Baltimore an den Folgen eines Herzanfalls gestorben. Diese Information stammte vom Präsidenten der Maryland-Bank.

Aber eine Ehefrau war nicht erwähnt worden. Offenbar hielt sie sich für die Witwe des alten Lords, doch sie hatte den Namen Andrew genannt.

Was war zwischen dieser blutjungen Frau und seinem Vater vorgefallen? Diese Frage verwirrte Hawk. David war stets ein würdevoller, stolzer, kluger Mann. Er hatte nur zwei Frauen in seinem Leben geliebt und beide geheiratet. Bei seinen Reisen in den Osten war er immer bei bester Gesundheit und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen.

Warum hatten sich dann so merkwürdige Dinge ereignet? Die Frau, die jetzt bewußtlos auf der Pelzdecke lag, mußte ihn irgendwie um den Finger gewickelt haben. Aber sie schien nichts über ihren verstorbenen Ehemann zu wissen – nicht einmal, daß er David geheißen hatte und nicht Andrew.

Vermutlich interessierte sie sich nur für den britischen Adelstitel und das Stück Land, das sie geerbt hatte. Es lag in den Black Hills, einem der wenigen Gebiete, die von den Sioux nicht als Sa Papa oder heiliges Land betrachtet wurden. In dieser Gegend hatte man Gold gefunden. Und das mußte diese fragwürdige Lady hierhergelockt haben.

Irritiert starrte er sie an und bekämpfte seine wachsende Begierde. Der Schlafrock bedeckte ihre Blößen nur mangelhaft.

Warum war er nur auf den Gedanken gekommen, sie zu entkleiden und in die Wanne zu setzen? Weil sie erklärt hatte, sie müsse baden? Oder er wollte ihr einen Denkzettel verpassen, nachdem sie in ihrer Habgier so leichtsinnig gewesen war, in die Sioux-Region zu reisen? Hier lauerten immer noch tödliche Gefahren, trotz der allgegenwärtigen US-Army und der zahlreichen weißen Emigranten. Und deshalb verdiente es die Lady, am eigenen Leib zu spüren, was den unvorsichtigen Goldsuchern in diesem Land drohte. Oft genug wurden die Weißen überfallen, ausgeraubt, vergewaltigt, entführt, ermordet und skalpiert.

Während ihre Postkutsche repariert worden war, hatte er sich mit seinen Vettern im Riley's aufgehalten – und bei ihrem Anblick die Beherrschung verloren. Sie behauptete, sie wäre Lady Douglas, obwohl er sie nie zuvor gesehen und nie von ihr gehört hatte. Dieser Hochstaplerin mußte er zeigen, was sie mit ihrem Betrug riskierte und sie zwingen, die Wahrheit zu gestehen. Welch eine Ironie ... War er so sicher gewesen, daß er den Reizen einer leichtfertigen Abenteurerin widerstehen würde?

Der Schlafrock hatte sich über ihren Brüsten geöffnet, und Hawk schloß ihn hastig. Doch die dünne Seide glitt sofort wieder beiseite. Fluchend wandte er sich vom Bett ab und sah das zerfetzte schwarze Kleid am Boden liegen. Er durchwühlte die Fetzen, entdeckte in einer Tasche ein paar Goldmünzen, einen Spiegel und eine Haarbürste. Ungeduldig warf er die Sachen auf die Truhe. In einer zweiten Tasche fand er, was er suchte. Papiere. Aufmerksam studierte er eine Heiratsurkunde, ein offensichtlich legales Dokument, aus dem hervorging, daß Skylar Connor und Lord Andrew Douglas vom Friedensrichter Timothy Carone in Baltimore vor gut zwei Wochen ferngetraut worden waren.

Das exakte Todesdatum seines Vaters.

Verblüfft starrte Hawk seine eigene Unterschrift an. Er entsann sich nicht, daß er jemals ein solches Papier unterzeichnet hätte. Aber es war zweifellos seine Handschrift.

Kurz bevor sein Vater die Rückreise nach Osten angetreten hatte, war Hawk ungeduldig und reizbar gewesen. Was die Ländereien in Schottland und Maryland betraf, forderte er David immer wieder auf, nach eigenem Gutdünken zu verfahren, da er der Besitzer sei. Doch der alte Lord hatte ihn zum Miteigentümer vieler Liegenschaften ernannt, um jeden Zweifel zu zerstreuen, daß der Sioux-Sohn sein rechtmäßiger Erbe war. Und David hatte ihm auch beigebracht, jeden Vertrag Wort für Wort zu lesen, ehe er ihn unterzeichnete ... Trotzdem unterschrieb Hawk viele Dokumente, die der Vater ihm vorlegte, ohne sie vorher zu studieren.

War das ein Fehler gewesen? Hatte er infolge irgendwelcher seltsamer Verwicklungen die Frau geheiratet, die jetzt auf seinem Bett lag?

Er stöhnte leise. In letzter Zeit hatte der Vater ihn oft bedrängt, wieder zu heiraten – eine weiße Frau. Leidenschaftlich diskutierten sie über die Zukunft des roten Mannes im Westen. Und mochte Hawk auch noch so heftig gegen Davids Argumente protestieren – er wußte, daß der alte Lord recht behalten würde. Denn der Strom der weißen Siedler und Soldaten ließ sich nicht aufhalten. David übte in Washington einen gewissen Einfluß aus, und vor seiner letzten Reise hatte er dem Sohn resignierend erklärt, die Regierung würde die Verträge nicht einhalten. In absehbarer Zeit würden die Indianer das Land, das man ihnen gegeben hatte, wieder an die Weißen verlieren. Die Amerikaner hielten es für ihr gottgewolltes Schicksal, den gesamten nördlichen Kontinent zu besiedeln, von einem Meer bis zum anderen. Wenn es möglich wäre, würden sie sogar die Mexikaner vertreiben – und die Briten aus Kanada. Natürlich könnten sie das nicht vor der restlichen Welt rechtfertigen. Aber primitive Rothäute auszurotten ...

Gewiß, diese Gefahr rückte immer näher. Deshalb hatte David seinen Sohn inständig gebeten, eine weiße Frau zu heiraten und das Leben eines Weißen zu führen. War das der Sinn dieser seltsamen Ferntrauung? Hatte David einer jungen Goldsucherin weisgemacht, sie würde einen Mann heiraten, der in seinen letzten Zügen lag – nur um ihr zum Opfer zu fallen, ehe er sie nach Westen brachte? Wollte er seinen Sohn auf diese Weise retten?

Aber vor seiner letzten Abreise hatte David Douglas nicht in seinen letzten Zügen gelegen, sondern so ausgesehen wie eh und je – ein hochgewachsener, schlanker, weißhaariger Mann, immer noch attraktiv. Sein Leben lang war er gesund und kräftig gewesen, abgehärtet von beschwerlichen Reisen und den Mutproben, die er im Kreis der Sioux-Krieger bestanden hatte.

Warum habe ich ihn nicht begleitet, fragte sich Hawk schuldbewußt. Weil ich es nicht wagen durfte, die Black Hills zu verlassen, während sich die Situation zwischen der Army und den Indianern zuspitzte ...

War diese Ehe legal? Gequält schloß er die Augen. Er war ein tapferer Sioux-Krieger und während des Sezessionskrieges ein ebenso tüchtiger Union Army-Soldat gewesen. Aber gegen die Zukunft konnte er nicht kämpfen. Das wußte er. Und sein Vater hatte es ebenfalls gewußt.

Seine Gedanken kehrten in die fernen Zeiten zurück, wo die Black Hills noch im Besitz der Indianer gewesen waren. Damals hatten die Sioux noch nicht hier gelebt und nur im Notfall in diesen heiligen Jagdgründen Zuflucht gesucht. Sie waren Nomaden und durch den ständig wachsenden Ansturm weißer Siedler bereits vom Mississippi nach Westen gedrängt worden. Unter den vielen Stämmen – den Sans Arc, Brule, Oglala, Two Kettles, Hunkpapa, Blackfeet Sioux – gab es noch mehr unterschiedliche Gruppen. Von diesen konnte sich jede Familie nach Belieben trennen. Bei den Sioux, einem freien Volk, galt das individuelle Leben als Tugend.

Aber im Kampf gegen die Weißen entwickelte sich das Unabhängigkeitsstreben zur Gefahr, denn es schob einen Keil zwischen die einzelnen Sioux-Gruppen und machte sie verletzlich.

Hawk war in der Welt seiner Mutter aufgewachsen. Zu seinen ersten Erinnerungen zählten die Büffelfelle an den Wänden ihres Zeltes. So wie alle Sioux-Kinder wurde er liebevoll umsorgt – nicht nur von seiner Mutter Flying Sparrow, sondern auch von ihren Brüdern und seinem Großvater, dem Friedenshäuptling Sitting Bull. Kein einziges Mal hatte man ihn geschlagen. Alle Männer des Stammes nannte er ›Vater‹, alle Frauen ›Mutter‹. In jedem Zelt fühlte er sich willkommen. Ein Sioux-Junge mußte zweierlei lernen: jagen und kämpfen. Von diesen beiden Fähigkeiten hing das Leben seines ganzen Volkes ab.

Bis zu seinem elften Geburtstag hatte er nur wenig von den Weißen gehört. Jetzt wußte er, daß die Amerikaner das Gebiet zwischen dem Mississippi und den Rocky Mountains bis zum mexikanisch-amerikanischen Krieg 1846-1848 als Grenze zur Indianerregion betrachtet hatten. Aber infolge des Landgewinns nach dem Krieg verschob sich die amerikanische Westgrenze immer weiter in die Richtung des Pazifik. 1851 folgte Hawk den Verwandten seiner Mutter, einer kleinen Oglala-Gruppe, nach Fort Laramie am North Platte River. Dort fand die größte Indianerversammlung statt, die er jemals beobachtet hatte. Viele Sioux-Stämme fanden sich ein, auch Cheyennes, Arapahoes, Shoshones, Crows, Assiniboines, Arikaras und andere – sowie zahlreiche weiße Siedler. Man vereinbarte, daß die Indianer jedes Jahr bezahlt werden sollten, wenn sie mit den weißen Emigranten – viele zogen nach Kalifornien zu den neuen Goldquellen – und untereinander Frieden hielten. Dann beschlossen die Weißen, gewisse ›Oberhäuptlinge‹ zu ernennen. Und sie schärften den Indianern ein, sie dürften keine Kriege gegeneinander führen. Doch das war ein sinnloses Unterfangen, denn der Kampf gehörte zur indianischen Lebensform. Bereits in jenem Augenblick, wo die Weißen ihre Oberhäuptlinge veranlaßten, ›den Federkiel zu berühren‹ und dann deren Namen unter den Friedensvertrag schrieben, drohte er zu scheitern.

Seit jenem Tag zogen immer mehr Weiße nach Westen. Aber sie beeinflußten Hawks Leben nicht. Noch nicht.

Bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr hieß er Little Sparrow. Dann schlug er einen seiner Crow-Feinde ins Gesicht, tötete ihn im Messerkampf und erwarb die Kriegerwürde. Daß ein Mensch durch seine Hand gestorben war, lastete schwer auf Hawks Seele, obwohl er voller Haß und Zorn gegen den Crow gefochten hatte.

Während er mit seinen Gefährten auf der Jagd gewesen war, hatte ein Crow-Krieger mit seiner Bande das Sioux-Dorf überfallen und drei Mädchen geraubt, zwei für sich selbst und eins für seinen Freund Snake-in-the-Tree. Dieser mißhandelte die junge Frau, und seine Grausamkeit trieb sie zum Selbstmord. Da Dancing Cloud eine Urenkelin seines Großvaters gewesen war, mußte Hawk Rache üben, so wie es seine Ehre verlangte.

Beim Siegestanz an jenem Abend wurde ihm der Name Thunder Hawk verliehen, denn er war schnell und stark wie der Falke und bedrohlich wie der Donner, der das Land immer wieder erschütterte.

Ein weiteres Jahr verstrich, und er tanzte den Sonnentanz. Alljährlich trafen sich die Sioux zu diesem Ritual, das ihnen die weiße Büffelfrau vorgeschrieben hatte. Ihr verdankten sie ihre Sitten und ihren Lebensstil. Die Zeremonie fand im Juni statt, im Monat der Vogelkirschen, dauerte zwölf Tage und stellte hohe Ansprüche an körperliche und geistige Kräfte.

Mit vierzehn war Thunder Hawk ein hochgewachsener Junge, fast einsachtzig, größer als die meisten erwachsenen Krieger. Doch er strebte nicht nur kämpferische Stärke an, sondern auch Klugheit. Wakantanka, das große Geheimnis, sollte ihn lenken und leiten. Und so tanzte er mit Spießen in den Rippenmuskeln, betete für sein Volk und um Beistand im Kampf gegen alle Feinde, bis er zusammenbrach. Tief beeindruckt rühmten die Sioux den vielversprechenden jungen Krieger.