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Nr. 2871

 

Die Sextadim-Späher

 

Ihr Ziel ist das Catiuphat – es ist ein Himmelfahrtskommando

 

Verena Themsen

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Perry Rhodan ist von einer Expedition in vergangene Zeiten in die Gegenwart zurückgekehrt. Diese wird nicht nur von der Herrschaft der Atopen bedroht, sondern auch durch die brutalen Tiuphoren, die durch einen Zeitriss aus tiefster Vergangenheit zurückgekehrt sind. Immerhin scheint mit dem ParaFrakt eine Abwehrwaffe gefunden zu sein.

Doch ist es ein Wettlauf gegen die Zeit. Das wissen auch DIE SEXTADIM-SPÄHER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner begibt sich auf eine Reise ohne Körper.

Paddkavu Yolloc – Der Caradocc steht vor einer schweren Entscheidung.

Tamu Chaplin – Für die Reporterin geht ein journalistischer Traum in Erfüllung.

Pey-Ceyan – Die Lebenslichte reist völlig losgelöst mit Perry Rhodan.

Rahmen I

Zwischen den Sternenmeeren

 

Das Sterngewerk trieb durch die Schwärze wie eine Schneeflocke im Nachtwind. Mit ausgebreiteten Quintronennetzen glitt es zwischen den Sterneninseln dahin und sammelte die Ursprungsteilchen aller Materie, um sie in Energie zu überführen. Erst in einiger Zeit würden die Umwandler alle Speicherröhren gefüllt haben; Zeit, die an Bord der SHEZZERKUD dazu genutzt wurde, still zu sein und auf das zu lauschen, was auf fernen Welten geschah.

Der Klang der Schritte kam Verssidai Happuru in der Stille hohl vor, obwohl die Windungen des Gangs zur Zentrale allen Schall dämpften. Vielleicht lag es daran, dass das Orakel unwillkürlich die gleiche Schrittfolge übernommen hatte wie der neben ihm gehende Shoer Venyeth. Dadurch kam es Verssidai vor, als wären die eigenen leisen Schritte auf einmal so laut wie die des Xenoermittlers.

Verssidai schloss für einen Moment die Augen und strich mit dem Geist über das Banner. Die Ruhe der letzten Klarheit berührte das Orakel und weckte Sehnsucht, sich denen anzuschließen, die den Schritt ins Catiuphat längst getan hatten. Es war eine der Herausforderungen, die jedes Orakel zu meistern lernen musste, diesem sehnsuchtsvollen Locken aus der Tiefe nicht nachzugeben.

»Der Caradocc wird erstaunt sein«, sagte Shoer Venyeth.

Die Worte des Xenoermittlers holten Verssidai Happuru zurück. Bestätigend drehte das Orakel die Hände. »Es war überraschend, selbst in diesem Raumzeit-Tesserakt Tiuphoren zu finden.«

»Überraschender finde ich ihr archaisches Verhalten«, stellte Venyeth fest. »Sie füllen ihre Banner mit den Essenzen getöteter Planetarier. Der Gedanke kommt mir fremd vor.«

»Es gab immer wieder Epochen wie jene«, sagte Happuru. »Das Banner raunt davon. Ich weiß allerdings nicht, ob die SHEZZERKUD selbst jemals an so etwas teilgenommen hat oder ob das Wissen über das Catiuphat eingeströmt ist.«

»Es ist ein antiquiertes und barbarisches Verhalten.« Als spürte sie seine Ablehnung, bewegte sich in Venyeths Bauch die Zweitbrut, die er zurzeit austrug. Er strich beruhigend darüber.

Verssidai betrachtete die Wölbungen, die sich unter dem elastischen Anzugmaterial des Ermittlers abzeichneten. Es konnte nicht mehr lange dauern bis zur Zweitgeburt des jungen Tiuphoren. Das Orakel hatte dieses zweite Brutstadium nicht in einer Körpertasche durchlebt, sondern in einer Brutwiege, wodurch sich bei ihm kein Geschlecht ausgebildet hatte. Manchmal fragte es sich, ob ihm dadurch etwas entging.

Andererseits erschien ihm die Aussicht, eine ganze Zeitspanne lang in einer Hauttasche eingesperrt zu leben, nicht gerade erstrebenswert. Die Freiheit der Wiege, die Freiheit von den Einflüssen der Geschlechtlichkeit – das erst hatte seinem Geist den Raum zur Entfaltung gegeben, der nötig war, um sich auf die Harmonien der Sextadim-Kristalle einschwingen zu können und Verbindung mit dem Banner und dem Catiuphat zu erhalten.

»Jede Epoche hat ihre Art«, sagte Verssidai und formte die Hände vor dem Bauch zu einer Kugel. »Wem steht schon das Recht zu, ein Urteil über die zu fällen, deren Leben anders laufen und die andere Dinge glauben?«

Venyeth stieß einen hohen, heiseren Ton aus und berührte den Kontakt des Zentraleschotts. »Für ein so junges Orakel sprichst du tiefe Weisheiten aus. Aber schauen wir erst einmal, was der Caradocc dazu sagt.«

 

*

 

»Eine Bannerkampagne«, sagte Paddkavu Yolloc, ohne sich zu ihnen umzudrehen. Er schien vertieft in die Betrachtung der beiden Sterneninseln, in deren Wechselwirkungsstrom sie fischten. Die Projektionen schimmerten hell in der abgedunkelten Kommandosohle.

Eine der schimmernden Scheiben war etwa anderthalb Mal größer als die andere, und sie lagen so weit auseinander, dass der Caradocc die handgroßen Projektionen gerade mit den ausgestreckten Fingern hätte erreichen können, wenn er zwischen ihnen stand. Beide hatten eine Schar kleinerer Begleiter, mehr oder weniger stark verformte Kleingalaxien, gefangen im gravitativen Bann der größeren Brüder.

Die Namen in den Katalogen lauteten Claccpher und Phariske-Erigon, aber die Plasmatroniken hatten von den Einwohnern die Bezeichnungen »Hathorjan« und »Milchstraße« aufgefangen. Letztere war die Sterneninsel, in der sie Aktivität entdeckt hatten. Mit einer fließenden Bewegung zog Yolloc sie heran und weitete sie aus, bis das Schimmern sich in einzelne Sterne auflöste, die ihn umtanzten.

»Mehrere Zehntausend Sterngewerke sind daran beteiligt«, setzte Shoer seinen Bericht fort. »Es sind allerdings nur kleine Strukturen mit einer Technoausprägung, die so archaisch ist wie ihre Sitten.« Mit einem hohlen Zischen machte er klar, was er vom Vorgehen der entdeckten Tiuphoren hielt.

Der Caradocc wirkte ungerührt. »Tollan Tepechu hat also recht gehabt«, stellte er fest. »Selbst hier, selbst jetzt haben Tiuphoren überlebt, und nicht gerade wenige. Sie werden die Waagschale günstig senken.«

Verssidai klickte amüsiert. »Er ist der Tomcca-Caradocc der Epoche Ruf. Hast du an seinem Wort gezweifelt?«

»Jeder Tiuphore kann irren, selbst ein Tomcca-Caradocc oder ein Orakel.« Der Caradocc schob mit einem Ruck die Projektion nach oben und wandte sich ihnen zu. Sein Blick traf jenen Verssidais. Das Orakel wich dem Kontakt nicht aus.

Schon seit Längerem hatte sich ein eigenartiges Verhältnis zwischen ihnen entwickelt. Nachdem der Körper von Verssidais Vorgänger schneller als erwartet verfallen war, hatte Yolloc ihn beim Abschluss der Ausbildung seines Nachfolgers unterstützen müssen. Seine lange Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Orakeln hatte ihm genug Einblick in deren Arbeitsweisen gegeben, um das zu ermöglichen. Am Ende musste ohnehin jedes Orakel seine eigenen Wege finden.

Was sich dabei zwischen ihnen entwickelt hatte, war etwas, das Verssidai bei Yolloc sonst nur gegenüber einer einzigen anderen Person beobachtet hatte: seiner Tochter Nankaddi Tiok, die eine der Agraranlagen der SHEZZERKUD leitete. Manchmal hatte das Orakel sich deshalb gefragt, ob es vielleicht aus einer Primärgeburt von Yollocs Gefährtin oder seiner Tochter erwachsen war.

Es gab bei Orakeln keine Aufzeichnungen über ihre Abstammung, aber die Gebärerinnen und ihre Gefährten wussten natürlich, wenn zur passenden Zeit eines ihrer Kinder als geeignet getestet und von einem Orakel beansprucht worden war. Andererseits kannte Verssidai den Caradocc inzwischen gut genug, um zu wissen, dass für ihn nicht nur biologische Bande wichtig waren. Er sah auch in den Geist eines Tiuphoren.

Nankaddi zeigte sich allerdings wenig empfänglich für das Band, das der Caradocc zu seiner Tochter zu halten versuchte. Verssidai dagegen hatte zwar ursprünglich aus Unsicherheit reserviert reagiert, doch im Lauf der Zeit waren zwischen ihnen Vertrautheit und eine stille Zuneigung erwachsen – ein Gefühl, von dem es nicht sicher war, ob es bei Orakeln üblich war. Andererseits erlaubte es ihnen beiden, einander auf eine Weise zu verstehen, die manchmal keiner Worte bedurfte. Daraus erwuchs eine nahtlose Zusammenarbeit, die dem Sterngewerk nur zugutekommen konnte.

Shoer Venyeth klickte mit der Zungenspitze. »Wenn du keine weiteren Fragen hast, Caradocc, werde ich zu den Plasmatroniken zurückkehren und sehen, was wir an weiteren Informationen extrahieren können.«

»Tu das«, stimmte Yolloc mit einem leichten Drehen der Hände zu. »Halt mich regelmäßig auf dem Laufenden über die Vorgänge in Phariske-Erigon!«

»Jawohl, Caradocc.«

 

*

 

»Was denkst du?«, fragte Verssidai, nachdem der Xenoermittler die Kommandosohle verlassen hatte. »Willst du den Ruf an sie ergehen lassen?«

Yolloc legte den Kopf zurück und betrachtete die über ihm kreisenden Sterne. »Ich muss darüber nachdenken. Diese Banner-Kampagne, die sie vorbereiten ...«

Das Orakel wartete einen Moment. Als Yolloc nicht weitersprach, sagte es: »Venyeth findet das abstoßend. Wenn es seine Wahl wäre, würde er sie sofort abrufen.«

»Das ist mir bewusst. Er hat keinerlei Verständnis für die Ästhetik der archaischen Kriegskunst, die diese Tiuphoren ohne Rücksicht auf das eigene Schicksal leben. Und ich sehe natürlich die ethische Problematik. Aber man darf auch das Ergebnis nicht ignorieren. Die Banner dieser Sterngewerke werden uns alle reicher machen, wenn wir sie gewähren lassen, bevor wir den Ruf weitergeben.«

»Aber so viele werden in die ewige Ausblendung stürzen. Leben, die niemals die Chance auf Bewährung hatten, werden verloren gehen. Es ist eine schmerzhafte Verschwendung von Ressourcen und Leben.«

»Ich weiß.« Yolloc kreuzte die Hände vor dem Gesicht. »Aber du weißt besser als ich, wie die Waagschale steht. Die wohlgefüllten Sextadim-Banner dieser Kleingewerke können einen, vielleicht sogar den entscheidenden Vorteil darstellen. So bedenklich die Art der Gewinnung sein mag – darf ich das einfach aus der Hand geben?«

Verssidai legte die Hände um die des Caradocc und zog sie auf Brusthöhe herunter.

»So spricht dein Verstand«, sagte es. »Und was sagt dein Herz?«

»Es pocht beim Gedanken an diese Kampagne gleichzeitig unter Schmerz und unter Erregung«, antwortete Yolloc. »Und du? Was sagt dir das Banner?«

Das Orakel schloss erneut die Augen. Sein Geist berührte das Banner, flutete durch alle seine Ebenen und nahm die Gedanken und Gefühle darin auf. Es spürte Bedauern und Mitleid für die vielen Verschwendeten, und den Wunsch, zu retten, was zu retten war. Gleichzeitig wuchs der Hunger in ihm. Es spürte die Lust darauf, sich zu mehren, zu wachsen, neue schwer lösliche Essenzen aufzunehmen, bis die Sättigung erreicht sein würde. Noch war Raum ... und solange Raum da war, würde er nach Füllung rufen.

»Es ist keine Hilfe«, sagte Verssidai. »Es ist ebenso zerrissen wie du.«

Yolloc löste seine Hände aus denen des Orakels. »Das habe ich befürchtet. Das Banner und ich – wir wissen beide, dass das, was diese Tiuphoren tun, nur eine andere mögliche Auslegung unserer Lebensart ist. Und es ist eine, die Teile in uns anspricht, die nicht so leicht beherrscht werden können. Ich bewundere diese Krieger, sogar wenn ihre Taten mich entsetzen.«

»Was wirst du also tun?«

Auf eine Handbewegung des Caradoccs erloschen die Projektionen der Sterneninseln und das Trennfeld um sie herum. Die wechselnden Ebenen der Zentrale wurden sichtbar. Ein Kommunikationsmodul der Plasmatronik schwebte heran.

»Startet die Sextadim-Pioniere!«, befahl Paddkavu Yolloc. »Sie sollen eine Sextadim-Halbspurtrasse nach Phariske-Erigon legen.«

Verssidai verschränkte die Hände. »Du willst ihnen also den Ruf bringen?«

»Noch nicht. Aber ganz gleich, wann ich mich dafür entscheide – früher oder später müssen wir dorthin vorstoßen.«

Rahmen II

Zwischen den Einsätzen

 

Farye Sepheroa stieg als Letzte aus der Express-Röhrenkabine, die sie von den Hangars im Ringwulst zum Wohnmodul gebracht hatte, und beeilte sich nicht beim Verlassen des Verteilerknotens. Ein paar Besatzungsmitglieder kamen ihr entgegen und betraten die Kabine. Die, die mit ihr ausgestiegen waren, steuerten auf Antigravschächte und Transportbänder zu. Ihre Unterhaltungen verhallten in den Gängen.

Farye war allein, und sie fand es gut so.

Sie war müde vom Einsatz und konnte auf die Gesellschaft Fremder gut verzichten. Allein schlenderte sie weiter, lauschte auf den Klang ihrer Schritte und versuchte zu erraten, welcher selbstreinigende und selbstheilende Baustoff wohl im Wohnmodul der RAS TSCHUBAI verwendet worden war. War er – wie die meisten Materialien an Bord – beschussverdichtet worden, um Gewicht zu sparen? Jedenfalls war er leicht aufgeraut, um Schall zu dämpfen und guten Griff zu bieten, gleichzeitig aber elastisch genug, um das Gehen angenehm zu machen.

Ihr Blick glitt an den Wänden entlang.

Die Trägerstrukturen aus Ynkonit hier und da sichtbar, immer ästhetische Kontrapunkte zur Form und Führung des Ganges. Dazwischen verdichtete Synthoplast-Schichtmaterialien, die trotz niedrigsten Gewichts und hauchdünner Strukturen alle notwendigen Eigenschaften zur Abschirmung in sich vereinen – Schall- und Temperaturisolation, Beständigkeit gegen mechanische und thermische Einwirkung ... funktional und zugleich durch die nur scheinbar zufällige Strukturierung der Oberflächen, die Farbnuancen und das Spiel von Licht und Schatten ästhetisch. Das ist, was Architektur ausmacht ...

Farye schüttelte den Kopf. Wann hatte sie das letzte Mal an ihren Vater gedacht? Es musste eine Ewigkeit her sein. Sie hatte eine Zeit lang versucht, die Begeisterung für Formen und Materialien nachzuvollziehen, die ihn zu einem gefeierten Architekten gemacht hatte. Aber die Materie konnte sie nie einfangen. Das blieb anderen vererbten Neigungen vorbehalten.

Eigentlich hatte Farye ihr Quartier aufsuchen und nach einer Dusche und etwas Erholung eines der Restaurants in Ogygia aufsuchen wollen. Aber als sie stehen blieb und erkannte, vor welche Tür ihr Weg sie geführt hatte, entschied sie sich spontan um. Sie legte ihre Hand auf die Anmeldefläche.

Die Chancen waren nicht sonderlich groß gewesen, aber die Fläche leuchtete tatsächlich gelb auf. Der Bewohner war also anwesend, wach und bereit, Besuch zu empfangen. Im nächsten Augenblick wechselte die Farbe zu Grün. Die Positronik hatte ihre Identität weitergegeben, und eine Einladung war erteilt worden. Die Tür glitt auf.

»Guten Abend, Farye Sepheroa«, grüßte die Quartierpositronik sie. »Du wirst im Arbeitszimmer erwartet.«

»Ich kenne den Weg.« Arbeitszimmer. So typisch. Das ganze Raumschiff war sein Arbeitsplatz, und trotzdem richtete er sich sogar in seinem Wohnquartier einen eigenen Raum dafür her.

Als sie eintrat, zeigte die Multimediawand die letzte Phase eines prächtigen Sonnenuntergangs über Terrania, wie man ihn vielleicht von der Solaren Residenz aus beobachten konnte, seit sie wieder über Terras Hauptstadt schwebte. Erste Sterne waren bereits zu erahnen und zogen sich in einer Holoprojektion über die Decke hinweg fort. Man bekam den Eindruck, der Raum schwebte samt der kargen Einrichtung und der Personen darin unter freiem Himmel in der Luft.

Offensichtlich stammte die Vorlage der Projektion aus friedlicheren Tagen, als das Solsystem nicht dauerhaft vom Kristallschirm umhüllt gewesen war. Der Schirm brachte Schutz, schloss aber gleichzeitig das Sternengefunkel aus, das nun über ihnen entstand.

Farye machte eine Handbewegung zum künstlichen Himmel. »Werden sie jemals aufhören, dich zu faszinieren?«

Er sah von dem Holo in seiner Hand auf, folgte ihrem Blick mit grauen Augen und lächelte. Ein Windhauch, der aus der simulierten Öffnung kam, zauste sein dunkelblondes Haar und brachte den Duft von Nachtblüten aus dem Residenzpark mit sich. »Ich glaube nicht. Und warum auch? Wo sonst gibt es schließlich so viel Neues und Faszinierendes zu entdecken?«

»Ich entdecke immer wieder reichlich Neues und Faszinierendes an mir selbst – vor allem seit mein Großvater mich in seinen Dunstkreis gezogen hat.« Sie setzte sich ihm gegenüber.

Sein Mund verzog sich, als habe er in etwas Saures gebissen. »Hatten wir uns nicht auf ›Perry‹ geeinigt?«

»Also gut, wie du willst. Guten Abend, Großpapa Perry.«

 

*

 

»Guten Abend, Farye. Wie war der Einsatz?«

»Gut. Die Evakuierung des Solsystems verläuft weiterhin ruhig. Ich konnte den ganzen Weg zur Wega und zurück ungestört meiner Leidenschaft nachgehen und nach Herzenslust pilotieren. Keine Tiuphoren oder sonstigen Störenfriede. Die Flüchtlinge sind gut angekommen und wie alle vorher herzlich willkommen geheißen worden.«

Sie verschränkte die Arme auf dem Schreibtisch und blickte auf das Holo in seiner Hand. Sie wusste genau, in welchen Situationen er es von seinem Platz an der Wand nahm, wo es normalerweise direkt neben einem Holo von ihr selbst hing. »Worüber grübelst du?«

Er stellte das Holo ab. Es zeigte sechs seiner Kinder – den dunkelblonden Thomas, der so sehr wie ein jugendlicher Perry Rhodan aussah, daneben Kantiran mit einer widerspenstigen dunklen Strähne in der Stirn, die hübsche Suzan, die nur ein feines Lächeln zeigte, ihren Bruder Michael, dessen Lachen man sein Ungestüm ansah, die verträumte Eirene und den fast schon hageren Delorian, der als Einziger ernst dreinsah.

Die dreidimensionale Abbildung zeigte alle als Jugendliche auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Sie saßen gemeinsam auf einer Bank, als würden sie wie echte Geschwister miteinander flachsen und das Leben genießen. In Wirklichkeit trennten sie mehrere Jahrhunderte, und ihre Schicksale passten nicht unbedingt zu dem ungezwungenen Bild. Aber zumindest hatte Perry Rhodan an ihren Leben teilhaben können, war ihnen begegnet.

Es hatte mindestens ein weiteres Kind gegeben, das er nie gesehen hatte: Faryes Großmutter war allerdings möglicherweise nicht die Einzige gewesen, die ihr Kind nicht im Schatten eines so prominenten Vaters hatte aufwachsen lassen wollen. Schaute man sich an, was aus den sechs bekanntesten Kindern Rhodans geworden war, konnte man verstehen, warum eine werdende Mutter Bedenken bekommen konnte.

Rhodan lehnte sich zurück und starrte auf die aufblühenden Lichter Terranias hinunter. »Die Dinge spitzen sich zu. Selbst wenn die Evakuierung dank Otenio Portellas Organisation zügig vorangeht – es gibt viele, die nicht gehen wollen. Wenn die Einstellung dieser Leute sich nicht bald ändert oder Cai Cheung die Evakuierung zwingend anordnet, wird es zur Katastrophe kommen, falls die Perforationszone tatsächlich auf das Solsystem trifft.«

Farye dachte an die Berichte über die Ereignisse bei Janskys Stern und den Untergang von Nova Ceres. »Glaubst du nicht, dass die MOCKINGBIRD notfalls retten wird, was zu retten ist?«

»Vielleicht. Aber darauf will ich mich nicht verlassen. Der Julian Tifflor, dem Aichatou Zakara an Bord dieses Raumschiffes begegnet ist, hat womöglich nicht mehr viel mit dem Mann zu tun, den ich gekannt habe. Er ist ein Atopischer Richter geworden, Teil einer Organisation, die mich vor vier Jahren präventiv zu 500 Jahren Exil verurteilt hat.«

»Nicht zuletzt aufgrund seiner Aussage. Hältst du ihn für einen Überläufer?«

Rhodan wiegte den Kopf. »Nicht in dem Sinne. Ich denke, er versucht genauso sehr wie wir alle, das Richtige zu tun. Er hat gesagt, was er gesehen hat, nicht mehr und nicht weniger. Und das macht mich nachdenklich. Die Ekpyrosis ... hängt sie mit dem Zeitriss zusammen, der möglicherweise durch unsere Reise in die Vergangenheit erzeugt wurde?

Löst die Perforationszone den Weltenbrand aus, wenn sie auf TAFALLAS Korpus in Sol trifft? Liegen die Ereignisse deshalb unter dem Korpuskalen Dunst verborgen, von dem Julian gesprochen hat? Dann hätten die Atopen recht gehabt, als sie mich bis nach dem Zeitpunkt dieser Wende sicher verwahren wollten.«