Cover

 

 

 

 

 

 

STEAM MASTER

 

 

 

Die Anthologie

 

 

Herausgeberin Anne Amalia Herbst

 

Inhaltsverzeichnis

Steam Master

Impressum

Über das Buch

Aethernanox

Anne Amalia Herbst

Der Falsche Master

Tanja Schierding

Aethernanox (I)

Anne Amalia Herbst

Masken - Steam Master Lokken

Gideon Born

Aethernanox (II)

Anne Amalia Herbst

Höllenpferd

Lily Novak

Aethernanox (III)

Anne Amalia Herbst

Die Privatvorführung

Kaya T. Nova

Aethernanox (IV)

Anne Amalia Herbst

Zug der Lust

Kate Dark

Aethernanox (V)

Bernhelm

Fabian Santner

Aethernanox (VI)

Anne Amalia Herbst

Im Auftrag der Wissenschaft

Anja und Manuel Hansen

Aethernanox (VII)

Anne Amalia Herbst

Gebunden

Ariane Rühr / Gregor Eder

Aethernanox (VIII)

Anne Amalia Herbst

Captain Stirlings wunderbares Mixing Device

Kate S. Peters

Aethernanox (IX)

Anne Amalia Herbst

Fräulein Czarnys denkwürdige Abenteuer auf Schloss Moschna

Jean Luc

Aethernanox (X)

Anne Amalia Herbst

Ihr wahres Ich - Teil 1

Aethernanox (XI)

Anne Amalia Herbst

Ihr wahres Ich - Teil 2

Arndt Waßmann

Aethernanox (XII)

Anne Amalia Herbst

In der Falle

Kathrin Melan

Aethernanox (XIII)

Anne Amalia Herbst

Über die Autoren

Impressum

 

Herausgeberin Anne Amalia Herbst

Steam Master - Die Anthologie

 

ISBN Print: 978-3-946376-15-6

ISBN eBooks:

978-3-946376-16-3 (ePub)

978-3-946376-17-0 (mobi)

 

 

Copyright: 2017, Lysandra Books Verlag

(Inh. Nadine Reuter),

Overbeckstraße 39, 01139 Dresden

www.lysandrabooks.de

 

Beteiligte Autoren: Tanja Schierding, Gideon Born, Lily Novak, Kaya T. Nova, Kate Dark, Fabian Santner, Anja & Manuel Hansen, Ariane Rühr & Gregor Eder, Kate S. Peters, Jean Luc, Arndt Waßmann, Kathrin Melan, Anne A. Herbst

 

Coverfoto/Fotos Innenteil: © 2016 Robert Kainz, Bondage Seilbändigerin, Wien

Model: Sabrina Staffler (Cover)

Coverdesign: Grit Richter, Art Skript Phantastik Design

Lektorat/Layout/Satz: Lysandra Books Verlag

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Lysandra Books Verlags ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung - auch auszugsweise - durch Film, Funk, Fernsehen, elektronische Medien und sonstige öffentliche Zugänglichmachung.

 

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Über das Buch

 

Das Buch, das Sie in den Händen halten, ist ein Experiment: Im Rahmen einer Ausschreibung haben wir zwölf erotische Steampunk-Geschichten gesucht, die alle jeweils einen dominanten Master charakterisieren sollen und um 1897 in einem – damals von mir nur grob umrissenen – Steampunk-Universum rund um den illustren Herrenzirkel der Steam Master spielen. Mir als Herausgeberin kam nach der Auswahl der Autoren die Aufgabe zu, eine Geschichte zu schreiben, die in der Person Lord Archibald Cundringhams als deren Anführer einen roten Faden um die zwölf Master webt, damit ein Zirkel mit gemeinsamen Interessen und einem Ziel entstehen konnte.

Das Ergebnis ist eine etwas andere Anthologie: Obwohl jede Geschichte für sich stehen kann, so verbindet sie doch mehr als nur ein Thema. Nach vielen Stunden Weltenbau und Improvisation ist ein komplexer Plot entstanden, der sich durch das gesamte Buch zieht. Weder Autoren noch Lektorin haben sich gescheut, die Herausforderung anzunehmen, die ich ihnen damit gestellt habe – stattdessen haben sie wieder und wieder am Text gefeilt, damit sich die Geschichten noch besser miteinander verknüpfen.

Abgerundet wird die Print-Ausgabe der Anthologie auch im Innenteil durch stimmungsvolle Fotos von Fotograf Robert Kainz und der Seilbändigerin Michaela Kainz, Bondagekünstlerin aus Wien, die uns freundlicherweise Motive aus zwei Steampunk-Bondage-Shootings zum Abdruck überlassen haben - etwas, das wir Ihnen leider in der eBook-Version nicht bieten können. Aber vielleicht ein Anreiz, bei Gefallen der Geschichten aus der elektronischen Version auch einmal die Hardcover-Ausgabe in die Hand zu nehmen und sich verzaubern zu lassen.

Und, so Sie uns gewogen bleiben, liebe Leserin, lieber Leser, wird die Welt um Lord Cundringham eine Fortsetzung in mehreren Einzelromanen erfahren, die jeweils einem der Master gewidmet sein werden. Bleiben Sie informiert – über die Homepage des Verlags, den quartalsweisen Newsletter oder auf Facebook.

 

Viel Freude mit Ihrer Lektüre wünscht Ihnen nun

die Herausgeberin Anne Amalia Herbst!

 

Aethernanox

Anne Amalia Herbst

 

London, 1897

 

Boinkbum

Irritiert hob Lord Archibald Cundringham den Kopf und lauschte in die Stille der nächtlichen Empfangshalle. Als das dumpfe Geräusch nicht noch einmal erklang, vertiefte er sich stirnrunzelnd wieder in seine Arbeit. Schließlich musste sein Hotel für besondere Sinnesfreuden in fünf Tagen die Pforten öffnen – ganz London sprach seit Tagen von nichts anderem als der bevorstehenden Premiere im "Aethernanox". Die Master waren geladen. Die Gästeliste quoll über. Und er konnte sich weiteren Verzug nicht leisten.

Seit Monaten gab es nur das eine Projekt, die eine Vision in seinen Gedanken – Aethernanox. Auf dem Gelände des ehemaligen Luftschiffhafens Cataplus an der Peripherie der englischen Metropole waren seitdem die Bauarbeiten in vollem Gange. Manchmal hatte er sich dem Tumult auf der Oberfläche und in den tiefer gelegenen Stockwerken entzogen, den Fesselballon aufsteigen lassen und über der Szenerie thronend am neuen Antrieb für das altehrwürdige Wahrzeichen des Areals gebastelt. Doch was von seiner erhöhten Position aus der verglasten Gondel aussah wie das emsige Wimmeln eines Ameisenhaufens, war nun einmal seine Pflicht und sein Lebensinhalt. Und die Pflicht rief, unablässig und ohne Gnade. Also blieb er nie allzu lange da oben.

Zumindest heute Nacht hatte er ausnahmslos alle Angestellten und Arbeiter des Hotels in den Feierabend geschickt. Auch wenn sie sich gesträubt hatten, ihn allein auf der Baustelle zurückzulassen. Er schätzte die Loyalität derer, die ihre Zahlschecks von ihm bekamen, doch brauchten diese emsigen Seelen eben doch von Zeit zu Zeit ihren Schlaf. Und verschlissen würden ihm seine Bediensteten nicht das Geringste nutzen.

Cundringham setzte einen dampfbetriebenen Schraubenschlüssel der Marke PID an, um letzte Einstellungen an einer Hängevorrichtung vorzunehmen, deren metallene Ketten mit einem großen Lederflecken ergänzt werden sollten, um eine bequeme Liegefläche zu bieten. Wenn denn die Lieferung von Kipling & Sons morgen eintraf.

Die SteaSwing, eine von drei Neuentwicklungen, die er auf jeden Fall noch rechtzeitig vor der Eröffnung beenden wollte, würde das Herzstück des Empfangsbereichs bilden. Leider war der Prototyp jenes echographischen Präzisionswerkzeuges, das er für die Justierung der Dampfdrucksensoren an den Ketten der Schaukel benötigte, bereits zum zweiten Mal ausgefallen. Da würde Lord Pidcock, Inhaber von PID, einer der renommiertesten Werkzeugfabriken des British Empire und wie er Mitglied des Geheimzirkels der Steam Master, noch Arbeit investieren müssen, ehe das Produkt Serienreife erlangte.

Cundringham verankerte eine der Ketten im Boden, um vorsichtshalber einen manuellen Feststellmechanismus als Bremse zu improvisieren. Schließlich sollte niemand selbst bei unsachgemäßer Benutzung der Vorrichtung zu Schaden kommen können. Die Sicherheit der Aethersklaven, die einen großen Teil der devoten Besucherinnen und Besucher seines Etablissements ausmachen würden, stand immer an erster Stelle. Also würde er testen müssen, ob das Gerät auch ohne das PIDsche Spezialwerkzeug einzustellen ginge.

Sein Werkstattleiter Byrnes würde alles Notwendige mit PID arrangieren, wenn er bei Dienstbeginn die Überreste des Prototypen in seinem Arbeitskabinett vorfand. Die Ersatzteilbestellung müsste am nächsten Morgen umgehend über den Aether telegrafiert werden, um Pidcock noch zu erreichen. Denn dieser alte Geizhals von Großindustriellem lehnte es kategorisch ab, mit einem modernen Transportmittel wie Eisenbahn oder Zeppelin zu reisen, sondern bevorzugte noch immer die schlecht gefederte Familienkutsche. Bei seiner Reisegeschwindigkeit würde Pidcock einige Zeit früher aufbrechen müssen, um rechtzeitig zur Premiere in London zu sein.

 

Der Falsche Master

Tanja Schierding

 

Diese Werkstatt war sein Reich. Hier lag stets ein harziger Geruch in der Luft, von der Arbeit mit dem Lötkolben. Dazu mischte sich mal die süßliche Note des frisch geschliffenen Palisanderholzes, mal der säuerliche Duft der Eiche. Es war diese besondere Duftmischung, die dem Werk seiner schaffenden Hände entsprang.

Direkt über ihm tickte eines seiner frühen Werke. Das Räderwerk der Wanduhr arbeitete unermüdlich, und der Sekundenzeiger wanderte mit einem klangvollen ‘Tack’ über das hölzerne Ziffernblatt. Keiner der Zeiger schnarrte, kein Rädchen quietschte. Präzise griffen alle Teile ineinander. Es war diese Perfektion, die ihn an die Uhrmacherei fesselte. Noch vor einigen Jahren hätte er sich keinen anderen Beruf vorstellen können. Aber das Schicksal hatte ihn zunächst in die Werkzeugmanufaktur PID und von dort in dieses Kellergewölbe des Lords geführt. Seine Künste und Fähigkeiten im Umgang mit allerlei Mechanik erfuhren hier eine vollkommen neue Art der Wertschätzung. Diese drückte sich nicht nur in fast zwanzig Pfund im Monat aus, sondern auch im augenzwinkernden Lächeln der Ladies des Hauses.

 

Unverkennbar hallten die Stiefelabsätze des Lords auf der steinernen Treppe. Nicht wirklich erfreut über die Unterbrechung seiner Arbeit, machte Corben den Lötkolben aus und schob seine Schutzbrille hoch auf die Stirn.

"Mister Flint!" Mit einem breiten Lächeln kam der Lord auf Corben zu. In der rechten Hand hielt er eine Reitgerte, die keinerlei Zweifel daran ließ, womit der Herr des Hauses zuvor beschäftigt gewesen war.

"Lord Pidcock. Sie beehren mich mit Ihrem Besuch. Was kann ich für Sie tun?" Corben wischte sich die Hände an seiner Kleidung ab.

"Immer fleißig, der gute Mister Flint. Das freut mich. Nun, ich wollte mich persönlich davon überzeugen, dass Sie Ihren Teil meiner Reisevorbereitungen erfüllt haben. Außerdem gäbe es da in der Strafarena ein technisches Problem, dass Ihrer Aufwartung bedarf. Wie sieht es aus, ist meine Bestellung fertig?" Suchend sah sich der Lord um.

"Selbstverständlich", entgegnete Corben.

"Gut, gut. Wo also sind die guten Stücke?"

"Hier, Sir." Hastig zog Corben die tiefe Schublade seiner Werkbank auf, holte den Inhalt heraus und breitete die handgefertigten Keuschheitsgürtel auf dem Tisch aus. Die Hüftgurte waren aus stabilem Rindsleder gefertigt, das er auf der Innenseite mit Schaffell gepolstert hatte. Der Schritt war mit einer anatomisch geformten Kupferplatte verstärkt. Die kleine längliche Öffnung, die zur Erleichterung bei unaufschiebbaren Bedürfnissen diente, war sorgfältig ausgestanzt und genietet. Die Anweisung des Lords, dass diese unvermeidbare Öffnung weniger als einen Zeigefinger breit sein sollte, hatte Corben exakt eingehalten. Zusätzlich konnte bei Bedarf hinten eine Klappe geöffnet werden, um die Notdurft zu verrichten. Abweichend von den üblichen Modellen hatten sie jedoch ihren Verschluss hinten, so dass sich keine der Damen an ihrem Schloss zu schaffen machen konnte.

Aus einer anderen Schublade holte er einen Schlüssel und legte ihn neben die Gürtel.

"Ich dachte mir, dass es vielleicht etwas umständlich wäre, mit einem ganzen Bund an Schlüsseln zu hantieren und jedes Mal erst den passenden heraussuchen zu müssen. Daher lassen sich alle Schlösser mit nur einem Schlüssel öffnen."

Der Lord zog die Augenbrauen hoch, nahm den Schlüssel und hielt ihn fragend in die Höhe. "In der Tat nur dieser eine?"

Corben nickte. "Nur dieser eine. Es existiert kein Zweitschlüssel. Sollte dieser verloren gehen, werden wir die Mädchen wohl oder übel herausschneiden müssen." Inständig hoffte er, dass die Lüge ihm nicht ins Gesicht geschrieben stand. Natürlich hatte er einen Zweitschlüssel gefertigt. Schließlich hatte er keineswegs vor, während der dreiwöchigen Reise seines Arbeitgebers auf die Wonnen zu verzichten, die ihm die liebliche Lydia gelegentlich bereitete. Schnell verdrängte er den Gedanken an die heimliche Liaison wieder, ehe ihm noch eine unangemessene Röte ins Gesicht stieg.

"Nun, dann werde ich diesen Schlüssel wie einen Schatz hüten auf meiner Reise. Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet, Mister Flint. Es ist beruhigend zu wissen, dass meine Ladies in meiner Abwesenheit brav und enthaltsam sein werden."

‘Alle bis auf eine’, dachte Corben und fixierte seinen Lötkolben, damit der Lord das verräterische Leuchten in seinen Augen nicht bemerkte.

Lord Pidcock lächelte zufrieden. "Ich freue mich schon jetzt auf meine Rückkehr", fügte er süffisant hinzu.

"Sie erwähnten, es gäbe ein Problem in der Strafarena?"

"Ahja, das hätte ich jetzt fast vergessen. Das hot horse funktioniert nicht mehr."

"Verstehe. Das werden wir sicherlich gleich behoben haben." Nickend bestückte Corben seinen Werkzeuggürtel mit den dafür nötigen Utensilien.

"Das will ich doch sehr hoffen. Die arme Cecil harrt nun schon seit einer Weile ungeduldig ihrer Strafe." Kalt lächelnd ließ Pidcock das kleine Lederläppchen am Ende der Gerte auf die Innenseite seiner Handfläche klatschen.

 

Die Strafarena war ein großzügiger Raum im Parterre des Anwesens. Die Decke war herausgebrochen worden, so dass sich die Zimmerhöhe über zwei Stockwerke erstreckte. In Höhe des ersten Stockes umrahmte eine Galerie die Arena. Von dort sahen manchmal die Ladies oder andere Gäste einer Bestrafung zu. Die Fenster hingegen waren zugemauert, nur der Schein dutzender Öllampen erhellte flackernd den Raum und verlieh ihm so eine schaurige Atmosphäre.

Von der hohen Decke hingen Ketten von Flaschenzügen herab, die ihr Ende in breiten ledernen Fesseln fanden.

Das hot horse stand in der Mitte und bildete die Hauptattraktion dieses Raumes. Aufgrund der aus praktischen Gründen geringeren Größe glich es eher einem hölzernen Pony als wirklich einem Ross. Es war von einem Schreiner aus weichem Balsaholz kunstvoll gefertigt und mit dunklem Öl veredelt worden. Corben hatte eine maßgeschneiderte Decke hergestellt, die von Kupferdrähten durchwirkt war. Angeschlossen an den eingebauten Heizer erwärmten sich die Drähte und brachten die auf dem hot horse bäuchlings angeschnallten Ladies innerhalb weniger Minuten gehörig ins Schwitzen. Corben hatte jedoch im letzten Winter von Lydia erfahren, dass manche diese Bestrafung durchaus zu provozieren suchten, um der klammen Kälte hin und wieder zu entkommen. Dafür nahmen sie sogar die Pein des Phallus in Kauf, der vom Rücken des Holzpferdes aufragte und sich beim Aufsitzen tief ins Lustzentrum bohrte.

"Was genau funktioniert nicht mehr?", fragte Corben und öffnete die Wartungsklappe an der hinteren Flanke. Er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es ihn in Verlegenheit brachte, dass Cecil nur mit Halsband und Unterbrustkorsett bekleidet aufrecht, aber mit devot gesenktem Blick neben dem hot horse kniete. Ihre prallen Brüste, vom Korsett angehoben, streckte sie noch zusätzlich nach vorne. Ihm entgingen nicht die rosa schimmernden Striemen, welche die Gerte des Lords dort hinterlassen hatte.

"Es tut gar nichts mehr. Es lahmt in jeder Hinsicht", erklärte Pidcock.

"Nun, dann schaue ich mal." Wenn die komplette Technik versagte, konnte es nur an der Verbindung zwischen der Dampfmaschine und der Mechanik liegen. Jedes Mal, wenn er die Klappe öffnete und sein Werk betrachtete, erfüllte Stolz seine Brust. Er war kein studierter Ingenieur, aber als Uhrmacher auf den Bau filigraner Mechanik spezialisiert, und so hatte er vermutlich eine der kleinsten funktionstüchtigen Dampfmaschinen der Welt gebaut. Vor allem der knapp bemessene Zylinderraum und das angrenzende Räderwerk, das komplett in den Unterbau des Pferdes passte, waren Meisterwerke. Tatsächlich konnte er das Problem schnell und leicht beheben. Eines der Laufräder hatte sich etwas gelockert und war verkantet. Er zog es wieder fest, verteilte noch ein paar Tropfen Öl im Getriebe und schloss die Flanke wieder.

"Das Pferdchen ist wieder funktionstüchtig", erklärte er.

"Wunderbar. Cecil, hörst Du? Es ist Zeit für Deinen heißen Ausritt. Aufsitzen!", befahl Lord Pidcock und klopfte dabei ungeduldig mit der Gerte gegen seinen Stiefel.

"Ja, Master", hauchte sie zurück.

 

Unschlüssig blieb Corben im Raum stehen und sah zu, wie Cecil grazil auf die Füße kam und leichtfüßig, ohne den Blick zu heben, an das hot horse herantrat. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, umklammerte sie mit beiden Händen den sattelknaufähnlichen Griff am Hals des Pferdes, trat mit einem Fuß in den Steigbügel und schwang das andere Bein über den Phallus hinweg. Corben sah, wie ihre Brust bebte und ihre Unterlippe verhalten zitterte, während sie sich langsam herabsinken ließ und das künstliche Glied in sie eindrang. Als sie fest ‘im Sattel’ saß, befestigte Pidcock die Gerte an seinem Gürtel, um beide Hände frei zu haben. Mit andächtigen Bewegungen griff er ihre Hände und führte sie um den Hals des Holzpferdes. Sie stöhnte auf, als er ihre Handgelenke in den Schlaufen fixierte. Anschließend verschloss er die Fesseln an den Füßen. Einzig seine Gnade würde sie nun von der Tortur erlösen können.

Die Vorstellung, dass sich das Ungetüm, von Dampf angetrieben, gleich unter der Frau in Bewegung setzen und sie in kürzester Zeit dazu bringen würde, schweißüberströmt vor Lust zu stöhnen und zu schreien, sorgte auch bei Corben für eine Hitzewallung. Höflich deutete er eine Verneigung an, und der Lord nickte ihm zu. Bevor die Gerte das erste Mal auf nackte Haut traf, war Corben bereits draußen und hatte die Tür hinter sich geschlossen.

 

Er ging gerade an der breiten Treppe vorbei, als sich Lydias Zimmertür im ersten Stock öffnete und sie ihn zu sich heranwinkte. Unschlüssig verharrte er am Fuß der Treppe.

"Corben!", rief Lydia eindringlich, sich vorsichtig umsehend.

Corben warf noch einen zweifelnden Blick auf die Tür zur Arena, dann eilte er die Stufen hinauf und ließ sich von Lydia in ihr Zimmer ziehen.

Er zog sie an sich, kaum dass die Tür ins Schloss fiel. "Du Verrückte! Deinetwegen werden wir noch auffliegen!"

Sie erwiderte seinen Kuss und rückte dann von ihm ab. "Ich muss mit Dir reden."

"Reden?", echote Corben. Wenn Frauen ‘reden’ wollten, verhieß das meist nichts Gutes, jedenfalls senkte es die Wahrscheinlichkeit auf sinnliche Wonnen erheblich.

Lydia lächelte ihn an. Dann griff sie in ihr Dekolleté und holte einen leicht zerknitterten Umschlag heraus. Während sie eine Karte aus dem Umschlag holte, las Corben, dass er an Lord Pidcock adressiert war.

"Lydia! Was tust Du da? Das darfst Du nicht", empörte er sich und riss entsetzt die Augen auf, als sie ihm, vollkommen ungerührt von seinem Protest, die aufgeklappte Karte vor die Nase hielt.

"Eine Einladung zur Eröffnung des Aethernanox?" Verwundert sah er Lydia an.

"Du hast davon gehört?", fragte sie.

"Wer nicht? Aber ich verstehe nicht …"

"Du wirst mit mir dort hingehen." Sie sah ihn an, wie man ein begriffsstutziges Kind ansah.

Corben schüttele den Kopf. "Die Einladung ist für Lord Pidcock. Deinen Master, wenn Du Dich erinnerst. Du weißt schon, der Mann, dem dieses Anwesen hier gehört, der unsere Löhne zahlt. Der Mann mit der Reitgerte … Klingelt da etwas bei Dir?" Er sah sie fragend an.

"Jetzt schau doch mal auf das Datum." Ungeduldig hielt sie ihm die Einladung noch dichter vor das Gesicht. "Siehst Du? Die Feier ist schon am Mittwoch. Der Master reist morgen nach Übersee ab. Er hatte nie vor, an der Eröffnung teilzunehmen. Verstehst Du nicht? Corben, ich will da hin!"

Da war er, der unwiderstehliche Augenaufschlag. Die leicht vorgeschobene Unterlippe. Mit sich ringend nahm er die Einladung in seine Hand. Natürlich verstand er, dass diese Eröffnung in ihren Augen das wohl größte Ereignis des Jahrzehnts war. Aber was sie plante, war schlicht falsch. Falsch, verrückt und vor allem gefährlich. Beim Blick in ihre Augen wurde ihm aber tief in seinem Inneren bereits klar, dass er alles für sie tun würde. Noch aber warf sein Verstand alle Einwände in den Ring, die er aufbieten konnte.

"Wie stellst Du Dir das nur vor? Erstens sehe ich nicht aus wie Lord Pidcock, wir werden also schon am Einlass als Betrüger entlarvt werden. Und wie sollen wir zwei eine Abreise erklären? Außerdem wird Pidcock sicherlich offiziell abgesagt haben." Mit jedem Satz wurde ihm bewusster, wie unmöglich Lydias Vorhaben war.

Lydia schaute schuldbewusst zu Boden. "Der Lord legt leider keinerlei Wert auf solche Anlässe. Er meidet gesellschaftliche Verpflichtungen und die Zusammenkünfte der Master schon, seitdem er das Erbe seines Vaters übernommen hat. Ich fand die Einladung zufällig im Müll. Als ich den Absender las, war meine Neugier so groß, dass ich den Umschlag einsteckte. Ich habe die Antwort geschrieben. Lord Pidcock und ich stehen auf der Gästeliste."

"Du hast das also schon länger geplant? Warum sagst du es mir erst heute?" Fassungslos starrte er Lydia an.

"Ich habe es nicht gewagt. Die Furcht, Du könntest nein sagen, hielt mich immer wieder davon ab."

Lydia löste sich von ihm und ging zu ihrer Garderobe. Als sie sich zu ihm herumdrehte, hielt sie einen klassischen Smoking in den Händen. "Du siehst unserem Lord zwar nicht ähnlich, aber wenigstens die Größe passt."

"Die anderen Ladies … wie soll ich das erklären?", warf er ein.

Sie grinste verschmitzt, als sie fortfuhr: "Mach Dir keine Sorgen. Offiziell nimmst Du an einem Kongress für Konstrukteure teil." Sie sah ihn voller Erwartung an.

Wider Willen musste Corben lächeln. "So etwas gibt es doch gar nicht."

Sie verdrehte die Augen. "Aber das wissen nur wir. Der Lord ist nicht da. Die anderen Mätressen haben doch von solchen Dingen sowieso keine Ahnung. Vertrau mir. Mein Plan ist gut durchdacht."

"Du durchtriebener Engel." Er nahm ihr den Smoking aus den Händen und legte ihn vorsichtig auf einem Stuhl ab, zog sie an sich und küsste sie. "Wenn es Dich glücklich macht, dann tue ich es, auch wenn ich dafür vielleicht im Kerker ende." Fordernd packten seine kräftigen Hände ihr Gesäß. Lydia. Süße, eigenwillige, schwer nach Moschus duftende Lydia. Er wollte mehr von ihr riechen, mehr spüren. Langsam raffte er ihre Röcke hoch, presste sich an sie, umfasste ihre Taille, bereit, sich sofort die Belohnung für seinen Wagemut abzuholen.

Doch sie sperrte sich. "Nicht jetzt. Der Lord hat für heute nach mir verlangt. Sobald er mit Cecil fertig ist, wünscht er mich in Montur und brav auf dem Bett kniend hier vorzufinden. Ich muss mich vorbereiten", versuchte sie halbherzig, ihn abzuwimmeln.

Doch er vermochte nicht, schon von ihr zu lassen. Seine Begierde war entfacht. "Das hot horse hatte eine Fehlfunktion. Die Sitzung mit Cecil hat eben gerade erst begonnen. Dein Master wird also noch eine Weile beschäftigt sein. Meinst Du nicht, dass ich mir eine Belohnung verdient habe? Immerhin riskiere ich einiges für Deinen irren Plan!"

Sie nickte lächelnd. "Gut", hauchte sie und zog ihn hinüber zum Frisiertisch, wo sie sich in seinen Armen herumdrehte, sich aufstützte und ihn mit einem lustvollen Blick im Spiegel ansah.

Voll begieriger Eile, von ihrer Lust angestachelt, drückte Corben sie bäuchlings gegen die Tischkante. Mit schnellen Griffen schob er ihre Röcke hoch und ließ seine Hosen zu den Kniekehlen hinab. Seine Finger gruben sich in das weiche Hüftfleisch.

Mit bezaubernder Selbstverständlichkeit beugte sie sich leicht nach vorne, bis ihr Gesicht fast den Spiegel berührte. Einladend reckte sie ihren prallen Po in die Luft.

Er schloss kurz die Augen, saugte den Moment und das verbotene Glück in sich auf, ehe er endlich in Lydia eindrang, die seinen Vorstoß und den festen Griff seiner Hände mit einem wohligen Grunzen quittierte. Sich selbst dazu zwingend, langsam zu atmen, suchte er den taktgebenden Rhythmus, den er bei seinem Handwerk so bewunderte. Er ließ die Präzision eines Uhrwerkes zu seiner eigenen werden.

Lydias erst verhaltenes, dann lauter werdendes Stöhnen machte ihn auf unerklärliche Weise selig. Nie hätte er erwartet, nicht einmal in seinen kühnsten Träumen erhofft, ausgerechnet hier diesen Engel zu finden. Wenngleich Lydia ein dunkler Engel war, anders als jede Frau, mit der er zuvor das Bett geteilt hatte. Geduldig zeigte sie ihm nach und nach diese unbekannte und ihm zunächst abartig erscheinende Lustwelt. Natürlich hatte er sein halbes Leben lang den sündhaften Gerüchten gelauscht, die in jedem Pub in einem Umkreis von fünfzig Meilen über dieses Anwesen kursierten. Das er selbst inzwischen zu einem Teil dieser Gerüchte geworden war, sozusagen zu einem kleinem Rädchen in den Geschichten, war etwas, was ihm noch immer unwirklich vorkam.

Ein unwirsches Knurren aus Lydias Kehle und das fordernde Zucken ihrer Arschbacken brachten seine Gedanken wieder zum Moment zurück. Oh, er wusste, wonach sie verlangte - was sie brauchte. Wie immer zögerte er. Tief in ihm regte sich Widerstand dagegen. Er wollte ihr nicht wehtun. Es doch zu tun, kostete ihn jedes Mal Überwindung. Den Rhythmus brechend, hob er die rechte Hand, hielt die Luft an und ließ sie dann mit gespreizten Fingern auf ihren Arsch klatschen. Ihr unterdrücktes, doch lustvolles Aufkeuchen, die Art, wie sie den Kopf in den Nacken riss und sich ihm entgegendrückte, machte ihn wahnsinnig. Sie machte ihn wahnsinnig. Sie trieb ihn dazu, Dinge zu tun, von denen er geschworen hätte, dazu nicht imstande zu sein. Wie sehr liebte er es, wenn sie durch ihn alles vergaß und die höchsten Gipfel der Lust erklomm. Und genau dorthin würde er sie treiben. Erneut hob er die Hand.

"Ja, Master, fester" stöhnte sie atemlos.

Corben verharrte. Diese Bezeichnung gebührte nicht ihm. Nicht er war ihr Master. Daran erinnert zu werden, dass sein geliebter Engel eigentlich dem Lord gehörte, stach in Corbens Herz. Von dort breitete sich eine Welle der Wut in ihm aus. Härter als beabsichtigt schlug seine Hand erneut auf ihrer Arschbacke auf. Als Lydia alles andere als Unmut darüber zeigte, sondern noch brunftiger stöhnte, ging es mit ihm durch. Von ihrer Leidenschaft mitgerissen krallten sich die Finger seiner linken Hand tief in ihr Fleisch, mit rechts packte er ihren Haarschopf, zog daran und zwang sie ins Hohlkreuz. Stakkatoartig ließ er seine Lenden auf ihr Gesäß krachen. Jeden Rhythmus, jede Präzision über Bord werfend, ließ er sich einfach gehen. Nur wenige gekeuchte Atemzüge später prophezeiten seine zuckenden Muskeln das Ende des Vergnügens. Mit hochrotem Kopf und schwer atmend versuchte er, es hinauszuzögern. Er wollte noch nicht von ihr lassen, wollte so lange wie möglich in ihr bleiben, ihre feuchte Hitze spüren. Für einen kurzen Moment gelang es ihm, das drohende Bersten seines Kolbens in Schach zu halten. Doch Lydias wonniges Stöhnen überrumpelte seine Beherrschung. Er spürte noch, wie sich seine Muskeln versteiften, dann entlud sich der Druck seiner Lenden.

Nach Luft ringend sackte er auf sie. Fast sofort verspürte er protestierend ihren rechten Ellenbogen in seiner Seite. Schnell drückte er sich hoch. Sie folgte seiner Bewegung, und er zog flink ihre Röcke wieder hinunter.

Sie drehte sich zu ihm herum. Statt eines zufriedenen Lächelns las er einen leichten Vorwurf in ihren Augen. Corben seufzte. Wieder einmal hatte er ihre gute Erziehung vergessen. Sie war nicht zum Höhepunkt gekommen. Nicht, weil seine Leistung unzureichend gewesen wäre - so hoffte er zumindest - sondern weil er es ihr nicht erlaubt hatte.

Eine der ersten Lektionen, die die Mädchen des Lords zu lernen hatten, bestand darin, sich selbst zu beherrschen und nur mit Erlaubnis oder auf Wunsch des Masters zu kommen. Ihre Lust gehörte ausschließlich ihm.

Oft hatte Lydia versucht, es Corben zu erklären. Jedes Mal erwiderte er, dass sie sich für ihn nicht zurückhalten brauchte, aber das machte sie nur wütend. Er gab sich Mühe, dieses Spiel und seine verworrenen Regeln zu erlernen, aber manches fiel ihm schwer. Das Einzige, das ihn motivierte, sich mehr und mehr darauf einzulassen, war ihr Enthusiasmus in diesen Dingen. Ihre mitreißende Lust, die davon erweckt wurde. Zu sehen, wie er durch diese ‘Spielchen’ ihre Augen zum Leuchten und ihr Herz zum Rasen bringen konnte, war ihm Grund genug, immer wieder über seinen Schatten zu springen und eben jene Dinge mit ihr zu tun, die seiner anerzogenen Moral in jeder Hinsicht widersprachen.

Hastig half er ihr, das Kleiderwerk wieder zu ordnen, und brachte auch seine eigene Garderobe wieder in einen unverdächtigen Zustand. Ihren unausgesprochenen Vorwurf ignorierend, gab er ihr einen Kuss auf die Wange und warf sich den Smoking über den Arm. In der Tür drehte er sich nochmal zu Lydia herum. Ein süffisantes Grinsen stahl sich in sein Gesicht. "Ach, Engelchen, wenn der Lord sich nachher Deiner widmet, wirst Du furchtbar ungezogen sein und einen Orgasmus bekommen. Denk dabei an mich!"

Sein Grinsen wurde eine Spur breiter, als er ihren erschrockenen Gesichtsausdruck sah. Aber sie beide wussten, dass ihr Entsetzen nur gespielt war. Zufrieden zog er die Tür hinter sich zu. Er hatte ihr mehr als nur einen Orgasmus verschafft. Dieser Ungehorsam würde ihr außerdem eine ordentliche Bestrafung aus der Hand des Masters einbringen. Sie würde also eine Nacht ganz nach ihren Wünschen bekommen, ohne dass er gezwungen war, ihr weh zu tun. Diese Art von Spielchen lag ihm mehr, als selbst den Ledergürtel zu schwingen, obwohl der Knall von Leder auf Haut durchaus unerwartete Regungen bei ihm verursachte. Vielleicht war Lydia auch bei Weitem nicht so enttäuscht, wie sie gewirkt hatte. Bekam sie auf diese Weise nicht genau das, wonach ihre Seele verlangte?

Ganz vage dämmerte Corben, dass sie ihn manipuliert hatte. Aber sei’s drum … Wenn sie glücklich war, war er es auch. Er hatte längst akzeptiert, dass Lydia eine Frau war, die das bekam, was sie wollte.

 

Die nächsten sechzehn Stunden verbrachte Corben hauptsächlich damit, dem Lord aus dem Weg zu gehen. Er wusste, dass er kein guter Lügner war. In der Nacht versuchte er vergebens, etwas Schlaf zu finden. Je später die Stunden, desto irrwitziger erschien Lydias Vorhaben. Er konnte sich doch nicht wirklich als Lord Pidcock ausgeben und sich so Zutritt zu dieser Gesellschaft erschleichen? Er war kein Lord. Er würde als Hochstapler auffliegen. Immer schlimmere Szenarien spielten sich in seiner Phantasie ab. Wer wusste, zu was dieser Menschenschlag im Aethernanox so alles in der Lage war? Er würde dort vielleicht nicht lebend wieder herauskommen, zum Opfer ihrer sadistischen Teufeleien erkoren.

Es waren quälende Stunden bis zum Sonnenaufgang. Mit den ersten Strahlen des neuen Tages verschwand jedoch nicht nur die Dunkelheit der Nacht, sondern auch die in seinen Gedanken. Eine leichte Zuversicht ergriff von ihm Besitz, begründet auf das Vertrauen in Lydia. Sie würde schon alles richten. Es war ihr Plan, und er brauchte nur mitzuspielen.

Am frühen Vormittag beobachtete Corben erleichtert aus einem Fenster heraus, wie die Kutsche des Lords beladen wurde und anschließend das Anwesen verließ. Der Lord begab sich auf seine Reise. Corben würde ganz nach dem Willen Lydias in dessen Rolle schlüpfen können. Hastig packte er das Nötigste zusammen, dabei kopfschüttelnd feststellend, dass er außer dem Smoking kein Kleidungsstück besaß, das auch nur annähernd standesgemäß wäre. Auch sein Koffer wirkte zu alt und gebraucht. Wieder zweifelte er.

In der Vorhalle stieß er auf Betsy, die ihn auf ihre direkte Art aufhielt.

"Mister Flint, ich hörte, auch Sie verlassen uns für ein paar Tage?"

Er räusperte sich. "Ja. Das hat sich ganz kurzfristig ergeben. Ein Kongress für Konstrukteure. Ich wurde gebeten, dort einen Vortrag zu halten." Corben wunderte sich über sich selbst. Anscheinend steckte doch ein besserer Schwindler in ihm, als er gedacht hätte. Aber sein Selbstbewusstsein kam sofort wieder ins Wanken, als Betsy genau die eine Frage stellte, die er fürchtete.

"Wieso muss Lydia Sie dorthin begleiten?" Neugier, gepaart mit einer Portion Argwohn, schimmerte in ihren Augen.

"Äh …" Corben spürte, wie sein Hals enger wurde und sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Das Unternehmen drohte schon vor der Haustür zu scheitern.

Im richtigen Moment war jedoch Lydia zur Stelle. "Lord Pidcock persönlich wies mich an, unserem Mister Flint als Demonstrationsobjekt dienlich zu sein. Glaube mir, werte Betsy, ich bin nicht sonderlich erpicht auf eine stundenlange Fahrt in der alten Kutsche. Aber wer von uns wagt es schon, sich dem Master zu widersetzen?"

Zu seinem Erstaunen gab sich Betsy in der Tat damit zufrieden. Er konnte es kaum fassen, aber nur Stunden nach der Abreise des Lords saß er selbst in einer Kutsche. Auf dem Weg zu einem Kongress. So glaubten es die anderen Ladies. Nur Lydia und er kannten die Wahrheit und warfen sich verstohlene Blicke zu. Etwas in Lydias Ausdruck irritierte ihn jedoch. Nahm er da ein wütendes Funkeln wahr?

"Stimmt etwas nicht, mein Engel?", fragte Corben nach einer Weile .

"Das weißt Du ganz genau!" Ihre Stimme klang schneidend, und sie rutschte gereizt auf ihrem Sitz hin und her.

Es dauerte einige Sekunden, ehe er begriff. Stumm lächelnd griff er in seine Manteltasche. Seine Finger umfassten den Schlüssel. Als er die Hand aus der Tasche zog, war sie leer. Grinsend lehnte er sich im Sitz zurück. Sollte sie ruhig noch eine Weile zappeln. Das würde die Fahrt um einiges interessanter machen und ihn von den möglichen Konsequenzen dieser törichten Dummheit ablenken.

 

Aethernanox (I)

Anne Amalia Herbst

 

Pffffzzzschtttkkkrrrr.

Das schrammende Geräusch tat Cundringham in den Ohren weh. Als würde etwas Metallisches über eine glatte Oberfläche schleifen und keinen Halt finden. Die feinen Härchen an seinen bloßen Unterarmen richteten sich empört auf. Er legte den Dampfschrauber beiseite, wischte sich die Hände sauber und richtete sich zu seiner vollen Größe von stattlichen sechs Fuß und zwei Inches auf. Nicht schon wieder eine ungebetene Unterbrechung! Konnte er denn nicht einmal einige Stunden durcharbeiten, ohne dass etwas kaputt ging oder ihn störte? Verärgert richtete er seine schwarze Weste mit den feinen Nadelstreifen und zog an der Uhrenkette. Die Taschenuhr schmiegte sich sogleich in seine Hand, doch um das in Spiralform aufgerollte Ziffernblatt erkennen zu können, musste er sich seiner Staubbrille samt Lupe aus blauem Glas entledigen. In seiner Eile hängte er sie kurzerhand an die Bremse der Schaukel. Schon kurz nach Mitternacht! "Bei den Kammern des Nautilus ...", entfuhr ihm einer seiner Lieblingsflüche, für den er in der Öffentlichkeit meist unverständige Blicke erntete.

Pffffzzzschtttkkkrrrrzschiingk.

Die Empfangshalle lag wie ausgestorben vor ihm, nur von einem sanft pulsierenden Rot illuminiert. Der Schein entsprang den im Hotel allgegenwärtigen Rubinglasröhren, die wie Ranken aus dem Steinfußboden emporwuchsen und die zahllosen Deckenpfeiler umarmten, bis sie sich hoch oben in zwei Gewölbedecken verloren. Dank Spannweiten von je einhundert Yards ließ sich die hintere Kuppel der Halle bei dieser Beleuchtung schon nicht mehr ausmachen. Doch von da oben kam das Geräusch. Irgendetwas zerkratzte die metallene Außenhülle der Kuppel über ihm! Und schien dabei an Fahrt zuzunehmen und sich mehrfach polternd zu überschlagen!

Er hastete an Marmortresen und plüschigen Sitzgruppen vorbei in Richtung der Aufzüge. Ohne innezuhalten sprang er über das noch nicht zum Betreten freigegebene Bodenmosaik aus antiken Glasscherben, das das Motto des Hotels wiedergab: SSCF. Safe, sane, consensual, fun. Sicher, vernünftig und einvernehmlich Spaß zu haben, dafür standen das Etablissement und seine Wenigkeit für die unwissende Welt außerhalb dieser Mauern. Cundringham folgte einigen Mosaikeinlagen aus Glas, die Licht speicherten und als Wegweiser fungierten, um in Zukunft jeden Gast zielsicher an seinen Bestimmungsort im unterirdischen Palast der Begierden zu leiten.

Denn abgesehen von diesem Hangar, der inzwischen eher einem der Palmenhäuser glich, für welche die viktorianische Elite Lieferfristen von mehreren Jahren akzeptierte, spielte sich das Leben im Aethernanox in der Tiefe ab. Wenn man von einigen Außenanlagen des Cataplus aus Zeiten der Nutzung als Zeppelinflottenbasis Ihrer Majestät, der Königin von England, einmal absah, die er selbstverständlich als neuer Eigentümer mit übernommen hatte. Das ebenerdige Palmenhaus beherbergte nun den Empfang, den Küchentrakt, mannigfaltige Essens- und Zerstreuungsmöglichkeiten sowie einen Ballsaal. Natürlich mit einigen versteckten Gemeinheiten, die die Aethersklaven beiderlei Geschlechts noch rechtzeitig entdecken würden.

Cundringham ließ die mit schwarzem Leder ausgeschlagenen Fahrgastkabinen, die in den Bauch seines Etablissements führten, links liegen, schaffte es in Rekordzeit am Springbrunnen vorbei und wurde wenige Schritte danach von üppiger Flora verschluckt. Das Klima um ihn herum änderte sich, und die Luft kühlte seine Wangen, je tiefer er in den lebenden Wald der Kalthauszone vordrang. Er sprintete verschlungene Pfade entlang, so schnell es die notdürftige Beleuchtung zuließ. Er hatte keine Zeit, die Pracht der haushohen Bäume, Sträucher und seltenen Pflanzen um ihn herum zu bewundern oder in einer der versteckten Nischen auszuspannen, die seine Gärtner so kunstvoll erschaffen hatten. Eine seinem Alter von achtunddreißig Jahren angemessen kurze Atempause gönnte er sich bei der Statue, die für einen oberflächlichen Betrachter aussah wie ein steinernes Schneckenhaus. Nur um in die plötzliche Stille zu lauschen. Außer seinem eigenen schnell gehenden Atem hörte er nichts. Es fehlte das kreischende Geräusch.

Mit dem nächsten Pumpen seiner Lungen begann er sich zu entspannen. Nur um dann mit ungläubig aufgerissenen Augen nach oben zu starren.

Pffffzzzschtttkkkrrrrzschiingk! ... Boink - gefolgt von dem unverkennbaren Geräusch splitternden Glases, das noch für einen Sekundenbruchteil standhält, ehe es unter einer übergroßen Last nachgibt und bricht.

Beim Ammon! Bäume nahmen Cundringham die Sicht. Doch das Geräusch konnte nur von der Glasverbindung zwischen den beiden Kuppeln herrühren, die ohne Schutzhülle auskommen musste, da von dort die Frischluftzufuhr für die Nacht gesteuert wurde. Das Kreischen von Metall, das Splittern von Holz und das Klirren herabregnender Glasteile auf dem Steinboden ein paar Dutzend Yards vor ihm verschluckten beinahe den dumpfen Aufprall des Geschosses. Etwas war durch das Glasdach gebrochen, fast zwanzig Yards tief gestürzt und wahrscheinlich mitten zwischen die Tische des Salons gekracht.

Nicht etwas, sondern jemand, erkannte Cundringham mit Bestürzung, als er die letzten Yards aus dem kleinen Wald joggte und den Krater im Salonmobiliar begutachtete, der sich am Rande der Freifläche für die Buffet-Präsentationen auftat. Dort lag Lord Newton, Schatzmeister des Geheimzirkels, oder zumindest, was von ihm noch übrig war, und starrte ihn aus gebrochenen Augen an. Um den Toten herum breitete sich in erstaunlicher Geschwindigkeit eine enorme Blutlache aus, die im rötlichen Schein des Rubinglases fast schwarz aussah und in den Travertin sickerte.

Doch Cundringham sorgte sich in diesem Moment weniger um den teuren Fußboden, sondern um die Reaktion des Hotels auf diesen Todesfall. Was in Ammons Namen hatte Newton auf dem Dach zu schaffen gehabt, wissend, dass die metallenen Schutzschilde für die Nacht geschlossen waren und die Dachbegrünung noch fehlte? Niemand, der recht bei Troste war, würde auf der glatten Metallhaut versuchen, mit Stelzen Halt zu finden. Die Überreste von Newtons letzter Erfindung, umgebaute vollhydraulische Stelzen, die fest mit den Beinen verbunden wurden, und mit denen er seine zwergenhafte Körpergröße erfolgreich an die Vorlieben seiner Gemahlin und Aethersklavin Ingrid für aufrechten Beischlaf angepasst hatte, stachen wie zersplitterte Knochen in die Luft.

Cundringham erinnerte sich an das Kreischen, das ihn aufgeschreckt hatte. Hatte Newton versucht, die Rutschpartie zu bremsen und seinen Fall aufzuhalten? Vergebens, denn am Rande der Kuppel war er ohne Haltemöglichkeit mehrere Yards in die Tiefe gestürzt, musste die Frischluftröhren touchiert haben und war dann durchs Glasdach gebrochen. Hatte der Schatzmeister etwa versucht, Ingrid da oben in luftiger Höhe zu beschlafen und dann einen Herzanfall erlitten? Jeder im Zirkel wusste um Newtons schwaches Herz. War diese Schweinerei vor ihm ein schrecklicher Unfall oder noch schlimmer, etwa ein Akt von Selbsttötung? Er hatte dem Master nie nahe genug gestanden, um viel über dessen Leben und Beziehungen zu wissen. Der Mann war bereits Mitglied im Zirkel gewesen, als Cundringham den Vorsitz vor gut zehn Jahren von seinem Vater übernommen hatte, und als Master alter Schule in seinen Augen ähnlich suspekt wie Master Pidcock.

Cundringham verfluchte die Kälte in ihm. Nachdem der erste Schreckmoment vorüber war, kämpfte er gegen die Abgeklärtheit in seinem Inneren. Er wollte lediglich zurück zu seiner Erfindung, die bis zum Morgen fertiggestellt sein musste. Konzentriert versuchte er sich zu erinnern, was genau er stattdessen in dieser Situation fühlen sollte, um seinen Körper zu einer Reaktion zu bewegen. Es dauerte einige kostbare Atemzüge, ehe es ihm wieder einfiel. Das Hotel. Ein toter Master. Der Ammon. Ingrid. Stimmte die Reihenfolge? Schwerlich.

Ein Teil von ihm betete, dass Newton bereits vor dem Sturz durchs Glasdach tot gewesen war. Doch sein Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen. Noch während Cundringham sich seinen Weg durch das Restaurant bahnte, um über den nächstgelegenen Deckenpfeiler zu einer der Revisionsklappen in der Kuppel zu gelangen, sah er es. Das Pulsieren der Rubinglasröhren um den Einschlagort herum nahm zu, ihr Inhalt färbte sich dunkler, satter. Die Energie der letzten Minuten Newtons hatte tief unten in der Erde den mächtigen Ammoniten erreicht, Londons gut gehütete Energiequelle und im Grunde das Herz der Metropole. Einer der dreizehn Master war aus dem Leben geschieden und das mühsam ausbalancierte Machtgefüge bekam einen Riss. Der Schock über den Verlust eines geschworenen Mitgliedes des Zirkels würde sich auch auf kleinere Ammoniten im Hinterland ausweiten. Noch eine weitere Instabilität im Gefüge. Diese könnte durchaus die Kraft haben, den Aether im Großraum London empfindlich zu stören.

Trotzdem entledigte sich das Oberhaupt der Steam Master in Windeseile seiner Oberbekleidung und erklomm halbnackt die ersten Sprossen einer in den Pfeiler eingebauten Leiter. Er musste zuerst sichergehen, dass Ingrid nicht noch irgendwo da oben in Gefahr war, dann würde er sich um den Ammoniten kümmern. Cundringham spürte förmlich, wie tief unten in der Erde Energie extrahiert und ins System eingespeist wurde. Der Effekt würde mit etwas Glück verpuffen, denn die bloße Sekunde des Todes war nicht nahrhaft für einen Ammoniten.

Mit etwas Pech kam es jedoch zu einer der gefürchteten Rückkopplungen im System. Es gab Überlieferungen aus der Zeit, als man die Ammoniten noch mit hochnahrhaften Energien aus Folter und Gewaltverbrechen am Leben erhielt. Man hatte ihnen zu jener Zeit auch den einen oder anderen Selbstmörder dargebracht, mit besagter Nebenwirkung einer ungewollten Rückkopplung. Keiner der Eingeweihten wusste genau, warum die Verdauung der urzeitlichen Tiefenkraftwerke allergisch auf Selbsttötungen reagierte und man weder Friedhöfe noch Krankenhäuser direkt über ihrem Kern errichten sollte.

Cundringham brach der Schweiß aus. Konzentriert kämpfte er sich nach oben. Die Reihenfolge seiner Prioritäten stimmte, da war er sicher. Er klammerte sich an das Bedürfnis zu helfen. Je höher er kletterte, desto mühsamer wurde die nächste Sprosse auf der senkrechten Leiter. Seine Oberarmmuskeln schmerzten, die Sehnen traten hervor. Und er war erst knapp über der Hälfte. Unter ihm sah er die Baumwipfel des Kalthauswaldes und den Küchentrakt. Er versuchte, das pulsierende Rot in den Röhren zu ignorieren und nur nicht in Berührung mit dem Rubinglas zu kommen. Stur kletterte er weiter. Doch das Blut sang in seinen Ohren, er spürte die aufkeimende Panik, zu langsam zu sein und nicht zur rechten Zeit zu kommen. Gleichzeitig war er nicht gewappnet für etwaige Katastrophen aus der Tiefe. Doch das Leben einer Aethersklavin war zu wertvoll, ihr Verlust zu schwer zu kompensieren, um ihr nicht den Vorzug auf der Palette seiner Probleme zu geben.

Arch!, hörte er den Ruf von Londons uraltem Ammoniten im Geiste. Sofort zuckte er vom Glas weg. Aus Versehen hatte er Kontakt hergestellt, als er eben mit einer Hand den Schweiß aus seinen Augen reiben wollte. Und rutschte ab. Einhändig klammerte er sich fast vierzig Yards über dem Boden an eine Pfeilersprosse. Um nicht abzustürzen, musste er wohl oder übel die Beine um die nächstgelegene Schlinge Rubinglas verschränken, die den Deckenpfeiler wie eine Liane auf seinem Weg nach oben begleitete.

Ich kann nicht gegen meine Natur an. Doch du versprichst Rettung. Keine Zeit darf verschwendet werden!

Cundringham spürte das gewohnte Ziehen in der Brust und im Schädel, als sich die Essenz in den Röhren mit seinem Körper verband. Verflucht sei seine Gabe! Er stieß sich von der Ranke ab und schnellte nach oben, unterbrach den Kontakt zum Glas. Er durfte nicht zulassen, dass das Feuer in ihm erkaltete. Auch wenn es seinen Körper in Stress badete, den er nicht vertrug. Er musste zuerst aufs Dach und dann die heranrollende Panik unter Kontrolle bekommen. Cundringham war nicht nach Experimenten zumute. Wer wusste schon, was der Ammon diesmal aus ihm herausfilterte? Er schaffte die letzten Yards in Rekordzeit und hievte sich schnaufend auf die Revisionsplattform. Von hier aus musste er noch die kurze Distanz bis zum Scheitelpunkt der Kuppel überwinden und dies in fast vollkommener Dunkelheit. Zumindest war er so weit oben vor den Röhren sicher. Dort endlich angekommen, ertastete er die manuelle Notöffnung und das Kabel mit Karabiner, das ihm ein notdürftiges Anseilen ermöglichte. Warum Newton nicht angeseilt gewesen war, war unerklärlich. Wie er hinaufgelangen konnte, ohne dass Cundringham unten in der Empfangshalle sein Kommen registriert hatte, war ein weiteres Rätsel. Solche Abenteuer sahen dem Zwerg nicht ähnlich.

Der Master schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war er wieder an jenen Ort abgetaucht gewesen, an den es ihn nun häufiger zog, seit der Ammonit immer hungriger wurde, und an dem ihn niemand und nichts erreichte. Unter ihm pulsierte das Rot der Röhren. Wie er es hasste! Und wie er es liebte! Das Blut sang immer aufdringlicher in seinen Ohren. Mit zittrigen Händen öffnete er zuerst die Glaskuppel und kurbelte dann am Mechanismus der Metallhaut. Ungeduldig lauschte er, wie Zahnräder ineinander griffen und dann endlich mit einem Knirschen die Außenhaut nachgab, um auf einer Fläche, so groß wie sie ein stämmiger Mann zum Hinausklettern brauchte, den Sternenhimmel zu offenbaren.

Cundringham atmete tief durch und schob sich nach draußen. Das Herz hämmerte schmerzhaft in seiner Brust. Er erwartete Ingrid halbbekleidet und voller Verzweiflung an den Blitzabspuler gefesselt vorzufinden. Ja, wünschte es sich sogar herbei. Dann könnten die Master sie in ihrem Verlust auffangen und den Schmerz lindern, auch wenn für diese Dummheit sicher eine Bestrafung fällig würde, nach angemessener Zeit der Trauer. Doch die massive Spule hinter ihm war leer. Keine blonde hochgewachsene Aethersklavin. Andere Möglichkeiten, auf der gewölbten Kuppel zu stehen, gab es nicht. Er hatte das Konzept gründlich durchdacht, als er die beweglichen Schilde in Auftrag gegeben hatte. Wahlweise sollten sie und die fahrbare Dachbegrünung dafür sorgen, dass zu jeder Tag- und Nachtzeit optimales Klima im Inneren des Palmenhauses herrschte, um die sensible Vegetation zu schützen. Und um das Aethernanox zu tarnen.

"Ingrid!" Cundringhams Ruf hallte weit, doch blieb unbeantwortet. Fieberhaft kalkulierte er. Jetzt die Außenhaut vollständig aufzufahren, würde zu viel Zeit kosten. Hinunterzusteigen und von außen zu suchen ebenfalls. Er musste zur Absturzstelle. Seufzend entledigte sich der Master seiner Fußbekleidung und warf sie zurück ins Innere. Sein Butler würde schäumen, wenn er die Kleidungsstücke von überall her zusammenklauben musste, aber das war nicht zu ändern. Mit bloßen Füßen hatte er besseren Halt als mit den klobigen Sohlen seiner Lederstiefel, und mit etwas Glück fokussierte ihn die Kälte, so dass er vom zunehmenden Aufruhr in seinem Inneren abgelenkt war.

Ein kurzer Blick der Orientierung. In seinem Rücken lag das schlafende London, Teile der Silhouette milchig weiß erleuchtet, als schaue man durch dicken Nebel. Und das in einer sternenklaren Nacht, doch der Dampf hing wie eine Glocke über der Stadt. Vor ihm in einiger Entfernung die zweite Kuppel, drum herum Finsternis, das ehemalige Startfeld des Luftschiffhafens.