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Notfälle. Begegnungen eines Arztes im Einsatz


Notfälle. Begegnungen eines Arztes im Einsatz


1. Auflage

von: Manfred Schulz

8,99 €

Verlag: Charles Verlag
Format: EPUB
Veröffentl.: 03.08.2020
ISBN/EAN: 9783948486099
Sprache: deutsch

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Notfallbesuch eines Arztes im Gefängnis, im Luxushotel, im Bordell und in den unterschiedlichsten Wohnungen der Stadt. Alle, die besucht werden, sind krank, sonst hätten sie keinen Arzt gerufen. Sie alle haben aber auch ihre eigene Geschichte.
Bei einer Abschiedsfeier verliert ein Mann die Kontrolle. Prostituierte diskutieren über Gesetzeslücken. Eltern verstecken sich vor dem eigenen Sohn in der Garage. Die alte Dame wird von ihrem verheirateten Liebhaber versetzt und findet einen Ausweg. Hinter der biederen Hausfrau verbirgt sich eine Künstlerin.
Die Situationen, in die der Autor hineingerät, sind so faszinierend, so tragisch, so berührend, dass er sie aufschreiben musste.
Manfred Schulz, geboren 1950 in Berlin, hat in Frankfurt Politik und Geschichte studiert. Er wechselte später in den Fachbereich Medizin und schloss das Studium 1978 ab. Als niedergelassener Allgemeinmediziner arbeitete er neben der Praxis hauptsächlich im ärztlichen Bereitschaftsdienst Frankfurt, den er für 10 Jahre leitete.
Textprobe:
Großzügigkeit
Als wir durch die Eingangshalle des exklusiven Frankfurter Hotels nach draußen gingen, trug sie einen seidenen, weißen Morgenmantel über ihrer Unterwäsche. Sie hatte sich bei mir eingehakt und winkte mit dem Blumenstrauß, den sie in der anderen Hand hielt, dem Personal an der Rezeption zu. Ihre hohen Schuhe klackerten auf dem prächtigen Marmorboden der Halle. Ihr Gang war aufrecht und ihr Kopf erhoben.
„Ich bin bald wieder da“, rief sie laut.
Der Auftritt ließ die anderen Gäste im Foyer verstummen, sie zog alle Blicke auf sich. Sie lachte, genoss ihre Wirkung und fing an zu singen. Sie hatte eine schöne Stimme.
Erst am Mittag war sie angereist, hatte seitdem ihre Zeit auf dem Zimmer verbracht, Blumen und Champagner bestellt und großzügig Trinkgelder gegeben. Die Geldscheine, die sie an Zimmermädchen, Etagenkellner und den Floristen verteilte, bewahrte sie in der Hotelbibel auf. Sie hatte die Scheine so zwischen die Seiten gesteckt, dass sie einige wenige Zentimeter hervorlugten und sie sie einzeln mit zwei spitzen Fingern herausziehen konnte, um sie dem Personal zu reichen, ohne es dabei anzusehen. Das Personal störte sich nicht daran. Im Gegenteil waren alle sogar häufiger ins Zimmer gekommen, als es nötig gewesen wäre, denn auch die Frage, ob alles in Ordnung sei, wurde fürstlich honoriert.
Aus der Schweiz hatte sich der Ehemann nur eine Stunde nach der Ankunft seiner Frau an der Rezeption telefonisch gemeldet und darum gebeten, den Geldbetrag, den sich die Frau von Zürich aus ans Hotel hatte überweisen lassen, nicht auszuzahlen. Er war von der Bank informiert worden, dass vom gemeinsamen Konto ein höherer Betrag abgehoben worden sei. Aber das Geld sei natürlich bereits angewiesen. Das Hotel erklärte, das Geld vielleicht eine Zeitlang zurückhalten zu können. Sie würden behaupten, dass es noch nicht angekommen sei. Aber sie könnten das nur um wenige Stunden verzögern. Sie hätten keine Handhabe, seiner Gattin das Geld vorzuenthalten.
So kam der ärztliche Bereitschaftsdienst ins Spiel.
Bei meiner Ankunft saß sie seitlich an einem Esstisch in der Mitte ihres Zimmers, während vor ihr eine Kosmetikerin auf dem Boden kniete, die ihr die Fußnägel lackierte. Dunkelrot. Sie hatte ein weißes Handtuch untergelegt, um den wertvollen Perserteppich zu schützen. Die Heilige Schrift lag in Griffweite vor ihr auf dem Tisch.
Die Hotelangestellte von der Rezeption, die mich hochbegleitet hatte, wurde für diese Dienstleistung von ihr ebenso entlohnt wie alle anderen.
Die großzügige Dame bot mir lächelnd einen Platz ihr gegenüber an. Sie schwärmte von dem üppigen herbstlichen Blumenstrauß, den sie sich hatte kommen lassen, bot mir ein Glas Champagner an und erzählte von der Reise von Zürich nach Frankfurt, zu der sie sich erst heute Morgen durchgerungen hatte.
„Ich war schon oft in Frankfurt. Mit meinem Mann. Der hat hier viel zu tun. Geschäfte.“ Sie lachte laut und wiederholte: „Geschäfte.“ Dann sah sie mich freundlich an und fragte: „Und was machen Sie hier in Frankfurt?“
„Ich bin Arzt.“
„Ach, das ist interessant. Wohnen Sie auch hier im Hotel?“
„Nein, ich bin dienstlich hier. Ihr Mann macht sich Sorgen und hat uns gebeten, einen Besuch bei Ihnen zu machen.“
„Warum macht er sich Sorgen?“ Sie überlegte kurz und fügte hinzu: „Das ist völlig unnötig. Hat er meinen Brief nicht gefunden? Ich habe ihm doch alles aufgeschrieben.“ Sie schaute auf ihre Uhr und fand die Erklärung: „Natürlich! Er kann noch gar nicht zu Hause sein. Vor 19.00 Uhr kommt er nie nach Hause. Dann kann er meinen Brief noch gar nicht gelesen haben.“ Sie überlegte wieder. „Aber woher weiß er dann, dass ich in Frankfurt bin?“ Wieder sah sie mich an, genauer diesmal, und fragte: „Wer sind Sie wirklich?“
Ich zeigte ihr meinen Arztausweis, den sie zwar in die Hand nahm, mir aber ungelesen wieder zurückgab. Ich versuchte, das Gespräch auf unverfängliche Themen zu lenken. Ich fragte, was sie in Frankfurt vorhabe, wie lange sie bleiben wolle und wie ihr das Zimmer gefalle. Sie hatte ihre Skepsis mir gegenüber schnell überwunden und erzählte, dass sie eine Freundin in Frankfurt habe, die sie anrufen wolle, um mit ihr etwas zu unternehmen.
Behutsam versuchte ich in den nächsten Minuten, das Gespräch wieder auf den eigentlichen Grund meines Besuches zu lenken. Ich entschloss mich nach einer längeren Einleitung zu dem Satz: „Ihr Mann bittet Sie, hier in Frankfurt einen Psychiater aufzusuchen.“
Sie strahlte und wollte wissen, ob er tatsächlich diese Worte gewählt hatte. „Er bittet mich, hat er gesagt“, freute sie sich über meine Bestätigung.
„Gehen wir“, sagte sie und bat die Dame von der Rezeption, uns ein Taxi zu rufen. Für die Kosmetikerin musste sie noch einmal zur Bibel greifen, dann war sie aufbruchsbereit.
Ich fragte, ob sie sich nicht etwas anziehen wolle, weil sie nur in ihrer Unterwäsche am Tisch gesessen hatte.
„Natürlich“, lachte sie, schlüpfte in einen weißen Morgenmantel und in ihre Pumps. In der Tür kehrte sie noch einmal um, um den großen Blumenstrauß aus der Vase zu nehmen.
So fuhren wir alle gemeinsam im Fahrstuhl nach unten.
Der Mann hätte am Telefon aufrichtig besorgt geklungen, hatte mir die Hotelangestellte von der Rezeption vorhin im Fahrstuhl erzählt, als wir auf dem Weg zu der großzügigen Dame waren. Er kannte das Krankheitsbild seiner Frau, jetzt aber war er besorgt wegen der Summe, die in dem Anruf von der Bank genannt worden war. Es ging um 900.000 Schweizer Franken.

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