HARTWIG HANSEN

Respekt –
Der Schlüssel zur
Partnerschaft

Logo

Impressum

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2013 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: istockphoto.com © Maxim Malevich

Weiß-Freiburg GmbH – Graphik & Buchgestaltung

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-86036-8

E-Book: ISBN 978-3-608-10515-5

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Achtung!

Wo ist der Respekt geblieben?

Ein Denkmal für die unbekannte Kassiererin

Respekt ist mehr als ein Wort

Lieben ist schöner als Siegen: Respekt und Partnerschaft

Die großen Konfliktthemen

Wie stark ist unser gemeinsames Fundament (noch)?

Respektvoller Umgang mit Veränderungswünschen

Den Unterschied machen: Lösbar oder »ewig«?

Ein Schlüssel und zehn Türen: Die zehn Gebote des Respekts

1. Tür: Deine Welt ist anders als meine. Oder: Von der Egophonie zur Polyphonie

2. Tür: Jeder Mensch will gehört werden. Oder: Es gibt nichts Schlimmeres, als keine Antwort zu kriegen

3. Tür: Ein guter Grund für die Partnerschaft: Verlässlichkeit

4. Tür: Der Schulterblick und die Verbundenheit. Aus der Fahrschule des Lebens

5. Tür: Gefühle sind Gefühle. Oder: Man kann sich verrechnen, aber nicht verfühlen

6. Tür: Der Knoten im Taschentuch: Anerkennung, Würdigung, Wertschätzung

7. Tür: Nichts ist selbstverständlich! Oder: Die Kunst, Danke zu sagen

8. Tür: Es tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe! Um Entschuldigung bitten und verzeihen

9. Tür: Die Zwillinge: Achtung und Ehrlichkeit

10. Tür: Würde ich wollen, dass man so mit mir umgeht?
Oder: Was du nicht willst, das man dir tut …

Grundkurs respektvolle Kommunikation

1. Die Fallstricke der Kommunikation: Urteile, Vergleiche und andere Verletzungen

2. Bitte deutlich trennen: Beobachten und Bewerten

3. Vom guten Gefühl, seinen Gefühlen Ausdruck verleihen zu können

4. Was brauche ich? Was brauchst du?

5. Die weiße Fahne hissen: Friedensangebote annehmen

6. Wünschen statt befehlen, bitten statt fordern

7. Das »Nein« in der Liebe respektieren

8. Mitgefühl statt Ratschläge

9. Die Grenzen des anderen achten

10. Selbstrespekt und -vergebung

Zum Schluss: »Zieh deinen Weg ...«

Textnachweis

»Sprich nicht schlecht vom Menschen.
Er sitzt in dir und belauscht dich.«

Stanislaw Jerzy Lec (1909–1966)

»Ein Mensch fühlt oft sich wie verwandelt,
sobald man menschlich ihn behandelt!«

Eugen Roth (1895–1976)

Achtung

Manchmal kommt es vor, dass große Sätze großer Denker sich im Alltag der Paarberatung bestätigen. Davon will ich hier kurz berichten.

Immanuel Kant (1724–1804), nach dem in fast allen Städten eine Straße benannt ist, wird das Zitat zugeschrieben: »Ohne Achtung gibt es keine wahre Liebe.« Ich fand es neulich als »Motto des Tages« in unserer Zeitung.

Heute kommen Herr und Frau B. – beide sind in der Werbebranche tätig – zur vierten Beratung, und wie so oft zielt meine erste Frage auf mögliche Veränderungen seit dem letzten Treffen. Frau B. nimmt den Ball gerne auf und antwortet überrascht-erfreut: »Irgendwie ist es in den vergangenen drei Wochen wieder besser mit uns geworden …«

»Das klingt gut, was haben Sie und Ihr Mann denn konkret anders gemacht?«

Frau B. denkt nach, zögert, schaut ihren Mann an und sagt schließlich achselzuckend: »Ich weiß es gar nicht.«

»Und was meinen Sie, Herr B., wenn Ihre Frau sagt: ›Irgendwie ist es wieder besser mit uns geworden …‹?«

»Dann sage ich: Das finde ich auch. Aber fragen Sie mich bitte nicht, woran das liegt.« Herr B. schüttelt den Kopf. »Darüber habe ich nämlich eben schon nachgedacht, als Sie meine Frau fragten. Ich weiß es auch nicht. Ich kann es nicht sagen …«

Herr und Frau B. schauen sich an und grinsen verlegen, fast wie Teenager, die beim Knutschen erwischt worden sind.

Diesmal lasse ich mich nach einer Vielleicht-kommt-dochnoch-was-Pause entgegen des sonst gewohnten »genauen Nachfragens« zu einem Angebot hinreißen: »Darf ich vielleicht eine Antwort nach meinem Gefühl versuchen?« Beide nicken erleichtert.

»Ich glaube, es könnte etwas damit zu tun haben, dass Sie die Achtung voreinander wieder zurückgewonnen haben.«

Das Ehepaar B. schaut sich immer noch freundlich an, deutlich zugewandter als zu Beginn der Beratung, dann nickt Frau B., und ich frage jetzt wieder offen: »Wie hört sich das an?«

»Das könnte so sein«, meint Frau B. Diesmal ist es ihr Mann, der nachfragt: »Wie meinen Sie das denn genau?«

»Ja, eigentlich müssten Sie mir das sagen. Ich zumindest glaube fest daran, dass eine Beziehung nur gerettet werden kann, dass man sich nach einer kritischen Phase nur ›wiederfinden‹ kann, wenn man den Respekt voreinander, die Achtung vor dem Gegenüber wieder zurückgewinnt, die manchmal in Krisen auf wundersame Weise abhanden zu kommen scheint.«

»Respekt!«, sagt nun Herr B., »das haben Sie schön gesagt, so ist es auch irgendwie.«

Dieses Buch handelt also von der Bedeutung des Respekts im Miteinander, von der Achtung in Partnerschaften, von den Möglichkeiten, sie zu wahren, zu schützen und gegebenenfalls – wie beim Ehepaar B. – wiederzufinden.

Nach ein paar einleitenden Erlebnissen, Beobachtungen und Gedanken zum Thema »Respekt heute« sowie einem Ausflug zu den großen Konfliktherden in Beziehungen möchte ich Ihnen die »Zehn Gebote des Respekts« unter dem Titel »Ein Schlüssel und zehn Türen« vorstellen und Sie zu einem »Grundkurs respektvolle Kommunikation« einladen.

Achtung! Die Quintessenz dieses Buches steht – mal mit, mal ohne Kant – bereits am Anfang.

Sie lautet: Ohne Respekt ist alles nichts!

Wo ist der Respekt geblieben?

Ein Denkmal für die unbekannte Kassiererin

Eines der lästigsten Dinge in meinem Leben ist das Einkaufen. Sicher kennen Sie eine ganze Menge Männer (und ein paar Frauen), die sich auch als Einkaufsmuffel outen würden.

Ich finde mich schon ziemlich gut, wenn ich vorher daran gedacht habe, dass ich ja heutzutage einen Euro oder zumindest einen entsprechenden Chip für den Einkaufswagen brauche und so das ausgesprochen leidige Geldwechseln im Laden vermeiden kann.

Na ja, den Mittelteil meiner Einkaufstour im Supermarkt, den Part mit den vielen Einzelentscheidungen, erspare ich Ihnen, weil ich ja von der Schluss-Szene, also von der in der Kassenschlange und beim Bezahlen, berichten will.

Da kommen wir nämlich der Sache mit dem Respekt spürbar nahe.

Es ist voll im Laden, die Schlangen sind lang, ich bin zwar nicht mehr der Letzte, aber auch noch nicht dran. Plötzlich die bekannte Hysterie an den Schlangen-Enden – wer reagiert zuerst? Eine neue Kasse hat geöffnet. Jetzt die Chance zum Überholen nicht verpassen!

Kein Blickkontakt, kein »Darf ich mal?«, jeder gegen jeden, nach dem bekannten, gut einstudierten Motto aus dem Leben »da draußen«: »Wir wollen alle das Gleiche, aber ich doch wohl zuerst.«

Das Band läuft und stoppt, der Scanner piept, sonst ist es wieder still. Ich lege »meine« Waren aus dem Einkaufswagen auf das Band und ärgere mich: Mein Nachfolger tut schon das Gleiche. Sieht er nicht, dass ich noch mehr Platz auf dem Band brauche? Soll ich was sagen oder ihn ignorieren und mich still grämen?

Gut trainiert fahre ich den leeren Wagen um den Kassenplatz herum, damit die Kassiererin sieht, dass er leer ist. Generalverdacht ausgeräumt! Und ich weiß schon, was jetzt kommt – nämlich ich nicht hinterher. Die Kassiererin zieht die Waren viel schneller über den Scanner, als ich – und sicher auch Sie – den Wagen wieder füllen könnten. Jedes Mal ärgere ich mich über diesen nonverbalen Affront, diese körperlich spürbare Respektlosigkeit, ich kann dieses Drängeln zur vermeintlichen Temposteigerung nicht haben, werde richtig gallig und habe noch Nudeln und Eistee in der Hand, als ich schon höre: »Neununddreißig Euro Sechsundfünfzig!«

Nee, Einkaufen ist nichts für mich. Und schon gar nicht so.

Wie es zu diesem Buch kam

An dieser Stelle sei allen gestressten, unterbezahlten, überarbeiteten Kassiererinnen und Kassierern ein Denkmal gesetzt, denn sie haben mich – mittels regelmäßig ausgelöster Adrenalinschübe – inspiriert: Du müsstest eigentlich mal ein Buch über »Respekt« schreiben! Jetzt halten Sie es in Händen, was ja schon ein sicheres Zeichen für Respekt ist.

Ihnen liegt offenbar auch am Thema. Vielleicht kaufen Sie ja sogar manchmal im gleichen Supermarkt ein.

Ein anderes Denkmal verdient die Verkäuferin beim Bäcker bei mir um die Ecke:

Ein kleiner Verkaufsraum, eine schmale Theke, ein freundliches »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?« Sie schaut mich direkt an und lächelt sogar ein bisschen. – »Guten Tag, ich hätte gerne einen halben Niebüller Knust.« (Sagen Sie das mal, ohne Haspeln und Nuscheln! – Ich übe noch …) »Kein Problem« – sie teilt einen Brotlaib auf dem Schneidebrett. »Geht das so, oder soll ich es aufschneiden?« Wieder schaut sie mir freundlich in die Augen. »Nein danke, nicht nötig.« Die Verkäuferin hat eine Plastiktüte in der Hand, um damit den halben »Knust« – hygienisch – in eine Papiertüte zu schieben. »Das macht einen Euro fünfundneunzig. Darf’s sonst noch etwas sein?« Ihre Stimme bleibtangenehmzugewandt.

»Vielen Dank, heute nicht.« Ich gebe ihr ein Zwei-Euro-Stück, nehme die fünf Cent Wechselgeld und stecke sie in die Kinderhospiz-Spendendose auf der Theke.

Gut gelaunt halte ich einer Mutter mit Nachwuchs im Kinderwagen die Tür auf und ernte ein »Dankeschön«. So macht Einkaufen Spaß.

Es gibt sie also noch im Alltag, die »Ach-ja,-richtig,-so-fühltsich-das-an,-wenn-ich-respektvoll-behandelt-werde«-Momente. Die Augenblicke, die von Aufmerksamkeit, Höflichkeit und Rücksichtnahme geprägt sind. Also kein Grund, die Hoffnung aufzugeben?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht und wo Sie leben. Mein Lebensgefühl in der Großstadt hat sich in den letzten Jahren geändert. Wäre auch komisch, wenn nicht, werden Sie sagen – man wird ja älter. Das meine ich diesmal aber nicht. Ich bin angespannter unter Menschen, gehe nicht mehr so unbefangen mit ihnen um und auf sie zu. Schalte »da draußen« eher auf »Ichzieh-das-jetzt-durch«-Modus, ziehe mich damit wohl eher in mich zurück, wappne mich gegen vermutete »Überfälle« und Respektlosigkeiten, stelle selbst eher »auf Durchzug«.

Vielleicht liege ich ja völlig falsch und Sie könnten sagen: »So provoziert er das ja selbst.« Möglich. Und schon sind wir bei der Gretchenfrage: Henne oder Ei, was war zuerst? Ich empfinde die Stimmung im öffentlichen Raum als gereizter, hektischer, indirekter, man schaut sich nicht mehr an, drängelt sich eher aneinander vorbei, als gelte es allumfassend zu signalisieren: »Was macht ihr alle hier und stört mich in meinen Unternehmungen?!«

Ist es denn ein Zufall, dass eine Jury an der Universität Frankfurt am Main vor ein paar Jahren ausgerechnet die »Ich-AG« zum »Unwort des Jahres« kürte?

Die gesellschaftliche Zellteilung schreitet voran, arbeitslose Individuen gründen mit begrenzter staatlicher Förderung ihre eigene »Aktiengesellschaft«. Vereinzelung als Rezept gegen die strukturell nicht mehr lösbaren Probleme der postmodernen Massenarbeitslosigkeit.

Die Gattung der ICHlinge

Der ZEIT-Autor Christian Schüle, Jahrgang 1970, kreiert in seinem Buch »Deutschlandvermessung. Abrechnung eines Mittdreißigers« dafür einen neuen Begriff: »Die Gattung der ICHlinge«: »Ich werde von nun an keine Scheu mehr haben, schamlos von mir und über mein geltungssüchtiges ICH zu reden. Schamlosigkeit ist eine meiner Tugenden, Geltungssucht einer unserer aufgezwungenen Eigenschaften. Ich empfinde Scham, wenn ich es für richtig halte. Also rede ich ohne Skrupel von dem Vorwurf anstandsloser Selbstgefälligkeit im ICH, um gleich klarzumachen, dass es ein allgemeines WIR nicht mehr gibt. Ich bin ein ICHling. Bezugsraum meiner Wahrnehmung bin ich allein.«

Das steht da wirklich so. Jetzt wird mir einiges klar: Deshalb fühle ich mich in der Supermarktschlange immer so gehetzt und unwohl.

Denn: »Ein ICHling ist ein Vertreter der Individualisierung. Seine Schlachtrufe lauten: Selbstbestimmung! Und Selbstentfaltung! Unbedingte. Bedingungslose. Selbstbestimmung ist Verwirklichung unserer selbst um beinahe jeden Preis.«

Da kommt es dann schon mal vor, dass der Hintermann an der Tankstelle mir Schläge androht und gegen meine Autotür tritt, nur weil ich nicht schnell genug den Tankdeckel zugeschraubt habe und den Platz für seinen getunten Jeep räumen konnte.

Außerdem frage ich mich seit Längerem, ob man die Autos – kostensparend – nicht von den Blinkern befreien sollte, weil sie ohnehin kaum noch jemand benutzt: »Ich blinke nicht, weil es dich gar nichts angeht, wohin ich fahre!«

Oder warum haben Fahrräder eigentlich so unnütze Vorrichtungen wie Strahler, wenn sie im Dunkeln ohnehin nicht angestellt werden?

»Ich fahre so, wie ich will! Du bist nicht da für mich, ich erkenne dich ja, pass du doch auf.«

Bin ich zu zart besaitet, überarbeitet oder präsenil? Komme ich nicht mehr klar in dieser Welt, wenn mich das jedes Mal total fuchsig macht? Und wenn ich dann – ausnahmsweise – mal die Scheibe runterdrehe und sage: »Machen Sie bitte Ihr Licht an!«, kommt die Antwort: »Fahren Sie bitte weiter!« Da habe ich dann schon an mir gezweifelt und brauchte eine Viertelstunde, um wieder »runterzukommen«.

Ist das jetzt normal oder nur weit verbreitet? Mit Respekt hat das – da bin ich sicher – nichts mehr zu tun.

Und überhaupt: Wo ist eigentlich »die Hand« geblieben? Ich meine die Hand, die signalisiert: »Danke schön, dass Sie mich vorgelassen haben. Danke schön, dass Sie mich beachtet haben.«

Abgestorben, abgeschraubt, abgelegt – die Autos werden heute offenbar nur noch mit Fußtritten bewegt. Da wirkt das biederbemühte Schild an der Autobahn wie aus einer vergangenen Epoche. Darauf wird gemahnt: »Draengeln? Rücksicht ist besser« – wie putzig.

Andersrum wird eine Stoßstange draus: »Vorsicht ist besser – lass dich nicht abdrängeln!«

Das Credo des dritten Jahrtausends – frei nach Herrn Schüle – könnte lauten: »Sieh zu, wie du allein vorankommst, der andere ist egal, wenn er dir nicht explizit nützt. Für den Rest haben wir keine Zeit mehr.«

Anstrengendes »Turboleben«

Das Tempo in unserem Leben nimmt allerorten rasant zu. Der Druck, noch mehr in der gleichen Zeit zu schaffen, ebenfalls. Überall und jederzeit präsent, permanent ansprechbar und flexibel zu sein – das »Turboleben« ist ganz schön anstrengend.

Jede technische Neuerung wird – gerade wegen dieser neuen spürbaren Überforderung – als »ganz einfach« beworben. »Ein Mausklick … und schon sind Sie dabei.« Von wegen, nichts ist einfach, vieles komplex, und die Fülle der »Vereinfacher« verschlingt mit ihren Tücken zudem enorm viel Energie.

Wer die Segnungen der Neuzeit nicht begreift, wird behandelt wie ein vergreister Neandertaler: »Da müssen Sie doch nur den Stecker einstöpseln, das ist doch nicht so schwer.« Ja, denkste!

Der Anruf bei der Hotline lässt sich nicht vermeiden – heißt sie Hotline, weil sie wegen der Überlastung permanent glüht? Dort hören Sie erst mal die zuckersüße Computerstimme: »Geben Sie bitte Ihre Kundennummer ein und betätigen Sie danach die Rautetaste.«

Ich fühle mich, als laufe ich gegen eine Gummiwand. Hallo, ich bin’s, ich weiß nicht weiter, hört mir mal jemand zu?

Nein. »Entschuldigung, ich habe Ihre Kundennummer nicht identifizieren können. Bitte versuchen Sie es noch einmal. Und drücken Sie dann die Rautetaste.«

Heute haben die Götter vor das Zuhören die Rautetaste gesetzt!

Und ich übersetze für mich die ätzend-säuselnde Computerstimme, denn eigentlich will sie mir doch sagen: »Der nächste – überlastete – Mitarbeiter ist für Sie da, aber kommen Sie bitte alleine klar! Andernfalls wird es teuer für Sie, und das wollen Sie doch nicht.«

Ach ja, das Geld – offenbar das wichtigste aller »Argumente« der neuen Zeit. Geiz ist geil. »Ich bin doch nicht blöd!« Denn Klingeltöne für dein Handy gibt es reichlich – im Sparabo. Was ist das bitte, ein Sparabo? Ein Plan für Vermögenswirksame Leistungen? Abo-Sparen?

Nee, das ist Geldabzocke im Tarngewand. »Spar dich satt«, wirbt ein Pizzabringedienst. Alle reden vom Sparen, dabei bedeutet es immer nur das eine: Geld ausgeben.

Die Worte meinen nicht mehr, was sie einmal gemeint haben.

Das latente Gefühl: Wo werde ich heute beschissen? hat sich festgebissen. Mein Argwohn gegen »Billigangebote« per Gutschein, Frühbucherrabatt und Bonuskarte ist so groß, dass er nicht in dieses Buch passt. Sozusagen proportional zum immer kleiner werdenden »Kleingedruckten«. Mein Vertrauen ist futsch, ich muss auf der Hut sein, mich wappnen, schützen, absichern.

»Der kostet nichts.«

So laufe ich in der Welt herum und nehme mir vor, dass dieses Buch ein Plädoyer für Respekt, für Ehrlichkeit, Hinwendung, für Bewusstheit und Kontakt werden soll.

Und ich nehme mir vor, dass ich darin ein drittes Denkmal setzen will.

Als mich der Verlag für dieses Buch um ein Foto von mir bat, ging ich in einen Foto-Laden, legte meine bescheidene Auswahl auf den Tresen und sagte: »Ich brauche mal ein gutes Foto von mir.« Die freundliche Antwort »Da haben Sie ja ein passendes ausgesucht« freute mich.

Die Verkäuferin ging ins Labor und kam nach kurzer Zeit mit den Abzügen zurück.

»Und der ist für Ihre Frau, den kann sie sich auf den Nachttisch stellen«, sagte sie, »der kostet nichts.«

Ich war baff und gerührt. Es ist noch nicht alles verloren! Ein Hoch auf alle freundlichen, zugewandten und beherzten unbekannten Verkäuferinnen der Welt! Respekt allen anderen!

Respekt ist mehr als ein Wort

Vor einiger Zeit saßen wir in kleiner Runde zusammen, und es entspann sich folgendes Gespräch.

»Fällt euch eigentlich jemand ein, den ihr als Respektsperson bezeichnen würdet?«

Mein Kollege sagte nach kurzem Überlegen: »Schwierig. Die sind alle schon tot.«

»Zum Beispiel?«

»Naja, so Leute wie Willy Brandt oder Nelson Mandela. Das waren für mich richtige Respektspersonen. Vielleicht auch noch Richard von Weizsäcker.« Damit waren wir einverstanden.

»Und wer wäre es heute?«

»Ich weiß nicht. Für viele wird es wahrscheinlich der Papst sein ... oder wie heißt diese tolle junge Frau aus Pakistan, die sich dafür einsetzt, dass alle Kinder Bildung bekommen?«

»Malala.«

»Ja, genau, die hat tatsächlich meinen vollen Respekt. So tapfer und so klar in ihrer Haltung. Aber irgendwie ist das auch was anderes.«

»Ist sie damit schon eine Respektsperson? Ich glaube, früher gab es einfach mehr, auf die man sich einigen konnte.«

»Wieso eigentlich?«

»Ja, guck dir doch an, was los ist in der Welt. Sag mir einen Politiker, vor dem du echten Respekt hast.«

»Gauck fand ich ganz gut«, kam noch ein hilfloser Versuch.

»Auch schon nicht mehr im Amt ...« – Nachdenkliche Pause.

Und dann sagte mein Kollege: »Ich weiß auch nicht, ich respektiere meine Frau, und dann kommt gaaanz lange gar nichts.«

Was ist eine Respektsperson?

Ja, was ist los? Vor wem haben wir (noch) Respekt? Wie ist das bei Ihnen? Vor Ihren Eltern, Ihren Großeltern? Ihrem Chef? Und gibt es noch jemanden »darüber hinaus«?

Hat sich die Wahrnehmung von »öffentlichen Personen«, denen man früher Respekt entgegenbrachte, in den letzten Jahren tatsächlich so gravierend verändert?

Was zeichnet eine Respektsperson wirklich aus?

Mir fallen dazu ein paar Eigenschaften ein: Ehrlich muss sie sein – ganz wichtig, sie muss sich für »die gute Sache« einsetzen, vielleicht ist sie klug, fast weise, auf jeden Fall lebenserfahren, authentisch und integer, eine »Autorität im positiven Sinn«. Sie wahrt ihre Würde und muss in irgendeiner Weise »etwas Besonderes« sein. Schließlich gilt für sie der Satz: »Respektspersonen halten mehr, als sie versprechen, und nicht umgekehrt.«

Vielleicht ist es das, was sie heutzutage so rar macht.

Respekt ist wohl eine Art der Ehrerbietung gegenüber einer anderen Person, eben einer Respektsperson – ich achte sie, was sie ist oder »geleistet« hat. Respekt und Achtung sind offenbar so etwas wie Geschwister.

Achtung

Der französische Mathematiker Blaise Pascal (1623–1662) brachte es auf die grundlegende Formel: »Das ganze Glück der Menschen besteht darin, bei anderen Achtung zu genießen.«

Und Erich Fromm erläutert in seiner »Kunst des Liebens«: »Achtung hat nichts mit Furcht und nichts mit Ehrfurcht zu tun: Sie bezeichnet die Fähigkeit, jemanden so zu sehen, wie er ist, und seine einzigartige Individualität wahrzunehmen. Achtung bezieht sich darauf, dass man ein echtes Interesse daran hat, dass der andere wachsen und sich entfalten kann. Daher impliziert Achtung das Fehlen von Ausbeutung. Ich will, dass der andere um seiner selbst willen und auf seine eigene Weise wächst und sich entfaltet und nicht mir zuliebe. Wenn ich den anderen wirklich liebe, fühle ich mich eins mit ihm, aber so, wie er wirklich ist, und nicht, wie ich ihn als Objekt zu meinem Gebrauch benötige. Es ist klar, dass ich nur Achtung vor einem anderen haben kann, wenn ich selbst zur Unabhängigkeit gelangt bin, wenn ich ohne Krücken stehen und laufen kann und es daher nicht nötig habe, einen anderen auszubeuten.

Achtung gibt es nur auf der Grundlage der Freiheit. L’amour est l’enfant de la liberté heißt es in einem alten französischen Lied. Die Liebe ist ein Kind der Freiheit, niemals das der Beherrschung.«

Das klingt schön – »Die Liebe ist ein Kind der Freiheit« und: Achtung und Respekt haben nichts mit Furcht und nichts mit Ehrfurcht zu tun, obwohl man doch mitunter sagt: »Ich habe Respekt vor dieser Person«, im Sinne von »Ich habe Ehrfurcht« – und ein bisschen Schiss.

Respekt ohne Vertrauen führt offenbar eher zu Angst und Unterwerfung, wie zum Beispiel in früheren Zeiten die Forderung zum Alltag gehörte: »Du sollst deinen Eltern und der Obrigkeit Respekt zollen!«

Albert Camus (1913–1960) formulierte dazu pointiert: »Nichts ist jämmerlicher als Respekt, der auf Angst basiert.« Möglicherweise bezog er sich dabei auf die französische Bedeutungswurzel des Wortes »réspect«, das als »Achtung beziehungsweise Hochachtung« stärker eine Art Ehrerbietung, im Sinne von Achtung vor einer höheren Autorität, beinhaltet. Dies würde mehr die einseitige – vertikale – Form der Achtung von unten nach »oben« beschreiben: Ich achte jemanden (bzw. seine Leistung), weil er, sie oder es größer, stärker oder mächtiger ist als ich selbst.

Würde

Besser gefällt mir die Gegenseitigkeit im Sinne von Erich Fromm: Ich achte den anderen in dem, was er ist. Ich achte ihn in seiner Würde, ich würdige ihn, erkenne ihn (an), respektiere ihn und setze mich nicht über ihn hinweg.

Nicht umsonst formuliert die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948« – nach den außerordentlich leidvollen Weltkriegen – in ihrem Artikel 1: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.« Und der allererste Artikel des deutschen Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 ist ebenso deutlich: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Man mag hinzufügen »… und natürlich auch die Verpflichtung jedes Einzelnen«.

Nur was ist Würde? Eine diffuse Vorstellung haben wir ja davon. Aber wie kann man es »greifbarer« beschreiben? Dazu fällt mir etwas ein, das ich von dem schon eingangs erwähnten Philosophen Immanuel Kant – neben allem, das mir »zu hoch war« – verstanden habe. Der trifft nämlich eine hilfreiche und aufschlussreiche Unterscheidung, die sich folgendermaßen zusammenfassen lässt: Nur Dinge, Sachen oder Dienstleistungen haben einen Wert. Für uns Menschen greift der Wert-Begriff allerdings nicht, wir haben keinen Wert, dafür aber Würde, und zwar unmittelbar und von Geburt an. Sie lässt sich – im Gegensatz zu Dingen und Leistungen – weder kaufen noch veräußern.