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Die Vorlage zu diesem Buch ist das gesprochene Wort Oshos. Seine „Talks“ – aus dem Stegreif vor einer großen Zuhörerschaft gehalten – wurden vom Tonband übersetzt. Die Redaktion der deutschen Übersetzung folgt der englischen Buchausgabe und gibt, wie diese, so genau wie möglich den spontanen Redefluss Oshos wieder. Alle Osho Diskurse sind als Originale publiziert worden und als Original-Audios erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden sie unter der Onlinebibliothek „Osho Library“ bei www.osho.com

Titel der englischen Originalausgabe: The Art of Living and Dying

Ebook-Auflage 2019

eISBN 978-3-947508-25-9

OSHO

Das Buch vom

LEBEN UND
STERBEN

Inhalt

Einleitung

Teil 1: Das letzte Tabu

1. Auf der Suche nach dem, was nicht stirbt

2. Warnung: Die Sache mit dem Glauben

3. Die vielen Gesichter des Todes

4. Tod und Sex in Ost und West

5. Unerledigte Angelegenheiten

6. Fragen und Antworten

Teil 2: Sich der Angst stellen und sie verstehen

1. Auf der Suche nach der Unsterblichkeit

2. Tao – das ewige Gesetz

3. Der Mut zu leben

4. Fragen und Antworten

Teil 3: Meilensteine auf dem Weg

1. Ertrunken in der Leere

2. Schmerz als Meditation

3. Fragen und Antworten

4. Techniken für den Umgang mit Schmerzen

Nimm den Schmerz so an, wie er ist

Geh in den Schmerz hinein

Werde zum Schmerz

Nimm es zwei Mal zur Kenntnis

Halte die Sinne an

5. Schlüssel zum Loslassen und für die Transformation

Nadabrahma (Summen)

Schließe mit der Vergangenheit ab

Ah-Ah!

Verschwinden

Om-Meditation

Lebens- und Todesmeditation

Erfahre das Selbst jenseits des Körpers

Meditation des blauen Lichts

Treiben lassen, auflösen, so sein

Fühle dich, als ob du stirbst

Der Unsterbliche

Ausatmen

Den Körper verbrennen

Die Welt verbrennen

Teil 4: Zeit des Abschieds

Hilfreiche Einsichten für alle, die Sterbende begleiten, und für Hinterbliebene

1. Die große Offenbarung

2. Da sein

3. Fragen und Antworten

Nachwort

Eine Schneeflocke löst sich in Luft auf

Einleitung

Das Leben dehnt sich über eine lange Zeitspanne aus, siebzig Jahre, hundert Jahre. Der Tod ist intensiv, denn er dehnt sich nicht aus. Er geschieht in einem einzigen Moment. Das Leben muss sich über siebzig oder hundert Jahre hinziehen und kann deshalb nicht so intensiv sein. Der Tod kommt in einem einzigen Moment. Er kommt ganz und gar, nicht stückweise. Er wird so intensiv sein – etwas Intensiveres kannst du nicht erfahren. Wenn du aber Angst hast und dich dem Tod entziehst, bevor er kommt, wenn du aus lauter Angst das Bewusstsein verlierst, hast du eine goldene Gelegenheit verpasst, das Goldene Tor. Konntest du jedoch in deinem Leben die Dinge annehmen, wie sie sind, wirst du auch den Tod annehmen, wenn er kommt, und geduldig und widerstandslos in den Tod gehen, ohne dich zu bemühen, ihm zu entkommen. Wenn du ganz still und passiv ohne jede Mühe in den Tod gehen kannst, dann verschwindet der Tod.

In den uralten heiligen Schriften Indiens, den Upanishaden, steht eine Geschichte, die ich schon immer geliebt habe. Ein großer König namens Yayati wurde einhundert Jahre alt. Nun war es genug; er hatte sein Leben bis zur Neige gelebt. Er hatte alles genossen, was das Leben zu bieten hatte. Er war einer der größten Könige seiner Zeit. Doch es ist eine schöne Geschichte:

Der Tod kam und sagte zu Yayati: „Mach dich fertig. Deine Zeit ist um. Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen.“ Als Yayati, der ein großer Krieger war und viele Kriege gewonnen hatte, den Tod sah, begann er zu zittern. Er sagte: „Es ist noch zu früh!“ Der Tod erwiderte: „Zu früh? Du hast hundert Jahre lang gelebt. Selbst deine Kinder sind alt. Dein ältester Sohn ist schon achtzig! Was willst du mehr?“

Yayati hatte einhundert Söhne, er hatte auch einhundert Frauen gehabt. „Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte er den Tod. „Ich weiß, dass du jemanden holen musst. Wenn ich nun einen meiner Söhne dazu überreden kann, kannst du mich dann noch einmal hundert Jahre verschonen und einen meiner Söhne mitnehmen?“ Der Tod sagte: „Das ist in Ordnung, wenn jemand anderes bereit ist zu gehen. Aber ich glaube nicht … Wenn nicht einmal du bereit bist. Du bist schließlich der Vater und hast mehr gelebt und alles gehabt, warum sollte dann dein Sohn bereit sein?“

Yayati ließ seine hundert Söhne kommen. Die älteren Söhne schwiegen alle; keiner sagte etwas. Nur einer, der jüngste Sohn, der erst sechzehn Jahre alt war, stand auf und sagte: „Ich bin bereit.“ Selbst dem Tod tat es leid um den Jungen, und er sagte zu ihm: „Vielleicht bist du zu unschuldig. Kannst du nicht sehen, warum deine neunundneunzig Brüder stillschweigen? Einer ist achtzig, einer ist achtundsiebzig, einer ist fünfundsiebzig, einer ist siebzig, einer ist sechzig. Sie alle haben gelebt, aber sie wollen noch mehr! Und du hast noch gar nicht gelebt. Sogar ich bin traurig, wenn ich dich mitnehme. Überlege es dir noch einmal.“

Der Junge sagte: „Nein. Allein diese Situation zu sehen, macht mich völlig sicher. Sei nicht traurig; es braucht dir nicht leid zu tun. Ich gehe ganz bewusst. Ich kann sehen: Wenn mein Vater nach hundert Jahren immer noch nicht befriedigt ist, wozu soll ich dann hier sein? Wie kann ich jemals zufrieden sein? Warum die Zeit verschwenden? Wenigstens kann ich meinem Vater einen Gefallen tun. Soll er doch in seinem hohen Alter noch hundert Jahre mehr genießen. Aber ich bin fertig. Ich sehe, dass niemand zufrieden ist, ich habe eines wirklich ganz begriffen: Selbst wenn ich hundert Jahre lebe, werde ich niemals zufrieden sein. Deshalb spielt es keine Rolle, ob ich heute gehe oder erst in neunzig Jahren. Nimm mich ruhig mit.“

Der Tod nahm den Jungen mit. Als er nach hundert Jahren wiederkam, war Yayati in derselben Situation und sagte: „Die hundert Jahre sind zu schnell vergangen. Alle meine älteren Söhne sind gestorben, ich bin in einem neuen Regiment. Ich kann dir wieder einen Sohn geben. Verschone mich!“

Und so ging es weiter. In der Geschichte heißt es, eintausend Jahre lang. Zehn Mal kam der Tod wieder. Und jedes Mal holte er einen Sohn und Yayati lebte hundert Jahre länger. Beim zehnten Mal sagte Yayati: „Ich bin zwar immer noch genauso unbefriedigt wie damals, als du das erste Mal kamst, aber jetzt werde ich mitkommen – wenn auch widerwillig, widerstrebend, denn ich kann nicht weiter um deine Gunst bitten. Es ist zu viel. Und eines ist mir klar geworden: Wenn mich tausend Jahre nicht zufrieden stellen konnten, dann können es auch zehntausend Jahre nicht.“

Das ist Festhalten: Man kann noch so lange leben, doch schon bei dem Gedanken an den Tod beginnt man zu zittern. Hältst du an nichts fest, kann der Tod genau in diesem Moment kommen, und du wirst ihn willkommen heißen. Du wirst absolut bereit sein zu gehen. Vor solch einem Menschen wird der Tod sich geschlagen geben. Der Tod wird nur von denjenigen besiegt, die jeden Moment bereit sind zu sterben, ohne jeden Widerstand. Sie werden unsterblich; sie werden Buddhas.

Diese Freiheit ist das Ziel jeder religiösen Suche. Freiheit vom Festhalten ist Freiheit vom Tod. Freiheit vom Festhalten ist Freiheit vom Rad des Lebens und des Todes.

Freiheit vom Festhalten versetzt dich in die Lage, ins Licht des Universums einzutreten und eins damit zu werden. Und das ist der größte Segen, die höchste Ekstase, jenseits davon existiert nichts mehr. Du bist heimgekehrt.

TEIL 1

DAS LETZTE TABU

Der Tod lässt sich nicht verleugnen,

indem man sich immer

wieder vormacht, dass es ihn nicht gibt.

Der Tod muss erfahren werden.

Man muss sich ihm stellen.

Man muss ihn leben.

Man muss mit ihm vertraut werden.

1. Auf der Suche nach dem, was nicht stirbt

Das Zentrum der religiösen Suche ist eigentlich nicht Gott. Es ist der Tod. Ohne den Tod gäbe es gar keine Religion. Es ist der Tod, der den Menschen dazu bringt, sich auf die Suche nach dem Jenseits zu machen, nach dem, was nicht stirbt.

Wir sind vom Tod umgeben, so wie eine kleine Insel vom Meer umgeben ist. Die Insel kann jeden Moment überflutet werden. Der nächste Moment wird vielleicht niemals kommen. Morgen wird es vielleicht nie geben. Tiere sind nicht religiös, einfach weil ihnen der Tod nicht bewusst ist. Sie können sich nicht vorstellen, dass sie sterben, obwohl sie andere Tiere sterben sehen. Ob man einfach jemanden sterben sieht oder dabei zu der Schlussfolgerung gelangt: „Auch ich muss eines Tages sterben!“ – dazwischen liegt ein Quantensprung. Die Tiere sind nicht so wach, so bewusst, um diese Schlussfolgerung zu ziehen. Und die Mehrheit der Menschen ist ebenfalls noch nicht auf der Stufe des Menschseins angelangt. Ein Mensch ist erst dann wirklich reif, wenn er zu der Einsicht gelangt ist: „Wenn der Tod allen anderen widerfährt, dann kann ich keine Ausnahme sein.“

Lässt du diese Feststellung tief in dein Herz sinken, kann dein Leben nie mehr dasselbe sein. Du kannst nicht mehr in der alten Weise am Leben festhalten. Wenn es einem sowieso genommen wird, wozu soll man dann noch so besitzgierig sein. Wenn eines Tages alles verschwindet, wozu soll man sich anklammern und leiden? Wenn das Leben nicht ewig währt, wozu soll man unglücklich sein, Seelenqualen erleiden, sich Sorgen machen? Wenn es sowieso vorbeigeht, dann geht es vorbei – egal, wann es geht. Dann spielt Zeit nicht so eine wichtige Rolle: ob heute, morgen, übermorgen – das Leben wird dir aus der Hand gleiten.

An dem Tag wird dir bewusst, dass du sterben wirst, dass dein Tod absolut sicher ist. Tatsächlich ist der Tod die einzige Sicherheit im Leben. Nichts anderes ist so absolut sicher. Aber irgendwie versuchen wir immer, diese Frage zu umgehen – das Thema Tod. Wir halten uns mit anderen Dingen beschäftigt. Manchmal reden wir von großen Dingen, über Gott, Himmel und Hölle, nur um die wirkliche Frage zu vermeiden. Und die handelt nicht von Gott; sie kann sich gar nicht darum drehen, denn welche Bekanntschaft hat man mit Gott? Was weißt du von Gott? Wie kannst du nach etwas suchen, das dir völlig unbekannt ist? Diese Suche hat keinen Inhalt. Sie ist höchstens Neugierde, pubertär, dumm, kindisch.

Dumme Menschen stellen die Frage nach Gott. Ein intelligenter Mensch stellt die Frage nach dem Tod. Leute, die immer nach Gott suchen, werden Gott niemals finden. Wenn du aber nach dem Tod suchst, findest du zwangsläufig Gott, denn durch den Tod wirst du transformiert, wird deine Sichtweise verändert. Dein Bewusstsein wird klarer, weil du die wahre Frage gestellt hast – eine authentische Frage, die wichtigste Frage im Leben. Du hast dich einer so großen Herausforderung gestellt, dass du dich nicht mehr länger im Schlaf wiegen kannst. Du wirst aufwachen müssen; du wirst wach genug sein müssen, um der Realität des Todes zu begegnen.

So hat auch die Suche des Gautama Buddha begonnen.

Als Buddha geboren wurde … Er war der Sohn eines großen Königs, sein einziger Sohn. Er wurde geboren, als der König schon alt war, hochbetagt. Deshalb herrschte große Freude im Königreich. Das Volk hatte lange darauf gewartet. Der König war beim Volk sehr beliebt, denn er hatte ihm treu gedient, war freundlich und mitfühlend. Er war sehr liebevoll gewesen und hatte seinen Reichtum geteilt. Er hatte sein Königreich zu einem der reichsten und schönsten jener Zeit gemacht.

Das Volk hatte dafür gebetet, dass dem König ein Sohn geboren würde, da es keinen Erben gab. Und dann kam er zur Welt, als der König schon hochbetagt war – eine unerwartete Geburt. Was für ein Fest, was für eine Freude! Alle Astrologen des Reiches versammelten sich, um die Zukunft des Kindes vorauszusagen. Er erhielt den Namen Siddharta, da er Erfüllung bedeutet. Der König war erfüllt, sein Wunsch war erfüllt, seine tiefste Sehnsucht war erfüllt. Er wollte einen Sohn; sein ganzes Leben hatte er sich einen Sohn gewünscht. Daher der Name Siddharta. Er bedeutet einfach: Erfüllung des tiefsten Wunsches.

Dieser Sohn gab dem Leben des Königs Bedeutung, einen Sinn. Die Astrologen machten alle großartige Voraussagen. Sie waren sich alle einig. Nur ein junger Astrologe war anderer Meinung. Sein Name war Kodanna.

Als der König fragte: „Was wird im Leben meines Sohnes geschehen?“, hoben sie alle zwei Finger – außer Kodanna, der nur einen Finger hob.

„Bitte sprecht nicht in Symbolen“, bat der König. „Ich bin ein einfacher Mann. Ich verstehe nichts von Astrologie. Sagt mir, was meint ihr mit zwei Fingern?“

Sie alle antworteten: „Er wird entweder ein Chakravartin, ein Weltenherrscher, oder er wird der Welt entsagen und ein Buddha werden, ein Erleuchteter. Diese beiden Alternativen gibt es. Deshalb zeigen wir zwei Finger.“

Die zweite Alternative – dass er der Welt entsagen würde – machte dem König Sorgen. „Dann habe ich ja wieder das Problem. Wer wird mein Königreich erben, wenn er der Welt entsagt?“ Dann fragte er Kodanna: „Warum hast du nur einen Finger gehoben?“

Kodanna antwortete: „Ich bin mir sicher, dass er der Welt entsagen wird. Er wird ein Buddha werden, ein Erleuchteter, ein Erwachter.“

Kodannas Worte machten den König nicht glücklich. Die Wahrheit zu akzeptieren ist schwer. Er ignorierte ihn einfach. Kodanna bekam keine Belohnung.

Die Wahrheit wird in dieser Welt nie belohnt. Im Gegenteil, die Wahrheit wird bestraft – in tausendfacher Weise. Tatsächlich war Kodannas Ruf seit diesem Tage ruiniert. Da er vom König nicht belohnt wurde, verbreitete sich das Gerücht, er sei ein Narr. Obwohl sich die Astrologen einig gewesen seien, habe er als einziger nicht zugestimmt.

Der König fragte die anderen Astrologen: „Was schlagt ihr vor? Was soll ich tun, damit er nicht der Welt entsagt? Ich will nicht, dass er Bettler wird. Ich möchte ihn nicht als Sannyasin, als wandernden Bettelmönch sehen. Ich möchte, dass er der Chakravartin wird – Herrscher über alle sechs Kontinente.“

Der Ehrgeiz aller Eltern! Wer will schon, dass der Sohn oder die Tochter der Welt entsagt und sich in die Berge zurückzieht, sich nur noch seinem oder ihrem Innenleben widmet und nach dem Selbst sucht und forscht?

Unsere Wünsche sind nach außen gerichtet. Der König war ein gewöhnlicher Mensch wie alle anderen, mit denselben Wünschen und demselben Ehrgeiz.

Die Astrologen sagten: „Man kann es einrichten. Gib ihm so viele Vergnügungen wie nur möglich; stelle ihm so viel Komfort und Luxus zur Verfügung wie nur menschenmöglich. Lass ihn nichts von Krankheit, Alter und besonders nichts über den Tod erfahren. Lass ihn nichts über den Tod wissen, dann wird er niemals auf etwas verzichten.“

In gewisser Weise hatten sie recht, denn der Tod ist die zentrale Frage. Nimmst du sie dir wirklich zu Herzen, muss sich dein Lebensstil einfach ändern. Du kannst nicht auf die alte törichte Art weiterleben. Wenn dieses Leben im Tod endet, dann kann dieses Leben nicht wirklich Leben sein. Dann muss dieses Leben eine Illusion sein.

Die Wahrheit muss ewig sein, wenn sie wirklich wahr ist. Nur Lügen sind flüchtig. Wenn das Leben flüchtig ist, dann muss es eine Illusion sein, eine Lüge, eine falsche Vorstellung, ein Missverständnis. Dann basiert unser Leben wahrscheinlich darauf, dass wir unwissend sind. Wahrscheinlich ist es die Art, wie wir leben, die dem Leben ein Ende setzt. Wir können auf eine andere Weise leben, nämlich so, dass wir Teil des ewigen Flusses der Existenz werden. Nur der Tod kann diesen radikalen Umschwung bei dir bewirken.

Die Astrologen sagten also: „Lass ihn ja nichts über den Tod erfahren!“ Und der König traf alle Vorkehrungen.

Er ließ drei Paläste bauen, sodass Siddharta zu verschiedenen Jahreszeiten an verschiedenen Orten war, damit er nie die Nachteile einer Jahreszeit erlebte. Wenn es zu heiß wurde, hatte er einen Palast an einem Ort in den Bergen, wo es immer kühl war. Wenn es zu kalt wurde, hatte er einen anderen Palast an einem Fluss, wo es immer warm war.

Es wurden alle Vorkehrungen getroffen, damit er sich niemals unwohl fühlte. Kein alter Mann, keine alte Frau durfte die Paläste, wo er lebte, betreten, nur junge Leute. Alle jungen, schönen Frauen des Königreichs wurden um ihn herum versammelt, damit er immer den Reiz und die Faszination spürte, damit er in seinen Träumen und Wünschen gefangen blieb. Eine süße Traumwelt wurde für ihn erschaffen. Die Gärtner hatten den Auftrag, nachts die toten Blätter zu entfernen; auch welkende Blumen mussten nachts weggeräumt werden, denn – wer weiß? – vielleicht würde er beim Anblick eines toten Blattes fragen, was mit dem Blatt geschehen ist, und schon wäre die Frage über den Tod aufgeworfen. Wenn er eine dahinwelkende Rose oder fallende Blütenblätter sähe, könnte er ja fragen: „Was ist denn mit dieser Rose passiert?“ Und dann könnte er anfangen über den Tod nachzudenken oder gar zu meditieren!

Neunundzwanzig Jahre lang wurde der Tod von seinem Bewusstsein absolut fern gehalten. Aber wie lange kann man es verhindern? Der Tod ist so ein wichtiges Ereignis – wie lange kann man jemanden täuschen? Früher oder später musste er sich in die Welt begeben. Der König war nun sehr alt, und der Sohn musste die Welt und ihre Sitten kennenlernen.

Also wurde ihm ganz allmählich erlaubt auszugehen, aber von jeder Straße der Hauptstadt, durch die er kam, wurden die alten Männer und alten Frauen weggebracht, wurden die Bettler weggebracht. Keinem Sannyasin war erlaubt, seinen Weg zu kreuzen, denn er könnte ja beim Anblick eines Sannyasins fragen: „Was ist das für ein Mensch? Warum hat er orangefarbene Kleidung an? Was ist mit ihm geschehen? Warum sieht er so anders aus? So losgelöst und distanziert? Er hat andere Augen, ein anderes Aroma, seine Gegenwart hat eine andere Wirkung. Was ist mit diesem Mann geschehen?“

Und dann käme die Frage über Entsagung und damit auch die Frage über den Tod auf. Aber eines Tages musste es doch geschehen. Es lässt sich eben nicht vermeiden.

Wir machen es genauso. Wenn jemand stirbt und der Leichenzug am Haus vorbeikommt, zieht die Mutter ihr Kind ins Haus und schließt die Tür.

Die Geschichte ist sehr bedeutungsvoll, symbolisch, typisch. Eltern wollen nie, dass ihre Kinder etwas über den Tod erfahren, weil sie sofort anfangen, unbequeme Fragen zu stellen. Deshalb bauen wir die Friedhöfe oft außerhalb der Stadtzentren, damit niemand dort vorbeigehen muss. Der Tod ist eine zentrale Tatsache. Eigentlich sollte der Friedhof im Zentrum der Stadt sein, damit ihn alle mehrmals am Tag überqueren müssen – auf dem Weg ins Büro und dem Weg nach Hause, auf dem Schulweg und dem Heimweg, auf dem Weg in die Fabrik –, sodass man immer wieder an den Tod erinnert wird. Aber wir legen die Friedhöfe außerhalb der Stadtzentren und machen sie zu schönen Parkanlagen mit Blumen und Bäumen.

Wir versuchen, den Tod zu verbergen. Besonders im Westen ist der Tod ein Tabu. So wie früher Sex tabu war, ist heute der Tod tabu.

Der Tod ist das letzte Tabu.

Wir brauchen jemanden wie Sigmund Freud, der damals das Tabu Sex durchbrach – einen Freud, der den Tod in die Welt zurückbringt, der die Menschen mit der Tatsache des Todes konfrontieren kann.

Wenn in einem westlichen Land jemand stirbt, wird der Leichnam gebadet, geschmückt, parfümiert und geschminkt. Es gibt dort heutzutage Experten, die diese ganze Arbeit machen. Und wenn man einen Toten sieht, staunt man: Er sieht viel lebendiger aus als jemals zuvor, als er noch am Leben war! Man hat ihm rote Bäckchen gemalt und ein strahlendes Gesicht aufgesetzt. Er scheint tief zu schlafen, wirkt friedlich und ruhig.

So machen wir uns etwas vor! Dem Toten machen wir nichts vor – ihn gibt es nicht mehr. Keiner ist mehr da, nur ein toter Körper, ein Leichnam. Aber wir täuschen uns selbst, indem wir sein Gesicht schminken und seinen Körper schmücken, ihm schöne Kleider anziehen und ihn in einem aufwändigen Leichenwagen transportieren. Eine großartige Prozession und so viel Wertschätzung für die Person, die gestorben ist. Zu Lebzeiten hat ihn niemand anerkannt, doch nun kritisiert ihn keiner mehr, alle sind voll des Lobes.

Wir versuchen, uns selbst zu betrügen. Wir verniedlichen den Tod so weit es geht, damit wir uns nicht damit beschäftigen müssen. Wir leben immer weiter in der Illusion, dass es immer nur andere sind, die sterben.

Natürlich – du wirst deinen eigenen Tod nicht erleben, du siehst immer nur andere sterben. Eigentlich eine logische Schlussfolgerung, dass es immer der andere ist, der stirbt – warum soll man sich also mit dem Thema abgeben? Offenbar bist du die große Ausnahme. Gott hat extra für dich eine andere Regel gemacht. Denke daran: Niemand ist eine Ausnahme.

Buddha sagt: „Aes dhammo sanantano – Nur ein Gesetz gilt für alle, das eine ewige Gesetz.“ Was der Ameise widerfährt, gilt auch für den Elefanten; was mit dem Bettler geschieht, wird auch mit dem Kaiser geschehen. Ob arm oder reich, unwissend oder hochgelehrt, ob Sünder oder Heiliger – das Gesetz macht keine Unterschiede. Das Gesetz ist sehr gerecht.

Und der Tod ist sehr kommunistisch: Er macht alle gleich! Er kümmert sich nicht darum, wer du bist. Er schaut nie in Büchern oder im „Who is Who“ nach. Es kümmert ihn einfach nicht, ob du ein armer Schlucker bist oder Alexander der Große.

Siddharta musste eines Tages die Wahrheit erkennen, und er erkannte sie. Er sollte an einem Jugendfest teilnehmen. Als Prinz musste er natürlich die Eröffnungsrede für das jährliche Jugendfestival halten. Es war ein schöner Abend. Die Jugend des Königreichs hatte sich versammelt, um die ganze Nacht zu tanzen, zu singen und zu feiern. Es war das Neujahrsfest, das die ganze Nacht gefeiert wurde. Und Siddharta sollte es eröffnen.

Auf dem Weg dorthin begegnete er all dem, von dem sein Vater immer befürchtet hatte, dass er es eines Tages sehen würde. Zuerst sah er einen Kranken, zum ersten Mal erfuhr er, dass es Krankheit gibt. Er fragte: „Was ist denn da passiert?“

Die Geschichte ist sehr schön. Es heißt, dass ihn der Kutscher eigentlich belügen wollte, aber eine körperlose Seele von ihm Besitz ergriff und ihn zwang, die Wahrheit zu sagen. Er musste, ohne es zu wollen, sagen: „Dieser Mann ist krank.“

Und Buddha stellte sofort die logische Frage: „Kann denn auch ich krank werden?“

Wieder wollte der Kutscher lügen, doch die Seele eines Gottes, einer erleuchteten Seele ohne Körper zwang ihn zu antworten: „Ja.“

Der Kutscher war erstaunt, denn er wollte Nein sagen, aber aus seinem Mund kam: „Ja, auch du kannst krank werden.“

Dann kamen sie an einem alten Mann vorüber, und es folgte dasselbe Frage- und Antwortspiel. Dann begegneten sie einem Leichenzug auf dem Weg zum Verbrennungsplatz. Und dieselbe Frage … Als Buddha die Leiche sah und fragte: „Werde auch ich eines Tages sterben?“, da antwortete der Kutscher: „Ja, Herr. Keiner ist eine Ausnahme. Es tut mir leid, das zu sagen, aber niemand ist ausgenommen. Selbst du wirst sterben.“

Buddha sagte: „Dann drehe sofort um. Dann ist es sinnlos, zu einem Jugendfest zu gehen. Ich bin bereits krank; ich bin bereits alt, und ich stehe schon auf der Schwelle des Todes. Wenn ich eines Tages sowieso sterbe, was soll dann der ganze Unsinn? Soll ich leben und auf den Tod warten? Bevor der Tod kommt, will ich wissen, ob es etwas gibt, was nicht stirbt. Nun werde ich mein ganzes Leben der Suche nach dem Unsterblichen widmen. Wenn es etwas gibt, das nicht stirbt, dann kann der einzige Sinn im Leben die Suche danach sein.“

Und noch während er das sagte, erblickte er das Vierte, einen Sannyasin, einen Mönch in orangefarbener Kleidung, der in Meditation versunken vorbeiging. Und Buddha sagte: „Was ist denn mit diesem Mann los?“ Da sagte der Kutscher: „Herr, er tut das, was du gerade vorhast. Dieser Mann hat den Tod gesehen und hat sich auf die Suche nach dem Unsterblichen gemacht.“

Noch am selben Abend entsagte Buddha der Wel.

Er verließ sein Haus, um sich auf die Suche nach dem Unsterblichen zu machen, auf die Suche nach der Wahrheit.

Der Tod ist die wichtigste Frage im Leben. Und wer die Herausforderung des Todes annimmt, wird unendlich belohnt.

2. Warnung: Die Sache mit dem Glauben

Wenn du gläubig bist, bist du auch ungläubig. Niemand kann glauben, ohne ungläubig zu sein. Lasst es euch ein für allemal gesagt sein: Keiner kann gläubig sein, ohne ungläubig zu sein. Jeder Glauben ist verkappter Unglauben.

Glauben ist nur die Hülle, im Kern davon sitzt der Zweifel. Nur weil der Zweifel da ist, braucht man den Glauben. Zweifeln tut weh, es ist wie eine Wunde, es ist schmerzhaft. Da der Zweifel wie eine Wunde ist, tut er weh. Er lässt dich deine innere Leere spüren, deine Unwissenheit. Du willst ihn verbergen. Aber meinst du wirklich, dass es hilft, deine Wunde hinter einer Rose zu verstecken? Meinst du, die Rose könnte deine Wunde verschwinden lassen? Im Gegenteil: Früher oder später beginnt die Rose wie die Wunde zu stinken. Wegen der Rose kann die Wunde nicht geheilt werden, aber die Rose wird wegen der Wunde verschwinden.

Vielleicht kannst du ja andere betrügen, die dich von außen sehen. Deine Nachbarn meinen vielleicht, da sei keine Wunde, sondern eine Rose, aber wie kannst du dich selbst betrügen? Es ist nicht möglich. Niemand kann sich selbst wirklich betrügen. Irgendwo tief innen weißt du es, musst du wissen, dass die Wunde da ist und du sie hinter der Rose verbirgst. Und du weißt, dass die Rose von außen kam. Die Rose hast du draußen gepflückt, während die Wunde in dir selbst gewachsen ist – die hast du nicht draußen gepflückt.

Ein Kind zweifelt von sich aus, es hat innere Zweifel; das ist natürlich. Wegen dieser Fähigkeit zu zweifeln stellt es Fragen, der Zweifel lässt es nachforschen und hinterfragen. Geh mit einem Kind im Wald spazieren und es wird dir so viele Fragen stellen, dass du bald genug davon hast und ihm sagen willst, es soll den Mund halten. Und es fragt immer weiter. Woher kommen all die Fragen? Sie sind für das Kind natürlich. Zweifeln ist eine innere Fähigkeit. Nur so wird das Kind in der Lage sein, nachzuforschen, sich auf die Suche zu machen. Nichts ist falsch daran. Die Priester haben euch vorgelogen, es sei nicht richtig zu zweifeln. Es ist absolut richtig! Zweifeln ist natürlich. Man muss es akzeptieren und respektieren. Wenn Zweifel respektiert wird, ist er nicht schmerzhaft; wenn man ihn ablehnt, wird er zur Wunde.

Lasst es uns klar sagen: Der Zweifel selbst ist keine Wunde. Er ist äußerst hilfreich, weil er dich zum Abenteurer und Forscher macht. Auf der Suche nach der Wahrheit bringt er dich zum fernsten Stern. Er macht dich zum Pilger. Es ist nicht ungesund zu zweifeln. Zweifeln ist schön. Zweifeln ist unschuldig. Zweifeln ist natürlich. Doch von den Priestern ist es über Jahrhunderte verdammt worden. Wegen dieser Verdammung ist der Zweifel, der, wenn er aufblüht, zu Vertrauen werden kann, zu einer stinkenden Wunde geworden. Verdamme etwas, und es wird eine Wunde; lehne etwas ab, und es wird eine Wunde.

Ich lehre als ersten Grundsatz, dass man versuchen sollte, nichts zu glauben. Warum? Wenn ein Zweifel da ist, ist er da. Man braucht ihn nicht verbergen, sondern sollte ihn zulassen und unterstützen und ihn zur großen Suche nach der Wahrheit werden lassen. Lasst Tausende von Fragen daraus entstehen, und letztendlich werdet ihr sehen: Es sind nicht die Fragen, die relevant sind, sondern das Fragezeichen! Zweifeln heißt nicht, dass man Glauben sucht. Zweifeln heißt, dass man sich auf die Suche nach etwas Geheimnisvollem macht, dass man jede Mühe auf sich nimmt, um das Unverständliche zu verstehen, das Unbegreifliche zu begreifen – man tastet sich mühsam vorwärts.

Und wenn du immer weiter suchst und forschst, ohne dir geborgte Glaubenssätze einzuverleiben, geschehen zwei Dinge: Erstens wirst du nie mehr ungläubig sein, denn: Zweifel und Unglauben sind nicht dasselbe. Ungläubig ist man nur, wenn man vorher etwas geglaubt hat, wenn man sich selbst und andere schon betrogen hat. Unglauben kommt erst, wenn schon Glauben vorhanden war. Er ist der Schatten des Glaubens.

Alle Gläubigen sind ungläubig, sie mögen Hindus sein, sie mögen Christen sein oder Jains. Ich kenne sie alle. Alle Gläubigen sind ungläubig, denn Glauben führt zu Unglauben; er ist der Schatten des Glaubens. Kann man denn etwas glauben, ohne ungläubig zu sein? Es ist unmöglich – es liegt nicht in der Natur der Dinge. Wenn du ungläubig sein willst, ist die erste Bedingung, dass du etwas glaubst. Kannst du etwa glauben, ohne dass sich der Unglauben durch die Hintertür schleicht? Oder kannst du ungläubig sein, ohne zuvor geglaubt zu haben. Glaube an Gott, und sofort schleicht sich Unglauben ein. Glaube an ein Leben nach dem Tod, und schon bist du ungläubig. Unglauben ist sekundär, zuerst ist der Glauben da.

Aber Millionen von Menschen auf der ganzen Welt wollen nur den Glauben. Unglauben wollen sie nicht. Da kann ich ihnen nicht helfen, keiner kann helfen. Wenn du nur am Glauben interessiert bist, musst du auch Unglauben ertragen. Du bleibst geteilt, gespalten, du bleibst schizophren. Du kannst nicht das Gefühl einer organischen Einheit haben; du hast dir selbst den Weg dahin versperrt.

Was ist mein Vorschlag? Als Erstes höre auf zu glauben. Lass deine Glaubenssätze fallen; sie sind nur Mist! Vertraue deinen Zweifeln – das ist mein Vorschlag. Versuche nicht, sie zu verbergen. Vertraue auf den Zweifel. Er ist das Erste, wo dein wahres Sein zum Vorschein kommt: Traue deinen Zweifeln und sieh, wie schön sie sind und wie wunderbar das Vertrauen ist, das durch sie entsteht.

Ich sage nicht: „Glaube!“, ich sage: „Vertraue!“ Zweifeln ist eine natürliche Gabe. Sie muss von Gott kommen. Woher soll sie sonst kommen? Deine Zweifel bringst du mit. Vertraue ihnen. Vertraue deinen eigenen Fragen und habe es nicht zu eilig, sie mit geborgten Glaubenssätzen von außen zu beantworten und wieder zu verdrängen. Von den Eltern, von den Priestern, von den Politikern, von der Gesellschaft, der Kirche. Dein Zweifel ist etwas Schönes, denn er kommt von dir. Er ist etwas Schönes, weil er authentisch ist. Auf dem Boden des echten Zweifels wird eines Tages die Blume echten Vertrauens blühen. Sie wird in dir gewachsen sein und ist nichts, was dir von außen auferlegt wurde.

Das ist der Unterschied zwischen Glauben und Vertrauen. Vertrauen wächst in dir – in deinem Inneren, in deiner Subjektivität. Ebenso wie der Zweifel ist auch das Vertrauen etwas Innerliches. Und nur mit etwas Innerlichem kann man innerlich transformiert werden. Glauben kommt von außen. Er kann dir nicht helfen, er kann den innersten Kern deines Wesens nicht erreichen – und genau dort befindet sich der Zweifel. Wo fängt man also an? Vertraue deinem Zweifel. Das ist meine Art, Vertrauen zu wecken. Glaube nicht an Gott, glaube nicht an die Seele, glaube nicht an ein Leben nach dem Tode. Vertrauen hat eine so mächtige Kraft, dass Licht in die Dunkelheit gebracht wird, selbst wenn du deinem Zweifel traust. Und Zweifeln ist wie Dunkelheit. Dieses kleine Vertrauen zum Zweifeln wird anfangen, deine innere Welt, deine innere Landschaft zu verändern.

Und stelle alles in Frage! Warum soll man sich fürchten? Warum so feige sein? Stelle alle Buddhas in Frage, stelle mich in Frage! Denn wenn Wahrheit da ist, dann hat sie keine Angst vor deinen Fragen. Wenn Buddhas echt sind, dann sind sie echt. Du brauchst nicht an sie glauben. Zweifle ruhig an ihnen – und doch wirst du eines Tages sehen, dass dein Vertrauen geweckt ist. Wenn du alles anzweifelst und bis zum Ende weiter zweifelst – bis zur letzten Konsequenz –, dann wirst du früher oder später über eine Wahrheit stolpern. Zweifeln heißt im Dunkeln tappen, doch es gibt eine Tür. Wenn Buddha die Tür gefunden hat, wenn Jesus die Tür gefunden hat, wenn ich sie gefunden habe, warum sollst du sie nicht finden? Jeder ist in der Lage, die Tür zu finden. Aber du hast Angst davor, im Dunklen zu tappen. Deshalb sitzt du lieber in deiner dunklen Ecke und glaubst an jemanden, der die Tür gefunden hat. Und diesen Jemand hast du nicht einmal selbst gesehen, sondern von anderen über ihn gehört, die es wiederum von anderen gehört haben – und so weiter und so fort.

Wie könnt ihr an Jesus glauben? Warum? Ihr habt Jesus nie gesehen. Und selbst wenn ihr ihn gesehen hättet, hättet ihr ihn damals nicht erkannt. An dem Tag, als er gekreuzigt wurde, hatten sich Tausende versammelt, um ihn zu sehen. Wisst ihr, was sie getan haben? Sie haben ihm ins Gesicht gespuckt. Vielleicht wärt auch ihr unter dieser Menge gewesen, denn die Menge war damals genauso wie heute. Der Mensch hat sich nicht verändert.

Wir haben zwar bessere Straßen und bessere Fahrzeuge, die dich von einem Platz zum anderen transportieren – eine großartige Technologie! Menschen sind auf dem Mond gelandet, aber der Mensch selbst hat sich nicht verändert. Deshalb sage ich: Wahrscheinlich waren viele von euch unter der Menschenmenge, die Jesus angespuckt hat. Ihr habt euch nicht verändert. Wie könnt ihr an Jesus glauben? Ihr habt ihm ins Gesicht gespuckt, als er lebte, und heute, zweitausend Jahre später, glaubt ihr an ihn. Es ist nur ein verzweifelter Versuch, euren Zweifel zu verbergen. Warum glaubt man an Jesus?

Würde man aus der Geschichte von Jesus nur einen Aspekt weglassen, würde das ganze Christentum aussterben. Nur eine Sache, einen Punkt, und zwar die Auferstehung – dass Jesus, nachdem er gekreuzigt worden und drei Tage tot gewesen war, wieder zurückgekommen ist. Wenn dieser Teil wegfiele, dann würde das ganze Christentum verschwinden. Ihr glaubt an Jesus, weil ihr Angst vor dem Tod habt, und er scheinbar der einzige Mensch ist, der zurückgekommen ist, der den Tod überwunden hat.

Das Christentum wurde zur größten Weltreligion. Der Buddhismus konnte nie so groß werden, ganz einfach weil die Menschen aus Angst vor dem Tod lieber an Jesus glauben als an Buddha. Um an Buddha zu glauben, muss man wirklich mutig sein, denn Buddha sagt: „Ich lehre euch den totalen Tod.“ Mit dem kleinen, normalen Tod gibt er sich nicht zufrieden. Er sagt: Dieser kleine Tod reicht nicht aus. Ihr werdet immer wiederkommen. Ich lehre den totalen Tod, den höchsten Tod. Die Vernichtung lehre ich euch, damit ihr niemals wieder zurückkommt, damit ihr verschwindet und euch in der Existenz auflöst. Es wird euch nicht mehr geben, nicht die geringste Spur von euch wird zurückbleiben. In Indien ist der Buddhismus verschwunden, völlig ausgestorben.

So ein großes, angeblich so religiöses Land – und der Buddhismus ist ganz verschwunden. Warum? Die Menschen glauben den Religionen, die einem sagen, dass es ein Leben nach dem Tode gibt, dass die Seele unsterblich ist. Buddha sagte, es gebe nur eine Sache, die es wert sei, erkannt zu werden: dass man nicht ist. Der Buddhismus konnte in Indien nicht überleben, da er keine gute Tarnung für die Angst zu bieten hat.

Buddha hat niemals gesagt, man solle an ihn glauben. Deshalb ist seine Lehre in Indien ausgestorben, denn die Menschen wollen glauben. Die Menschen wollen nicht die Wahrheit, sie wollen glauben.

Glauben ist billig. Die Wahrheit ist gefährlich, anstrengend, schwierig. Man muss dafür bezahlen. Man muss sich auf die Suche machen und hat keine Garantie, dass man etwas findet. Keiner garantiert einem, dass es die Wahrheit irgendwo gibt. Vielleicht existiert sie ja gar nicht. Die Menschen wollen glauben. Und Buddhas letzte Botschaft an die Welt war: „Appo dipo bhava – Sei dir selbst ein Licht.“ Seine Schüler weinten. Tausende von Jüngern hatten sich um ihn versammelt. Natürlich waren sie traurig und die Tränen flossen. Ihr Meister verließ sie. Und Buddha sagte zu ihnen: „Weint nicht! Warum weint ihr?“

Einer seiner Schüler, Ananda, sagte: „Weil du uns verlässt. Weil du unsere einzige Hoffnung warst. Weil wir so lange gehofft und gehofft hatten, dass wir durch dich zur Wahrheit gelangen.“

Er antwortete Ananda, als er seine letzten Worte sprach: „Macht euch darum keine Sorgen. Ich kann euch die Wahrheit nicht geben. Kein anderer kann sie euch geben, denn sie ist nicht übertragbar. Aber ihr könnt sie selbst finden. Seid euch selbst ein Licht.“

Ich habe dieselbe Einstellung. Ihr braucht mir nicht glauben. Ich will hier keine Gläubigen. Ich will Sucher und ein Sucher ist etwas ganz anderes. Ein Gläubiger sucht nicht. Der Gläubige will nicht suchen, deshalb glaubt er. Der Gläubige will es umgehen, selbst zu suchen, deshalb glaubt er. Er will erlöst werden, gerettet werden. Deshalb braucht er einen Erlöser. Er ist immer auf der Suche nach einem Messias, jemandem, der ihm alles vorkaut, der für ihn isst und für ihn verdaut. Aber wenn ich esse, wird euer Hunger nicht gestillt. Niemand kann euch retten außer ihr selbst. Hier brauche ich Suchende, Forschende, keine Gläubigen. Gläubige sind die mittelmäßigsten Menschen der Welt, die am wenigsten intelligenten Menschen auf der Welt.

Verabschiedet euch also vom Glauben, damit bringt ihr euch nur in Schwierigkeiten. Wenn ihr anfangt mir zu glauben, lässt der Unglauben nicht lang auf sich warten – zwangsläufig, denn ich bin nicht hier, um eure Erwartungen zu erfüllen. Ich lebe auf meine Weise. Ich nehme keine Rücksicht auf euch. Ich nehme auf überhaupt niemanden Rücksicht, denn beginnt man erst einmal, andere zu berücksichtigen, ist ein authentisches Leben nicht mehr möglich. Nimm Rücksicht auf andere, und du wirst falsch.

Dies war einer der wichtigsten Grundsätze, die George Gurdjieff seinen Schülern immer wieder sagte: „Nehmt keine Rücksicht auf andere, sonst werdet ihr niemals wachsen.“ Genau das geschieht ja auf der ganzen Welt. Jeder berücksichtigt andere: „Was wird meine Mutter von mir denken? Was wird mein Vater von mir denken? Was wird die Gesellschaft denken? Was wird meine Frau, mein Mann denken…?“ Ganz zu schweigen von den Eltern selbst! Die haben sogar Angst vor ihren Kindern! Sie sagen: „Was werden die Kinder denken?“ Alle berücksichtigen sich gegenseitig – und es gibt Millionen von Menschen, die zu berücksichtigen sind. Wenn du ständig alle und jeden berücksichtigst, wirst du nie zum Individuum, sondern bist nur ein Mischmasch. So viele Kompromisse – du hättest schon längst Selbstmord begehen müssen!

Man sagt, die Menschen sterben mit dreißig und werden mit siebzig begraben. Der Tod stellt sich sehr früh ein. Ich glaube, sogar dreißig ist nicht richtig, der Tod kommt noch früher. Irgendwo um die einundzwanzig – wenn man laut Gesetz vom Staat als erwachsener Bürger anerkannt wird; das ist der Moment, wo man stirbt. Das ist eigentlich sogar der Grund, warum du zum Staatsbürger gemacht wirst, jetzt bist du nicht mehr gefährlich, jetzt bist du nicht mehr wild, nicht mehr roh. Jetzt ist alles an dir richtig eingestellt, du bist zurechtgebogen, bist an die Gesellschaft angepasst. Das bedeutet es, wenn dir die Nation das Wahlrecht gibt: Der Staat kann sich nun darauf verlassen, dass deine Intelligenz zu Grunde gerichtet ist – du darfst wählen! Man braucht sich keine Sorgen um dich machen. Du bist ein Bürger, zivilisiert. Dann bist du aber auch kein Mensch mehr, sondern ein Staatsbürger.

Nach meinen Beobachtungen stirbt ein Mensch etwa mit einundzwanzig Jahren. Danach ist seine Existenz, was immer es sein mag, posthum. Auf den Grabinschriften sollten eigentlich drei Daten stehen: Geburt, Tod und posthumer Tod.

Es heißt, ein schlauer Mensch ist jemand, der sich aus Schwierigkeiten hinausziehen kann; und ein weiser Mensch ist jemand, der weiß, wie man gar nicht erst in Schwierigkeiten hineinkommt. Sei weise! Warum das Übel nicht gleich an der Wurzel packen? Glaube nichts und niemandem! Dann ist es kein Problem, ungläubig zu sein, dann entsteht kein Zwiespalt. Du brauchst keinen Ausweg aus einer Situation zu finden, wenn du gar nicht erst hineingerätst.

Die Wahrheit ist individuell. Die Masse kümmert sich nicht um die Wahrheit. Sie kümmert sich darum, Trost zu erhalten, beschwichtigt zu werden. Zur Masse gehören keine Forscher, keine Abenteurer oder Menschen, die ins Unbekannte gehen, die ihr Leben riskieren, um den Sinn, die Bedeutung ihres Lebens und des Lebens der gesamten Existenz zu finden. Die Masse will nur Dinge hören, die süß, tröstlich und bequem sind. Ohne sich selbst bemühen zu müssen, können sich die Menschen in tröstlichen Lügen wiegen.

Es war das letzte Mal, dass ich meine Heimatstadt besuchte, als ein alter Lehrer von mir, mit dem ich immer eine sehr liebevolle Verbindung gehabt hatte, im Sterben lag. Deshalb ging ich gleich als Erstes zu seinem Haus. Sein Sohn öffnete mir die Tür und bat mich: „Bitte störe ihn jetzt nicht! Er ist schon an der Schwelle des Todes. Er liebt dich und hat an dich gedacht, aber wir wissen, dass schon allein deine Gegenwart ihm die Seelenruhe rauben wird. Tu ihm das im Augenblick seines Todes nicht an!“

Ich erwiderte: „Wenn es nicht der Augenblick seines Todes wäre, würde ich deinen Rat vielleicht befolgen, aber jetzt muss ich ihn sehen. Wenn er nämlich jetzt, kurz bevor er stirbt, die tröstlichen Lügen aufgeben kann, dann wird sein Tod mehr Wert haben, als es sein ganzes Leben hatte.“

Ich schob den Sohn zur Seite und ging ins Haus. Der alte Mann öffnete die Augen, lächelte und sagte: „Ich habe an dich gedacht und gleichzeitig Angst gehabt. Ich hörte, dass du in die Stadt kommst und dachte, dass ich es vielleicht noch schaffe, dich zu sehen, bevor ich sterbe. Aber gleichzeitig hatte ich große Furcht, denn es könnte gefährlich werden, dich zu treffen.“

Ich sagte: „Es wird mit Sicherheit gefährlich. Ich bin zur richtigen Zeit gekommen. Ich werde alles wegnehmen, was dich tröstet. Wenn du unschuldig sterben kannst, wird dein Tod unschätzbaren Wert haben. Lass dein Wissen beiseite, denn es ist alles geborgt. Lass deinen Gott beiseite, denn er ist nur ein Glauben, sonst nichts. Lass deine Vorstellungen von einem Himmel oder einer Hölle beiseite, denn sie entspringen nur deiner Gier oder deiner Angst. Dein ganzes Leben hast du an diesen Dingen festgehalten. Nimm wenigstens jetzt, bevor du stirbst, deinen Mut zusammen, du hast nichts mehr zu verlieren! Ein Sterbender hat nichts zu verlieren. Der Tod wird alles zerschmettern. Gib lieber deine tröstlichen Glaubenssätze gleich selber auf und stirb mit unschuldig staunenden, forschenden Augen, denn der Tod ist das größte Erlebnis, das man im Leben haben kann. Er ist das Crescendo in der Sinfonie des Lebens!“

Der alte Mann sagte: „Genau davor hatte ich Angst. Das, was du mir jetzt rätst. Mein ganzes Leben lang habe ich Gott angebetet. Und ich weiß, er ist nur eine Hypothese. Ich habe ihn nie selbst erfahren. Ich habe zum Himmel gebetet und weiß, dass keines meiner Gebete jemals erhört worden ist. Da ist niemand, der zuhören könnte. Aber es war zu Zeiten des Leidens und der Ängste in meinem Leben so tröstlich. Was kann man als hilfloser Mensch sonst schon tun?“

Ich sagte: „Jetzt bist du nicht mehr hilflos. Es geht nicht mehr um Ängste, nicht mehr um Leiden oder Probleme – sie gehören dem Leben an. Jetzt gleitet dir das Leben aus der Hand; vielleicht wirst du nur noch ein paar Minuten an diesem Ufer des Flusses sein. Nimm deinen ganzen Mut zusammen. Begegne dem Tod nicht wie ein Feigling!“

Er schloss die Augen und sagte: „Ich werde es versuchen, so gut ich kann.“

Seine ganze Familie versammelte sich. Sie alle waren richtig böse auf mich. Es war eine Familie einer hohen Brahmanenkaste, sehr orthodox. Sie konnten es einfach nicht fassen, dass der alte Mann mir zugestimmt hatte. Der Tod war so ein großer Schock, dass alle seine Lügen zerbrachen.

Im Leben kann man sich mit Lügen durchschlagen, aber im Sterben weiß man ganz genau, dass Papierboote auf dem offenen Meer nichts nützen werden. Es ist besser, sich klarzumachen, dass man schwimmen muss und dass man kein Boot hat. Sich an einem Papierboot festzuklammern ist gefährlich; es kann einen am Schwimmen hindern. Anstatt dich zum anderen Ufer zu bringen, kann es der Grund für deinen Untergang sein.

Sie alle waren zornig auf mich, aber sie konnten nichts sagen. Der alte Mann lächelte mit geschlossenen Augen und sagte: „Schade, dass ich nie auf dich gehört habe. Ich fühle mich so leicht und unbelastet. Ich spüre keine Angst mehr, und nicht nur das, ich bin neugierig darauf zu sterben und zu sehen, was das Geheimnis des Todes ist.“

Er starb und das Lächeln blieb auf seinem Gesicht.

3. Die vielen Gesichter des Todes

Man kann in der Geschichte des menschlichen Geistes drei Ausdrucksformen des Umgangs mit dem Tod finden. Eine davon ist die des gewöhnlichen Menschen, der verhaftet mit dem Körper lebt, der nie etwas Größeres erfahren hat, als sich mit Essen, Trinken und Sex zu vergnügen, dessen ganzes Leben nichts anderes war als Essen und Sex. Er hat Essen genossen, er hat Sex genossen. Sein Leben war sehr primitiv, sehr grob. Er hat im Vorhof des Palastes gelebt, ohne ihn zu betreten, und immer gedacht, dies sei alles, was das Leben ihm zu bieten hat. Im Moment des Todes wird er versuchen, das Leben festzuhalten. Er wird gegen den Tod Widerstand leisten; er wird mit dem Tod kämpfen. Der Tod kommt zu ihm als Feind.

Deshalb wird der Tod in allen Kulturen der Erde als etwas Dunkles und Teuflisches dargestellt. In Indien sagt man, der Bote des Todes sehe abscheulich aus, dunkel, schwarz und er sitzt auf einem riesigen, hässlichen Büffel.

Dies ist die gewöhnliche Einstellung zum Tod. Diesen Menschen ist viel entgangen. Sie waren nicht in der Lage, alle Dimensionen des Lebens kennenzulernen. Sie konnten nicht in die Tiefe des Lebens eintauchen und sich auch nicht in seine Höhen aufschwingen. Die Vielfalt und die Segnungen des Lebens sind ihnen entgangen.

Dann gibt es eine zweite Form des Ausdrucks. Dichter und Philosophen haben den Tod manchmal als etwas weniger Schlechtes bezeichnet. Für sie ist der Tod nicht etwas Böses, sondern einfach friedlich, die letzte Ruhe, so etwas wie der Schlaf. Das ist schon besser als die erste Form. Diese Menschen haben zumindest schon etwas erfahren, was über den Körper hinausgeht. Sie haben etwas Geistiges erfahren. Ihr ganzes Leben bestand nicht nur aus Essen und Sex; es drehte sich nicht nur um Nahrung und Fortpflanzung. Ihre Seele ist etwas höher entwickelt. Sie sind ein bisschen aristokratischer und kultivierter. Sie sagen, der Tod ist wie tiefe Ruhe, man ist müde und geht in den Tod, um zu ruhen. Er ist friedlich. Doch auch mit dieser Ansicht sind sie noch weit von der Wahrheit entfernt.

Diejenigen, welche das Leben bis zum tiefsten Kern erfahren haben, sagen, dass der Tod etwas Göttliches ist. Er ist nicht nur Ruhe, sondern auch eine Auferstehung, ein neues Leben und ein Neuanfang. Es öffnet sich eine neue Tür.

Als der sufistische Mystiker Bayazid starb, waren seine Schüler, die sich um ihn versammelt hatten, sehr erstaunt, denn als der letzte Augenblick nahte, begann sein Gesicht plötzlich zu leuchten und hatte eine starke Ausstrahlung. Es hatte eine wunderbare Aura. Bayazid war ein schöner Mensch gewesen, und seine Schüler hatten schon immer seine Ausstrahlung gespürt. Doch so etwas hatten sie noch nicht erlebt. So ein Leuchten!

Sie fragten: „Bayazid, sage uns, was geschehen ist. Was passiert mit dir? Bevor du gehst, gib uns deine letzte Botschaft!“

Er öffnete die Augen und sagte: „Gott heißt mich willkommen. Ich begebe mich in seine Umarmung. Lebt wohl!“

Er schloss die Augen und atmete nicht mehr. Doch in dem Moment, als er zu atmen aufhörte, gab es eine Explosion von Licht. Der Raum war hell erleuchtet und dann verschwand das Licht.

Wer das Transzendente in sich selbst erfahren hat, für den ist der Tod nichts anderes als ein anderes Gesicht des Göttlichen. Dann hat der Tod etwas von einem Tanz.

Die Illusion des Todes ist gesellschaftlich bedingt. Das muss man etwas genauer erläutern.