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Nr. 2899

 

Die Sternengruft

 

Ein Opfergang – und das Ende einer Galaxis

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. RAS TSCHUBAI

2. RAS TSCHUBAI

3. Catiuphat, Torus II

4. SHEZZERKUD

5. Catiuphat Torus III

6. DAURD

7. SHEZZERKUD

8. Catiuphat

9. RAS TSCHUBAI

10. SHEZZERKUD

11. SHEZZERKUD

12. SAMY GOLDSTEIN

13. RAS TSCHUBAI

14. SHEZZERKUD

15. RAS TSCHUBAI

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Sterngewerk der Tiuphoren

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Jahr 1522 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) befindet sich Perry Rhodan fernab der heimatlichen Milchstraße in der Galaxis Orpleyd. Dort braut sich etwas zusammen, das den Unsterblichen zum Handeln zwingt: Die negative Superintelligenz KOSH arbeitet im Verborgenen an ihrer eigenständigen Entwicklung in eine Materiesenke.

KOSH will nicht zum Instrument der Chaotarchen werden – von denen insbesondere Cadabb sich sehr stark für KOSH interessiert. Zwei Völker Orpleyds wirken, teilweise ohne ihr Wissen, für KOSHS Ziele: die Tiuphoren und die Gyanli, insgeheim gelenkt von den Pashukan, den Todesboten der Superintelligenz.

Perry Rhodan weiß, dass die Geburt einer Materiesenke das Ende für die betreffende Galaxis oder sogar Mächtigkeitsballung bedeutet – und den Tod aller Lebewesen. Was ihm letztlich bleibt, ist nur, so viele Lebewesen wie möglich zu retten, indem er dabei mithilft, das Vorgehen in so geordnete Bahnen wie möglich zu lenken.

KOSHS Ziel ist nahe, und Perry Rhodan sieht DIE STERNENGRUFT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner versucht, Ordnung ins Chaos zu bringen.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin beobachtet einen kosmischen Vorgang.

Gucky – Der Mausbiber tritt einen schweren Gang an.

Attilar Leccore und Gholdorodyn – Der Gestaltwandler und der Kelosker müssen eine Entscheidung treffen.

1.

RAS TSCHUBAI

11. November 1522 NGZ

 

Perry Rhodan kniete neben Gucky nieder. Das Licht im Hangar kam ihm hart und grell vor, obwohl er es gedämpft hatte, und völlig unpassend für diesen Augenblick.

Aber welches Licht konnte in einer solchen Stunde richtig sein?

Rhodan öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Worte waren überflüssig; es war alles gesagt. Der Mausbiber hatte seine Entscheidung getroffen. Gucky würde sein Leben opfern, damit KOSHS Materiesenke geordnet entstehen und dem Zugriff der Chaotarchen entzogen werden konnte. Er würde Tellavely in den Katoraum begleiten und dessen Schlussstein bilden.

Es stand fest, dass die Materiesenke entstehen würde. Das konnten sie nicht mehr verhindern. Die Frage war nur, in welcher Form. So, wie die erwachende Superintelligenz es vorgesehen hatte, oder chaotisch, ungeordnet. Dann würden auch all jene Milliarden Lebewesen sterben, die nun Schutz im Staubgürtel suchten. Falls KOSH seinen Willen bekam, würde er den Staubring Orpleyds noch für Jahrtausende erhalten. Wenn nicht, würde die gesamte Galaxis einschließlich des Rings transformiert werden.

Der Terraner wollte den Arm auf Guckys Schulter legen, doch der Ilt schüttelte seine Hand ab. Gleichzeitig drehte er den Kopf zur Seite.

Er will nicht, dass ich die Tränen in seinen Augen sehe.

Rhodan verstand seinen uralten Freund. Er selbst hatte vor fast vier Jahren ähnlich gehandelt, als er die Entscheidung traf, sein Leben zu opfern, um die Menschheit vor dem Angriff der Tiuphoren zu retten.

Wortlos zog Rhodan den Mausbiber an sich, drückte ihn ganz fest. »Gucky«, murmelte er. Auch seine Augen schimmerten feucht.

Der Ilt löste sich telekinetisch sanft von Rhodan. »Meinst du, mir fällt das leicht?«, flüsterte er. »Es ist widersinnig. Mein Leben für eine verdammte Superintelligenz zu geben, die ich nicht einmal kenne und die wie all diese arroganten Wesenheiten sich keinen Deut darum schert, was sie den Normalsterblichen in ihrer direkten Umgebung antut?«

»Ich weiß«, sagte Rhodan leise.

»Aber es gibt keine andere Möglichkeit.«

»Auch das weiß ich.« Rhodan bezweifelte nicht, dass Gucky sein Leben gerne geopfert hätte, hätte er damit zehn unschuldige Intelligenzen retten können. Ach was, eine einzige! Aber das für eine Superintelligenz zu tun, auch wenn er damit Milliarden Leben retten konnte ...

»Es wird Zeit«, sagte der Mausbiber. »Tellavely wartet. Ich will es nicht länger hinauszögern. Du wolltest das damals auch nicht.«

Langsam richtete Rhodan sich auf. Die Beiboote, die in diesem Hangar auf ihren Einsatz warteten, kamen ihm vor wie metallgraue Riesen, die teilnahmslos beobachteten, wie das Schicksal seinen Lauf nahm. Gucky und er waren allein in der riesigen Halle. Dieser letzte Augenblick gehörte nur ihnen beiden. Sichu Dorksteiger und Tellavely hatten sich zurückgezogen.

Zumindest so viel Anstand hat der Pashukan, obwohl er letzten Endes nur eine Maschine ist, die nicht nachvollziehen kann, was wir empfinden ...

Aber das änderte nichts. Gucky wird sterben. Ob sein Geist in die Materiesenke einging oder nicht, interessierte Rhodan nicht. Das Glück, innerhalb weniger Jahre den eigenen Tod zu überleben, konnten nicht sie beide haben. Er hatte es gehabt, der Abschied von dem Mausbiber würde ein endgültiger sein, das spürte er.

Wie viele Freunde hatte er im Lauf der Jahrtausende verloren? Viel zu viele. Er begriff längst, wie uralte Leute sich gefühlt hatten, als er Kind gewesen war. Er hatte einige davon gekannt ... und Angst vor ihnen gehabt. Sie waren Relikte aus einer anderen Zeit gewesen, so fremd, dass er sie nicht verstehen konnte. Damit waren sie nicht einzuschätzen für einen kleinen Jungen wie ihn. Irgendwie ... gefährlich. Oder zumindest bedrohlich. Doch schon an seinem hundertsten Geburtstag war ihm klar geworden, wie diese alten Menschen empfinden mussten. Jene, die in den 1940er-Jahren der alten Zeitrechnung alt gewesen waren, und alle, die sie kannten, Freunde und Verwandte und vielleicht sogar die eigenen Kinder, überlebt hatten. Sie waren allein gewesen in einer Zeit, die sie nicht mehr verstanden, die nicht mehr ihre Zeit war.

An seinem hundertsten Geburtstag war Rhodan sich genauso vorgekommen. Allerdings hatte er nicht allein sein müssen, weil auch andere Zellduschen bekommen hatten, die ihr Leben verlängerten. Aber so viele andere, die er gekannt hatte, waren an diesem Tag längst tot gewesen.

Manchmal fragte Rhodan sich, was schlimmer war – früh zu sterben oder lange zu leben. Miterleben zu müssen, wie einem die, die man kannte und mochte oder sogar liebte, einer nach dem anderen entrissen wurden, manche vor ihrer, manche zu ihrer Zeit.

Ein jegliches hat seine Zeit, ging ihm der uralte Vers durch den Kopf, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit, pflanzen hat seine Zeit ...

Wann war seine Zeit? Oder Guckys Zeit? Sie lebten nun seit über 3000 Jahren, und irgendwann würde auch ihre Zeit kommen, daran zweifelte Rhodan nicht, relative Unsterblichkeit hin oder her.

Guckys Zeit ist jetzt gekommen, dachte er und spürte, wie ihm weitere Tränen in die Augen schossen. In diesem Augenblick ertrug er es nicht mehr, alle um sich, die ihm lieb und teuer geworden waren, irgendwann verlieren zu müssen. Es spielte keine Rolle, ob er sie drei oder dreihundert oder dreitausend Jahre gekannt hatte. Konnte man Schmerz messen? Wog der Verlust eines geliebten Menschen, den man drei Jahre lang gekannt hatte, leichter als der eines Menschen, den man dreitausend Jahre gekannt hatte?

Er bezweifelte es. Aber jemanden seit dreitausend Jahren zu kennen ...

»Ja«, sagte Rhodan. »Alles hat seine Zeit. Du musst jetzt gehen.«

»Der Ehrenmann geht von Bord«, flüsterte Gucky fast unhörbar.

Rhodan öffnete den Mund, um zu fragen, was der Mausbiber meinte, und schloss ihn wieder. Kaum hatte Gucky ausgesprochen, fiel es ihm wieder ein.

Leutnant Guck vom Mutantenkorps meldet seine Einsatzbereitschaft. Gestatte, dass ich nicht Gucky sage. Das erscheint mir zu gewöhnlich, seitdem ich ein Ehrenmann bin. Das hatte der Mausbiber gesagt, kurz nachdem Rhodan ihn auf dem Planeten Tramp entdeckt und ihn dann nach einigen Irrungen und Wirrungen für das Mutantenkorps rekrutiert hatte.

Mit diesen Worten hatte er sich offiziell für den Dienst an der Menschheit gemeldet, und 3000 Jahre lang war er der selbst gewählten Verpflichtung nachgekommen.

An diesem Tag würde er den letzten Schritt tun. Das höchste Opfer bringen.

Rhodan wollte so vieles sagen, doch er schwieg. Jedes Wort von ihm hätte es Gucky nur umso schwerer gemacht.

Zögernd drehte der Mausbiber sich um, sah ihn an. Tapfer kämpfte er gegen seine Tränen. »Großer«, sagte er. »Ich ...« Er verstummte.

»Ich weiß, Kleiner. Es ist gut. Es ist alles gut.«

Gucky legte Rhodan eine kleine Pfote auf Wange und Stirn und sah ihm wortlos in die Augen. Dann zog er die Hand zurück. »Wenigstens kann ich die Völker einer Galaxis retten.« Gucky ließ den Nagezahn aufblitzen, drehte sich um und ging wortlos davon.

In seinen Tod. Zu Tellavely und dem Schiff, mit dem sie in den Katoraum fliegen würden.

Rhodan schluchzte lautlos auf.

In diesem Augenblick flammte das gedämpfte Licht im Hangar so grell auf, dass es in Rhodans Augen schmerzte, und ein Personenschott öffnete sich so laut und störend, dass es in seinen Ohren schmerzte.

Aber Rhodan spürte diesen Schmerz nicht. Er war unbedeutend im Vergleich mit dem, der ihn ausfüllte.

Sichu Dorksteiger stürmte in den Hangar.

Die wunderschöne Ator mit der hellgrünen Haut, die mit goldenen Linien und Punkten überzogen war. Und mit den grünen Sprenkeln in den Augen, von denen er manchmal glaubte, dass sie sich bewegten.

Die Frau, die er lieben gelernt hatte. Und die er früher oder später verlieren würde, selbst wenn sie sehr langlebig war und noch so jung und schön wirkte wie vor jenem Tag vor vielen Jahren, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Wie er alle Frauen verloren hatte, die jung und schön gewesen waren und die er irgendwann geliebt hatte.

»Gucky, warte!«, rief sie. Ihre Stimme überschlug sich fast. »Tellavely, komm her! Wir müssen reden! Es hat sich alles verändert ... alles!«

 

*

 

Rhodan sah die Chefwissenschaftlerin der RAS TSCHUBAI, die gleichzeitig seine Lebensgefährtin war, aus weit aufgerissenen Augen an. Er versuchte, jede aufkeimende Hoffnung zu unterdrücken, Gucky könnte seinem Schicksal doch noch entrinnen; die darauf folgende Enttäuschung würde, falls diese Hoffnung sich nicht erfüllte, nur um vieles stärker sein und ihn umso mehr schmerzen.

Sichu stürmte zu dem Mausbiber, ging vor ihm in die Hocke, drückte ihn an sich. »Vielleicht musst du deinen Opfergang doch nicht antreten!«, keuchte sie atemlos. »Zumindest wäre er im Augenblick völlig sinnlos!«

Rhodan hatte die beiden erreicht. »Was ist passiert?«, fragte er.

Die Ator schaute zu ihm hoch. »Es wurde Alarm gegeben. Ein modernes Sterngewerk ist in der Nähe der RAS TSCHUBAI materialisiert und hat sich als die SHEZZERKUD identifiziert. Dann hat sich ihr Kommandant gemeldet ... Attilar Leccore!«

»Was?«, entfuhr es dem Terraner. »Attilar ist Caradocc der SHEZZERKUD?«

Sichu nickte. »Offensichtlich. Er möchte dich sprechen. Ich habe eine Holoverbindung geschaltet.« Sie warf einen Blick zu Tellavely, der mittlerweile ebenfalls bei ihnen eingetroffen war.

Rhodan nickte unmerklich. Sie waren eine Allianz mit dem Pashukan eingegangen und übereingekommen, gemeinsam für die geordnete Transformation der Galaxis Orpleyd in eine Materiesenke einzutreten. Perry stand zu seinem Wort; es gab keine Alternative zu diesem Vorhaben. Also konnte der Maschinist getrost hören, was Leccore zu sagen hatte.

Die Chefwissenschaftlerin berührte ihr Allzweckarmband, und vor ihnen bildete sich ein Holo auf dem Hangardeck.

Es zeigte Leccore. Der Gestaltwandler nickte ihnen ernst zu. »Es ist etwas geschehen«, kam er sofort zur Sache, »das den geordneten Ablauf der Transformation stören, ja sogar den Weg zu einer Katastrophe ebnen könnte. Etwas, das im Sinne von keiner der Parteien ist, die nun notgedrungen zusammenarbeiten, um KOSH den Weg zu bereiten. Weder die Tiuphoren noch die Gyanli, die Pashukan oder du, Perry, würden das wollen.«

»Raus mit der Sprache, Attilar!«, sagte Rhodan.

»Es besteht die Gefahr«, fuhr Leccore fort, »dass Cadabb nicht nur auf Orpleyd aufmerksam wird, sondern auch einen Weg in den Katoraum findet.«

Cadabb, der wie die Leere ist, dachte Rhodan. Der Chaotarch ...

»Was?«, fuhr Tellavely auf. Der Maschinist in Gestalt eines Gyanli wirkte völlig überrascht.

Rhodan betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Dass der Chaotarch mithilfe seiner Antennen oder sonst wie KOSH und damit der Materiesenke und dem Katoraum auf die Spur kommen könnte, war eine der Urängste der Pashukan. Cadabb war praktisch seit der Entstehung der Superintelligenz ihre Nemesis, ihre Geißel.

»Aber ... wie?«, setzte Tellavely an und verstummte wieder. Das Entsetzen war ihm buchstäblich in die nachgebildeten Gyanliglieder gefahren.

»Das erkläre ich euch persönlich«, fuhr Leccore ungerührt fort.

»Selbstverständlich«, sagte Rhodan. »Komm an Bord!«

Das Holo erlosch.

Tellavely stand wie erstarrt da. Leccores Mitteilung hatte ihn bis ins Mark getroffen, mit einem Strich seine und KOSHS Pläne völlig durchkreuzt.

Was ist geschehen? Rhodan kämpfte gegen seine Ungeduld an. Er würde es in wenigen Augenblicken erfahren.

Aber der Koda Aratier hatte recht. Falls Cadabb tatsächlich einen Weg in den Katoraum finden konnte, war das eine Gefahr, der sie zuerst begegnen mussten.

Gucky hatte einen Aufschub erhalten.

Wie freundlich das Schicksal manchmal sein kann! Rhodan zitterte am ganzen Leib. Oder wie überaus grausam!

2.

RAS TSCHUBAI

11. November 1522 NGZ

 

Attilar Leccore kam nicht allein an Bord der RAS.

Ein Tiuphore begleitete ihn, mit kerzengerader Haltung, offenem, forderndem Blick, selbstsicher bis fast zur Arroganz. Man sah auf Anhieb, dass es sich um keinen gewöhnlichen Vertreter dieses Volkes handelte, sondern um eine hochgestellte Persönlichkeit.

Rhodan erstarrte. Er kannte ihn so gut, wie er einen Tiuphoren nur kennen konnte: Paddkavu Yolloc, der eigentliche Caradocc der SHEZZERKUD.

Yolloc, der Perry Rhodan eigenhändig erschossen hatte.

Alles in ihm krampfte sich zusammen. Am liebsten wäre er zu Yolloc gerannt und hätte auf ihn eingeschlagen, ihn totgeprügelt, ihm heimgezahlt, was der Tiuphore ihm angetan hatte.

Nur mit Mühe gelang es ihm, sich zusammenzureißen. Er ist der ehemalige Caradocc, korrigierte er sich. Der neue schien ja Attilar zu sein.

Rhodan betrachtete den Tiuphoren. Er fragte sich, ob in seinen Augen Hass loderte.

Yolloc erwiderte seinen Blick gelassen.

Leccore bemerkte Rhodans Anspannung. »Ich verbürge mich für Yolloc. Er steht auf meiner Seite.«

Rhodan atmete tief ein und nickte dann. Er vertraute dem Gestaltwandler, der schon oft genug bewiesen hatte, dass er für die Belange der Menschheit eintrat, sich als Mensch begriff. Sein Wort genügte ihm.

Sie empfingen Attilar in dem kleinen Konferenzraum direkt neben der Zentrale der RAS TSCHUBAI. Dort konnten sie ungestört miteinander sprechen. Nur Sichu, Gucky als direkt Betroffener, Tellavely und er waren außer den Neuankömmlingen anwesend.

Sie setzten sich kurz gegenseitig in Kenntnis der Ereignisse der letzten Tage. Rhodan erfuhr, wie Leccore zum Befehlshaber der Tiuphoren geworden war, dem die Besatzungen aller Sterngewerke folgten. Im nächsten Schritt berichtete Rhodan, dass Gucky bereit gewesen war, sein Leben zu opfern, um den Katoraum als Schlussstein final zu schließen und gerade mit dem Maschinisten dorthin hatte aufbrechen wollen, als Leccore sich gemeldet hatte.

»Und jetzt zur Sache«, sagte der Unsterbliche dann. »Welche neuen Informationen hast du, Attilar?«

»Nachdem die Tiuphoren mich zu ihrem Anführer bestimmt haben, der sie in eine neue Zukunft führen soll«, antwortete der Gestaltwandler, »befahl ich, hierher zu fliegen. Mir stellte sich die Frage, ob die Masse der Bewusstseine, die in den Bannern unserer Schiffe gefangen ist, ausreicht, KOSH in eine Materiesenke umzuwandeln.

Ich musste mir selbst einen Eindruck davon verschaffen und bin deshalb ein weiteres Mal ins Catiuphat gewechselt. Dazu wählte ich aus Macht der Gewohnheit die Nische im Sein nach dem Sein, die ich mir als Orakel-Page in der CIPPACOTNAL als geheimen, sicheren Zufluchtsort eingerichtet hatte. Du kennst sie ja, Perry. Sie liegt in etwa am Übergang zwischen dem Ersten und dem Zweiten Torus.«

Rhodan nickte.

»Diese Vorsicht war zwar überflüssig geworden, weil die Tiuphoren mich nicht nur als einen der ihren, sondern sogar als ihren Befehlshaber akzeptieren. Aber um alle Eventualitäten auszuschließen, hat mich Verssidai Happuru, das Schiffsorakel der SHEZZERKUD, begleitet.«

Rhodan erinnerte sich an das Orakel. Happuru war relativ jung und hatte weiblich auf ihn gewirkt, wie eine junge Tiuphorin, ohne es tatsächlich zu sein. Wie alle Orakel war auch Verssidai nach seiner Primärgeburt von Orakel-Pagen in einer Brutwiege aufgezogen worden und würde zeit seines Lebens Zwitter bleiben. Seine Fähigkeiten als Orakel waren außergewöhnlich.

Leccore räusperte sich und fuhr mit seinem Bericht fort.

 

*

 

»Wie willst du abschätzen, ob die Summe aller Bewusstseine im Catiuphat ausreicht, um die Materiesenke entstehen zu lassen?«, fragte Verssidai.

Leccore warf dem Orakel einen langen Blick zu. »Das Catiuphat hat ein ganz eigentümliches Verhältnis zur äußeren Raumzeit, sozusagen eine eigene. Wenn ich mich nicht irre, hast du mir das selbst erklärt. Diese Raumzeit ist allerdings mit der äußeren koordiniert. Und du bist als Schiffsorakel der Taktgeber. Vielleicht können wir diesen Umstand nutzen.«

Überrascht sah das Orakel auf. »Du hoffst, dass ich ...« Es hielt inne, dachte kurz nach. »Als neuer Caradocc erwartest du viel von deinen Gefolgsleuten.«

»Zu viel?«, fragte der Gestaltwandler.

Verssidai schaute ratlos drein. »Auch mir stehen nicht alle Bereiche des Catiuphats offen. Du hast es in sogenannte Tori eingeteilt, nicht wahr?«

Leccore nickte. »In sieben. Den Ersten habe ich Kinderstube genannt. Es ist allerdings keine freundliche Kinderstube. Dort befinden sich drei Gruppen von mentalen Komponenten. Beute aus den Banner-Kampagnen in der Milchstraße dieser Epoche, Beute aus der Zeit von Phariske-Erigon und Beute aus der Banner-Kampagne von Gouvrin. In der Kinderstube existiert etwas wie eine Landschaft, eine Räumlichkeit. Etwas, das den dort befindlichen Bewusstseinen den Eindruck anbietet und gegebenenfalls vermittelt, sich in Zimmern, auf einer Ebene, in einer Landschaft und so weiter zu bewegen. Gesteuert wird diese Räumlichkeit von der Aufsicht, dem Zweiten Torus.«

»Eine interessante Interpretation«, sagte das Orakel. »Eigenwillig, aber interessant.«

»Im Zweiten Torus befinden sich die Trostreichen, deren Aufgabe es ist, die Neuankömmlinge, insbesondere die Opfer der Banner-Kampagnen, zu integrieren und betriebsbereit zu machen.«

Das Orakel deutete mit einer Handbewegung seine Zustimmung an.

»Im Dritten Torus leben die Ahnen, die sich schon lange dort befinden, der Vierte ist der Schimmer, der andeutet, was sich dahinter befindet, und der Fünfte ist der Kranz, das Äußerste eines gewaltigen, sich drehenden Ganzen, das unaufhaltsam die Ewigkeit hinabrollt, wie in eine Gruft. Jetzt weiß ich, dass es die Sternengruft ist, zu der Orpleyd werden soll. Darin befindet sich etwas Uraltes, Vorzeitiges, Ursprüngliches, das aus noch tieferen Tori einen milden Schatten auf den Fünften Torus wirft.«

»Ich kann diese Interpretation nachvollziehen, auch wenn sie lediglich deine Begrifflichkeit ist.«

Es mochte durchaus sein, dass das Orakel mit dieser Bemerkung recht hatte. Leccore hatte das Catiuphat so wahrgenommen, torusförmig und abgestuft organisiert, also in etwa wie ein Rettungsring oder ein Ringwulst. Vielleicht sahen es die Angehörigen der Kinderstube ganz anders.

Die sieben Tori waren ineinander eingebettet, allerdings auf eine für Menschen schwer verständliche Art und Weise. Der äußerste Torus umfasste zwar alle inneren Tori, doch der jeweils weiter innen befindliche lag tiefer oder führte tiefer hinab und war größer als der jeweils weiter außen liegende.

»Aber zu den Tori Sechs und Sieben habe ich bisher keinen Zugang gefunden.«

»Deshalb nennst du sie die Namenlosen Tori. Sie sind für dich zu fremd, zu matt, zu unspürbar.«

»Findest du Zugang zu ihnen?«

»Falls ich ihn fände ... wie wolltest du Seelen