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Über dieses E-Book

Uli Abus, Experte für Bürokratieabbau und gescheiterte Beziehungen, ist wieder einmal Single. Dummerweise steht er gerade jetzt vor der größten Herausforderung seines Lebens: seinem vierzigster Geburtstag.
Als Uli sich auch noch in Amelie, die Sprechstundenhilfe seines Psychologen, verguckt, gibt er sich kurzerhand als Dreißigjähriger aus. Schließlich fühlt er sich mangels Hämorrhoiden, Halbglatze und Harley-Davidson immer noch verdammt jung. Doch auf dem Weg in den Urlaub nach Lloret del Mar wird sein Lügengerüst auf die erste Probe gestellt, denn dort trifft er auf Amelie …

Impressum

dp Verlag

Erstausgabe Februar 2018

Copyright © 2020 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-160-6
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-370-9

Covergestaltung: ARTC.ore
unter Verwendung von Motiven von
shutterstock.com: © elnur
freepik.com: © creativepack
Lektorat: Daniela Höhne

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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dp Verlag

Vorwort

Die Idee zu diesem Buch hatte ich am Vorabend meines vierzigsten Geburtstags. Ich dachte: Was wäre, wenn ich die Zeit einfach zehn Jahre zurückdrehen könnte?

Ein bisschen mit dem Alter zu schummeln ist natürlich keine neue Idee und manche Schauspielerin, mancher Sportler und das ein oder andere Popsternchen haben die Lebensuhr in der Vergangenheit ein wenig zurückgestellt.

Aber benehmen wir uns im Grunde nicht alle, als wären wir ein paar Jahre jünger? Früher waren Vierzigjährige gefühlt steinalt, heute gehen sie auf Technopartys, laufen Marathon und spielen ihre Jugend nach, nur mit mehr Geld.

Daher ist Vierzig das neue Dreißig.

Vierzig ist nun mal ein haarsträubendes Alter, zumindest wenn man noch Haare hat.

Und zwar nicht nur an den Beinen.

Mit dreißig hingegen gilt man immer noch als jung-dynamisch, selbst wenn man ein spießiger Innentaschenbügler ist.

Vorurteile sind eben was Tolles, jedenfalls wenn man zu den Profiteuren eines solchen Urteils gehört.

Inzwischen habe selbst ich mein Alter soweit verkraftet, dass ich darüber lachen und schreiben kann. Meinen inneren Frieden mit der bösen Vier verdanke ich im Wesentlichen der Tatsache, dass diese fiese Fünf immer näher rückt.

Dieser Roman hat übrigens auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel und spielt aus einem ganz speziellen Grund – den der aufmerksame Leser schnell erahnen wird – im Jahr 2016.

Damals dachte ich noch, bis dahin wird das Buch sicher veröffentlicht sein, aber manches Mal rennt die Zeit einfach schneller als man selbst.

Jedenfalls freue ich mich, dass der Roman nun erschienen ist. Das Thema finde ich nämlich nach wie vor sehr aktuell, denn wer wäre nicht gern jung, ohne unerfahren zu sein?

Und so bleibt mir nur noch viel Spaß und wenig Falten zu wünschen mit Lügen haben Männerbeine.

Thomas Kowa

01

Ich würde alles auf der Welt tun, um meine Jugend wiederzuerlangen,
außer Sport treiben, früh aufstehen oder ehrbar werden.
Oscar Wilde

»Mit zwanzig kann man jede Nacht durchmachen, mit dreißig verzeiht der Körper nichts mehr und ab vierzig geht er von allein kaputt«, sagt Sandy und beugt sich näher zu mir. »Daher will ich niemals vierzig werden.«

Ich lächle unbeholfen und blicke auf den Speeddating-Fragebogen mit den Daten der Teilnehmer. Sandy ist vierundzwanzig und sie wird ihre Meinung wahrscheinlich noch so häufig ändern wie ihre Haarfarbe.

»Und, wie alt bist du?«, fragt sie und legt einen ihrer beiden Heidi-Klum-Gesichtsausdrücke auf. Das soll wohl entschlossen wirken, aber tatsächlich sieht es so aus, als müsse sie mal für kleine Supermodels.

Warum dürfen Frauen jeden Mann nach seinem Alter fragen, aber umgekehrt ist es eine Indiskretion? Wir Männer haben doch auch Gefühle!

Selbst wenn wir sie nie zeigen.

Das ist wahrscheinlich auch besser so, denn Männer jammern viel erbärmlicher als Frauen. Hört man einem erkälteten Mann zu, könnte man glauben, jeder Schnupfen führe unweigerlich zu einer doppelseitigen Lungentransplantation.

»Was ist?«, fragt Sandy und blickt mich zu meiner Überraschung entschlossen an. »Hast du dein Alter vergessen?«

Einerseits bin ich von autoritären Frauen meist dermaßen beeindruckt, dass ich unweigerlich tue, was sie wollen. Ich will ihr schon die Wahrheit sagen, da halte ich inne. Denn andererseits war ich auf dieser Singlebörse im Internet, die ich vor dem Speeddating ausprobiert habe zu hundert Prozent ehrlich gewesen. Trotzdem wurde ich immer nur dann von Frauen kontaktiert, wenn zufällig mein Abonnement auslief. Wahrscheinlich dachte jede potentielle Partnerin, wenn ich angebe, ich sei neununddreißig, hätte noch alle meine roten Haare und eine normale Figur, dass ich in Wirklichkeit dreiundfünfzig, aufgedunsen und glatzköpfig bin. Oder Boris Becker.

Ich schaue Sandy in die Augen. Ihr Blick ist immer noch entschlossen. »Ich werde morgen vierzig«, sage ich schließlich.

Sandy steht augenblicklich auf, beugt sich zu mir, ihre langen, blonden Haare schwingen in meine Richtung. Will sie mir einen Kuss geben? Mitten im Speeddating? Ich meine, ich sehe trotz meiner roten Haare nicht unattraktiv aus, aber das ist mir noch nie passiert, ein Kuss, neunzig Sekunden nachdem ich eine Frau kennengelernt habe. Oder zahlt sich meine Ehrlichkeit endlich aus?

Langsam öffnen sich ihre Lippen.

Weil man das in Hollywoodfilmen so macht, beuge ich mich nun auch vor und öffne meine Lippen.

»Ich geh schon mal eine rauchen«, sagt Sandy und stolziert auf ihren High Heels davon. Ein echter Sex-Torpedo. Schlank, zielsicher, doch drückt man die falschen Knöpfe, verschwindet sie auf Nimmerwiedersehen.

Und ich bin ein Meister darin, die falschen Knöpfe zu drücken.

Normalerweise würde ich jetzt tagelang meine Fehler analysieren, doch beim Speeddating bleiben mir nur drei Minuten, bis der Dating-Gong ertönt und die nächste Frau an meinen Tisch kommt.

Ich sitze hier, weil auf meiner morgigen Geburtstagsparty ein massiver Frauenmangel herrscht und ich möglichst viele Speeddaterinnen einladen möchte.

Wenn ich nebenbei eine tolle Frau kennenlerne, würde ich mich auch nicht beschweren.

Trotz des Debakels eben stehen die Chancen dafür gar nicht so schlecht, denn unter den Teilnehmerinnen ist eine, die mir extrem gut gefällt: Miss Pagenschnitt.

So habe ich sie jedenfalls genannt, als sie den Raum betrat, denn sie trägt eine weiße Bluse, einen schwarzen Rock, passende Stilettos und – wer hätte das gedacht – einen schwarzen Pagenschnitt. Obwohl ich noch kein Wort mit ihr gewechselt habe, weiß ich jetzt schon, dass sie clever ist, warmherzig und selbstbewusst. Bei manchen Frauen sieht man das einfach.

Das Problem ist nur der Typ, der ihr gegenübersitzt.

Schrotkorn.

Ein Arbeitskollege von mir, jedenfalls wenn man ein von McKinsey eingeschleustes U-Boot so nennen kann, das in jeder Abteilung einen auf Kollegialität gemacht hat, um zu erfahren, wo die Schwachstellen liegen. Anschließend hat er diese an meinen Chef statt an McKinsey verraten und wurde dafür mit einer Abteilungsleiterstelle belohnt, die Schwachstellen hingegen mit ihrer Entlassung.

Kurz und gut, Schrotkorn besteht nur aus Schleimspur, Alphamännchenallüren und seinem Jaguar-Schlüssel.

Letzteren holt er nun schon bei der dritten Frau hintereinander wie zufällig aus seiner Anzughose und spielt damit zwischen seinen Fingern.

Ich konnte das nur deshalb beobachten, weil die Frauen, die mir gegenübersaßen, jedes Mal aufgestanden sind, sobald ich von meinem bevorstehenden Geburtstag erzählte.

Bei Schrotkorn hingegen musste man die Frauen stets von seinem Tisch wegzerren, sobald der Gong zum Partnerwechsel ertönte.

Vielleicht sollte ich auch wie er im Boss-Anzug dasitzen und mit einem Jaguar-Schlüssel wedeln?

Denn das Aussehen kann es nicht sein. Okay, Schrotkorn hat eine Jahreskarte im Sportstudio, die er tatsächlich benutzt, aber ein Schmiss zieht sich über seine rechte Backe und seine blonden Locken haben in mindestens drei Tuben Gel gebadet. Andererseits, ich sitze im Poloshirt da und in meiner Hose zwickt kein Jaguar-Schlüssel, sondern der meines Mountainbikes.

Zwar ist Schrotkorn erst dreißig, aber er ist eine Afteröffnung und ich bin ein Kerl, den alle nett finden.

Vielleicht ist genau das mein Problem.

Gerade als ich mich frage, ob Speeddating das Richtige für mich ist, ertönt der Dating-Gong. Alle Frauen stehen auf, bis auf Miss Pagenschnitt, die sich wie ihre Vorgängerinnen nicht von Schrotkorn lösen kann.

In dem Moment wird mir klar, dass ich sie retten muss. Sonst verplempert sie sinnlos ihre besten Jahre mit jemandem, für den Frauen nichts anderes sind als lebende Spermaauffangbecken.

Da ist sie auf alle Fälle besser dran, wenn sie ihr Leben mit mir verplempert.

Und ich auch.

Leider kann ich den Gedankengang nicht weiter ausführen, denn die nächste Frau stöckelschuht gerade an meinen Tisch.

02

Auch mit sechzig kann man noch vierzig sein – aber nur noch eine halbe Stunde am Tag.
Anthony Quinn

Ich werfe meiner nächsten Kandidatin einen kurzen Blick zu und beschließe spontan, meine Taktik radikal zu ändern. Ich werde es mit ein wenig Aufschneiderei à la Schrotkorn versuchen. Sonst bin ich völlig desillusioniert wenn Miss Pagenschnitt an meinen Tisch kommt.

»Ulrich von Abus«, stelle ich mich vor und gebe meinem neuen Gegenüber die Hand. Sie ist dürr wie Stroh, hat aber ein nettes Lächeln.

»Bist du adelig?«, fragt sie.

Ich nicke beiläufig, obwohl ich das von gerade meinem Namen hinzugedichtet habe. »Ich versuche das eigentlich zu verheimlichen«, sage ich. »Understatement und so.«

»Die kenne ich gar nicht«, sagt sie. »Understatement? Ist das ’ne Band?«

Jetzt wäre der Moment, selbst aufzustehen, aber da auf meiner Geburtstagsparty, wie gesagt, noch Frauenmangel herrscht und wahrscheinlich auch ein paar Männer kommen, deren Lift nicht ins oberste Stockwerk fährt, bleibe ich sitzen. »Wir modernen Millionäre stehen nicht auf Statussymbole«, erkläre ich. »Daher habe ich meinen Lamborghini daheim gelassen und meinen Brioni-Anzug gegen das Poloshirt eingetauscht.«

Sie lächelt, doch ihre Augen blicken mich so leer an, als befände sich hinter ihnen nur Luft. »Ist ja toll, was du für Fremdwörter kennst.« Sie blickt auf meinen Fragebogen. »Und Kinder hättest du auch gern. Toll.«

»Morgen feiere ich übrigens meinen Geburtstag«, sage ich. »Wenn du willst, kannst du auch kommen.«

»Echt? Wie alt wirst du denn?«

Die übliche Frage, denn ich habe in weiser Voraussicht mein Alter freigelassen. Ich zögere einen kurzen Moment, dann beschließe ich, genug aufgeschnitten zu haben und sage: »Vierzig.«

Ihr Mund, der eben noch ein Lächeln geformt hat, bleibt ein paar Sekunden offen stehen. »Mein Vater ist neununddreißig«, sagt sie schließlich und lässt mich sitzen.

Ist es wirklich mein Alter?

Okay, die Frauen hier sehen alle jünger aus als ich, aber das ist nun mal das klassische Beuteschema. Und zwar weltweit. Außerdem ist das hier kein Ü-40-Dating und selbst wenn, wäre ich noch voll in der Zielgruppe. Jedenfalls noch ganze achtundzwanzig Stunden lang.

Irgendwann schlägt der Dating-Gong und dann erst sehe ich, wer an meinen Tisch kommt.

Miss Pagenschnitt.

Hastig blicke ich auf den Fragebogen mit den Daten und Antworten der Teilnehmer. Miss Pagenschnitt heißt Amelie. Bei der Frage: Was wäre der perfekte romantische Moment für Dich?, steht bei ihr: Ein Verehrer, der mir ein Gedicht schreibt.

Das könnte ein wenig knapp werden, denn sie steht schon vor mir. Aus der Nähe sieht sie noch umwerfender aus, ein Gesicht fein wie Porzellan, tiefschwarze Haare, ihre Kleider stilvoll, mit Liebe zum Detail.

Sie setzt sich und lächelt mich an. »Hallo, ich bin Amelie.«

»Ich bin Uli«, antworte ich. »Und ich werde morgen dreißig.«

03

Alter ist irrelevant, es sei denn, du bist eine Flasche Wein.
Joan Collins

»Soso, du wirst dreißig.« Amelie lächelt. »Und was willst du mir damit sagen?«

Ich blicke wieder auf die Karte mit ihren Daten. Sie hat ihr Alter auch nicht angegeben. »Das ist mir nur so rausgerutscht, weil du so jung aussiehst.«

Sie schaut mich an, als habe ich ihr gerade erzählt, ich könne Wasser in Wein verwandeln und dann noch darüber laufen. »Wenn ich dir glauben soll, bist du aber jünger als ich.«

»Mit dem Altersunterschied hab ich kein Problem«, antworte ich schnell.

»Ich auch nicht.« Sie zwinkert mir zu. »Und was machst du sonst so, außer dreißig zu werden?«

»Ich arbeite in der Behörde für Bürokratieabbau.« Kaum habe ich das gesagt, fällt mir auf, dass mein Job noch langweiliger klingt, als er tatsächlich ist. Und ich möchte doch für Amelie interessant klingen. »Außerdem bin ich als Findelkind in Papua-Neuguinea groß geworden.«

»Echt?«, fragt sie. »Kennst du deine leiblichen Eltern nicht?«

Ich schüttle den Kopf. »Sie haben sich offensichtlich nicht für mich interessiert, also interessiere ich mich auch nicht für sie.«

»Und wie bist du nach Deutschland gekommen?«

»Ich war in ein Deutschland-Trikot eingewickelt, außerdem habe ich eine Mähne wie Boris Becker.« Ich deute auf meine roten Haare. »Daher hab ich angenommen, dass Deutschland mein Heimatland ist. Nach dem Tod meiner Pflegeeltern bin ich dann nach Mannheim ausgewandert, mit zwölf.«

Sie blickt mich mit warmherzigen Augen an und sagt damit mehr, als Worte es tun könnten. Dann lächelt sie. »Warum ausgerechnet Mannheim?«

»Ich dachte, wenn dort die Duden-Redaktion sitzt, spricht man in Mannheim bestimmt das beste Deutsch.«

Sie lacht laut auf. »Tja, so kann man sich täuschen.«

»Allerdings«, sage ich. »Und was machst du so?«

»Ich arbeite in einer psychologischen Praxis in den Quadraten.«

Mit jeder Sekunde, die wir uns unterhalten, legt mein Puls weiter an Tempo zu. Wahrscheinlich steht er gerade bei 380, weswegen ich nur noch zu Small-Talk auf Amöbenniveau fähig bin. »Und Hobbies?«, frage ich dementsprechend.

»Speeddating, Männer aufreißen und hemmungsloser Sex«, antwortet sie.

Mein Herz rutscht in die Hose, obwohl da schon lange kein Platz mehr ist. Und nicht nur, weil sich mein Gehirn da auch schon tummelt.

»War nur ein Scherz«, sagt sie. »Joggen, Lesen und Malen.«

»Lesen?«, frage ich. »Auch Gedichte?«

Sie lächelt. »Schreibst du welche?«

»Was nicht ist, kann ja noch werden.«

»Ich bin gespannt. Und was hast du für Hobbies.«

»Fußball, Kicken und die Verbindung aus beidem.«

Sie lächelt schon wieder.

Erst dann bemerke ich, was ich gerade gesagt habe. Und muss auch lachen. »In Wirklichkeit lese ich auch gern, reise viel und, tja, das mit dem Fußball stimmt wohl doch. Sind die Nachwirkungen des Trikots, in dem man mich gefunden hat. Deswegen heiße ich auch Uli, denn das Trikot trug die Nummer 8, und das war damals die von Uli Hoeneß.«

»Und Abus?«, fragt sie und zeigt auf meinen Namen, der auf dem Datingzettel steht. Uli Abus.

»Abus heißt Essensbeilage auf Papua.«

»Was?« Amelie schaut mich mit großen Augen an. »Das ist aber ein ungewöhnlicher Name.«

Ich nicke. »Vor allem wenn man bedenkt, dass meine Pflegeeltern Kannibalen waren.«

Nun schaut mich Amelie mit noch größeren Augen an.

»Bekehrte Kannibalen«, sage ich schnell. »Vielleicht lag das aber auch daran, dass sie ziemlich alt waren und keine Zähne mehr hatten.«

Amelie beugt sich näher zu mir. Will sie jetzt auch aufstehen? Dabei habe ich mich doch zehn Jahre jünger gemacht! »Warum sind die anderen Frauen eigentlich bei dir immer vorzeitig abgehauen?«, fragt sie.

Hat sie mich beobachtet? Bin ich ihr vorher schon aufgefallen? Und vor allen Dingen, wie rede ich mich jetzt raus?

»Tja … also das war so«, sage ich, ohne wirklich etwas gesagt zu haben. »Vielleicht lag es daran, dass ich ihnen erzählt habe, ich könne kaum erwarten, bis du bei mir sitzt.«

Sie beugt sich noch weiter vor. Ein dezenter Hauch von Lavendel umschmeichelt meine Nase. »Und das soll ich dir glauben?«

»Ich bin immer ehrlich«, antworte ich. »Außer wenn ich lüge.« Ich räuspere mich. »Wusstest du übrigens, dass Speeddating von einem jüdischen Rabbi erfunden wurde? Stell dir mal vor, das hätte der Papst erfunden. Dann müssten wir wahrscheinlich erst ein Keuschheitsgelübde ablegen.«

»Du gefällst mir«, sagt sie. »Passt in kein Klischee. Wahrscheinlich sind die anderen Frauen deswegen aufgestanden.«

»Ganz bestimmt«, sage ich. »Die waren alle ein wenig eindimensional.«

»Und ich?«, fragt sie. »Was bin ich?«

»Eine gespaltene Persönlichkeit, wäre jetzt wohl die falsche Antwort, oder?«

»Das kann auch spannend sein«, sagt sie. »Vor allen Dingen für einen selbst.«

»Dann könntest du polygam sein«, antworte ich. »Und trotzdem treu.«

Sie lupft eine Augenbraue.

»Also falls das mit deinen Hobbies doch stimmt.«

Wieder zeigt sie mir ihr bezauberndes Lächeln, leider mitten in den Dating-Gong hinein. »Hat mich gefreut, Uli«, sagt sie. »Ich hoffe, wir sehen uns wieder.«

»Ich auch«, antworte ich, dann steht Amelie auf, zwinkert mir noch einmal zu und ich bin glücklich.

04

Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele
nicht zu beantworten vermag, lautet: Was will eine Frau eigentlich?
Sigmund Freud

Ich bleibe noch eine Minute glückstrahlend sitzen, dann erst bemerke ich, dass keine Frau mehr an meinen Tisch kommt. Alle haben ihre Plätze verlassen, das Speeddating ist offensichtlich beendet. Und ich hab Amelie nicht auf meinen Geburtstag eingeladen!

Ich springe auf, will ihr nach und plötzlich steht Schrotkorn vor mir. »Ach, Sie auch hier«, sagt er. »Ich hab Sie noch gar nicht gesehen.« Könnte man diesen Satz im Warenhaus kaufen, würde er im Fach für Lügen liegen.

»Schön, Sie zu sehen«, lüge ich zurück. »Ich muss aber gleich los.«

»Den Ort der Niederlage möglichst schnell verlassen?« Schrotkorn hat dieses penetrante Siegerlächeln aufgelegt, das ich schon von der Arbeit kenne. Seine Zähne blitzen wie frisch gewetzte Messer. »Sind eigentlich alle Frauen bei Ihnen direkt wieder aufgestanden?«

»Ich dachte, Sie haben mich eben erst gesehen?«

»Ich hatte nur Augen für die Frauen«, entgegnet er. »Ich hab mich schon die ganze Zeit gewundert, wer der absolute Loser ist, mit dem sie nicht mal fünf Minuten verbringen wollen. Ich musste die Weiber jedes Mal von meinem Tisch losflexen, damit Platz für die nächste war.«

»Tja, blöd, wenn die Frauen vor lauter Langeweile einschlafen«, antworte ich, weil ich mir mit nichts anderem mehr zu helfen weiß, als mit der Verdrehung der Tatsachen.

»Schlafen wollten sie schon.« Schrotkorn lächelt süffisant, seine Zähne strahlen dabei so intensiv, dass sie fast blenden. »Aber hinterher, mit mir. Wobei einige der Frauen nicht gerade mein Niveau waren«, erklärt er, ohne dass ich ihn danach gefragt hätte. »Ich hab trotzdem bei jeder Ja angekreuzt, nur um zu sehen, ob ich wieder bei hundert Prozent Zustimmung lande.« Er klopft mir jovial auf die Schulter. »Aber Kopf hoch! Vielleicht klappt es bei Ihnen ja mit der Fünf-Prozent-Hürde.«

Fertigmachen kann ich mich auch selbst, daher will ich Schrotkorn einfach stehen lassen, als er genau das mit mir tut.

Wenigstens hat er mich an etwas erinnert. Sofort kreuze ich auf dem Zettel der Dating-Agentur Amelie an, im Gegensatz zu Schrotkorn allerdings an der richtigen Stelle. Mit immer noch klopfendem Herzen gebe ich den Zettel beim Dating-Master ab, stürme aus dem Gebäude, suche Amelie und sehe gerade noch, wie sie in eine Straßenbahn steigt und davonfährt.

Was mache ich jetzt mit meiner Geburtstagsparty? Weil ich bis vor wenigen Tagen meinen Geburtstag erfolgreich verdrängt hatte, habe ich die Entscheidung, ob ich eine Party feiere, die ganze Zeit aufgeschoben. Kein Wunder, denn die böse Vier mit der schrecklichen Null hintendran kommt zu einem total unpassenden Zeitpunkt!

Denn ich bin noch viel zu jung dafür!

Muss ich wirklich warten, bis der Dating-Master uns morgen um 16 Uhr per E-Mail mitteilt, welche Speeddating-Partner gegenseitig Ja angekreuzt haben? Das wird ein wenig knapp werden, Amelie dann noch einzuladen und eine Party zu organisieren.

Um mit dem Dating-Master zu reden, laufe ich zurück zur Veranstaltungshalle, doch dort steht nur der Hausmeister und schließt gerade die Tür. »Wo sind die denn alle hin?«, frage ich.

»Na, Feierabend machen«, antwortet er. »Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.«

05

Die Jugend wäre eine noch viel schönere Zeit, wenn sie etwas später im Leben käme.
Charlie Chaplin

Am nächsten Tag habe ich bis 16 Uhr ungefähr zweiunddreißigtausendachthundertsiebzehn Mal den Empfangsbutton meines E-Mail-Programms gedrückt. Doch außer irgendwelcher Spammails, die mir Millionen anbieten, wenn ich blöd genug bin, an sie zu glauben, habe ich keine Post bekommen.

Ich nehme mein Handy und rufe beim Dating-Master an. Inzwischen habe ich seine Nummer als Kurzwahl gespeichert, denn ich habe gestern Abend, heute Morgen, heute Vormittag, heute Mittag und heute am frühen Nachmittag schon einmal dort angerufen.

Jedes Mal wurde ich auf 16 Uhr vertröstet, übrigens mit steigender Vehemenz, weswegen mein Anruf nun höchst verständlich sein sollte.

Dennoch dauert es geschlagene zwei Minuten, bis endlich jemand abhebt. »Hier ist noch mal Uli Abus«, melde ich mich.

Als Antwort höre ich nur ein entnervtes Schnaufen.

»Es ist sechzehn Uhr und ich habe noch keine E-Mail mit meinen Dating-Partnerinnen erhalten. Aber das ist wirklich wichtig für mich.«

»Wäre ich jetzt nie drauf gekommen«, sagt der Dating-Master. »Die Mails sind alle raus.«

»Aber ich hab nichts bekommen!«

»Da kann es nur zwei Gründe geben«, sagt er. »Entweder, die USA sind wie Atlantis einfach im Meer verschwunden und mit ihnen das Internet, oder es hat einfach niemand bei Ihnen Ja angekreuzt.«

»Das kann aber nicht sein!«, protestiere ich.

»Waren Sie nicht dieser Vierzigjährige, bei dem die Frauen alle vorzeitig aufgestanden sind?«

»Ich bin erst neununddreißig!«, widerspreche ich.

»Eben! Viel zu alt für die Frauen«, sagt er. »Das hat man doch auf den ersten Blick gesehen! Die jüngste Teilnehmerin war achtzehn! Und die einzige Frau in Ihrem Alter haben Sie nun mal nicht angekreuzt.«

»Ich habe mich aber super mit einer unterhalten, die hatte einen schwarzen Pagenschnitt. Es kann sich also nur um einen Fehler handeln.«

»Hören Sie mal zu«, sagt er. »Selbst wenn die Frauen jemanden nett finden, heißt das noch lange nicht, dass sie einen auch wiedersehen wollen. Akzeptieren Sie es einfach.«

Bevor ich noch etwas sagen kann, hat der Dating-Master aufgelegt.

Und mich in die größte Krise meines Lebens gestürzt.

Denn jetzt erst ahne ich, was es heißt, vierzig zu werden.

06

Nur ein Narr feiert, dass er älter wird.
George Bernard Shaw

Auf meinem Hoeneß-Trikot stand mit schwarzem Edding dahingekritzelt: 24. Mai 1976. Mein Geburtsdatum. Exakt siebenundzwanzig Tage später wurde ich abgeschoben, in jener Nacht des legendären Europameisterschaftsfinales, in der Uli Hoeneß beim entscheidenden Elfmeter den Ball in den Abendhimmel von Belgrad geschossen hat.

Dortmund-Fans behaupten, dort funkle er immer noch, als Stern des Südens.

Und ob das nun stimmt oder nicht, eines steht fest: Ich bin neununddreißig.

Noch exakt vierundfünfzig Minuten lang.

Höchste Zeit, etwas Positives an meinem kommenden Alter zu finden. Okay, mit dreißig kann man sich heute noch jung fühlen, mit fünfzig schon mal die Rente vorbereiten, aber mit vierzig?

Man könnte Karriere machen.

Jedenfalls, wenn man rechtzeitig damit begonnen hat, sich im primären Ausscheidungsorgan des Chefs wohnlich einzurichten.

Man könnte eine verbotene Affäre beginnen.

Falls man verheiratet ist. Oder wenigstens kein Single.

Das führt mich unweigerlich zum nächsten Punkt. Man könnte nämlich seine Kinder aufwachsen sehen, falls man schon welche gezeugt hat. Denn ein echter Mann soll ja ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und einen Sohn zeugen.

Den Baum hab ich schon als Dreizehnjähriger gepflanzt, damit ich an den Punkt schon mal einen Haken machen konnte. Mein Haus hab ich dank zweier linker Hände zwar nicht gebaut, aber mit neunundzwanzig gekauft. Okay, es ist nur ein älteres Reihenhaus in Mannheim-Waldhof und ich muss es noch abbezahlen, aber auch der Punkt ist im Grunde erledigt.

Bleibt der Sohn.

Nur, wie soll das allein gehen? Auch wenn manche überambitionierte Thriller-Schriftsteller das anders sehen mögen, Klonen von Menschen ist noch nicht erfunden.

Bisher dachte ich immer, die biologische Uhr tickt nur bei Frauen, doch im Grunde tickt sie bei Männern genauso. Außer man ist Millionär, Politiker oder Lichtgestalt des Deutschen Fußballs. Die können mit dem letzten Atemzug noch Vater von Sechslingen werden. Da haben sie zwar nichts mehr von, müssen aber auch keine Alimente zahlen.

Welche Chancen ich hingegen noch bei Frauen vor den Wechseljahren habe, hat man ja beim Speeddating gesehen.

Kurz und schlecht, mit vierzig kann man ernten, was man mit dreißig gesät hat.

Blöd nur, wenn man dazwischen das Gießen vergessen hat. So kam mir mein Leben in den letzten Jahren jedenfalls vor. Es ist eben unglaublich bequem, dem Fernsehen dabei zuzusehen, wie es in affenartiger Geschwindigkeit immer dümmer wird.

Auch wenn das auf einen selbst abfärbt.

Früher war ich viel umtriebiger gewesen. Als ich mit zwölf nach Deutschland kam, konnte ich auf Deutsch nur die Worte Ich, Hunger und Fußballweltmeister, doch mit zwanzig hatte ich das Abitur in der Tasche, dann Studium, Job und Haus. Keine schlechte Leistung für einen Jungen, der von Kannibalen großgezogen wurde.

Zumal ich auf meinem Weg nach oben nicht mal jemanden hatte aufessen müssen.

Der effektivste Weg der Problemlösung auf Papua ist es nämlich, seine Feinde einfach zu verspeisen. Was bei uns im Grunde ja auch nicht anders ist, nur dass die meisten Menschen zur Problembewältigung statt Hirn einfach Schokolade essen. Klar, sind ja auch viel mehr wertvolle Mineralstoffe und Spurenelemente drin.

Und jetzt ist ein Jahrzehnt vorbei und mir bleiben bis zum V-Day nur noch zweiundfünfzig Minuten Jugend!

Jugend? Ja, lacht nur ihr Fünfundzwanzigjährigen und lest das Buch in fünfzehn Jahren. Oder besser in vierzehn Jahren, dreihundertvierundsechzig Tagen und dreiundzwanzig Stunden. An eurem absoluten Tiefpunkt. Keine Hoffnung, ich hole euch da nicht raus. Ich muss mich jetzt erst mal um mich selbst kümmern.

Was wäre, wenn ich schnell zur Datumsgrenze fliegen würde, um meine Jugend ein paar Stunden zu verlängern?

Dummerweise verläuft die Datumsgrenze quer durch den Pazifischen Ozean. Dort wird das Flugzeug also kaum anhalten. Und was passiert, wenn wir darüber hinwegfliegen? Wäre dann auch noch mein Geburtstag futsch? Ich habe keine Ahnung. Jetzt rächt es sich, dass ich seinerzeit im Physikunterricht nur virtuell anwesend war.

Obwohl ich damals noch gar nicht wusste, was virtuell ist.

Ich schaue auf die Uhr. Mit diesen sinnlosen Gedanken habe ich eine weitere Minute meines Lebens verplempert. Darin bin ich Profi. Vielleicht sollte ich als Zeitverplemperer arbeiten. Wenn jemand nicht weiß, was er mit seiner Zeit anfangen soll, und davon gibt es ja einige, komme ich und verplempere sie. Ein tolles Geschäftsmodell.

Okay, bei näherer Betrachtung nicht wirklich umwerfend, aber auch nicht schlechter als das, womit einige am Neuen Markt ihr Vermögen erst gemacht und dann wieder verloren haben.

Während ich so vor mich hin plempere, frage ich mich, ob überhaupt jemand die Einladung zu meinem vierzigsten Geburtstag gesehen hat. Aber warum ist dann niemand hier? Die Einladungen sind doch schon lange raus!

Seit fast zwei Stunden!

Ich hab sogar extra den Nebenraum der SV Waldhof-Vereinskneipe angemietet, direkt gegenüber von meinem Reihenhaus. Zum Glück hängen dort noch die Luftschlangen von Fasching, was mir umfangreiche Dekorationsarbeiten erspart.

Tja, das Leben als Mann kann manchmal einfach sein.

Zehn Kästen Bier, ein paar Pullen Hochprozentiges, Cola, Chips und ein Wasserhahn. Fertig ist die Partyausstattung.

Jetzt müssen nur noch die Gäste kommen.

Inzwischen würde ich mich sogar freuen, wenn mir einer dieser hirnlosen C-Promis Gesellschaft leisten würde, die normalerweise das Vorabendprogramm von SAT.1 bevölkern.

Bleibt nur noch meine letzte verbliebene Freundin: Mariacron.

Ihre inneren Werte sind einfach überzeugend. Mit ihr sieht die Welt gleich ein wenig besser aus.

Zumindest bis zum nächsten Morgen.

Dann steht der ganze Mist doppelt so dick vor der Tür. Aber da kann ich mich ja morgen drum kümmern. Oder übermorgen. Wenn die Kopfschmerzen wieder weg sind.

Ich will mir gerade ein Glas einschenken, als sich die Eingangstür öffnet.

Ein langes Bein in Netzstrümpfen schiebt sich durch den Türspalt. Dann noch ein zweites. Irgendwann hangelt sich mein Blick über Rock und Bluse nach oben.

Meine Augen bleiben an den von einem Spitzen-BH eingerahmten Brüsten hängen, und schaffen es erst mit einiger Verzögerung hoch zum Gesicht.

Als ich es erkenne, bin ich schockiert.

07

Trau keinem über dreißig.
Unbekannt (und offensichtlich sehr jung)

»Beate?«, rufe ich. Irgendwie hatte ich meine Ex-Freundin anders in Erinnerung.

Aber ist das nicht immer so bei Ex-Freundinnen? Werden sie nicht erst dann wieder attraktiv, wenn man sich getrennt hat? Oder sie sind es immer, man selbst entwickelt sich aber nach einer gewissen Beziehungsdauer zu einem dreijährigen Jungen zurück, der jedes Spielzeug total klasse findet, solange es nicht das eigene ist.

Aber es ist ja nicht nur das Aussehen, was zählt. Wir haben uns ja aus anderen Gründen getrennt.

Also sie.

Ich hab mich gar nicht von ihr getrennt. Das war wie im UN-Sicherheitsrat: eine einseitige Resolution von Beate und ich hatte nicht mal ein Vetorecht. Mir ging es wie einem klassischen Beamten: Man muss Gesetze umsetzen, die man weder befürwortet, noch beeinflussen kann und schon gar nicht versteht. Als Begründung für die Trennung meinte Beate, mein Kinderwunsch würde sie unter Druck setzen.

Dabei hatte ich nur zweimal vorsichtig nachgefragt, ob sie sich Nachwuchs vorstellen könne. Okay, vielleicht hätte ich nicht schon Windeln kaufen sollen, aber ich bin halt gerne vorbereitet.

Wie auch immer, am Ende tickte Beates biologische Uhr so laut wie eine Zeitbombe.

Kaum drei Monate nach unserer Trennung war sie schwanger und jetzt hat sie eine zweijährige Tochter, ohne die sie sich ihr Leben nicht mehr vorstellen kann.

Dafür ohne mich.

Beate wirft einen Blick in die Runde, die man am besten mit dem Wörtchen inexistent beschreiben könnte. »Och, ist niemand gekommen?« Beate klingt gewohnt schadenfroh. »Trotz deiner frühzeitigen Einladung?«

Vielleicht hätte ich ein paar Stofftiere aufstellen sollen, damit es nicht so auffällt.

»Wo ist denn Costa?«, fragt Beate.

Ich zucke mit den Schultern. »Ist vielleicht kaputt von der Arbeit, muss ganz schön anstrengend sein, mit seinem Doppeljob als Avon- und Finanzberater.«

»Ich glaube eher, es liegt daran, dass er vierzig ist«, sagt Beate. »Und wo ist Tom?«

»Weiß nicht, den hab ich schon länger nicht gesehen.«

Beate nickt. »Weil er vierzig ist. Und wo ist der Schweiger?«

Ich spare mir die Antwort, denn auch er ist schon vierzig.

Ausgerechnet meine besten Freunde lassen mich am V-Day im Stich!

Ich will mich gerade wieder Mariacron widmen, als ich aus dem Schankraum der Kneipe eine weibliche Stimme höre: Der schönste Mann im Raum wird gebeten, an sein Handy zu gehen.

Diesen Klingelton kenne ich nur zu gut. Niemand sonst ist so dreist, den immer noch zu benutzen. »Costa?«, rufe ich und öffne die Tür zum Schankraum.

Da stehen sie alle und schauen mich mit geweiteten Augen an. Costa Konstantinopolis, Grieche mit türkischen Wurzeln, Tom Neckermann, mein im wahrsten Sinne des Wortes dickster Freund, und natürlich der Schweiger.

Und all die anderen, die ich eingeladen habe!

Sowie ein paar, die ich nicht eingeladen habe. Aber das ist jetzt auch egal. »Ist das eine Überraschungsparty?«, frage ich.

»Ich bin auch heiß auf dich«, sagt Costa, aber nicht zu mir, sondern zu seinem Handy.

Tom springt zu mir und umarmt mich. Das fühlt sich zwar an, als würde man in einem Wackelpudding versinken, aber trotzdem, meine Freunde haben mich nicht vergessen! »Toll, was ich für dich organisiert hab, oder?«, sagt Tom und zeigt in den Schankraum.

Eigentlich dachte ich zwar, ich hätte das organisiert, aber ich nicke trotzdem.

»Wir hatten dieselbe Idee«, sagt Tom. »Zum Glück haben die sich vom Vereinsheim nicht verplappert.«

Irgendeiner schaut auf die Uhr, beginnt laut zu zählen und die anderen zählen mit. Zehn, neun, acht, sieben … na ja, den Rest kennt ihr ja selbst.

Alle jubeln und wir prosten uns zu. Mir stehen die Tränen in den Augen, ja, es tut kaum noch weh. Ich bin vierzig und es schmerzt nicht mehr als eine doppelseitige Beinamputation.

Die kann man ja auch irgendwie verdrängen, wenn man ordentlich betäubt ist.

Und Mariacron ist eine klasse Anästhesistin.

Auch wenn ich Single bin und Miss Pagenschnitt mich nicht wiedersehen wollte, bin ich wenigstens nicht allein.

Der Schweiger schafft es als Nächstes, mir zum Geburtstag zu gratulieren, wenn auch nur per Handschlag und mit einem aufmunternden Nicken. Oder ist es ein mitleidvolles?

Egal, er ist trotzdem fast aus sich herausgekommen. Ich mag den Kerl. Er redet wenigstens keinen Dünnpfiff. Hat er noch nie getan.

Dabei kenne ich ihn schon seit der Schule, genau wie Tom und Costa. Plötzlich muss ich an die unbeschwerten Kindergeburtstage von früher denken. Damals hat man sich noch gefreut, älter zu werden. Heute hingegen tut man alles, um jünger zu sein.

Doch etwas Gutes gibt es an Geburtstagen wenigstens nach wie vor: Die Bescherung!

Als Erstes überreicht mir meine Ex Beate ein Geschenk. Genaugenommen einen Umschlag. So süffisant wie sie grinst, ist es bestimmt ein Gutschein für Wellness; ein typischer, englischsprachiger Euphemismus, für den es eine viel passendere deutsche Umschreibung gibt: gepflegte Langeweile.

Skeptisch öffne ich den Briefumschlag und ziehe eine Karte heraus. Ich klappe sie auf und wie erwartet liegt ein Gutschein darin. Ich lese den Text, lese ihn noch mal und dann platzt es aus mir heraus: »Vier Sitzungen beim Psychologen? Zum Thema: Würdevoll altern

Meine Gäste reißen mir den Gutschein aus der Hand, zeigen ihn herum und mit dem Finger auf mich.

Jetzt weiß ich wieder, warum ich der Trennung von Beate irgendwann etwas Positives abgewonnen habe: Sie ist ein fieses Biest. Wahrscheinlich habe ich es nur solange mit ihr ausgehalten, weil ich autoritären Frauen einfach nicht widersprechen kann. »Danke!«, zische ich. »Toller Witz auf meine Kosten.«

»Du musst dein Alter endlich akzeptieren.«

»Wie denn, wenn es sich ständig ändert? Kaum hab ich mich daran gewöhnt, dreißig zu sein, steht schon die Vierzig vor der Tür.«

»Probier es einfach mal«, sagt sie. »Ist ja ein Geschenk.«

Sie geht zu ihrem neuen Stecher, den ich übrigens nicht eingeladen habe, und ich gehe zu Mariacron. Das heißt, ich versuche es, denn Tom steht mir im Weg.

Seit die böse Vier bei ihm zugeschlagen hat, sehen wir uns immer seltener, aber jedes Mal, wenn wir uns treffen, hat er fünf Kilo zugenommen. Entweder ist er jetzt mit einer Spitzenköchin zusammen oder mit seinem Laptop und der Pizzabude um die Ecke. »Wir haben auch noch ein Geschenk«, sagt er und hält doch nur einen Umschlag in der Hand.

Er bemerkt meinen skeptischen Blick und fängt an zu reden, so wie er es meistens tut, wenn er unsicher ist: »Ja, also wir haben zusammengelegt, um dir eine Reise zu schenken. Mit uns gemeinsam«, erklärt er. »Costa, der Schweiger und ich.«

Ich bin perplex. »Eine Reise?« Das wollte ich schon immer mal wieder machen, mit den Kumpels auf Tour gehen. »Wo geht’s denn hin?«

»Zur ultimativen Party-Location!« Toms Augen glänzen vor Stolz.

Meine Vorfreude steigt. »Malle, Ibiza?«, frage ich gespannt.

Tom hält mir den Umschlag vor die Nase. »Viel besser.«

»Gran Canaria?«

Er schüttelt den Kopf.

»Kuba, Thailand, Vegas?«, wage ich nun etwas mehr. Haben die Jungs sich so ins Zeug gelegt? Erst die Party und jetzt eine Reise?

»Was willst du denn in Vegas?« Tom winkt ab und überreicht mir endlich den Umschlag. »Da verspielst du nur dein ganzes Geld.«

Noch bevor ich den Umschlag öffnen kann, schießt es aus Tom heraus wie ein verbaler Ejaculatio praecox: »Wir fahren in den Westerwald!«

08

Das Leben ist wie ein geschicktes Zahnausziehen. Man denkt immer, das Eigentliche sollte
erst kommen, bis man plötzlich sieht, dass alles vorbei ist.
Otto von Bismarck

Der Westerwald! Das kann doch nicht ihr Ernst sein! Wir sind doch keine Rentner!

Oder ist das nur ein Scherz?

Ich reiße den Umschlag auf und klappe die Karte auf.

Lieber Uli,

wir schenken Dir eine Woche im Westerwald. Mit uns.

Tom, Costa, der Schweiger

Mir entgleist das Gesicht, als sei dort eine defekte Achterbahn eingebaut.

»Gefällt dir unser Geschenk nicht?«, fragt Tom.

»Gibt’s den Westerwald überhaupt noch?«, frage ich zurück. »Ist der nicht beim Sauren Regen draufgegangen? Damals in den Achtzigern?«

Tom schüttelt den Kopf wie ein Inder, der nicht weiß, ob er ja oder nein sagen soll. »Ein paar Bäume stehen schon noch.«

»Aber wurden die nicht verseucht damals? Von Tschernobyl?«

»Das waren nur die Pilze und die Wildschweine«, erklärt Tom. »Außerdem ist das Hotel im Neckermann-Katalog.«

Costa blickt ungläubig zu Tom und unterbricht sogar sein Telefonat. »Sag bloß, du ziehst immer noch die Schnorrer-Nummer durch?«

Es ist eine alte Familientradition bei den Neckermanns, die Namensgleichheit mit dem Touristik-Unternehmen auszunutzen. Doch während Toms Vater nur ab und an mal an einer Bar einen Cocktail schnorrte, ist Tom schon mehrfach in Neckermann-Hotels aufgetaucht, hat sich dort einquartiert und den ganzen Urlaub lang nichts bezahlt, weil jeder glaubte, er sei von der Besitzerfamilie, inkognito unterwegs auf Hotelkontrolle.

Tom winkt Schweiger und Costa zu sich, die drei stecken die Köpfe zusammen. »Ihr könnt auch gern in der Jugendherberge übernachten«, flüstert Tom, so aufgeregt, dass ich es trotzdem verstehe. »Mehr wäre nämlich für die paar Kröten nicht drin!«

Der Schweiger scheint widersprechen zu wollen, öffnet jedenfalls den Mund, blickt mich kurz an und sagt dann doch nichts.

Tom wendet sich wieder mir zu. »Ach ja, und wir fahren schon diesen Montag los«, sagt er. »Du kannst doch so kurzfristig eine Woche frei nehmen, oder?«

Ich nicke, bisher war das nie ein Problem.

»Ist doch egal, an welcher Bar wir unser Bier trinken, oder?«, sagt Tom und legt mir den Arm um die Schulter.

In dem Moment freue ich mich tatsächlich auf den Urlaub. Endlich unternehmen wir mal wieder etwas zusammen.

Von den anderen Gästen bekomme ich noch ein paar weitere Gutscheine geschenkt, wobei mich der Hartz-IV-Bildungsgutschein ein wenig irritiert, den mir der Mann vom Pizzalieferservice schenkt, der anscheinend für Toms Ernährung sorgt.

Wenigstens wird jetzt mal einer von den Dingern eingelöst.

Anscheinend schenkt man heutzutage nur noch Gutscheine. Vielleicht biete ich bei meiner nächsten Party dann kein Bier mehr an, sondern ein paar Getränkecoupons, die man hinterher im Aldi einlösen kann. Das ist bestimmt ein Stimmungsbringer.

Womit ich wieder beim Thema, also bei Mariacron wäre. Ich schwinge mich wieder an die Bar, will mir gerade die Flasche schnappen, als mir eine Frau zuvorkommt. »Ich bin Krebs, ich darf das«, sagt sie und schenkt sich einen Doppelten ein.