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Nr. 2878

 

Aufbruch nach Orpleyd

 

Rettungsmission für Perry Rhodan – ein Mausbiber und zwei Jugendliche auf der Suche

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Terra, Pulau Komba, 31. Dezember 1519 NGZ

2. Terra, Pulau Komba, 31. Dezember 1519 NGZ

3. Terra, Pulau Komba, 31. Dezember 1519 NGZ

4. RAS TSCHUBAI, 1. Januar 1520 NGZ

5. RAS TSCHUBAI, 5. Januar 1520 NGZ

6. RAS TSCHUBAI, 6. Januar 1520 NGZ

7. RAS TSCHUBAI, 24. Januar 1522 NGZ

8. RAS TSCHUBAI, 3. August 1522 NGZ

9. RAS TSCHUBAI, 12. August 1522 NGZ

10. HARVEY, 12. August 1522 NGZ

11. HARVEY, 12. August 1522 NGZ

12. Unbekanntes Raumschiff, 12. August 1522 NGZ

Leseprobe Trivid – Christian Montillon und Oliver Fröhlich

Vorwort

Trivid 0 – Prolog

Gespannt darauf, wie es weitergeht?

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Januar 1519 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) verändert sich die Situation in der heimatlichen Milchstraße grundlegend: Die Herrschaft des Atopischen Tribunals, das aus der Zukunft agiert, wird abgeschüttelt. Gleichzeitig endet der Kriegszug der Tiuphoren, die aus der Vergangenheit aufgetaucht sind.

Viele Folgen dieser Ereignisse werden sich erst in Jahren und Jahrhunderten abzeichnen. Wie es aussieht, werden die Milchstraße und die umliegenden Sterneninseln künftig frei sein, was den Einfluss von Superintelligenzen und anderen kosmischen Mächten angeht.

Allerdings kosteten die Erfolge einen hohen Preis: Perry Rhodan musste sterben.

Sein körperloses Bewusstsein ging in ein sogenanntes Sextadim-Banner ein. In dieser Form verlässt er mit den Tiuphoren die Menschheitsgalaxis – er tritt die Reise in die ferne Sterneninsel Orpleyd an.

In der Milchstraße sind derweil Rhodans Freunde nicht bereit, seinen Tod einfach als gegeben hinzunehmen. Insbesondere der Mausbiber Gucky fühlt sich seinem alten Freund verpflichtet und ruft auf zum AUFBRUCH NACH ORPLEYD ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Mausbiber ruft zur Rettung auf.

Farye Sepheroa – Rhodans Enkelin erhält Gelegenheit, ihre Fähigkeiten als Pilotin zu beweisen.

Lua Virtanen – Die junge Frau hilft einem Mädchen.

Vogel Ziellos – Der Singuläre muss in seine Rolle hineinwachsen.

1.

Terra, Pulau Komba,

31. Dezember 1519 NGZ

 

Der junge Mann schaute die steilen Klippen empor, die sich stark bewaldet direkt aus dem Meer erhoben und einen spitzen Kegel formten. Dessen Gipfel bildete ein Vulkan, Batu Tara. In ihm war vor einiger Zeit ein bedeutender Politiker dieser Galaxis bestattet worden, doch der einsame Mann am Strand hatte ihn nie gekannt, und sein Name bedeutete ihm nichts.

Aber er hatte einiges über diesen Staatsmann herausgefunden. Seine Lehrer waren in dieser Hinsicht sehr gründlich. Udomucze Foelbezt hatte er geheißen, oder so ähnlich. Es waren zu viele Namen auf ihn eingeprasselt. Er konnte sich nicht alle merken, und dieser klang recht kompliziert.

Er drückte sich mit den Armen hoch, ging in die Hocke und schnellte wie eine Feder empor.

Das hieß, er wollte hochschnellen. Aber er hatte sich überschätzt, war zu lange von ihr getrennt. Müdigkeit, Erschöpfung und Konzentrationsschwächen waren die Folge. Weshalb auch immer, das rechte Bein knickte unter ihm weg, und er geriet ins Trudeln. Er stolperte, konnte sich mit knapper Not aufrecht halten, und seine nackten Füße landeten auf dem Sand des schmalen Strands.

Er schrie fluchend auf, als der Schmerz die Fußsohlen zu entflammen drohte, hüpfte von einem Fuß auf den anderen und sprang wieder auf das Handtuch, auf dem er gelegen hatte.

Ich lerne es wohl nie, dachte er.

Er schlüpfte in die Schuhe, die auf dem großen Badetuch lagen, einfache Slipper aus Stoff, bückte sich, rollte das Tuch zusammen und klemmte es unter die linke Achselhöhle. Dieses Emporschnellen ... wenn er bei ihr war, machte es ihm nichts aus, war es Alltag, eine der leichtesten Übungen. Doch nachdem er seit fast drei Tagen allein war ...

Dann trieb es ihn an den Rand seiner Kräfte. Ihm war schwindlig, der Atem ging rasend, und das Herz pochte wie verrückt.

Er stapfte los, den schmalen Sandstrand entlang, aber ganz langsam. Die Bewegungen fielen ihm schwer. Er war müde, so furchtbar müde. Erschöpft, ausgezehrt. Kraftlos.

Er hätte es besser wissen müssen. Warum hatte er dem Professor diesen neuerlichen Versuch nicht ausgeredet?

Weil du einen Augenblick der Ruhe gebraucht hast, beantwortete er die Frage. Der Abgeschiedenheit. Außerdem ... Er lächelte schwach. Wenn man stets so eng aufeinanderhockte, wie es bei ihnen der Fall war, brauchte man manchmal eine kurze Pause. Danach nahm man die Beziehung wieder intensiver wahr.

Er atmete tief ein, schaute sich um. Seine Kraft kehrte nicht zurück, jedenfalls nicht genug davon. Wie sollte sie auch?

Es war feucht und warm, fast schon heiß für sein Empfinden. Er wusste nicht, ob das den natürlichen Jahreszeiten oder der Wetterkontrolle geschuldet war. Die Sonne schien strahlend von einem hellblauen, wolkenlosen Himmel. Von der beginnenden Monsunperiode war nichts zu spüren. Ein herrlicher Tag. Abgesehen davon, dass er nicht bei ihr war, sogar ein fast perfekter Tag.

Widersprüchliche Gefühle? Bei einer Beziehung war vieles widersprüchlich.

Trotzdem beobachteten und überwachten sie ihn. Da war er sicher, und das war gut so. Er konnte zwar niemanden sehen, aber sie waren da.

Ein letzten Endes beruhigendes Gefühl.

Jedenfalls besser als die ersten Experimente. Er erinnerte sich genau daran, wie sie es einmal bis zum Äußersten getrieben hatten. Er hatte geglaubt, sterben zu müssen.

Er hatte ein schreckliches Gefühl der Gefahr gehabt, der Bedrückung. Seine Müdigkeit war immer stärker geworden. Er hatte gewusst, dass der Tod sich näherte, schleichend, auf leisen Sohlen, aber unaufhaltsam. Die Uhr tickte, die Stunden flossen ohne Unterlass dahin.

Stunden? Ach was! Schließlich waren es nur Minuten gewesen.

Minuten, wenn nicht bloß Sekunden.

Nein, das nicht. Darauf hätten sie es nicht ankommen lassen.

Trotzdem hatte er nicht mehr geglaubt, dass er es schaffen würde. Dann waren die Roboter gekommen, hatten ihn aus der Todesnot gerettet.

Selbstverständlich hatte er bei diesem Experiment unter genauer Beobachtung gestanden. Ohne Zweifel war er nie wirklich in Todesgefahr gewesen. Man hatte seine Körperfunktionen genau überwacht. Mit diesem Versuch sollten die Grenzen der Trennungszeit ausgetestet werden. Der Roboter hatte ihn sofort weggebracht, zu ihr, wo er sich rasch wieder erholt hatte und zu Kräften gekommen war.

Er fragte sich, welchen Sinn dieses Experiment gehabt hatte.

Die Frist war bekannt.

Zweiundsechzig Stunden.

Vielleicht kam es ihnen darauf an, genau herauszufinden, wann welche Beeinträchtigungen einsetzten. Wann stellten sich die ersten Konzentrationsschwierigkeiten ein? Wann wurde er müde, unmerklich zuerst, doch dann immer stärker, immer schneller? Setzte vor dem Tod vielleicht bereits ein körperlicher Verfall ein? Das waren einige der Fragen, auf die sie Antworten finden mussten.

Und er auch.

 

*

 

Er trottete den Strand entlang, schaute aufs Meer hinaus. Es war ganz seltsam gefärbt, in einem hellen Grünblau, zumindest in Ufernähe. Es herrschte kaum Seegang. Nur ein paar schwache Wellen brachen sich. Sie bildeten als Gischt nur dünnen, fadenscheinigen Schaum, der sich sofort wieder auflöste.

Zum Meer hinaus wurde die Farbe des Wassers dunkler, bis es kurz vor dem Horizont fast bedrohlich wirkte.

Nicht nur wegen der Färbung. Die endlose Weite des Meeres, die Höhe des Himmels, die Wucht und die Größe des Vulkans ...

Er fragte sich, ob er sich jemals daran gewöhnen würde. Und all diese verwirrenden Begriffe ... Batu Tara, Pulau Komba, Insel, Malaiisches Archipel, Indonesien ... Sie waren so fremd für ihn, weil er nicht mit ihnen groß geworden war. Sie waren und blieben unvertraut.

Eigentlich sollte er sich heimisch fühlen, aber er tat es nicht. Die Insel, das Meer, die Wärme, der blaue Himmel ... er wusste, jeder andere Mensch hätte diese Umgebung als wahre Idylle empfunden, aber er fühlte sich fremd darin. Und die dauerhafte Schwüle störte ihn.

Was sollte er sich beklagen? Er war kein Mensch. Zumindest kein normaler.

Er schaute den Vulkanhang empor. Die Bäume bildeten auf ihm einen Wald, dessen grünes Laub von Tag zu Tag dunkler wurde und der so frisch wirkte, als hätte die Natur ihn gerade erst geschaffen.

Im Malaiischen Archipel bestimmte der Monsun das Klima. Er sorgte für gleichbleibend hohe Temperaturen, die aber innerhalb von 24 Stunden Schwankungen von sechs bis zwölf Grad Celsius unterliegen konnten, wie er am eigenen Leib erfahren hatte. Der Nordostmonsun führte vorwiegend trockene Luft mit sich und löste dadurch eine Trockenzeit aus, den Wintermonsun. Winter herrschte im Juli, es gab keine vom Schiffsrechner gesteuerten Klimaabfolgen.

In dieser niederschlagsarmen Zeit warfen die Bäume ihre Blätter ab und durchliefen eine Art Ruhephase. Die lichten, grünen Monsunwälder mit ihrer ausgeprägten Krautschicht schöpften neue Kraft, bereiteten sich auf den Dezember vor. Dann nahm der Südwestmonsun über dem warmen Meer Feuchtigkeit auf, was über dem Festland zu hohen Niederschlägen führte, die am Tag bis zu 50 Millimeter erreichen konnten und oft Überschwemmungen mit sich brachten.

Auf Pulau Komba sorgte die Wetterkontrolle jedoch dafür, dass Regenfälle sich auf die Nacht beschränkten und die Tage schwül, aber einigermaßen trocken und angenehm blieben.

Aus dem Wald drangen schrille, krächzende Geräusche, dann stob ein Schwarm Vögel auf, kleine, bunte Tiere, die aufgeregt durcheinanderflatterten und höher in den Himmel schwirrten. Etwas hatte sie aufgeschreckt.

Fasziniert wie immer beobachtete der junge Mann sie.

Woher stammte diese Faszination? Entsprang sie dem Neid, weil sie fliegen konnten? Waren es Verwandtschaftsgefühle? War er irritiert, weil sie Karikaturen seiner selbst waren?

Oder war er die Karikatur?

Er schüttelte die Gedanken ab und stapfte weiter. Der Sandstrand endete vor ihm, wurde von schroffen Klippen abgeschlossen, die sich im Lauf der Jahrzehntausende aus einzelnen Schichten von Lava und Lockermassen gebildet hatten.

Vorsichtig stieg er sie empor. Jetzt bereute er, nur leichte Schuhe aus Tuch zu tragen. Hier wären Wanderschuhe mit dicken Sohlen besser gewesen, die seinen Füßen mehr Halt gegeben hätten.

In der Ferne erklang ein dumpfes Grollen. Er hatte es oft gehört, empfand es längst nicht mehr als bedrohlich. Batu Tara war daueraktiv, förderte vor allem basaltische Lava und produzierte mehrmals täglich strombolianische Eruptionen. Gerade schleuderte solch eine Explosion rot glühende Lavaschlacken mehrere Hundert Meter in die Höhe; einige landeten auf dem Vulkanhang und wälzten sich langsam zum Meer hinab. Bald würde das Wasser brodeln und schäumen.

Zusätzlich stieg eine riesige Aschewolke empor, die wohl wieder eine Höhe von mehreren Kilometern erreichen würde.

All das geschah auf der anderen Seite der Insel. Die Eruption stellte keine Gefahr für ihn oder sein neues Zuhause dar, das zudem durch primitive technische Mittel wie Prallschirme geschützt wurde. Zur Abgeschiedenheit hatte es als kostenlose Dreingabe ein atemberaubendes, unablässiges Naturschauspiel gegeben.

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Illustration: Swen Papenbrock

Er schaute auf die Uhr. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Es war an der Zeit, zum Forschungszentrum zurückzukehren. Nicht wegen des Vulkans, den hatten sie im Griff. Sondern wegen der zweiundsechzig Stunden. Eine Stunde, bis er aufbrechen musste, ehe es für ihn lebensgefährlich wurde. Höchstens.

»Nein«, murmelte er leise, fast trotzig.

Bald, aber nicht in diesem Moment.

Er hockte sich auf die Klippen, hörte dem Meeresrauschen zu. Es war für ihn weiterhin seltsam, auf einem Planeten zu leben. Etwas, das den meisten Intelligenzwesen völlig normal vorkommen würde, war es für ihn nicht.

Für ihn war es fremdartig. Unbegreiflich.

Er vermisste die ATLANC. Seine eigentliche Heimat.

Ein wenig verstand er die Tiuphoren, von denen er bislang nur gehört hatte. Sie hatten Schrecken und Verderben über diese Galaxis gebracht, verachteten jede planetare Lebensweise, verabscheuten bereits das Betreten von Planeten.

Er selbst war ebenfalls auf einem Raumschiff geboren worden. Er hatte Dinge gesehen, von denen die meisten nicht einmal geträumt hätten. Die ATLANC – obwohl vernichtet – war sein wahres Leben. Einen normalen Planeten kannte er erst seit seiner Ankunft in der Milchstraße vor einem knappen Jahr.

Nun war er in der Galaxis seiner Vorfahren.

Entwurzelt, war ihm schon längst klar geworden. Verloren.

Nur sie gab ihm Halt. Sie, die all das genauso miterlebt hatte, die er liebte, auf die er angewiesen war ... in ganz wörtlichem Sinn.

Ohne sie würde er sterben.

Nach spätestens 62 Stunden.

Von denen die meisten abgelaufen waren.

Und so sehr er sie liebte, so oft ihm die Kosmopsychologen sagten, dass seine Lebensumstände ihn auszeichneten ... so sehr hasste er das alles manchmal.

Er spürte, wie der Zorn in ihm emporwallte, und bemühte sich, ihn in den Griff zu bekommen. Er musste sich beruhigen.

Er sollte dankbar sein. Dankbar für das neue Leben, das man ihm geschenkt hatte.

Und ihr.

Wieso gerade sie beide? Weil sie in den Fokus eines unbeschreiblich mächtigen Wesens geraten waren, das sich ihrer erbarmt hatte? Oder steckte mehr dahinter? Eine Absicht, ein Plan?

Diese Frage hatte er sich schon oft gestellt.

Sein Freund, der Mausbiber, hatte dem keine große Bedeutung beigemessen. »Die stellt fast jeder junge Mensch in deinem Alter«, hatte er gesagt. »Wenn man so jung ist wie du, denkt man viel über solche Fragen nach. Der Sinn des Lebens, Schicksal oder Zufall, die Bedeutung hinter allem ...«

Fragend hatte er ihn angesehen.

»Antworten findest du keine«, hatte Gucky behauptet. »Oder nur ganz selten furchtbar lapidare. Vielleicht, weil es keine gibt, wenn man in deinem Alter ist.«

Er hörte ein Geräusch, ein leises Surren.

Er schaute nicht auf, blieb starrköpfig sitzen. Das Summen war ihm wohlvertraut.

Irgendwann sah er entgegen seiner Absicht hoch. Der Roboter flog langsam auf ihn zu, ein kleines kugelförmiges Modell. Er funkelte so hell im Licht der Sonne, dass es in den Augen schmerzte. Zahlreiche kleine stachelförmige Aufsätze verliehen ihm das Aussehen eines fliegenden metallenen Igels.

So viel also zum Thema Einsamkeit. Die kleine Maschine schwebte über die Klippen zu ihm. »Wir müssen allmählich zurückkehren«, sagte sie.

Er ließ den Blick über den kleinen Teil der Insel schweifen, den er überschauen konnte. Bis vor Kurzem war Pulau Komba stets unbewohnt gewesen. Früher hatte Komba Island abseits gängiger Schifffahrtswege gelegen und war daher nur schwer zu erreichen gewesen. Die Küstenlinie war so steil, dass das Anlanden mit größeren Schiffen praktisch unmöglich war.

»Ich weiß. Aber wer ist wir? Und warum musst du zurück?« Schicksalsergeben klapperte er mit dem Schnabel, erhob sich und machte sich auf den Rückweg. Er kam ihm nun länger vor als der Hinweg, bedeutend länger.

Die Maschine blieb dicht bei ihm, schwebte neben ihm her.

»Ich brauche keinen Aufpasser«, sagte er.

»Das sieht der Professor anders.«

Der Professor. So nannten sie den Ara, in dessen Hände er sein Schicksal gelegt hatte.

Er erreichte den Antigravschacht, betrat ihn und stieg langsam empor.

Die Aussicht durch die transparente Röhrenhülle war umwerfend.

Der 850 Meter hohe Vulkan war das kleine Eiland, das sich 60 Kilometer vor der Küste der größeren Insel Flores befand. Lediglich winzig wirkende Uferstreifen aus Sand – zumindest erweckten sie aus der Höhe diesen Eindruck – boten Schiffen eine Möglichkeit, an der Vulkaninsel anzulegen. Die dichte Vegetation, der lose Schotter und eine hohe Hangneigung erschwerten eine Landung an der Küste zusätzlich.

Auf der anderen Seite der Insel rutschte soeben wie in Zeitlupe ein Teil der Vulkanflanke ins Meer. Der aktive Krater lag frei, und die Flanke seines Kegels fiel steil Richtung Küste ab. Ausgeschleuderte Lavabrocken rollten über diese Feuerrutsche und landeten zischend im Wasser.

Dann nahm ihm eine Mischung aus Dampf, Nebel und Rauch die Sicht.

Er erreichte das obere Ende des Schachts und trat auf die Plattform hinaus. Der Roboter folgte ihm stoisch, behielt ihn im Bereich seiner Ortungsinstrumente, wie die Programmierung es vorschrieb.

Nach der Feuerbestattung dieses bedeutenden Politikers war ein findiger Geist auf die Idee gekommen, die Umbauten, die eigens für das Staatsbegräbnis angefertigt worden waren, weiterhin zu nutzen. Moderne Gleiter konnten auf ebenen Flächen von wenigen Metern Größe landen oder mithilfe des Antigravs zwanzig Zentimeter über dem Boden schweben. Und für Transmitterverbindungen gab es keine topologischen Hindernisse.

Menschen hatten auf dieser Insel nie etwas verloren gehabt. Wollte man also in Ruhe seinen Forschungen nachgehen, war sie der ideale Ort dafür.

Wie er mittlerweile gelernt hatte, lebten derzeit zwar nur 4,4 Milliarden Menschen auf Terra – also viel weniger als zu den bevölkerungsreichsten Zeiten dieser Welt –, aber einen einsamen Strand fand man auch im 16. Jahrhundert NGZ nicht so leicht. Also hatte man das Forschungszentrum kurzerhand hier errichtet.

Es erhob sich vor ihm, ein schlankes Gebäude aus transparenten Verbundplastikstoffen und Metall, gekennzeichnet durch zahlreiche turmähnliche Auf- und Anbauten, in denen völlig flexibel die Einrichtungen verschiedenster Disziplinen untergebracht werden konnten. Es war abgelegen und bot eine idyllische Umgebung, war aber gleichzeitig problemlos zu erreichen. Zweifellos ein Forschungszentrum für gehobene Ansprüche und zahlungskräftige Kunden.

Er betrat, unbeirrt von dem Stacheligel-Aufpasser verfolgt und beobachtet, die lichtdurchflutete Eingangshalle. Ein menschlicher Pförtner sah zu ihm und grüßte ihn freundlich. An diesem Ort legten die Menschen Wert auf persönliche Beziehungen.

Dann sah er sie.

Sie verließ gerade einen kleinen Antigravschacht, der in einen der Forschungstürme hinaufführte, sah ihn ebenfalls und lächelte. »Da bist du ja. Du wirst schon vermisst, Vogel Ziellos.«

»Ich habe dich ebenfalls vermisst, Lua«, entgegnete er, verzaubert wie immer.

2.

Terra, Pulau Komba,

31. Dezember 1519 NGZ

 

»Es ist eine Freude, dich zu sehen.« Er ging zu Lua Virtanen, umarmte sie und knabberte mit dem Schnabel kurz an ihrem blonden Haar. Das tat er wahnsinnig gerne.

Ja, er liebte sie, und das war keine bloße Floskel im Überschwang der Gefühle. Seine Bemerkung war ernst gemeint. Lua machte ihn vollständig, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Spätestens seit dem, was die beiden in den Jenzeitigen Landen erlebt hatten, waren sie für immer miteinander verbunden.

Mehrere Wochen wohnten sie bereits in diesem Forschungszentrum, durchaus komfortabel und durchaus mit der Illusion, keine Versuchsobjekte zu sein. Der Professor und sein Personal bemühten sich unverkennbar, diesen Eindruck gar nicht erst aufkommen zu lassen, und es gelang ihnen die meiste Zeit über. Die kleine wissenschaftliche Station gab sich den Anschein einer noblen Privatklinik, und solche Einrichtungen zeichnete seit Jahrtausenden aus, dass sie eben nicht wie eine Klinik wirkten.

Vogel und Lua waren auf der ATLANC geboren, einem so fremdartigen Raumschiff, wie ein Mensch es sich nur vorstellen konnte. Einem Atopenraumer. Sie waren mit Atlan in die Jenzeitigen Lande gereist und hatten dort seltsame Abenteuer erlebt. Und dort war Lua gestorben.

Es war das entsetzlichste Erlebnis gewesen, das Vogel je hatte mitmachen müssen. Jedes Mal, wenn er sich an Luas Tod erinnerte, war es, als wäre er damals selbst gestorben.

Aber Lua konnte dank der besonderen Bedingungen in den Jenzeitigen Landen wiedererweckt werden – allerdings gab es eine Einschränkung: Sie war aus sich heraus nur in den Jenzeitigen Landen lebensfähig. Sobald sie diesen Bereich verließe und in die normale Raumzeit zurückkehrte, müsste sie sterben.

Dann gab Julian Tifflor, der Atopische Richter, Lua seinen Zellaktivator, den er nicht mehr benötigte. Mit diesem Gerät schuf Tifflor eine Ausnahme von der Regel, und fortan war Lua Virtanen auch außerhalb der Jenzeitigen Lande lebensfähig.

Allerdings hatte Tifflor den Zellaktivator nicht allein Lua geschenkt, sondern gleichzeitig Vogel Ziellos. Da Luas und Vogels ÜBSEF-Konstanten bei den dramatischen Ereignissen in den Jenzeitigen Landen miteinander verschränkt worden waren, wirkte das lebensverlängernde Gerät sowohl auf Lua als auch auf Vogel.

Lua trug also einen Zellaktivator, der nicht nur ihr Fortleben sicherte, sondern auch das von Vogel.

Diese seltsame Kombination hatte zur Folge, dass Vogel sich immer in Luas Nähe aufhalten musste. Entfernte er sich zu weit von ihr, konnte der Zellaktivator nicht mehr auf ihn wirken. Was eine gewisse Zeit lang kein Problem darstellte, genau wie bei einem Zellaktivatorträger, dem man den Zellaktivator entfernen würde. Aber es wurde sehr schnell zum Problem. Nach etwa 50 Stunden zeigten sich starke Ermüdungserscheinungen, dann körperliche Ausfälle, Schmerzen ... und nach 62 Stunden würde Vogel sterben. Die Symptome endeten jeweils sofort, sobald er in Luas Nähe zurückkehrte und der Zellaktivator damit wieder auf ihn wirken konnte.

Selbstverständlich hatte Vogel die 62 Stunden nie bis aufs Letzte ausgereizt. Und es gab keinen Präzedenzfall.

Darum waren Lua und Vogel in diesem Forschungszentrum. Ein Heer von Medikern untersuchte sie, studierte die Wirkungsweise des Zellaktivators auf sie beide, ihre Verschränkung und tausend andere Dinge. Die Mediker waren fasziniert; so etwas hatte es nie zuvor gegeben.

»Nein, im Ernst«, riss Lua ihn aus seinen Überlegungen. »Du wirst vermisst. Der Professor will uns sprechen.«

Vogel lachte leise auf. »Er kannte meinen Aufenthaltsort. Er hat diesen kleinen ›Versuch zur Bestätigung‹ selbst angeordnet.«

»Empfohlen«, verbesserte Lua ihn.

Er nickte knapp. Sie hatte natürlich recht.

Sie waren freiwillig auf der Insel. Niemand übte Zwang auf sie aus. Sie konnten sich weigern, an weiteren Versuchen teilzunehmen, selbst das Institut jederzeit verlassen.

Wohin aber sollten sie sich wenden? Wie er gerade am Strand gedacht hatte – sie waren Fremde in dieser Galaxis. Terra war nicht ihre Heimat. Man gab sich alle Mühe, dass sie sich so gut wie nur möglich fühlten, doch aufgewachsen waren sie an Bord eines Raumschiffs. Das war ihr Zuhause gewesen.

Sie hatten sich dafür entschieden, nicht in den Jenzeitigen Landen zu bleiben, doch es hatte sie in eine Welt verschlagen, die nicht die ihre und ihnen völlig unbekannt war.

»Er will uns die neuesten Erkenntnisse mitteilen.« Lua lachte ebenfalls, aber bei ihr klang es immer fröhlich, ausgelassen, nicht so bedrückt wie bei ihm. »Wahrscheinlich ist er mehr Arzt als Verwaltungsfachmann und hat einfach vergessen, dass du am Strand warst. Schließlich ist er ein Ara.«

»Und nicht mal Professor.«

Sie zuckte mit den Achseln. »Insgeheim nennt ihn jeder so.«

»Ein Spitzname, von dem er besser nichts erfährt.«

»Von dem er bestimmt längst weiß, aber er ignoriert ihn.« Sie zog ihn zu dem Antigravlift, der zu dem Turm führte, in dem der Verwaltungstrakt angesiedelt war. Dort hatte Mo sein Büro, aber er nutzte es kaum, hielt sich fast ausschließlich in den medizinischen Labors auf. Außer zu Gesprächen wie dem, das er nun mit ihnen führen wollte.

Sie betraten das Büro.

Der Empfangsbereich war mit einer Wohnlandschaft eingerichtet wie eine gute Stube in einem luxuriösen Appartement. Die Klienten des Professors sollten sich wohlfühlen, das schrieb die Politik des Forschungsinstituts auch einem prominenten Ara vor.